Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, geschilderten Schauplätze, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden.
Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Covergestaltung: TomJay - bookcover4everyone / www.tomjay.de
Titelbild: (c) Imageman / Shutterstock.com
Shadowgirl
von
Natasha Doyle
Erbärmlich. Das Wort passt perfekt zum Auftreten des Protagonisten in dem Thriller, den ich gerade lese. Aber genauso gut zu dem Benehmen am Tisch direkt neben dem Eingang, an dem fünf kichernde Mädchen sitzen. Dem, der vor dem großen Fenster steht. Eine von ihnen ist meine kleine Schwester.
Sie machen das regelmäßig. Stylen sich, gehen ins „Daydream“ und hoffen darauf, von einem Mann mit Blicken ausgezogen zu werden. Vermutlich, zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort, auch in der Realität.
Sehen und gesehen werden.
Mein Gott, ist das wirklich alles, was zählt - von einem Mann beachtet zu werden? Erbärmlich. Manchmal habe ich den Verdacht, das trifft auf beinahe jede Frau dieses Landes zu. Vielleicht sogar auf der ganzen Welt. Da ich Utah noch nie verlassen habe, kann ich darüber nichts sagen. Glaubt man aber dem Fernsehen, den Zeitschriften und dem Internet, habe ich recht.
Das „Daydream“ sollte mir gehören, mein Revier sein. Ich gehe seit Monaten hierher, aber das gefiel Marcella natürlich nicht und sie ist in meine Domäne eingefallen. Mit ihren besten Freundinnen. Wir spielen dieses Spiel schon seit zwei Wochen und keiner will nachgeben.
Besonders angetan haben es ihr die Bad Boys. Davon gibt es hier ja genug. Das Café soll angeblich den „Black Devils“ gehören. Bösere Jungs findet man wahrscheinlich nicht. Deswegen ist die Prinzessin ja hier. Ich würde gerne sagen, dass Dad ihr dafür den Hintern versohlen wird. Aber das wird nicht passieren. Es ist vollkommen egal, was sein Lieblingsmädchen anstellt. Sie wird nie dafür bestraft.
Drei Biker betreten das Café und die Mädchen setzen sich sofort in Pose. Sie giggeln und werfen den Männern Bemerkungen zu, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Natürlich funktioniert es. Marcella ist hübsch und vor allem ist sie eindeutig bereit, sich auf ein Abenteuer einzulassen.
Ich sollte gehen. Aber ich schaffe es irgendwie nicht.
Wäre ich auch so geworden, wenn die Dinge anders gelaufen wären?
Die Dinge.
Immer schön abstrakt bleiben, Aurora. Es bloß nicht beim Namen nennen. Dann vergisst du vielleicht für einen Moment, dass du anders bist.
Ganz sicher nicht. Marcella erinnert mich schließlich jeden Moment meines Lebens daran, genau wie mein Vater. In ihren Augen bin ich wertlos und hässlich. Sie lassen es mich spüren, mit Worten, Blicken und Taten.
Ich hasse meine Schwester nicht, sie weiß es nicht besser. Obwohl sie in zwanzig Jahren langsam verstanden haben sollte, wie unser Leben funktioniert. Vielleicht verschließt sie nur die Augen vor der Wahrheit. Vielleicht ist es ihr auch egal. Ihr Leben ist schließlich in Ordnung.
„Brauchst du den Stuhl?“, reißt mich eine Männerstimme aus meinen Gedanken.
Ich sehe auf und streiche automatisch die Haare über meine linke Gesichtshälfte. „Nein.“
Der Mann vor mir ist auffallend schön. Sein Gesicht perfekt, beinahe unmännlich - aber nur beinahe. Die blonden Haare fallen ihm über die Schultern und sein Lächeln ist umwerfend.
Genau Marcellas Typ. Bis hin zur Kutte, auf der ihn ein Patch als Member der „Black Devils“ ausweist.
„Was liest du da?“, fragt er neugierig.
Geh doch einfach.
„Ein Buch“, sage ich abweisend. Er lacht. Selbst sein Lachen ist schön. „Kann ich sonst noch was für Sie tun?“, frage ich kühl.
Er überlegt einen kurzen Augenblick. „Ja. Sag mir deinen Namen.“
„Nein und nun verschwinden Sie endlich, Ihre Groupies warten.“
„Dann eben ein andermal.“ Er zwinkert mir zu, schnappt sich den Stuhl und geht zurück zu Marcella und dem kichernden Mädchenhaufen.
Ich klappe mein Buch zu, packe es ein und gehe zum Tresen, um meine Rechnung zu bezahlen. Die Atmosphäre ist verdorben, vielleicht sollte ich mir doch einen anderen Rückzugsort suchen.
***
„Was wollte Babyface gestern von dir?“ Marcella lehnt am Empfangstresen der Bibliothek und starrt mich böse an.
„Was ist das denn für ein Name?“, reagiere ich automatisch, ohne sie wirklich zu beachten. Ich arbeite hier und Privatgespräche sind nicht erwünscht.
„Der von dem Biker im Café und nun antworte mir, Narbengesicht.“
Ich nehme die Augen vom Bildschirm und wende mich meiner Schwester zu. Die Beleidigung ist es nicht, die mich dazu bringt – sie ist nicht neu -, sondern ihr Tonfall.
„Ist er deine neueste Errungenschaft?“, erkundige ich mich und verziehe abfällig den Mund.
„Und wenn es so wäre?“ Ihr Tonfall ist ausgesprochen aggressiv.
„Wäre es mir herzlich gleichgültig. Musst du nicht irgendwo sein?“ Bei deinen idiotischen Freundinnen oder im Bett dieses Babyface-Kerls?
Der Name ist grauenhaft, passt aber zu seinem Aussehen. Ein Gesicht wie ein Baby - glatte Haut, blaue Augen, volle Lippen. Zu schön, um kein Arschloch zu sein.
Marcella geht nicht darauf ein. Sie stützt das Kinn in die Hände und sieht mich aus ihren großen, hellbraunen Puppenaugen an.
„Daddy hat gesagt, dass er mir ein neues Auto kauft. Ich kann mich nicht entscheiden, ob es nun ein Sportwagen sein soll oder ein Cabrio. Was würdest du nehmen?“
Wäre es eine andere Person, die mich das fragt, hätte ich dazu eine Meinung. Marcella will sie nicht wissen, sondern mir lediglich unter die Nase reiben, was unser Vater für sie tut. Mein Auto ist eine fünfzehn Jahre alte Rostlaube, die ich mir selbst gekauft habe.
„Ist mir egal.“
„Nein,“ sagt sie mit überheblichem Lächeln. „Das ist es nicht. Gib zu, dass es dich ärgert, dass Daddy mich mehr liebt als dich.“
Mehr? Der Mann hat noch nie so etwas wie Liebe für mich empfunden. Er liebt auch Marcella nicht. Sie ist für ihn lediglich ein hübsches Anhängsel, mit dem er sich gerne zeigt. Dann, wenn die Öffentlichkeit sehen soll, was für ein fürsorglicher und guter Vater er ist. Ein bedauernswerter Witwer, der seine Töchter ganz alleine großgezogen hat.
Eine von beiden, nämlich ich, wird allerdings vor den Augen der Welt so gut wie möglich versteckt. Jemand wie ich ist nicht medienwirksam – zumindest nicht im positiven Sinn.
Umberto Cassini liebt überhaupt niemanden. Sich selbst vielleicht am wenigsten. Aber sein Herz hängt an der Macht. Dafür würde er alles geben. Er ist Richter und soweit ich es beurteilen kann, wahrscheinlich käuflich. Ich habe dafür keine Beweise, aber auch nicht danach gesucht. Es ist mir egal.
Wenn ich könnte, wäre ich schon lange ausgezogen und hätte mir ein eigenes Leben aufgebaut. Aber ich kann nicht, weil er mich nicht lässt. Der Arm eines Richters ist lang und falls ich mir keine neue Identität zulegen und nach Kalifornien ziehen will, bleibt alles, wie es ist.
„Wieso sagst du nichts?“, schmollt meine kleine Schwester, als wäre sie ein Kind und keine Erwachsene.
„Marcella, was willst du von mir?“, frage ich mit einem nicht zu überhörenden Anflug von Ungeduld.
Sie grinst bösartig. „Dir ins Gesicht sehen und mich freuen, dass ich schön bin und du nicht.“
Mit einem kurzen Winken schlendert sie davon. Die Blicke mehrerer Männer folgen ihr. Wie gewohnt.
Ich trinke einen Schluck Wasser, um den unangenehmen Geschmack der Begegnung herunterzuspülen, krempele die Ärmel meines übergroßen Pullovers hoch und widme mich wieder meiner Arbeit.
***
„Wir haben Gäste, bleib in deinem Zimmer.“
„Jawohl, Sir“, sage ich, drehe mich um und gehe die Treppe hoch.
Ganz nach oben, denn mein Zimmer befindet sich unter dem Dach. Fünfzehn Quadratmeter, aber sie gehören mir. Nebenan ist eine Dusche mit Toilette, vielleicht insgesamt fünf Quadratmeter. Bad kann man das beim besten Willen nicht nennen.
Marcella und mein Vater teilen sich die gesamte Etage darunter – für jeden sind das mindestens sechzig oder siebzig Quadratmeter. Der König und seine Prinzessin.
Einen Teil meines Zimmers nimmt das Bett ein, den anderen ein Tisch, auf dem ein altes Notebook steht und der restliche Platz gehört einem schmalen Schrank. Ich brauche nicht viel. Früher war das anders. Bevor der „Zwischenfall“ passiert ist. Es stand sogar in den Zeitungen.
Tochter von Richter Cassini bei Einbruch schwer verletzt
Die Täter wurden nie gefunden. Natürlich nicht, diesen Einbruch hat es nie gegeben.
Ich klappe das Notebook auf und öffne das Dokument mit dem Titel „A Beautiful Death“. Es ist der Krimi, an dem ich seit ein paar Monaten schreibe. Er ist nicht zur Veröffentlichung gedacht. Ich schreibe für mich. Das ist eine Methode, meinem Leben zu entfliehen.
Ich hätte auch einen Liebesroman schreiben können, aber ich bringe lieber Menschen um, als mich an sie zu binden. Zumindest auf dem Computer. Ich weiß nicht, ob ich im realen Leben jemanden ermorden könnte. Wenn man mir den richtigen Anreiz bietet, warum nicht?
Mich in einen Mörder hineinzuversetzen, fällt mir leichter als in eine verliebte Frau. Ich war schon verliebt und ich hatte auch einen Freund. Das war allerdings vor dem „Zwischenfall“.
Danach gab es keine Romantik mehr, nur noch Sex in dunklen oder halbdunklen Räumen. Ein Nebenverdienst, von dem niemand etwas ahnt und genau so soll es auch bleiben.
Mein Körper ist so ansprechend, wie er es immer war, sogar schöner als mit sechzehn. Mein Gesicht ist es nicht mehr. Aber Männer brauchen auch nichts anderes als einen Körper, wenn es um die eine Sache geht. Ich schenke ihnen Lust, dafür braucht man kein ganzes Gesicht, nur einen Mund, den man spüren kann.
Ich mache es nicht des Geldes wegen, sondern weil ich mich attraktiv fühlen will, lebendig und vor allem begehrenswert. Vielleicht kann man es auch als eine abartige Form der Therapie bezeichnen.
Dass sie mein Gesicht nicht sehen dürfen und mich auch nicht oberhalb des Halses berühren, gibt vielen meiner Kunden einen besonderen Kick. Für den sie gerne mehr bezahlen. Ich könnte mir also durchaus ein besseres Auto leisten, aber das passt nicht zum Image einer unscheinbaren Bibliothekarin.
Wenn man es genau nimmt, bestehe ich aus zwei verschiedenen Personen. Zum einen ist da Aurora - die Bibliothekarin in den zu großen Klamotten, die den Kontakt zu anderen Menschen möglichst vermeidet. Unsichtbar, obwohl sie da ist.
Zum anderen „Shadow“, die Frau im Schatten, die nicht gesehen werden will, obwohl sie dadurch besonders wahrgenommen wird. Zwei halbe Leben und keins davon ergibt eine vollständige Person.
Es sind zwei so verschiedene Welten, dass ich manchmal nicht sicher bin, zu welcher ich eigentlich gehöre. Zu keiner, wenn ich ehrlich bin.
Freier lebe ich als Shadow. Aber das ist nur ein Spiel, auch wenn es sich oft sehr viel realer anfühlt, als Aurora Cassini zu sein.
Heute hat der Richter Gäste, also wird es viel Alkohol geben. Alkohol tut meinem Vater nicht gut. Er verändert seinen Charakter. Nein, er bringt ihn dazu, der zu sein, der er tatsächlich ist. Das personifizierte Böse.
Umberto Cassini wird sich zusammenreißen. Seine Prinzessin soll ihn schließlich für untadelig halten. Sie muss ihm bedingungslos gehorchen - aus Liebe, nicht aus Angst. Das setzt er nicht aufs Spiel. Immerhin plant Umberto, sie so hochpreisig wie möglich zu verheiraten.
Marcella hält das für Liebe, aber keine von uns beiden weiß, was das eigentlich bedeutet. Ich bin nicht einmal sicher, dass meine Schwester überhaupt zu größeren Gefühlen fähig ist. Bei mir bin ich sicher. Ich weiß, wie sich panische Angst anfühlt und wie es ist, jemanden abgrundtief zu hassen
Liam, der Mörder in meinem Buch, wird heute Nacht in das Haus eines weiteren Richters einsteigen und diesen bestialisch ermorden. Ja, das gefällt mir. Ich lege die Finger auf die Tasten und beginne zu schreiben.
***
BABYFACE
Lord hatte einen Spezialauftrag für ihn. Zuerst hatte er geglaubt, dass das etwas Gutes sei, bis er gehört hatte, worum es sich handelte.
„Ich bin keine Hure, Lord.“
„Das hat auch keiner behauptet, aber du eignest dich einfach am besten für den Job.“
Wieder einer dieser Momente, in denen Babyface sein Gesicht hasste. Genau wie diesen dämlichen Namen. Vielleicht die Gelegenheit etwas zu ändern.
„Ihr wollt also, dass ich diese Richtertochter flachlege“, fasste er zusammen.
Es war zwar nicht das, worum es eigentlich ging, aber darauf lief es hinaus. Zumindest am Anfang der ganzen Geschichte.
Mooner lachte leise. „Tu nicht so, als wäre das eine unzumutbare Aufgabe.“
Er zeigte auf das Foto, das auf dem Tisch lag. Darauf war ein wirklich hübsches Mädchen zu sehen. Babyface kannte sie. Er hatte sie gestern erst getroffen. Ein seltsamer Zufall.
Sie hieß Marcella Cassini und war die Tochter eines korrupten Richters, von dem der Club Informationen benötigte, die sie auf dem üblichen Weg nicht bekommen würden. Cassini ließ sich nicht von den Devils kaufen, denn das hatte bereits ein anderer übernommen.
Lord hatte gesagt, die Biker müssten sich die Sachen heimlich beschaffen, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Was 'die Sachen' eigentlich waren und über wessen Aufmerksamkeit sie sprachen, hatte Lord Babyface nicht mitgeteilt.
Nur, dass sie neue Wege finden mussten, um zu bekommen, was sie brauchten. Einer davon führte offensichtlich über das Herz – oder vorerst das Bett - der Tochter.
„Du sollst sie nicht nur vögeln, sondern sie dazu bringen, sich in dich zu verlieben“, sagte Lord ernst. „Du brauchst Zutritt zum Haus der Cassinis und du brauchst Marcellas Vertrauen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen.“
„Der Club verpasst mir also eine feste Freundin“, sagte Babyface säuerlich. „Dafür will ich aber was.“
Lord zog eine Augenbraue nach oben. „Denkst du, das hier ist ein Deal? Es ist ein Auftrag, Junge.“
Er beschloss, hart zu bleiben. Das war die Gelegenheit. „Willst du nicht erstmal hören, was ich möchte?“
„Dann raus damit.“ Lord lehnte sich zurück und musterte ihn neugierig.
„Ich will diesen verdammten Namen loswerden. Wenn du dafür sorgst, dass sie aufhören, mich Babyface zu nennen, mach ich, was auch immer du willst.“
„Egal was?“, erkundigte sich sein Prez mit leichtem Spott.
„Völlig egal.“ Nicht mehr Babyface zu heißen, war ihm einiges wert.
Mooner und Lord tauschten einen kurzen Blick. Sein President rieb sich über das stoppelbärtige Kinn.
„Also gut. Ab sofort bist du wieder Remy und du schuldest mir mehr als das Vögeln dieser Braut.“
„Danke, Prez.“ Remy hätte laut schreien können vor Begeisterung.
Er hatte nicht gedacht, dass Lord so schnell zustimmen würde oder überhaupt. Er, Remy, würde auch so jedem Befehl Folge leisten und das wussten alle Anwesenden sehr genau.
„Hau ab und kümmere dich um diese Marcella.“ Lord scheuchte ihn mit einer Handbewegung aus dem Büro.
Das ließ sich Remy nicht zweimal sagen. Vielleicht überlegte es sich Lord doch noch, wenn er nicht schnell genug machte, dass er wegkam.
Auf dem Flur blieb er einen Moment stehen und begann leise zu lachen. Nie wieder Babyface. Er warf sogar eine Faust in die Luft. Gut, dass ihn niemand sah.
Beschwingt machte er sich auf die Suche nach Vegas, Arrow und Beast. Die drei waren eine eigenwillige Gruppe, aber sehr viel weniger oberflächlich, als die meisten glaubten.
Sie hatten sich mit einiger Geduld durch seine Deckung gegraben und hinter die schöne Fassade geguckt. Besonders Vegas war ein Mann mit erstaunlich viel Einfühlungsvermögen und Tiefgang, wenn man ihn erst einmal genauer kennenlernte.
Remy war zu seinen Freunden gekommen wie ein streunender Hund zu seinem Besitzer. Sie hatten ihn eingefangen, gezähmt und behalten. Und es war das Beste gewesen, was ihm passieren konnte.
Sie hatten ihn schon immer Remy genannt, weil er sie darum gebeten hatte und nun sollten sie die Ersten sein, die von seinem Sieg erfuhren.
Ob er mit ihnen auch über den Auftrag sprechen würde, hatte er noch nicht entschieden. Es fühlte sich immer noch zu sehr nach 'Hure' an. Egal, was Lord sagte.
***
„Falls es dich interessiert, der Abend war ein voller Erfolg für meine Karriere.“
Umberto Cassini sieht wahnsinnig selbstzufrieden aus. Während er ausgiebig frühstückt, nehme ich mir nur eine Tasse Kaffee. Ich will nicht länger in seiner Gesellschaft sein als unbedingt nötig.
Eigentlich möchte ich antworten, dass mir seine Karriere scheißegal ist, aber das würde nur zu unnötigem Ärger führen. Ich kenne den Drill seit Jahren.
Also lächle ich ihn an und sage mit zuckersüßer Stimme: „Möchtest du mir davon erzählen?“
„Die Aussicht darauf Bundesrichter zu werden, rückt gerade in greifbare Nähe.“
Er klingt stolz. Dabei hat diese Aussicht ganz sicher nichts mit seinen überragenden Fähigkeiten zu tun. Vermutlich eher mit diesem neuen Freund, von dem ich nicht weiß, wer er ist, der aber anscheinend karrierefördernd wirkt.
Der Richter versucht, seit Jahren aufzusteigen. Bisher ohne viel Erfolg. Schafft er es ans Berufungsgericht, wäre ich sehr glücklich. Dann müsste er nach Denver ziehen und ich wäre ihn los. Mitnehmen würde er mich nicht, genauso wenig wie Marcella. Er ist noch jung genug, um sich neu zu erfinden. Obwohl er mich dann vermutlich irgendwo einsperren würde oder umbringen, um weiterhin für mein Schweigen zu sorgen. Vielleicht ist er sich meiner inzwischen auch einfach zu sicher und es würde überhaupt nichts passieren.
Sein endgültiges Ziel ist natürlich der Oberste Gerichtshof, aber das halte ich für ausgeschlossen. Der Weg dahin ist lang und um vom Präsidenten berufen zu werden, braucht er Verbindungen, die ihm fehlen. Georgetown ist verdammt weit weg von Washington.
„Das ist wundervoll“, sage ich zu überschwänglich, was mir einen misstrauischen Blick einbringt.
„Hast du inzwischen über die Operation nachgedacht, Tochter?“
Kein wirklicher Themenwechsel. Er will, dass ich meine Narben weglasern lasse, weil sie ihn stören. Was für eine Ironie.
Ich will das nicht. Dann wären sie zwar nicht mehr erhaben, aber die Streifen würden dadurch nicht verschwinden. Und die Narben auf meiner Seele auch nicht. Wo wäre der Gewinn? Also für mich, meine ich.
Der für den Richter ist eindeutig. Mit Hilfe von einer Schicht Make-up könnte man sich wieder mit mir sehen lassen, ohne sich schämen zu müssen.
Dann würde er mich vermutlich wie Marcella zu einer Ware machen. Mit dem Unterschied, dass ich es weiß und sie nicht.
Also keine Operation.
„Ich könnte dich zwingen“, sagt er mit hartem Ton. Mein Schweigen war Antwort genug.
„Nein, könntest du nicht“, erwidere ich und stelle die Tasse in die Spülmaschine.
Wir führen diese Unterhaltung nicht zum ersten Mal. Er starrt mich wütend an und fordert meine Unterwerfung.
Als ich jünger war und sehr viel weniger vom Leben wusste, hat das mit einem Blick funktioniert. Ich hätte die Augen niedergeschlagen und mich entschuldigt. Die Zeiten sind vorbei. Heutzutage braucht er dafür mehr. Ich unterdrücke einen plötzlichen Schauder.
Hör auf, ihn zu provozieren.
Mein Vater beginnt plötzlich zu lachen. „Erfrischend dein Temperament.“
In seinen Augen leuchtet ein ungutes Feuer. Sofortiger Rückzug ist angesagt.
„Ich muss in die Bibliothek. Viel Erfolg beim Aufstieg.“
Ich höre Marcella die Treppe herunterkommen und atme erleichtert auf.
„Glaube ja nicht, dass du gewonnen hast, Tochter. Es ist noch nicht vorbei.“
Nein, das hatte ich auch nicht angenommen.
„Was ist es diesmal?“ Marcella hat ihre Freundinnen mitgebracht.
„Ich habe einen Freund und du musst dafür sorgen, dass Dad ihn akzeptiert“, verlangt meine kleine Schwester.
Wann ist das denn passiert? Wir haben uns das letzte Mal vor vier Tagen unterhalten und da war das Mädchen noch Single.
Ich sehe mir die kleine Gruppe vor meinem Counter an. Sie erinnern mich an Kanarienvögel, bunt, laut und dumm.
„Warum sollte ich?“, sage ich schließlich gleichgültig.
Marcella wirft ihre langen Haare mit eingeübtem sexy Schwung nach hinten.
„Weil du es mir schuldest.“ Absolut selbstsicher und absolut falsch.
„Ich schulde dir gar nichts, Schwesterchen.“
„Und ob. Wenn ich mich nicht ständig für dich einsetzen würde, hätte Dad dich schon lange aus dem Haus geworfen.“
Du ahnungsloses kleines Ding.
Die Wahrheit ist, dass er mich eben nicht gehen lässt. Ich habe es oft genug versucht.
„Wozu hast du deinen Vogelschwarm mitgebracht?“, ignoriere ich ihren sinnlosen Versuch, mir irgendwelche Schuldgefühle einreden zu wollen.
Empörtes Zwitschern setzt ein und bestätigt meine Aussage. Ich verbeiße mir ein Grinsen.
„Sie unterstützen mich, um für meine Liebe zu kämpfen.“
„Wie pathetisch“, sage ich und sehe mich nach Rosco dem Sicherheitsmann um. Langsam nerven sie mich. „Kämpft einfach woanders, einverstanden?“
„Du fragst ja nicht mal, wer der Mann ist.“ Marcella schmollt.
Noch ist es niedlich, aber sie sollte es sich in den nächsten Jahren abgewöhnen und erwachsen werden. Oder auch nicht. Wenn Dad den geeigneten Ehekandidaten gefunden hat, braucht sie die Schmollerei vielleicht noch.
„Weil es mir egal ist. Und nun verschwinde endlich. Es gibt Leute, die müssen für ihr Geld arbeiten.“
„Nicht die besseren“, sagt sie arrogant.
Marcella glaubt wirklich, dass sie zu den „besseren“ Leuten gehört. Wenn es ums Geld geht, hat sie recht. Dad ist ziemlich vermögend und verwöhnt sie, seit sie denken kann. Unsere Familie gehört zur Oberschicht. Was auch immer einem das bringt. Mir jedenfalls überhaupt nichts.
Was wir in erster Linie übrigens dem Vermögen unserer Mutter verdanken und dem Umstand, dass sie ein Einzelkind war. Das ganze Geld hat ihr nichts genutzt. Sie ist trotzdem mit fünfunddreißig gestorben. Ich war fast sechzehn und Marcella gerade mal zehn.
Die letzten neun Jahre sind sehr viel anders gelaufen, als ich es mir immer vorgestellt habe. Ich wollte Georgetown verlassen und studieren. Ich wollte einen gutaussehenden Freund, der mich abgöttisch liebt und den ich dann heiraten und mit ihm zwei Kinder haben würde. Keiner der Träume hat die Wirklichkeit überlebt.
„Du musst doch nur auf meiner Seite sein“, ändert Marcella die Taktik und versucht es mit einem unendlich unglücklichen Gesichtsausdruck. „Und mich vielleicht ein bisschen decken, wenn ich eine Nacht bei ihm bleiben will.“
Bei aller Großkotzigkeit und Überheblichkeit ist sie noch Jungfrau. Ein Umstand, den sie offensichtlich gerade ändern will. Dad würde ausflippen, wenn er davon erfährt. Das würde den Preis der Ware nämlich erheblich senken.
„Solltest du Sex mit dem Kerl haben, hat das Konsequenzen. Für euch beide. Das muss dir klar sein, Marcella.“ Ich versuche, sie zu warnen.
„Du meinst, dass er mich dann heiraten muss? Dagegen habe ich nichts.“
Aber der Mann vielleicht. Außerdem denkt sie in eine vollkommen falsche Richtung. Ich lehne mich nach vorn und winke sie zu mir heran, damit ihre Freundinnen mich nicht hören.
„Er würde ihn umbringen lassen, Marcella. Der Richter hat Pläne mit dir.“
Ihre Augen werden groß, dann lacht sie. Sie glaubt mir nicht. Den Versuch war es wert.
„Du bist ja nur neidisch.“ Worauf genau, sagt sie nicht.
„Ja, das wird es sein.“ Ich gebe Rosco ein Zeichen und er setzt sich in Bewegung. „Ich werde dir nicht helfen, Marcella, und ich warne dich nachdrücklich davor, dich entjungfern zu lassen.“
Bevor sie etwas sagen kann, ist Rosco bei uns und führt die Gruppe nach draußen.
Marcella sah entschlossen aus. Sie will sich flachlegen lassen. Wenn nicht von diesem Kerl, dann von dem nächsten. Vielleicht ist es doch eine gute Idee, sie zu unterstützen. Dann weiß ich wenigstens, was sie anstellt. Ich muss nur mit dem Mann reden und ihm klarmachen, dass er die Finger, oder besser seinen Schwanz, von ihr lassen muss. Falls er daran interessiert ist, beides zu behalten.
Gott, ich hoffe, der Typ hat wenigstens ein bisschen Hirn.
***
Ich mache mich fürs „Dungeon“ fertig. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich um ein Etablissement, das unterirdisch gelegen ist und alle Merkmale eines Verlieses aufweist. Es gibt sogar Ketten und Peitschen. Laszlo ist auf jede Sorte Kundenwunsch vorbereitet. Mein Ding ist das nicht. Wenn ich Erniedrigung will, kann ich einfach mit einer Flasche Scotch zum Richter gehen.
Das „Dungeon“ ist nur für zahlende Mitglieder. Offiziell ist es ein Club für Männer, die Karten spielen, natürlich nur zum Spaß, reden und ein bisschen trinken. Das tun sie in einer eleganten Vorortvilla. Den ausgedehnten Keller sieht man ihr von außen nicht an.
Das Ganze existiert seit fünf Jahren und bisher hat Laszlo es geschafft, keine Schwierigkeiten zu bekommen. Was vermutlich vor allem dem Einfluss und dem Geld seiner Kunden zu verdanken ist. Mein Vater ist einer von ihnen.
Immer wenn der Richter Zeit bei Laszlo verbringt, setzt der mich darüber in Kenntnis und ich gehe nicht hin. Ein gut funktionierendes System.
Ob es klug ist im selben Club zu sein wie Umberto Cassini? Wahrscheinlich nicht. Aber ohne ihn wüsste ich gar nicht, dass das „Dungeon“ existiert. Ich bin ihm einmal nachgeschlichen und so habe ich es gefunden. Simpel, aber wirkungsvoll.
Laszlo ist nicht nur der Betreiber eines exklusiven Sexclubs, sondern auch mein einziger Freund. Er hat mich damals gefunden, als ich blutend und weinend durch einen Park irrte. Eine Siebzehnjährige, die kurz davor war, sich das Leben zu nehmen. Er war vierundzwanzig und lebte in Planet. Normalerweise hätten wir uns also nie getroffen.
Warum er mir nie vom „Dungeon“ erzählt hat, ist leicht zu erklären. Er wollte mich vor der dunklen Seite schützen. Als ob das noch möglich gewesen wäre.
Wie auch immer.
Laszlo hat mich zu einem befreundeten Arzt nach Hause gebracht und der hat meine Wunden genäht, ohne Fragen zu stellen, und so gut es unter den Umständen möglich war. Drei tiefe, klaffende Schnitte, die sich über die gesamte linke Wange zogen. Einer endete kurz unter meinem Auge. Ein Stück höher und ich wäre auf der Seite blind geworden.
Ich habe mich zuhause vor meinem Vater und meiner Schwester versteckt und wollte warten, bis alles geheilt ist. Aber die Wunden haben sich entzündet. Der Richter hat mich nach ein paar Tagen gefunden. Ich hatte Fieber und habe anscheinend im Schlaf geschrien. Er brachte mich ins Krankenhaus, bezahlte Leute dafür den Mund zu halten und die Geschichte mit dem Einbruch entstand.
Durch die Entzündung konnten die Ärzte die Narben nicht mehr verschönern. Die Ränder waren ausgefranst und wuchsen wulstig zusammen. Der Eiter machte das Ganze nicht besser. Mir war es zu dem Zeitpunkt vollkommen egal.
Heutzutage ist es ausgesprochen praktisch. Ich komme in der Ehegattenplanung meines Vaters nicht vor.
„Wo willst du hin?“, hält mich der Richter kurz vor der Haustür zurück.
Ich drehe mich zu ihm um. Was er sieht, ist eine Frau mit langen, hellbraunen Haaren, einem zu großen Mantel und klobigen Stiefeln. Unscheinbar, uninteressant und wenig bemerkenswert. Bis auf die Narben.
„Nur mal raus. Ein Stück spazieren gehen, mich in ein Café setzen und lesen. Wie immer.“
„Ich will, dass du spätestens um zehn wieder zurück bist.“
Werde ich nicht. Zwei Stunden reichen nicht fürs „Dungeon“.
Trotzdem sage ich: „Ja, Sir.“
Er nickt zufrieden.
„Marcella übernachtet heute übrigens bei einer Freundin“, höre ich noch beim Rausgehen.
Ach verdammt.
Ich hoffe, dass sie sich nicht schon heute entjungfern lässt. Vielleicht meint der Mann es ja ernst mit ihr und ist von der zurückhaltenden, schüchternen Sorte. Ich muss lachen. Was für ein idiotischer Gedanke.
Ich kenne Marcellas Geschmack – böse Jungs. Keiner von denen, die sie anhimmelt, ist schüchtern. Ändern kann ich es sowieso nicht, also sollte ich aufhören, darüber nachzudenken. Trotz allem will ich sie immer noch beschützen. Sie ist meine kleine Schwester.
Wenn es einen Gott gibt und wenn es einer der versöhnlichen Sorte ist, dann sollte er dringend dafür sorgen, dass Marcella morgen genauso unberührt ist wie heute.
Als ich gegen zwei nach Hause komme, liegt mein Vater betrunken und laut schnarchend auf der Couch im Wohnzimmer. Glück gehabt.
***
Ich habe das „Daydream“ nicht aufgegeben, sitze an meinem gewohnten Tisch und lese. Zumindest habe ich das bis vor einer Sekunde getan. Stühle werden scharrend über den Boden geschoben und zwei Menschen brechen in meine Idylle ein.
„Marcella! Wie üblich ein Störfaktor in meinem Leben.“ Ich lege seufzend das Buch zur Seite.
„Das hier ist Remy“, sagt sie voller Stolz.
Ich sehe mir die zweite Person an. Nicht wirklich überrascht, erkenne ich in ihm den Biker vom letzten Mal.
„Nicht Babyface?“, erkundige ich mich belustigt.
„Nein“, sagt er angefressen. „Mein Name ist Remy.“
„Gratulation, eine eindeutige Verbesserung. War's das? Darf ich jetzt weiterlesen?“
„Du hast gesagt, deine Schwester würde uns helfen“, sagt der Biker leise zu Marcella. „Ich will nicht, dass man uns trennt.“
Die schmalzigen Worte passen zwar zu seinem Gesicht und auch zu dem Ausdruck darauf – schmerzliche Zuneigung -, aber irgendwie klingen sie trotzdem unecht. Offenbar nicht in Marcellas Ohren. Sie schmilzt förmlich dahin und in ihren Augen sind riesengroße Herzen.
Na sowas, sie ist tatsächlich verliebt in den Kerl. Das wird dem Richter aber gar nicht gefallen.
„Ich kann euch nicht helfen, selbst wenn ich das wollte. Meine Meinung zählt nicht viel im Hause Cassini. Aber ich kann euch einen Rat geben. Auch wenn ich mich wiederhole. Marcella, du musst unter allen Umständen Jungfrau bleiben.“
Erwartungsgemäß wird sie sauer. Wer weiß, was sie diesem Remy erzählt hat? Ganz bestimmt nicht, dass sie absolut unerfahren ist. Blowjobs ausgenommen, dabei habe ich sie sogar mal erwischt.
Marcella springt also wutentbrannt auf und der Stuhl kippt um.
„Es ist ganz allein meine Entscheidung, was ich tue. Ich brauche deine bescheuerten Ratschläge nicht und deine Hilfe auch nicht. Komm, Remy.“
Der Mann ist sitzengeblieben und mustert mich aufmerksam.
„Warum?“, fragt er ernst.
Hurra, er hat ein Hirn und auch noch eins, das funktioniert.
„Weil unser Vater das nicht tolerieren würde und die Konsequenzen tödlich sein könnten. Vor allem für dich.“ Die Wahrheit steht in meinem Gesicht.
Seine Mimik sagt, dass die Warnung tatsächlich bei ihm ankommt. Womit er sehr viel klüger ist als Marcella.
„Danke“, sagt er, nickt mir zu und steht gemächlich auf. Ziemlich eindeutig, wer bei den beiden das Sagen hat. „Heb den Stuhl auf, Marcella.“ Sie tut es. Beweisführung abgeschlossen.
Ich sehe ihnen nach, bis sie das Café verlassen haben. Ein schönes Paar, zumindest äußerlich. Ob sie ansonsten zusammenpassen, ist fraglich. Der Mann ist anscheinend sehr viel weniger oberflächlich, als ich auf den ersten Blick angenommen habe.
Was will er dann mit meiner Schwester, vor allem jetzt, wo er weiß, dass Sex ein Tabu ist?
Interessant, sehr interessant.
***
REMY
Die Schwestern sahen sich erstaunlich ähnlich. Ein Wunder, dass ihm das beim ersten Treffen nicht aufgefallen war. Sie hatten dieselbe Haarfarbe und das Haar hatte auch annähernd die gleiche Dicke und Länge. Der Gesichtsschnitt war gleich und abgesehen von diesen hässlichen Narben, waren auch beide Frauen schön.
Den Körperbau konnte er nicht vergleichen. Diese Aurora trug extrem weite Pullover und darüber einen Schal. Nicht einmal ihre Brüste zeichneten sich so ab, dass man wusste, wie groß sie waren. Remy stand auf Brüste. Weswegen er auch kein Fan von Frauen war, die sich bis zum Skelett runterhungerten. Das Erste, was verschwand, waren immer die Brüste.
Marcellas Augen waren hellbraun, die von Aurora sehr viel dunkler. Wie tiefe, geheimnisvolle Seen. Die Augen und die darin sichtbare Intelligenz der großen Schwester waren der gravierendste Unterschied zwischen den beiden.
Auroras kühle Art hatte sich gegenüber dem ersten Treffen nicht verändert und es gab eindeutig Abneigung – mehr von Marcellas Seite. Aurora wirkte eigentlich nicht so, als würde sie ihre Schwester nicht mögen, sie war lediglich genervt und bemühte sich, auf Distanz zu bleiben. Dafür konnte es viele Gründe geben. Nicht zuletzt das Verhalten der jüngeren Schwester.
„Ich hasse sie. Nie tut sie etwas für mich“, schimpfte Marcella, sobald sie das „Daydream“ verlassen hatten.
„Was soll sie denn deiner Meinung nach tun?“, erkundigte sich Remy mit der angemessenen Anteilnahme, auch wenn er gedanklich nicht ganz bei der Sache war.
„Keine Ahnung, irgendwas, damit Daddy dich kennenlernen will. Mein Glück ist ihr scheißegal.“ Sie stampfte mit dem Fuß auf.
Wie ein Kind, dachte Remy und stöhnte innerlich.
„Sie hat uns immerhin gewarnt. So egal bist du ihr also nicht“, versuchte er Marcellas Wut zu bremsen. Es strengte ihn langsam an so zu tun, als empfände er echte Zuneigung für sie.
„Gewarnt? Sie lügt. Daddy würde dir nie was antun. Sie ist nur neidisch. Hast du sie dir mal angeguckt? Kein Mann will sie und deshalb darf ich auch keinen Spaß haben.“
Remy bezweifelte, dass sich kein Mann für Aurora interessieren würde. Sie gab sich große Mühe, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Also war es wohl eher so, dass sie keinen „Spaß“ wollte.
„Jetzt will ich erst recht mit dir schlafen.“ Marcella warf sich in seine Arme. „Du kannst mich haben. Fick mich, Biker.“
Abgesehen davon, dass der Text nicht zu der Jungfrau in seinen Armen passte, dachte sie anscheinend, das wäre der richtige Umgangston, um ihn anzuturnen. Aber so war es absolut nicht. Dirty Talk bewirkte bei Remy so ziemlich das Gegenteil.
Am liebsten hatte er es sowieso, wenn die Frau, mit der er schlief, den Mund hielt. Jedes noch so verführerisch gehauchte 'Du bist so schön' löste bei ihm das Bedürfnis aus zu kotzen oder ihr Panzertape über den Mund zu kleben. Auf jeden Fall war es der sicherste Weg, Remy dazu zu bringen schleunigst abzuhauen und nie wiederzukommen.
Es war einfach, mit seinem Gesicht eine Frau ins Bett zu bekommen, und er nutzte das auch aus. Aber er hasste es, ausschließlich auf sein Äußeres reduziert zu werden.
Genau wie du und deine Brüder Frauen beurteilen.
Ja, die Ironie war Remy durchaus bewusst.
Manchmal wäre es schön, wenn eine von ihnen mit ihm reden würde. Nein, natürlich nicht im Bett, sondern einfach nur so. Es mussten ja keine tiefgreifenden, philosophischen Diskussionen sein. Da musste er sowieso passen. Nur eben… ein echtes Gespräch, das Interesse daran verriet, was er dachte. Vielleicht auch mal ganz ohne, dass zwangsläufig Sex folgen musste.
Marcella würde diese Frau offensichtlich nicht sein.
„Gehen wir tanzen. Ich will mit dir angeben“, sagte sie und musterte mit seltsamen Stolz sein Gesicht. Die schlechte Laune von eben war verschwunden.
Im Dienst für seinen Club würde sich Remy jetzt also herumzeigen lassen müssen wie eine verdammte Trophäe.
Es gab wahrscheinlich Schlimmeres, auch wenn ihm gerade nichts einfiel.
***
Ich sitze an der Bar im „Dungeon“ und warte auf meinen Kunden. Ich trage eine Maske, die nur Stirn und Mundpartie freilässt. Selbst die Angestellten kennen mein Gesicht nicht. Ich kann es mir nicht leisten, erkannt zu werden. Die Narbe würde es leicht machen, mein Bild war damals in jeder verdammten Zeitung.
„Alles in Ordnung?“ Laszlo legt seinen Arm um mich und küsst mich zur Begrüßung auf die Stirn.
„Noch. Marcella ist verliebt und hat beschlossen, ihre Jungfräulichkeit loszuwerden.“
„Autsch. Was hält denn der Richter davon?“
„Er weiß es natürlich nicht.“
„Kennst du den Auserwählten?“
„Habe ihn heute getroffen. Ein Devil.“
„Nochmal autsch.“
Ich sehe Laszlo in die schönen grüngrauen Augen. „Ich habe ihn gewarnt und ich glaube, er hat es verstanden.“
„Also keiner von den Dummen.“
„Nein, obwohl ich das nicht wirklich beurteilen kann. Das Gespräch war sehr kurz.“
„Sind sie ineinander verliebt?“ Laszlo ist, trotz seines Gewerbes, ein echter Romantiker. Vielleicht der Letzte seiner Art.
„Keine Ahnung wie er das sieht. Aber Marcella scheint ihn wirklich zu mögen. Sie hat diesen kuhäugigen Blick. Noch dümmer als normalerweise. Du weißt schon.“
Ich ziehe eine Grimasse und versuche, den unintelligentesten Eindruck zu machen, den ich hinkriege. Laszlo lacht.
„Keine Chance. Du kannst nicht dumm aussehen, egal was du machst. Nicht mal, wenn du diese Maske trägst. Deine Augen verraten dich.“
Augen sind wie Fingerabdrücke – einzigartig. Da ich seit Jahren nicht mit meinem Vater zusammen in der Öffentlichkeit aufgetreten bin, sollte ich sicher sein vor Entdeckung aufgrund dieser Ähnlichkeit - der einzigen zwischen uns. Außerdem würde keiner die Tochter des ehrenwerten Richters Cassini in diesem Keller vermuten. Vor allem weil er selber regelmäßig hier aufschlägt.
„Erzähl mir was über meinen Kunden“, wende ich mich einem sehr viel interessanteren Thema zu.
„Er ist neu und kommt auf Empfehlung. Ein Mexikaner, der aber in den USA studiert hat. Geld wie Heu.“
„Vorlieben?“
„Keine gegen die du Einwände hast. Er hat einen Fetisch und will das Geheimnisvolle.“
„Was für ein Fetisch?“
„Seine Traumfrau ist stumm und taub. Ihm würde es auch gefallen, wenn sie irgendeine Behinderung hätte – ein fehlendes Bein oder sowas. Aber darauf kann er zur Not auch verzichten. Er sagt, er neige dazu in Ekstase zu viel zu reden. Anscheinend auch über Sachen, die niemand erfahren darf. Deshalb muss die Frau taub sein. Wirklich taub.“
„Und wieso soll ich das dann übernehmen?“
„Herzblatt, ich habe keine tauben Angestellten, wie du sehr wohl weißt. Aber ich habe eine, die kann so tun als ob. Du bist letztens nicht mal zusammengezuckt, als eine der Kellnerinnen direkt hinter dir ein Tablett fallengelassen hat.“
Ich bin nicht schreckhaft. Nicht mehr. Also wahrscheinlich hat er recht und ich würde es hinbekommen, glaubhaft eine Taube zu spielen. Aber…
„Was, wenn er es herausbekommt?“
„Das sollte er lieber nicht.“ Nicht der richtige Satz, um mich zu beruhigen.
„Laszlo, setze ich gerade mein Leben aufs Spiel?“
„Nicht, wenn du überzeugend bist. Der Mann zahlt verdammt gut und du willst doch unbedingt hier weg, oder?“
Will ich. Ich habe auch schon eine ganze Menge gespart, aber es reicht nicht, um nach New York zu gehen oder sogar in ein anderes Land. Dahin, wo meine Narben keine Rolle spielen und der Name meines Vaters nicht zählt. Eine neue Identität ist auch nicht gerade billig.
Nein, ich habe momentan nicht vor in das große Unbekannte zu entschwinden, aber ich habe gelernt, dass man manchmal spontan handeln muss und das funktioniert mit Geld sehr viel besser als ohne.
„Geh in dein Zimmer und bereite dich vor. Er weiß, dass es nur wenig Licht geben wird und hat nichts dagegen.“
„Wie heißt der Mann?“
„Du bist taub und stumm, Rory. Es ist egal, wie er heißt.“
Verdammt, das darf ich keine Sekunde vergessen.
***
Ich bin nicht mal eins siebzig und der Mann vielleicht einen halben Kopf größer als ich. Da es nicht vollkommen dunkel ist, kann ich erkennen, dass er einen Schnurrbart hat. Mag ich nicht, weil es kitzelt.
Machen Taubstumme irgendwelche Geräusche oder sind sie vollkommen tonlos? Da wird es vermutlich Abstufungen geben. Stöhnen ist eventuell erlaubt. Ich lasse es lieber nicht darauf ankommen.
Da ich mein Gesicht der Tür zugewandt habe, kann auch er mich sehen. Anerkennend wandert sein Blick über meine Rundungen. Ich bin gut proportioniert. Alles da, wo es sein soll, weder zu wenig noch zu viel. Ein Kunde hat mich mal als 'atmenden feuchten Traum' bezeichnet. Das mit dem Traum stimmt. Ich bin genau das, wofür sie bezahlen. Es macht Spaß, in diese Rollen zu schlüpfen.
Bis auf die Maske bin ich vollkommen nackt. Der Mann macht mit dem Finger eine kreisende Bewegung. Langsam drehe ich mich einmal um mich selbst. Er nickt zufrieden und kommt auf mich zu.
Es ist seltsam, so ganz ohne Musik und ohne Worte. Aber nicht unangenehm.
Ich habe beschlossen, dass es vollkommen in Ordnung ist, ihm auf die Lippen zu starren. Viele Taube können Lippen lesen. Ich hatte noch Zeit, schnell das Internet zu befragen.
Bevor er sich näher mit mir beschäftigt, untersucht er das ganze Zimmer. Er findet die kleine Kamera, aber sie ist auch nicht wirklich versteckt. Die Kunden werden darauf hingewiesen, dass die Räume überwacht werden. Zu ihrem und zu unserem Schutz.
„Irgendwo Mikrofone?“, fragt er mit übertriebenen Lippenbewegungen.
Ich schüttle den Kopf. Es gibt keine, darauf bestehen die Clubmitglieder. Viele neigen zu Bettgeflüster und keiner will, dass das irgendwo mitgeschnitten wird. Daran uns einfach nichts zu erzählen, denken sie nie.
Trotz meiner Versicherung, dass es keine Mikros gibt, sucht er noch einmal alles ab. Dann ist er endlich zufrieden und wendet sich nun ganz mir zu.
Er legt seine Anzugjacke ab und hängt sie über die Lehne eines Stuhls. Zum Vorschein kommt ein graues Hemd. Er löst die Krawatte und hängt sie ordentlich über die Jacke. Der Mexikaner ist kein schöner Mann. Ein wenig untersetzt mit offensichtlichem Bauchansatz. Ich schätze ihn auf Ende vierzig, plus minus ein paar Jahre.
Wortlos nimmt er auf dem Bett Platz und hält mir seine Hand hin. Ich ergreife sie und er zieht mich mit einem Ruck auf seinen Schoß. Ich strauchele, gebe dann aber nach und setze mich auf ihn.
„Du hast wundervolle Brüste“, murmelt er und beginnt mich zu streicheln.
Ich sehe ihm dabei zu, um jede mögliche Bewegung im Vorab zu erkennen. Sollte er mich kneifen, darf ich keinen Ton von mir geben.
Er leckt abwechselnd über meine Brustwarzen und summt dabei leise. Sehr angenehm. Ich recke sie ihm entgegen.
Während er langsam, beinahe andächtig, an meinen Nippeln saugt, streichen seine Hände über meinen Rücken, bis zu meinem Hintern. Dort verharren sie und er beginnt meine Pobacken zu massieren. Bisher ist nichts von all dem außerhalb der Norm.
„Du bist so weich. Ich liebe deinen Geruch.“
Ohne Vorwarnung beißt er zu. Nicht sehr doll, aber ich bin trotzdem überrascht.
Keinen verdammten Laut!
„Ich würde dir wahnsinnig gern wehtun. Zusehen wie das Blut von deinen Nippeln rinnt.“
Okay, jetzt bewegen wir uns doch in eine Richtung, die mir nicht gefällt. Sollte er tun, wovon er da redet, habe ich immer noch einen Notknopf. Aber er geht ja davon aus, dass ich ihn nicht hören kann. Vielleicht ist es nur seine Fantasie und nichts, was man ernst nehmen muss.
Plötzlich zuckt sein Kopf nach oben und er mustert mich aufmerksam. Ich lächle ihn an. Alles gut.
„Kannst du mich tatsächlich nicht hören?“, fragt er so schnell, dass man es nicht von den Lippen ablesen könnte.
Ich runzle die Stirn, lege die Hände über meine Ohren, zucke leicht mit den Schultern und sehe ihn entschuldigend an.
„Ah, meine Süße. Du hörst mich also wirklich nicht. Man kann nie sicher sein. Man hat schon oft versucht, mich zu hintergehen und mir meine Geheimnisse zu entlocken. Das FBI, die DEA. Wen haben sie nicht alles geschickt, aber ich bin zu schlau für sie. Leg dich über meine Beine.“
Ich ziehe fragend die Augenbrauen nach oben.
Er schiebt mich von seinem Schoß, klopft auffordernd mit seinen Händen auf seine Oberschenkel und zeigt mir, wie ich mich hinlegen soll. Ich vermute, es gibt gleich den Hintern voll. Ich nicke und drapiere mich so auf ihm, wie er es wünscht. Mit den Händen stütze ich mich auf der anderen Seite auf dem Boden ab. Nicht sehr bequem, aber ein bisschen halte ich das schon aus.
Ein paar Minuten lang massiert er meinen Hintern, dann erfolgt aus dem Nichts der erste Schlag. Nicht vorsichtig, sondern mit voller Kraft. Ich zucke zusammen, gebe aber keinen Ton von mir.
Der Mann weiß, was er da tut, trifft nie dieselbe Stelle und schlägt mich auch nicht unkontrolliert. Immer wieder macht er Pausen und streichelt sanft den Schmerz weg.
Dann beugt er sich zu mir herunter und küsst abwechselnd meine Pobacken, zieht sie auseinander und leckt meinen Anus. Der Typ steht auf meinen Hintern oder generell darauf, einen da zu ficken.
Eine Warnung wäre nett gewesen, Laszlo. Dann hätte ich mich im Vorab dehnen können.
Der Mexikaner bedeutet mir, aufzustehen und mich bäuchlings aufs Bett zu legen. In meinem Zimmer gibt es absichtlich keine Ketten oder Handschellen. Ich bin nicht gerne hilflos.
Mist. An die Krawatte habe ich nicht gedacht.
Er schon.
Ich kontrolliere schnell, ob der Notknopf unter dem Kissen liegt. Was mir auch nichts nutzt, wenn meine Hände gefesselt sind.
Mist. Mist. Mist.
Schon spüre ich den seidenweichen Stoff, der sich eng um meine Handgelenke windet. Ich kann mich nicht mal beschweren, schließlich bin ich stumm. Ich drehe den Kopf zur Seite und beobachte meinen Kunden, versuche abzuschätzen, ob ich in Gefahr bin oder nicht.
Das hier ist ein verfluchter Anfängerfehler. Wie konnte dir sowas passieren?
Ganz einfach, die ganze Situation hat mich überrascht und offensichtlich überfordert. Was, wenn… ?
Abwarten. Laszlo wird ihn genau überprüft haben. Bisher ist nie etwas schiefgegangen.
Der Mann hat mittlerweile sein Hemd aufgeknöpft, aber er zieht es nicht aus. Er kniet sich neben mich auf die Matratze. Sanfter als erwartet, hebt er meinen Kopf an. Sein Bauch schiebt sich dabei nach vorn. Er ist wirklich ziemlich gut gepolstert. Aber auch ausgesprochen muskulös, wie mir ein Blick auf seine Oberarme beweist. Der Stoff spannt an der Stelle ganz gewaltig.
Kein verweichlichter Kerl, sondern einer, der vermutlich auch zuschlagen kann. Selbst wenn das heute nicht mehr so sein sollte, war er früher ganz offensichtlich in Kämpfe verwickelt. Unter dem geöffneten Hemd sehe ich eine bepelzte Brust, die eine ganze Menge Narben aufweist.
Na, da haben wir ja was gemeinsam, Mister.
Der Mexikaner sieht mir ins Gesicht und sagt langsam und überdeutlich:
„Dein Boss hat gesagt, du stehst nicht auf Fesseln, aber ich konnte nicht widerstehen. Es macht mich geil, dich so zu sehen. Ich verspreche, dir wird nichts passieren. Gut?“
Ich nicke langsam, obwohl ich daran eigentlich nichts gut finde. Er lässt meinen Kopf los und wendet sich wieder meinem Hintern zu.
„Du hast einen so verdammt geilen Arsch“, murmelt er kaum hörbar.
Klatsch. Es bleibt bei dem einen Schlag. Der Mann steht wirklich auf meinen Hintern. Ich konzentriere mich darauf, locker zu werden.
Hoffentlich verwendet er wenigstens Gleitgel.
Die Tube liegt auf dem Tisch, gleich neben den Kondomen in mehreren Größen und Feuchttüchern. Nicht zu übersehen.
Er steht auf, wie ich an der Bewegung der Matratze merke. Kurz darauf ist er zurück. Gel gefunden, hurra. Mit sanften Bewegungen verteilt er es auf meinem Hintereingang. Ich verstecke mein Gesicht im Kissen und warte ab.
„Dieser Arsch, Santa Maria, er ist göttlich.“
Ein Finger taucht in mich ein und schmiert mich auch von innen. Ich entspanne meinen Muskel so gut es geht. Analverkehr ist okay, mein Favorit ist es nicht. Obwohl es da auch schon richtig gute Momente gab. Kommt eben auf den Partner an.
Während er mich vorbereitet – das macht er wirklich gut und meine Anspannung ist inzwischen vollkommen verschwunden - murmelt er ein paar Worte auf Spanisch, wechselt dann wieder ins Englische.
„Diese verdammten Teufel. Machen einem das Leben schwer. Ich biete ihnen Geld, sie wollen es nicht. Ich setze sie unter Druck, sorge dafür, dass sie ins Gefängnis kommen. Und? Sie sind wieder frei. Ich will keine Toten, aber sie zwingen mich dazu.“
Abrupt steht er auf, läuft durch das Zimmer und beginnt sich auszuziehen. Ein normaler Körper eines Mannes in mittlerem Alter. Allerdings besser in Schuss als die meisten, die ich bisher gesehen habe. Der Kerl sitzt ganz sicher nicht in irgendeinem Büro rum und rechnet Zahlen zusammen. Auch am Oberschenkel hat er eine Narbe. Sieht aus wie eine Schussverletzung, obwohl ich auf dem Gebiet ganz sicher keine Expertin bin.
Einen Moment wirkt es, als hätte der Mann mich vergessen. Er redet sich seinen ganzen Frust von der Seele, in dem festen Glauben, dass ich ihn nicht hören kann.
„Ich mache ihnen Geschenke und sie weisen sie zurück. Sie weisen mich zurück. Was glauben sie, mit wem sie es zu tun haben? Ich bin nicht irgendein Hampelmann. Schuld an allem ist dieser verfluchte Lord. Und sein Sohn und diese Polizistenschlampe. Ich hätte sie gleich töten sollen. Nun, das kann man ja noch nachholen. Ich werde dabei zusehen, wie sie ihr die Zunge herausreißen. Wie ihre Augäpfel aufplatzen und aus den Höhlen laufen.“
Seine Hasstirade und vor allem die Schilderungen der Foltermethoden machen ihn unheimlich an. Sein Schwanz wird extrem hart und richtet sich so steil auf, dass er nach oben zeigt. Ich sehe dabei zu, lächle und lecke mir die Lippen. Ein eindeutiges Zeichen meiner Taubheit.
Er bemerkt es und sein Mund verzieht sich zu einem wohlwollenden Lächeln.
„Du willst ihn, oder? Kannst gar nicht mehr abwarten, dass ich mich in dich ramme. Vielleicht doch schade, dass du nicht schreien kannst.“
Sollte ich Angst haben?
Über den Punkt sind wir schon eine Weile hinaus. Ich denke, er ist einer von denen, die krude Fantasien im Kopf haben, diese aber nicht umsetzen. Oder wenn, dann nicht in einem Laden, in dem sie unter Beobachtung stehen.