Anke Ertz© 2020

Alle Rechte vorbehalten

bellvis@ertz.nl

1. Auflage 2020

Lektorat: Anke Ertz

Korrektorat: Anke Ertz

Umschlaggestaltung: BOD – Books on Demand GmbH

ISBN 9783752615371

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel
  2. Kapitel
  3. Kapitel
  4. Kapitel
  5. Kapitel
  6. Kapitel
  7. Kapitel
  8. Kapitel
  9. Kapitel
  10. Kapitel
  11. Kapitel
  12. Kapitel

1.

Da sitzt sie nun. Alleine im schwach beleuchteten Wohnzimmer und versucht meinen kleinen Bruder zum Schweigen zu bringen. Mit seinem Gebell wird er noch die Ganze Nachbarschaft aufscheuchen. Es gibt allerdings auch keinen ersichtlichen Grund, warum die Glocken des nahegelegenen Kirchturms an einem stinknormalen Mittwochabend um acht Uhr einen solchen Lärm veranstalten. Glockengeläut kann der Kleine nun mal nicht ausstehen. Meine Schwester hingegen liegt auf der Couch und pennt, während ich einen Ehrenplatz auf dem Schrank habe und das Ganze von dort aus überwache. Zumindest glaubt sie das. In Wahrheit hocke ich hier oben auf meiner Wolke und achte darauf, dass es während ihrer Spaziergänge nicht regnet. Tatsächlich mussten meine Geschwister seit ihrer Ankunft im neuen Zuhause, also seit fast fünf Monaten, keinen einzigen Morgen im Regen spazieren gehen.

Vielleicht sollte ich mich an dieser Stelle erst einmal vorstellen. Mein Name ist Rusty. Von den letzten fünfzehn Jahren habe ich vierzehneinhalb im Körper eines Malinois verbracht. Eigentlich war ich damit ganz zufrieden, aber nach so vielen Jahren schmerzten mir die Knochen doch sehr. Meine Beine wollten mir so gar nicht mehr gehorchen. Nach langen Überlegungen habe ich mich dazu durchgerungen, den Platz auf der Couch gegen den auf einer Wolke einzutauschen und es fortan mal als Engel zu versuchen. Die Flügel sind schon eine tolle Sache, aber mir läuft immer noch das Wasser im Mund zusammen, wenn auf der Erde eine Leberwurst in Frauchens Einkaufswagen landet. Ich hatte ja keine Ahnung, was ich mit dieser Entscheidung auslösen würde. Natürlich wollte ich den Platz auf dem Sofa an einen Erben weitergeben, aber hätte ich gewusst, wie traurig meine Familie über das Verschwinden meines alten, vertrauten Körpers war, ich hätte die Schmerzen noch eine Weile ertragen. Dabei bin ich doch immer noch da und verpasse keinen Moment im Leben meiner Familie. Aber fangen wir am Anfang an. Geboren wurde ich im Jahr zweitausendvier, also in dem Jahr, in dem Luciano Pavarotti seinen letzten Auftritt in der New York Metropolitan Oper gab und Griechenland Europameister wurde. Ich erwähne das nur, damit Ihrer Erinnerung an dieses Jahr etwas auf die Sprünge geholfen wird. Immerhin wurde das Finale der Europameisterschaft am vierten Juli ausgetragen und nur einen Tag später erblickte ich das Licht der Welt. Einer zunächst sehr unfreundlichen Welt, wie ich anmerken möchte, denn ich landete in einem Tierheim. Glücklicherweise führte das Schicksal mein zukünftiges Frauchen ein paar Monate später in diese spartanische Unterkunft und ich bellte so lange und laut, bis sie mich in meiner Zelle erhörte. Ich besaß nichts weiter als einen guten Quadratmeter kahlen Betonboden und einen Blechnapf mit Wasser. Nun bekam ich ein schickes Halsband, eine knallrote Leine und eine Schwester. In meinem neuen Zuhause erwartete mich eine recht betagte Berner Sennenhunddame namens Petzi, die ein wenig traurig wirkte. Sie hatte vor ein paar Wochen ihre Rottweilergefährtin Gina verloren und wollte nicht allein bleiben. Allerdings wollte sie auch keinen sechs Monate alten Rüden an ihrer Seite und gab mir erst einmal einen kräftigen Schubs, der mich quer durch den Flur meines neuen Zuhauses rutschen ließ. Die Fronten waren also schnell geklärt. Nun ja, der Boden war auch wirklich rutschig. Schließlich hatte mir niemand beigebracht, dass man nicht ins Haus pinkelt. Nach knapp einer Woche hatte ich die Sache mit der Stubenreinheit drauf und meinen Platz auf dem Sofa sicher. Auch Schwester Petzi hatte sich an ihren Bruder gewöhnt. Leider war unsere gemeinsame Zeit viel zu kurz. Nur gute zwei Monate später folgte sie Gina auf die Wolke. Auf Erden habe ich nicht mehr viel von ihr lernen können, aber nun sitzen wir hier oben oft zusammen und amüsieren uns über die Anfängerfehler, die unsere Familie doch nach so vielen Hundejahren nun wirklich nicht mehr machen dürfte.

Ich weiß, dass sich viele Menschen die Frage stellen, was nach ihrem Tod auf sie wartet. Hunde stellen sich diese Frage nicht. Trotzdem war ich ein wenig überrascht, als man mir hier oben die Wahl ließ. Ich war auf Erden ein guter Hund, aber ich sollte die Chance bekommen, es noch besser zu machen. Ein Teil meiner Seele durfte, sofern ich das wollte, noch einmal auf die Erde zurück. Was glauben Sie wie ich entschieden habe? Da unten meine trauernde Familie und die Leberwurst.

Ich gebe zu, in meinen ersten Monaten als junger Malionois im neuen Zuhause fand ich Näpfe ziemlich doof. Sowas gab es im Tierheim und diese unglücklichen Monate wollte ich nun wirklich hinter mir lassen. Ich war und blieb zunächst ein sehr, sehr dünner Hund. Mit viel Liebe und noch mehr Würsten hat mir meine Familie den Appetit zurückgegeben. Das sollte sich im Laufe meines Lebens noch rächen, aber dazu später. Für mich war klar, ein Teil meines alten Ichs würde im jungen Körper in meine alte Familie zurückkehren. Meine erste Aufgabe als Engel war aufmerksames Zuhören. Da unten auf meiner Couch wurde trotz aller Trauer über meine etwaige Nachfolge diskutiert. Der Sohn der Familie, bei meinem Einzug damals ein vierjähriges Kerlchen, hatte bereits eine feste Vorstellung vom neuen Familienmitglied. Aber versuchen Sie mal etwas von den Argumenten des inzwischen Neunzehnjährigen zu verstehen, wenn im Hintergrund Günther Jauch beim siebzehnten Zockerspecial seine Fragen stellt. Frauchen wünschte sich was Kleineres, was man auch mal unter den Arm klemmen könnte. Ich gebe zu, in Sachen Leinenführigkeit war ich nicht gerade ein Vorbild. Wenn ich aber die Diskussion richtig deutete, versuchte der Sohn des Hauses seinen Eltern gerade klarzuma chen, dass man auch einen Boxer durchaus mal Tragen könnte. Ausgerechnet! Ein Boxer! Nach mehr als vierzehn Jahren spitze Schnauze sollte ich nun Lernen mit einer kurzen Nase umzugehen? Na, das konnte ja lustig werden. Aber was tut man nicht alles für ein bisschen Leberwurst. Ich musste mich schleunigst nach einer trächtigen Boxerhündin umsehen. Allzu weit durfte der Geburtsort natürlich nicht von meinem ehemaligen Wohnort entfernt liegen. Noch während Herr Jauch die zweihundertfünfzigtausend Euro Frage stellte, entschied ich mich für einen wunderschön gestromten Boxerrüden, der in wenigen Tagen das Licht der Welt erblicken sollte.

So weit, so gut. Ich musste noch einmal durch diesen schrecklich engen Geburtskanal, aber dafür würde ich schon bald mein Frauchen über meinen eigenen Verlust hinwegtrösten. Zumindest war das der Plan und ich jubelte innerlich, als die komplette Familie endlich zur Besichtigung erschien.

Zu meinem Entsetzen entschieden sie sich für eine Hündin. Ein Mädchen? Ernsthaft? Diese kleine Prinzessin war die Erstgeborene, aber nur deshalb, weil ihre Schnauze kürzer war und sie sich in dem engen Geburtskanal mal eben vorgedrängelt hatte. Unverschämtheit. Sie gaben ihr den Namen Bella. Das ich nicht lache! Was ist nun bitte schön an dieser kurznasigen winzigen Boxerhündin. Aber gut. Sie ist meine Schwester, im übertragenen und auch im leiblichen Sinne. Zum Glück hockte ein Großteil meiner Seele ja immer noch mit Engelsflügeln auf der Wolke und hatte die Macht, ein wenig Schicksal zu spielen.

Natürlich glaubten alle da unten, aus ihren Fehlern gelernt zu haben. Zwei Hunde, das kam gar nicht in Frage. Aber irgendwie brachte ich den neunzehnjährigen Sohn dazu, ein Versprechen zu geben. Natürlich würde er sich immer und zu jeder Zeit kümmern. Ich brachte Frauchen dazu, sich neben Bella auch hoffnungslos in den kleinen Rüden zu verlieben und ich brachte Herrchen dazu, beide Hunde zu bezahlen.

Wie das mit Versprechen von jungen Erwachsenen nun eben so ist. Fünf Monate später saß Frauchen also nun allein in ihrem schwach beleuchteten Wohnzimmer. Aber eben nicht ganz allein. In der Sofaecke auf vielen, vielen Kissen pennte Prinzessin Bella. Am Fenster bellte ich, also nicht ganz, eben mein kleiner Bruder Elvis. Ein paar Zentimeter von mir, äh Elvis, entfernt, zwitscherten die Zwergpapageien Lemon und Peach eine fröhliche Melodie zum Glockengeläut. Auf dem Schrank thronte meine von Kerzen umgebene Urne mit den reizenden Pfotenabdrücken, während die Urnen meiner Schwestern Petzi und Gina, sowie die des vor einigen Jahren verstorbenen Kaninchens Casper, friedlich hinter Glas pennten. Der neunzehnjährige Student trank mit Freunden in einer Bar ein paar Bier. Herrchen war auf Dienstreise. Frauchen bat mich, äh Elvis, mit verzweifelter Stimme um Ruhe, während die Glocken des nahegelegenen Kirchturms ahnungslos weiter bimmelten. Die Ratgeber „Welpenerziehung“, „Haltung mehrerer Hunde“ und „Sprachkurs Hund“ langweilten sich auf dem Fernsehschrank, weil Frauchen ja eigentlich wusste, dass sie hingehen und mir, äh Elvis, sagen sollte, das alles gut war und er still sein sollte. Frauchen hatte es auch mehrfach versucht, leider gehorchten die Glocken nicht. Oben auf der Wolke hockten wir. Petzi, Gina und ich, zusammen mit Casper, der nun auch Flügel hatte und verfolgten gespannt das beste Fernsehprogramm. Das was da unten im Wohnzimmer passierte, war viel interessanter, als „Wer wird Millionär“.

2.

Bevor ich nun weiter die Erlebnisse meiner Menschen mit ihren neuen Welpen zum Besten gebe, ist es an der Zeit, meine eigenen Sünden auf Erden noch einmal Revue passieren zu lassen.

Im zarten Alter von sechs Monaten hatte ich, wie Sie ja bereits wissen, meine Erfahrungen überwiegend in diesem ungemütlichen Tierheim gemacht. Im Gegensatz zu meiner kargen Notunterkunft glaubte ich mich nun im Paradies. Die Abende verbrachte ich in Frauchens Arm auf dem Sofa. Ich passte ganz wunderbar in die Beuge ihres Ellbogens, wo ich tief und fest schlief. Diese Angewohnheit habe ich übrigens mein Leben lang nicht aufgegeben, obwohl ich Woche für Woche größer und länger wurde. Es dauerte nur knapp ein Jahr, bis ich mich damit zufrieden geben musste, meinen Kopf in ihren Schoß zu legen. Da ich meine Blase ja recht schnell unter Kontrolle bekommen hatte, durfte ich die Nächte sogar im Bett verbringen. Übrigens in genau dem Bett, neben dem nun seit einigen Wochen zwei orthopädische Hundekörbe der Größe XL stehen, aber dazu später.

So eine Nacht kann ganz schön lang sein und so begann ich mit meinem neu gewonnenen Selbstvertrauen das angrenzende Bad zu erkunden. Da ich noch kein besonders großer Hund war, hielten sich die Objekte in erreichbarer Höhe in Grenzen. Allerdings verfügte ich, im Gegensatz zu ihren neuen Vierbeinern, über eine recht lange Schnauze, die auch in kleinere Zwischenräume passte. So gelang es mir nach ein paar Versuchen, bei denen ich mir beinahe die Nase gequetscht hätte, den Deckel dieses merkwürdigen Behälters zu öffnen. Siehe da, ich hatte Wasser gefunden! Ich musste mich zwar weit über den rutschigen Rand beugen, um ein paar Schlucke nehmen zu können, aber ich hielt es dennoch für eine nette Geste meiner Menschen, einen so großen Trinknapf bereit zu stellen. Schließlich würde ich ja noch wachsen. Frauchen war weniger begeistert. Ich musste wohl nicht ganz leise gewesen sein und nahm an, dass sie böse war, weil ich sie geweckt hatte. Sie klappte mir kurzerhand den Deckel vor der Nase zu und nahm mich schimpfend mit zurück ins Bett.

Glücklicherweise wuchs ich recht schnell und konnte bald eine andere Wasserquelle finden. Hier plätscherte das Wasser sogar auf Befehl meiner Pfote lustig drauflos und ich konnte es mit einer einzigen Bewegung wieder stoppen. Das sollte sich während vieler warmer Sommernächte noch als sehr nützlich erweisen.

Noch war es aber Winter. Meine Menschen schliefen auf weichen Kissen und unter warmen Decken. Ich muss zugeben, nach den vielen Nächten auf dem harten Betonboden fühlte es sich herrlich an. Sogar zwischen den Zähnen. Eigentlich hatte ich ja nur ein bisschen knabbern wollen. An den harten Holzrahmen des Bettes traute ich mich nicht ran. Dort hatte meine Vorgängerin, die Rottweilerhündin ein ansehnliches Stück herausgebissen und die tiefen Zahnabdrücke verströmten immer noch ihren Geruch. Ein beeindruckendes Gebiss musste meine Schwester gehabt haben! Ich hatte einen großen Teil meiner Milchzähne verloren und arbeitete gerade am Aufbau meiner neuen Kauwerkzeuge. Da tat es richtig gut, ein wenig an dem weichen Stoffen zu nagen. Interessanter Weise stieß ich schon bald auf eine Feder. Wo mochte die wohl herkommen? Ich beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und bis zum Morgen hatte ich fast alle Federn befreit. Es war eine ganz schöne Menge zusammengekommen. Sie waren überall und ich freute mich riesig, dass sie aufstoben und herumflogen wenn ich hineinsprang. Freudig hüpfend weckte ich meine Menschen. Wie konnte man ein solches Spiel nur verschlafen? Frauchen standen die weißen Federn in ihren Haaren wirklich gut. Leider war dies meine letzte Nacht im Menschenbett. In dem Bett, in dem sich Prinzessin Bella und King Elvis jetzt jede Nacht so richtig breit machen. Die orthopädischen Hundekörbchen bleiben verwaist. Ich weiß aber ganz sicher, dass es nicht mehr die gleichen Decken sind. Die neuen haben noch nicht mal Federn!

Vielmehr hab ich gar nicht angestellt. Wie gesagt, ich war ein guter, dankbarer Hund. Immerhin haben meine Menschen mich aus dem Tierheim geholt. Ein paar Zahnabdrücke in Möbelstücken gehören ja wohl zum guten Ton und die achtzehn Eineinhalbliterflaschen Cola, denen ich die Hälse abgebissen habe, zählen nicht. Ich war einfach schon damals gegen Plastik und habe früh erkannt, dass der Trend in einigen Jahren wieder zurück zur Glasflasche gehen würde. Zugegeben, es war eine ziemlich klebrige Schweinerei, die da auf dem Küchenboden schwamm, aber ich war meiner Zeit eben weit voraus.

Die paar Pflanzen, die ich im Garten entwurzelt habe waren ein Kavaliersdelikt, gegenüber dem was meine Geschwister noch alles mit ihrem neuen Spielplatz anstellen werden. Dabei wünsche ich ihnen schon jetzt gute Unterhaltung. Im Vergleich zu Bella und Elvis war ich wirklich ein Waisenkind. Eben nicht nur im wörtlichen Sinne.

Das Einzige, was man mir ernsthaft vorwerfen kann, war mein Verhalten an der Leine. Mein Fluchtinstinkt war stärker, als meine doch schon sehr enge Bindung an meine Menschen. Da können sie mal sehen, wie sehr ich mich gefürchtet habe. Alles was ratterte und knatterte ließ mich zappeln wie ein Fisch an der Angel. Nur, dass ich eben ein sehr großer und schwerer Fisch war. Meine anfängliche Zurückhaltung beim Essen hatte immerhin dazu geführt, dass ich nach Strich und Faden mit Wurst und Fleisch verwöhnt wurde und mit den Jahren ein wenig moppelig wurde. Aber ich schweife ab. Ich möchte Ihnen ja hier nicht den Mund wässrig machen, sondern von meinen Problemen an der Leine erzählen. Mit ein bisschen Übung schaffte ich es, mich innerhalb kürzester Zeit in ein schlangenähnliches Wesen zu verwandeln. Es gab kein Halsband und kein Geschirr, aus dem ich mich nicht mit einem geschickten Sprung und einer Rückwärtsdrehung befreien konnte. Überhaupt war ich recht beweglich. Ich kletterte auf Bäume, wie ein Affe und überwand ohne Probleme den Gartenzaun. Die Nachbarn waren wenig begeistert. Vielleicht hatten sie Angst um ihre Kuh. Ich ahnte zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass es auch Hunde mit schwarzen Punkten auf weißem Fell gab und dachte es handele sich um den Nachwuchs der recht beleibten Nachbarin. Immerhin ernährten sich beide von Pizza.