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Ihre Baumeister – LMV: Fair im Bau
Plakat an einer Baustelle in Basel
In der Passarelle, einer überdachten Verbindungsbrücke über den Gleisen, gesäumt von Geschäften in Glaskästen für Reise- und Speisebedarf, schlenderte ich von Schaufenster zu Schaufenster. Mein Hotelzimmer konnte ich frühestens mittags beziehen. Ich hatte Zeit. Keine Termine, kein Stress. Ein stilles »Juchuuu!« auf den Lippen, drehte ich mich auf dem Absatz einmal um die eigene Achse. Das Gepäck auf meinem Rücken verstärkte meinen Schwung und schleuderte mich in einen Passanten.
»Exgüsi«, entschuldigte sich der bei mir.
Die wenigen Menschen, die an diesem Sonntagmorgen unterwegs waren, hielten Schwätzchen miteinander oder teilten am Telefon mit, wo sie gerade waren. Die Sätze hatten oft eine ausgeprägte Melodie. Sie begannen in Mittellage, schwangen sich auf in höchste Höhen und stürzten sofort wieder in die Tiefe. Bisweilen alles innerhalb einer Vokallänge, als gebe es einen Zusammenhang zwischen Aussprache und der Schweizer Berg-und-Tal-Landschaft. Dazu krachte es bei jedem ch, die st wurden zu »scht«, und der Umgang mit Zwielauten war undurchsichtig. »Bleibst du?« wurde zu »Bliebsch du?« (manchmal fiel das »du« auch weg), »zwei« blieb jedoch »zwei« und tönte trotzdem anders.
»Tönen« ist auch ein typisch Schweizer Ausdruck, den Deutsche häufiger im Zusammenhang mit Haarefärben verwenden.
Meine in den letzten Jahren auf Besuch bei Amara in Zürich erworbenen Kenntnisse über die sprachlichen Eigenheiten der Schweiz galten in Basel, Bern und den vielen Seitentälern des Landes sicher nur eingeschränkt. Dennoch, anders als die Menschen in Nordkorea würde ich die Schweizer verstehen.*
Unverständlicher waren die Schweizer Preise.
Anfang 2015 hatte die Schweizer Nationalbank die seit 2011 bestehende Kopplung an den Euro aufgehoben. Bis dahin musste 1 Euro mindestens 1,20 Franken kosten. Das hielt für europäische Handelspartner, besonders Deutschland, Waren aus teurer Schweizer Produktion halbwegs bezahlbar. Bedauerlicherweise verlor der Euro gegenüber dem Dollar zunehmend an Wert. Der Franken wäre gegenüber dem Euro gestiegen. Um das künstliche Euro-Franken-Verhältnis aufrechtzuerhalten, kaufte die Schweizer Nationalbank täglich Euro für mehrere Milliarden Franken, so dass der Franken weiterhin weniger wert war als der Euro. Anfang 2015 stieg das dafür benötigte Kapital auf 100 Milliarden Franken – pro Tag. Die Schweizer Nationalbank beendete deshalb die Eurobindung zum Entsetzen der Schweizer Wirtschaft, die zu Recht fürchtete, ihre nun noch teureren Produkte im Ausland nicht mehr loszuwerden. Was nicht nur Folgen für die Schweiz hatte, sondern auch für das im Osten angrenzende Fürstentum Liechtenstein, in dem der Schweizer Franken offizielle Währung ist.
Wenigstens erleichterte der neue Euro-Franken-Kurs das Rechnen. Die Währungen standen fast im Verhältnis eins zu eins. Was nicht bedeutete, dass es für denselben Zahlenwert dieselbe Warenmenge gab.
Die im Bordbistro meines deutschen Zuges erworbene Frühstücksbox enthielt zwei Brötchen, dazu Leberwurst, Marmelade und Margarine in Portionspackungen, ein Päckchen Orangensaft, Plastikbesteck und ein Heißgetränk. Preis: 6 Euro 60. In den Basler Bahnhofsbackshops gab es für 6 Franken 60 ein kleines belegtes Brötchen.
Falls das Touristen nicht genug abschreckte, hingen in der gewaltigen Schalterhalle von Basel SBB meterlange Landschaftsgemälde in erdigen Farben: Sie zeigten den Ort Gstaad, den Silser See, das Jungfraujoch und, als fünfzehn Meter breites Panorama, den Vierwaldstättersee. Die Bilder waren so düster, dass, wäre ich Konstantins Mutter, ich ihm die Augen zugehalten hätte.
Heißen Tee schlürfend, bummelte ich durch eine Ladenpassage, geriet in eine Seitenhalle und stand mit einem Mal vor einer Milchglasscheibentür, die mit »FRANCE« überschrieben war. Aber nur, wenn man darüber hinwegsah, dass sich das E bockig gab und zu den übrigen halbmeterhohen Metalllettern sichtbar Abstand hielt.
Vom Schriftzug auf der oberen Türkante bis zur Hallendecke war der Raum offen, und man erahnte die Weite hinter der Tür.
Neben ihr ragte ein zweistöckiger roter Kubus auf, groß wie ein Einfamilienhaus. An seiner Seite steckte ein Fahnenmast, an dem die französische Trikolore baumelte. Mutig hielt ich auf die Milchglasscheiben zu. Sie teilten sich rechtzeitig.
Aus dem Reich des Franken schritt ich nach Frankreich.
Genauer gesagt, auf französisches Hoheitsgebiet.
Ich marschierte vorbei an den unbesetzten Zollschaltern im Erdgeschoss des roten Kubus und auf eine hölzerne Flügeltür zu, die so alt aussah, dass ich zusammenfuhr, als sie automatisch aufschwang. Der Saal dahinter war breiter als lang und sehr hoch. Holzpaneele und Stuckkanten gliederten die Wände. Zwei mächtige Kronleuchter, schlank und schlicht, hingen von der Decke. In einer Ecke blätterte der Putz ab. An den Längsseiten des Wartesaales standen Sitzbänke, die schmalen Landschaftsbilder an der Wand waren so düster wie die in der großen Schalterhalle. Das »Buffett« überschriebene Holzhäuschen in der hinteren Ecke hatte sicher schon lange nicht mehr seinem Zweck gedient.
Durch eine zweite automatische Holztür trat ich ins Freie.
Als sei er das Zuneigung suchende Stiefkind, drängte sich ein kleiner Kopfbahnhof von hinten an den großen Basel SBB. Das Stiefkind heißt »Basel SNCF«. Die vier Großbuchstaben stehen für die französische Staatsbahn Société Nationale des Chemins de fer Français – auf Deutsch: »Vereinigte Nationale Französische Eisenbahnen«.
Schilder versprachen die Gleise 30 bis 35. Doch die Gleise, die den linken Bahnsteig flankierten, waren als 30 und 31 nummeriert, die am rechten als 33 und 35. Gleis 32 und 34 fehlten. Ähnlich war es damals in Nordkorea. Da hatten im Aufzug meines Hotels in Pjöngjang auf dem Etagentableau die Ziffern 1 und 5 gefehlt.
Von der Unterseite des Bahnhofdaches schälte sich die Farbe. Auf dem Bahnsteigboden waren die Markierungen verblasst. Einzig die Abfallbehälter glänzten wie gerade aus der Fabrik gekommen. Nirgends sah ich Menschen. Ich drehte mich um zu den Prellböcken am Ende der Gleise und hob meine Kamera.
Um die lückenhaften Gleisbezeichnungen ganz aufs Bild zu bekommen, beugte ich mich, Gesicht und Kamera nach oben gerichtet, seitwärts über die Bahnsteigkante.
Hinter mir pfiff jemand. Ich experimentierte mit dem Zoom herum. Es pfiff erneut, deutlich näher. Dann ein scharfer Ruf und eine Druckwelle. Ich riss instinktiv meinen Körper Richtung Bahnsteigmitte. Ein Eisenbahnwagen rauschte Zentimeter entfernt an mir vorbei, das Ende eines Zuges, der rückwärts in den Bahnhof geschoben wurde. Der Rangierer stand in der offenen Verbindungstür am Wagenende, den Fuß auf einem Puffer. Er sprang auf den Bahnsteig und ließ französische Schimpfwörter auf mich niederprasseln.
»Exgüsi«, entschuldigte ich mich bei ihm.
Das Rätsel der Basler Bahnhofsbenennung ist einfach zu erklären. Sofern man Kompliziertes mag.
Der Basler Hauptbahnhof hieß früher »Centralbahnhof«. Heute heißt er »Basel SBB« und im Englischen »Basel Swiss Station«, um ihn von »Basel German Station« (einem weiteren multinationalen Fernbahnhof in Basel) zu unterscheiden und von dem Bahnhof, auf dem ich gerade herumirrte: Basel SNCF, im Englischen »Basel French Station«, ursprünglich »Elsässischer Bahnhof«, weil hier früher die Züge aus dem Elsass ankamen.
Zugabfertigung und Fahrkartenverkauf betreiben die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Auch die Müllentsorgung liegt in Schweizer Händen, was die gepflegten Abfallbehälter erklärt. Der Ursprung des komplizierten Bahnhofsbesitztums liegt im 19. Jahrhundert.
1838 begannen die Betreiber der Elsass-Bahn aus Frankreich mit dem Bau einer Strecke von Strasbourg Richtung Basel, 1840 reichte sie bis an die Schweizer Grenze. Die Stadt Basel wünschte eine Verlängerung, es dauerte aber einige Jahre, bis sich der »Grosse Rat«, die Regierung des Kantons Basel, dazu durchringen konnte, ein ausländisches Unternehmen auf Schweizer Boden tätig werden zu lassen. 1845 bekam Basel schließlich als erste Stadt der Schweiz Eisenbahnanschluss.
Der erste Französische Bahnhof befand sich etwas entfernt vom heutigen Standort auf dem Schällemättli, das so heißt, weil auf den dortigen Feldern, auch »Matten« genannt, Strafgefangene arbeiteten, die – um eine Flucht zu erschweren – Glocken, also Schellen, um den Hals trugen. Ein Prinzip, mit dem die Schweizer schon bei Kühen gute Erfahrungen gemacht hatten.
Auch der ausländischen Bahn trauten die Basler nicht. Deshalb sicherten sie ihre Stadt durch ein Eisenbahntor, dessen Fallgitter von einer durch die französische Bahngesellschaft zu bezahlenden Wache vor dem ersten Zug am Morgen hochgezogen und am Abend nach dem letzten Zug abgesenkt wurde. Außerdem behielt sich Basel eine komplette Schließung des Tores bei Krieg, Aufstand oder Seuchen vor. Nach einigen Umbauten und Standortverlegungen wurde 1907 das aktuelle Gebäude im Rücken des damaligen Centralbahnhofs errichtet.
Auf dem Weg zurück ins Bahnhofsgebäude durchschritt ich zum dritten Mal eine hölzerne, automatische Flügeltür. Sie war mit »Schweiz« überschrieben, und falls jemand beim Durchschreiten einen Anfall von Amnesie erlitt, hatte man auf ein drinnen gleich rechts auftauchendes Glashäuschen große Metalllettern gesetzt, die noch einmal verkündeten, wohin der Weg führte. Nämlich in die »SCHWEIZ«. Im Unterschied zu »FRANC E« tanzte hier keiner der Buchstaben aus der Reihe.
Zollbeamte sah ich nirgends. 2008 ist die Schweiz dem kontrollfreien Schengen-Raum beigetreten. Dennoch hielt ein Schreibpult an der Wand Zollformulare bereit. Wer mehr als 10 000 Euro in das Nicht-EU-Land Schweiz bringt, muss dies anmelden.
Meine Reisekasse überschritt diesen Grenzwert nicht. Unter dem T-Shirt, direkt auf der Haut, barg ich in einer flachen Bauchtasche neben Ausweis und Kreditkarte je 600 Euro und Franken in bar. Damit ich mir in der Schweiz täglich eine Mahlzeit leisten konnte – zumindest in der ersten Woche. Deutsche Touristen geben in der Schweiz durchschnittlich 150 Schweizer Franken pro Tag aus. Chinesische 350.
»Kann ich Ihnen helfen?« Inhaltlich gab es an der Frage des Uniformierten, der aus einer Tür des roten Kubus geschossen kam, nichts auszusetzen. Akustisch klang es wie »Hände hoch!«
Ich hatte bei meiner Inspektion des französischen Zollgebiets unablässig Fotos geschossen, mal unauffällig aus der Hüfte, wie ich es in Nordkorea perfektioniert hatte, mal ganz offen.
Wichtig war jetzt, die Aufmerksamkeit von mir abzulenken.
Dabei half mir der Affenkäfig, den ich durch die offene Tür im Raum hinter dem Uniformierten erspähte. Anderthalb Meter hoch, stabile Gitterstäbe, Holzfußboden. Ohne Affen.
Dessen Gewicht hätte man auf der Kreisskala einer altertümlichen Zeigerwaage ablesen können, die vor dem Käfig postiert war. Daneben stand ein roter Tisch, dessen Platte ein zerkratztes Schweizer Kreuz zierte. Es schienen schon einige Affen darübergerutscht zu sein.
»Ist der Käfig für Affen?«
»Nein«, sagte der Zollbeamte misstrauisch, aber abgelenkt.
»Sondern?«
»Für den Hund.«
»Welchen Hund?«
»Den Spürhund.«
»Ach, den.« Ich bedankte mich und flüchtete durch eine Milchglasscheibentür, beschriftet mit »SCHWEIZ«.
Als ich auf den Bahnhofsvorplatz trat, zeigten die Uhren in den dicken Türmen beiderseits der gläsernen SBB-Bahnhofsfassade halb neun. An der höchsten Stelle des Steingiebels, der die Uhrentürme verband, prangte, umschlungen von steinernen Girlanden, ein Schweizer Kreuz auf rotem Grund. Auffällig und zurückhaltend zugleich. Ich stellte mir ein solches Wappen an einem deutschen Bahnhof vor, schwarz-rot-gold-gestreift. Es würde aussehen, als habe jemand ein Sommerkleid eingerahmt.
Ein buntes Hotelsammelsurium umgab den Centralplatz. Rechts hellgelb das Victoria, daneben der blassrote Schweizerhof und links hinten, himmelblau, das Hotel Euler. Gemindert wurde die Fröhlichkeit der farbigen Fronten von einem dunklen Büroturm. Halbverdeckt vom Schweizerhof, erinnerte er an einen Footballspieler, der versucht, sich hinter einer Kindergartengruppe zu verstecken.
Die Kurven der im Boden eingelassenen Tramschienen bedeckten den Platz wie ein verunglücktes Mandala. Im Schatten der Haltestellendächer fegte ein Straßenkehrer kaum sichtbaren Staub zusammen. Nach jedem zweiten Besenstrich schlug er das Querholz aufs Pflaster, um Schmutz aus den Borsten zu lösen. »Sch-sch-tock. Sch-sch-tock.«
Ich setzte mich auf eine Haltestellenbank, klappte meine Frühstücksbox auf und schmierte mir ein Leberwurstbrötchen. Außer mir und dem Straßenkehrer waren noch zwei weitere Menschen auf dem Platz – Herren ohne Unterleib, die reglos hinter den Scheiben am Kopf ihrer grünen Tramschlangen auf Fahrgäste warteten.
Der Besenjazz des Straßenkehrers verstummte. Er machte auf den Stiel gestützt Pause. Meine Leberwurstbrötchenhand stoppte auf halbem Weg zum Mund. Nun bewegte sich nichts mehr auf dem Platz. Alles war ruhig. Ruhig und sauber. So sehr, dass man misstrauisch werden musste. Ich stand auf.
Dem Architekten des Büroturms hinter dem Schweizerhof hatte wohl einer jener Sitzhocker aus einem Elefantenfuß zum Vorbild gedient, die gern als Beispiele geschmackloser Afrika-Souvenirs in Zeitschriften abgebildet werden. Klobig, kreisrund, unten zunehmend breiter.
Jeder der achtzehn Etagenringe bestand aus gleich großen Betonsegmenten mit fünf schmalen dunklen Fenstern. Auf der dem Bahnhofsplatz zugewandten Seite umschlang die unteren Etagen ein fensterloser Vorbau. Er ruhte auf einer dicken Säule, so dass sich darunter ein höhlenartiger Raum ergab. Dort verbarg sich, weit nach hinten versetzt, der Eingang.
Zur Seite floss der Turm ab der siebten Etage in einen gestuften Erweiterungsbau aus, jedes Stufendach begrünt. Weitere Gartenpracht bot ein kleiner Park am Fuß des Turms.
Unzählige Kameras überwachten das Areal. Außer »Ausfahrt Tag und Nacht freihalten« und »Warenanlieferung BIZ« wies nichts darauf hin, dass im Inneren des Baus die Finanzpolitik der Welt bestimmt wird.
Alle zwei Monate fährt sonntagnachmittags eine Kolonne schwarzer Limousinen in die Tiefgarage des Turms. Sie kommt vom eine Autostunde von Basel entfernten Flughafen Zürich und bringt die Chefs der Deutschen Bundesbank, der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds, der Bank of England, der US-amerikanischen Federal Reserve und anderer wichtigen Notenbanken, zum Beispiel der chinesischen.
Die Einfahrt zur Tiefgarage fand ich in der Gartenstraße. Zwei Security-Leute in einem Wachhäuschen hatten mich bereits im Blick. Einer griff zum Telefon. An seiner Stelle hätte ich das auch getan, wenn auf der anderen Straßenseite im Schatten einer Parkhauseinfahrt ein Mann mit Rucksack herumschleicht und Fotos knipst von Zugängen und Überwachungstechnik der Mutter aller Banken. Statt mich aus dem Staub zu machen, spazierte ich über die Straße aufs Gebäude zu. Ich hatte ja nichts zu verbergen. Ich nicht.
Ecke Gartenstraße/Nauenstraße hantierten im Erdgeschoss zwischen chromblitzenden Arbeitstischen Köche mit weißen Mützen herum. War heute wieder einer dieser wichtigen Sonntage, an dem die Bankbosse zusammen speisten? Vor dem Dinner treffen sie sich im abhörsicheren Konferenzraum E, wo sie ohne Störung durch unqualifizierte Finanzminister oder ihre Wähler fürchtende Regierungschefs die internationale Geldpolitik absprechen.
Der Zweimonatsturnus der Treffen wurde schon im Gründungsabkommen 1930 festgeschrieben, als die »gehörig bevollmächtigten Vertreter der Regierungen Deutschlands, Belgiens, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, Italiens und Japans einerseits und die gehörig bevollmächtigten Vertreter der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits« die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ins Leben riefen. Die Interessen der USA vertraten Bevollmächtigte der Banken J.P. Morgan, Nationalbank of Chicago und Nationalbank of New York. Formell trat die Notenbank der USA erst 1994 bei.
Die neue Bank sollte die deutschen Reparationszahlungen gegenüber den Siegermächten des Ersten Weltkriegs abwickeln.
Das »gehörig« betonte nicht etwa, dass in der Bank nichts Ungehöriges vorgeht, sondern dass die Vertreter ihren Regierungen hörig, also rechenschaftspflichtig waren.
Die Gründungsmitglieder spendierten der BIZ ein Startkapital von 500 Millionen Schweizer Franken, was 1930 einem Wert von 14 516,13 Kilogramm Feingold entsprach. So viel wiegen drei erwachsene afrikanische Elefantenbullen.
Mit der Schweizer Bundesregierung wurde – bis heute geltend – vereinbart, die BIZ von »gegenwärtigen und künftigen wie immer bezeichneten Steuern, gleichgültig, ob diese vom Bund, von Kantonen, von Gemeinden oder von anderen öffentlichen Körperschaften auferlegt werden«, zu befreien.
Vorteil von Basel außerdem: Die Stadt liegt in einem neutralen Land und ist einer der Eisenbahnknotenpunkte Europas. Die Bänker trafen sich zunächst in direkt am Hauptbahnhof gelegenen Hotels.
1931 wäre das große Banken-Brimborium beinahe wieder zu Ende gewesen, denn Deutschland stellte im Zuge der Weltwirtschaftskrise die Reparationszahlungen ein. Doch die BIZ nutzten inzwischen zwei Dutzend nationale Zentralbanken als Mittler bei Geschäften mit Deutschland. Und umgekehrt stand die BIZ Deutschland als Kapitalverwahrer und Kreditgeber bei Auslandsgeschäften zur Seite.
Bis März 1945 liefen über die BIZ sämtliche Devisen- und Goldgeschäfte Nazideutschlands – von den Gründungsmitgliedern, besonders den amerikanischen, ausdrücklich gebilligt. Ob das deponierte Geld von den Banken besetzter Länder stammte oder das Gold von herausgebrochenen Zähnen, interessierte niemanden.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges orientierte sich die BIZ erneut um. Kunden wurden nach und nach alle Zentralbanken Europas, auch aus sozialistischen Ländern – mit Ausnahme der DDR und der Sowjetunion. Hauptaufgabe war die Verwaltung von Währungsreserven für Nationale Notenbanken, die Koordination von Notfallkrediten bei Währungskrisen sowie die treuhänderische Verwahrung von Kapital bei Umschuldungen oder binationalen Streitigkeiten. So koordinierte die BIZ 2003 die Entschädigungszahlungen Libyens an die USA im Zusammenhang mit dem Lockerbie-Anschlag 1988, als libysche Terroristen eine amerikanische PANAM-Maschine über dem schottischen Lockerbie zum Absturz brachten.
Die Notenbanker Europas trafen sich regelmäßig – ab 1977 im Elefantenfußturm. Hier bereiteten sie die Einführung des Euro und die Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB) vor.
Die Regelwerke, die das weltweite Bankenmiteinander seit den siebziger Jahren steuern, wurden ebenfalls in der BIZ ausgearbeitet. Sie trugen der Einfachheit halber den Namen Basel. Seit 2013 gilt Basel III. In den Nachrichten sind seit Jahren die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) als Hüter der weltweiten Finanzpolitik täglich präsent. Derweil eröffnete die BIZ weitgehend unbemerkt Repräsentanzen in Hongkong und Mexiko und baute und bezog in Basel weitere Bürogebäude. Mitglied bei der BIZ sind heute 60 Zentralbanken, die 95 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts repräsentieren. Seit November 2015 steht der BIZ der deutsche Bundesbankchef Jens Weidmann vor. Sein Vize ist Raghuram Rajan, Leiter der indischen Notenbank und ehemaliger Chef des IWF.
Ohne ausdrückliche Zustimmung der BIZ dürfen Schweizer Behörden kein BIZ-Gebäude betreten, denn die Schweizer Regierung garantiert internationalen Organisationen Handlungsfreiheit. Die 623 Mitarbeiter der BIZ können also ganz in Ruhe ihr großes Geschäft erledigen. Es sei denn, es brennt in der mächtigsten Bank der Welt. Für diesen Fall liegt eine vorab erteilte Zutrittsgenehmigung für die Basler Feuerwehr vor.
Was immer BIZ-Mitarbeiter in Ausübung ihres Dienstes tun, sie bleiben straffrei. Zusätzlich besitzen nichtschweizerische Mitglieder des Topmanagements samt ihren Angehörigen volle diplomatische Immunität, sind damit befreit von Zollkontrollen, Zöllen und Steuern und müssen, wenn sie falsch parken, keine Strafe zahlen. Dürfen aber.
Wie umgedrehte Schildkröten klebten im dunklen Eingangsbereich unter dem fensterlosen Vorbau Kameras unter dunkelbraunen Glashauben an der Decke. Ich winkte ihnen zu. Ganz hinten an der Wand entdeckte ich ein schallplattenhüllengroßes Schild. Dort stand in goldenen Buchstaben auf Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch: »Bank für Internationalen Zahlungsausgleich« – im Dämmerlicht kaum und von der Straße aus gar nicht zu lesen.
So viel stand fest: Am ersten Tag in Nordkorea hatte ich mich halb so oft gewundert wie in der ersten Stunde meiner Schweiz-Reise.
* Sprachwissenschaftler haben in den Schweizer Dialekten allein 22 Vokalfarben nachgewiesen. Unser lateinisches Alphabet kennt nur sechs Zeichen für Vokale. Zudem unterscheiden sich die Dialekte eklatant. Nicht alle Unterschiede kann eine Verschriftlichung abbilden. Und die meisten Einheimischen kennen nicht mal die korrekten Rechtschreib- und Grammatikregeln für ihre Dialektvarianten. Dennoch: Auf Dialekt in einem Buch über die Schweiz zu verzichten ist wie die Zeugung eines Kindes im Reagenzglas. Es ist möglich, aber kühl und leidenschaftslos. Der Dialekt ist das Herz der Schweiz. Und wie bei allen Herzensangelegenheiten droht das Risiko, dass Außenstehende nicht alles verstehen und Insider behaupten, es sei alles ganz anders. Die in diesem Buch verwendeten Dialekte wurden alle von kompetenten Schweizern geprüft. Die Verantwortung für Fehler liegt allein beim Autor. Proteste mögen bitte durch Bewerfen des Verantwortlichen mit weich verpackter Schokolade zum Ausdruck gebracht werden. Da ich des Englischen mächtig bin, sind englische Sätze korrekt wiedergegeben, alle anderen Sprachen lautmalerisch. So, wie ich sie gehört habe.