Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibiliothek ververzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Wolfgang Ratgeber

Herstellung und Verlag:

BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 9783749492138

Inhalt

Cäsar und Kleopatra

Im Jahr 44 vor Christus wurden in Capua die Gebeine des Gründers der Stadt gefunden zusammen mit einer Tafel, die folgende Weissagung enthielt:

,Wenn einst die Gebeine des Gründers dieser Stadt gefunden werden, wird der größte Spross aus dem Haus der Julier durch einen Mordanschlag seiner eigenen Verwandten sterben.'

Als Gaius Julius Cäsar gegenüber seinem Wahrsager Spurinna die spöttische Bemerkung machte, der Wahrsager von Capua habe seine Fähigkeiten wohl überschätzt, als er mehrere Jahrhunderte im voraus den Zeitpunkt seines Todes bestimmte, hob Spurinna erschrocken die Hände:

„Spottet nicht, oh Herr, über den berühmten Wahrsager von Capua sondern hütet Euch vor den Iden des März!“

Zwei Tage vor den Iden des März kam die ägyptische Königin Kleopatra, die in einem prächtigen, 15 Meilen vor Rom liegenden Palast Hof hielt, schon am frühen Morgen zu Cäsar und erzählte ihm mit zitternder Stimme die folgenden Träume:

„Einen Tag vor den Iden des März überquerte ich den Platz vor dem Rathaus. Es schlug gerade die zwölfte Stunde, als ich über mir ein dumpfes Flügelrauschen hörte. Drei große, schwarze Vögel verfolgten einen Zaunkönig, der einen Lorbeerzweig im Schnabel hielt. Über dem Rathaus stürzten sie sich auf ihn und blutig zerfetzt fiel der tote Vogel vor meine Füße. Der folgende, zweite Traum enthüllte mir die Bedeutung des ersten:

Am Tag der Iden des März wurde ich in das Rathaus eingeladen. Ein Senator trat an das schwarze Rednerpult und erhob den Vorwurf, dass dein Schritt über den Rubikon zugleich ein Schritt von der Republik zur Alleinherrschaft gewesen sei und du von Anfang an die Hand nach der Königskrone ausgestreckt hättest. Du jedoch entgegnetest:

‘Senatoren! Ihr alle wisst, dass ich das Königsdiadem, welches mir am Lupercalienfest von Markus Antonius angeboten wurde, zurückgewiesen habe. Inzwischen wurde jedoch in den sibyllinischen Büchern die Weissagung gefunden, nur ein König könne das Partherreich bezwingen. Daher bitte ich euch um die Königswürde, da ich nur als König die Parther besiegen und so meine Lebensaufgabe vollenden kann, den Lor - beerkranz der römischen Siege bis an die Grenzen der bewohnten Welt zu tragen.'

Danach trat ein zweiter Senator an das schwarze Rednerpult und erhob den Vorwurf, dass du dich wie ein Gott verehren lässt: Auf Antrag des Volkes seist du als Jupiter Julius in den Himmel der Staatsgötter erhoben worden. Unter deinem Bild im Quirinustempel stehe in goldenen Lettern:

‘Dem unbesiegten Gott.‘ Du jedoch entgegnetest:

‘Allein der Gedanke an das große Ziel eines römischen Weltreichs hat mir die Kraft verliehen, siegreich gegen Gallier, Helvetier, Bretonen und Spanier zu kämpfen. All diese Siege hat freilich nicht der Gott Cäsar errungen sondern der Mensch Cäsar mit Hilfe unserer Götter. Um nicht in Versuchung zu geraten, mich selbst für einen der Unsterblichen zu halten, habe ich angeordnet, dass bei meinen Triumphzügen stets ein Sklave hinter mir steht und in mein Ohr flüstert:

‘Bedenke Cäsar, dass Du sterblich bist.‘

In diesem Augenblick zog ein dritter Senator einen Dolch aus seiner roten Toga und stürzte sich auf dich mit dem Ruf:

‘Tod dem Tyrannen. Es lebe die Republik!‘ Zu Tode erschrocken bin ich aufgewacht. Ich betrachte diese Träume als eine Warnung meiner Göttin Isis, die mich schon oft vor Unheil bewahrte, indem sie mir durch Träume einen Blick in die Zukunft schenkte. Ich bitte dich daher, am Tag der Iden des März nicht in die Senatssitzung zu gehen.“

Cäsar streichelte beruhigend Kleopatras blasse Wangen:

„Träume sind nur in den seltensten Fällen Warnungen der Götter an die Menschen, meist jedoch Ausdruck ihrer Erinnerungen und Sorgen. Da seit einigen Tagen Gerüchte über einen geplanten Mordanschlag im Senat die Stadt beunruhigen, verstehe ich gut, dass deine Sorgen sich zu solch unheilvollen Träumen verdichtet haben.“

Am Morgen des letzten Tages vor den Iden des März erzählte Cäsar die Träume Kleopatras seinem Diener Cornelius. Dieser bat Cäsar, um die zwölfte Stunde den Rathausplatz beobachten und anschließend die Königin aufsuchen zu dürfen, um ihr im Namen Cäsars die beruhigende Nachricht zu überbringen, ihr erster Traum sei nicht in Erfüllung gegangen. Kurz nach zwölf Uhr stürzte Cornelius in Cäsars Zimmer:

„Verzeiht, oh Herr, dass ich es wage, Eure Mittagsruhe zu stören; aber was ich zu sagen habe, duldet keinen Aufschub. Je näher ich dem Rathaus kam, desto dichter wurde der Strom von Menschen, die alle in großer Erregung dem Platz zustrebten, da schneller als ein Vogel das Gerücht die Stadt durcheilt hatte, etwas Entsetzliches sei vor dem Rathaus geschehen. Ein unsagbarer Schmerz spiegelte sich in den Gesichtern der Menschen. Als ich eine junge Frau, die weinend das Gesicht in ihre schwarze Toga hüllte, fragte, welches schreckliche Ereignis sie betrauere, führte sie mich stumm zur dunklen Eingangspforte des Rathauses. Dort stand Euer weißhaariger Wahrsager Spurinna und wies mit Tränen in den Augen auf den blutigen Zaunkönig, der vor seinen Füßen lag. Noch im Tod hielt der tapfere Vogel den Lorbeerzweig im Schnabel fest.“

„Bringe mir mein Testament. Ich möchte eine Ergänzung anfügen.“

Cornelius brachte das Testament und Cäsar schrieb:

,Nach meinem Tod schenke ich den Bürgern der Stadt Rom als Erbschaft meine am Tiberufer liegenden Gärten. Aus meinem Privatvermögen sollen jedem Bürger 300 Sesterze bezahlt werden.'

Dann sagte er:

„Geh jetzt zu Markus Antonius und melde ihm, dass ich morgen nicht an der Senatssitzung teilnehmen werde.“

Da Cäsar am Abend vor den Iden des März einige Freunde zu einem Fest eingeladen hatte, ließ er durch Boten allen Gästen seine Bitte überbringen, den toten Zaunkönig gegenüber der Königin mit keinem Wort zu erwähnen, um sie nicht zu beunruhigen. Nach der offiziellen Begrüßung führte er Kleopatra in eine Nische des Festsaals:

„Ich habe meinen Diener um die zwölfte Stunde zum Rathaus geschickt. Er hat weder die schwarzen Vögel deiner Sorgen gesehen noch den blutigen Boten meines nahen Todes.“

„Der Göttin Isis sei Dank. Wenn mein erster Traum nicht in Erfüllung ging, wirst du auch nicht durch das schreckliche Attentat des zweiten Traumes sterben. Doch sag, wer ist der bleiche Mann mit dem rabenschwarzen Haar, der soeben den Saal betritt?“

Cäsar lachte beim Anblick ihres erschrockenen Gesichts:

„Dieser Gast braucht dir keinen Schreck einzujagen. Es ist mein Verwandter Brutus, einer meiner besten Freunde.“

Kleopatra lachte erleichtert, näherte ihren Mund vertraulich Cäsars Ohr und flüsterte:

„Bedenke nur, wie lächerlich mein Traum gewesen ist. War doch in meinem Traum gerade dieser Mann, der einer deiner besten Freunde ist, dein Mörder.“

Cäsar sah im Wandspiegel alles Blut aus seinen Wangen weichen und ging rasch auf Brutus zu, um seinen Schreck vor Kleopatra zu verbergen.