David Graeber
BULLSHIT-JOBS
Vom wahren Sinn
der Arbeit
Aus dem Englischen von
Sebastian Vogel
Klett-Cotta
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Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Bullshit Jobs. A Theory«
© 2018 by Simon & Schuster, New York
Für die deutsche Ausgabe
© 2018, 2020 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg
unter Verwendung eines Fotos von © Simon & Schuster, New York
Datenkonvertierung: C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen
Printausgabe: ISBN 978-3-608-98245-7
E-Book: ISBN 978-3-608-11506-2
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
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Vorwort
Im Frühjahr 2013 sorgte ich unabsichtlich für eine kleine internationale Sensation.
Es begann damit, dass ich einen Artikel für eine neue radikale Zeitschrift namens Strike! schreiben sollte. Der Redakteur fragte, ob ich etwas Provokatives hätte, das sonst keiner veröffentlichen wollte. Meist habe ich eine oder zwei Ideen für solche Essays in petto, also schrieb ich einen Entwurf und gab ihm den kurzen Titel »Über das Phänomen der Bullshit-Jobs«.
Ausgangspunkt für den Artikel war eine Vermutung. Jeder von uns kennt berufstätige Menschen, die nach dem Eindruck von Außenstehenden eigentlich nicht viel tun: Personalberater, Kommunikationskoordinatoren, PR-Wissenschaftler, Finanzstrategen, Anwälte für Gesellschaftsrecht oder die (im akademischen Umfeld allgemein bekannten) Leute, die ihre Zeit in Gremiensitzungen zubringen und über das Problem überflüssiger Gremien diskutieren. Die Liste schien endlos zu sein. Wäre es nicht möglich, so fragte ich mich, dass diese Jobs tatsächlich nutzlos sind und dass diejenigen, die sie ausführen, sich dessen auch genau bewusst sind? Jeder trifft doch von Zeit zu Zeit auf Menschen, die den Eindruck haben, dass sie eine witzlose, unnötige Tätigkeit ausführen. Kann irgendetwas stärker demoralisieren, als während seines ganzen Erwachsenenlebens an fünf von sieben Tagen morgens aufzuwachen und dann eine Arbeit zu verrichten, von der man insgeheim glaubt, dass sie nicht verrichtet werden muss – dass sie einfach nur Zeit- und Geldverschwendung ist oder die Welt sogar schlechter macht? Wäre das nicht eine schreckliche seelische Wunde, die sich quer durch unsere Gesellschaft zieht? Wenn ja, dann war es eine Wunde, über die anscheinend niemand sprach. Ob die Menschen in ihrem Beruf glücklich sind, wurde in einer Vielzahl von Umfragen untersucht. Aber soweit ich weiß, gab es keine Untersuchung zu der Frage, ob Menschen den Eindruck haben, dass ihr Beruf eine Daseinsberechtigung hat.
Der Gedanke, unsere Gesellschaft könne von unnützen Tätigkeiten durchsetzt sein, ohne dass jemand darüber reden mag, erscheint nicht von vornherein unplausibel. Das Thema Arbeit ist mit Tabus besetzt. Schon die Tatsache, dass die meisten Menschen ihren Job nicht gern tun und jede Ausrede, nicht zur Arbeit zu gehen, reizvoll finden, kann man im Fernsehen nicht ohne Weiteres ansprechen – jedenfalls nicht in den Fernsehnachrichten; nur in Dokumentarfilmen und Stand-up-Comedys wird gelegentlich darauf angespielt. Solche Tabus habe ich selbst erlebt: Ich war einmal als Medienbeauftragter für eine Aktivistengruppe tätig, die Gerüchten zufolge im Rahmen der Proteste gegen einen Weltwirtschaftsgipfel mit einer Kampagne des zivilen Ungehorsams den Nahverkehr von Washington lahmlegen wollte. In den Tagen davor konnte man, wenn man wie ein Anarchist aussah, fast nirgendwo hingehen, ohne dass man von fröhlichen Staatsdienern angesprochen wurde. Sie erkundigten sich, ob es wirklich stimmte, dass sie am Montag nicht zur Arbeit fahren müssten. Dennoch gelang es Fernsehteams zur gleichen Zeit, städtische Angestellte zu interviewen – und es würde mich nicht wundern, wenn es in manchen Fällen dieselben Angestellten waren –, die sich pflichtschuldig dazu äußerten, wie entsetzlich tragisch es doch wäre, wenn sie nicht zur Arbeit gehen könnten. Schließlich wussten sie, dass sie damit ins Fernsehen kommen würden. Offensichtlich sind die Menschen nicht bereit, freimütig zu sagen, was sie über solche Fragen wirklich denken – jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.
Es war plausibel, aber eigentlich wusste ich es nicht. Den Artikel zu schreiben, war für mich so etwas wie ein Experiment. Ich war gespannt, welche Reaktionen ich damit auslösen würde.
Für das Augustheft 2013 schrieb ich:
Im Jahr 1930 prophezeite John Maynard Keynes, die Technologie werde bis zum Ende des Jahrhunderts so weit fortgeschritten sein, dass Länder wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten bei einer 15-Stunden-Arbeitswoche angekommen wären. Wir haben allen Grund zu glauben, dass er recht hatte. Aus technischer Sicht wären wir dazu durchaus in der Lage. Und doch kam es nicht so. Wenn überhaupt, wurden mithilfe der Technologie neue Wege erschlossen, damit wir alle mehr arbeiten. Um das zu bewerkstelligen, musste man Jobs schaffen, die letztlich nutzlos sind. Insbesondere in Europa und Nordamerika führen Heerscharen von Menschen während ihres ganzen Berufslebens Tätigkeiten aus, von denen sie insgeheim glauben, dass sie nicht ausgeführt werden müssten. Aus dieser Situation erwächst ein weitreichender moralischer und geistiger Schaden. Er ist eine Narbe, die sich quer über unsere kollektive Seele zieht. Und doch spricht praktisch niemand darüber.
Warum wurde das von Keynes versprochene Utopia – das noch in den 1960er Jahren sehnlichst erwartete wurde – niemals Wirklichkeit? Heute lautet die Standardantwort: Er sah die starke Zunahme des Konsumdenkens nicht voraus. Wenn wir die Wahl zwischen weniger Arbeitsstunden und mehr Spielzeug oder Vergnügungen haben, entscheiden wir uns kollektiv für Letzteres. Das gibt ein hübsches moralisches Märchen ab, aber schon bei kurzem Nachdenken wird klar, dass es nicht stimmen kann. Ja, wir sind seit den 1920er Jahren Zeugen geworden, wie eine endlose Vielfalt neuer Berufe und Branchen entstanden ist, aber nur die wenigsten davon haben mit dem Vertrieb von Sushi, I-Phones oder schicken Sneakers zu tun.
Um was für neue Jobs handelt es sich eigentlich im Einzelnen? Ein klares Bild liefert ein kürzlich erschienener Bericht, in dem die Beschäftigung in den Vereinigten Staaten in den Jahren 1910 und 2000 verglichen wurde (und der, so muss ich feststellen, in Großbritannien seinen genauen Widerhall findet). Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ist die Zahl derer, die als Hausangestellte, in der Industrie und in der Landwirtschaft arbeiteten, drastisch gesunken. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Arbeitskräfte in den Bereichen von »Gewerbe, Verwaltung, Behörden, Verkauf und Dienstleistungen« verdreifacht und ist »von einem Viertel auf drei Viertel der Gesamtzahl der Beschäftigten« gewachsen. Mit anderen Worten: Jobs in der Produktion wurden gemäß den Vorhersagen im Wesentlichen wegautomatisiert. (Selbst wenn man die Industriearbeiter auf der ganzen Welt einschließlich der schuftenden Massen in Indien und China zählt, machen solche Arbeiter bei Weitem nicht mehr einen so hohen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung aus wie früher.)
Aber statt zuzulassen, dass eine drastische Verkürzung der Arbeitszeiten der Weltbevölkerung die Freiheit verschaffte, ihren eigenen Vorhaben, Vergnügungen, Visionen und Ideen nachzugehen, wurden wir Zeugen einer Aufblähung, von der allerdings weniger der »Dienstleistungssektor« betroffen war als vielmehr der Verwaltungsbereich. Das ging bis hin zur Schaffung ganz neuer Branchen wie Finanzdienstleistungen oder Telefonwerbung und bis zur beispiellosen Ausweitung von Sektoren wie Unternehmensrecht, Hochschul- und Gesundheitsverwaltung, Personalwesen und Public Relations. Und in den Zahlen sind all diejenigen, deren Aufgabe es ist, die genannten Branchen administrativ, technisch oder im Hinblick auf die Sicherheit zu unterstützen, ebenso wenig enthalten wie die vielen ergänzenden Branchen (Hundepfleger, Rund-um-die-Uhr-Pizzaboten), die nur deshalb existieren, weil alle anderen einen so großen Teil ihrer Zeit für die Arbeit in den übrigen Branchen aufwenden.
Das sind die »Bullshit-Jobs«, wie ich sie gern nennen möchte.
Es ist, als würde sich irgendjemand sinnlose Tätigkeiten ausdenken, nur damit wir alle ständig arbeiten. Und genau da liegt das Rätsel. Im Kapitalismus sollte genau das eigentlich nicht eintreten. Natürlich, in den alten, ineffizienten sozialistischen Staaten wie der Sowjetunion, wo Beschäftigung sowohl ein Recht als auch eine heilige Pflicht war, schuf das System so viele Jobs, wie es schaffen musste. (Deshalb waren in den sowjetischen Kaufhäusern drei Verkäufer nötig, um ein Stück Fleisch zu verkaufen.) Aber solche Probleme sollte der marktwirtschaftliche Wettbewerb eigentlich beseitigen. Zumindest in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie wäre es das Letzte, was ein gewinnorientiertes Unternehmen tun würde, Geld an Mitarbeiter auszuzahlen, die eigentlich nicht gebraucht werden. Und doch geschieht genau das.
Konzerne nehmen zwar ständig erbarmungslose Kürzungen vor, aber von Entlassungen und Mehrarbeit sind regelmäßig diejenigen Menschengruppen betroffen, die tatsächlich Dinge herstellen, transportieren, reparieren und instand halten. Durch eine seltsame Alchemie, die niemand erklären kann, wird die Zahl der bezahlten Aktenschieber am Ende immer größer, und immer mehr Angestellte arbeiten – sowjetischen Arbeitern eigentlich nicht unähnlich – auf dem Papier 40 oder sogar 50 Stunden in der Woche, aber effizient arbeiten sie, wie Keynes es vorhergesagt hatte, nur 15 Stunden. Die übrige Zeit dient dazu, zu organisieren, an Motivationsseminaren teilzunehmen, Facebook-Profile zu aktualisieren oder Fernsehserien herunterzuladen.
Die Antwort ist eindeutig nicht wirtschaftlicher, sondern moralischer und politischer Natur: Die herrschende Klasse hat gemerkt, dass eine glückliche, produktive Bevölkerung, der viel Freizeit zur Verfügung steht, eine tödliche Gefahr ist. (Denken wir nur daran, was in den 1960er Jahren geschah, als man dem nur ein wenig näher kam.) Und andererseits ist es für sie ein außerordentlich bequemes Gefühl, Arbeit als solche sei ein moralischer Wert und jeder, der sich nicht während des größten Teils seiner wachen Stunden einer strengen Arbeitsdisziplin unterwirft, habe nichts verdient.
Als ich einmal über das scheinbar endlose Wachstum der administrativen Zuständigkeiten an britischen Hochschulinstituten nachdachte, überfiel mich eine mögliche Vision der Hölle. Die Hölle ist eine Ansammlung von Personen, die den größten Teil ihrer Zeit mit einer Tätigkeit beschäftigt sind, die sie nicht mögen und nicht besonders gut beherrschen. Angenommen, sie wurden eingestellt, weil sie ausgezeichnete Möbeltischler sind, und dann merken sie, dass sie während eines Großteils ihrer Zeit Fische braten sollen. Die Tätigkeit muss auch eigentlich nicht ausgeführt werden – schließlich gibt es nur eine sehr begrenzte Zahl von Fischen, die gebraten werden müssen. Aber irgendwie sind alle besessen von Widerwillen bei dem Gedanken, einige ihrer Kollegen könnten vielleicht mehr Zeit mit dem Bau von Möbeln zubringen und nicht ihren gerechten Anteil an der Zuständigkeit für das Fischebraten übernehmen; dann dauert es nicht lange, bis überall in der Werkstatt riesige Haufen unnützer, schlecht gebratener Fische herumliegen und das Fischebraten das Einzige ist, was alle tatsächlich tun.
Das ist nach meiner Überzeugung eine ziemlich zutreffende Beschreibung für die moralische Dynamik in unserer Wirtschaft.
Nun ist mir klar, dass eine solche Argumentation sofort auf Widerspruch stoßen wird: »Wer sind Sie, dass Sie beurteilen können, welche Tätigkeiten wirklich ›notwendig‹ sind? ›Notwendig‹ – was bedeutet das überhaupt? Sie sind Professor für Anthropologie – welche ›Notwendigkeit‹ gibt es dafür?« (Und tatsächlich würden viele Leser der Boulevardpresse meine Tätigkeit für den Inbegriff der Vergeudung öffentlicher Mittel halten.) Auf einer gewissen Ebene stimmt das natürlich. Ein objektives Maß für gesellschaftlichen Wert kann es nicht geben.
Wenn jemand nach eigener Überzeugung eine sinnvolle Tätigkeit ausübt, würde ich mir nicht anmaßen, ihm zu sagen, dass es nicht stimmt. Aber wie steht es mit denen, die selbst überzeugt sind, dass ihre Arbeit sinnlos ist? Vor nicht allzu langer Zeit nahm ich wieder Kontakt mit einem Schulfreund auf, den ich nicht mehr gesehen hatte, seit ich 15 war. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich, dass er zuerst Dichter und dann Frontmann einer Indie-Band geworden war. Ich hatte einige seiner Lieder im Radio gehört, aber ich hatte keine Ahnung gehabt, dass ich den Sänger kannte. Er war offensichtlich geistreich und fantasievoll, und mit seiner Arbeit hatte er zweifellos das Leben vieler Menschen auf der ganzen Welt aufgeheitert und verbessert. Dennoch hatte man ihm nach einigen erfolglosen Alben seinen Vertrag gekündigt, und da er nun mit Schulden und einer neugeborenen Tochter belastet war, traf er am Ende, wie er selbst es formulierte, »die Wahl so vieler orientierungsloser Menschen: ein Jurastudium«. Heute arbeitet er als Firmenanwalt in einer bekannten New Yorker Kanzlei. Er räumte als Erster ein, dass seine Tätigkeit vollkommen sinnlos sei, keinen Beitrag zur Welt leiste und nach seiner eigenen Einschätzung überhaupt nicht existieren sollte.
An dieser Stelle kann man eine Menge Fragen stellen. Die erste lautet: Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass sie offensichtlich nur einen äußerst begrenzten Bedarf an Dichtern und Musikern hat, während anscheinend eine unbegrenzte Nachfrage nach Spezialisten für Gesellschaftsrecht besteht? (Die Antwort: Wenn ein Prozent der Bevölkerung den größten Teil des gesamten Reichtums kontrolliert, spiegelt der sogenannte Markt wider, was sie – und nicht alle anderen – für nützlich oder wichtig halten.) Vor allem aber zeigt es, dass die meisten Menschen in sinnlosen Berufen sich der Sinnlosigkeit letztlich bewusst sind. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals einen Firmenanwalt kennengelernt habe, der seinen Job nicht für Bullshit hielt. Das Gleiche gilt für nahezu alle anderen zuvor genannten Branchen. Es gibt eine ganze Klasse hoch bezahlter Spezialisten, die auf einer Party jedes Gespräch über ihre Arbeitsrichtung vermeiden werden, wenn der andere erklärt, er tue etwas, das als interessant gelten könnte (beispielsweise weil er Anthropologe ist). Gibt man ihnen ein paar Drinks, brechen sie in Schimpftiraden über ihren eigentlich sinnlosen, dummen Job aus.
Hier liegt eine tief greifende psychische Gewalt. Wie kann man auch nur ansatzweise von der Würde der Arbeit sprechen, wenn man insgeheim den Eindruck hat, dass es den eigenen Job eigentlich gar nicht geben sollte? Wie soll da nicht ein Gefühl des tiefen Zorns und Widerwillens aufkommen? Und doch ist es die eigenartige Genialität unserer Gesellschaft, dass die Herrschenden wie im Beispiel der Fischbrater einen Weg gefunden haben, um den Zorn genau gegen diejenigen zu richten, die tatsächlich sinnvolle Arbeit tun. Ein Beispiel: Offensichtlich gilt in unserer Gesellschaft die Regel, dass eine Arbeit umso schlechter bezahlt wird, je offensichtlicher sie anderen Menschen nützt. Auch hier ist es schwierig, ein objektives Maß zu finden, aber einen Eindruck kann man sich mit einer einfachen Frage verschaffen: Was würde geschehen, wenn diese ganze Berufsgruppe einfach verschwinden würde? Man kann über Krankenschwestern, die Mitarbeiter der Müllabfuhr oder Automechaniker sagen, was man will, aber eines liegt auf der Hand: Würden sie sich plötzlich in Luft auflösen, die Folgen wären sofort spürbar und katastrophal. Auch eine Welt ohne Lehrer oder Hafenarbeiter würde schnell in Schwierigkeiten geraten, und selbst ohne Science-Fiction-Autoren oder Ska-Musiker wäre sie sicher weniger schön. Dagegen ist nicht ganz klar, wie die Welt leiden würde, wenn alle Private-Equity-Manager, Lobbyisten, Public-Relations-Forscher, Versicherungsfachleute, Telefonverkäufer oder Rechtsberater auf ähnliche Weise verschwinden würden.[1] (Vielfach herrscht der Verdacht, dass sie sich merklich verbessern würde.) Aber abgesehen von einer Handvoll vielfach gepriesener Ausnahmen (Ärzte!) gilt die Regel überraschend gut.
Was noch perverser ist: Anscheinend herrscht allgemein der Eindruck, dass es so sein muss. Das ist eine der geheimen Stärken des Rechtspopulismus. Man erkennt sie, wenn die Boulevardpresse den Zorn gegen die U-Bahn-Mitarbeiter schürt, weil sie London während der Tarifverhandlungen lahmlegen: Schon die Tatsache, dass die U-Bahn-Angestellten London lahmlegen können, ist der Beweis, dass ihre Arbeit tatsächlich notwendig ist, aber genau das, so scheint es, ärgert die Menschen. Noch deutlicher wird das Prinzip in den Vereinigten Staaten: Dort ist es den Republikanern bemerkenswert gut gelungen, Ressentiments gegen Lehrer und die Arbeiter der Autofirmen zu wecken (aber interessanterweise nicht gegen die Schulverwaltungsbeamten oder Automanager, die eigentlich die Probleme verursachen), weil sie angeblich überhöhte Gehälter beziehen und Vorteile genießen. Es ist, als würde man zu ihnen sagen: »Aber ihr unterrichtet ja Kinder! Ihr baut Autos! Ihr habt ja richtige Arbeit! Und obendrein habt ihr noch die Stirn, Mittelklassepensionen und Krankenversicherung zu erwarten?«
Hätte jemand für die Arbeitswelt ein System entwerfen sollen, das sich ideal dazu eignet, die Macht des Finanzkapitals aufrechtzuerhalten, so ist kaum zu erkennen, wie man es hätte besser machen können. Echte, produktive Arbeiter werden erbarmungslos unter Druck gesetzt und ausgebeutet. Der Rest gliedert sich in die terrorisierte Schicht der allgemein geschmähten Arbeitslosen und eine größere Schicht derer, die im Wesentlichen fürs Nichtstun bezahlt werden; ihre Positionen sind so gestaltet, dass sie sich mit den Sichtweisen und Empfindlichkeiten der herrschenden Klasse (Manager, Beamte und so weiter) – und insbesondere ihren finanziellen Inkarnationen – identifizieren können, aber gleichzeitig nähren sie auch einen unterschwelligen Widerwillen gegen alle, deren Arbeit einen eindeutigen, unbezweifelbaren gesellschaftlichen Wert hat. Natürlich wurde dieses System nie bewusst so gestaltet, sondern es erwuchs aus einem Jahrhundert des Ausprobierens. Aber es ist die einzige Erklärung dafür, dass wir trotz unserer technischen Möglichkeiten nicht alle einen Arbeitstag von drei bis vier Stunden haben.
Wenn jemals eine in einem Essay vertretene Hypothese durch das Echo bestätigt wurde, das sie auslöste, dann diese. »Über das Phänomen der Bullshit-Jobs« führte zu einer Explosion.
Ironie des Schicksals: Für die beiden Wochen nach Erscheinen des Artikels hatten meine Partnerin und ich uns vorgenommen, uns mit einer Kiste voller Bücher und miteinander in eine Hütte im ländlichen Québec zurückzuziehen. Wir hatten ausdrücklich darauf geachtet, dass es dort kein WLAN gab. Damit geriet ich in die seltsame Lage, dass ich die Folgen nur auf meinem Handy beobachten konnte. Der Artikel verbreitete sich mit rasender Geschwindigkeit. Schon nach wenigen Wochen war er in mindestens ein Dutzend Sprachen übersetzt worden, darunter Deutsch, Norwegisch, Schwedisch, Französisch, Tschechisch, Rumänisch, Russisch, Lettisch, Polnisch, Griechisch, Estnisch, Katalanisch und Koreanisch. Zeitungen von der Schweiz bis nach Australien druckten ihn nach. Die Website von Strike! erzielte mehr als eine Million Klicks und brach unter der hohen Belastung immer wieder zusammen. Die Blogs schossen aus dem Boden. Leserbriefspalten füllten sich mit Bekenntnissen von Krawattenträgern. Menschen schrieben mir und fragten um Rat oder teilten mir mit, ich sei für sie zum Anlass geworden, ihre Stellungen aufzugeben und sich nach etwas Sinnvollerem umzusehen. Die folgende begeisterte Zuschrift (ich habe Hunderte gesammelt) stammt von der Leserbriefseite der australischen Canberra Times:
Wow! Nagel auf den Kopf! Ich bin Firmenanwalt (Steueranwalt, um genau zu sein). Ich trage nichts zu dieser Welt bei und fühle mich ständig vollkommen elend. Ich mag es nicht, wenn Leute den Nerv haben, mich zu fragen: »Was machst du eigentlich beruflich?«, denn das ist eindeutig nicht so einfach. So kommt es, dass es für mich nur diesen einen Weg gibt, um zu dem einen Prozent auf so bedeutsame Weise beizutragen, dass ich mit einem Haus in Sydney belohnt werde und meine zukünftigen Kinder großziehen kann … Dank der Technik sind wir heute wahrscheinlich in zwei Tagen so produktiv wie früher in fünf. Aber durch Habgier und eine Art Fleißige-Bienen-Produktivitätssyndrom lassen wir uns immer noch bitten, aufgrund unseres eigenen, nicht belohnten Ehrgeizes für den Profit anderer zu schuften. Ob man nun an Intelligent Design oder Evolution glaubt: Der Mensch wurde nicht zum Arbeiten gemacht. Für mich ist das alles nur Habgier, unterstützt durch aufgeblasene Preise für Notwendiges.[2]
Irgendwann erklärte mir ein anonymer Fan in einer Nachricht, er gehöre zu einer spontan entstandenen Gruppe, die den Artikel in der Gemeinde der Finanzdienstleister in Umlauf gebracht hätte. Er habe allein an diesem Tag fünf E-Mails mit dem Artikel erhalten (sicher ein Zeichen, dass viele Mitarbeitende in der Finanzbranche nicht viel zu tun haben). Aber das alles war keine Antwort auf die Frage, wie groß die Zahl derer ist, die wirklich eine solche Einstellung zu ihrem Job haben – im Gegensatz zu denen, die den Aufsatz vielleicht verbreiteten, weil sie anderen einen Wink mit dem Zaunpfahl geben wollten. Aber es dauerte nicht mehr lange, bis auch statistische Indizien ans Licht kamen.
Am 5. Januar 2015, etwas mehr als ein Jahr, nachdem der Artikel erschienen war, und damit am ersten Montag des neuen Jahres – dem Tag, an dem die meisten Londoner aus dem Winterurlaub zurückkehren und wieder zur Arbeit gehen – nahm jemand in der Londoner U-Bahn mehrere Hundert Werbeplakate ab und ersetzte sie durch eine Reihe von Guerilla-Postern, auf denen Zitate aus dem ursprünglichen Artikel standen. Man hatte folgende Sätze ausgewählt:
Heerscharen von Menschen üben während ihres ganzen Berufslebens Tätigkeiten aus, von denen sie insgeheim glauben, dass sie nicht ausgeführt werden müssten.
Es ist, als würde sich irgendjemand sinnlose Tätigkeiten ausdenken, nur damit wir alle ständig arbeiten.
Aus dieser Situation erwächst ein weitreichender moralischer und geistiger Schaden. Er ist eine Narbe, die sich quer über unsere kollektive Seele zieht. Und doch spricht praktisch niemand darüber.
Wie kann man auch nur ansatzweise von der Würde der Arbeit sprechen, wenn man insgeheim den Eindruck hat, dass es den eigenen Job eigentlich gar nicht geben sollte?
Die Reaktion auf die Posterkampagne bestand in einer neuen Welle der Diskussionen in den Medien (ich selbst trat kurz bei Russia Today auf), und in der Folge machte sich das Meinungsforschungsinstitut YouGov daran, die Hypothese zu überprüfen. Es führte unter Briten eine Umfrage durch und bediente sich dazu einiger Formulierungen, die unmittelbar aus dem Aufsatz stammten. Eine Frage lautete beispielsweise: »Leistet Ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag zur Welt?« Erstaunlicherweise antwortete mehr als ein Drittel der Befragten – 37 Prozent –, dies sei nicht der Fall. (50 Prozent hielten ihre Tätigkeit für sinnvoll, und 13 Prozent waren sich nicht sicher.)
Das war fast das Doppelte dessen, was ich erwartet hatte – ich hatte mir vorgestellt, dass der Anteil der Bullshit-Jobs bei rund 20 Prozent liegt. Aber das ist noch nicht alles: Eine spätere Studie gelangte in den Niederlanden beinahe zu dem gleichen Ergebnis. Der Anteil lag hier sogar noch ein wenig höher: 40 Prozent der berufstätigen Niederländer gaben an, es gebe eigentlich keinen stichhaltigen Grund dafür, dass ihr Beruf existierte.
Die Hypothese wurde also nicht nur durch die Reaktion der Öffentlichkeit bestätigt, sondern auch durch handfeste statistische Erhebungen.
Wir haben es hier demnach eindeutig mit einem wichtigen gesellschaftlichen Phänomen zu tun, dem bisher kaum systematische Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist.[3] Schon einen Weg zu eröffnen, um darüber zu reden, wurde vielfach zu einer erlösenden Erfahrung. Dass eine umfassendere Untersuchung geboten war, lag auf der Hand.
Was ich hier vorhabe, ist ein wenig systematischer angelegt als der ursprüngliche Essay. Den Artikel von 2013 schrieb ich für ein Magazin über revolutionäre Politik, und dabei lag der Schwerpunkt auf den politischen Folgerungen aus dem Problem. Eigentlich war der Aufsatz nur eine Aneinanderreihung von Argumenten, die ich zu jener Zeit im Zusammenhang mit der neoliberalen Ideologie der »freien Märkte« entwickelte, einer Ideologie, die in der Welt seit der Zeit von Thatcher und Reagan eine beherrschende Rolle spielte und in Wirklichkeit genau das Gegenteil dessen war, was sie zu sein behauptete. Eigentlich war sie ein politisches Projekt in wirtschaftlichem Gewand.
Zu dieser Schlussfolgerung war ich gelangt, weil man das tatsächliche Verhalten der Machthaber anscheinend nur so erklären konnte. Während es in der neoliberalen Rhetorik stets darum ging, die Magie der Märkte zu entfesseln und wirtschaftliche Effizienz über alle anderen Werte zu stellen, hatte die Politik der freien Märkte in Wirklichkeit den Effekt, dass das Wirtschaftswachstum sich praktisch überall mit Ausnahme von Indien und China verlangsamte; der technische und wissenschaftliche Fortschritt stagnierte, und in den meisten wohlhabenden Ländern mussten die jüngeren Generationen zum ersten Mal seit Jahrhunderten damit rechnen, ein weniger begütertes Leben zu führen als ihre Eltern. Aber wenn die Vertreter der Marktideologie solche Effekte beobachten, antworten sie stets mit Forderungen nach noch stärkeren Dosen der gleichen Arznei, und die Politiker setzen sie pflichtschuldig in die Tat um. Das erschien mir seltsam. Wenn ein Privatunternehmen einen Berater engagiert, der einen Geschäftsplan erstellen soll, und wenn dieser Geschäftsplan dann zu einem starken Rückgang der Gewinne führt, wird der Berater entlassen. Oder zumindest fordert man ihn auf, einen anderen Plan vorzulegen. Im Zusammenhang mit den Reformen der freien Märkte geschah so etwas anscheinend nie. Je stärker sie versagten, desto stärker wurden sie gefördert. Daraus konnte man nur eine logische Schlussfolgerung ziehen: Wirtschaftliche Erfordernisse waren nicht die eigentliche Triebkraft des Projekts.
Cui bono?