Alles, was geschieht, ist lediglich ein

Wunsch von uns, ein abgesprochener Plan,

irdische Erfahrungen zu machen –

gute und schlechte.

All dies geschieht solange, bis wir erkennen, dass es

weder Schlecht noch Gut gibt.

Wir werden noch lange Geduld walten lassen
müssen, jene wenigen Menschen, die

begriffen haben, dass in jedem Lebewesen

ein Engel wohnt, doch vorher werden wir

noch endlose Kriege sehen, die gegen uns

selbst und gegen unsre eigenen Menschenkinder
gerichtet sind, und wir werden darüber
klagen und lamentieren, bis uns das

Tier eines Tages die wahre Richtung des

Lebens weißt … in ferner Zukunft, die

längst vergangen war und beständig ist, es

liegt begraben, und eine schlaue Pfote wird

es sein, die dies alte immerwährende Wissen
ausbuddelt … denn kein Tier auf Erden
kann so grausam sein, wie der Mensch.

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© 2019 Bianca Oesterle

Illustration: BOe77THARA
Bilder und Titel: fotolia.com, Bianca Oesterle

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7494-3781-8

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Mitte Mai 2032 – eine Stellungnahme der Euro-US-Armee

„Was denken Sie nun darüber, Herr Verteidigungsminister, ist es wirklich so, dass die damalige Flüchtlingskrise im Jahr Zweitausendfünfzehn maßgeblich zu der Entscheidung des Europarates beigetragen hat, das Zwangssterilisationsgesetz über den weiblichen Bürgeranteil zu verhängen, da viele Flüchtlingsfrauen bereits schwanger oder Familien mit mehr als vier Kindern aus afrikanischen Staaten oder arabischen Ländern in die damals krisengebeutelte EU einzureisen versuchten oder eingereist sind und sich im neuen Land ihrer Wahl, zumeist in Deutschland, dem Asylantragsverfahren für das Bleiben auf Lebenszeit entschieden haben?“ Die lange Ausführung ihrer Frage nutzte der Reporterin nichts, um den gesamteuropäischen Verteidigungsminister aus der Reserve zu locken.

„Darüber denke ich nicht nach, denn es ist eine Tatsache.“

Seine einsilbig gehaltene Antwort war wie ein einzelner, zudem gezielter Schuss auf die damals amtierende Regierung, die er für zu human handelnd und jetzt für gelähmt ob der entglittenen Lage hielt. Warnungen von Beratern waren in den Wind geschossen worden, der sich gedreht hatte und seit Jahren gegen die gemeinsame Entwicklung blies, die man sich als Chance durch die Zuwanderung erhofft hatte, Integration und Akzeptanz zu finden. Alle Versuche, die frühere Ignoranz der eingesessenen Bevölkerung aufzulockern und die Bürger für die neue gemeinsame Chance zu bewegen, scheiterten in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich.

Als Lesbe lebte die Reporterin April Fulton mit indianischem Hintergrund in der modernen Welt der USA, die sich als Weltpolizei sah und in den europäischen Konflikt zwischen FABOG, rein von Frauen geführt, und der von Männern geführten MABOG eingriff, mit der Euro-US-Army eine rein männlich besetzte Armee den militant organisierten Frauen Europas vorgesetzt hatte, die sich mit einer international gemischten Wehrkraft entgegen dem Diktat der strengen Geburtenkontrolle durch den Krieg kämpfte. Die standhaft handelnde WOMEN-Force brachte sich stets dort in Stellung, wo Frauen dutzendweise abtransportiert und zu den Sterilisationskliniken verfrachtet werden sollten.

Sabotieren. Intervenieren. Befreien.

„Aha … Würden Sie es bitte für Bürger und Zuschauer genauer ausführen, um das Verständnis für diese harte, von vielen als äußerst ungerecht angesehen Maßnahme zu fördern?!“, verlangte die Reporterin.

Bevor der Verteidigungsminister der hartnäckigen Reporterin antworten konnte, wurde er mit einer weiteren Frage bedrängt, die es ihm leicht machte, auf die Ausführung der Gesetzesbelange und Ungerechtigkeiten gegen Frauen oder Minderheiten zu verzichten.

„Sogar Ehemänner und Väter begehren dagegen auf. Sind Sie nicht erstaunt darüber, dass der Widerstand der Frauen mithilfe von FABOG und WOMEN-Force ungebrochen ist?“

„Das ist nur eine Frage der Zeit, bis die Frauen sich ihrem von der Vorsehung erdachten Schicksal und ihrer Bestimmung werden fügen müssen! Das Abkommen mit der Euro-US-Armee wird in Kürze dafür sorgen! Dann ist Schluss mit diesem Emanzipationsunfug – ein für alle Mal!“

„In Kürze? Wie definieren Sie das?“, fragte derselbe Reporter, der ethnisch dem mitteleuropäischen Durchschnittsmann zugeordnet werden konnte: Mitte vierzig, Halbglatze, günstiger Anzug von der Stange, leicht übergewichtig, immer schwitzend.

„Die Kapitulation der WOMEN-Force erwarten wir in den kommenden vierzehn Tagen!“, klang der Verteidigungsminister sicher.

„Warum findet diese Pressekonferenz in diesem bombensicheren Bunkerraum statt, dessen Adresse niemand in der zivilen und militärischen Öffentlichkeit erfahren darf?“, fragte die Indianerin.

Herablassende Ungeduld schwang in der Stimme des Verteidigungsministers mit: „Das dient nicht zu meiner Sicherheit, sondern zu Ihrer – sie alle sind Zivilisten; unser Auftrag ist es, das zivile Leben bedingungslos zu schützen!“ Seine Worte waren blanker Hohn.

„Meinen Sie, das Leben kann an sich geschützt werden, wenn dabei die Rechte der Frauen beschnitten werden?“, traf eine weitere Reporter-Frage ins Schwarze. „Was halten Sie allgemein von der paradoxen Sache, dass in vielen Ländern der Erde neugeborene Mädchen getötet werden, weil nur die Jungen akzeptiert werden, und später genau diese Generationen außerhalb ihrer radikalreligiösen Heimat nach eben solchen Frauen suchen, da es ihnen an diesen mangelt, um ihre Triebe zu erleichtern?“

Den damit ausgestoßenen Ruf nach Liebe kommentierten alle anderen mit Zustimmung und weiteren Unmutsrufen, doch auch die eingebrachten Meinungen konnten den Verteidigungsminister nicht am Nerv der Menschlichkeit treffen.

„Die Zukunftsziele für die Menschheit in Europa ist klar definiert worden. Das ist eine Grundsatzfrage, die bereits mit der neuen Art Politik beantwortet wurde! Auf den Regierungsbeschluss der europäischen Bündnisstaaten verweise ich Sie hiermit!“ Heiß wurde es dem Verteidigungsminister trotzdem nicht, denn er brachte seine zuvor wohl bedachten Argumente emotional unterkühlt vor.

„Ist das also nicht Ihre Politik? Hat das Europaparlament nicht mit dem Augenblick abgedankt, als die Kriegserklärung mit den Zwangsdeportationen quasi den betroffenen Frauen ohne Entschädigungsanspruch oder Selbstbestimmungsrecht vorgelegt worden war? Ist dies nicht vergleichbar mit dem Holocaust oder der Indianerausrottung?“ April gab nicht nach.

Jetzt musste dieser Militär doch einmal eine andere Farbe als den seit den 2000er Jahren getragenen Pixel-Flecktarn >>Europäischer Mischwald<< bekennen! Extra weit hielt sie ihr Camphone nach vorne, damit sie die Antwort des Verteidigungsministers klar und deutlich auf den Chip gespeichert bannen konnte. Ja, sie war rührig in ihrem Element, nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatte, Dokumentationen mittels journalistischer Arbeit wieder aufzunehmen. Ihr war der Geniestreich gelungen, nach dem falschen Attentat in der Kindertagesstätte zu verschwinden, unterzutauchen, die falschen Gerüchte gegen sie, sie wäre die Schuldige, die ein Ablenkungsmanöver inszeniert hatte, um der WOMEN-Force einen Angriffsvorteil zu verschaffen, hatte sich schnell zerstreuen lassen, nachdem sie selbst mittels ihrem erstellten Video bewiesen hatte, kein wirkliches Attentat in Ulm in einem Kindergarten ausgeführt zu haben. Eine Strafe gegen sie wegen Irreführung hatte das Militärgericht augenblicklich ausgesetzt, als sie freiwillig dazu einwilligte, mitten im Krisengebiet direkt an der Front als Reportage führende Journalistin künftig den Soldaten der Euro-US-Army im Einsatz über die Schulter zu blicken. Der SHADOW-Queen war sie beigetreten, die beiderseits Informationen austauschte, nur manchmal vermittelte, aber in erster Linie sich als Schatten-Königin im Hintergrund hielt oder über die Wege des Untergrunds agierte, wodurch es ihr zudem gelungen war, eine Handvoll Soldatinnen der WOMEN-Force und vier Soldaten der Special Agent Group, der SAG-Ten, für die Belange verwaister Kinder, deren Eltern der Krieg im mahlenden Rachen der Gewalt zerrieben und getötet worden waren, auf ihre Seite zu ziehen, an der sie diese Schutzbefohlenen flankierend begleitete. Nur sie selbst wusste genau, was sie tat. Die anderen Bereiche hielt sie fein säuberlich voneinander getrennt, damit sich keiner in die Quere kam, wie es mitten in der Gasse von Gellertsheim einmal passiert war, doch nun war sie diejenige, die das Kriegsbeil ausgegraben hatte und den Kriegspfad beschritt. In ihr wallte das Blut ihrer indianischen Vorfahren. Dass sie die Fäden in der Hand hatte, ihre neuen Vorgesetzten erfolgreich täuschte, indem sie ständig an einer Story dran war, die sie stets auf aktuellsten Stand brachte. Ihr Vorteil war es, zu den wenigen Reportern zu gehören, die den Krieg selbstlos dokumentierten, darum durfte sie zu den Männern, die ihr wie der gierige Bär aus der hingehaltenen Hand fraßen.

„Meine Befehle sind von eindeutiger Natur. Ich führe sie nur aus, denn die entscheidenden Organe sind die Kanzler und Präsidenten, die Kanzlerinnen und Präsidentinnen in der Europäischen Union der jeweiligen Staaten.“ Ob es neben den genannten Problemen, die Miss April >>Early Brightning<< Fulton ansprach, auch noch einen wiedererwachenden Antisemitismus und Verfolgung religiöser oder ethnischer Herkunftsrandgruppen gab, sah sich der Verteidigungsminister nicht genötigt zu beantworten. Er stellte sich mit kühn zu nennender unbewegter Miene den Fragen der Reportermenge, Frauen und Männer aus aller Welt, die sich im bewachten und geschlossenen Bunker eingefunden hatten. Hier herrschte neutrale Zone, die keiner von außen oder aus dem Inneren heraus anzugreifen wagte.

„Welches Zukunftsszenario sehen Sie als Militär für die gesamteuropäischen Bürger voraus? Führung der Frauen? Niederlage der Frauen? Wird es die totale Unterwerfung eines der beiden Geschlechter geben?“ Ihr lebendig pulsierendes Indianerblut tanzte den Weisheitstanz der Frauenseele durch ihre Adern. Sie ließ sich nicht unterbuttern, war eine neue Evolution der verblichenen Gruppenseele der einst beinahe ausgerotteten Ureinwohnerstämme in einem modernen Nordamerika, das sich in die Angelegenheiten ihres Ursprungskontinents Europa, da erst vor wenigen Jahrhunderten mehrere Einwandererströme von Europäern geschehen waren, aktiv regulierend einmischte, denn es betraf schließlich die Interessen der westlichen Welt. Sie gab den Kampf um das Gesamtwohl der Menschheit nicht auf; sie wollte nicht vorm Zerstörungswahnsinn des weißen Mannes kapitulieren, der weder lieb noch weise war.

„Die Machtübernahme der Frauen wird nicht stattfinden.“ Eine sehr selbstsichere Aussage des Verteidigungsministers war dies, die erneut einen verbalen Tumult auslöste, den er an sich abperlen ließ. Dabei blieb er völlig unbewegt.

„Und warum nicht?“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Drücken Sie sich etwas deutlicher dazu aus!“

„Frauen fehlt die klare Vorstellung einer zukünftig funktionierenden Gemeinschaft – und ihnen fehlt die Macht des Geldes.“

KAPITEL 17 – Im Herzen sind sie Krieger

Wo und wann fing es an,

und wer zog die Menschen in den Bann,

zu streben nach einem Sieg

in aussichtslosem Krieg?

Der gesuchte Frieden, ein geisterhaftes Phantom,

das zu finden wir glauben im Atom.

Im Vernichtungsexzess verrannt,

haben wir noch immer nicht erkannt,

dass der Weltenordnung nicht vorausgehen die brachialen Hiebe,

sondern es kann nur frei agieren die Liebe.

Jeder dies für sich anders definiert,

doch kein Herz wird defibrilliert,

um lediglich zu schlagen –

so hört ihr jenes Herz nicht lauthals klagen?

Mutter Erde wehrt sich mit Gewitter.

Mensch, Tier und Pflanze reagiert mit Gezitter.

Und selbst nach der größten Naturkatastrophe,

singen wir die nächste Militärmarschstrophe;

die Menschheit ist pervers

im Dichten des Soldatenepos-Vers,

denn ihre Seelen sind fern vom Sein –

in Wahrheit entfernt kein Wurf mit dem Stein.

Die schlechten Erfahrungen an uns kleben,

so fällt es vielen schwer, zu erklimmen die prallen Glückswein-Reben.

Darum setzen Soldat, Landser und Bauer

auf den falschen Trebensaft: sauer.

Die Antworten liegen niedergeschrieben im I Ging,

welches die Menschheit einst durch Ersie empfing.

Weil wir so laut tanzen im Kriegsreigen

merken wir nicht das universelle Schweigen,

das uns warnt,

doch wir sind getarnt.

Auf Brechen und Biegen:

Wir werden niemals über uns selbst siegen.

Myrinas Macht - Blitzblicke

„Bis in die späten 2020er Jahre hinein waren Religionsführer
und Staatsoberhäupter, männliche und weibliche

gleichermaßen, der Überzeugung verfallen, der Weg der

Menschwerdung bestehe darin, sich zu lieben und zu mehren,
im Sinne von vermehren an Zahl der Personen.

Das ist mangelhafter Übersetzung aus den Ur-Texten der

Religionen zu verdanken, dass wir den eigentlichen Sinn

zwischen den Zeilen nicht richtig zu deuten vermögen.

Den Männern wurde damit signalisiert, das Recht auf Vergewaltigung
zu haben, was sie mit den fehlgedeuteten Heili

gen Schriften zu rechtfertigen und zu entschuldigen sich

herausnehmen. In Wahrheit steckt in den biblischen Worten

etwas ganz anderes, etwas, das der Menschheit noch nicht

zu Bewusstsein gekommen ist: wir sollen die Liebe in Weisheit
mehren, indem wir tolerant werden und uns selbst und

andere Menschen mit unseren und mit ihren Schwächen

und Stärken annehmen, wie wir einst geschaffen worden

waren. Vergessen wurde die Liebe, welche in Wahrheit die

Erhöhung ist, welche wir Menschenwesen benötigen, um

unsre eigentliche Bestimmung und Selbstverwirklichung zu

leben, die unser wahres Potential innen wie außen zum

Wirken bringt. Ein mächtiges Potential ist in jedem von uns

veranlagt, doch nur wenige sind sich dessen bewusst, und

viel zu viele davon nutzen ihr Können für egoistische Ziele.

Kann es Ersies Wille sein, dass wir uns vermehren, aber

dadurch auf Mutter Erden Rücken in Not und Leid leben,

ohne tatsächlich zu sein?

Männer als Zeugungsmaschinen, Frauen als Gebärsklaven

– ist das der uns vorherbestimmte Weg?

Ist die nun angestrebte Umkehrung, Frauen sterilisieren zu

lassen, weil wir wie die Heuschrecken den Planeten ratzekahl
leerfressen, die Lösung allen Übels?

Wer ist Verursacher?

Wer ist Opfer? Wer ist Täter?

Jeder und jede von uns.“

Colonel Denise Salgado – WOMEN-Force

Was sich zusammenbraut

3. Juni 2032; im zerstörten Zentrum von Ulm

Sonnenstrahlen stachen unerträglich heiß vom Himmel. Leer stand der wartende Zug im Gleisbereich des Hauptbahnhofs, wo im Areal unter freiem Himmel der Güterabfertigung der Konvoi mit Frauen zum Sterilisationstransport ankommen sollte, abgestellt. Ein zivilisiert friedlicher Anblick war dies, wenn nicht überall der gelblich-weiße Staub sich als Patina des Krieges durch abgeworfene Phosphorbomben und gezündete Sprenggranaten niedergeschlagen hätte, der dieser Szene etwas Skurriles einhauchte, wenngleich im selben Moment kein Hauch von Wind blies und die Hitze flimmernd über dem Gleisbett waberte. Der Personenzug war ein moderner Loop, der für Passagiere keinen Komfort missen ließ. Vom Zug ging kein Geräusch aus. Alle Motoren ruhten; auf dem Zubringer, der von Lastwagen mit Anhänger befahren werden konnte, ließ sich kein Anzeichen von der Ankunft des Militärkonvois ausmachen, der längst hätte eintreffen sollen. In der brennend trockenheißen Luft lag die Spannung des Wartens und das Flimmern der frühsommerlichen Hitze, die sich an diesem Tag in den mittleren Nachmittagsstunden zum Glutofen einer Gesenk-Schmiede entwickelt hatte, in der das Eisen der verlegten Gleise zu schmelzen beginnen wollte. Wie sich wütend in einem Korb windende Schlangen erschienen die Gleisstränge in der knapp über dem Boden erhitzten Luft, die eine Spiegelung in Wasser zu simulieren vermochte. Niemand war hier, um die für die Umwelt giftigen Rückstände der Bombenangriffe zu beseitigen. Verlassen war dieser Ort, der früher täglich von Lärm der an- und abfahrenden Züge zu einem Umschlagplatz von Gütern und einem Portal für um- und zusteigende Reisende aus aller Welt und Berufspendler aus dem nahen Umland gewesen war.

Flachwagen, mehrere hintereinander angekuppelt, die als Transportplattformen für Militärfahrzeuge der Euro-US-Armee dienten, waren auf einem anderen Gleis im Güterbahnhof erst kürzlich abgestellt worden, denn auf den aufgeladenen Panzern und einem gigantischen Stromgenerator hatte sich bislang kein Dreck oder Staub niedergeschlagen, wie es erst nach Wochen sichtbar war. Die schwere Militärausrüstung und die kolossalen Fahrzeuge wirkten blitzsauber wie eben erst durch eine Waschanlage gefahren und an der Sonne getrocknet. Kein Motorenlärm war zu hören, alles war still. Keine Lok zum Rangieren innerhalb des Gütergleisbereichs oder zum baldigen Weitertransport war vorgespannt oder stand in der Nähe auf demselben oder auf einem der mehreren anderen Gleise bereit.

Die Stille am Bahnhof und in der naheliegenden Umgebung war von meditativer Ruhe, die für Ungeübte im Dasein des Eremiten beklemmende Angst hervorrufen konnte, in der nicht einmal der Ruf eines geschäftig zwitschernden Vogels, das Bellen eines wachsamen Hundes oder das Fauchen einer genervten Katze zu hören war. Von Insekten war kaum eine Spur. Kaum, denn selbst Aasfliegen hatten ihre liebe Not in dieser toten Stadt ein Mahl zu finden. In den Ritzen und Zwischenräumen des mit Kalksteinschotter gestopften Gleisbettes wuchs vereinzelt ein Grashalm hier und da, doch dies konnte nicht die Nahrung für Tiere sein, denn das dürre Gras war gelbbraun verdorrt und ungenießbar kontaminiert. Die Bäume, am Rand des Güterabfertigungsbereichs wachsend, trugen zwar ihr saftig grünes Blätterwerk, doch kein Vogel in den Baumkronen saß, sein Nest baute und sein Lied von Leben und Liebe trällerte, denn es gab keine oder kaum jene Insekten, von denen sich ein Vogel und seine Brut hätte ernähren können. Die alljährliche Vogelhochzeit war im Frühjahr nach Bombardierungen ausgefallen.

Keine Feier zum Eröffnungstag des Bahnhofs hatte es diesmal gegeben, der an runden Jubiläumstagen groß und in den Jahren dazwischen etwas kleiner mit festlichem Akt begangen wurde, denn, obwohl zeitweise ruhender Kampfhandlung, war es im geräumten Niemandsland gefährlich, sich aufzuhalten oder zu bewegen. Erst am 1. Juni hatte sich die Eröffnung des Knotenbahnhofs Ulm, zentral gelegen im Westen der zerbombten Innenstadt, erneut gejährt. Seit Mitte des Jahres 1850 fuhren regionale Züge, die später überregionale neue Anbindungen in alle Richtungen Deutschlands dazu erhalten hatten. Vor diesem Krieg zwischen den Geschlechtern war reges Leben auf baden-württembergischem Verkehrsnetz nach überall hin in Deutschland vorherrschend gewesen, was den Arbeitsalltag und den täglichen Schülertransport unabhängiger von privaten Fahrzeugen der Eltern und vom öffentlichen Busbetrieb gemacht hatte. Jetzt gab es weder ein Fest noch eine Busaktion, mit der Freunde von Bus und Bahn zu den Feierlichkeiten kostenlos herbeigekarrt worden wären. Es herrschte der Geschlechterkrieg überm Willen des Volkes, dessen Bürgerrechte schlicht ausgesetzt worden waren.

Dem fleißigen Süddeutschland, das eine von Industrie und Dienstleistungen geprägte Gesellschaft und Wirtschaft gewesen war, waren die alltäglichen Grundlagen und Möglichkeiten einer intakten Infrastruktur bereits nach den ersten wenigen, dafür heftigen Kampfhandlungen in der Region größtenteils durch Bombenangriffe aus der Luft und von unzähligen Häuserkämpfen nach und nach genommen worden. Mit Beginn des Krieges zwischen den Geschlechtern, der sich mitten in Europa austobte, waren Infrastruktur in Ulm und der Umgebung darum herum und das zuvor geregelte Alltagsleben komplett zum Erliegen gekommen, was eine Abwanderung der Bevölkerung nach sich gezogen hatte, die durch eine im Anschluss der großen Massenflucht eingeleitete Zwangsumsiedelung in die jeweils ausgewiesenen Territorien für Männer und Frauen gemündet war. Frauen waren in den deutschsprachigen Südosten, die Männer in den Nordwesten getrennt umgesiedelt worden. Das dadurch entstandene Niemandsland, ein Korridor fürs Militär beider Seiten und ein Todesstreifen, in dem jeder jeden töten durfte, der sich hineinwagte, diente nur noch dem Transport von militärischen Versorgungsgütern, Gefangenen oder den Sammeltransporten von Frauen, die zur Sterilisation in einer der geheimen Kliniken vorherbestimmt waren. Regelmäßig, beinahe täglich wurden Frauen gesammelt abtransportiert, deren Schicksal niemand mit geöffneten Augen und mit weitem Herzen sehen und wahrnehmen wollte. Hier trauten sich nur noch Menschen her, die keine Nerven im Leib hatten, sich freiwillig dem Garaus auslieferten, denn die Gegend war so sehr verseucht, dass man nach wenigen Tagen erkrankte.

Eine kurios klingende Erklärung gab es dafür, weshalb in diesem Krieg sich die Menschheit nach der endgültigen Klärung jener Jahrtausende alten Frage der Ungewissheit sehnte, welches das wahre starke Geschlecht ist: Die Männer mussten einst den Satan erfinden, um sich aus der sklavischen Unterdrückung der herrschsüchtigen Weiber zu erheben, wobei sie sich anfangs nicht einig gewesen waren, denn das Leben war gut gewesen – scheinbar gut. Es war in jedem Fall besser als jenes Leben, das unter der Herrschaft der Männer folgte, die sich in Bewahrer und Vernichter teilten, denn sie waren uneins darüber, welcher Umgang mit den Frauen der richtige sei.

Unterdrückung!

Freiheit!

In ihrem brutalen Irrtum, da sie sich selbst überschätzten, sie allein könnten die Bestimmungsrechte an sich reißen, trieben sie es so weit, Frauen mit körperlicher Macht, gegen ihren freien Willen, zu unterwerfen, was sie seit Jahrtausenden exzessiv tun … und dabei vernichten sie alles, was ihnen im Weg steht; was das wahre Ziel ist, haben beide Seiten aus dem Blick verloren, denn selbst Frauen wählten freiwillig ihre Unterdrückung: erzwungene Liebe.

Transporttrupp des Second SAG-Captains Turner

Ein knappes Jahr war es nun her, als der Personenzugverkehr vor dem ersten Bombardement eingestellt worden war. Umschlag von Gütern gab es kaum mehr, wenn Transporte hier ankamen oder durchgelotst wurden, waren es Versorgungszüge für die Militärnachschübe für die Truppen an den Frontabschnitten im bayrischen Südosten oder für die württembergische Ostalb. Der Nachschub sämtlicher Materialien – von Kampfausrüstung bis zum alltäglichen Essen - ließ sich hier perfekt organisieren und von der MABOG durchführen. Die FABOG musste sich anderer Wege bedienen, denn die Euro-US-Army hatte sich den Zugang zum Ulmer Hauptbahnhof in vorherigen Kämpfen erobert, wo zudem die Deportationstransporte zentral für den bundesdeutschen Südosten in alle Richtungen geleitet wurden. Ein europäisch wichtiger Knoten war dieser Hauptbahnhof somit geworden, was allerdings nicht wesentlich im Interesse des normalen Bürgers, der lediglich das Nachsehen hatte, sondern im Fokus der Regierungsbestimmung stand, die sich um die Durchführung und Einhaltung des Gesetzes zur Geburtenregulierung nicht nur bemühte, sondern dies zur Hauptsache einer ganzen Division an Euro-US-Soldaten gemacht hatte, die sich Schlacht um Schlacht mit der WOMEN-Force lieferte und die Ordnung in der ausgebombten Zone und in beiden getrennten Territorien wiederherstellen sollte, aber bislang an der ungebrochen intensiven Kampfbereitschaft der FABOG scheiterte. Immer wieder ergab sich infolgedessen eine Patt-Situation, die keinen eindeutigen Sieger hervorbrachte.

In seinen rehbraunen Augen lag eine Sanftmut, die seiner Aufgabe vollkommen widersprach, die Verantwortung für den Konvoi allein auf sich nehmen zu müssen, da sie keinen Funkkontakt mehr zum führenden First Captain Taylor und den begleitenden Unteroffizieren hatten, die im Radpanzer vier zu ihrem Pech festsaßen und keine Unterstützung mehr sein konnten. Sie mussten es selbst schaffen, den wartenden Zug zu erreichen. Second Captain Michael William Turner musste immer wieder die hartnäckig festsitzenden Sorgen aus seinen Gedanken unterm trotz schweißtreibender Hitze in Vorsicht aufgesetzten Stahlhelm verdrängen, was ihm in seiner aufgezwungenen Funktion als derzeitiger Truppführer beim beklemmenden Schaueranblick der Trümmerstadt um sie in Ulm herum mit der Überwindung von Barrikade zu Barrikade stetig schwerer fiel. Der Radpanzer, in dem er saß, konnte begrenzt manches Hindernis überwinden, das sich ihnen aus Trümmerteilen oder Granattrichtern in den Weg stellte, aber das nutzte kaum etwas, denn der Transport-Lkw mit den Frauen diese Blockaden nicht überwinden konnte.

Diese destabilisierte Lage in Europa fand keine Ruhe, aus der man ein Friedensabkommen hätte niederschreiben können. Keines der Geschlechter beugte sich dem anderen; jedes behauptete sich in Wiederholung von Kämpfen, Anschlägen und Sabotagen. Niemand überwand sich, der Gegenseite entgegenzukommen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika waren wider ihrem Willen gezwungen, sich in den Konflikt einzumischen und konnten nicht nur an sich selbst zuerst denken, wie es einst unter der Staatspräsidentenführung von Donald Trump gewesen war, der volle Absicht gehabt hatte, eine kilometerlange Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, was nur ein sichtbarer Teil seiner abschirmenden Taktik gegenüber der restlichen Welt war, die er als Großmacht unter seinem wachenden Auge hielt. Seine Isolierungsversuche hatten in letzter Instanz der Umsetzung nichts genutzt – Mexiko war in Anbetracht eines ausbrechenden Dritten Weltkrieges das geringere Problem gewesen. Wieder griffen die Amerikaner ins europäische Kriegsgeschehen ein, denn eine anrollende Flut von Flüchtlinge aus Europa in die USA, die sich von der führenden Rolle als Weltpolizei, da Russland sich aus der Angelegenheit vollkommen heraushalten wollte, unter der Präsidentschaft von Trump hatte distanzieren wollen, waren ihre größte Furcht, weshalb sie das brandakute polizeiliche Bündnis mit europäischem Militär sofort eingegangen waren, das unter deutschem Oberkommando stand, das die USA in ihrer Schuld alter Reparationen sah, in der Ausführung der Einsätze und Operationen jedoch von US-amerikanischen Offizieren unterstützt und präventiv sowie gezielt eingreifend geleitet und befehligt wurde. Konflikte der Europäer mussten vor Ort eingedämmt werden, da sie sich außer Stande sahen, weitere Menschenschwemme in die bereits multikulturell gemischte Bevölkerung aufnehmen zu können. Einst waren Europäer im Ersten und im Zweiten Weltkrieg aufgebrochen, um das Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf der anderen Seite des großen Teichs zu ergründen, das längst an seine Grenzen stieß und weitere Einreiseströme an politisch Verfolgten vom Kontinent ihrer Urväter und Urmütter vorbeugend zu verhindern versuchte, indem es sich auf europäischem Boden in die Geschehnisse einmischte.

Als Polizist kannte Second Captain Turner in den USA die Probleme des kleinen Bürgers, die er oftmals mit Härte oder mit Milde hatte gesetzlich regeln müssen.

Wenn ich den Krieg überlebe, gehe ich ins theologische Studium, züchte Bienen und kehre dieser gnadenlosen Welt den Rücken!, kam Michael für sich selbst zum Schluss seiner eigenen Ziele.

Was war geschehen, dass erneut auf europäischem Festland ein Krieg Vernichtung und Tod über die Bevölkerung brachte? Woher das europäische Problem kam, war eine weiterführende Angelegenheit, die sich aus den unterschiedlichen Konflikten zusammensetzte, in Afghanistan und Syrien teils ursächlich wiederzufinden war, noch aus weit zurück liegenden Problemen in der Vergangenheit der menschlichen Geschichte stammte, und dort, wo grundsätzlich auf Erden Unterdrückung der Frauen überall herrschte und die Zerstörung durch jahrzehntelangem Krieg und durch immer wieder aufflammende Unruhen voranschritt.

Europa schien, wie schon oft zuvor, abermals Zentrum emotionaler Explosionen zu sein, da sich hier mannigfaltig unterschiedliche kulturelle und politische Ansichten trafen, die früher mit Schwert und Schild, dann mit Reiterhammer und Bogenschützen und später mit Gewehren, aufgepflanzten Bajonetten und Kanonen bis hin in die modernen Zeiten mit Maschinengewehren, Panzern und Bomben ihre jeweils eigenen politischen Interessen hatten erkämpfen und durchsetzen wollen.

Dabei war und ist der kleine Bürger nicht der Schuldige, dem man falschen, synthetischen Honig der Beschwichtigung um den Mund schmierte und zugleich alle Mittel nahm, sich selbst ein gutes Leben zu gestalten.

Syrer wurden von Syrern verfolgt und massakriert. Afghanen opferten ihre Familienmitglieder, wenn nur der geringste Verdacht bestand, dass die uralten, nicht mehr zeitgemäßen Traditionen eingehalten wurden. Die Einwanderer, die einst aus diesen kriegsgebeutelten Ländern und Regionen nach Europa kamen, waren Vertriebene, Verfolgte, politisch Ungehorsame, die dem Gedankengut der Gutmenschen nach nur Freiheit und Zuflucht vor der radikalen Religionsansicht und der Vernichtung suchten, der Gesinnung der im deutschsprachigen Raum versteckt lebenden Reichsbürger nach rein den religiösen Zwist und den bombenden Terror gegen das öffentliche Leben, in dem sich Frau und Mann in individueller Weise zeigen und verhalten dürfen, in das aufnehmende Lager brachten. Mit Verstand ließ sich rückblickend keine Erklärung dafür finden, insbesondere die o diskutierte Wahrheit im Zwischenraum der in zwei Richtungen krass geäußerten Meinungen jener Leute, die ihre extremen Ansichten vorm geltenden Gesetz nicht hinter dem Berg hielten und damit mehr als nahe an der Volksverhetzung vorbeischrammten. All dies waren nicht annähernd die gesammelten Gründe in der Summe, warum dieser Krieg ausgebrochen war.

Wassermangel, schlechte Versorgung mit minderwertigen Lebensmitteln, kein Zugang zu sanitären Anlagen und nicht vorhandene Bildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze waren die Gründe der Menschen, die in ihrem primitiven Leben keine Chance als die Flucht in ein andres Land, auf einen anderen Kontinent sahen. Sie gaben ihre Wurzeln auf, um in der Ferne Glück zu finden, doch meistens war dies eine weitere Sackgasse, in die sie flüchteten. Dieser Wandel hatte die gesamte Bevölkerung in Bedrängnis gebracht, die sich mit Gewalt ihren Ausweg suchte.

Was seit tausenden von Jahren in Vergessenheit geraten und in allen religiösen Schriften als Warnung zwischen den Zeilen verfasst worden war, war eine zerstörerisch wirkende Energie, die nicht aus dem All über den Planeten Erde gekommen war, weil sich fremde, fortgeschrittene Zivilisationen diesen Lebensraum für die Fortpflanzung ihrer Art erobern wollten, sondern weil der Ego-Trip der Menschheit an der Kleinkrämerei, der Intoleranz und an der materiellen Haben-Sucht hing, was keinen friedlichen Ausgleich bewirkte. Eine streng regulierte Ein-Kind-Taktik hatte sich nicht umsetzen lassen; kein finanzieller Anreiz dazu war den Bürgern zugestanden worden, womit Ausgleich gegeben wäre.

Wann wird die Umsicht siegen?, fragte sich Turner, der in die chaotische Trümmerlandschaft um sich herum blickte, die früher eine belebte Stadt gewesen war. Unglaublich unwirklich erschien ihm das alles hier, dass er sich tatsächlich still die naive Frage stellte, selbst einen Beitrag zu all dieser Zerstörung geleistet zu haben. Die Antwort seiner inneren Stimme gefiel ihm natürlich nicht, denn er wollte auf der für ihn sauberen Seite sein, die für Gerechtigkeit und Ordnung einstand, die er und der SAG-Ten-Trupp gesetzlich mit Militärmacht für eine Bürgerpolitik mit Zukunft ausführen sollten: Ja, auch du, wenngleich du dich für ein winziges Zahnrädchen im gesamten Getriebe des Menschheitsmotors bist, musst verstehen, dass du genauso einen Anteil an Mitverantwortung dafür tragen musst, wie jene Politiker, die für das Volk eine einschneidende Veränderung beschlossen hatten!

Weise Worte sprach seine Seele zu ihm, dennoch ignorierte er sie, weil er sich im Zugzwang sah, seinen Dienst für die Menschheit verrichten zu müssen, obwohl er den in ihm herrschenden Zwiespalt, die Kluft zwischen Kadavergehorsam und Desertieren, nicht auffüllen oder schließen konnte. Was ist meine Pflicht? Michael fühlte sich lediglich wie eine missbrauchte Mikrobe, die man mit süßer Zuckerlösung in einer überschaubar winzigen Petrischale angefüttert, mit Instruktionen euphorisiert, mit schweren Waffen gerüstet und in eine aussichtslose Schlacht entsendet hatte, die keine Sieger, nur Verlierer hervorbringen würde; aber er übte sich vor jedem Einsatz im Gebet um Schutz und geistige Führung. Wieder sprachen Waffen barsch ihre vernichtenden Worte, denn, um das Böse unter den Menschen einzudämmen oder gar zu bannen, mussten noch mehr Soldaten aufmarschieren, Bomben hagelten und Menschen erfuhren Schmerz in ihrer Ganzheit als dreifaltiges Wesen, das sie selbst verleugneten und in Illusionen gehüllt verzweifelt bekämpften, da sie in ihrem Wahn die eigentliche Zielsetzung aus den nach Macht und Geld gierigen Augen verloren hatten: Liebe – die machtvollste, immerwährende Kraft.

Der andauernde Krieg zwischen Euro-US-Army und der WOMEN-Force sollte irgendwann die Lösung für das bestehende Dilemma der Überbevölkerung bringen, sollte die Unstimmigkeiten unter Männern und Frauen ausmerzen, aber der Wille der weiblichen Bevölkerung war nach wie vor am beschleunigten Erwachen, was die bisherige Rollenstrukturen in ihrer Jahrtausende lang verharrenden Starrheit nun mehr und mehr aufbrechen ließ und zu unumkehrbare Veränderungen führte, die von Frau und Mann abverlangt wurden, ihr wahres Ich-bin zu erkennen; ihr Kampf war in der Aussicht in der Gewichtsverteilung aus der einseitig zur Seite des bislang dominierenden Mannsbildes herunterhängender Waagschale am Umschwenken. Die dadurch entstehende Pendelbewegung brachte es im gesamten Universum mit sich, eine Energieverlagerung vorzunehmen, die einem immer wiederkehrenden Naturphänomen unterliegt, das in beständiger Bewegung ist, sich nach einem Rhythmus von etwa 20 000 bis 25 000 Jahren verhält – der Atemzug, das Herz-Lungen-System des Universums: 25 000 Jahre Einatmung gefolgt von 25 000 Jahre Ausatmen (einatmen und aufwärmend ist das Yang, das Männliche; ausatmen und kühlend ist das Yin, das Weibliche).

Das europäische Kalendarium, das sich als allgemeingültiger Weltkalender durchgesetzt hatte, war nach westlicher Zeitrechnung im Jahre des Herrn 1582 von Papst Gregor XIII verkündet worden, kam mit seiner astronomisch-mathematischen Berechnung der menschlich definierten Zeitrechnung am allernächsten. Ab dem Jahr 2012 der weiterhin gültigen, westlich-christlichen Zeitrechnung war wieder einmal der Wendepunkt am 12.12.2012 um 12 Uhr 12, ein neu anbrechendes Zeitalter erreicht worden, was sich verstärkt mit Naturkatastrophen des umstrittenen Klimawandels und in gewalttätigen Unruhen in Ländern zeigte, die in Religion und Politik insbesondere die Unterdrückung der Frauen in ihrer Gesetzgebung befürworteten und seit Jahrtausenden, durch die vollkommen beabsichtigte Falschauslegung – verwendet als Machtinstrument zur Gedanken- und Verhaltenskontrolle - religiöser Schriften alltäglich lebte.

Ein Erwachen des Ich-bin und vorrangig die Wiederbelebung der weiblichen Rechte auf Freiheit und Selbstbestimmung waren die Ergebnisse dieses wiederkehrenden Einflusses aus dem lebendigen Universum, das für die an sich noch immer primitiv entwickelte Menschheit weitere Impulse sendete, sich aus der momentan modernen Steinzeit zum fortgeschrittenen Menschen, dem höchsten Wesen der Liebe, zu entwickeln, das wir längst hätten sein und erreicht haben sollen. Die zum Leidwesen falsch getroffenen Entscheidungen und unbewussten Verfehlungen von zig Jahrtausenden waren die Ursache, weshalb es bislang nicht zu einer Einigung zwischen den festgefahrenen Kriegsfronten gekommen war.

Das Wirkprinzip der Weiblichkeit hatte in dieser Phase des widerkehrenden Welten-Zyklus Fahrt aufgenommen, um das der Männlichkeit auszubremsen, was dazu dienen sollte, an den Punkt im Mittelklang zu gelangen, zur alles heilenden Quelle des Ur-Tons. In all den Jahrmillionen der Menschheitsentwicklung war es bislang nur extrem wenigen Menschen, die ihre Dualseele gefunden hatten, gelungen, diesen absoluten Mittelpunkt zu halten, der das göttlich geeinte Ichbin des Individuums mit dem Hier-und-Jetzt verbindet, um die Ewigkeit der Seele und die Unendlichkeit des Raumes als eine Wahrheit zu manifestieren, die frei von allen früher erschaffenen Illusionen ist, was das Sein im eigentlichen Esist lebendig erwachen lassen wird. Der Weg dorthin ist ein langer Geburtskanal, den wir auf unsere ganz ureigene Weise gangbar beschreiten und meistern müssen.

Ergebnislos und von der eigenen Ratlosigkeit enttäuscht schaltete Michael die gedankliche Reise durch politische und esoterische Zeitgeschichte aus, da merkte er, dass es Esoterik, Religion, Politik und all die anderen Richtungen von Lebensweisen und Ansichten in Wahrheit gar nicht gab.

Den bislang nach innen gewendeten Blick seiner rehbraunen, sanften Augen richtete er aufmerksam in die zerstörte Außenwelt, in der es nur wenig grüne Flecken gab, die zumeist von ihnen selbst mit den Uniformen und Militärfahrzeugen gebildet wurden, wo seine Sinne dem Fahrer behilflich sein mussten, Hindernisse rechtzeitig zu erkennen, ehe sie genauso hängenblieben, wie es der SAG-Besatzung von Radpanzer vier passiert war.

Aus der Ruhe, die für lärmberieselte Stadtmenschen innere Beklemmung bedeutete, da sie die Geräuschlosigkeit nicht kannten und ertragen konnten, schwoll ein Geräusch an, das der Geburtsschrei eines Wesens war, das nach der Durchsetzung eines perfiden Gesetzes brüllte, das sich die Menschen in ihrer Verzweiflung geschaffen hatten, das aus der Energie der Angst heraus zu einem aufgeblasenen Monster mutierte, gegen das sich Armeen zum Aufstand erhoben, aber sie erkannten nicht, dass sie selbst das erweckte Ungetüm waren.

Weder Lärm noch Stille können auf dem Erdenmantel der endlos geduldigen Mutter Gaia in aller Ewigkeit bestehen, denn irgendwann sorgt die pulsierende Natur selbst dafür, dass in die kurzweilige Starre des Augenblicks verändernde Bewegung kommt, die Geräusche und Gerüche mit sich bringen oder für Ruhe und klare Luft sorgen.

Tote Tauben hätte der Krach zu neuem Leben wiedererwecken können, wenn ein einziger Vogelkadaver im Areal des Ulmer Hauptbahnhofes gelegen hätte, aber es gab nicht ein einziges totes Tier, das hier herumlag und in Verwesung übergegangen war; die letzten Tiere, die sich einst in dieser geschundenen süddeutschen Stadt aufgehalten und einen Lebensraum belebt hatten, waren fort und kamen nicht wieder, solange der Mensch und die Kriegsgeschehnisse in der Gegend weiterhin ihren Einfluss nehmen würden. Ein Mikrowellenangriff hatte sämtliche Vögel aus dem Stadtzentrum verscheucht und das letzte Insekt in die Desorientierung getrieben, bevor es im purpurnen Chemikalienregen verendet war.

Nach der radikal ins Kriegsgeschehen eingreifenden Aktion der WOMEN-Force, einen genetisch manipulierten Viren-Bakterien-Cocktail über der Stadt zu versprühen, um nur die männlichen Soldaten für eine Weile auszuschalten, um die Frontbewegung zu Gunsten der Frauen zu verändern, hatte nur einen Tag später die MABOG ein eigenes Sprühkommando geschickt gehabt, das mit Chemie den infektiösen Schleimüberzug bekämpft hatte. Diese übereilte Gegenmaßnahme hatte gering genutzt. Dennoch waren innerhalb weniger Stunden tausende Soldaten der Euro-US-Army an fiebrigem Brech-Durchfall erkrankt gewesen, der für die WOMEN-Force Vorteile und Aufschub von Deportationen mit sich gebracht hatte. Eine atomare Katastrophe wäre in jedem Fall schlimmer gewesen, aber diese beschwerlichen Umstände der Epidemie waren einer solchen Katastrophe in kleinerem Ausmaß gleichgekommen.

Die Phosphorbrandbomben hatten ihre Aufgabe der brennenden Säuberung in Perfektion ums Zentrum der gebeutelten Stadt herum erledigt, als beide Kriegsparteien ins geschundene Trümmerfeld mit brachialem Bombardement ihre Argumente reingepflastert hatten, was Drohnenträger hatten heranfliegen können. Dadurch hatte man die wenigen vorhandenen, noch befahrbaren Wege durch die Stadt der toten Einsamkeit, was aus Ulm nun geworden war, noch weniger oder gar nicht mehr nutzen können, um dringend benötigten Nachschub oder die eingesammelten Frauen zu transportieren, die sich eine Weile dem Sterilisationsgesetz erfolgreich entzogen hatten.

Dröhnender Motorenlärm einer zunächst ungenau bestimmbaren Anzahl an schweren Militärfahrzeugen schwoll wie heranrollender Sturm fürs menschliche, sondierende Gehör aus undefinierbarer Richtung langsam an, drängte immer näher ans verwaiste Portal des Hauptbahnhofs heran, und mit dem anschwellenden Radau kam eine Staubwalze herbeigerollt, die eine gelblich wabernde Wolke als lebendig sichtbare Aura um die Radpanzer und den LKW-Konvoi bildete, die ein Ausdruck von Eile und Entschlusskraft um die anrückenden Militärfahrzeuge legte. Ein Anblick, der Besorgnis erregte, war es – doch den vereinzelten Zivilisten, die sich unbemerkt in der Stadt verbargen, fiel dies nicht ins Auge, und nur die Militärs auf beiden Seiten hatten die technische Möglichkeit, das Niemandsland mit Satellitenaufnahmen zu überwachen - die Ankunft des Konvois stieß den Schrei nach neu aufflammenden Kampfhandlungen aus, ohne dass die Sirenen auf den Dächern der kommunalen Gebäude zu heulen begannen; keiner war hier, um es zu hören.

Wem hätte diese Warnung also überhaupt genutzt?

Nur wenige Menschen hausten im Verborgenen oder am Stadtrand, wo sie sich der Schwierigkeit gegenübersahen, die täglichen Kontrollen ohne Gefangennahme zu überstehen, denn das Motto lautete auf beiden Seiten: keine Gefangenen – wer in die Hände der Militärs fiel, durfte sich aus dieser Welt verabschieden; für Gnade gab es keine Zeit und keinen schützenden Raum. Das zerstörerische Ego des Krieges hielt Zepter und Zügel der Macht fest in beiden Händen.

Seit Stunden standen sämtliche Signale für den Klinik-Transportzug auf Erlaubnis für die Abfahrt gestellt, aber ohne die zu transportierenden Frauen war es schlicht ein Zug, der lediglich bereitgestellt worden war. Einen Lokführer brauchte jener Zug nicht, denn im Triebkopf des Loop befand sich die derzeit modernste Technik der Eisenbahngeschichte, die von Menschenhirnen erdacht worden war. Aus einer Betriebszentale in Karlsruhe wurde der Bereich von Ulm durch Fahrdienstleiter ferngesteuert über festgelegte Fahrstraßen – notfalls konnte der Loop wie früher auf Sicht von einem Lokführer im Führerstand des Triebkopfes gesteuert werden - an einen vorherbestimmten Ort gesteuert. Dieser Ort, wohin die Frauen in eine der mehreren Sterilisationsklinik transportiert werden sollten, war nur wenigen damit vertraut beauftragten Militärs bekannt. Die Öffentlichkeit sollte davon nicht in Kenntnis gesetzt werden, um bereits im Vorfeld zu verhindern, dass sich weitere Milizen bilden und die verfrachteten Frauen von mutigen Ehemännern oder anderen Verwandten und Freunden befreit und vor ihrem Schicksal bewahrt werden konnten.

Große Erleichterung schwang in der Stimme des Soldaten hinter dem Steuer, der schon nicht mehr daran geglaubt hatte, dass sie in diesem Jahrhundert noch das Gebäude des Ulmer Hauptbahnhofes überhaupt zu sehen bekommen würden.

„Wir sind da!“, teilte der Fahrer an den zweiten Hauptmann der SAG-Ten-Einheit mit, die im militärischen Rahmen der 43sten Infanterie-Division diese Mission verspätet bis zum Hauptbahnhof im Zentrum von Ulm endlich vorangebracht hatte. „Das war vielleicht ein Ausritt!“, gab der Gefreite am Lenker einen laxen Kommentar ab, was Angst und Anstrengung der angespannten Konzentration in der scheinbar endlos ansteigenden, nachmittäglichen Hitze in seiner Stimme heraushören ließ. Bislang waren sie im aufs Stadtgebiet beschränkte Feld der Trümmer beschwerlich und mit vielen Umwegen vorwärts gekommen, was ihn zur stillen Frage drängte, weshalb man die Frauen nicht zum Bahnhof oder direkt zu den Kliniken geflogen hatte, aber er war eben kein Entscheidungsträger aus den höheren Reihen, doch der Endspurt erschien ihm als nahezu lächerlich einfach, weil er nur noch wenige Meter bis zur Verladerampe in der Güterabfertigung fahren musste, wo sie ihre menschliche Fracht abliefern und somit auch die Verantwortung für die Frauen abgeben konnten. Endlich … Theo wollte es endlich hinter sich bringen, denn er haderte plötzlich damit, dass er sich als liebender, vierfacher Familienvater für den Dienst an der Waffe entschieden hatte; es diente der Allgemeinheit, wenngleich das individuelle Leben Einschränkungen erfuhr. Natürlich fuhr er zumeist nur Radpanzer oder einen LKW und die Waffe, ein geladener Army-Colt, ruhte im Holster am Textilkoppelgürtel an der Hüfte, aber er fühlte sich wie der richtende Scharfschütze mit dem Finger am Abzug, da er dazu beitrug, die von der Regierung angeordneten Deportationen dadurch trotzdem aktiv zu unterstützen. Seinen Gewissenskonflikt musste er sofort niederschießen, um gedanklich bei voller Fahrkontrolle zu bleiben, während er das Militärfahrzeug durch Ulm lenkte.

Im Zug wartete eine weitere Einheit auf sie, die für die Bewachung während der Fahrt zuständig sein sollte. Beim Bahnhof selbst war es genauso ruhig und menschenleer, wie sie bislang die ganze Stadt erlebt hatten, was dem Fahrer sorgenvolle Schatten um die suchend blickenden Augen legte. Keiner war da, der sie lax mit einem Wink einwies, wo sie hinfahren sollten. Niemand von diesen Soldaten, die zur Wache abgestellt worden waren, war zu sehen, als sie näher kamen, aber es war nicht besonders verwunderlich, wollte sich Gefreiter Teigeler zur Beschwichtigung selbst einreden: die sengende Wüstenhitze hatte die Wachsoldaten in den Loop getrieben, wo sie es sich klimatisiert hatten bequem machen können – keiner fragte sich, was hier nicht stimmen mochte, auch der nun führende Second Captain des Konvois machte sich weder Gedanken noch die Mühe, mittels Funk den Platoon-Leader (militärischer Zugführer) der Wachsoldaten zu kontaktieren; Vertrauen ins Gelingen des Einsatzes sollte ein Offizier in schwieriger Lage haben dürfen, da sie die heutige Einsatzlage längst geplant und in Gang gebracht hatten und nun zu einem Abschluss geführt haben würden, wenn der Zug mit den Frauen aus dem Ulmer Hauptbahnhof Richtung unbekanntes Ziel rollen würde. Offenbar war alles sicher.

„Wenn wir das hinter uns haben, braten wir uns in der Sonne einen Storch auf der glühend heißen Motorhaube!“, freute sich Theo auf das Ende des Einsatzes. Schnell schwieg er und biss sich auf die Unterlippe, denn der Storch erinnerte ihn an den Umstand, jetzt nicht bei seiner Familie sein zu können, und das in naher Zukunft auch nicht.