Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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© 2018 Bernd Oberhoff
Covergestaltung: Ulrich Kochinke, Berlin
Coverfoto: Fidelio, Festspielhaus Baden-Baden, 2008,
Inszenierung von Robert Carsen
(Foto: Andrea Kremper, Saarbrücken).
Satz, Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH
ISBN: 978-3-7460-0793-9
Von einem psychodynamischen Musikforscher erwartet man eine psychodynamische Operndeutung. So war es ursprünglich auch geplant. Doch je tiefer ich mich in dieses Werk hineinbegab, desto deutlicher wurde mir, dass die vielfältigen Sinngehalte sich unmöglich in einem einzigen Deutungsrahmen unterbringen lassen. So wurde es notwendig, die Oper drei Mal zu erzählen, jedes Mal mit einem anderen Fokus und einer anderen Geschichte. Da sich zunehmend spirituelle Aspekte in die Aufschließung der Oper hineinmischten, wurde es unabdingbar, zum konventionellen und psychodynamischen einen eigenen spirituellen Deutungsansatz einzufügen, der schließlich sogar zum umfangreichsten und detailreichsten von allen dreien heranwuchs.
Außergewöhnlich ist, dass in jeder der drei Geschichten jeweils ein anderer Akteur im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Und ebenso außergewöhnlich ist es, dass eine Protagonistin, nämlich Leonore, in jedem der drei Stücke eine höchst unterschiedliche Rolle einnimmt. In der Schlussbetrachtung werden Überlegungen darüber angestellt, welche Bedeutung diesem Phänomen eines „Drei-in-eins-Theaterstücks“ wohl innewohnen mag.
Nicht alle verfügbaren CD-Einspielungen vermitteln den sensiblen und tiefen Sinn dieser Oper. Doch eine tut es ganz bestimmt, weswegen ich mir erlaube, sie dem Leser zu empfehlen. Es ist jene historische Aufnahme mit dem Gewandhaus-Orchester Leipzig unter der Leitung von Kurt Masur und der großartigen Jeannine Altmeyer als Leonore.
Empfohlene CD-Aufnahme:
Beethoven: Fidelio
Gewandhaus-Orchester Leipzig, Leitung: Kurt Masur Co-Produktion von Ariola-Eurodisc und VEB Deutsche Schallplatten, Berlin, DDR, 1981/1994
Nun wünsche ich dem geneigten Leser ein unterhaltsames 3D-Vergnügen!
Münster, Januar 2018
Bernd Oberhoff
Wenn sich nach dem Verklingen der Ouvertüre der Vorhang hebt, schaut der Zuschauer auf den tristen Hof eines Staatsgefängnisses. Diese Örtlichkeit wird in der Bühnenanweisung sehr genau beschrieben:
Im Hintergrund das Haupttor und eine hohe Wallmauer, über die Bäume hervorragen. Im geschlossenen Tore selbst ist eine kleine Pforte, die für einzelne Fußgänger geöffnet wird. Neben dem Tore das Stübchen des Pförtners. Die Kulissen, von den Zuschauern links, stellen die Wohngebäude der Gefangenen vor, alle Fenster haben Gitter, und die mit Namen bezeichneten Türen sind mit Eisen beschlagen und mit starken Riegeln verwahrt. In der vordersten Kulisse ist die Tür zur Wohnung des Gefangenenwärters. Rechts stehen Bäume, mit eisernen Geländern eingefasst, welche nebst einem Gartentore den Eingang zum Schlossgarten bezeichnen.
Es treten auf: Marzelline, die Tochter des Gefängnisaufsehers Rocco sowie Jaquino, ein junger Pförtner, der in Marzelline verliebt ist. Es wird ziemlich bald klar, das Jaquinos Liebe von Marzelline nicht (mehr) erwidert wird, und zwar seit dem Zeitpunkt, als ein junger Schließer mit Namen Fidelio in die Dienste des Vaters eintrat. Am Ende ihres Streit-Duetts wird Jaquino vom Gefängnisaufseher Rocco an die Arbeit gerufen, einem Ruf, dem dieser nur missmutig folgt. Nun hat Marzelline freie Bahn, ihren Liebesgefühlen gegenüber Fidelio in einer zweistrophigen Arie Ausdruck zu verleihen:
Nr. 2 Arie
Marzelline
O wär‘ ich schon mit dir vereint
und dürfte Mann dich nennen!
Ein Mädchen darf ja, was es meint,
zur Hälfte nur bekennen.
Doch wenn ich nicht erröten muß
ob einem warmen Herzenskuß,
wenn nichts uns stört auf Erden –
(Sie seufzt und legt die Hand auf die Brust.)
Die Hoffnung schon erfüllt die Brust
mit unaussprechlich süßer Lust,
wie glücklich will ich werden!
In Ruhe stiller Häuslichkeit
erwach‘ ich jeden Morgen,
wir grüßen uns mit Zärtlichkeit,
der Fleiß verscheucht die Sorgen.
Und ist die Arbeit abgetan,
dann schleicht die holde Nacht heran,
dann ruh’n wir von Beschwerden.
Die Hoffnung schon erfüllt die Brust
mit unaussprechlich süßer Lust,
wie glücklich will ich werden!
Der Zuschauer ahnt es bereits, dass dieser Fidelio, dem Marzellines schmachtende Liebesarie gilt, in Wahrheit eine Frau ist. Sie trägt den Namen Leonore, hat sich als Mann verkleidet und sich den Namen Fidelio zugelegt, um eine Anstellung als Schließer zu bekommen. Leonore möchte ihrem Ehemann Florestan nahe sein, der unschuldig in diesem Gefängnis einsitzt. Sie hofft insgeheim, möglichst bald zu ihren Gatten ins Gefängnisinnere hinabsteigen zu dürfen, um ihn aus seiner unglücklichen Lage zu befreien. Rocco durchschaut diese mann-weibliche Maskerade nicht und ist sogar bereit, dem Ehewunsch seiner Tochter Marzelline mit diesem Fidelio seinen väterlichen Segen zu erteilen. Doch bevor es dazu kommt, weist er nach echter Singspielart das Paar darauf hin, dass für eine Ehe nicht nur Liebe, sondern auch Geld vonnöten ist. So heißt es in der ersten Strophe seiner Arie:
Nr. 4 Arie
Rocco
Hat man nicht auch Gold beineben,
kann man nicht ganz glücklich sein,
traurig schleppt sich fort das Leben,
mancher Kummer stellt sich ein.
Doch wenn’s in den Taschen fein klingelt und rollt,
da hält man das Schicksal gefangen,
und Macht und Liebe verschafft dir das Gold
und stillet das kühnste Verlangen.
Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,
es ist ein schönes Ding, das Gold.
Leonore spielt, so gut es ihr gelingen will, dieses illusionäre Liebesspiel mit, wird jedoch äußerst hellhörig, als Rocco auf einen im Kerkerverlies einsitzenden Gefangenen zu sprechen kommt, bei dem es sich um ihren Florestan handeln könnte. Zu ihrem Schrecken erfährt sie, dass Rocco auf Befehl des Gouverneurs Pizarro die Essensportionen für diesen Gefangenen immer mehr reduziert hat, um ihn allmählich verhungern zu lassen. Leonore bittet darum, mit ins Innere des Kerkers zu diesem Gefangenen hinabsteigen zu dürfen. Als Marzelline und Rocco bezweifeln, ob Fidelio dafür nervenstark genug ist, entgegnet sie entschieden: „Ich habe Mut und Stärke“. Alle drei singen daraufhin das folgende Terzett:
Nr. 5 Terzett
Rocco
Gut, Söhnchen, gut,
hab‘ immer Mut,
dann wird’s dir auch gelingen;
das Herz wird hart
durch Gegenwart
bei fürchterlichen Dingen.
Leonore (mit Kraft):
Ich habe Mut,
mit kaltem Blut
will ich hinab mich wagen;
für hohen Lohn
kann Liebe schon
auch hohe Leiden tragen.
Marzelline (zärtlich):
Dein gutes Herz
wird manchen Schmerz
in diesen Grüften leiden,
dann kehrt zurück
der Liebe Glück
und unnennbare Freuden.
Nach diesem munteren Terzett ist es für Rocco an der Zeit, dem Gouverneur Pizarro die Briefschaften vorzulegen.
Zu den Klängen eines Marsches (Nr. 6) tritt der Gouverneur Pizarro auf die Bühne. Er schickt sogleich eine Wache auf den Wall, die frühzeitig durch ein Trompetensignal darauf aufmerksam machen soll, falls der Minister erscheint, um die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung der Gefangenen zu überprüfen. Und da Florestan von Pizarro einzig aus dem Grund, weil er dessen dunkle Machenschaften aufdecken wollte, in den Kerker geworfen wurde, sieht Pizarro Eile geboten, diesen Gefangenen endgültig zu beseitigen. Er führt sich ein mit einer Rache-Arie:
Nr. 7 Arie mit Chor
Pizarro
Ha, welch ein Augenblick!
Die Rache werd‘ ich kühlen,
dich rufet dein Geschick!
In seinem Herzen wühlen,
o Wonne, großes Glück!
Schon war ich nah‘, im Staube,
dem lauten Spott zum Raube,
dahingestreckt zu sein.
Nun ist es mir geworden,
den Mörder selbst zu morden;
in seiner letzten Stunde,
den Stahl in seiner Wunde,
ihm noch ins Ohr zu schrei’n:
Triumph! Der Sieg ist mein!
Zunächst versucht der Gouverneur seinen Wärter Rocco mit Geld zu locken, den Mord an dem Gefangenen Florestan zu vollziehen. Als Rocco ablehnt („Nein, Herr, das Leben nehmen, das ist nicht meine Pflicht“), ist Pizarro schnell bereit, selbst den Mord zu verüben.
Pizarro
Dann werd‘ ich selbst, vermummt,
mich in den Keller schleichen –
(er zeigt den Dolch)
Ein Stoß – und er verstummt!
Rocco weigert sich zwar, den Gefangenen zu morden, ist aber immerhin bereit, ihm das Grab zu schaufeln. Pizarro entfernt sich.
Leonore hat alles mitangehört und ist entsetzt über die kaltherzigen Mordabsichten des Gouverneurs Pizarro, was sie in ihrem ersten großen Soloauftritt unerschrocken kundtut.
Nr. 9 Rezitativ und Arie
Leonore
Abscheulicher, wo eilst du hin,
was hast du vor in wildem Grimme?
Des Mitleids Ruf, der Menschheit Stimme,
(heftig) rührt nichts mehr deinen Tigersinn?
Doch toben auch wie Meereswogen
dir in der Seele Zorn und Wut,
so leuchtet mir ein Farbenbogen,
der hell auf dunklen Wolken ruht;
der blickt so still, so friedlich nieder,
der spiegelt alte Zeiten wider,
und neu besänftigt wallt mein Blut.
Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern
der Müden nicht erbleichen!
Erhell‘ mein Ziel, sei’s noch so fern,
die Liebe wird’s erreichen.
Ich folg‘ dem innern Triebe,
ich wanke nicht,
mich stärkt die Pflicht
der treuen Gattenliebe!
O du, für den ich alles trug,
könnt‘ ich zur Stelle dringen,
wo Bosheit dich in Fesseln schlug,
und süßen Trost dir bringen!
Ich folg‘ dem innern Triebe,
ich wanke nicht,
mich stärkt die Pflicht
der treuen Gattenliebe!
(ab in den Garten)
Die Gattenliebe, der sich Leonore zutiefst verpflichtet fühlt, treibt sie offenbar zu Höchstleistungen an. Beethoven schickt die Sängerin beim Wort „Gattenbliebe“ bis zum hohen H (mit Fermate!) hinauf, so als wollte er damit ausdrücken: Wer dieses hohe H schafft, der ist auch zu anderen Großtaten fähig.
Rocco hat beim Gouverneur erwirkt, dass Leonore zu dem Gefangenen im Innern hinabsteigen darf. Doch bevor es dazu kommt, schließen Leonore und Jaquino mit Roccos Einwilligung zunächst einmal die oberen Gefängnistüren auf und beobachten mit innerer Anteilnahme, wie die dort einsitzenden Gefangenen nach und nach aus ihren Zellen ins Freie treten. Mit diesem Heraustreten der Gefangenen kommt das Thema „Freiheit“ bzw. „Sehnsucht nach Freiheit“ ins Spiel und bietet all jenen Menschen Gelegenheit zur Identifikation, die in einer persönlichen oder politischen Situation der Unfreiheit leben müssen, was auf die Untertanen der Habsburger Monarchie um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert zweifellos zugetroffen haben wird. Im 9. Auftritt formieren sich die heraustretenden Gefangenen zu einem bewegenden gemeinsamen Chorgesang.
Nr. 10 Finale des 1. Aufzuges. Chor der Gefangenen
Chor
O welche Lust, in freier Luft
den Atem leicht zu heben!
Nur hier, nur hier ist Leben,
der Kerker eine Gruft.
Erster Gefangener
Wir wollen mit Vertrauen
auf Gottes Hilfe bauen!
Die Hoffnung flüstert sanft mir zu:
Wir werden frei, wir finden Ruh‘.
Chor
O Himmel Rettung! Welch ein Glück!
O Freiheit, kehrest du zurück?
(Hier erscheint ein Offizier auf dem Walle
und entfernt sich wieder.)
Zweiter Gefangener
Sprecht leise! Haltet euch zurück!
Wir sind belauscht mit Ohr und Blick.
Chor
Sprecht leise! Haltet euch zurück!
Wir sind belauscht mit Ohr und Blick.
Pizarro ist erzürnt, als er vom Freigang der Gefangenen erfährt und erteilt Rocco dafür eine Rüge. Dann treibt er ihn an, in der Tiefe eiligst mit dem Ausheben der Grabstätte zu beginnen. Noch einmal sind die Gefangenen gesanglich zu vernehmen, wie sie enttäuscht und in niedergedrückter Stimmung in ihre Zellen zurückkehren:
Chor der Gefangenen
Leb‘ wohl, du warmes Sonnenlicht,
schnell schwindest du uns wieder;
schon sinkt die Nacht hernieder,
aus der so bald kein neuer Morgen bricht.
Ende des 1. Aufzuges
In der Bühnenanweisung zum 2. Aufzug heißt es:
Ein unterirdischer, dunkler Kerker. Links ist eine mit Steinen und Schutt bedeckte Zisterne. Im Hintergrunde sind mehrere mit Gitterwerk verwahrte Öffnungen in der Mauer, durch die man die Stufen einer von der Höhe herunterführenden Treppe sieht; rechts die letzten Stufen und die Tür in das Gefängnis. Eine Lampe brennt. (Nacht) Florestan sitzt auf einem Stein, um den Leib hat er eine lange Kette, deren Ende in der Mauer befestigt ist.
Nach einem abwechselnd düsteren und lichten Orchestervorspiel hören wir den im finsteren Verlies angeketteten Florestan, wie er in „Rezitativ und Arie“ seiner verzweifelten Lage Ausdruck verleiht, an deren Ende sich überraschenderweise eine hoffnungsvolle Vision einstellt:
Nr. 11 Orchestervorspiel, Rezitativ, Arie
Florestan
Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille!
Öd ist es um mich her, nichts lebet außer mir.
O schwere Prüfung! Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht, das Maß der Leiden steht bei dir!
In des Lebens Frühlingstagen
ist das Glück von mir gefloh‘n,
Wahrheit wagt‘ ich kühn zu sagen,
und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld‘ ich alle Schmerzen,
ende schmählich meine Bahn;
süßer Trost in meinem Herzen,
meine Pflicht hab‘ ich getan.
(In einer an Wahnsinn grenzenden,
doch ruhigen Begeisterung)
Und spür‘ ich nicht linde, sanft säuselnde Luft,
und ist nicht mein Grab mir erhellet?
Ich seh‘, wie ein Engel in rosigem Duft
sich tröstend zur Seite mir stellet,
ein Engel, Leonoren, der Gattin so gleich,
der führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich!
(Er sinkt, erschöpft von der letzten Gemütsbewegung, auf
den Felsensitz nieder, seine Hände verhüllen sein Gesicht.)
Im Folgenden sieht man, wie sich Rocco und Leonore, ausgerüstet mit einer Laterne und mit Grabegeräten, dem dunklen Verlies des Gefangenen Florestan nähern. Ihre Sprechdialoge werden melodramatisch von kurzen Orchestereinwürfen begleitet. Roccos erste Äußerung wird Leonore sicherlich einen Schock versetzt haben.
Rocco
Vielleicht ist er tot.
Leonore (schaudernd)
Ihr meint es?
Rocco
Nein, nein, er schläft. – Das müssen wir benutzen
und gleich ans Werk gehen, wir haben keine Zeit zu verlieren.
Im Anschluss an diesen Schreckmoment singen beide ein angenehm melodiöses Duett, bei dem Rocco Leonore wiederholte Male zum Graben auffordert, während diese vor allem damit beschäftigt ist, herauszufinden, ob der Gefangene wirklich ihr Gatte ist.
Nr. 12 Duett
Rocco
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
es währt nicht lang, er kommt herein.
Leonore (ebenfalls arbeitend)
Ihr sollt ja nicht zu klagen haben,
Ihr sollt gewiß zufrieden sein.
Leonore schaut sich den Gefangenen näher an. Leise sagt sie zu sich:
Leonore
Wer du auch seist, ich will dich retten!
Bei Gott, du sollst kein Opfer sein!
Gewiß, ich löse deine Ketten,
ich will, du Armer, dich befrei’n!
Als Florestan erwacht, hört man Rocco sagen: „Ohne Zweifel wird er wieder tausend Fragen an mich stellen. Ich muß allein mit ihm reden. Nun hat er es bald überstanden.“ Leonore steigt zitternd ein paar Stufen hinab: „Was in mir vorgeht, ist unaussprechlich!“
Der erwachende Florestan bittet um einen Tropfen Wasser. Rocco geht diese Bitte sichtlich zu Herzen. Er reicht dem Gefangenen seinen Krug mit einem kleinen Rest Wein darin. Zu dritt singen sie:
Nr. 13 Terzett
Florestan
Euch werde Lohn in besser’n Welten,
der Himmel hat Euch mir geschickt.
O Dank! Ihr habt mich süß erquickt,
ich kann die Wohltat nicht vergelten.
Rocco (leise zu Leonore, die er beiseite zieht):
Ich labt‘ ihn gern, den armen Mann,
es ist ja bald um ihn getan.
Leonore (für sich)
Wie heftig pochet dieses Herz,
es wogt in Freud‘ und scharfem Schmerz.
Anschließend reicht Leonore dem Gefangenen ein Stück Brot mit den Worten:
Leonore
(in größter Bewegung Florestan das Brot reichend)
Da, nimm das Brot, du armer Mann!
Dann ist es soweit, dass Rocco dem Gouverneur Pizarro das verabredete Zeichen gibt, das anzeigt, dass das Grab fertig ausgehoben ist.
Pizarro erscheint, in einem Mantel vermummt. Er zieht sogleich einen Dolch, mit dem er Florestan töten will und eröffnet das folgende Quartett. Danach überstürzen sich die Ereignisse.
Nr. 14 Quartett
Pizarro
Er sterbe! Doch er soll erst wissen,
wer ihm sein stolzes Herz zerfleischt.
Der Rache Dunkel sei zerrissen,
sieh her, du hast mich nicht getäuscht!
(Er schlägt den Mantel auf)
Pizarro, den du stürzen wolltest,
Pizarro, den du fürchten solltest,
steht nun als Rächer hier.
Florestan (gefaßt)
Ein Mörder steht vor mir!
Pizarro
Noch einmal ruf‘ ich dir,
was du getan, zurück.
Nur noch ein Augenblick,
und dieser Dolch –
(will Florestan durchbohren)
Leonore
(stürzt mit einem durchdringenden Schrei hervor
und bedeckt Florestan mit ihrem Leibe)
Zurück!
Florestan
O Gott!
Rocco
Was soll?
Leonore
Durchbohren mußt du erst diese Brust!
Der Tod sei dir geschworen
für deine Mörderlust!
Pizarro (schleudert sie fort)
Wahnsinniger!
Rocco (zu Leonore)
Halt ein!
Pizarro
Wahnsinniger! Er soll bestrafet sein!
Leonore (noch einmal Florestan bedeckend):
Töt‘ erst sein Weib!!
Pizarro und Rocco
Sein Weib?
Florestan
Mein Weib?
Leonore (zu Florestan)
Ja, sieh hier Leonore!
Florestan
Leonore!
Leonore (zu den andern)
Ich bin sein Weib,
geschworen hab‘ ich ihm Trost, Verderben dir! …
(Sie zieht hastig eine kleine Pistole aus der Brust
und hält sie Pizarro vor, der auf sie eindringen will)
Noch einen Laut, und du bist tot!
(Man hört die Trompete auf dem Turme.)
Dies ist die alles entscheidende Kulminationsszene. Pizarro hat bereits den Dolch gezückt und steht im Begriff zuzustoßen, als Leonore sich mit dem Schrei „Zurück!“ schützend vor Florestan stellt. Alle sind überrascht und verwirrt über das, was sich da plötzlich ereignet. Leonore tritt dem Angreifer mutig entgegen: „Durchbohren musst du erst diese Brust! Der Tod sei dir geschworen für deine Mörderlust!“ Mit dem Ausruf: „Wahnsinniger“ schleudert Pizarro Leonore zur Seite. Doch Leonore bleibt kämpferisch und stellt sich ein zweites Mal schützend vor Florestan, nun aber mit dem Schrei: „Töt‘ erst sein Weib!“ Damit ist jener Punkt erreicht, in welchem nun auch optisch Leonore in weiblicher Gestalt nach vorne tritt: „Ich bin sein Weib, geschworen hab ich ihm Trost, Verderben dir!“ Alle Beteiligten schauen verwirrt. Pizarro entweicht der Ausruf: „Welch unerhörter Mut!“ Doch schnell hat er sich wieder gefasst und kehrt zu seiner mörderischen Absicht zurück. Nun will er Florestan und Leonore gemeinsam morden. Doch Leonore holt eine Pistole hervor und richtet sie auf ihn mit den Worten: „Noch einen Laut, und du bist tot!“
In diesem Moment geschieht etwas, womit niemand gerechnet hat: Es ertönt das Trompetensignal vom Turm, das die Ankunft des Ministers Ferdinando verkündet.
Alle stehen wie erstarrt. Für Florestan ist es die Trompete Gottes: „Ach! Ich bin gerettet! Großer Gott!“ Auch für Leonore und Rocco ist es so. Sie rufen “großer Gott!“ bzw. „gerechter Gott!“. Für Pizarro ist dieses Instrument verständlicherweise die Trompete der Hölle („Höll‘ und Tod!“), denn er befürchtet seinen Untergang. Zu einem Quartett vereint singen die Vier in ehrfurchtsvoller Erstarrung:
Leonore
Ach, du bist gerettet, großer Gott!
Florestan
Ach, ich bin gerettet, großer Gott!
Pizarro
Ha, der Minister, Höll‘ und Tod!
Rocco
O, was ist das, gerechter Gott!
Während Pizarro sich entfernt, fasst Rocco die Hände beider Gatten und drückt sie liebevoll an seine Brust. Dabei deutet er gen Himmel.
Erst jetzt (II,5) haben Florestan und Leonore Zeit, ihre wundersame und höchst beglückende Wiedervereinigung und Rettung zu besingen:
Nr. 15 Duett
Leonore
O namenlose Freude!
Mein Mann an meiner Brust!
Florestan
O namenlose Freude!
An Leonorens Brust.
Beide
Nach unnennbaren Leiden
So übergroße Lust!
…
Rocco kehrt noch einmal ins Kerkerverlies zurück und verkündet die frohe Botschaft, dass der Minister eingetroffen ist und angeordnet habe, dass ihm alle Gefangenen vorgeführt werden. Er bittet Leonore und Florestan, ihm nach oben zu folgen.
Es kommt nunmehr zum großen Finale. Allerdings nicht im Gefängnis, sondern es tritt auf der Bühne eine Verwandlung ein, und das Geschehen findet seine Fortsetzung auf einem Paradeplatz vor dem königlichen Schloss. In der Bühnenanweisung heißt es:
Der Minister Don Fernando, Pizarro, Jaquino, Marzelline, Offiziere, Waffen, Gefangene, Volk. (Die Schloßwachen marschieren auf und bilden ein offenes Viereck. Dann erscheint von einer Seite der Minister, von Pizarro und Offizieren begleitet. Volk eilt herzu. Von der anderen Seite treten, von Jaquino und Marzelline geführt, die Staatsgefangenen ein, die vor dem Minister niederknien.)
Nach einer rhythmisch-beschwingten Orchestereinleitung ertönt auf dem Schlossplatz ein vielstimmiger Freudengesang:
Nr. 16 Finale
Chor (Gefangene und Volk):
Heil sei dem Tag, Heil sei der Stunde,
die lang ersehnt, doch unvermeint,
Gerechtigkeit mit Huld im Bunde
vor unseres Grabes Tor erscheint!