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Aufkleber an einem Basler Briefkasten
Wider Erwarten konnte ich schon kurz vor zwölf mein Zimmer beziehen. Sonntags wohnen in Businesshotels keine Geschäftsleute und nur wenige Wochenendgäste. Die WLAN-Nutzung war kostenlos, die Verbindung stabil und schnell.
»Zeig mal die Aussicht«, bat Amara, während sie ihre Wimpern mit einer martialischen Metallzange in Form presste. Sie hatte mich gefragt, ob es mich störe, wenn sie sich »parat macht«. Es störte mich nicht. Sie schminkt sich oft, wenn wir skypen. Auf ihrem Bildschirm sieht sie nicht nur mich, sondern auch ein Kamerabild von sich. Das ersetzt den Spiegel. Sie hatte in zwei Stunden einen Kundentermin. Mit wem, verriet sie nicht. Das macht sie nie.
Stolz hatte ich ihr von meinem Eckzimmer im fünfzehnten Stock berichtet, dessen verglaste Außenwände theoretisch einen atemberaubenden Blick über die Basler Skyline boten. Tatsächlich schaute ich auf die schmutzig roten Dächer grauer Wohnhäuser.
»Das Problem ist: Ich bin die Hälfte der Skyline.«
Amara machte große Augen. Links schon mit mondänem Schwung.
»Der Messeturm, in dem mein Hotel ein paar Etagen belegt, ist das zweithöchste Haus von Basel. 105 Meter, 31 Etagen. Die andere Hälfte von Basels Skyline steht da drüben …« Ich drehte das Handy in Richtung eines weißen, an einer Seite treppenförmigen, Wolkenkratzers. »178 Meter, 41 Etagen. Basels höchstes Haus.«
Falkengleich stieß Amara in die Logiklücke. »Hä? Siebzig Meter höher als deins und nur zehn Etagen mehr?«
»Vielleicht haben sie in den Büros mehr Platz vom Boden bis zur Decke. Oder Geheimetagen. Würde mich hier nicht wundern. Da drin sitzt Hoffmann-La Roche, das ist ein Pharma –«
»Ich weiß«, unterbrach Amara.
Schweizer über ihr Land zu belehren – immer heikel.
»Jedenfalls ist das im Wesentlichen alles an Skyline.«
»Gut, dann zeig mir die Berge.«
Ich schwenkte das Handy hin und her. »Die Vogesen, das Jura und der Schwarzwald.«
»Ich sehe nur Grau.«
»Du musst dir den Nebel wegdenken.«
»Wie viel kostet noch mal dein Vogelnestzimmer?«
»Executive Double-Room, bitte schön! 164 Franken, ohne Frühstück.« Ein Hot-Deal-Schnäppchen aus dem Internet, inklusive lächerlicher 3,8 Prozent Mehrwertsteuer.
Ich stellte das Handy auf das Kopfteil des Bettes.
»Spatzeli, was machst du?«, schepperte Amaras Stimme aus dem kleinen schwarzen Telefonapparat.
»Auspacken.« Ich schnürte den Rucksack auf. »Sag mal, was ist eigentlich die BaZ?«
»Die Basler Zeitung. Warum?«
»Ich bin vorhin an einem Haus vorbeigekommen, da waren fast alle Briefkästen mit Anti-BaZ-Parolen beklebt.«
Ich hatte es fotografiert und las ihr den handgeschriebenen Zettel vor mit der Weiterfahraufforderung fürs Wägli.
Vor Lachen vermalte sie sich beim Lidstrich.
»An einem anderen Briefkasten stand: ›Keine BaZ! Auch nicht geschenkt!‹ Nur ein einziger Briefkasten war ohne Anti-BaZ-Parolen. Da klebte über dem Namensschildchen ein zweites gedrucktes. Darauf stand: ›Musterschweizer.‹«
Amara glaubte mir nicht, also schickte ich ihr mein Foto.
Inzwischen lagen auf meinem Bett drei kleine Plastikdosen mit blauen Deckeln, ein Rollkragenpullover, ein Stapel T-Shirts, schwarze, superleichte Sportschuhe, weiße Frottéschlappen, drei Paar Socken, vier Boxershorts, meine Schlafhose und eine volle Tüte. »Was haben die Leute gegen die Basler Zeitung?«
»Sie hassen Christoph Blocher. Weißt du, wer das ist?«
Ich packte die Tüte aus: eine schwarze Stoffhose samt Ledergürtel, ein blaukariertes Hemd und ein T-Shirt mit V-Ausschnitt, welches man unter dem Hemd nicht sah. Dazu ein himmelblauer Pullover. Meine guten Sachen für Restaurants und Frühstückssalons. Zur Vermeidung von Falten hatte ich alles umeinander gerollt.
»Blocher ist ein Strolch?«, vermutete ich.
»Nein! Mehrfacher Milliardär und Vizepräsident der SVP.«
»Schweizer … Volkspartei?«
»Früher war er ihr Vorsitzender und saß fast fünfundzwanzig Jahre im Nationalrat!«
»Das ist euer Parlament?«
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