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The Nelson Pediment in King William Court, Old Royal Naval College, Geenwich; Giebelrelief aus Coade Stone, 1808-1812
Schloss Herrenchiemsee für König Ludwig II. von Bayern (Bauzeit: 1878-1886), Fassadenmittelteil; fast der gesamte Fassadenschmuck des Schlosses besteht aus Villeroy & Boch-„Terrakotta".
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Gesamtgestaltung: Arthur Fontaine
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ISBN 978-3-7494-9187-2
Im Mittelpunkt der Darstellungen in diesem Buch stehen zwei gleichartige keramische Kunststein-Materialien, die zu ihrer Zeit als bedeutsame Werkstoffe für skulpturale Objekte, Bau- und Gartenschmuck sowie – in geringerem Maß – für Gebrauchsartikel verwendet wurden.
Der Coade-Stein (artificial stone) wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts in England entwickelt und war mindestens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Ursprungsland und darüber hinaus vor allem in der englischsprachigen Welt verbreitet und als sehr hartes und dauerhaft wetterfestes Material geschätzt. Noch heute sind viele Hundert Coade-Bauanwendungen und -Einzelobjekte bekannt und unversehrt erhalten. Sie werden in England als nationales Kulturgut betrachtet und entsprechend behandelt.
In deutschsprachigen Landen ist keine Verwendung von Coade-Produkten belegt. Dies ist wohl der Hauptgrund dafür, dass der Coade-Stein hier weitgehend unbekannt geblieben ist. Es gab lediglich einige mehr oder weniger zutreffende Berichte, die erstmals zu Ende des 18. Jahrhunderts zu dem Versuch geführt haben, das englische Material auch in Deutschland herstellen zu wollen. Der Erfolg blieb aus, weil nur unzulängliche spezifische Informationen vorlagen. Hierüber berichtet der Exkurs zu Martin Klauer in Weimar.
Von anderen Vorbildern geleitet, initiierte Karl Friedrich Schinkel zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Berlin die Herstellung künstlerisch und technisch hochwertigen keramischen Bauschmucks, der auch skulpturale Objekte umfasste. Dabei verwendete man aber einen Materialansatz, mit dem wesentliche Eigenschaften des Coade-Steins letztlich nicht erreicht werden konnten, entgegen der von verschiedener Seite propagierten Gleichstellung. Der zweite Exkurs befasst sich daher mit „Berliner Terrakotta".
Ohne die Absicht, das Material des Coade-Steins zu erzielen und es gar für Skulpturen oder Architekturteile zu verwenden und ohne Kenntnis der Coade-Technologie, gab es im Keramikunternehmen Villeroy & Boch in Mettlach in den 1830er- und 1840er-Jahren Materialentwicklungen mit ganz anderer Bestimmung: Man strebte mit keramischem Kunststein einen sehr harten, dauerhaften Bodenbelag an und hatte Erfolg. Vergleicht man die Struktur dieses Materials mit dem des Coade-Steins, so ist im Wesentlichen Gleichartigkeit festzustellen. Optimierungen des neuen Werkstoffs bei Villeroy & Boch führten zur erfolgreichen Anwendung u. a. im skulpturalen Bereich und als Bauschmuck.
Die Produkte waren fast 100 Jahre lang auf dem Markt, weltweit. Eine ansehnliche Zahl dieser Objekte ist heute noch vorzufinden, solche im Freien ohne Verwitterungsspuren.
Das Buch will die verschiedenen angesprochenen Produkte getrennt voneinander darstellen. Die so mögliche Transparenz hilft, klar abzugrenzen sowie bestehende Irrtümer und Missverständnisse zu korrigieren. An dieser Stelle soll nochmals betont werden, dass es bei den folgenden Inhalten ausschließlich um keramische Produkte und um keramischen Kunststein geht, der nicht mit dem hydraulisch (z. B. mit Zement) gebundenen sogenannten „Werkkunststein" verwechselt werden darf.
Mein herzlicher Dank gilt allen, die mit Informationen, Hinweisen und dem Bereitstellen von Bildmaterial zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben. Namentliche Nennungen erfolgen in den Anmerkungen und im Bildquellenverzeichnis.
Der Autor
Der Ton ist bekanntlich ein auf der ganzen Erde verbreiteter, reichlich vorkommender und leicht zu gewinnender Naturstoff. Dies und seine leichte Bildsamkeit in feuchtem Zustand sowie die relativ einfache Verfestigung des geformten Objektes durch Trocknen und Hitzeeinwirkung machten ihn zu einem der ersten bedeutenden Werkstoffe des Menschen u. a. für Baumaterial und Gebrauchsgegenstände.
Außer zur Herstellung praktischer Artikel für das tägliche Leben fordert die Plastizität des Materials Gestaltungswillen und Kreativität geradezu heraus. Dies belegen Funde ornamental oder figural verzierter Alltagsprodukte sowie skulpturaler Objekte schon aus der Vorzeit und aus allen Kulturen. Früh fand man heraus, dass unterschiedliche Tonsorten nicht nur verschiedenfarbige (z. B. rötliche oder gelbliche) Werkstücke lieferten, sondern auch solche mit unterschiedlichen Eigenschaften, ferner, dass die Variation der Herstellungstechnologie, z. B. der Brenntemperatur und der Oberflächenbehandlung, die Produkteigenschaften weiter differenzierbar machten.
Diese Entwicklung führte zur heutigen enormen Vielfalt des überwiegend auf Ton basierenden und mit dem aus dem Griechischen kommenden Begriff „Keramik" bezeichneten Wirtschaftszweiges. Die im Laufe der Zeit stark gewachsene Varietät machte eine Gliederung und Systematisierung der keramischen Erzeugnisse notwendig. Hierzu wurden zahlreiche Versuche unternommen und verschiedene Systeme der Klassifikation entwickelt. Zum Aufbau einer Systematik ordnete man bestimmten typischen Eigenschaften eines gebrannten Objektes, des Scherbens, Sachbegriffe zu. Solche, zur Definition des Scherbens herangezogenen Eigenschaften sind z. B. Farbe, Festigkeit, Dichte (Porosität), Transparenz und Oberflächenbeschaffenheit. In unserem Zusammenhang interessieren die, verschiedenen keramischen Materialklassen angehörenden, Tonprodukte „Terrakotta" und „Steinzeug".
Der Begriff Terrakotta ist vom italienischen „terra" und „cotta" (gebrannte Erde) abgeleitet. Er bezeichnet meist künstlerisch gestaltete Tonobjekte aus der Keramik-Klasse der „Irdenware", zu der u. a. auch die einfache Töpferware zählt. Irdenware, entsprechend Terrakotta, wird durch folgende Merkmale des Scherbens bestimmt: porös, undurchsichtig, vorwiegend farbig (rötlich, gelblich usw.) brennend, meist unglasiert. Der Brand erfolgt in der Regel bei 900 bis 1050° C. Dabei treten die Masseteilchen des Formlings dicht zusammen und verbinden sich zum ausreichend festen, aber noch porösen Scherben. Durch Auswahl und Manipulation der Tonrohstoffe können Terrakotten u. a. einen feinkörnigen oder einen grobkörnigen Scherben erhalten, je nach Verwendungszweck. So wird man Terrakotta-Plastiken eher mit feiner, Terrakotta-Bauschmuck und -Vasen eher mit gröberer Masse herstellen. Die Porosität der Terrakotta führt prinzipiell zu erhöhter Wasseraufnahmefähigkeit und wegen der daraus resultierenden Frostgefährdung zu geringerer Dauerhaftigkeit bei Verwendung im Freien. Durch verschiedene Maßnahmen kann dies in Grenzen verbessert werden, z. B. durch Erhöhung der Brenntemperatur, soweit der Ton dies zulässt und nicht erweicht oder gar schmilzt.
Neben dieser materialbezogenen Bestimmung wird der Begriff Terrakotta in anderen Zusammenhängen, z. B. in der Kultur- und Kunstgeschichte, auch mit anderen Bedeutungen verwendet, sodass eine letztgültige Definition nicht möglich ist.
Steinzeuge sind Tonprodukte, die durch folgende Merkmale bestimmt sind: harter, dichter, weitgehend porenloser, undurchsichtiger, farbig oder hell (weißlich) brennender, unglasierter oder glasierter Scherben. Die gegenüber Terrakotta deutlich größere Härte von Steinzeug führt bei diesem zu erheblich höherer Belastbarkeit bei mechanischen Krafteinwirkungen. Die Dichtigkeit verhindert Wasseraufnahme in den Scherben und ergibt so völlige Wetter- und Frostbeständigkeit. Härte und Dichte erhält der Scherben durch vollständiges Sintern (Verglasen) des Formlings beim Brand, indem bestimmte, in der Tonmasse enthaltene oder/und ihr zugegebenen Mineralien (Flussmittel) bei hohen Temperaturen (etwa 1250° C) schmelzen, so vorhandene Poren ausfüllen und die Masseteilchen sehr fest und dauerhaft miteinander verbinden. Steinzeugmassen lassen sich prinzipiell zu den gleichen Produkten verwenden wie Terrakotta (mit den oben aufgezeigten Eigenschaftsunterschieden, die sich vor allem dadurch ergeben, dass Terrakotten nie so hoch gesintert sind wie Steinzeuge).
Steinzeugtone ermöglichen völlige Durchsinterung aufgrund ihrer natürlichen Zusammensetzung. Steinzeugartigkeit kann auch künstlich durch Kombination der erforderlichen einzelnen Komponenten erzielt werden. Das Ergebnis einer solchen Materialkonstruktion ist ein entsprechender keramischer Kunststein. Seine Bedeutung für die Darstellungen in diesem Buch ist bereits im Vorwort aufgezeigt worden. Der Hauptvorteil einer solchen Materialkonstruktion besteht darin, dass man sich in gewissem Maß von den Eigenarten eines Tons unabhängig macht, so vor allem die Produkteigenschaften in Grenzen bessere lenken und optimaler an verschiedene Anforderungsprofile anpassen kann. Dabei ist wesentlich, dass die Vorteile des natürlichen Steinzeugs, vor allem seine Härte und Dichtigkeit, auch im Kunststein realisiert werden.
Zur Formgestaltung wird die keramische Masse durch Aufbereitungsarbeiten möglichst homogen gemacht, d. h. vor allem, es werden störende Fremdstoffe ausgeschieden. Zur Aufbereitung gehört z. B. auch das „Abmagern" zu „fetter" (zu plastischer) Tone durch Zugabe von Magerungsmitteln, wie etwa Quarzsand, um die Formerhaltung während der weiteren Verarbeitung zu verbessern. Im Zug der Aufbereitung wird der keramischen Masse, sofern erforderlich, auch fein zerkleinertes keramisches Material (Schamotte, Scherben u. ä.) zugemischt, das, da schon einmal gebrannt, die durch Wasserentzug hervorgerufene allseitige Schwindung des Formlings beim Trocknen und Brennen verringert.
Die Formgebung kann mit verschiedenen Verfahren geschehen. In unserem Zusammenhang steht die technische Reproduktion, der Einsatz wiederverwendbarer Formen (Modeln, Matrizen) aus Gips, im Vordergrund. Ihre Anwendung erfolgt in der Regel für Artikel, die in größerer Stückzahl, als Serienware, entstehen sollen. Die Gipsformen werden durch Abgießen von Urformen, d. h. vorhandenen oder neu geschaffenen Modellen, als Negativformen gewonnen. Sie können bis zu einhundert Mal verwendet werden. In die Formen wird die keramische Masse manuell in Wandstärke eingedrückt. Bei komplizierten Werkstücken bestehen die Formen aus mehr oder weniger vielen Teilformen, die vor dem Einbringen der Masse zusammengesetzt werden müssen. Bei hohlen Produkten, z. B. Figuren, muss die Form aus mindestens zwei Teilen, einem Ober- und einem Unterteil, bestehen, damit der Formling aus der Form entnommen werden kann.
Nach der Einformung folgt eine erste Trocknungsphase des Werkstücks in der Gipsform, die durch ihre Saugfähigkeit der Masse Wasser entzieht. Danach wird die Form abgenommen und es werden die an dem noch bearbeitbaren Formling erforderlichen Nacharbeiten ausgeführt (Ausbessern von Fehlstellen, Entfernen von Graten an Nähten, Glätten der Oberfläche usw.). Ferner werden gegebenenfalls Teile angefügt (bossiert, garniert), die aus technischen Gründen nicht direkt am Kern gebildet werden können und separat geformt werden müssen, z. B. Kopf, Arme und Attribute. Im Anschluss folgt eine zweite Trocknung, schließlich der Brand. Da der Formling beim Trocknen und Brennen (trotz Maßnahmen der Aufbereitung) schwindet, müssen bei Werkstücken, deren Endmaße fest vorgegeben sind, die Gipsformen um diese Beträge größer sein.
Eine weitere Methode der Formgebung ist die Modellierung aus der freien Hand (Originalmodellierung) durch Modelleure oder Bildhauer nach verschiedenen Verfahren. Als Vorlage dienen in diesem Fall meist Modelle oder Zeichnungen. Diese Methode findet Anwendung, wenn ein einzelnes Werkstück gefordert ist oder ein Unikat entstehen soll.
Als Coade-Stein (Coade stone) wird der keramische Kunststein (artificial stone) bezeichnet, der in der Manufaktur von Eleanor Coade bei London von 1769 bis zu ihrem Tod 1821 und darüber hinaus bis in die 1840er-Jahre erzeugt und in Form von dauerhaften, frostbeständigen Architektur-Schmuckteilen, skulpturalen Objekten, Gartenartikeln und anderem in großem Umfang angewendet wurde. Mit dem Anspruch, Hersteller von artificial stone zu sein, traten seit den 1720er-Jahren verschiedene Keramiker in London auf. Hohen technischen Standard bei anspruchsvoller künstlerischer Gestaltung der Produkte und weiter Verbreitung über einen Zeitraum von mehr als 70 Jahren erreichten jedoch nur die Coade-Manufaktur und ihre Nachfolger.
Die Coade-Erzeugnisse waren mit dem Ziel konzipiert, Ersatz für den klassischweißen Portland-Naturstein zu sein, dem er dann auch in der Optik und Oberflächenstruktur weitgehend entsprach; die Menschen hatten den Eindruck, diesen Naturstein zu sehen. Die Produkte waren auch deshalb erfolgreich, weil sie die Stil- und Architekturvorstellungen der Zeit, der Georgianischen Periode, bedienten. Als geformt hergestellt und technisch reproduzierbar, waren sie schließlich stets deutlich preisgünstiger als Natur-Haustein und diesem zudem an Dauerhaftigkeit deutlich überlegen.
Coade-Produkte findet man in allen Teilen der britischen Inseln. Exportiert wurde u. a. nach Nord- und Südamerika, in die Karibik, nach Polen und Russland. Unter den bekannten Exportländern ist Deutschland nicht vertreten.1 Dieses Fehlen von Coade-Erzeugnissen erklärt wohl auch, weshalb im deutschsprachigen Raum heute so wenig über dieses Material und seine Produkte bekannt ist, ja sogar falsche Angaben zu finden sind.2
In England wurde auch nach der Zeit von Coade von anderen noch eine Zeit lang keramischer Kunststein nach dem Coade-Rezept hergestellt, bis die Entwicklung in Material, Stil und Architektur endgültig anderes wollte. Danach geriet dieser Kunststein im Ursprungsland für lange Zeit fast vollständig in Vergessenheit. In den 1980er-Jahren beschäftigte sich dann die englische Kunsthistorikerin Alison Kelly intensiv mit der Erforschung der in verflossener Zeit so bedeutsamen Produkte und ihrer Materialgrundlage. Dabei entdeckte sie viele Hundert erhaltene Exemplare dieser Art (von denen die Objektfotos im ersten Kapitel dieses Buches eine Auswahl zeigen), während bis dahin nur noch eine Handvoll bekannt waren. Als eine Ursache für den scheinbaren Verlust betrachtet Kelly das natursteinähnliche Aussehen von Coade-Produkten, das eine einfache Unterscheidung sehr erschwert und Verwechselungen begünstigt, erst recht, wenn ein (nicht notwendiger) Anstrich erfolgt ist.
Kelly hat ihre Forschungsergebnisse 1990 in einem umfassenden Werk publiziert.3 Es ist die Quelle für die folgenden Darstellungen zu Coade, sofern nichts anderes angegeben wird. In diesem Hauptwerk hat Kelly die wesentlichen Aussagen zum Coade-Komplex einbezogen, die sie bereits 1985 in ihrem Artikel „Coade stone in Georgian Architecture" in der Zeitschrift „Architectural History" veröffentlicht hatte.
Die letzte größere Arbeit zum Coade-Thema stammt von der Kunsthistorikerin Caroline Stanford. Der Artikel ist 2016 im „Georgian Group Journal" abgedruckt worden. Stanford konnte den Faktenbestand zum Thema vermehren und so mit dem einen oder anderen Aspekt das bisherige Bild erweitern. Der Autor dieses Buches entdeckte eine frühe deutsche Quelle, die zu einer punktuellen Verdichtung der Coade-Historie beitragen kann. Ein hilfreicher Begleiter für Besucher von Stätten in Großbritannien, an denen noch Coade-Objekte anzutreffen sind, ist das handliche Buch „Coade Stone" von Hans van Lemmen.
Detail der allegorisch personifizierten Darstellung des Flusses Themse vor dem Harn House, Surrey, um 1884 (siehe auch Abbildung S. →)
„Father Time" (Vater Zeit), allegorische Figur an einem Grabmal in Rochester Cathedral, 1793 (Entwurf: Thomas Banks)
Wie bereits angedeutet, war schon vor Coade der Anspruch auf die Erfindung eines keramischen Kunststeins in England erhoben worden. 1722 erhielt ein Richard Holt zwei Patente, eines für „artificial stone", wie er sein Erzeugnis nannte. Dabei verschleierte er, um Nachahmer abzuhalten, die Produktbeschreibung so, dass sie weitgehend unverständlich blieb. Er sprach z. B. von „flüssigem Metall". Holt gründete seine Manufaktur in der Ortschaft Lambeth in einer spärlich besiedelten Gegend unmittelbar am Südufer der Themse, der damaligen Stadt London gegenüber auf dem anderen Flussufer. Die Lage des Betriebes wird detailliert beschrieben als unmittelbar an King's Arms Stairs, einem Landzugang von der Wasserseite aus, gelegen. Landeinwärts führte von der Themse aus eine kleine Straße „College Street", bis zu einer Parallelstraße zum Fluss, die „Narrow Wall" (heute „Belvedere Road") hieß.4 Holt fertigte Architekturteile – Friese, Kapitelle, Kaminaufbauten u. a. – sowie Figuren und Vasen. Holt-Produkte konnten bisher nicht identifiziert werden. Später (1770) wurde von Daniel Pincot, ebenfalls einem Keramiker, geäußert, dass Holt's Geschäft eine Zeit lang floriert habe, auch wenn seine Produkte, so kritisch, weder künstlerisch noch technisch befriedigen konnten.
Trotz der Bemühungen Holt's, sein Patent gegen Fremdgebrauch abzusichern, trat alsbald ein Batty Langley in Erscheinung, der nach eigenen Angaben unter Nutzung von Holt's Rezept "artificial stone"-Produkte in seiner Manufaktur nahe Southwark produzierte. Verständlicherweise geriet er darüber mit Holt in heftigen Streit, der über Monate mit Anzeigen und Gegenanzeigen in der Presse ausgetragen wurde. 1730 hatten sich die Argumente der Gegner offenbar erschöpft und die Kampagne fand ein Ende. Langley stellte die gleichen Produkte her wie Holt. Auch von den Erzeugnissen Langley's sind keine mehr bekannt. Er starb 1751. Über das Todesdatum Holt's gibt es keine sicheren Erkenntnisse. Die oben angeführte kritische Quelle vermerkt auch, dass mit seinem Tod sein Betrieb erloschen sei.
Fast vierzig Jahre später, im Januar 1767 gab der schon erwähnte Daniel Pincot bekannt, dass er in Goulston Square, Whitechapel, eine Manufaktur für keramischen Kunststein gegründet habe. Seine Produktpalette entsprach der von Holt und Langley. Wenige Monate später zeigte ein George Davy an, dass dort, wo Pincot eröffnet hatte, jetzt er keramischen Kunststein erzeuge. Pincot sei mit seiner Produktion über den Fluss nach Narrow Wall gezogen. 1871 ist die letzte Werbung von Davy zu verzeichnen. Im gleichen Jahr verkaufte er alle seine Produkte „vorbehaltlos". Zwei oder drei Jahre später ist das Unternehmen wahrscheinlich aufgegeben worden. Eine der möglicherweise letzten Arbeiten Davy's erlitt noch im gleichen Winter erhebliche Frostschäden. Hersteller dieses frostunbeständigen Produktes könnte auch ein Mr. Bridges gewesen sein, der im Mai 1775 bei Christies den restlichen Vorrat seiner Erzeugbisse verkaufte.5
Hauseingang in Bedford Square, London, mit zeittypischem Coade-Schmuck, etwa 1775
Fensterschlussstein mit dem Kopf eines lachenden Satyrs, 1791
Eleanor Coade wurde am 24. Juni 1733 in Exeter geboren, wo ihr Vater, George Coade, einen Wollhandel betrieb und wohin er mit seiner Frau kurz nach der Verheiratung vom küstennahen Lyme Regis in Dorset verzogen war. Dass andere Familienmitglieder der Coades in Lyme Regis ansässig blieben, wurde später für Eleanor noch insofern von Bedeutung, als sie 1784 von ihrem Onkel ein Haus in Lyme Regis, Belmont genannt, als Erholungsdomizil übernahm.
Lange Zeit sehr erfolgreich, ging Georg Coade während einer Krise des Wollhandels bankrott. Er siedelte daraufhin mit seiner Familie nach London um, wo sie 1762 feststellbar ist. Eleanor gründete hier ein Wäschegeschäft und war damit erfolgreich. 1769 ging ihr Vater erneut bankrott und verlor nun den gesamten noch verbliebenen beziehungsweise wiedererworbenen Besitz in Exeter. Offenbar starb er noch im gleichen Jahr.
Wahrscheinlich infolge dieser Ereignisse ergriff Eleanor Coade die Initiative und nahm mit Ihrer Mutter und der im Haushalt lebenden Schwester noch im selben Jahr eine neue Wohnung, die Adresse: Narrow Wall. Die Wohnung befand sich im gleichen Gebäudekomplex, in dem Daniel Pincot 1767, also zwei Jahre zuvor, seine Kunststein-Manufaktur eröffnet hatte. An diesem Punkt lassen sich die weiteren Zusammenhänge bereits erahnen: Eleanor Coade hatte sich entschlossen, im Keramikbereich einzusteigen. Die Motive hierfür sind nicht bekannt. Sie kaufte offenbar das möglicherweise schwächelnde Unternehmen des Pincot mit allen Rechten. Pincot war fortan ihr technischer Betriebsleiter und Designer. Woher Eleanor das Geld für den Kauf hatte, ist ungeklärt. Das Vermögen der Mutter war durch den Bankrott ihres Mannes verloren. Die Geschäftstätigkeit Eleanors mit dem Wäschehandel hatte wohl nur den Lebensunterhalt der Familie gesichert.
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Coades Dissenters (Nonkonformisten)6 waren. Von ihnen wird gesagt, dass sie sich gegenseitig unterstützten. Dies könnte eine der Geldquellen gewesen sein. Weiterhin gibt es Indizien dafür, dass wohlhabende Familienangehörige mit Krediten halfen. Es ist nicht bekannt, wie Eleanor Coade und Pincot miteinander in Kontakt gekommen sind. Pincot war ebenfalls Dissenter, sodass sich beide vielleicht in diesen Kreisen kennengelernt hatten.
Alison Kelly äußert sich nicht zur offenen Frage, ob Pincot 1767 die Räumlichkeiten in Narrow Wall neu errichtet oder eine bestehende Keramikwerkstatt erworben hatte. Eine Neuerrichtung ist angesichts der sehr kurzen Zeitspanne zwischen seiner Eröffnung in Goulston Square und dem Wechsel nach Narrow Wall sehr unwahrscheinlich. Hierzu gibt eine, Kelly und anderen wohl unbekannt gebliebene deutsche Quelle von 1807 eine Auskunft. Nachdem der Verfasser eines Reiseberichts durch England „artificial stone" beschrieben hat, führt er aus:
„Macarty, ein Schottländer, ehemals in preußischen Kriegsdiensten, ließ sich vor ungefähr vierzig Jahren, mit dieser von ihm erfundenen Komposizion in London nieder. Da er aber das Zweckmäßige und Vorteilhafte davon, nicht genug kannte, so sah er sich genötigt, sein Etablissement aufzugeben, welches jedoch, von Coade und Co. fortgesetzt, seitdem, in Ansehung des großen Umfanges der Fabrik, den ersten Rang behauptet. "7
Hatte Pincot den Betrieb des Macarty in Lambeth übernommen? Jedenfalls sind die Zeitangaben im Bericht zutreffend, sie führen direkt zum Jahr 1767. Ferner wird ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Macarty und dem Coade-Komplex hergestellt und die Detailangabe mit dem preußischen Militärdienst stützt die Aussage ebenfalls. Dass der Name Pincot keine Erwähnung findet, ist plausibel dadurch zu erklären, dass dieser zur Berichtszeit wohl schon in Vergessenheit geraten war. Insgesamt liegt hier also eine beachtlich glaubhafte Quelle vor.
In der Darstellung der Coade-Geschichte gab es bis zu den Forschungen von Kelly ein erhebliches Missverständnis. Obwohl nie verheiratet, wurde Eleanor Coade in ihrer Zeit als „Mrs Coade" tituliert. Da ihre Mutter ebenfalls Eleanor hieß, wurde hieraus der irrige Schluss gezogen, dass die Mutter, in der Tat eine Mrs, die eigentliche Eigentümerin des Unternehmens gewesen sei, zumindest bis zu ihrem Tod im Jahr 1796. Kelly stellt klar, dass in der georgianischen Gesellschaft einer Geschäftsfrau, ob verheiratet oder nicht, die Höflichkeitsanrede Mrs zugestanden hat und belegt die Eigentümerschaft der Tochter, Miss Eleanor Coade, zudem durch weitere Fakten. Es bleibt ein außergewöhnlicher und seltener Fall, dass eine Frau in der Gesellschaftsordnung dieser Zeit eine solche Position bekleidete, zudem sehr erfolgreich, weit bekannt und dies über viele Jahrzehnte.
Vorderseite Schomberg House. Pall Mall, Westminster, London, 1791: Hermen als Balkonstützen (Entwurf: John Bacon), Tafel mit der allegorischen Darstellung der Malkunst an der Balkonbrüstung
Antikisierte Statue, um 1820
Karyatide, St. Pancras Church, London
Löwe an der Westminster Bridge, London (Entwurf: William Woodington, 1837); ursprünglich, rot angestrichen, daher auch heute noch "Red Lion", auf dem Eingangstor einer Londoner Brauerei („Lion Browery")
Windhunde, nach 1813
Antikisierte embleniatische Figur der „Britannia" (Entwurf: Charles Rossi, 1788)
Medaillon ,,Frühling" (Entwurf: Samuel Wyatt, 1792)
Bank of Montreal: Allegorisches Relief „Handel" in antikisierter Darstellung (Entwurf: John Bacon, Modellierung: Joseph Panzetta/Thomas Dubbin, 1819)
„In einer Straße Narrow Wall genannt (von einem alten Deichwerk) ist der Mistreß Coade Fabrik von künstlichem Stein (artificial stone). Ihre Niederlage besteht aus verschiedenen sehr großen Zimmern, die mit allem, was bey der Baukunst als Zierrath gebraucht werden kann, ausgefüllt sind. Statuen, Vasen, Urnen, Kaminstücke, kurz, alles, was der zierlichste Meissel aus natürlichem Stein oder Marmor nur immer hervorbringen kann, ist hier um billige Preise zu haben. Die dauerhafte Beschaffenheit dieser künstlichen Steinwaren ist durch wiederholte Versuche ausser Zweifel gesetzt worden. "8
Für die Coade-Geschichte ist es bedeutsam, dass die ehemalige Manufaktur von Richard Holt unmittelbar am Flussufer verortet werden konnte. Denn es ist die Auffassung zu finden, da Pincot/Coade im selben Gebiet ansässig waren, dass beide Unternehmen den gleichen Standort hatten, ja, dass das jüngere das ältere des Holt übernommen hätte. Das kann aber deshalb nicht sein, weil die Coade-Manufaktur nie an den Fluss angegrenzt, sich vielmehr etwa 300 m im Inland befunden hat, nur von der Straße Narrow Wall aus unmittelbar zugänglich. Der Standort der Manufaktur wurde zudem 1951 lokalisiert, als das Gebiet für das „Festival of Britain" hergerichtet wurde.
Lage der Coade-Manufaktur an der Straße Narrow Wall in Lambeth (nach einem London-Plan von Richard Horwood, 1795)
Für einen ersten Einschnitt in der Coade-Firmengeschichte ist es bedeutsam, nochmals das geschäftliche Verhältnis von Eleanor Coade und Pincot klarzulegen: Eleanor war die Eigentümerin des Unternehmens, Pincot der angestellte Mitarbeiter in der Funktion des Betriebsleiters, der die fachpraktischen Erfahrungen einzubringen hatte, die Eleanor Coade fehlten. 1770 veröffentlichte Pincot eine Schrift über keramischen Kunststein. Darin findet sich keinerlei Erwähnung Eleanor Coades und der Coade-Manufaktur. War dies schon unklug, so beging Pincot 1771 den weiteren Fehler, eigenständig, ohne Rücksprache mit der Unternehmensinhaberin verbindlich Kundenkorrespondenz zu führen und Geschäfte abzuwickeln. Man hat den Eindruck, dass Pincot seinen Einfluss auf das Firmengeschehen ausweiten oder austesten wollte.
Dies ließ Eleanor Coade nicht zu und entließ Pincot fristlos. Sie teilte dies der Öffentlichkeit in zwei aufeinanderfolgenden Presseanzeigen am 11. und 14. September 1771 mit und betont ihre alleinige Eigentümerschaft. Damit endete Pincots Tätigkeit für Coade. Außer, dass er 1792 (1797) starb, gibt es keine weiteren Berichte über ihn. Es kann sein, dass Eleanor Coade der Bruch mit Pincot dadurch erleichtert wurde, dass sie bereits einen anderen, vielversprechenderen Designer und Modelleur im Auge hatte. Gut eine Woche nach dem Rauswurf Pincots präsentierte sie in zwei Zeitungsanzeigen den Nachfolger: John Bacon (1740-1799), ein keramischer Praktiker und Modelleur von der Pike auf und zusätzlich ab 1868 an der Royal Academie of Arts in London, deren Mitglied er 1770 wurde, ausgebildet. Er war, wie seine neue Arbeitgeberin, Methodist. Es gibt Hinweise darauf, dass es noch Pincot war, der Coade und Bacon miteinander bekannt gemacht hatte. Das Verhältnis Bacons zur Firma war klar geregelt: Eleanor Coade war die Unternehmerin und alleinige Eigentümerin, Bacon der leitende Angestellte.
So stellte Eleanor Coade von 1773 bis 1780 regelmäßig unter ihrem Namen, „Miss Eleanor Coade, Bildhauerin, S. of A. (Society of Artists)" auf der Jahresausstellung der Society eine Reihe ihrer Erzeugnisse aus. Ein nicht unwesentlicher Teil dieser Werke war nach Entwürfen Bacons in der Coade-Manufaktur entstanden, was Eleanor erst wesentlich später, nach dem Tod Bacons, diesem zugestand. Dies war möglich, weil zur damaligen Zeit die Auffassung von Urheberrechten sie als Herstellerin der Werke zu solchem Verhalten befugte. Eleanor zeigte aber auch eigene Modelle, wenn auch im Stil Bacons und in den Grundlinien antiker Gipsabgüsse. Die Arbeiten waren offenbar qualitativ hochwertig genug, dass sie in einer professionellen Kunstausstellung Aufnahme finden konnten.
Ansicht der Coade-Manufaktur um 1780/90
Bacons Beschäftigung in der Coade-Manufaktur umfasste die meiste Zeit seines Lebens (auch wenn er gelegentlich noch für andere Auftraggeber Entwürfe schuf). Sein rasch wachsender Ruf als Künstler und Modelleur trug zum zunehmenden Erfolg des Coade-Unternehmens wesentlich bei. Insbesondere sein Anklang beim Königshaus, dem Adel und den bedeutendsten Architekten des Landes und der Zeit führten zu herausragenden und zunehmenden Aufträgen für Coade mit Garantie besten Designs. Bacons Handschrift bestimmte aber nicht nur die besonderen Arbeiten, sein Stil und die qualitätsvolle Arbeitsausführung betrafen die Gesamtheit der Coade-Produkte. Neben den adeligen Auftraggebern waren laut Coade-Inserat von 1773 mehr als 140 Architekten und Bauherren Kunden des Unternehmens.
Diese Entwicklung spiegelte sich in dem Firmenkatalog „A descriptive Catalogue of Coade's artificial stone manufactory" wieder, der 1784 erschien und 778 Artikel (Modelle und ihre verschiedenen Größen sowie Varianten) umfasste, die meisten wohl nach den Entwürfen oder mit dem Plazet Bacons. Ab 1777 waren bereits Kupferstiche der Produkte veröffentlicht worden, die in den 1780er-Jahren zu Broschüren zusammengefasst wurden. Einige haben sich in britischen Sammlungen erhalten.