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ISBN 978-3-744846-05-9
© 2017, Norbert Schramm, „Kompendium – Kanarienvögel“, Band 2
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
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Satz und Gestaltung: Norbert Schramm
Einband: Norbert Schramm
Vor nunmehr zehn Jahren entstand das Manuskript zu meinem ersten Buch über Farbenkanarien. Innerhalb dieser Dekade sind in der Farbenkanarienzucht große züchterische Fortschritte zu beobachten. Es ist rückblickend für mich erstaunlich, welch enorme Entwicklung einige Farbenschläge genommen haben. Auch neue Kanarienfarben sind inzwischen international anerkannt und in den Standards hinterlegt. Für weitere Farbschläge und Mutationen laufen bereits Anerkennungsverfahren.
Es ist also an der Zeit, das Thema der Farbenkanarienzucht wieder aufzugreifen und die neuesten Entwicklungen darzustellen. Dieser zweite Band meines „Kompendium – Kanarienvögel“ ist deshalb dem Zweig der Farbenkanarienzucht gewidmet.
Im vorliegenden Band gehe ich kurz auf die Geschichte der Genetik ein. Die Kompliziertheit der genetischen Vorgänge in ihrer Gesamtheit zu erläutern, würde dem Vogelzüchter keine Hilfe sein. Ich habe deshalb vieles sehr vereinfacht dargestellt und nur die grundlegenden genetischen Zusammenhänge, die jedem ernsthaften Züchter bekannt sein sollten, hoffentlich anschaulich erklärt.
Im engen Zusammenhang mit der Genetik steht die biochemische Entwicklung der Federfarben. Dazu gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die in diesem Band nicht fehlen dürfen.
Ich wünsche mir sehr, dass nunmehr die wissenschaftlichen Erkenntnisse beider Themenbereiche zum allgemeinen Züchterwissen werden. Viel zu oft kann man immer noch die falschen und ungenauen Thesen und Regeln früherer Zeiten lesen und hören.
Viele theoretische und praktische Hinweise für die gezielte Farbenkanarienzucht sind aufgeführt und alle heute anerkannten Farbschläge habe ich ausführlich beschrieben.
Ausgehend von meinem „Farbenkompass für Kanarien“ habe ich auch in diesem Band fast ausschließlich deutsche Farbbegriffe nach dem klassischen RAL-Farbsystem verwendet und somit subjektive Farbbezeichnungen vermieden.
Eng mit der Farbenkanarienzucht in Verbindung steht auch die „Mischlingszucht“. Leider wird dieser Zweig der Vogelzucht oft angegriffen und verfemt. Gerade deshalb sind einige klärende – und auch kritische – Worte für diesen uralten Zweig der Vogelzucht notwendig.
Viele Vogelzüchter sind mit ihrem Namen bekannt geworden. Sie haben neue Mutationen entdeckt oder sich sonst für die Vogelzucht sehr verdient gemacht. Leider werden oft in Fachpublikationen die Namen dieser Menschen ohne Vornamen und Lebenszeit genannt. Um diesen Züchtern ein kleines Denkmal zu setzen, habe ich versucht den Vor- und Nachnamen, das Geburt- und Todesjahr oder gar ein Porträt ausfindig zu machen. Ein herzlicher Dank geht an Gerhard Verhaegen, der mir dabei sehr helfen konnte. Sollten Leser etwas für diese Recherche beitragen können, bin ich über Hinweise sehr dankbar.
Bedanken möchte ich mich auch bei Bernd Debus, der seinen hervorragenden Aufsatz über die Geschichte der Opalvögel zur Verfügung stellte.
Danke auch an die Züchterfreunde Michael Förster und Ludwig Hofmann, die mir Mognound Jaspe-Federn zur Untersuchung gegeben haben.
Viele der Vogelbilder konnte ich im Laufe der Zeit selbst fotografieren, aber leider nicht immer die Siegervögel großer Schauen. Für die Überlassung von aussagefähigen Bildern bedanke ich mich ganz herzlich bei Jose Antonio Abbellán Baños, Dietmar Bäthke, Frans Begijn, Lens Erwin, Eugen Franke, Ricardo López Garcia, Guiseppe Gallo, Jean-Pierre Hennebique, Olaf Hungenberg, Johan van der Maelen, Paul Pütz, Dirk de Schinkel, Edeltraud Schneider, Alessandro des Santis, Lubomir Veselý und Winnie Qin-Pukat sowie bei weiteren Bildautoren, die im Anhang aufgeführt sind.
Bedanken möchte ich mich bei allen ungenannten Zuchtfreunden, deren Vögel ich auf Bewertungsschauen fotografieren durfte.
Herzlich danken möchte ich Frau Silke Grieß für die Durchsicht und Korrektur des Manuskriptes.
Danksagen möchte ich auch dem Verlag Book on Demant, dessen Druckqualität sich in den letzten Jahren, vor allem im Abdruck der Farbbilder, deutlich verbessert hat.
Ganz besonders möchte ich mich bei meiner lieben Annegret bedanken, die erneut über Monate hinweg mit Geduld und Verständnis meine schweigsame Tätigkeit am Computer ertrug und mir oft mit Ratschlägen zur Seite stand.
Norbert Schramm
Dresden, Frühjahr 2017
Alle uns heute bekannten Haustiere und unsere Nutzpflanzen sind aus wildlebenden Tier- und Pflanzenarten hervorgegangen. Die Menschen der Frühzeit jagten Tiere und sammelten Pflanzen. Nach und nach, im Laufe vieler Jahrtausende, wurden diese Tätigkeiten durch die gezielte Vermehrung der Tiere und Pflanzen ersetzt. Die Menschen mussten nun nicht mehr den Tieren und Pflanzen hinterher ziehen, sie konnten sesshaft werden.
Der Haushund ist vermutlich das älteste Haustier der Menschen. Wissenschaftler schätzen, dass die Haustierwerdung (Domestikation) des Wolfes in Europa vor etwa 25.000 Jahren begann1. Eine genetische Berechnung zeigt, dass sich Hund und Wolf vor mindestens 135.000 Jahren als Art getrennt haben, sodass man davon ausgehen muss, dass der Wolf sehr viel länger als „Hund“ ein Begleiter der Menschen war2.
Die Vielfalt der heutigen Hunderassen ist auf das unbewusste Anwenden genetischer Gesetzmäßigkeiten zurückzuführen. In manch einem Hundewurf waren Welpen dabei, die sich von ihren Eltern ein klein wenig in der Gestalt oder in ihrem Wesen unterschieden. So waren einzelne Hunde vielleicht eifriger bei der Jagd, trotzten besser Kälte oder Hitze oder waren in den Augen der Menschen einfach schöner. Je nach Wertigkeit dieser Eigenschaften wurden diese Hunde verstärkt zur weiteren Zucht verwendet.
Was mit dem Wolf begann, wurde in späteren Jahrtausenden auch mit anderen Tieren versucht. Langsam, Schritt für Schritt, bildeten sich auf diese Weise aus verschiedenen Tier- und Pflanzenarten einzelne Rassen heraus. Ganz ohne Wissenschaft, nur auf Erfahrungswerte gestützt – die sicherlich auch mündlich überliefert wurden – konnten wünschenswerte Eigenschaften gefestigt und verbessert, unerwünschte verdrängt werden. Diese Auslesezucht ist bis heute weltweit die vorherrschende Zuchtmethode geblieben.
Tier- und Pflanzenzucht bewirkt immer eine künstliche, vom Menschen gelenkte, Evolution!
Sehr oft ähneln Kinder ihren Eltern in auffälliger Weise. Etwa in ihrer Gestalt, in der Augenfarbe, in der Form der Nase oder des Mundes. Wer kennt nicht den Ausspruch bei einem Blick in den Kinderwagen: „Ganz der Vater“. Vielleicht sieht das Kind auch seinem Großvater mütterlicherseits viel ähnlicher als seinem leiblichen Vater. Auf jeden Fall scheint der Bauplan dieser körperlichen Merkmale von den Vorfahren an die Nachkommen weitergegeben zu werden.
So wie die materiellen Güter von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben – eben „vererbt“ – werden, so scheinen auch die körperlichen Merkmale und Charaktereigenschaften von einer Generation an die nächste vererbt zu werden.
Aus der Antike ist überliefert, dass sich schon damals einige Gelehrte Gedanken über die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung machten. Der griechische Philosoph ANAXAGORAS (499 bis 428 v. d. Z.) war der Meinung, dass im Sperma des linken Hodens die Tochter, im Sperma des rechten Hodens der Sohn bereits vorgeformt sei (Präformationslehre) und so die väterlichen Eigenschaften an die Nachkommen weitergegeben werden. Ähnlich dachte auch noch sein Landsmann ARISTOTELES (384 bis 322 v. d. Z.), der jedoch bereits beschrieb, dass die Kinder nicht nur den Eltern, sondern auch deren Vorfahren ähnelten.
PLATON (428 bis 348 v. d. Z.) ging davon aus, dass Vater und Mutter in gleicher Weise an der Übertragung der Merkmale beteiligt sind.
Die antiken Auffassungen prägten die naturphilosophischen Überlegungen bis in die Neuzeit hinein, denn es fehlten die wissenschaftlichen Instrumente. Auch nachdem um 1600 die ersten Mikroskope konstruiert wurden, war der Weg zur Erkenntnis der Vererbung körperlicher Merkmale noch weit.
Im Jahr 1677 entwickelte ANTONI VAN LEEUWENHOEK (1632 bis 1723) das Mikroskop zu neuer Perfektion und entdeckte damit Einzeller, Bakterien, Blutkörperchen und Spermien. Aber auch er sah im Spermium einen kompletten Organismus bereits vorgebildet.
Erst die embryologischen Untersuchungen im Jahr 1817 von CHRISTIAN HEINRICH PANDER (1794 bis 1865) und die Entdeckung der Eizelle bei Säugetieren 1827 von KARL ERNST VON BAER (1792 bis 1876) beendeten die antiken Ansichten der Vererbung.
1831 entdeckte ROBERT BROWN (1773 bis 1858) den Zellkern in Pflanzenzellen, was THEODOR SCHWANN (1810 bis 1882) und MATTHIAS JACOB SCHLEIDEN (1804 bis 1881) zur Begründung der Zelltheorie aller Lebewesen veranlasste. 1857 beschrieb der Schweizer Anatom und Physiologe RUDOLF ALBERT VON KÖLLIKER (1817 bis 1905) die Mitochondrien in Muskelzellen.
1822 wurde JOHANN GREGOR MENDEL in Heinzendorf bei Odrau (Österreichisch-Schlesien – heute Tschechische Republik) als Sohn eines mittellosen Bauern geboren. Wie viele Kinder seiner Zeit, musste er schon früh den Eltern in der Wirtschaft zur Hand gehen. Er lernte so das Veredeln von Obstbäumen und die Zucht von Bienen. Aufgrund seiner schwächlichen Statur konnte er den elterlichen Hof nicht erben. Deshalb beschloss man, dass Johann Gregor Priester werden sollte. 1843 trat er in die Abtei St. Thomas in Brünn (heute Brno) ein und wurde Mönch des Augustinerordens.
Von 1844 bis 1848 studierte er Theologie an der Brünner Theologischen Lehranstalt und von 1851 bis 1853 in der Universität Wien. Dort arbeitete er unter anderem bei Professor CHRISTIAN DOPPLER (1803 bis 1853), dem Entdecker des Doppler-Effekts, und beschäftigte sich darüber hinaus auch mit Mathematik, Chemie, Zoologie, Botanik und Paläontologie.
Ab 1854 begann Mendel im Klostergarten der Abtei Altbrünn die unterschiedlichen Varianten bei Pflanzen zu untersuchen. In den nächsten acht Jahren experimentierte er vor allem mit Erbsen, weil die Sorten dieser reinrassigen Pflanzen und deren Samen in sieben unterschiedlichen Merkmalen klar zu unterscheiden waren.
Systematische Vererbungsversuche bestimmten bald sein Wirken. Über die Anzahl der erzüchteten Pflanzen und ihrem Aussehen führte er akribisch Buch. Anhand seiner Aufzeichnungen und Zahlenergebnisse erkannte er mathematische Gesetzmäßigkeiten, die von einer zur anderen Generation auftraten.
Bild 1: Der Augustinermönch
Johann Gregor Mendel.
Seine Erkenntnisse über Kreuzungsversuche fasste er 1865 zu drei Grundregeln (Mendelsche Regeln) zusammen, die noch heute ihre Gültigkeit haben. Damit machte sich Johann Gregor Mendel zum Wegbereiter der modernen Vererbungswissenschaft, die wir heute als „Klassische Genetik“ bezeichnen.
1868 wurde Mendel Abt in seinem Kloster und stellte seine Versuche weitgehend ein. Mendels Arbeiten und seine Vererbungsregeln wurden zu seiner Zeit nicht anerkannt. Auch nach seinem Tod im Jahr 1884 fanden seine Erkenntnisse vorerst keine Beachtung. Dazu trug sicherlich auch sein Nachfolger auf dem Abtstuhl bei, der den gesamten Nachlass Mendels auf dem Klosterhof verbrennen ließ. Außer seinen veröffentlichten Schriften (u. a. „Versuche über Pflanzenhybriden“, erschienen in den Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins von Brünn)3 und wenigen Briefen an den Botaniker CARL WILHELM VON NÄGELI (1817 bis 1891) sind keine weiteren Unterlagen erhalten geblieben.
Ein Schüler des VON NÄGELI, der deutsche Botaniker und Pflanzengenetiker CARL CORRENS (1864 bis 1933), erhielt um 1900 aus dem Nachlass Nägelis unter anderem auch die noch vorhandenen Briefe Mendels und erkannte deren Bedeutung. Auch der Botaniker HUGO DE VRIES (1848 bis 1935) und der Botaniker und Genetiker ERICH TSCHERMAK-SEYSENEGG (1871 bis 1962) gelten heute als Wiederentdecker der Mendelschen Regeln. Durch eigene Versuche konnten diese drei Forscher Mendels Erkenntnisse experimentell bestätigen.
Seither vergeht kaum ein Jahr, indem Forscher und Wissenschaftler keine neuen Erkenntnisse über den Aufbau der pflanzlichen und tierischen Zellen oder über Mechanismen der Vererbung entdecken. Viele dieser Entdeckungen können als Meilensteine in der Geschichte der Genetik betrachtet werden. Einige wichtige Stationen sind hier aufgeführt.
Kurz nach der Veröffentlichung von Mendels Hauptwerk entdeckte 1869 JOHANNES FRIEDRICH MIESCHER (1844 bis 1895) in Fischspermien und anderem biologischen Material die Nukleinsäure und nannte sie „Nuclein“ – abgeleitet von lateinisch nucleus = Kern.
Der Anatom HEINRICH WILHELM WALDEYER (1836 bis 1921) führte 1888 die Bezeichnung „Chromosomen“ für die färbbaren Kernkörperchen ein.
EDUARD STRASBURGER (1844 bis 1912) entdeckte die Teilung des pflanzlichen Zellkerns und beschrieb gemeinsam mit THEODOR BOVERI (1862 bis 1915) die Konstanz der Chromosomenzahl bei unterschiedlichen Arten. Boveri prägte für das Zentralkörperchen der Zelle den Begriff „Centrosom“.
Boveri und WALTER STANBOROUGH SUTTON (1877 bis 1916) entdecken 1902/04, dass die paarweise auftretenden Chromosomen sich genau so verhalten, wie die von Gregor Mendel beschriebenen Erbfaktoren und begründeten damit die Chromosomentheorie der Vererbung.
Der britische Genetiker WILLIAM BATESON (1861 bis 1926) trug wesentlich zur Verbreitung der Ideen Mendels bei und prägte 1906 den Begriff „Genetik“, der bald auch offiziell für den gesamten neuen Wissenschaftszweig angewendet wird.
Der Begriff „Gen“ (von griechisch = gebären) wurde 1909 vom dänischen Botaniker WILHELM LUDVIG JOHANNSEN (1857 bis 1927) eingeführt. Er bezeichnete damit die von Gregor Mendel entdeckten hypothetischen „Erbfaktoren“. Er prägte auch die heute geläufigen Begriffe „Genom“ (Erbgut) und „Phänotyp“ (Erscheinungsbild).
Der US-amerikanische Zoologe und Genetiker THOMAS HUNT MORGAN (1866 bis 1945) verwendete für seine Kreuzungsversuche das erste Mal die Taufliege, auch Obst- oder Essigfliege genannt, (Drosophila melanogaster), die seither das am häufigsten verwendete Versuchstier der Genetiker ist.
Bild 2: Thomas H. Morgan.
Bild 3: Essigfliege
den Biologen seiner Zeit. Ihm zu Ehren ist auch die Einheit (Drosophila melanogaster).
Morgan lieferte den Beweis, dass tatsächlich in den Chromosomen die Erbanlagen (Gene) lokalisiert sind und dort in einer bestimmten Reihenfolge und in bestimmten Abständen vorliegen. Er fand auch heraus, dass es Merkmale gibt, die meist zusammen vererbt werden (gekoppelte Gene) und dann auf dem gleichen Chromosom liegen.
Mit seinen Mitarbeitern beschrieb Morgan die Erscheinung des „crossing overs“ und konnten so die relativen Positionen und Abstände der unterschiedlichen Gene auf dem Chromosom feststellen. 1911 fasste er mit seinen Mitarbeitern diese Erkenntnisse zu einer ersten Chromosomenkarte (Genkarte) der Taufliege zusammen.
Für seine bahnbrechenden Leistungen erhielt er 1933 den Nobelpreis für Medizin. Morgan gilt als einer der führen„centiMorgan“ (cM) benannt worden, die den relativen Abstand zweier Gene auf einem Chromosom angibt.
Die Forscher OSWALD AVERY (1877 bis 1955), COLIN MCLEOD (1909 bis 1972) und MACLYN MCCARTY (1911 bis 2005) erkannten 1944, dass die DNA Träger der genetischen Informationen ist.
1953 präsentierten die Forscher JAMES WATSON (geb. 1928), FRANCIS CRICK (1916 bis 2004), MAURICE WILKINS (1916 bis 2004) und ROSALIND FRANKLIN (1920 bis 1958) der Öffentlichkeit die molekulare Doppelhelix-Struktur der DNA. Sie stellten fest, dass sich das DNA-Molekül aus einem langen Aminosäurefaden zusammensetzt und einen dreidimensionalen, spiralförmigen Doppelstrang bildet, der fein verdrillt im Zellkern liegt. Im Innenraum der Doppelhelix fügen sich die vier organischen Basen zu Paaren zusammen.
Die Forscher fanden heraus, dass diese Struktur sich selbst kopieren kann und erklärten somit den Mechanismus der Vererbung. Für diese Entdeckung erhielten Watson, Crick und Wilkins 1962 den Nobelpreis für Medizin. Rosalind Franklin, die mit ihren DNA-Röntgenaufnahmen wesentlich zur Entdeckung der DNA-Struktur beitrug, war zu dieser Zeit bereits verstorben, so dass sie nicht für diesen Preis nominiert werden konnte.
Der US-amerikanische Biochemiker ARTHUR KORNBERG (1918 bis 2007) isolierte 1956 das DNA-Polymerisations-Enzym (heute: DNA-Polymerase I) aus einem Bakterium. Zusammen mit SEVERA OCHOA (1905 bis 1993) entdeckte er den „Mechanismus in der biologischen Synthese der RNA und DNA“, wofür beide 1959 ebenfalls den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielten. Ochoa wirkte auch maßgeblich an der Entschlüsselung des genetischen Codes mit.
Der US-amerikanische Biochemiker und Genetiker MARSHALL WARREN NIRENBERG (1927 bis 2010) und sein deutscher Kollege HEINRICH MATTHAEI (geb. 1929) planten das wohl bedeutendste Experiment der Genetik des 20. Jahrhunderts. Das so genannte Poly-UExperiment war der Schlüssel zur Entzifferung des genetischen Codes. Obwohl im gemeinsamen Labor das Experiment allein Matthaei im Mai 1961 gelang, publizierten Nirenberg und Matthaei stets gemeinsam als Autorenschaft. Mit diesem gelungenen Experiment war es erstmalig gelungen, die Mechanismen des genetischen Codes zu begreifen, was in der Folge die komplette Entzifferung des Codes möglich machte.
ROBERT WILLIAM HOLLEY (1922 bis 1993) gelang 1962 die Isolierung bestimmter RNASequenzen. Holley erhielt zusammen mit Nierenberg und HAR GOBIND KHORANA (1922 bis 2011) 1968 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die „Interpretation des genetischen Codes und seiner Funktion bei der Proteinsynthese“.
Khorana wiederum gelang 1970 als erstem Wissenschaftler die künstliche Synthese eines Gens. Damit war der Weg für eine weitere Wissenschaft und Industriezweig eröffnet – der Gentechnologie.
Der US-amerikanische Biochemiker HERBERT WAYNE BOYER (geb. 1935) entwickelte zusammen mit seinem Kollegen STANLEY NORMAN COHEN (geb. 1935) eine Technik um fremde DNA in Bakterienzellen einzubauen. Beide gründeten 1976 die erste Biotechnologiefirma mit Namen „Gentech“, in der 1978 das erste synthetische Insulin hergestellt wurde. 1982 lässt die USA dieses gentechnisch hergestellte Insulin als Arzneimittel zu.
Der „genetische Fingerabdruck“ wurde 1984 von ALEC JOHN JEFFREYS (geb. 1950) entwickelt. Bald darauf folgten die ersten gentechnisch veränderten Tiere, so wurde 1987 die „Harvard-Krebs-Maus“ als erstes Tier patentiert.
Einen weiteren Höhepunkt in der Genetik starteten 1990 Wissenschaftler mit dem Human Genome Project (HGP). Sie stellten sich das Ziel, bis zum Jahr 2003 das gesamte menschliche Erbgut zu entschlüsseln.
Auf dem Weg zu diesem Ziel entzifferten 1995 Forscher das komplette Erbgut des Bakteriums Haemophilus influenzae. 1996 folgte die Entzifferung des Genoms eines höheren Lebewesens – der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae.
Das erste genetisch entschlüsselte Tier war 1998 ein Fadenwurm. 1999 wurde das Chromosom 22 als erstes menschliches Chromosom komplett entziffert und im Jahre 2000 folgte die komplette Entzifferung des Erbgutes der Fruchtfliege, 2002 das Genom der Maus. 2003 konnte das Human Genome Project (HGP) abgeschlossen werden: Das menschliche Erbgut war entschlüsselt.
An diesem Projekt war CRAIG VENTER (geb. 1946) maßgeblich beteiligt. Venter gilt heute als einer der genialsten Forscher der Gegenwart, wenn auch seine Methoden oft umstritten sind und er sich mit seinem privaten Forschungsinstitut oft in den Grauzonen der Ethik bewegt. Im Jahr 2007 gelang es Venter das Erbmaterial eines Bakteriums komplett synthetisch herzustellen. 2010 fügte er selbst einen vollständigen, selbst geschriebenen, Gencode in ein Bakterium ein, dem zuvor das natürliche Erbmaterial entfernt wurde.
An der Technischen Universität Dresden arbeitet eine Forschergruppe unter der Professorin für Biophysik PETRA SCHWILLE (geb. 1968) an der Herstellung einer komplett künstlich hergestellten Zelle4.
Der französische Botaniker und Zoologe JEAN-BAPTISTE PIERRE ANTOINE DE MONET, CHEVALIER DE LAMARCK (1744 bis 1829) entwickelte eine der ersten Evolutionstheorien. Er war überzeugt, dass Organismen ihre im Laufe des Lebens erworbenen Eigenschaften von Generation zu Generation vererben. Diese als Lamarckismus bezeichnete Theorie wurde von vielen Genetikern lange Zeit als nicht existent verurteilt, weil sie der klassischen Genetik widersprach.
In den vergangenen Jahrzehnten wurden Phänomene beobachtet, die sich nicht mit der klassischen Genetik erklären lassen. So wurde z. B. festgestellt, dass in einer Region Schwedens die schlechten Ernährungsgewohnheiten der Großeltern sich auf das Krankheitsrisiko der Enkel auswirkte. Die im Zweiten Weltkrieg hungernden Frauen gebaren kleinere Kinder, was durchaus erklärbar ist. Ungewöhnlich ist jedoch, dass diese Kinder, die nicht an Hunger litten, ebenfalls deutlich kleinere Kinder zur Welt brachten.
Bild 4: Jean-Baptiste de Lamarck.
In Tierversuchen stellten Forscher ähnliches fest. So setzten sie Fruchtfliegen einem Hitzeschock aus, der ihren Stoffwechsel veränderte. Die Nachkommen dieser Fliegen zeigten den gleichen veränderten Stoffwechsel wie ihre Eltern. Mäuse, die sich aufopferungsvoll um den Nachwuchs kümmern, geben diese Eigenschaft offenbar ebenfalls an ihre Nachkommen weiter.5 Diese Beobachtung haben Vogelzüchter ebenfalls seit langer Zeit machen können und wenden diese Erfahrung in dem Zuchtgeschehen an.
Solche Beobachtungen lassen nur einen Schluss zu: Es muss Stoffe geben, die sich erworbene Erfahrungen und Erlebnisse „merken“ können und an die Nachkommen weitergeben.
Heute wissen wir, dass tatsächlich Umweltbedingungen auf die Vererbungsmechanismen einwirken, da diese äußeren Einflüsse die Genaktivität steuern können. Diese als Epigenetik bezeichnete Wissenschaft begründete 1942 der britische Entwicklungsbiologe, Paläontologe, Genetiker, Embryologe und Philosoph CONRAD HAL WADDINGTON (1905 bis 1975). Dieser Wissenschaftszweig wurde lange Zeit nicht ernst genommen oder gar als Pseudowissenschaft abgetan.
Mit dieser neuen wissenschaftlichen Disziplin werden die alten Vorstellungen von den starren unveränderlichen Genen revidiert. Gene sind somit ein Leben lang formbar und können durch Lebensstil, etwa durch die Ernährung, beeinflusst und über das eigene Leben hinaus an die Kinder und Enkel weitergegeben werden.
Nach wie vor gilt, dass die DNA-Riesenmoleküle mit ihren Genen den Bauplan für den Körperbau und seinen Funktionen darstellen. Zum Ausführen des genetischen Programms benötigen die Gene jedoch Anweisungen, wann welcher Schritt auszuführen ist. Dafür sind Steuerungsgene in den Chromosomen integriert. Es häufen sich jedoch die Hinweise, dass die Aktivität vieler Gene von außen beeinflusst wird.
Epigenetiker fanden heraus, dass Gene oder Genabschnitte entweder aktiv oder inaktiv, an- oder abgeschaltet werden können. Als Schalter dienen chemische Anhängsel („Schaltermoleküle“, Eiweiße und andere Signalstoffe), die entlang des DNA-Strangs verteilt sind. Sie helfen, das richtige Enzym in Position zu bringen, das den genetischen Code des dazugehörigen Gens abliest.
Mittlerweile wird immer deutlicher, dass dieses „Epigenom“ ebenso wichtig für die Entwicklung eines gesunden Organismus ist wie das „Genom“ mit seiner DNA. Immer klarer wird auch, dass dieses Epigenom wesentlich leichter durch Umwelteinflüsse verändert wird, als es bei den Genen der Fall ist. So steuern diese epigenetischen Schalter z. B. die Krebsentstehung. Die größte Überraschung aber ist, dass die epigenetischen Signale von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden.
Die Entschlüsselung des epigenetischen Codes ist derzeit eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft und beinhaltet ein enormes Potenzial. Obwohl die Erforschung epigenetischer Phänomene noch am Anfang steht, können schon heute viele wichtige Fragen beantwortet werden.
Auch Vogelzüchter haben sich mit den Phänomenen der Vererbung auseinandergesetzt. Wie in allen anderen Bereichen der Tier- und Pflanzenzucht war es vor allem die Anwendung einer konsequenten Auslese der Elterntiere für eine Weiterzucht, die den teilweise enormen Zuchtfortschritt ermöglichte.
Vor allem die, über die deutschen Grenzen hinaus bekannt gewordenen, Gesangskanarienzüchter aus St. Andreasberg – der Kaufmann und Klempner PETER ERNTGES (1812 bis 1896), der Bergmann WILHELM TRUTE (1836 bis 1889) und der aus St. Andreasberg stammende, und 1885 nach Dresden übergesiedelte, HEINRICH SEIFERT (1862 bis?) – haben es verstanden, aus dem Landkanarienvogel eine neue Rasse zu züchten: den Harzer Edelroller.
Während des 1. Weltkrieges entdeckten Mischlingskanarienzüchter – der Militärgesandte GEORG BAUM-PELZER aus Ostpreußen, der Fabrikdirektor i. R. CARL BALSER aus Fulda und der Eisenbahninspektor LUDWIG DAHMS aus Königsberg – das die männlichen Mischlinge aus der Kreuzung des Kapuzenzeisigs mit dem (gelben) Kanarienvogel zum Teil fruchtbar sind. Mit den Zuchtvögeln von Dahms züchtete der ostpreußische Beamte BRUNO MATERN weiter. Er erkannte das ungeheure Potenzial für die Farbenkanarienzucht und versuchte das Rot der Kapuzenzeisige auf die bis dahin nur gelb- und weißgrundigen Kanarienvögel zu übertragen.
Diese bekannten Kanarienzüchter haben sicherlich nie etwas über die Mendelschen Vererbungsregeln gehört. Sie mussten auf die altbewährte Methode der Auslesezucht zurückgreifen, was ihnen hervorragend gelang.
Der ebenfalls sehr bekannte Kanarienzüchter KARL REICH (1871 bis 1944) aus Bremen entsann sich, dass bereits im 18. Jahrhundert die Tiroler Bergleute die berühmten Gesangskanarien mit Nachtigallenschlag züchteten. Er versuchte mit Hilfe spezieller Fütterung die Gesangszeit der Nachtigallen zu verlängern, um sie als Vorsänger für seine Gesangskanarien zu verwenden. Später kam ihm der Gedanke Grammophonplatten mit Nachtigallgesang zu verwenden.
Bild 5: Dr. Hans Duncker.
An einem Augusttag im Jahr 1921 lief Dr. HANS JULIUS DUNCKER (1881 bis 1961), der damals schon sehr bekannte Ornithologe, Erbbiologe und Rassenhygieniker aus Bremen, eine Straße entlang und hörte eine Nachtigall schlagen. Da Duncker wusste, dass Nachtigallen im August nicht mehr singen, ging er den Lauten hinterher und traf in der Wohnung von Karl Reich auf die Gesangskanarien mit Nachtigallenschlag. Forscher und Züchter wurden gute Freunde und aus dieser Freundschaft erwuchs die fruchtbare Forschungsarbeit Dr. Hans Dunckers über die Vererbungsregeln der Kanarien- und anderer Kleinvögel. Dafür stellte Karl Reich im Laufe der Zeit mehrere Hundert Kanarienvögel zur Verfügung.
Der wohlhabende Bremer Kaufmann Generalkonsul CARL HUBERT CREMER (1858 bis 1938) widmete sich in seiner Freizeit seinen Blumen, exotischen Fischen und seiner sehr ausgedehnten Vogelliebhaberei. Für die sehr umfangreichen Vererbungsversuche Dunckers stellte er ab 1925 in seinem Landhaus seine Zuchtanlagen zur Verfügung und sponserte äußerst großzügig die Zuchtprogramme.
Duncker widmete sich viele Jahre der Untersuchung der Erbgänge körperlicher Merkmale der Kanarienvögel (Färbung, Scheckung, Scheitelhaube usw.). Die Basis seiner Überlegungen waren die Mendelschen Regeln, die er schöpferisch und systematisch weiterentwickelte, experimentell und theoretisch mit Beispielen aus der Vogelzucht untersetzte.
Duncker erkannte auch die Vorarbeiten Materns zur Züchtung eines roten Kanarienvogels, widmete sich intensiv mit dieser Problematik und stellte erste Vererbungsregeln dazu auf.
Es ist Dunckers Verdienst, die Praxis der Vogelhaltung und die theoretischen Naturwissenschaften erfolgreich verknüpft zu haben. Seiner Erkenntnisse hat er in mehr als 75 Schriften veröffentlicht, wovon seine beiden Werke „Genetik der Kanarienvögel“ und „Kurzgefasste Vererbungslehre für Kleinvogelzüchter“ heute noch als leicht verständliche Standardwerke der Vogelzüchter gelten. Seine Vererbungstabellen für Wellensittiche sind heute noch in Gebrauch.
Als Genetiker schloss er sich der Argumentation der nazistischen Ideologie zur „Reinhaltung der Rasse“ an, wurde bereits 1930 Vorsitzender der Bremer Ortsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene und befürwortete die Zwangssterilisation von Behinderten. Allerdings wurde er erst unter Druck 1941 Mitglied der NSDAP. 1948 entnazifiziert, widmete er sich in seinem Ruhestand erneut der Ornithologie und reorganisierte die Vogelsammlung des Bremer Überseemuseums.
Die Aufzählung wichtiger Persönlichkeiten rund um die Genetik in der Kanarienvogelzucht wäre ohne JULIUS HENNIGER (1878 bis 1971) mehr als unvollständig. Bereits im jugendlichen Alter von 15 Jahren widmete er sich der Zucht von Kanarienbastarden. Weiter schreibt Henniger über sich:
„Ich war inzwischen nach dem damaligen Deutschen Schutzgebiete Samoa im Stillen Ozean übergesiedelt, wo ich in meiner Freizeit die Beobachtung und Erforschung der dortigen tropischen Vogelwelt betrieb. Dabei gelang es mir, mehrere für Samoa neue Vogelarten aufzufinden. Auch Prachtfinken und
Bild 6. Julius Henniger (l.) bei Züchterfreund europäische Finkenvögel, sowie Yorkshire-Arthur Birnstein in Dresden 1954.
Kanarien züchtete ich dort, bis mich 1914 der Ausbruch des 1. Weltkriegs überraschte, der eine fast sechsjährige Zivilinternierung in Neuseeland zur Folge hatte. Nach meiner Entlassung blieb ich in Auckland, der größten Handelsstadt Neuseelands, hängen und war gerade mit der Einführung deutschweißer Kanarien aus Deutschland beschäftigt, als mir die beiden Bücher von Dr. Duncker bekannt wurden, mit dem ich alsbald einen für mich äußerst lehrreichen Briefwechsel begann und vier Jahre lang fortführte. Schon damals, im April 1930, stellte ich mein System der ,18 Kanarien-Vogelfarben’ auf, …“ 6
Julius Henniger hat mit seinem Lebenswerk, das in seinem Buch „Farbenkanarien“ gipfelte, den kommenden Züchtergenerationen einen bleibenden Dienst erwiesen. Seine aufgestellten Vererbungsregeln sind auch heute noch in vielen Punkten gültig.
„Auch wenn seine Erkenntnisse in der Farbenkanarienvererbung sich auf Grund der rasanten Entwicklung und Vielfalt der Farbenkanarien und der deutlich verbesserten wissenschaftlichen Begleitung in einem Maße entwickelt haben, die er während seiner Beschäftigung mit dieser umfangreichen Materie nur ansatzweise vermuten konnte, so ist unbestritten sein Werk wichtiger Ausgangspunkt für den Aufschwung der Farbenkanarienzucht in Deutschland.“7
Bild 7: Wilhelm Ostwald.
Bild 8: Otto Völker.
Henniger konnte sich bei seinen Überlegungen auf zahlreichen Arbeiten des Gießener Biochemikers Professor OTTO ERWIN JULIUS VÖLKER (1907 bis 1986) stützen. Völker beschäftigte sich in den 1950er Jahren intensiv mit dem chemischen und physikalischen Verhalten der Lipochromfarben in Vogelfedern.
Zur Einteilung der gelben bis roten Lipochromfarben verwendete Henniger die Ostwaldsche Farbnorm (OF). Diese ist dem Ostwaldschen Doppelkegel entlehnt, den der deutschbaltische Chemiker, Philosoph und Nobelpreisträger WILHELM OSTWALD (1853 bis 1932) für die Darstellung seiner Harmonielehre des Farbsystems entwickelte.
1 Trittsiegelfund von Hundepfoten in der Grotte Chauvet im französischen Ardèche-Tal (Spiegel 45/1999).
2 Natanaelsson, Ch.; Oskarsson, M.; Angleby, H.; Lundeberg, J.; Kirkness, E.; Savolainen, P.: Dog Y chromosomal DNA sequence: identification, sequencing and SNP discovery. Unter: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1630699 (Stand: 12.05.2010).
3 Mendel, J. G. (1866): Versuche über Pflanzenhybriden. Verhandlungen des naturforschenden Vereines in Brünn, Bd. IV (1865), S. 3-47. Volltext unter: http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/library/data/lit26745/index_html?pn=1&ws=1.5 [Stand: 05.11.2009]
4 Pressemitteilung Sächsische Zeitung vom 22.05.2010.
5 Dreher, K. E.: Epigenetik. Unter: http://www.planet-wissen.de/natur_technik/fortpflanzung/vererbung/epigenetik.jsp.[Stand: 12.10.2009]
6 Zitiert aus: Henniger, J.: Farbenkanarien. Eigenverlag Maximiliansau 1962. Als Nachdruck erhältlich unter ISBN: 978-3-8391-3176-3.
7 Weber, K.: Vorwort zum Nachdruck: Henniger, J.: Farbenkanarien.
Alle Lebewesen bestehen aus einer Vielzahl von Zellen. Zellen sind somit die kleinsten lebenden Einheiten aller Organismen. Zellen fügen sich zu funktionellen Einheiten, bilden sehr unterschiedliche Gewebe, die sich wiederum zu einzelnen Organen formieren. Obwohl Zellen sowohl in der Form wie in der Größe sehr unterschiedlich sein können (z. B. netzförmige Nervenzellen, rundlich-kompakte Knochenzellen, spindelartige Muskelzellen), stimmen sie in ihrem Grundaufbau und einzelnen Bestandteilen überein.
Jede Zelle ist ein selbsterhaltendes System, nimmt Nährstoffe auf und gibt Stoffwechselprodukte ab. Wächst ein Organismus, so geschieht das durch Zellteilung (Mitose oder Äquationsteilung). Jede neu gebildete Zelle enthält die Informationen und Funktionen der Elternzelle.
Bild 9: Aufbau einer tierischen Zelle
Eine besondere Stellung nehmen die Geschlechtszellen (auch Keimzellen oder Gameten) ein. Sie dienen ausschließlich der geschlechtlichen (sexuellen) Fortpflanzung und werden als Eizelle im Eierstock (Ovar) bzw. als Samenzelle im Hoden (Testikel) gebildet.
Die Urkeimzellen teilen sich auf eine andere Art als andere Körperzellen. Denn damit befruchtungsfähige Ei- bzw. Samenzellen entstehen können, dürfen die Keimzellen nur den halben (haploiden) Chromsomensatz enthalten. Die Zellteilung der Urgeschlechtzellen zu Keimzellen wird als Reduktionsteilung oder Reifeteilung (Meiose) bezeichnet.
Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung verschmelzen die haploiden Zellkerne der Ei- und der Samenzelle miteinander. Die befruchtete Eizelle besitzt nun einen doppelten (diploidem) Chromosomensatz, aus der ein neues Lebewesen entsteht.
Bei der Befruchtung dringen nur der Zellkern und die Zentriolen des Spermiums in die Eizelle ein. Die Mitochondrien des Spermiums bleiben außerhalb der Eizelle. Damit ist im neuen Lebewesen keine väterlichen mitochondriale DNA (mtDNA) vorhanden, was sich Populationsforschunger und Genealogen zunutze machen. Sie können so die mütterliche Linie eines Lebewesens zurückverfolgen.
Bild 10: Das Chromosom.
In den Zellkernen jeder Körperzelle organisieren sich u. a. Proteinfäden in Form von enorm langen Riesenmolekülen der Desoxyribonukleinsäure, kurz DNS genannt. Heute ist fast nur noch die englische Bezeichnung DNA (Desoxyribonukleic acid) gebräuchlich. Diese DNA-Moleküle können unter bestimmten Bedingungen unter dem Lichtmikroskop sichtbar gemacht werden. Da diese Moleküle zu diesem Zweck einfärbbar sind, gab man ihnen den Namen Chromosom (aus griech. chromo = Farbe), was mit „farbigen Körperchen“ übersetzt werden kann.
Die sichtbar gemachten Chromosomen werden gewöhnlich der Größe nach geordnet und dann nummeriert.
Jede Art hat eine ganz spezifische Anzahl dieser Chromosomen, den Chromosomensatz. So besitzen der Mensch z. B. 46, die Ameise 48, die Katze 64, das Rind 60 und der Karpfen 104 Chromosomen. An Hand der Chromosomenanzahl lässt sich also die Komplexität oder Entwicklungsstand einer Art nicht bestimmen.
Bei Kanarien sind das nach HANS CLAßEN 84 (2n = 84) Chromosomen8; andere Autoren finden nur 809 oder gar nur 74 (Dr. SUSUMO OHNO; 1928 bis 2000) 10. Deshalb wird meist von 2n = ± 80 Chromosomen bei Kanarien gesprochen. Die Unsicherheit über die tatsächliche Chromosomenanzahl beim Kanarienvogel beruht auf die vielen Mikrochromosome. Durch ihre geringe Größe lassen sie sich oft nicht entdecken, zählen und können in der Regel nicht über die Bandmuster identifiziert werden.
Auf jeden Fall bezieht sich eine angegebene Chromosomenanzahl auf den vollständigen Chromosomensatz aller Körperzellen. In den Körperzellen liegt jedes Chromosom in doppelter Anzahl vor (2n). Der vollständige Chromosomensatz der Körperzellen wird auch als diploider Chromosomensatz (di = zwei) bezeichnet.
Bild 11: Karyogramm des Chromosomensatzes eines weiblichen Kanarienvogels.12
Bei den meisten Arten übernehmen zwei Chromosomen eine klar erkennbare Aufgabe, denn sie bestimmen das Geschlecht des Individuums. Diese beiden Chromosomen unterscheiden sich durch ihre besondere Form und man nannte sie deshalb X- und Y-Chromosom. Diese Geschlechtschromosomen werden auch als Gonosome oder als Sex Chromosome bezeichnet. Alle anderen Chromosomen bekommen den Namen Autosom oder Non-Sex Chromosom.
Bei den meisten Pflanzen und Tieren besitzen die Weibchen zwei X-Chromosomen und die Männchen ein X- und ein Y-Chromosom in allen Körperzellen.
Bei allen Vögeln und bei einigen Reptilien und Schmetterlingen ist es jedoch anders. Bei diesen Arten besitzen die Männchen zwei Z-Chromosomen und die weiblichen Vögel ein Z-und ein W-Chromosom in den Körperzellen. Ursache soll sein, dass sich im Laufe der Evolution bei Vögeln und Reptilien diese Geschlechtschromosomen aus anderen Chromosomen entwickelt haben, als es bei Säugetieren der Fall war.11, 12
Trotzdem werden in der Vogelliteratur häufig die Bezeichnung X- und Y-Chromosom verwendet. Da es jedoch zwei sehr unterschiedliche Dispositionen zwischen Vögeln und anderen Lebewesen gibt, sollte auch in der Vogelliteratur das Z-W-Schema verwendet werden. Als kleine Eselsbrücke für den anfänglich ungewohnten Umgang mit diesen Bezeichnungen kann man sich für W-Chromosom „W = Weibchen“ gut merken.
Im Gegensatz zu den Körperzellen besitzen Samen- und Eizellen (Keimzellen) nur den halben Chromosomensatz, demnach bei Kanarien ±40 (1n = ±40). Der halbierte Chromosomensatz wird deshalb auch als haploider Chromosomensatz bezeichnet. Die Halbierung der Chromosomen geschieht bei der Entwicklung der Geschlechtszellen in den Hoden oder den Eierstöcken während der Meiose.
Würde der Chromosomensatz der Keimzellen nicht halbiert, so müsste nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle das gezeugte Kind statt ±80 doppelt so viele, nämlich ±160 Chromosomen besitzen – in der nächsten Generation ±320 usw. Durch die Halbierung der Chromosomen in den Geschlechtszellen haben jedoch alle Nachkommen immer wieder ±80. Während der Befruchtung werden somit ±40 (1n = ±40) Chromosomen des Vaters und ±40 (1n = ±40) Chromosomen der Mutter zusammengeführt.
Die Geschlechtszellen mit ihrem halbierten Chromosomensatz können nur jeweils ein Geschlechtschromosom besitzen. Die Samenzellen der Vogelmännchen haben immer nur eins der zwei möglichen Z-Chromosomen, die Eizellen der Vogelweibchen entweder ein ZChromosom oder ein W-Chromosom.
Die Chromosomen bestehen aus DNA-Molekülen und diese wiederum bestehen aus zwei Einzelstrangmolekülen, die schraubenartig umeinander gewunden sind und dann als Doppelhelix bezeichnet werden.
Die Doppelhelix ist in ihrer Struktur vergleichbar mit einer Wendeltreppe. Die „Treppenwangen“ bestehen aus Zucker und Phosphat. Dazwischen liegen die „Treppenstufen“, die aus den vier organischen Basen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C) gebildet werden.
Diese vier Basen fügen sich zu immer gleichen Paaren zusammen:
Adenin (A) mit Thymin (T)
Guanin (G) mit Cytosin (C)
Die Gesamtlänge der DNA in einem einzigen Zellkern einer einzigen Körperzelle ist enorm, so dass sie sich extrem zusammenfalten muss, um Platz zu finden. Beim Menschen kann die aufgerollte DNA-Länge zwei Meter betragen. Auf diesen zwei Metern DNA befinden sich etwa sechs Milliarden Basenpaare, die ca. 50.000 Gene codieren.
Bild 12: Struktur der DNA-Doppelhelix.
Diese einzelnen DNA-Basen sind mit Buchstaben einer Schrift vergleichbar. Die Abfolge von drei Basen („Buchstaben“) bilden ein „Wort“, das Triplett oder auch Codon genannt wird.
Dieser so genannte Triplett-Code bestimmt (codiert), welche der 22 proteinogenen Aminosäuren an einer bestimmten Stelle in einem Protein eingebaut werden sollen. Außerdem muss Beginn (Start) und Ende (Stopp) der jeweiligen Befehlsreihe gekennzeichnet werden.
Ein Abschnitt einer DNA mit einer größeren Anzahl von Tripletts, einschließlich des Startcodons und einem Stoppcodon, bilden ein Gen, auch Erbanlage, Erbfaktor oder Faktor genannt.
Mit den vier DNA-Basen – aufgeteilt in Tripletts – sind demnach 43 = 64 verschiedene Codierungen möglich. Zur Synthese von proteinogenen Aminosäuren sind aber nur 24 Codierungen notwendig. Daher sind fast alle dieser Aminosäuren mehrfach codiert. So kann z. B. der Code für die Aminosäure Lysin AAA oder AAG lauten. Außerdem finden sich eine Vielzahl nicht codierender und auch regulierender DNA-Abschnitte, die z. B. bestimmen, welche Mengen an Protein in einer Zelle hergestellt werden sollen.
Damit wird die Komplexität der Genstruktur deutlich, die ein wesentlicher Grund ist, dass bis heute die genaue Genanzahl im Erbgut des Menschen nicht bekannt ist, obwohl die DNA-Sequenzen entschlüsselt werden konnten.
Die Gene sind die Baupläne für die Proteine, die die Grundbausteine zur Herstellung von Hormonen, Muskelfasern, Nervenzellen, Spermien oder Federn und vielen anderen Körperstrukturen darstellen.
Die im Zellplasma befindlichen Ribosome synthetisieren die verschiedenen Proteine. Welche Proteine es sein sollen, erhalten die Ribosome per Befehl von der DNA des Zellkerns. Dazu müssen die entsprechenden DNA-Codes vom Zellkern über das Zellplasma zu den Ribosomen gelangen.
Diese Aufgabe übernehmen verschiedene RNA-Moleküle (Ribonuclein acid). Das RNAMolekül ähnelt dem chemisch eng verwandten DNA-Molekül, ersetzt aber die Aminosäure Thymin durch die Aminosäure Uracil.
Diese nunmehr in der RNA verankerte Umschrift wandert zu den Ribosomen. Die RNA fungiert also als Bote und wird deshalb auch als Messenger-RNA (mRNA) bezeichnet.
Bild 13: Transkription.
Im Ribosom angekommen, erzeugt die RNA mit ihrem Code die einzelnen Aminosäuren. Der Triplett-Code „UAU“ bedeutet z. B. die Herstellung der Aminosäure „Tyrosin“.
Viele Aminosäuren, in wechselnder Abfolge und Häufigkeit, stellen ein Protein dar.
Bestimmte Abschnitte der DNA – eine größere Anzahl von Tripletts mit einer dreifach größeren Anzahl an Basenpaaren – tragen festgelegte Erbinformationen. Diese Abschnitte werden Gene oder auch Erbanlage, Erbfaktor oder Faktor genannt.
Gene und seine Allele sind in jedem Chromosom vorhanden. Befinden sich die Gene auf einem Nicht-Geschlechts-Chromosom (einem Autosom), sind sie an dieses Autosom gekoppelt und diese Merkmale werden mit diesem vererbt. Wir nennen dies freie Vererbung oder unabhängig vom Geschlecht oder autosomale Vererbung.
Auch wenn sich die Gene auf dem Z-Chromosom (dem Gonosom) befinden, werden die Merkmale mit diesem vererbt. Sie sind an das Z-Chromosom gekoppelt. Wir sprechen dann von einer geschlechtsgebundenen Vererbung oder von der gonosomalen Vererbung.
Das W-Chromosom des Vogelweibchens besitzt ebenfalls Gene und Allele. Diese haben für unsere Betrachtungen jedoch keinerlei Bedeutung. Vermutlich sind die Gene des WChromosoms für typisch weibliche Eigenschaften verantwortlich.
Die Anzahl der Gene, deren Lage in dem jeweiligen Chromosom und ihre genetische Information sind für jedes Lebewesen charakteristisch und stellen das Erbgut (Genom) dar.
Proteine, die alle biochemischen Prozesse im Organismus steuern, werden als Enzyme bezeichnet (früher Fermente genannt). Enzyme wirken als Katalysatoren, lösen demnach Stoffumwandlungen aus und/oder verändern die Geschwindigkeit dieser Prozesse. Enzyme und Polypeptide sind letztendlich Proteine, die aus unterschiedlich vielen Aminosäuren bestehen.
ase