Einführung

»Schulbücher spiegeln den Stand einer Gesellschaft, auf dem sie sich aktuell befindet«, sagt die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing. Wer also wissen will, wo sich muslimische Gesellschaften in Sachen Freiheiten, Grundhaltungen und Werten heute befinden, der sollte sich ansehen, was der jungen Generation dort beigebracht wird. Genau das habe ich mir mit diesem Buch vorgenommen.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich aus acht verschiedenen Ländern eine breite Auswahl von Schulbüchern zusammengetragen hatte, insgesamt weit mehr als 100 Bücher aus dem Irak, Jordanien, Libanon, Palästina, Ägypten, dem Iran, der Türkei und Afghanistan. Bücher aus fünf dieser Länder habe ich schließlich ausgewählt. Sie erlauben einen Blick in eine andere Welt, oder besser: Sie zeigen einen anderen Blick auf die Welt. Dabei geht es mir nicht darum, gezielt nach Negativem, beispielsweise nach Antisemitismus zu suchen und diesen zu brandmarken. Es geht mir darum, einen Querschnitt dessen zu zeigen, was Schüler in diesen Ländern lernen. Und ja, einige der Inhalte, die ich gefunden habe, sind aus westlicher Sicht unerfreulich bis erschreckend und haben – wie mir deutsche Bildungsexperten bestätigten – nach unseren Maßstäben nichts in einem Schulbuch verloren.

Ein Beispiel: In einem ägyptischen Schulbuch zum Fach Haushaltskunde wird Stylingunterricht »für dicke und dünne Mädchen« gegeben. Dicke Mädchen – so steht es dort – sollten »keine engen Kleidungsstücke« und »keine breiten Gürtel tragen«. Der Glaube, dass sie das dünner aussehen ließe, sei ein »Irrglaube«. Breite Gürtel würden vielmehr »die Nachteile ihrer Körper hervorheben«. Dicke Mädchen sollten stattdessen »dunkle Farben« tragen. Dazu lächeln Models wie Claudia Schiffer in eng taillierten Kostümen den Schülerinnen von der Schulbuchseite entgegen. Dahinter steht natürlich der Gedanke, die Mädchen möglichst attraktiv für künftige Ehemänner zu machen. Denn der Platz der Frau ist das Heim, vermittelt das Lehrbuch.

Wer aus einem Land, in dem diese Denkweisen gelehrt werden, zu uns kommt, erlebt einen Kulturschock. Selbstverständlich kleiden sich in Europa Frauen so, wie sie es wollen – unabhängig von ihrer körperlichen Beschaffenheit. Selbstverständlich ist Jude kein Schimpfwort und das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar. Selbstverständlich kann in Deutschland jeder seine Religion leben – oder sogar ohne leben. Selbstverständlich? Ja, für uns. Doch an Schulen im Iran, in Afghanistan oder Gaza sieht es anders aus.

Mir ist wichtig zu betonen: Es ist nicht alles schlecht, was ich zu lesen bekam. Die Naturwissenschaften hatten häufig ein gutes Niveau, soweit ich das beurteilen konnte. An Schulen in Ägypten wird sehr früh Philosophie gelehrt. Schüler in der sechsten Klasse müssen sich mit Texten von Sokrates oder Aristoteles auseinandersetzen. Das hat mir durchaus imponiert. Aber es fällt auf: Wissensvermittlung ist häufig nur mit ideologischem oder religiösem Unterbau möglich, etwa wenn sich in einem iranischen Mathematikbuch eine Abbildung befindet, auf der mathematische Formeln und daneben Militärraketen zu sehen sind. Die Botschaft: Wenn du gut in Mathe bist, kannst auch du eines Tages Raketen bauen.

Nun könnte man meinen, dies alles sei weit weg, Schulen in Ägypten, dem Iran und Afghanistan. Aber möglicherweise ist der Schaden, den schlechte Bildung in muslimischen Ländern anrichtet, auch bei uns spürbar. Außerdem erscheinen die Inhalte der Schulbücher als ein Symptom dafür, dass sich Gräben zwischen dem Westen und der islamischen Welt nicht schließen, sondern vergrößern. Denn wir werden in den Büchern häufig als Gegner dargestellt, als Kolonialisten, Imperialisten, Judenfreunde, Ungläubige und vieles mehr. »Unsere Feinde sind all diejenigen, die nicht Muslime sind«, lautet sinngemäß die Botschaft eines palästinensischen Schulbuchs.

Die arabischen Bücher konnte ich selbst durchsehen, da ich die Sprache verstehe. Trotzdem wurden alle Übersetzungen, die hier wiedergegeben werden, von einem zertifizierten Übersetzer angefertigt. Bei Türkisch, Persisch und Dari konnte ich mir zunächst keinen ersten Eindruck verschaffen, da ich diese Sprachen nicht beherrsche. Ich konnte aber auch nicht alle Bücher aus diesen Ländern komplett übersetzen lassen. Das hätte jeglichen Rahmen gesprengt. Also habe ich drei junge Kollegen, die aus den jeweiligen Ländern nach Deutschland gekommen sind, gefragt, ob sie sich die Bücher anschauen und mich auf Interessantes, Auffälliges und Berichtenswertes hinweisen könnten.

Als wir zusammensaßen und ich fragte, was ihnen aufgefallen sei, zuckten alle drei mit den Schultern und sagten: »Nichts Besonderes. Die Schulbücher sind eigentlich ganz normal.« Ich nahm ein Buch und blätterte es durch. In dem Schulbuch aus dem Iran tauchte gleich im ersten Kapitel eine Abbildung auf. Sie zeigt, wie amerikanische Soldaten auf Leichenbergen von Müttern, Kindern und Greisen eine Stars-and-Stripes-Fahne hissen. »Und das ist ganz normal?« Die Antwort: »Ja, das ist normal in unseren Schulbüchern.« Dies mag ein extremes Beispiel sein, doch befanden sich mehr oder weniger heftige antiwestliche Tendenzen in der großen Mehrzahl der von mir ausgewerteten Schulbücher.

Das ließ mich verwundert zurück. Junge Muslime mit ausländischen Wurzeln, die ich als absolut modern und reflektiert kennengelernt habe, die zudem noch in deutschen Medienunternehmen arbeiten, sagen, es sei »normal«, wenn in »unseren Schulbüchern« extreme Gewaltdarstellungen auftauchen, die die Unterdrückung von Muslimen abbilden sollen. Oder wenn offen die Rechte von Minderheiten und Frauen in Abrede gestellt werden. Das hat mich lange beschäftigt, sodass ich mich frage: Was bleibt von einer solchen Schulzeit hängen und wie sehr prägt das?

Ich bin kein Pädagoge. Daher habe ich die Einschätzung von Experten in Anspruch genommen, zum Beispiel von Susanne Lin-Klitzing. Sie ist die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Erziehungswissenschaftlerin und Professorin an der Universität Marburg. Ihre grundlegende Einschätzung: »Bildung hat immer auch übergeordnete Aufgaben wie Friedenserziehung, Menschenrechtsbildung, Rechtserziehung. Gleichzeitig wird bei uns strikt darauf geachtet, dass in Schulbüchern kein geschlechts-, behinderten-, religions- oder rassendiskriminierendes Verständnis gefördert wird. Das war in den Schulbüchern, die ich aus muslimischen Ländern hier vorliegen habe, anders.« Dieses Resümee zieht Lin-Klitzing, nachdem sie die übersetzten Schulbücher studiert und analysiert hat. Für einzelne Bücher habe ich außerdem andere Forscher und Experten zurate gezogen.

Mir ist bewusst, wie sensibel das Treffen einer Auswahl ist. Zuerst dachte ich daran, aus den insgesamt mehr als hundert Schulbüchern, die ich besorgt habe, die prägnantesten, überraschendsten, bedenklichsten Ausschnitte zu zeigen und zu übersetzen. Das hätte den Vorteil gehabt, dass ich viel mehr Details aus einer wesentlich größeren Anzahl an Büchern hätte referieren können. Ich habe mich dagegen entschieden. Unter anderem hätte ich sonst mit dem Vorwurf rechnen müssen, ich würde die krassesten Aussagen aus dem Kontext reißen und moderatere Stellen ausblenden. Stattdessen habe ich exemplarisch mehrere Schulbücher annähernd in Gänze übersetzen lassen. Annähernd heißt behutsam gekürzt, zum Beispiel wurden immer wiederkehrende Aufgaben oder Inhaltsverzeichnisse ausgelassen. Es entsteht ein authentischer Blick darauf, wie Fakten, Ideologie und Religion miteinander verwoben werden. Und jeder Leser kann sich einen eigenen Eindruck davon verschaffen, was manche junge Menschen in muslimischen Ländern an Lehrstoff vorgesetzt bekommen.

Im ersten Teil eines jeden Kapitels schaue ich auf die Inhalte, die in muslimischen Ländern verbreitet werden. Im zweiten Teil schaue ich auf die Auswirkungen bei uns, die insbesondere wegen der Migration aus muslimischen Ländern spürbar werden, an Schulen zum Beispiel. Lehrer stehen immer häufiger vor Klassen mit einem hohen Anteil muslimischer Schüler. Sie sollen vermitteln, was Generationen muslimischer Zuwanderer häufig nicht kennengelernt haben: Bildung, die bildet und Chancen schafft und die nicht ideologisieren will.

Aber es geht auch darum, ob Deutschland seine Zusammenarbeit mit muslimischen Staaten nicht an klare Reformen in den Bildungssystemen dieser Länder knüpfen sollte. Bisher läuft es so, dass das Geld fließt, unabhängig davon, welche Inhalte letztlich damit verbreitet werden. Und so kommt es, dass ein Teil der frauenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Ausfälle in Schulbüchern von deutschen Steuergeldern mitfinanziert werden, im Namen der Entwicklungshilfe. Das muss aufhören.

Kinder des Koran schließlich heißt das Buch, weil in allen Büchern ein muslimisches Weltverständnis in mehr oder weniger ausgeprägter Form eine Rolle spielte. Ich habe viele Jahre im Nahen Osten gelebt, bin bis heute zahlreichen Freunden in arabischen Ländern verbunden und berichte regelmäßig als Korrespondent für die ARD aus der Region. Ich bin der Überzeugung, die jungen Menschen in der muslimischen Welt haben etwas Besseres verdient als das, worauf ich bei der Recherche für dieses Buch gestoßen bin. Ihnen sollte die Möglichkeit zustehen, sich entsprechend ihren Fähigkeiten zu bilden.