Gefesselt – Die Rückkehr
ist der dritte Teil der Gefesselt Reihe.
Dieses Buch enthält Darstellungen von
sexueller Gewalt.
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© 2020 Elenor Avelle
www.elenoravelle.de
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
Illustrationen: Elenor Avelle
Cover: Christin Thomas
www.giessel-design.de
Lektorat: Nora Bendzko
www.norabendzko.com
Korrektorat: Jery Schober
https://jeryschober.wordpress.com/
ISBN: 9783751985796
Für Janna, Conny und Anett,
den besten Zombietrupp der Welt.
Angespannt kniete Gill hinter der überwucherten Mauer einer Imbisshütte. Er atmete laut unter seinem Helm, wartete. Noch lag unheimliche Stille über den Rollbahnen, die sich verlassen vor ihm ausbreiteten. Nur ein einsames Flugzeug stand im Schein der aufgehenden Sonne auf dem riesigen Gelände. Beide Kabinentüren standen offen. Seine Leute konnte Gill im Zwielicht nicht sehen, doch er wusste, dass sie da waren.
Quälend langsam verstrich die Zeit. Auszuharren war immer das Schwerste, zu warten, ob die Mission nach Plan verlief, alle noch am Leben waren. Doch Gill konnte nicht mehr tun, als das nagende Gefühl der Ungewissheit zu ertragen, dem Moment der Wahrheit entgegenzufiebern. War es Zara gelungen, die Infizierten zusammenzutreiben und hinter sich herzulocken?
Unvermittelt kam das Zeichen, jagte seinen Puls hoch. Wie eine blutige Träne senkte sich das rote Leuchtsignal über dem freien Feld.
Jetzt bin ich dran. Gill sprintete los.
Aus dem Augenwinkel nahm er die Horde Infizierter wahr, die aus östlicher Richtung angerannt kam. Ihre geifernden Laute hallten zu ihm herüber, ließen ihn schneller sprinten. Einmal in Bewegung, blieb kein Raum für Zweifel oder Furcht. Er hatte keine Zeit, sich nach ihnen umzusehen, kontrollierte nicht, ob sie ihm folgten oder Zara es in ihr Versteck schaffte. Zu groß war die Gefahr, von ihnen erwischt zu werden. Er konzentrierte sich auf sein Ziel, das Flugzeug.
Gill peilte die vordere Treppe an, die seine Leute dorthin gerollt hatten. Zwei Stufen auf einmal nehmend, sprintete er hinauf, warf sich durch das Schott. Beinahe wäre er am Durchgang hängen geblieben. Lance und Ken, die über der Kabinentür auf dem Flugzeugrumpf liegen mussten, sah er nicht. Ihre Aufgabe war es, das Schott zu schließen, sobald alle Infizierten hinter Gill in die Maschine geströmt waren.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er durch den schmalen Gang rannte. Die Enge trug ihren Teil dazu bei, dass er sich wie ein gehetztes Tier fühlte. Schon waren hinter ihm Geräusche zu hören, von Körpern, die in den Rumpf der Maschine vorbrachen, um ihn zu erwischen.
Mit den Händen jeweils auf einer Sitzlehne schwang er sich über einen Servierwagen, der im Gang verkeilt war. Seine schweren Stiefel knallten bei der Landung auf den Boden. Als er aus dem Augenwinkel einen Schatten sah, packte ihn die Furcht wie Krallen im Nacken. Der Adrenalinkick ließ ihn größere Schritte machen.
Schon kam der hintere Ausgang in Sicht. Einen Moment lang sah er sich daran vorbeischliddern. Doch er verfehlte seinen Fluchtweg nicht.
Schon setzte er einen Fuß auf die Treppe, wurde durch den Schwung zur Hälfte hinunterbefördert. Da hörte er, wie die Kabinentür hinter ihm von Sophia verriegelt wurde. Sie hatte sich beim Schott verborgen gehalten und hinderte nun die Infizierten daran, das Flugzeug zu verlassen. Die Falle war zugeschnappt.
Polternd schlugen Körper gegen den verschlossenen Ausgang. Der Schweiß rann Gill den Hals hinunter in den Kragen, als er sich nach Sophia umsah. Er erkannte sie nur in ihrem Schutzanzug, weil er wusste, dass dies ihr Posten war. In den sperrigen Schutzwesten und Helmen waren seine Leute kaum auseinanderzuhalten.
Sophia achtete nicht weiter auf Gill. Sobald das hintere Schott gesichert war, hatte sie nur Augen für den vorderen Eingang. Dort strömten immer noch Infizierte hinein. Beim Anblick der Masse an Körpern wurde Gill mulmig. Der Schreck durchfuhr ihn, als etwas, heftiger als zuvor, gegen die Innenseite der Kabinentür stieß. Eine kleine Schar Fresser, die an der Eingangstreppe nachdrängte, bemerkte Gills Bewegung am hinteren Ende des Flugzeugs. Sie hielten inne, witterten.
Jetzt, ihr müsst die Tür jetzt schließen.
Vor seinem geistigen Auge sah Gill die Infizierten wieder aus dem Flugzeug stürmen und sie alle zerfetzen. Die Angst packte ihn im Genick.
Als hätten ihn seine Leute gehört, rutschten Ken und Lance vom Dach des Flugzeugs. Sie ließen sich auf die vordere Treppe fallen, sodass sie zwischen den nachkommenden Fressern und der Kabinentür landeten. Während Lance mit einem Buschmesser die Treppe nach unten verteidigte, schloss der kleinere und kräftigere Ken das Schott.
Doch es waren noch zu viele Fresser frei. Sie drängten Lance die Treppe hinauf. Der junge Mann hatte kaum genug Platz, um seine Waffe zu schwingen. Ken konnte ihn nicht unterstützen, wurde hinter ihm an die Kabinentür zurückgetrieben.
Gill gab Sophia eilig ein Handzeichen. Sie sprangen die Treppe hinunter, um Lance zu helfen. Über das leere Feld sah Gill Zara, Jeanne und Hulk heransprinten. Es konnten nur die drei sein, Hulk war gut zu erkennen mit seiner hünenhaften Größe. Peter hatte strikte Order, auf seinem Aussichtsposten zu verharren. Blieben nur Zara und Jeanne. Die drei hielten Hieb- und Stichwaffen in den Händen statt ihrer üblichen Gewehre. Leise zu sein, hatte bei dieser Mission Priorität. Sie konnten es nicht gebrauchen, durch Geknalle mehr Infizierte anzulocken.
Gill zog seine beiden Jagdmesser aus ihren Halftern. Das Rennen und die Aufregung ließen sein Herz schneller schlagen.
Am Fuß der vorderen Flugzeugtreppe prallten Infizierte und Kämpfer aufeinander. Die Fresser nutzten Krallen und Zähne, versuchten, an den Klingen vorbei ihre Beute zu zerfetzen. Einer sprang über das Geländer der Treppe auf Jeanne hinunter. Doch Gill konnte nicht weiter darauf achten, wie sich die anderen schlugen. Er griff an, schlitzte eine Kehle auf, stach das andere Messer nach einer geschmeidigen Drehung in einen Schädel.
Das Kampfgetümmel war kurz und blutig. Als es vorbei war, lagen die Infizierten tot auf dem Boden. Ihr Gekreische war verstummt.
Mechanisch wischte Gill die Messer an seiner Hose sauber. Hemmungen, mit dem Blut der Infizierten in Berührung zu kommen, hatte er kaum noch. Nur hin und wieder schreckte er aus Gewohnheit davor zurück.
Während er die Messer einsteckte, versicherte er sich bei Jeanne, dass alles nach Plan gelaufen war. Dazu musste er seine Frage nicht aussprechen. Sie kannten sich lange genug, dass ein Blick in ihre Richtung genügte.
„Alle Zugänge sind versperrt“, sagte die Französin. „Die Horde war vollzählig. Das Gebiet ist sauber.“
Er nickte und nahm sein Funkgerät zur Hand. „Basislager, hier Reinigungsteam. Flugplatz bereit zur Bestückung. Wiederhole, Flugplatz bereit zur Bestückung.“
Es war Liam, der ihm antwortete. „Installationsteam unterwegs. Stellung halten.“
„Roger.“
Die Invitros würden nun wie abgesprochen Installateure losschicken, um Solarzellen auf dem Flugplatz aufzubauen. Ein neuer Komfort, den sie sich verschafften, indem sie Gill und die anderen Überlebenden in ihren sicheren Hafen ließen. Win-win sozusagen.
Die einen bekamen Betten, Essen und warmes Wasser, die anderen ein Zombieeinsatzteam und mussten nicht mehr kämpfen. Gills Leuten machte es nichts aus, die gefährlichen Erkundungs- und Sicherungsjobs zu erledigen. Wenn Liam sie rief, um sie auszuschicken, waren sie einsatzbereit. Und der Invitro plante gut, das musste Gill ihm lassen.
Der Flugplatz war der perfekte Ort für einen neuen Solarpark, um den Geneticskomplex mit Strom zu versorgen. Nach seiner Ausmusterung diente er als Freizeitziel für Ausflügler. Doch er verfügte noch weitreichend über Zäune und Absperrungen. Ein wenig Ausbesserungsarbeit, einige schwere Fahrzeuge für Blockaden und schon war die Sache geritzt. Blieb nur noch, die auf dem Gelände herumstromernden Zombies zusammenzutreiben und ins Flugzeug zu sperren.
Zara stieß den Atem aus und stützte die Hände in die Hüften. „Mir brennt die Kehle. Mann, waren die Fresser schnell. Ich dachte schon, die werde ich nicht los.“
Lance nickte. „Ich habe auch kurz gezweifelt, ob sie sich an Gill hängen.“
„Seid froh, dass es noch nicht so heiß ist.“ Sophia zog an ihrem Westenkragen. „Sonst wäre die Rennerei deutlich ungemütlicher geworden.“
„Die Viecher werden da drin gegrillt, wenn die Sonne erst richtig aufgegangen ist.“ Ken wies mit dem Kopf in Richtung Flugzeug.
Gill sah zur Maschine, die zurückgelassen worden war, als hätte jemand gewusst, dass sie einmal als Zombiesammelstelle gebraucht werden würde. Sie gehörte zu einer britischen Fluggesellschaft. Die weiße Grundfarbe war von Altersflecken und Moos angefressen. Der blaue Bauch und die rot-blauen Fähnchen auf dem Seitenleitwerk waren lediglich ansatzweise zu erkennen. Eine der Turbinen hing nur noch halb an der Tragfläche. An den ovalen Fenstern konnte Gill die sich drängenden Infizierten sehen.
Ken hatte Recht. Es würde unerträglich heiß im Flugzeug werden, wenn dieser Sommertag erst richtig in die Gänge kam. Doch Gill stellte sich keine dem Tode überlassenen Menschen vor, die verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Backofen suchten. Es waren nur Fresser, tote Wesen. Ihre Bewegungen waren wie die letzten Nervenimpulse geköpften Geflügels -bedeutungslos. Das Unbehagen über das Schicksal der Kreaturen war lediglich ein dumpfes Klopfen in seiner Brust, eine blasse Erinnerung an die Bevölkerung, zu der die Infizierten mal gehört hatten.
Er sah auf die Leichen zu seinen Füßen. Die meisten trugen Zivilkleidung. Doch einer der Fresser hatte eine Bordpersonaluniform an. Gill hockte sich hin und holte die rot-weiß-blaue Krawatte aus dem marineblauen Blazer hervor. Ein Namensschild hing am Sakko. Oliver Clarke.
Einer unserer Nachbarn hieß Clarke.
Gill sah zum Flieger zurück. Er fragte sich, wer in der Maschine gesessen hatte und wieso sie hier gelandet war. Hatte die Seuche England genauso schnell erreicht wie Deutschland? Er dachte zum ersten Mal seit langer Zeit darüber nach, wie es in London aussehen mochte. Hatten sein Vater oder sein Bruder überlebt? Er wischte den Gedanken beiseite. Keiner von ihnen würde sich mit der Frage quälen, ob Gill noch da war.
Er stand von plötzlicher Unruhe getrieben auf, sah zu einem der Türme, die in regelmäßigen Abständen um den Flugplatz aufragten. Peter gab sich zu erkennen, trat an das Geländer des Turms und zeigte die sich nähernden Invitros an.
Personalwechsel. Wir sind hier fertig.
Es überraschte Gill, wie erleichtert er war, gehen zu können. War es der Anblick der britischen Maschine, der ihn vertrieb, oder versuchte er, seinen Gedanken zu entkommen? Es war nicht wichtig. Er wollte gehen.
„Rücken wir ab“, sagte er. „Jeanne, du bleibst, bis die Ablösung da ist.“
Die Scharfschützin nickte und bezog Posten. Sie würde das Flugzeug im Auge behalten, während Peter die Zuverlässigkeit ihrer Barrikaden sicherstellte. Die restliche Crew hatte hier nichts mehr zu tun. Gill forderte sie auf, ihm zu folgen. Auf sie warteten eine warme Mahlzeit, eine Dusche und ein Bett. Es hatte etwas für sich, in den Invitrokomplex heimkehren zu können.
Bis zur Mauer, die den Flugplatz vom Rest der Stadt trennte, schwatzten sie fröhlich. Doch sobald sie sich daran machten, den mit Stacheldraht bewehrten, auf die Seite gekippten Doppeldeckerbus zu überqueren, wurden sie still. Es war das typische Schweigen, wenn sie in den Missionsmodus verfielen. Und wer auf Berlins Straßen unterwegs war, tat besser daran, im Missionsmodus zu sein.
Im Draht hingen zwei Tote. Ihre zerlumpten Kleiderreste und zerschundenen Körper wiesen sie als Infizierte aus. Niemand warf einen Blick auf sie. Ihre Anwesenheit war so selbstverständlich wie der alte Weihnachtsschmuck, der sich noch nach all den Jahren überall festkrallte. Gerippe von Tannen, kalte Lichterketten, zerrissene Girlanden.
Gill rutschte vom blanken Metall des Busses auf die Straße. Er musste achtgeben, sich an korrodierenden Stellen keine Splitter einzuziehen. Der Weg über die Fahrbahn voller verrosteter Autowracks, die wie verendete Tiere anmuteten, war unspektakulär.
Routiniert deckten sie sich den Rücken und prüften die nicht einsehbaren Stellen. Zara öffnete die Eingangstür zu einem Hochhaus auf der anderen Straßenseite – ihre gesicherte Passage. Durch das Treppenhaus gelangten sie auf das Dach, von dort aus über Brücken und Seile zum Geneticsgelände.
Das Gebäude, durch dessen Tor sie gehen wollten, war ein neoklassizistischer Altbau voller Wandstuck. Metallzäune trennten ihn von der Straße, wie um seine Relevanz zu betonen. Ein LKW hatte zwei der Doppelstabmatten niedergewalzt. Er hing wie ein Insekt im Netz des Zauns fest. Die Tür des Fahrerhauses stand offen.
Für einen kurzen Moment stellte sich Gill den panisch flüchtenden Fahrer vor, während die Menschen begannen, übereinander herzufallen. Er meinte fast, die Schreie zu hören, wie damals, als er mit Ken und Hulk aus dem Kino gekommen war. Auf der Straße waren Weihnachtslieder zu hören gewesen, während ein Kind seiner Mutter das Gesicht zerbiss.
Er schüttelte die Beklemmung ab. Selten dachte er an das Chaos zurück. Jetzt erinnerte nur der verrottende Festschmuck an den traurigen Zeitpunkt, als die Zivilisation ihr Ende gefunden hatte.
Hätte der LKW-Fahrer nur gewusst, wie nah er einem sicheren Versteck gewesen war. Doch die Invitros hätten ihn ohnehin nicht hereingelassen. Sie schotteten sich ab, nachdem sie den Ausbruch der Seuche genutzt hatten, um sich zu befreien.
Jetzt war alles anders. Überlebende und künstliche Gezüchtete taten sich zusammen. Gill und seine Leute lebten in der makellosen Invitrostadt. Es gab dort Gewächshäuser, Vieh, eine Stromversorgung, sogar ein Handynetz. Sie hatten genügend Wasser und Nahrung. Die Tore waren geschlossen und das Gelände hinter einem Ring aus Gebäuden verborgen. Nirgendwo hingen marode Girlanden oder zerfielen Tannen in ihren Lichterkettenfesseln.
Als sich das Tor vor ihnen öffnete, zögerte Gill. Die Dusche und das Essen lockten ihn nicht mehr. Durch den unsichtbaren Vorhang zu gehen, der die Außenwelt von der sauberen und heilen Komplexstadt trennte, rief Widerwillen in ihm hervor.
Als Zara sich nach ihm umsah, winkte er ab. „Geht schon vor. Ich hätte gerne einen Moment für mich.“
Sie nickte und folgte den anderen. Gill wartete, bis sich das Portal geschlossen hatte, lauschte einen Moment seinen Atemzügen. Doch der störende Knoten in seiner Brust löste sich nicht. Im Gegenteil, er zog sich fester zusammen.
Gill nahm seinen Helm ab, hängte ihn an den Gürtel und rieb sich das schweißnasse Haar. Als er mit den Handschuhen seinen Dreitagebart erwischte, kratzten die Stoppel geräuschvoll über das Kunstleder.
„Okay. Ich kann dich nicht loswerden, also reden wir.“
Nicht, dass ein lästiges Gefühl je geantwortet hätte, wenn man es ansprach. Doch Gill war jedes Mittel recht, um sich mit ihm zu arrangieren.
Wir brauchen ein sicheres Plätzchen zum Verhandeln.
Er sah sich um. Schnell fand er einen Zugang, um auf das Dach eines Gebäudes zu kommen. Es gehörte zu dem Ring aus Häusern, der die Invitrostadt vom Rest Berlins trennte. Auf Dächern rumzuhängen, war mit den Infizierten zur Gewohnheit geworden. Die hungrigen Jäger kletterten nicht.
Keine zehn Minuten später fand er sich am Rand des Daches wieder und ließ die Beine baumeln. Die Ziegel unter seinen Händen fühlten sich trotz der frühen Stunde heiß an. Kaum, dass die Sonne aufging, brannte die Stadt förmlich nieder. Der Morgentau hatte keine Chance, sich zu sammeln. Geregnet hatte es über einen Monat nicht mehr. Hätten sie noch draußen gelebt, wären sie diesen Sommer vermutlich verdurstet.
Er zerrte am Kragen seiner Sicherheitsweste. Auch, wenn er im Unterschlupf nicht auf den Schutz der Uniform angewiesen war, zog er sie jeden Tag an. Die Schutzkleidung gehörte zu ihm, war das Symbol des Lebens, wie es jetzt war. Daran hatte die Behaglichkeit ihrer neuen Zuflucht nichts geändert. Die Uniform zu tragen, hieß, die Menschen zu ehren, die es nicht bis hierher geschafft hatten. Freunde wie Mawhiney.
Natürlich war die Begeisterung groß gewesen, als sich die Invitros dafür aussprachen, die Überlebenden bei sich aufzunehmen. Sie mussten nicht mehr dauerhaft Angst vor Überfällen oder der Verwandlung in einen Fresser ertragen. Doch die Illusion von Sicherheit war kein Konzept, das Gill noch spüren konnte. Ob draußen oder drinnen, er war getrieben.
Er blickte über die bemoosten Dächer. Die dunklen Fensterhöhlen in den porösen Fassaden waren trostlos wie immer. Wracks, Gestrüpp und Trümmer bestimmten die Szene. Ein hässlicher Anblick. Trotzdem konnte sich Gill nicht davon lösen.
Sein Blick schweifte in die Ferne. Wie weit das Meer wohl weg war? Er sog die Luft ein. Es roch nur nach Hitze und Staub. Da hörte er hinter sich das Klappern von Ziegeln.
„Heimweh?“ Liam setzte sich neben ihn. Der Invitro wischte sich die verschwitzten Hände an der Hose ab.
Seine Worte bezogen sich auf die Stadt, die sich vor ihnen erstreckte. Er ahnte nicht, dass Gills Sehnsucht ihn weiter wegzog als vor die Komplextore. Kaum einer wusste, woher Gill kam. Sein Deutsch war akzentfrei. London lag so weit in der Vergangenheit, dass selbst Hulk und Ken nicht mehr davon sprachen.
„Unruhig“, gab Gill zu.
Er mochte Liam. Mittlerweile waren sie so etwas wie Freunde. Warum auch nicht, sie hatten einiges gemeinsam. Leute folgten ihnen, und sie beide wussten, wie schwer Verantwortung wog.
Umso erstaunlicher war die Gegensätzlichkeit ihres Wesens. Gill akzeptierte die Anführerrolle, die er sich nicht ausgesucht hatte. Liam kämpfte mit seinem Posten, konnte aber auch nicht davon ablassen. Er hatte einen Kontrolltick. Dass er die Macht über die KI hatte, die den Invitrokomplex betrieb, machte das nur schlimmer.
Manchmal meinte Gill, gerade diese Unterschiede würden sie zu einem guten Team machen. Dann gab es Zeiten, in denen ihm bewusst wurde, wie wenig man ihn brauchte. Liam hatte Charlie, die ihn auf den Boden der Tatsachen holte, wenn er abhob. Sie plante mit ihm die Missionen, um die Überlebenden bei Laune und das Gelände in Betrieb zu halten. Gill trabte nur mit.
Was bist du für ein eitler Pfau?
Es ließ sich nicht leugnen, dass Gill Schwierigkeiten hatte, eine Rolle im neuen Gefüge für sich zu finden. Den anderen schien es leicht gefallen zu sein. Sie brauchten nur einen verlässlichen Anführer, der ihre Macken verstand.
„Ihr seid ein hibbeliger Haufen“, merkte Liam an.
Dem konnte Gill nicht widersprechen. Er wusste, er war nicht der Einzige, der herumzustromern begann, wenn er zu lange im Komplex war. Die Invitros verstanden nicht, was die Überlebenden in die tote Stadt hinauszog.
Wie sollten sie auch – sie waren nicht dort draußen geboren worden. Die einzigen Überlebenden, die kein Bedürfnis verspürten, die alte Stadt zu sehen, waren die Kinder. Invitrokinder, Überlebendenkinder. Es gab da keine Unterschiede mehr. Sie sahen nach vorne und hielten alles zusammen.
„Gab es mit dem Flugzeug irgendwelche Probleme?“
Gill schüttelte den Kopf. „Das war easy.“
„Bei euch klingt es so einfach.“ Der Invitro sah nicht überzeugt aus. „Manchmal glaube ich, ihr nehmt es zu leicht.“
„Gewohnheit.“ Gill sah Liam an und fragte sich, worauf er hinauswollte. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen. Das Flugzeug war es bestimmt nicht. So sehr Gill auch glauben wollte, dass seine Gesellschaft einen Gewinn für jedermann darstellte, zweifelte er daran, dass Liam nur deshalb aufs Dach geklettert war. „Wo drückt der Schuh?“
„Es ist nicht wirklich ein Problem. Aber ich denke, wir sollten uns über die Moral unterhalten.“
„Schon wieder?“ Gill kniff die Augen zusammen. Er dachte, es liefe gut. Die Veteranen hatten mit der Sicherung des Flugplatzes genug Einsätze gehabt, um entspannt zum Komplex zurückzukommen. Von neuen Auseinandersetzungen zwischen Invitros und Überlebenden hatte Gill nichts gehört, zumindest nicht von seinen Leuten.
„Versteh mich nicht falsch“, sagte Liam. „Deine Leute haben alle ihren Platz in der Gemeinschaft gefunden und machen sich nützlich. Bis auf kleinere Reibereien ist alles prima.“
Gill sah ihn vielsagend an. Es war nicht nötig, dass Liam ihm Honig um den Bart schmierte.
Entschuldigend hob der Invitro die Hände. „Ich wollte das nur mal gesagt haben.“
„Es läuft gut. Und wir beide wissen, dass es vorerst bei einem Wir und Die bleiben wird. Das ist okay.“
Liam grinste. „Sag das mal Hulk und Rani.“
Gill dachte belustigt daran, wie sie die beiden wild knutschend im Kontrollraum eines Gewächshauses überrascht hatten.
„Und ich glaube, dass Ken sich mit Trey trifft.“
„Überrascht dich das?“, fragte Gill. Er selbst war wenig verblüfft, kannte er Ken doch als umtriebigen Liebhaber. Die Apokalypse war für seinen Freund in mehrfacher Hinsicht katastrophal gewesen. Außer Zara hatte es lange niemanden gegeben, mit dem er seinen Spaß haben konnte. Dabei war sich Gill nicht einmal sicher, ob zwischen Ken und Zara etwas gelaufen war.
„Ich wusste nicht, dass Trey Männer mag“, gab Liam zu. „Und dann mit einem Menschen von draußen. Aber ich wusste auch sonst nicht viel von ihm. Er ist sehr verschlossen.“
„Das gibt Hoffnung“, sagte Gill. Der Gedanke, wie leicht es manchen fiel, sich auf die neue Situation einzulassen, bescherte ihm ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Dadurch schien alles möglich. Doch die Hoffnung besänftigte das Ziehen in seiner Brust nicht. Es war wie ein Uhrwerk, das ihn in Bewegung hielt.
Liam beobachtete ihn. „Wir kommen miteinander zurecht. Aber das reicht euch nicht.“
„Das trifft es nicht ganz. Denk an Annie oder Giles. Sie sind vollkommen zufrieden bei euch. Sie konnten den Motor drosseln. Aber bei den meisten von uns läuft er weiter, ob wir wollen oder nicht. Vielleicht wird er mit der Zeit langsamer. Doch noch können wir nicht lange anhalten, ohne kaputt zu gehen. Manche werden es eventuell nie wieder können.“
„Und andere konnten es vielleicht nie.“ Liam wirkte bedrückt, als er das sagte.
Gill war sofort klar, dass er Charlie meinte. Für einen kurzen Moment spürte er Genugtuung. Doch dann wurde das egoistische Gefühl von Mitleid vertrieben.
„Hat Charlie Ameisen im Hintern?“
Liam schnaubte. „Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.“
Gill verstand die Frustration des Invitros. Charlie war noch weniger für einen müßigen Lebenswandel geschaffen als Gill oder die anderen Veteranen. Der Wunsch, sie zu halten, und das Wissen, es nicht zu können, waren keine Freunde.
„Es gibt keine Aufgabe, die du ihr geben kannst, um das zu ändern.“
„Ich weiß“, sagte Liam. „Aber mir ist in dem Zusammenhang ein Gedanke gekommen.“ Als er Gills fragenden Blick sah, fügte er hinzu: „Nicht wegen Charlie. Ich hatte eine Idee für uns alle.“
Gill konnte nicht verhehlen, dass er erleichtert war. Beziehungstipps zu Frauen, die er gerne selbst als Partnerin gehabt hätte, überstiegen dann doch seine Selbstlosigkeit.
„Was hast du im Sinn?“ Er spürte eine fiebrige Ungeduld in sich aufsteigen bei dem Gedanken, es könnte sich etwas Neues auftun.
„Ich habe in den letzten Wochen die Datenbank durchsucht.“
Das war keine Neuigkeit. Seit Charlie ihm vollen Zugriff auf die Archive verschafft hatte, verbrachte Liam viel Zeit bei der Sichtung des Materials. Gill wollte lieber nicht daran denken, welche Gräueltaten er dabei zu sehen bekam. Es gab haufenweise Videomaterial über die Experimente, die an den Invitros vorgenommen worden waren. Doch es waren wertvolle Informationen. Jedes Detail über Genetics und den Komplex verbesserte das Leben für sie alle. Es war ein notwendiges Übel, dem sich jemand stellen musste.
„Ich habe Informationen zu anderen Geneticskomplexen gefunden“, offenbarte Liam.
Gill musste nicht lange nachdenken, um zu begreifen, auf was er hinauswollte. „Du möchtest nachsehen, ob noch mehr deiner Art überlebt haben.“
„Auch. Aber es geht mir nicht nur um Invitros. Ihr habt hier draußen überlebt. Warum sollte es nicht auch in anderen Städten Überlebende geben?“
„Nicht alle Überlebenden sind nett“, wandte Gill ein. Trotzdem spürte er, wie sich die Idee in ihm festsetzte, ihn drängte, Pläne zu schmieden.
„Es wird gefährlich, so oder so.“
Gill wackelte mit den Augenbrauen. „Worauf warten wir dann noch?“ Gefahr war keine Abschreckung, sie war ein Versprechen. Doch Gill spürte noch etwas anderes, ein neues Gefühl, das gerade erst wie eine Flamme entfacht worden war. Es war die Idee, zurückkehren zu können.
„Ich nehme an, die Komplexe sind in großen Städten? An welche hattest du als Erstes gedacht?“ Die Anspannung in Gill wuchs.
Sag Frankreich. Von dort aus ist es nicht weit bis England.
„Am nächsten ist Paris.“
So sehr Gill die Antwort freute, so sehr schreckte er vor der Verlockung zurück. Wollte er London wirklich sehen?
Das musst du nicht gleich entscheiden.
„Wie lange würden wir brauchen?“
Liam hatte die Antwort parat. Anscheinend hatte er die Strecke längst geplant. „Wenn wir uns von den Ballungsgebieten fernhalten und zwischendurch kleinere Ortschaften ansteuern, um Vorräte aufzustocken, voraussichtlich zwei Monate.“
Das hielt Gill für realistisch. Sie würden zu Fuß gehen müssen. Fahrzeuge konnten sie nicht nutzen. Zum einen hatten sie kein unverdorbenes Benzin. Zum anderen war der Lärm von Motoren eine Gefahr, sollten sie auf unvorhergesehene Hindernisse stoßen.
„Ich werde die Strecke mit Kameras studieren, soweit ich es kann“, sagte Liam. „Aber über so große Entfernungen habe ich das noch nie gemacht. Es klappt nicht immer. Einiges werden wir unterwegs ausspähen müssen.“
Gill zuckte mit den Schultern. „Das bekommen wir hin.“ Motiviert wie lange nicht mehr klatschte er in die Hände und stand auf. Die Größenordnung dieser Unternehmung schreckte ihn nicht. Er konnte nicht leugnen, dass das Unbekannte einen ganz neuen Nervenkitzel bedeutete.
Sie standen in den zerbombten Schluchten eines Wohnkomplexes. Überall lagen zerfetzte Stücke eines Flugzeugrumpfs. Der vordere Teil ragte aufrecht aus dem Asphalt, als wollte die Maschine aus der Erde starten. Glas und Steinbrocken waren zwischen den Trümmern verteilt. Die Fronten der Häuser, die nicht zerstört worden waren, erhoben sich scharfkantig in den Himmel.
Gill war froh, seinen Helm zu tragen und nicht gegen den herrschenden Wind anblinzeln zu müssen. Neben ihm standen Charlie und Liam. Die Übrigen, die mit nach Paris gekommen waren, kauerten sich entweder hinter eine Deckung oder durchstöberten die Überreste.
Der Anblick des verwüsteten Komplexes war erschütternd. Er war nicht zugerichtet wie der Rest der Stadt, in der noch viele Häuser standen – verletzt und aufgebrochen, aber nicht vernichtet. Er war vollkommen zerstampft. Als klar geworden sein musste, dass das Gelände für die Firma nicht zu retten war, hatte sie es planiert.
„Hier ist nichts mehr zu holen“, sagte Hulk. Er schubste mit dem Lauf seines Gewehrs ein Stück Metall an. Es machte ein kratzendes Geräusch auf dem gesprungenen Asphalt. Sie alle zuckten zusammen und lauschten. Außer dem Wind, der heulend durch die Trümmer fegte, war nichts zu hören.
Zara drückte sich mit dem Mittelfinger den Tragus ins Ohr und wackelte damit hin und her. „Ich komme mir bei dem Gejaule vor wie umzingelt. Das klingt alles gleich.“
Das ständige Pfeifen machte es ihnen schwer, Infizierte zu hören. Kam der Wind aus der falschen Richtung, übertönte er alles. Kaum einer konnte zwischen Fresserstöhnen und Wetterheulen unterscheiden.
Robin, ein junges B-Invitromädchen, kaute nervös auf ihren Fingernägeln. Sie war die Einzige, die keine Waffe trug. Liam hatte sie ihr abgenommen, nachdem sie kurz nach ihrer Ankunft in Paris versehentlich auf die Scharfschützen geschossen und dadurch hunderte von Infizierten angelockt hatte.
„Das ist nur der Wind“, versuchte Gill, ihre Aufregung zu mildern.
Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihn an. Diesen Blick hatte er schon einmal gesehen, damals, als Hannah das Mädchen mit einer Waffe bedroht hatte. Doch dieser grauenvolle Moment lag hinter ihr.
„Du gewöhnst dich an die Angst.“ Gill drückte ihre Hand. „Und bis du dich unter Kontrolle hast, achten wir auf dich, keine Sorge.“
Sie nickte mechanisch. Ob sie ihn verstanden hatte, wusste er nicht genau. Doch er war zuversichtlich, dass sie sich nach und nach an die Gegebenheiten in Paris anpassen würde.
Er sah in den Himmel, beobachtete die Wolkentürme, die über sie hinwegrauschten. Ihre Schatten huschten über den Boden. Die Schemen der Ruinen wirkten wie Schlangen auf der Flucht vor ihnen.
„Lasst uns noch einen Blick in die beiden Gebäude werfen.“ Gill zeigte auf zwei Stahl- und Glaskonstruktionen, die halbwegs unbeschädigt zwischen den Trümmern aufragten.
Charlie betrachtete die Hochhäuser. Eine Hand lag auf ihrem dicken Babybauch, die andere hatte sie mit Liams verschränkt.
„Teilen wir uns auf“, sagte sie.
Niemand stellte es in Frage, dass sie das Kommando hatte. Charlie war die Beste im Überleben, furchtlos und mit einem hervorragenden Instinkt. Daran hatte die Schwangerschaft nichts geändert.
„Wir nehmen das Haus.“ Gill deutete auf das Gebäude, das weiter im Süden lag.
Es wirkte schwerer zu erreichen. Im näheren Umfeld standen keine anderen Bauwerke mehr. Mit dem Equipment, das Gills Leute dabeihatten, waren ihre Chancen besser, sich Zugang verschaffen zu können. Charlie und ihre Gruppe hatten es mit dem anderen Hochhaus leichter. In dessen Nähe stand ein Kran. Die Ruine gegenüber war mit den Resten eines Gerüsts verkleidet. Solange die Konstruktionen tragfähig waren, würden sich Charlies Traceure mit Leichtigkeit dort umschauen können.
Sie nickte zustimmend. „Dann los!“
Gill gab seiner Mannschaft das Zeichen zum Abzug. Die dunkelhäutige Invitro Rani, die eigentlich zu Liams Team gehörte, folgte ihm. Da sie schnell lernte und Hulk ihr die wichtigsten Handzeichen von Gill gezeigt hatte, störte es niemanden.
„Rani und ich nehmen die rechte Seite“, sagte Hulk.
Ken scherte daraufhin mit Zara auf die linke Flanke aus. Jeanne und Peter blieben bei Gill, während Sophia und Lance ihren Rücken deckten. Sie kamen nur langsam voran, da sie sich über das Geröll vorarbeiten mussten. Der untere Bereich des Zielobjekts war verschüttet. Teile der Steinlawine fraßen sich bis ins Erdgeschoss vor und drückten die Fenster ein.
Sie verschafften sich über die offen liegende Fassade im vierten Stock Zugang. Dort gab es monochrome, nüchterne Büros. Sie boten ein Bild der Panik und Verwüstung. Die Tische standen schief. Bildschirme waren von den Arbeitsplatten gestürzt. In einer Ecke lag ein herrenloser Schuh. Doch nach all den Jahren spürte Gill davon nichts mehr. Es war nur eine Erinnerung, wie sich die ersten Monate nach der Apokalypse angefühlt hatten. Mittlerweile war der Anblick Routine.
Im Flur lagen Teile der Einrichtung. Ein umgestürzter Aktenschrank, eine gesplitterte Tür. Es war dunkel und stickig.
„Lampen an“, flüsterte Gill.
In den Lichtkegeln ihrer Gewehrleuchten sahen sie rostrote Flecken auf dem Teppich und Schlieren an den Wänden. Gill trat auf etwas. Es knirschte. Als er den Fuß hob und den Boden beleuchtete, erkannte er einen Fingerknochen. Er war blank und schon alt. Nichts wies darauf hin, dass vor Kurzem jemand hier gewesen war.
Nach unten, signalisierte er.
Das Treppenhaus war weitestgehend intakt. Je weiter sie hinunterstiegen, desto schwerer wurde die Luft. Ein merkwürdiger Geruch mischte sich unter den Staub. Gill zuckte zusammen, als sein Funkgerät knackte. Schwer atmend nahm er es zur Hand und stellte es auf stumm. Dann drückte er die Sprechfunktaste.
„Ja?“
Es war Charlie, die sich meldete. „Wir konnten nicht mehr einsehen als das untere Stockwerk. Die Treppenhäuser und die Fahrstuhlschächte sind blockiert. Hier lebt keiner mehr. Wahrscheinlich bricht das ganze Gebäude bald zusammen.“
„Wir sind noch nicht fertig“, sagte Gill. „Wartet am Ausgangspunkt, wenn ihr könnt. Ansonsten sehen wir uns im Lager.“
„Okay.“
Gill steckte sich das Gerät wieder an die Weste. Sie kamen am Ende des Treppenhauses an eine schwere Tür. Jeanne öffnete sie vorsichtig einen Spalt breit. Keuchend hielten sich alle sofort die Hände vor den Mund. Der Geruch, der hinter der Tür hervorkam, war beißend. Es roch zu alkalisch für ein Vorratslager der Infizierten, aber eindeutig nach Leichen.
Gill nickte Jeanne zu, die die Tür ganz aufstieß. Er zog unter seinem Hemd ein Halstuch hervor, das er sich vor den Mund band. Die anderen taten es ihm gleich. Langsam drangen sie aus dem Treppenhaus vor.
Der flache Raum, der sich vor ihnen erstreckte, war gefliest. Er erinnerte Gill an ein Schwimmbad. Links von ihnen war ein Lastenaufzug. Schienen führten von ihm weg in den Raum hinein. Eine rollbare Mulde stand auf dem Gleis. Auf der rechten Seite waren Bedienfelder in die Wand eingelassen, stumm und glänzend wie schwarzer Teer.
Gill ging den anderen voran durch den großen Kachelraum. Die Schienen führten bis zu einem riesigen geschlossenen Tor. Zwischendurch zweigten sie einmal in einen Flur ab. Von dort kam der Geruch in dicken Schwaden.
Gill konnte nicht anders, als ihm entgegenzugehen. Sein Magen rebellierte, als er in den nächsten Raum trat. Vor ihm befand sich ein Becken, gefüllt mit einer merkwürdigen Substanz. Sie sah wie kotzgrünes Gelee aus.
„Ist das ein Bein?“ Lance schluckte schwer und beugte sich über das Becken.
Im gleichen Moment taumelte Ken nach hinten. Er hatte sich an den Beckenrand gehockt und die Spitze seines Gewehrlaufs in das Gelee gehalten. Zischend schmolz das Metall.
Gill durchschoss es heiß. Er riss den Jungen zurück.
Das ist das, was die Invitros Müllverwertungsanlage nennen. Liam hatte ihm davon erzählt. In solchen Anlagen wurden die mehr oder weniger toten Körper der Invitros entsorgt.
„Scheiße, was ist das?“, zischte Zara.
Rani sah über die glibberige Masse. „Das sind Tote.“ Sie ignorierte das Keuchen der anderen. „Wahrscheinlich ist der Abfluss mit der Masse an zersetztem Gewebe nicht klargekommen.“
Gill sah zur Decke und betrachtete die Düsen daran. Auch an den Wänden weiter hinten gab es einige. Er spürte deutlich seinen Fluchtinstinkt.
„Wieso hat es das Gewebe nicht vollkommen zersetzt?“, grübelte Zara. „Ich meine, es ist ein Jahrzehnt her. Selbst ohne den Säureglibber müssten die Leichen längst verwest sein.“
„Ach du Scheiße!“, rief Hulk.
Das widerhallende Geräusch ließ Gill hochfahren. Er drehte sich nach Hulk um. Der Hüne war in einen Nebenraum gegangen. Als sie ihm folgten, stießen sie auf Duschen und einen Haufen Skelette. Sie waren achtlos übereinandergeworfen worden. Kleiderfetzen hingen hie und da an den Knochen.
Peter ging näher heran und betrachtete einen Schädel. „Einschussloch. Die anderen auch.“
Zara nickte in Richtung Beckenraum. „Das war wohl der schnellste Weg, die Invitros loszuwerden, nachdem der Abfluss dicht war.“
„Lasst uns von hier verschwinden“, bat Sophia. „Wir wollten Überlebende suchen, und hier sind keine.“
Die anderen stimmten zu. Es war mehr eine Flucht als ein Rückzug. Selbst Gill lief ein Schauer über den Rücken, als würden ihn die Augen der Toten aus der trüben Masse anstarren. Hastig schloss er die schwere Tür hinter sich.
*
Rebecca sah zu der alten Eisenbahnbrücke. Rost bedeckte die Stahlelemente, Unkraut wucherte über die Schienen. Ein verlassener Zug stand mit offenen Türen mitten auf den Gleisen. Bewegungen waren keine zu sehen. Nur der Fluss strömte trüb unter der Brücke hindurch.
Gemeinsam mit den Invitros stand sie auf einem nahe gelegenen Dach. Icarus hielt sich an ihrer linken Seite, die Flügel eng an den Rücken gelegt, daneben sein Bruder Tauro. Eindrucksvoll ragten die Hörner über seinem maskierten Gesicht auf. Selkie kniete. Ihr feuchtes Robbenfell glänzte in der Sonne. Sie beobachtete die Fassaden der verwaisten Häuser sowie Lisette in ihrem Chass, dem Nanokampfanzug der Geneticstruppen. Der Anblick bescherte Rebecca ein Gefühl zwischen Nostalgie und Schrecken. Sie verband mit dem Hightechanzug zu viele Albträume.
Zu Rebeccas Rechten hatten sich Dillan, Cat in ihrer Tigergestalt, die Teleporterin Rachel und Bruce positioniert.
Mehr Invitros waren nicht übrig geblieben. Sieben von über dreihundert, die sich nach der Explosion von Distrikt 1 befreit hatten. Daran zu denken, schnürte Rebecca die Kehle zu.
Ihr Blick blieb an Dillan hängen. Wegen ihm waren sie heute hier und standen wie auf dem Präsentierteller, um die Geseco anzulocken. Wenn alles glattging, würden sie ihn in Reynells Truppe einschleusen. Es war eine Mission, deren Erfolg Rebecca erhoffte und gleichzeitig fürchtete. Sie würden Dillan lange nicht sehen, vielleicht auch nie wieder.
Er erwiderte ihren Blick. Zu ihrer Überraschung zwinkerte er ihr zu. Doch der kurze Anflug von Sympathie dauerte nicht lange.
Sie sah wieder zur Eisenbahnbrücke. In dem Moment bemerkte sie ein Flackern auf einem der Wagons.
„Es geht los.“
Schon blitzten die ersten Mündungsfeuer auf, als die getarnten Geseco vom Zugdach aus feuerten. Selkie legte ihre Arme um Icarus. Er ließ sich vom Dach fallen und breitete seine Schwingen aus. In einem weiten Bogen segelte er zur Brücke hinüber.
Rachel und Cat verschwanden ins Nichts. Gleich darauf erschienen sie auf dem Dach des Zuges. Der weiße Tiger schlug mit den Pranken nach einem flimmernden Fleck. Es sah aus, als würde er mit einem Schwarm Glühwürmchen tanzen, bis die Rüstung des Geseco sichtbar wurde. Das Tier nahm den Helm zwischen die Kiefer. Rebecca konnte es förmlich knirschen hören.
Ein weiterer Unsichtbarer stieß den Körper der Katze beiseite. Sie rutschte über das Dach hinunter. Rachel, die bis dahin geschossen hatte, löste sich auf. Bruce, der immer noch neben Rebecca stand, streckte die Hände aus. Als er drei Geseco vom Zug fegte, wurden sie kurz sichtbar.
Tauro wich ein Stück zurück, um Anlauf zu nehmen. Während er sprang, gaben Rebecca, Dillan und Lisette ihm Feuerschutz. Icarus zog nach oben, um dem Sperrfeuer auszuweichen. Sowie sein Bruder donnernd auf dem Blech gelandet war, ließ er Selkie fallen. Die Robbenfrau landete in Tauros Armen. Wieder auf den Füßen, packte sie sogleich einen Geseco, dessen Rüstung auf einer Seite Funken sprühte. Mit erstaunlicher Kraft warf sie sich mit ihm von der Brücke in den Fluss.
Das war der leichte Teil.
Tauro schlug mit der Faust nach einem weiteren Angreifer, der sich zu ihm umgewandt hatte. Auch seine Tarnung war nicht mehr intakt. Wie ein Geist huschte sein Schatten umher.
Rachel tauchte auf, ergriff Dillans Hand, und weg waren sie.
„Wir sind dran.“ Rebecca rannte mit Lisette los und zog einen Auslöser aus ihrer Tasche. Als sie draufdrückte, gab es in der Nähe eine Explosion. Ein Baukran stürzte um. Er krachte auf das Dach, über das sie rannten. Steine und Ziegel flogen umher, doch der Kran hinterließ keinen großen Schaden. Er legte sich über die Straßenschlucht zwischen dem Haus und den Stahlstreben der Brücke. Rebecca und Lisette kletterten rauf.
Icarus flog zu ihnen. Er packte sie jeweils an einer Hand und trug sie das letzte Stück. Dann ließ er sie einen Meter über den Schienen fallen.
Rebecca roch Staub und Blut. Sie packte ihr Gewehr. Sogleich musste sie einen Mann abwehren, der mit seiner leeren Waffe scheinbar aus dem Nichts nach ihr hieb. Er war immer noch getarnt, aber seine knirschenden Stiefel verrieten ihn.
„Dieses Mal töte ich dich!“
Reynells Stimme zu hören, ließ sie sich innerlich leer fühlen. Es machte sie effektiver, präziser, tödlicher. Sie grinste und sprang einen Schritt zurück.
Da bist du ja.
Das Messer, das er ihr in den Körper rammen wollte, ritzte nur die Haut auf ihrem Bauch an. Es blutete nicht mal.
„Du brauchst einen neuen Trick, wenn du gewinnen willst“, sagte sie.
Er enttarnte sich und zog sich den Helm von den fettigen Haaren. Dann entblößte er seine vergilbten Zähne zu einem wölfischen Grinsen.
Sie schoss auf ihn. Er warf sich durch eine offene Tür in den Zug. Langsam schlich sie näher und drückte sich gegen das kalte Metall der Außenhaut. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Bevor sie sich schwungvoll herumdrehen konnte, um in den Wagen zu schießen, hörte sie ein Geräusch neben sich. Sie rammte ihren Ellenbogen zur Seite. Dabei erwischte sie Reynells Gesicht. Er musste nach seinem Sprung in den Wagon aus der nächsten Tür wieder ausgestiegen sein.
Rebecca trat nach der Hand, in der er ein Messer hielt. Es fiel klirrend zu Boden. Reynell warf sich auf Rebecca. Sie rollten über die zugewachsenen Gleise. Er war stärker als sie, aber der Chass schränkte ihn in seiner Bewegungsfreiheit ein. Sie dagegen war wendiger, und es war nicht das erste Mal, dass sie sich mit einem Geseco auf dem Boden wälzte. Sie wand sich unter ihm heraus und sprang auf. Er packte sie am Knöchel, sie schlug wieder hin. Ihr Fuß traf ihn ins Gesicht. Sie hörte, wie seine Nase brach.
„Eins zu eins“, fauchte sie und rappelte sich auf.
Er kam ebenfalls auf die Beine. Blut rann über seinen Handschuh, den er sich ins Gesicht hielt. Sein Blick war mörderisch.
„Eins zu eins“, grollte er und schlug sich auf die linke Seite. Dort hatte er Rebecca vor Ewigkeiten sein Messer hineingerammt.
Plötzlich erklang ein Warnruf von Icarus. Infizierte näherten sich. Es musste eine Gruppe von außerhalb sein, die der Hunger in die Stadt trieb.
Reynell hob sein leeres Gewehr auf. Er richtete es auf Icarus und imitierte das Geräusch eines Schusses. Dann sah er zu Rebecca. „Bis nächstes Mal, Baby.“
Er ließ sein gammliges Grinsen sehen, stieß einen schrillen Pfiff aus und ging rückwärts davon. Fluktuierende Schatten und enttarnte Geseco folgten ihm. Geseco überließen es zu gerne den Invitros, ihren Kopf beim Kampf gegen die Fleischfresser hinzuhalten.
Rebecca sah sich nach ihren Freunden um. Icarus war auf dem Dach des Zuges gelandet und hatte Cat und Tauro neben sich. Lisette und Dillan kletterten über den Kran zu Bruce zurück. Ihre automatischen Waffen hingen an den Gurten um ihre Schultern. Als sie drüben waren, wandte sich Dillan um und drehte fragend seine Hand. Hatten sie einen Chass gesichert, mit dem er sich verkleiden konnte?
Rebecca sah sich suchend nach Selkie um. Sie schwamm im Wasser. Lediglich der obere Teil ihres Schädels sah heraus. Als sie Rebeccas Blick spürte, tauchte sie weiter auf und fuhr sich mit der Handkante über die Kehle. Der Kerl, den sie unter Wasser gezogen hatte, war tot. Einen besseren Moment, um Dillan mit ihm auszutauschen, gab es nicht. Reynell und seine Leute waren noch nicht weit weg.
Energisch signalisierte sie Dillan, Reynell zu folgen. Sie hatten keine Zeit, den Toten aus dem Wasser zu fischen und auszuziehen. Um die Verkleidung für Dillan musste sich Rachel mit ihren Teleporterfähigkeiten kümmern, während er sich an die Verfolgung der Geseco machte.
Dillan nickte und lief los. Während er sich bewegte, veränderte sich seine Form, und als Rebecca blinzelte, sah sie im nächsten Augenblick einen Geseco über die Dächer rennen. Rachel hatte ihm den Kampfanzug des Toten im Laufen übergestülpt. Die Fähigkeiten der Invitro waren beeindruckend.
Unvermittelt tauchte Rachel neben Rebecca auf. In den Armen trug sie eine Biorub-Flasche. Die Infizierten, die sie mit den aggressiven Nanos vernichten mussten, hatte Rebecca vollkommen vergessen. Der Rausch, gegen Reynell gewonnen zu haben, lenkte sie ab. Verlegen nahm sie die Flasche von Rachel entgegen und hievte sie sich auf den Rücken.
„Ich hole noch eine“, sagte die Teleporterin.
Rebecca nickte und lief mit ihrer Last zu der Stelle, wo Icarus auf dem Zug hockte. Tauro langte nach unten und zog sie hoch. Dann flog sie mit Icarus los.
Er hatte seine Arme um ihren Bauch geschlungen. Die kalte Flasche auf ihrem Rücken war zwischen ihnen. Es kostete sie ungeheure Kraft, nicht dazuhängen wie ein Sack, sondern ihren Körper soweit unter Spannung zu halten, dass sie wie in einem Drachenflieger lag. Mit zusammengebissenen Zähnen positionierte sie das Sprührohr und legte den Finger auf den Abzug.
Neben ihnen rannten Bruce und Lisette auf den Dächern entlang. Als sie die Gruppe Infizierter erreichten, die sich witternd ihren Weg durch die Straßen bahnte, eröffneten sie das Feuer. Sie wollten so viele wie möglich töten, bevor ihre Körper geschmolzen wurden. Es war zwar keine effiziente Nutzung von Munition, doch gut für ihr Seelenheil.
Icarus flog zwei Schleifen. Dann ging er tiefer, und Rebecca versprühte das Biorub. Qualvolles Heulen erklang. Drei der rauchenden Kreaturen versuchten, zu flüchten. Es würde ein entsetzlich langsamer Tod werden, wenn es ihnen gelang. Doch Bruce warf den Boden auf und zermalmte sie unter den Gesteinsmassen. Lisette schoss auf die qualmenden Leiber der Übrigen, bis es still wurde. Es war keine erlösende Stille, es war das hässliche Schweigen des Todes.
„Und wenn wir zurück sind, dann gönne ich mir erst einmal ein heißes Bad“, sagte Zara mit kehliger Stimme. Die Ekstase, die ihr dieses Erlebnis bereiten würde, war herauszuhören.
Ken lachte anzüglich. „Darf ich zusehen?“
Die Gruppe lief im Gänsemarsch einen Balkon entlang, sodass Gill die Leute hinter sich nicht sehen konnte. Es klapperte, als jemand aus dem Tritt geriet. Wahrscheinlich hatte Zara Ken gestoßen.
Die Haussmann-Bauten, zu denen der Balkon gehörte, der die gesamte Fassade umspannte, hatten eine Architektur, auf der man sich gut in höheren Lagen fortbewegen konnte. Die Häuser waren alle gleich aufgebaut und verliefen Wand an Wand an den Boulevards entlang. So gelangten sie bequem von Haus zu Haus, mussten nur hin und wieder ein Gitter zwischen den langen Balkonen übersteigen. Doch die komfortable Passage war heute kein Trost. Sie kehrten wieder von einer nutzlosen Aufklärungsmission zurück. Bisher hatte diese Stadt ihnen nichts von ihren Geheimnissen preisgegeben, sollte sie denn welche haben.
„Ich möchte einfach nur drei Tage lang schlafen“, sagte Sophia. „Und mit dir kuscheln.“
„Du brauchst gar nicht zu fragen, ob du mitmachen darfst“, warnte Lance Ken.
„Pft.“
„Ich freue mich aufs Essen“, gab Rani zu. An die Dosennahrung konnte sie sich am wenigsten gewöhnen. Der Geneticskomplex mit seinen Treibhäusern und den Strom generierenden Solaranlagen hatte die Invitros keinen Verzicht gelehrt. Mit allem anderen kam Rani erstaunlich gut zurecht, dem täglichen Kampf, der Furcht, der Zerstörung.
„Und du, Captain?“, fragte Ken in doppeldeutigem Ton. „Auch hungrig?“
„Du denkst nur an das Eine“, beschwerte sich Zara.
„Was denn? Schande über den, der Versautes denkt.“
„Ein ruhiger, ungestörter Ort für Sex wäre schon gut“, sagte Jeanne überraschend in trockenem Ton.
Jemand stolperte. Wahrscheinlich Ken, der kurz darauf murmelte: „Ach was.“
Plötzlich zischte Zara. „Ksch!“
Sie hielten inne und lauschten. Der Boulevard unter ihnen blieb ruhig. Doch Gill hatte nicht das Gefühl, dass sie so weit weg von der Straße alles mitbekamen. Deshalb lief seine Truppe normalerweise lieber auf Asphalt, als sich in luftiger Höhe zu bewegen. Doch diese Stadt war anders als zu Hause, roher, gefährlicher. Es gab eine ganze Menge mehr Infizierte, als wäre Paris noch immer ein beliebtes Touristenziel.
„Weiter“, sagte Gill.
Sie setzten sich erneut in Bewegung.
„Mal ehrlich“, griff Ken die Unterhaltung wieder auf. „Ihr seid doch alle genauso genusssüchtig wie ich.“
„Da spricht der Neid der Besitzlosen“, sagte Hulk.
Rani kicherte.
Ken brummte und schloss zu Gill auf. „Warum ist Trey nicht mitgekommen? Ich hoffe echt, wir kommen bald nach Hause.“
Das Leben im Komplex mit neuen Gesichtern hatte einige Vorzüge mit sich gebracht. Gill wurde bewusst, wie viel umgänglicher Ken dort gewesen war. Er war ein Mensch, der gerne und viel Sex hatte. Während der Apokalypse musste er sich in Ermangelung williger Partner kasteien.
„Und du, Captain?“, fragte Ken. „Nach Charlie mal wieder was flachgelegt?“
Und er ist ein Proll.
„Es gibt auch noch anderes im Leben.“ Gill war kein Mensch, der häufig Sex brauchte.
„Was machst du als Erstes, wenn wir zurück sind?“, bohrte Ken weiter.
Gill dachte nach. War er bereit zurückzugehen? Eigentlich gab es da noch etwas zu erledigen, bevor zurück überhaupt eine Option war. Er meinte, das Meer riechen zu können, und realisierte kaum, wie er seufzte.