America’s next Magician

America’s next Magician

Band 2 der Next Magician Dilogie

Isabel Kritzer

Für Simon,

weil du mich auf diesem Weg begleitet hast.


Für Kathrin,

weil du stets mit Motivation an meiner Seite warst.


Für Filippos,

weil ich den ›epic shit‹ erst wegen dir geschrieben habe.


Auf in die Rebellion!

Inhalt

Über Band 1

Vorwort

Playlist

Die vier Gilden des Kaiserreiches Eterny

1. Die wahre Eiskönigin

2. Der Anfang von etwas Großem

3. Der Kampf der Magicians

4. Flügel

5. Die Schlacht der Elemente

6. Ein ganzes Land

7. Tödliche Regierungsgeschäfte

8. Für die Zukunft Californias

9. Das Grauen ruht auch in der Gegenwart nicht

10. Zwischen den Attentaten

11. Im Headquarter von Tekre Industries

12. Höhenangst oder Schwindelzustände

13. Das Kostbarste auf der Welt

14. Ivan der Schreckliche

15. Nachtschwarz

16. Freveltat

17. Der Anfang vom Ende

18. Saludo sapiens!

19. Roter Nebel

20. Oh doch, du kannst!

21. Meine Entscheidung

22. Auf Abenteuerreise

23. Ein letzter Tanz

24. Ihre kaiserliche Majestät

25. Totales Chaos

26. Ivans Geheimnis

27. Die Stunde danach

28. Der Schakal

29. Schlechte Nachrichten

30. Rothaarig

31. Eine falsche Programmierung

32. Die Regentin der République Française

33. Helle Panik

34. Mein Fall ins Bodenlose

35. Elektroschilde und Plasmablitze

36. Assembler

37. Magische Macht

38. Asche und Rauch

39. Alles, was bleibt

40. Alles geht in Flammen auf

41. America’s next Magician

42. Spion des Feindes

43. Wiedergeboren

44. Wingman

45. Acht Stühle

46. Die Siegesfeier

47. Hurra, America!

Nachwort

Danksagung

Über Band 1

CALIFORNIA’S NEXT MAGICIAN

Wir schreiben das Jahr 2086. Ein Großteil der Landfläche der Erde ist durch das Abschmelzen der Gletscher im Meer versunken. Die Macht im neuen Kaiserreich Eterny – den früheren USA – und seinen fünfundzwanzig Ländern liegt in den Händen mächtiger Magier, den Magicians. Zwischen ihnen finden alle fünfundzwanzig Jahre in jedem der Länder Regentschaftswahlen statt.


Fünfundzwanzig Kandidaten erhalten einen silbernen Brief als Einladung zur Regentschaftswahl, der sie verpflichtet, ihre magischen Fähigkeiten bei gefährlichen Prüfungen auf die Probe zu stellen. Sie müssen sich unter ständiger Beobachtung und Kamerapräsenz gegen ihre Mitstreiter durchsetzen und vor allem eines – überleben!


Josephine stammt aus dem Land California. Sie durchlebt die Schrecken der fünf Aufgaben dort, wächst über sich hinaus und verliebt sich in den größten Bad Boy von Eterny. Dabei wird sie zum Volkssymbol für Emanzipation und Wandel. Josephines Mutter präsentiert sich als geniale Entwicklerin und Vorstandsvorsitzende von Tekre Industries. Doch wer ist sie eigentlich?


Die Zukunft, der Klimawandel, ein System, in dem Frauen weniger wert sind. Magie, Macht und Intrigen. Ein Kampf für Gleichberechtigung und Toleranz, um Loyalität und Vertrauen. Ein Phönix, eine Sphinx und viele weitere Spieler. Aber wer spielt am Ende richtig und wer pokert zu hoch?

Vorwort

California 2086

Lasst mich eines klarstellen:

I CAN and I WILL!


Ich bin Josephine Streisand.


Tochter von Lanahaa Streisand, der mächtigsten Rebellin dieses Kaiserreiches – vielleicht gar der verbliebenen Welt. Tochter von Leonardo Sinessa, dem ehemaligen Regenten Californias, seines Zeichens der größte Widerling dieser Welt, der es bisher nicht geschafft hat, mich umzubringen.


Freundin, oder auch nicht – wer weiß das schon? –, von Sullivan Tena­kulis, dem Sexiest Man Alive, einer der größten Magicians unserer Zeit und der einzige leibliche Sohn des Kaisers!


Enkelin von Tekre Streisand – dem Gründer von Tekre Industries, dem bedeutendsten Nachrichtendienst und Hightechwaffen-Unternehmen von ganz Eterny. Und Nachfahrin von Rovenna, der mächtigsten Magicia, die je geboren worden war.


Ich bin die amtierende Regentin von California, rechtmäßig ernannt von seiner göttlichen Heiligkeit dem Kaiser von Eterny und ich werde ihnen beweisen, dass ich das Land besser regieren kann als sie alle zusammen!

Playlist

Guardians at the Gate – Kevin Rix

Lux Aeterna – Clint Mansell & Kronos Quartet

Lay My Body Down – Rag’n’Bone Man

Sanctuary – Welshly Arms

Heart of Courage – Two Steps From Hell

Everybody Wants To Rule the World – Lorde

Lose You to Love Me – Selena Gomez

9 crimes – Damien Rice

Let Me Down Slowly – Alec Benjamin

Back to Black – Amy Winehouse

7 rings – Ariana Grande

Changes (feat. Talent) – 2Pac

Yellow Flicker Beat – Lorde

A Girl Like You – Edwyn Collins

110 (Prolog) – LEA

The Diary of Jane – Breaking Benjamin

Alles brennt – Johannes Oerding

Archangel – Two Steps From Hell

In My Blood – Shawn Mendes

Love in the Dark – Adele

Die vier Gilden des Kaiserreiches Eterny

Die Cuiny sind Gestaltwandler. Ihre Stärke bemisst sich an ihrem Wappentier. In dieses können sie sich verwandeln. Ist es magisch, sind sie äußerst stark. Ihre Gildenfarbe ist Grün.


Die Mensay sind Empathen und Heiler. Sie stammen von den Medizinmännern ab. Ihre Gildenfarbe ist Weiß.


Die Veritas sind Wahrheitsfinder und Illusionisten. Je nach Grad ihrer Kraft sind ihre Illusionen optisch, akustisch und sogar haptisch. Für sie steht die Farbe Gelb.


Die Gulets beherrschen die Magie der Elemente. Sie tragen die Farbe Blau und sind nun keine reine Männergilde mehr.

Die wahre Eiskönigin

Ich würde gern behaupten, die Welt stand jetzt und hier – in diesem unfassbaren Augenblick – für einen Moment still und ich hatte die Chance, das Chaos vor mir, das sich mein Leben nannte, aus der Perspektive einer Außenstehenden zu betrachten. Aber so was passiert nur in Filmen.

In der Realität erhob meine Mutter sich gerade von ihrem über unseren Köpfen schwebenden Thron aus Wolken. Sie trat auf die oberste Stufe der kleinen Nebeltreppe davor und hob die Hände in einer fast andächtigen Geste. Langsam, gefühlt in Zeitlupe, begann sie diese zusammenzuführen.

Ein Wind kam während der Bewegung auf. Er strich über mein blutbesudeltes rosafarbenes Kleid mit der abgerissenen Schleppe und kündete von nichts Gutem. Nahm zu, je mehr sich die Fingerkuppen ihrer rechten Hand denen ihrer linken näherten.

Sie setzte zum nächsten magischen Schlag an.

Kalte Schauer jagten über meinen erschöpften Körper. Die flachen Ballerinas, die ich am Morgen für ein bisschen gemogelten Komfort angezogen hatte, kamen mir jetzt zugute. Ich war wie erstarrt. Der Schock über ihre Offenbarungen, ihre Magie und meine Herkunft, lähmte mich noch immer. Das bittere Gefühl ihres Verrats an mir hatte sich tief in meinem Herzen, den Gliedern und Knochen festgesetzt. Meine Welt stand kopf.

Unverwandt musterte ich die Frau, die mir all die Jahre so wehrlos und zerstreut vorgekommen war; die für mich nur eines symbolisiert hatte: meine Mutter. Schmerzhaft zog sich mein Magen zusammen, als mein Gehirn begann, mir ungewollt Erinnerungen an all die gemeinsamen Momente zu zeigen. Es war ein Best of Josephine and Lanahaa Streisand. Meine Kindheit, meine Pubertät, meine Studienzeit bis zur Wahl zogen in einem verwischten Strom farbiger Schemen einst glück­licher Stunden an mir vorbei. Bis die Übelkeit in meinem Magen obsiegte und ich die Bilder im selben Bruchteil der Sekunde, in dem sie aufge­ploppten, zusammen mit dem unguten Gefühl mental von mir schob.

Gebannt starrte ich nach oben, wartete nur darauf, dass sich die Fingerspitzen meiner Mutter berührten.

Immer näher und näher kamen sich die Hände.

Doch mit jeder weiteren Sekunde, die verstrich, wuchs in mir die Angst vor dem, was passieren würde. Meine Anspannung ließ den brennenden Wunsch entstehen, sie aufzuhalten. Mein Körper befand sich allerdings noch immer im Ausnahmezustand und reagierte nicht auf die Signale meines Geistes. Warum tat denn kein anderer etwas?

Meine Verzweiflung erreichte ein unerträgliches Maß. Gleichzeitig starrte ich gen Himmel.

Bunte Funken stoben auf, als Haut auf Haut traf. Gleißende Helligkeit hüllte den Platz einen Augenblick lang in eine Glocke aus purer Energie.

Es war Magie.

Reine Macht.

Sie erfüllte glitzernd die Luft – so wunderschön und tödlich.

Goldene Flecke färbten meine Netzhaut, verglimmten schwarz an den Rändern meiner Wahrnehmung und machten diese kurzzeitig unbrauchbar, als das Licht für meine Sehnerven zu viel wurde. Ich kniff die Augen reflexartig zusammen, nur um sie im nächsten Augenblick angstvoll aufzureißen und überrascht zu keuchen.

Die Helligkeit war gebündelt worden. Über Lanahaa schwebten vier unterschiedlich farbige Lichtkugeln: blau wie die Gulets. Weiß wie die Mensay. Gelb wie die Veritas. Grün wie die Cuiny.

Ich erkannte es sofort. Jeder wusste, welche Farben die vier magischen Gilden unseres Reiches repräsentierten, die zusammen mit dem Kaiser herrschten, seitdem sich der Rat der Magicians vor etwas mehr als fünfzig Jahren erhoben hatte. Gegen die Politik, die damals nichts auszurichten vermocht hatte und zum angeblichen Wohl der Menschen, die vor dem größten Feind von allen beschützt werden sollten: der Natur, die sich immer mehr von unserem Lebensraum einverleibte. Durch Stürme, Fluten und Dürren – durch Katastrophen, die auch heute noch keiner vollständig verhindern konnte. Magie dämmte immerhin manches ein. Doch den meisten Menschen, die jetzt auf dem großen Platz vor der Bühne standen, ging es wohl wie mir. Sie waren eingeschüchtert, ängstlich und ratlos, was die Kugeln über Lanahaas Kopf zu bedeuten hatten, abgesehen vom Offensichtlichen: Gefahr! Und sicher auch ratlos, ob meine Mutter damit alle vier Richtungen der Magie beherrschte oder deren Färbung nur eine Illusion war, die sie geschaffen hatte, um den Gedanken in unseren Köpfen zu platzieren. Um Furcht zu säen. Trugbild oder Realität, ganz egal. Manipulation war eine fast so mächtige Waffe wie Magie selbst. Zumindest das wusste ich, seit Ivan mich bei der Wahl gecoacht hatte.

Plötzlich glimmten die Kugeln gefährlich auf.

Mein Herzschlag vervielfältigte sich sofort. Ich hätte gern begriffen, was sich vor meinen schockgeweiteten Pupillen ereignete. Hätte gern behauptet, dass ich stark war – bereit, alle zu retten. Dass meine Seele nicht aufgrund der Offenbarungen meiner Mutter in den letzten Minuten in Splitter zerbrochen war, die sich nun mit der Präzision von frisch geschliffenen Messern in meine Organe und die Lunge zu bohren schienen und mich immer mehr am Atmen hinderten. Hätte gern behauptet, dass das Ende der Wahl nicht alles zerstört hatte, wofür ich glaubte zu stehen, zu kämpfen. Woran ich mich in den dunklen Stunden festgehalten hatte.

Die Kugeln glimmten heller.

Keiner regte sich.

Tränen rannen mir aus den Augenwinkeln, zogen ihre Spur über meine dreckigen erhitzten Wangen hinunter bis zu meinem Kinn, von dem sie auf mein Schlüsselbein tropften. Ich wollte nicht schwach sein, doch war ich es.

Tausende Menschen verfolgten das Spektakel hier auf dem Platz, Abertausend auf ihren Bildschirmen zu Hause. Und sie alle sahen, wie die Eiskönigin, meine einzige und doch zum Schluss so wenig effektive Maske, dahinschmolz. Sahen, wie die Farce unserer heilen Welt aufgedeckt wurde, wie die Missstände in California das Zuckerbrot und die Peitsche überwogen, wie die Regeln des Rates, der Gilden und damit das Kaiserreich seit fünfzig Jahren das erste Mal ins Wanken geriet.

Ich zog die Nase hoch.

Meine Tränen hinterließen einen Film auf beiden Wangen, der sich wie ein unsichtbares Tattoo anfühlte. So, als sei ich gezeichnet worden – von mir selbst. Schlussendlich war ich das auch ein Stück weit, weil alles hier aufgezeichnet wurde. Für die Ewigkeit. Damit konservierten meine Taten ein unsterbliches Bild von mir. Auch wenn uns, der Spezies Mensch, ob nun magisch veranlagt oder nicht, diese von der Natur vermutlich gar nicht geschenkt werden würde. Kaiserreich Eterny – Eternity ausgeschlossen.

Wegen Sinessa – meinem Vater – und seinem widerwärtigen Streben nach Macht, das genau wie das des Kaisers alle ins Verderben gestürzt hatte. Und wegen meiner Mutter – der Inkarnation der Rebellion, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ihre Show mit einer Rebellion gemein haben sollte. Bislang sah ich keine Auflehnung einer Gruppe, sondern eine Zurschaustellung ihrer selbst, die für keinen hier gut ausgehen konnte.

Wie hatte nur alles so aus dem Ruder laufen können?

Immer intensiver, regelrecht unangenehm glimmten die Kugeln über uns.

Alle starrten inzwischen – gefangen in der Unwirklichkeit dessen, was sich vor ihren Augen abspielte. Genau wie ich. Nicht einmal die kleine Robobotarmee, die die Umgrenzung der Bühne zum Publikum hin sicherte, regte sich.

Mit zitternder Hand wischte ich mir die Nässe vom Kinn – zog Spuren durch den Sand der Arena, der noch immer daran haftete.

Kalt, so kalt waren meine Finger im Gegensatz zur Haut.

Ich hätte gern behauptet, dass ich noch die Gleiche war wie Stunden zuvor. Doch manche Worte und Taten lassen sich nicht zurücknehmen. Die meiner Mutter gehörten unwiderruflich dazu. Sie betrafen mein Wesen auf eine elementare Weise, dass mir nicht klar war, wie ich mit ihnen umgehen sollte. Ich wusste nicht mehr, wer ich war, wer sie war und was in den letzten einundzwanzig Jahren wirklich echt gewesen war. Mein Herz und meine Seele trugen tiefe Wunden. Mein Körper war nicht gleichermaßen verwundet, doch schien es mir, als hatte ich plötzlich verlernt, ihn zu steuern.

Die Stille und die seltsame Reglosigkeit um mich waren so surreal wie die Situation. Keiner konnte wegschauen, keiner floh, obwohl alle genau wussten, dass im Bruchteil einer Sekunde etwas Schreckliches passieren würde; wir waren dazu verdammt, hinzuschauen, würden das Geschehen durch die Neugier der menschlichen Natur bis zum bitteren Ende verfolgen.

Wir alle gaben meiner Mutter damit die Bühne, die sie sich ausgewählt hatte. Und obwohl ich inzwischen wieder Schmerzen von meinem Kampf in der Arena in allen Gliedern spürte, verankerte sich mit jeder weiteren Sekunde, die ereignislos verstrich, die unterschwellige Vermutung in meinem Bewusstsein, dass dies – ihr Auftreten – der Anfang von etwas Großem war.

Was nicht hieß, dass es sich dabei um etwas Gutes handelte.

Gewiss war ich mir hier und jetzt nur einer Sache: Ich war nicht bereit, das Ende dieser Entwicklung zu erleben, wenn es aus den Menschen, die ich liebte, Monster machte. Oder vielmehr die Monster in ihnen enthüllte, sie ans Tageslicht brachte und vor aller Augen sichtbar werden ließ.

Die Frau auf ihrem Wolkenthron, sie war mir fremd. So fremd. Alle auf der Bühne, die sie wie in Stein gemeißelt verharrten – inklusive meiner selbst –, waren mir auf einen Schlag fremd. Ich blickte auf ein Geschehen, das die Menschen, die ich zu kennen geglaubt hatte, mitgestalteten. Doch erkannte ich sie nicht wieder; erkannte mich nicht wieder. Da war nur noch Leere – in mir, um mich.

Wo war mein Kampfgeist?

Wo war die starke Josi, die ich jetzt doch so sehr brauchte?

Ich konnte die innere Anspannung, die Zerrissenheit, die unzähligen Fragen und die Angst nicht länger ertragen. Nicht, nachdem ich gerade erst Phillipe getötet hatte, um zu überleben. Nicht, nachdem ich die Schrecken der Arena gerade erst gegen diese Bühne eingetauscht hatte. Und nicht in Anbetracht der Tatsache, dass Ivan noch immer so weit entfernt von mir, neben dem Kaiser stand.

Psychischer Schmerz verdrängte einen Schlag lang das Chaos in meinem Kopf. Wandelte es von schwarz-grauem Nichts in rote Glut. Dann war es wieder vorbei. Die Verwundung ließ nach und hinterließ nichts als die Qualen der physischen Wunden beim Ausatmen. Meine Kraftreserven waren erschöpft. Die letzte Aufgabe der Wahl hatte mich fast allem beraubt.

Ich setzte trotzdem ein gezwungenes Lächeln auf – für die Kameras.

Da flackerten die Kugeln hoch oben noch heller.

Meine Mutter hob wieder die Hände, dieses Mal ging es unglaublich schnell. Ihre Fingerspitzen berührten sich und eine hellgrüne Lichtkugel entstand, als sie sie wieder auseinanderzog.

Unsere Blicke verschmolzen, trotz der Distanz, für einen quälenden Herzschlag. Dann blinzelte sie und die Verbindung brach ab.

Sie holte mit einer Hand weit aus, warf die grüne Magie, die sie in dieser gehalten hatte und schloss die Augen. So als wollte sie den Einschlag nicht mitbekommen.

Das hellgrüne Licht raste wie ein Kugelblitz in meine Richtung, auf mich zu und durchdrang im nächsten Moment meine Brust.

Ich spürte ein kurzes Brennen und meine Lippen formten ein gleichermaßen überraschtes wie überrumpeltes O. Doch die begleitende Druckwelle, die mit voller Wucht meinen Magen gegen meine Wirbel­säule presste und meine Rippen zusammenquetschte, machte mir nur zu deutlich, dass die Magie mich voll erwischt hatte. Dass meine Mutter mich voll erwischt hatte.

Das stetige Brennen breitete sich aus. Alles in mir schmerzte, ächzte und rang binnen Kurzem um Aufmerksamkeit. Äußerlich zuckte ich mit keinem Muskel, schwankte nicht einmal. Mein Körper war von magischer Hand zur Salzsäule erstarrt.

Etwas stimmte ganz und gar nicht. Panik übertünchte sofort meinen inneren Kampf. Was hatte sie mit mir gemacht? Was ging hier vor?

Nach Hilfe und Antworten suchend starrte ich orientierungslos geradeaus.

Niemand schien verstanden zu haben, dass wirklich etwas geschehen war; dass das grüne Licht nicht von mir abgeprallt oder aufgehalten worden war, sondern mich irgendwie äußerlich versteinert und in eine Art lebendige Wachsfigur verwandelt hatte. Keiner rief nach mir oder kam herbei, alle waren auf meine Mutter konzentriert. Was auch daran liegen mochte, dass ich noch immer das verkrampfte Lächeln von eben zeigte, gerade stand und nicht um Hilfe rief – wie auch, es ging nicht.

Alles in mir revoltierte. Doch nach einigen Sekunden erkannte der Rest an klarem Verstand, den ich hatte, dass das nichts brachte. Dass es eine Kraftverschwendung war. Mir blieb nur eine Option: Ich musste mir selbst helfen, der Magie zu entkommen.

Ich startete eine möglichst rationale Bestandsaufnahme meines Zustands, um mehr über diesen herauszufinden.

Es war ernüchternd. Mein Brustkorb ließ sich nur noch ein klein wenig heben, das erschwerte das Atmen. Mein Mund und meine Kehle waren völlig starr wie meine Glieder. Ich konnte meine Arme und Beine nicht bewegen, war tatsächlich in meinem eigenen Körper gefangen.

Immerhin ließen sich meine Augäpfel hin- und herrollen. So erkannte ich, dass sich ein hauchzarter, kaum sichtbarer Grünschimmer wie ein engmaschiges Netz gebündelter Strahlen über das bisschen freie Haut zog, das ich aus meiner Perspektive – mit dem leicht gehobenen Kinn – erspähen konnte. Die hellgrüne Kugel hatte eine Art magischen Käfig aus meiner Gestalt gemacht.

So tief wie es mir möglich war, atmete ich ein. Die verringerte Sauerstoffzufuhr ließ bereits alles schwerfällig werden. Nicht nur mein Herz war müde. Ich war bereit aufzugeben, die Waffen zu strecken. Sie siegen zu lassen. Lanahaa, meine Mutter, Miss Terious – was immer sie bevorzugte –, wenn es nur aufhörte. Das Kämpfen. Das Töten. Das Quälen. Ich wollte ihr Mysterium nicht lösen, weder heute noch in Zukunft. Wie gut ihr selbst gewählter Name doch zu all dem passte. Was tat sie mir nur an?

Ihr blondes Haar wogte hoch oben im Wind der Energiewellen, die ihr Körper selbstbewusst bis hinunter auf die Menge und zu uns auf die Bühne verströmte. Sie sah so unberührt aus. So ungerührt. Die wahre Eiskönigin.

Ich war immer nur eine billige Kopie gewesen – die sie jetzt einfach ›eingefroren‹ hatte. Sie hingegen schien es in sich zu haben. Das Eis. Wasser war eindeutig ihr Element. Daraus bestanden schließlich auch Wolken sowie ihr Thron.

Sie war die Beherrschte und dadurch die Beherrschende.

Ich trug das Feuer in mir. Ein Feuer, das mich einst, während der Wahl, zu verzehren gedroht hatte und nun anscheinend erloschen war. Für immer? Ich spürte kein Fünkchen mehr in mir, nur noch Resignation. Dämmerte vor mich hin, von ihrer grünen Magie in Schach gehalten. Was ist das für eine mächtige Gestaltwandlerlichtkugel gewesen?, fragte die Stimme meiner Neugier. Mein abdriftender Geist hing jedoch anderem nach.

So wie Lanahaa sich gab, wie sie stumm Hof hielt, hatte ich mir immer das Auftreten des ultimativen Superbösewichtes vorgestellt. Sinessas Auftreten im Endkampf gegen den Kaiser – so in der Art. Meiner Mutter dabei zuzusehen erschütterte mich, entzog mir das letzte elementare bisschen kindlicher Liebe, zerriss das natürliche Band zwischen Mutter und Kind – zwischen ihr und mir – unwiderruflich. Machte mich zu der Hülle, die ich dank ihr jetzt nicht nur physisch, sondern auch mental war.

»Ergreift sie!«, hatte der Kaiser vor einer gefühlten Ewigkeit gerufen. Lanahaa? Mich? Und warum eigentlich nicht Sinessa, unseren alten Regenten? Ihn, den Anstoß des Ungemachs, durch seinen versuchten Mord­anschlag auf mich! Wie lange würde es dauern, bis er sich besann und statt wie alle zum Wolkenthron zu gaffen, erneut zu etwas Hinter­listigem ansetzte?

Könnte ein Angriff auf mich den magischen Käfig brechen? Oder war ich derart gefangen nur noch leichter zu töten?

Meiner Mutter wagte bisher keiner entgegenzutreten.

Ein halbwegs tiefer Atemzug entwich mir. Und als hätte ich unbewusst ein Zeichen gesetzt, kam plötzlich Regung in die Szenerie auf der Bühne.