Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Francesca Peluso
To Fear a Demon (Erbin der Lilith 1)
**Binde dich nicht an einen Dämon oder du verlierst dein Herz …**
Clio Farnese lebt im Exil und versucht dort, ihrem alten Leben voller Gefahren und Magie zu entkommen. Sie ist eine Lilith, eine Nachfahrin Adams erster Frau, die sich einst in einen Dämon verliebte – genauso wie Clio selbst. Vor Jahren ging sie eine Verbindung mit Julio Càstano ein, dem wohl mächtigsten Dämon Italiens, und verlor durch seinen Verrat den Glauben an die Liebe. Nun setzt der attraktive Julio alles daran, ihre Gefühle zurückzugewinnen, denn das magische Band zwischen ihnen zieht sie noch immer unaufhörlich zueinander. Aber Clio denkt gar nicht daran, sich noch einmal auf ihn einzulassen, bis ihre beiden Familien auf einmal von derselben dunklen Gewalt bedroht werden. Schon bald muss Clio erkennen, dass nur die Magie ihrer Liebe sie noch retten kann …
Für Annalena.
Team Damon since »Hello, Brother«
Voller Entsetzen blickte sie auf den toten Körper zu ihren Füßen, den sie trotz der Dunkelheit der Nacht klar erkennen konnte. Eine Welle der Verzweiflung schwappte über sie hinweg. Mit zitternden Händen fuhr sie über die blutverschmierten Wangen des Leichnams.
»Nein … bitte nicht«, presste sie mit erstickter Stimme hervor. Sie schob ihre Unterarme unter den Leib, hob ihn vorsichtig hoch und drückte ihn an sich, verbarg ihr Gesicht in den dunklen Locken und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Was war geschehen, dass sie sich am Rande des Abgrunds wiederfand? Geplagt von Schmerz und Leid? Womit hatte sie all diese Qualen verdient? Was hatte sie getan, um Gott derart zu erzürnen, dass er sie all diese Grausamkeiten durchleben ließ?
Eine boshafte kleine Stimme in ihrem Inneren flüsterte ihr zu, dass es allein ihre Schuld sei. Weil sie sich Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben gewünscht hatte, war ihr Herz in tausend Stücke zerbrochen. Nur ihretwegen, niemand anderem sonst konnte sie die Schuld dafür zuweisen. Ihre Hände zitterten, ihr Blick war tränenverhangen und tief in ihrer Brust klaffte ein Loch, welches wohl niemals wieder würde heilen können. Sie hatte alles verloren, was ihr lieb und teuer war.
Zuerst hörte sie die sanfte Stimme gar nicht, die zu ihr sprach. In ihren Ohren erklang nur ihr eigenes Schluchzen. Doch als sie eine Berührung an ihrer Schulter spürte, hörte sie auch endlich seine Worte. Sanft wie die Flügel eines Schmetterlings rief er ihren Namen, strich mit seinen Fingern über ihre Schultern, doch seine Nähe vermochte nicht, sie zu trösten. Stattdessen sorgte die Zärtlichkeit in seiner Stimme dafür, dass ihre Tränen zunahmen. Unaufhörlich liefen sie ihre Wangen hinab. Wie konnte er so ruhig und sanft sein, nach allem, was geschehen war? Wie konnte er nicht toben und brüllen, während sie von ihrer Verzweiflung übermannt wurde?
»Lilith«, rief er erneut ihren Namen und zog sie trotz ihres Protestes in seine Arme. Sie wollte seinen Trost nicht, hatte ihn nicht verdient. Nicht, wenn es doch ihre Schuld war, dass ihr Sohn tot in ihren Armen lag.
Schluchzend verbarg sie ihr Gesicht an seiner Schulter. Noch immer hielt sie den kleinen, toten Körper nah an ihren Leib gepresst.
»Er hat ihn getötet«, stieß sie hervor, auch wenn er ihre Worte wegen des Schluchzens sicher kaum verstehen konnte. Ihre Hände krallten sich in den zierlichen Körper, die braunen Locken kitzelten ihre Wangen. »Er hat unseren Sohn getötet, Djinn.«
Die Worte laut auszusprechen, ließen diese Tatsache erst in ihr Bewusstsein dringen. Ihr Sohn war tot. Ihr lieber kleiner Samael war nicht mehr am Leben. Sie würde nie wieder in seine gütigen, braunen Augen schauen, nie wieder seine Stirn küssen, wenn sie ihn abends ins Bett brachte. Sie würde nie wieder seine Stimme hören, während er singend über die Wiesen vor ihrem Haus tobte. Ein Laut der Verzweiflung löste sich aus ihrer Kehle.
»Ich weiß, mein Herz.« Seine starken Arme umschlossen sie, lösten ihre verkrampften Finger von dem Leichnam ihres Kindes. Lilith wollte ihn nicht loslassen, nicht ihren kleinen Liebling. Er hatte es nicht verdient, so früh ihrem Herrn gegenüberzutreten. Er war doch noch ein Junge, unschuldig und rein.
Es war ihre Schuld, dass sie nun ihren Sohn würde zu Grabe tragen müssen. Lilith ließ von dem Körper ab und presste sich gegen ihren Ehemann. Ihre Gefühle überwältigten sie. Es war einfach zu viel. Alles, was in den letzten Jahren geschehen war, war zu viel für sie. Geschaffen aus Lehm, durch die Hand Gottes, war sie dazu bestimmt, im Paradies zu leben. Seite an Seite mit Adam, ihrem ersten Mann. Doch alles war schiefgegangen.
Die Schuldgefühle drohten sie zu ersticken, von innen heraus zu verschlingen. Es gab eine Zeit, da war sie glücklich mit Adam gewesen. Hatte sich bei ihm geborgen und von ihm geliebt gefühlt. Doch Lilith hatte es damals einfach nicht besser gewusst. Sie hatte die tiefen Gefühle nicht gekannt, die ein anderer Mensch in ihr auslösen konnte. Die Gefühle, die sie einst für Adam gehegt hatte, waren nichts im Vergleich zu jenen, die Djinn in ihr weckte. Erneut fragte Lilith sich, ob das alles ihre verdiente Strafe dafür war, dass sie ihr Schicksal an Adams Seite nicht hatte akzeptieren können. Hätte sie sich Adam untergeordnet, so wie er es von ihr verlangt hatte, wäre nichts von alldem geschehen. Ihr Sohn war tot aufgrund ihrer Sturheit.
Lilith hatte ihren Stolz nicht bezwingen können. Sie hatte es nicht geschafft, sich Adam zu unterwerfen. Doch bis heute konnte sie auch nicht verstehen, warum er es überhaupt von ihr verlangt hatte. Warum sollte sie ihm Untertan sein, wenn sie doch beide von Gott erschaffen worden waren?
Sie war eine Frau, erschaffen vom Herrn selbst, dazu auserkoren, die Mutter aller Menschen zu werden. Seite an Seite mit Adam im Paradies zu leben und die Erde zu bevölkern. Sie hätten glücklich zusammen sein können.
Sie hatte das Paradies und ihren Gatten verlassen, um frei von diesen Zwängen zu sein. Nicht einmal die Engel des Herrn, die Adam ihr hinterhergeschickt hatte, hatten sie umstimmen können. Niemandem wäre dies gelungen.
Nun hatte eine andere ihren Platz eingenommen. Eine Frau, die dazu bereit war, Adam als ihren überlegenen Mann anzuerkennen und alles zu tun, was er von ihr verlangte.
Auf ihrer Flucht war sie Djinn begegnet. Er war ein Dämon, eine Ausgeburt der Hölle, ihr Feind. In seiner Gegenwart hätte sie Angst und Abscheu empfinden sollen, aber nichts dergleichen hatte ihr Herz erfasst. Nur Liebe und Zuneigung hatte sie verspürt. Von Anfang an. Er war die Antwort auf all ihre Fragen gewesen.
Djinn hatte ihren Stolz und ihre Unabhängigkeit anerkannt und sie nie angezweifelt, niemals hatte er von ihr verlangt, sich ihm unterzuordnen. Sie hatte den Grund gesucht, warum sie Adam nicht glücklich machen konnte. Hatte sich selbst die Schuld daran gegeben. Doch das stimmte nicht. Djinn hatte ihr die Augen geöffnet. Adam hatte sie falsch behandelt, unfair und einer Frau unwürdig. Bei den Erinnerungen daran flammte Zorn in ihr auf und brannte nur heißer und heißer in ihr, während sie daran dachte, was ihr einstiger Ehemann nun für grausame Dinge getan hatte. Sie konnte nicht in Worte fassen, wie froh sie war, Djinn begegnet zu sein. Zusammen hatten sie das Band zwischen sich geknüpft, eine Seelenverbindung, die niemals jemand würde trennen können. Durch dieses magische Ritual konnte sie fühlen, was er fühlte. Konnte auf seine Magie zurückgreifen und sie anwenden. Sie waren eins geworden.
In Djinn hatte Lilith ein Zuhause gefunden, einen leidenschaftlichen Liebhaber und einen fürsorglichen Vater für ihre gemeinsamen Kinder. Söhne, die zur Hälfte Dämon und zur Hälfte Mensch waren, beschenkt mit dunkler Magie.
Dunkler Magie, die nach dem Knüpfen des Bandes auch durch Liliths Adern floss, wenn sie auf Djinns Magie zurückgriff, und sie in den Augen ihres ersten Ehemanns besudelte.
Doch nun war ihr ältester Sohn tot. Ermordet durch die Hand Adams, der es nicht hatte ertragen können, dass sie sich einem Dämon hingegeben hatte. Aus Eifersucht und Neid hatte er ihren Erstgeborenen getötet. Ihren unschuldigen Samael hatte er abgeschlachtet wie Vieh.
Zorn flammte auf einmal in Lilith auf, heiß und unnachgiebig. Wie hatte Adam ihr das antun können? Sie hatten sich einst geliebt, hatten sich Treue geschworen vor den Augen Gottes!
Adam hatte ihr immer zum Vorwurf gemacht, dass sie ihm keinen Sohn geschenkt hatte. Lediglich eine Tochter war ihnen vergönnt gewesen. Doch das gab ihm nicht das Recht, jetzt ihren Nachkommen zu töten, der ein Junge war.
Gemeinsam mit Eva, Liliths Ersatz, hatte er weitere Kinder gezeugt. Die so lang erhofften Söhne. Die Ältesten hatte er von Engeln segnen lassen, wodurch sie über besondere Kräfte verfügten, die auch die Heerscharen des Himmels innehatten: Engelsblüter, die den Sinn des Lebens in der Vernichtung aller Dämonen sahen. ›Die Auserwählten Gottes‹ hatte Adam seine Söhne genannt, die von nun an die Wächter des Paradieses sein sollten.
»Ich werde ihn dafür büßen lassen, Djinn. Für den Mord an unserem Jungen soll er in der Hölle verrotten.« Ihre Stimme klang düster und verheißungsvoll. Langsam erhob sie sich, durch ihre Adern floss pure Entschlossenheit für das, was kommen sollte. Ihre Hände streckte sie gen Erde. Ihr war, als könne sie die Hitze der Hölle ungefiltert auf ihrer Haut spüren. »Er und seine gesalbten Söhne sollen verdammt sein. Ich, Lilith, Mutter der Dämonen, verfluche Adam und seine Nachfahren, sie sollen dem Wahnsinn verfallen!«
Ein unheilvolles Donnergrollen zog im selben Moment über den Himmel, in dem sie ihren Fluch aussprach. Es war zu spät, um ihn zurückzunehmen. Sie hatte Adams Geschlecht Unheil prophezeit und es betrübte ihr Herz nicht eine Sekunde lang, dass sie damit auch unschuldige Kinder verwünscht hatte.
Es mochte nicht richtig sein, Adams Nachfahren für seine Verbrechen büßen zu lassen, aber sie war eine Mutter, die ihr totes Kind in den Armen hielt. Nichts würde ihre Trauer jemals wieder mildern können und nichts den blinden Hass besänftigen, der in ihr wütete.
Sie hob den Kopf und blickte in die Augen ihres Gatten. Seine Iriden waren pechschwarz, ein Zeichen dafür, dass die dämonischen Kräfte in ihm die Oberhand gewonnen hatten. Weil sie sich seiner Magie bedient hatte, um den Fluch aussprechen zu können. Den Fluch, der sich auf den ersten Menschen und seine Söhne legen würde. Söhne, die er mit einer Frau gezeugt hatte, die in Liliths Augen schwach und unterwürfig war. Auf Adam und Evas gemeinsame Kinder, die fortan dem Wahnsinn verfallen würden.
Lilith betrachtete Djinn eindringlich, dann fiel ihr Blick auf das zerrissene Hemd, welches seine Brust entblößte. Wulstige Schnitte zeigten sich auf seiner ansonsten makellosen Haut. Sie waren frisch. Stirnrunzelnd betrachtete sie die Wunden, aus denen frisches Blut sickerte. Die Schnitte waren in Form des Omega-Symbols angeordnet, das Zeichen für Ende.
»Was ist geschehen?« Als sie auseinander gegangen waren, war er noch unversehrt gewesen. Sie hatte ihn davor fest in ihren Armen gehalten und sie hatten sich geliebt.
»Adam hat die Streitkräfte des Herrn auf mich gehetzt.«
Ein Keuchen entkam Liliths Kehle. Adam hatte die Engel Gottes geschickt. Weshalb?
»Was soll diese Markierung bezwecken?« Mit den Fingerspitzen strich sie behutsam über seine Brust, nahe der Schnittwunden. Sie verstand nicht viel von Zauberei, doch sie war sich sicher, dass das Omega-Symbol ein böses Omen war.
»Adam hat mich verflucht«, gestand Djinn leise, dabei schaute er gedemütigt zur Seite. Lilith meinte sogar, seine Wangen erröten zu sehen vor Scham. »Mich und jeden unserer männlichen Nachkommen.«
Diese Worte rissen Lilith den Boden unter den Füßen weg. Adam hatte alle ihre Söhne verflucht? Wie war das möglich? Adam war nur ein Mensch. Gesegnet vom Herrn und beschützt von seinen Engeln, aber dennoch nur ein Mensch.
Sie hatte Unheil ausgesprochen, unwissend, dass ihr einstiger Gemahl zuvor dasselbe getan hatte. Zwei Flüche waren in dieser Nacht ausgesprochen worden, beide verhängnisvoll und todbringend.
»Mit welcher Art von Fluch?«, wagte Lilith zu fragen.
Djinn konnte ihren Blick nicht erwidern, sie spürte die Anspannung in seinem Körper.
»Jedes Mal, wenn wir unsere dunkle Magie benutzen, nähern wir uns ein Stück mehr der Dunkelheit. Bis zu dem Zeitpunkt, wo sie uns verschlingen wird.«
Lilith schlug sich die Hand vor den Mund, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Das durfte nicht sein. Jeder ihrer Söhne war mit der Gabe, dunkle Magie anwenden zu können, geboren worden. Sie war ein Teil von ihnen. Ihre Söhne waren die Brut eines Dämons, die Finsternis schlummerte in jedem von ihnen und in den Augen von Dämonen war es eine Ehre, sie auch zu benutzen.
»Das werde ich nicht zulassen«, sagte sie mit fester Stimme. Unter keinen Umständen würde sie weiteren ihrer Kinder tatenlos beim Sterben zusehen. »Es muss einen Ausweg geben.«
Djinn lächelte, doch dabei lag ein trauriger Glanz in seinen dunklen Augen. »Einen Fluch kann man nicht brechen, Liebste. Ich weiß das und du weißt es auch.«
Vehement schüttelte Lilith den Kopf, wollte nicht wahrhaben, was Djinn ihr sagen wollte. »Ich bin nicht imstande, ihn aufzuheben, aber vielleicht können wir etwas hinzufügen. Hilfst du mir?«
Mit einem neugierigen Ausdruck auf dem Gesicht sah der Dämon sie an. »Alles, was du willst.«
Lilith beugte sich vor und presste ihre Lippen auf Djinns Mund. Sie spürte, wie das magische Band in ihr pulsierte, und wusste, dass ihre Lebensenergie nun durch ihn hindurchfloss, ihn heilte und stärkte.
Das war des Rätsels Lösung. Wenn die Männer ihres Geschlechts das Verderben in sich trugen, sollte die liebevolle Umarmung einer Frau ihr Ausweg sein. Lilith mochte als Mensch erschaffen worden sein, doch ihre weiblichen Nachkommen, sowohl ihre Töchter mit Djinn, als auch die eine gemeinsame mit Adam, sollten über dieselbe Gabe wie sie verfügen. Auch sie sollten imstande sein, ein magisches Seelenband zu knüpfen.
Lilith ergriff die Hand des Dämons und sammelte sich. Sie konnte die Magie in ihrem Inneren fühlen, spürte sie auf der Haut und auf ihren Lippen, als sie den Zauber wirkte.
»Meine Töchter und die Töchter meiner Töchter und alle, die ihnen noch folgen werden, werden den Lauf des Schicksals ändern können. Ihnen wird es möglich sein, den Fluch zu mildern. Die Liebe zwischen ihnen und ihrem Gefährten wird jedes Unheil abwenden, kein Dämon wird dann der Finsternis verfallen und kein Sohn Adams der Erbsünde erliegen.«
Djinn sah sie erstaunt an. »Selbst die Söhne Adams willst du retten?« Er blieb trotz seiner Liebe zu ihr ein Dämon. Dieser Gattung lag es nicht im Blut zu verzeihen oder zu vergessen. Doch Lilith war ein Mensch, ihr war es möglich, Vergebung zu gewähren.
»Ich bin nicht ein solches Monster, wie er es ist. Adam würde nicht Gnade walten lassen, aber ich bin eine Mutter und ich habe soeben erfahren, wie schlimm der Tod des eigenen Kindes ist. Auch Eva und die Mütter ihrer Linie brauchen die Hoffnung auf Glück.« Lilith blickte hinab zu Samaels totem Körper. Seine Augen waren geschlossen, seine Haut kalkweiß. Keine Mutter sollte ihr Kind zu Grabe tragen müssen.
Sie spürte den stechenden Blick ihres dämonischen Gefährten auf sich. Lilith wusste genau, was er sah. Ihre langen dunklen Haare, die um ihr Gesicht peitschten, und ihre Augen, die die Farbe von reifen Pflaumen hatten. Eine besondere Farbe für eine besondere Frau, wie er zu sagen pflegte. Ihre Töchter hatten eine ähnliche von ihr geerbt.
»Die Töchter der Lilith sind der Schlüssel zur Erlösung«, vollendete sie den Zauber. Sie spürte das Nachbeben der Magie, welches ihren Körper erfasste. Ein Fluch, so mächtig wie jener, den sie ausgesprochen hatte, verlangte nach einem ebenso mächtigen Gegenzauber. Ihr Körper wurde schlaff in Djinns Armen. Sie brauchte Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen, doch ihr Werk war vollbracht.
Lilith hatte gelitten, gekämpft und dennoch verloren. Zumindest ein Teil von ihr war für immer zerstört. Ihr erstgeborener Sohn war tot, doch sie hatte all ihren anderen Kindern eine Zukunft geschenkt.
Clio
Der Duft von Kaffee drang ihr in die Nase. Trotz der Hitze, die sich langsam in die Straßen von Mailand schob und bis ins Krankenhaus vordrang, konnte Clio nicht auf das Heißgetränk verzichten. Kaffee war ihr Lebenselixier und sie wollte keinem der Patienten zumuten, sie auf Entzug zu erleben. Ohne die schwarze Flüssigkeit war sie schlimmer als die Böse Hexe des Westens. Das passende Buch dazu lag auf ihrem Nachttisch zu Hause. Nicht, dass Clio es für einen ihrer Kurse hätte lesen müssen. Die Welt von Oz passte nicht wirklich zu ihren Seminaren über Wundmanagement oder Versorgungsstrukturen, aber neben der ganzen Fachliteratur und den in manchen Fällen definitiv zu detaillierten Anschauungsmaterialien, brauchte sie etwas Leichtes. Die Abenteuer von Dorothy Gale waren da genau das Richtige. Keine Frage, sie mochte die Arbeit im Krankenhaus, aber manchmal gefiel es ihr, der allzu brutalen Realität zu entfliehen.
»Signora Leone, wie geht es uns heute?« Clio betrat das Patientenzimmer und lächelte die alte Dame an. Angelina Leone hatte gerade eine neue Hüfte bekommen. Clio verfolgte während ihres Praktikums in der San-Raffaele-Klinik den gesamten Prozess mit und musste eine Hausarbeit darüber verfassen.
»Gabriella, schön Sie zu sehen, Liebes! Mir geht’s hervorragend.« Die Falten um die Augen der Frau vertieften sich, als sie Clio anlächelte.
Gabriella … Nach zwei Jahren hatte sie sich noch immer nicht an diesen Namen gewöhnt. Ihre Freunde nannten sie Gabby und Clio musste sich darauf konzentrieren, sich auch angesprochen zu fühlen, wenn jemand sie so nannte.
»Das freut mich zu hören.« Mit strengem Blick betrachtete Clio die Sportmagazine und -prospekte, die auf dem Bett der Patientin ausgebreitet lagen. Tiefseetauchen, Mountainbiken und Salsa. Clio zog eine Augenbraue hoch, doch ihre Mundwinkel zuckten verräterisch.
»Signora Leone, Sie haben eine neue Hüfte bekommen. Sie sind nicht von gestern auf heute 20 Jahre jünger geworden, obwohl Sie ausgezeichnet aussehen.«
Denn das tat sie. Für ihr stolzes Alter von 78 sah Angelina Leone sehr gut aus. Auch wenn sie nur einen Krankenhauskittel trug, waren ihre Fingernägel doch in einem dunklen Rotton lackiert und ihre Frisur saß tadellos: Die weißen Locken waren akkurat aufgedreht und umrundeten hübsch das ovale Gesicht.
»Aber Kindchen, das ist doch fast dasselbe. Mein Mann und ich planen bereits unseren nächsten Urlaub. Was meinen Sie: Tauchen in Sizilien oder doch lieber Wandern in den Alpen?« Die Augen der älteren Dame begannen zu leuchten und sie wirkte wirklich, als wäre sie in einen Jungbrunnen gestiegen.
Clio schüttelte grinsend den Kopf. »Mir wäre es lieber, wenn Sie mehr Energie in Ihre Erholung investieren würden als in die Planung eines Urlaubs.«
»Gabriella, ich trage nur ein dünnes OP-Hemd, Ihnen dürfte also aufgefallen sein, dass ich eine Frau bin und als solche besitze ich die Fähigkeit des Multitaskings. Ich kann mich erholen und gleichzeitig meine Ferien planen.«
Bei diesen Worten konnte Clio nicht anders, als ein herzhaftes Lachen auszustoßen. Sie strich sich eine schokobraune Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus dem unordentlichen Knoten auf ihrem Kopf gelöst hatte, und blätterte einen der Prospekte durch.
»›Eine Weinfahrt in die Provence: Genießen Sie ein Glas Wein bei romantischem Kerzenschein vor der Kulisse französischer Lavendelfelder!‹ Wenn Sie mich fragen, hört sich das am besten an. Wer kann schon Nein sagen zu einem guten Glas Wein und französischer Romantik?« Ihr Leben lang war Clio eine hoffnungslose Romantikerin gewesen, beinahe ohne Sinn und Verstand. Sie weinte bei Liebeskomödien wie ein Schlosshund, litt mit den Hauptakteuren und fieberte dem wohlverdienten Happy End entgegen. Bei der entscheidenden Kussszene griff sich Clio jedes Mal an die Brust und stieß ein herzzerreißendes Seufzen aus. Egal, wie albern und übertrieben andere ihr Verhalten fanden, Clio konnte nicht aus ihrer Haut.
Signora Leone griff nach dem Prospekt und las sich die Anzeige des Reiseveranstalters selbst durch. Ein Lächeln trat auf das Gesicht der alten Frau.
»Sie haben recht. Auch wenn ich eine neue Hüfte bekommen habe und vermutlich so fit sein werde wie Meryl Streep in ›Mamma Mia‹, muss ich auf meinen Mann achten. Der Gute ist nicht mehr der Jüngste.«
Mit großer Mühe konnte Clio ihr Lachen diesmal hinter einem Hüsteln verbergen. Sie feierte den Humor alter Menschen und die Liebe, mit der Signora Leone von ihrem Gatten sprach, traf sie direkt ins Herz.
»Sehr aufmerksam von Ihnen. Ich bin mir sicher, Ihr Mann wird es Ihnen danken. Vielleicht überraschen Sie ihn zusätzlich und belegen den Salsa-Kurs.« Sie zwinkerte der Frau zu und sortierte dann die Handtücher im Badezimmer neu.
Angelina Leone schloss den Prospekt und lachte verhalten in ihrem Rücken. »Mir gefällt Ihre Einstellung, Liebes.«
Clio überprüfte noch die Infusion und warf einen Blick auf die Krankenakte der Patienten. Nichts Ungewöhnliches, Signora Leone hatte die Operation gut überstanden. In wenigen Tagen würde man sie an die Reha überweisen.
»Nach der Reha steht Ihrer Reise nichts mehr im Weg.« Sie strich die Decke, die über den Beinen der alten Dame ausgebreitet lag, glatt und lächelte sie an.
»Gabriella, Sie sind nicht zufällig noch ungebunden?« Die Dame musste den überraschten Ausdruck auf Clios Gesicht gesehen haben, denn sie hob beschwichtigend die Hände. Jeder andere wäre bei einer solch direkten Frage wohl errötet, doch bei älteren Menschen war das anders, wusste Clio bereits aus Erfahrung. Sie scheuten vor nichts und niemandem zurück. »Nicht, dass ich das annehmen könnte! Um Himmels Willen, nein, Sie sind viel zu hübsch, um keinen Partner an Ihrer Seite zu haben.«
»Wieso fragen Sie?« Clio hob kritisch eine Augenbraue, dennoch schoben sich ihre Mundwinkel nach oben.
»Mein Enkel ist seit kurzem wieder Single und ich bin der Überzeugung, Sie würden so gut zu ihm passen. Sie sind ein kluges Mädchen und haben Sinn für Humor.« Die Worte mochten als Kompliment gemeint sein und Clio war ihrer Patientin auch nicht böse, trotz ihrer Direktheit, dennoch verzogen sich ihre Lippen zu einer schmalen Linie und sie musste den Blick abwenden.
»Ich danke Ihnen, aber ich bin derzeit nicht an einer Beziehung interessiert. Tut mir leid.« Sie biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, um zu verhindern, dass weitere Worte ihren Mund verließen.
Die prüfenden Augen der alten Frau waren auf sie gerichtet. Clio schluckte und suchte fieberhaft nach einer Beschäftigung, um nicht weiter auf die Frage eingehen zu müssen. Eigentlich hatte sie alle Aufgaben erledigt, aber sie unterhielt sich so gern mit Signora Leone. Die alte Dame war eine sehr angenehme Gesprächspartnerin, zumindest, solange sie ihr nicht gerade Fragen zu ihrem Privatleben stellte.
»Sie sind doch keines dieser Mädchen, die für jeden dahergelaufenen Mann die Beine auseinanderhalten, oder? Ich habe von diesen Mädchen gehört und so beeindruckend ich es finde, dass sich Frauen heutzutage ausprobieren dürfen und nicht von Männern abhängig sein müssen, gefällt mir das ganz und gar nicht. Wofür hat meine Generation um Gleichberechtigung gekämpft, wenn die jungen Frauen von heute sich wie Prostituierte benehmen?« Die Wangen der Dame färbten sich rot, ihre Augen funkelten und Clio konnte die Empörung darin regelrecht sehen. Doch das hinderte sie nicht daran, in schallendes Gelächter auszubrechen. Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, bevor sie zu einer Erwiderung ansetzte.
»Ich kann Sie beruhigen, Signora Leone, ich mache nicht für jeden Mann die Beine breit. Es liegt vielmehr daran, dass mein Studium mich sehr einnimmt, und ich möchte mich erst darauf konzentrieren.« Das und die Tatsache, dass sie seit Jahren genug hatte von Männern. Sie war erst 20 Jahre alt und klang wie eine Frau in den Vierzigern. So sehr sie Liebesfilme mochte und der Romantik verfallen war, Clio hatte keine Lust, Energie für eine Beziehung zu vergeuden, die ohnehin keine Zukunft hatte.
Signora Leone nickte zufrieden und tätschelte Clios Wange, so, wie es eine liebevolle Großmutter tun würde.
»Das ist sehr vernünftig und ich bin wirklich froh, dass Sie keines dieser Mädchen sind.«
Ein zaghaftes Lächeln erschien auf Clios Gesicht, doch auch ohne in den Spiegel zu schauen, wusste sie, dass es ihre Augen nicht erreichte. Sie war in der Tat vernünftig, vielleicht etwas verträumt und hatte als Kind zu viele Märchen gelesen. Nur konnte sie Signora Leone nicht darin zustimmen, froh darüber zu sein, keines dieser besagten Mädchen zu sein. Die Welt wäre einfacher, wenn sie sich leichter auf andere einlassen könnte. Aber so war Clio nicht. Sie brauchte Zeit, Vertrauen und Stabilität. Dinge, die sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gehabt oder verspürt hatte.
»Ich sehe dann morgen wieder nach Ihnen. Richten Sie Ihrem Mann, wenn er später kommt, liebe Grüße von mir aus. Ich bin mir sicher, er wird Ihnen wieder Blumen mitbringen.« Sooft sie das Krankenzimmer von Angelina Leone betrat, duftete der Raum nach Freesien, Jasmin oder Flieder. Ein lieblicher Geruch, der einem direkt in die Nase stieg.
Ein verträumtes Schimmern trat in die Augen der alten Frau und ihre Lippen hoben sich zu einem Lächeln.
»Ja, das denke ich auch. Er gehört zu den Guten.«
Dem konnte Clio nur zustimmen. Antonio Leone war ein liebender Ehemann, der sich fürsorglich um seine Frau kümmerte. Nicht nur dafür mochte Clio ihn, er hatte ihr bei seiner ersten Begegnung selbstgemachte Pralinen mitgebracht. Als ehemaliger Konditormeister und Chocolatier war das seine Art, ihr für die Pflege seiner Frau zu danken. So hatte er sich prompt in Clios Herz geschlichen. Und die vielen Köstlichkeiten in ihrem Magen –sie waren himmlisch gewesen!
Leise verließ Clio das Zimmer. Ein Blick auf die Uhr, die im Flur hing, verriet ihr, dass sie bereits seit zwei Stunden Feierabend hatte. Es war fünf.
»Gabby, was machen Sie noch hier? Ich habe Sie bereits vor Stunden nach Hause geschickt!«
Clio zuckte bei der barschen Stimme zusammen und blickte dann auf. Sie blickte direkt in das gehetzte Gesicht ihrer Anleiterin. Signora Bianchi war Oberschwester dieser Station und zufällig die Tochter von Clios Dozenten. Nur dank ihm hatte sie diesen Praktikumsplatz überhaupt bekommen. Sie setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.
»Ich weiß, aber es kamen ständig neue Patienten rein und ich habe irgendwie den Absprung verpasst.« Clio zuckte nur mit den Schultern. Es war keine Seltenheit, dass sie länger blieb oder früher kam. Ihr machte die Arbeit Spaß. Und da ihre Kurse in der Uni ohnehin vorbei waren und sie sämtliche Prüfungen hinter sich gebracht hatte, konnte sie ihre Zeit auch anderweitig sinnvoll nutzen.
»Sie arbeiten zu viel. Mit diesem Eifer hätten Sie auch direkt Medizin studieren können.« Die rundliche Frau schüttelte verständnislos den Kopf und legte einen Stapel Patientenakten auf dem Tresen zum Schwesternzimmer ab. Sie hatte recht. Clio hätte wirklich Medizin studieren können, aber die Krankenpflege lag ihr einfach mehr. Für ihren Master würde sie sich dann auf Kinderkrankenpflege und Geburtshilfe spezialisieren.
Ihre Vorgesetzte warf einen Blick über den Berg an Patientenakten zu Clio. Die Brille gefährlich tief auf der Nase.
»Sie stehen immer noch da. Wenn Sie nicht in den nächsten zehn Minuten dieses Gebäude verlassen haben, gibt es Ärger.«
Kopfschüttelnd schlich sich ein Lächeln auf Clios Gesicht. Signora Bianchi würde ihr niemals Ärger machen. Dafür mochte die Oberschwester sie zu sehr. Aber Clio gehorchte. Sie salutierte vor ihrer Vorgesetzten, schlug die Hacken zusammen und lief um den Tresen herum zum Schwesternzimmer, um ihre Sachen zu holen.
»O Gabby, warten Sie noch kurz. Ich habe Ihre Arbeit über den Krankheitsverlauf von Signora Leone gelesen und Ihnen zurückgeschickt. Es ist eine ausgezeichnete Arbeit. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich sie den Auszubildenden zur Verfügung stelle?«
Stolz breitete sich in Clios Brust aus und sie fuhr sich etwas verlegen mit der Hand über den Nacken. Das Lob einer erfahrenen Krankenschwester war für Clio von größerem Wert als die Noten in ihrem Studium.
»Selbstverständlich nicht. Und danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, meine Arbeit zu lesen.«
Die Oberschwester machte eine wegwerfende Handbewegung und notierte sich etwas in einer Akte.
»Zehn Minuten, Gabby. Wenn es sein muss, stoppe ich die Zeit.« Mit dem Stift tippte sie auf die Uhr an ihrem Handgelenk.
Mit einem Lachen verschwand Clio ins Schwesternzimmer und raffte ihre Sachen zusammen. Obwohl es draußen viel zu warm war, sehnte sie sich nach einem Bad. Ihre Muskeln taten nach dem langen Arbeitstag weh und der duftende Schaum –vorzugsweise nach Lavendel –würde ihr helfen, zu entspannen. Draußen angekommen, schwang sie sich auf ihr Fahrrad und radelte nach Hause.
***
Clio wohnte in der Altstadt von Mailand, direkt über einer kleinen Bäckerei. Es grenzte an ein Wunder, dass sie in den letzten zwei Jahren nicht zugenommen hatte, bei all den Leckereien, die es dort gab. Die Lage der Wohnung war perfekt. Von der Universität bis nach Hause brauchte sie zu Fuß keine 15 Minuten. Eine bessere Lage konnte sie sich gar nicht wünschen, auch, wenn die Wohnung für ihre Größe viel zu teuer war, sodass Clio am Wochenende zusätzlich die Bäckerei putzen musste. Aber das war es ihr wert.
Als sie die Treppen zu ihren eigenen vier Wänden im zweiten Stock erklommen hatte und die Haustür endlich hinter ihr ins Schloss fiel, stieß Clio einen Seufzer aus. Müde fuhr sie sich übers Gesicht. Vielleicht hätte sie zur Abwechslung einmal ihre Arbeitszeiten einhalten sollen.
Aus dem Augenwinkel sah sie die Post von gestern, die noch immer auf der Kommode neben der Tür lag. Sie war bisher nicht dazu gekommen, sie zu öffnen. Es waren Rechnungen oder Werbung, adressiert an Gabriella Moretti. Sie hatte sich damals für einen Namen entschieden, zu dem sie keinerlei Verbindung hatte und den es in Italien aber wie Sand am Meer gab. Allein an ihrer Uni gab es dutzende Morettis. Doch bei ihrem Vornamen hatte Clio etwas Bekanntes gebraucht und so einfach ihren Zweitnamen gewählt. In ihrer Wohnung erinnerte nichts mehr an ihr altes Leben, außer einigen Fotos, die in der Schublade des Nachttischs lagen. Gabriella Moretti, die Frau, die Clio vor zwei Jahren erfunden hatte, stammte zwar wie sie aus Italien, war genau so groß wie sie, aber Geburtsdatum, Name und Herkunft waren frei erfunden. Wenn die Frage auf ihre Vergangenheit zu sprechen kam, versuchte Clio, soweit es ihr möglich war, bei der Wahrheit zu bleiben. Je weniger sie log, desto weniger konnte sie sich in ihrem Lügengeflecht verstricken.
Ausgelaugt von dem anstrengenden Arbeitstag ging Clio ins Bad. Sie spritze sich kaltes Wasser ins Gesicht und nahm die braunen Kontaktlinsen heraus, die sie immer trug, sobald sie die Wohnung verließ. Ein helles Lila blickte ihr im Spiegel entgegen. Clios Augenfarbe war einfach zu ungewöhnlich. Welcher normale Mensch hatte schon lilafarben Augen? Die Antwort war leicht: Keiner.
Denn Clio war kein Mensch, zumindest kein gewöhnlicher. Sie war eine Lilith. Eine Nachfahrin von Adams erster Frau. Die veilchenfarbenen Augen im Spiegel waren Beweis genug. Jede von ihnen hatte dieses Merkmal von ihrer Urmutter geerbt. Es war ihr unverkennbares Markenzeichen. Und Clio verfluchte ihre Augen. Sie war dankbar für die Kontaktlinsen, die sie zu einer normalen Studentin machten. Und sie liebte jede Minute ihres normalen Lebens.
Seufzend ging sie in die Küche, um sich eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und Zitronen aus der Vorratskammer zu holen. Auf dem Balkon legte sie dann die Füße hoch, in der Hand ein Glas erfrischendes Zitronenwasser, und schloss für einen Moment die Augen. Das Bellen eines Hundes riss sie aus ihren Tagträumen.
»Hallo Alfons«, begrüßte Clio den kleinen Rabauken.
Der kleine, schwarzweiße Terrier gehörte der Frau von nebenan, die immer mit ihrem Sohn stritt und in voller Lautstärke Telenovelas schaute –meistens »Sturm der Liebe«. Namensgeber des kleinen Kerls war eine Figur aus besagter Serie, soviel hatte Clio in den letzten zwei Jahren erfahren, ohne die Serie selbst gesehen zu haben.
Clio erhob sich von ihrem Balkonstuhl, trat ans Gitter und ging in die Hocke. Ihr Balkon war von dem ihrer Nachbarn nur durch das Gitter getrennt und so hinderte sie nichts daran, Alfons ausgiebig zu streicheln. Der erwiderte die Geste mit begeistertem Bellen und freudigem Schwanzwendeln. Clio lächelte zufrieden.
»Na, schaut Frauchen wieder mal ihre Serie und hat dich ganz vergessen?« Sie fuhr mit den Händen über seine Ohren, spürte das weiche Fell unter ihren Fingern und als der Hund sich auf den Rücken warf, kraulte sie ihm den Bauch.
»Du bist so ein Süßer.«
Sie schmuste noch eine Weile weiter mit Alfons, bevor sie ins Bad ging und das Wasser in die Wanne laufen ließ. Ihre Muskeln brauchten dringend eine Pause. Doch ihre Studienfreunde hatten anderes vor. Ihr Handy, das in dem Klamottenhaufen auf dem Boden lag, zeigte eine neue Nachricht an. Clio überflog die Nachricht, die die Worte ›Feiern‹ und ›keine Widerrede‹ enthielt, und verdrehte die Augen. Sie war nicht in der Stimmung, um Tanzen zu gehen. Sie warf das Handy auf den Haufen zurück und kehrte ihm den Rücken. Seufzend ließ sie sich in das für diese Jahreszeit viel zu warme Wasser gleiten.
Clio
Obwohl sie eigentlich wenig Lust hatte, heute Abend feiern zu gehen, hatte Clio sich breitschlagen lassen. Die Semesterferien standen kurz bevor und ihre Freundinnen hatten keine ihrer Ausreden gelten lassen, um allein zu Hause zu bleiben. Dabei hatte Clio nichts anderes gewollt. Nach dem langen Tag im Krankenhaus hätte sie sich damit zufriedengegeben, auf dem Sofa zu sitzen und Serien zu schauen. Vorzugsweise mit einem Eimer Popcorn im Schoß oder einer gigantischen Tafel Schokolade. Von ihrem Vorschlag hatten Chiara und Giselle leider wenig gehalten.
Das war der Grund, warum Clio nun vor dem » Club House« auf ihre Studienfreunde wartete. Schon von draußen hörte sie die laute Musik und den Bass. Ein Song aus den 80er-Jahren drang an ihr Ohr und ob sie es wollte oder nicht, Clios Fuß wippte im Takt, während sie sich in der langen Schlange einreihte.
Tanzwütige Studenten tummelten sich vor dem Eingang, alle darauf aus, die Nacht zum Tag zu machen und die letzten Tage des Semesters in vollen Zügen zu genießen. Ein kurzer Blick auf ihre Armbanduhr verriet Clio, dass ihre Freunde mal wieder zu spät kamen. Wie immer. Giselles Dauerausrede war, dass das bei Franzosen absolut normal sei, und Chiaras, dass die Straßenbahn immer gerade weg war, wenn sie kam.
Geistesabwesend spielte Clio mit dem schmalen, silbernen Reif an ihrem rechten Handgelenk. Er war schlicht und fiel kaum auf. Darum ging es Clio auch gar nicht. Dieser Armreif erfüllte nur einen Zweck und war wohl Clios kostbarster Besitz. Nur er konnte ihr ein normales Leben ermöglichen. Ein Dasein fern von Magie, Dämonen und übernatürlichen Verbindungen.
»Gabby«, drang die vertraute Stimme von Davide an ihr Ohr und riss Clio aus ihren Gedanken. Der junge Mann steuerte auf sie zu, ein Lächeln umspielte seine Lippen und die dunklen Haare fielen ihm wirr in die Stirn. Er studierte Politikwissenschaft und sie hatten sich durch Zufall an ihrem ersten Tag in der Uni kennengelernt. Wenn Clio den Worten von Chiara und Giselle glauben wollte, hegte Davide Gefühle für sie. Doch sie hielt das Gerede ihrer Freundinnen für Unsinn. Davide hatte nie irgendwelche Annäherungsversuche gewagt. Er war immer sehr nett, interessiert an ihrem Leben und ein echter Gentleman, zugegeben, aber nicht auf eine flirtende Art und Weise.
»Alles klar bei dir? Wie war die Arbeit?«, fragte er, als er neben ihr angekommen war.
Sie erwiderte sein strahlendes Lächeln zaghaft. Davide war ein Freund von ihr, doch seit Clio von seinen angeblichen Gefühlen erfahren hatte, benahm sie sich ihm gegenüber reservierter. Auch wenn sie nicht wirklich daran glaubte, dass er Gefühle für sie hegte, wollte sie ihm keinesfalls falsche Hoffnungen machen.
Ein harter Zug legte sich um ihre Lippen, als sie darüber nachdachte. Wer nicht über seine Gefühle sprach, konnte keine besonders tiefen besitzen oder ausbilden. Das war zumindest Clios Auffassung der Dinge. Etwas, was ihr Leben vereinfacht hätte, wenn sie bereits vor zwei Jahren so darüber gedacht und sich entsprechend verhalten hätte.
Clio zuckte mit den Schultern und schenkte Davide wieder ihre volle Aufmerksamkeit.
»Ach, nicht der Rede wert. Wie war dein Tag?«
Er stieß bei dieser Frage ein tiefes Seufzen aus.
»Ich bin froh, wenn das Semester endlich vorbei ist. Du siehst übrigens toll aus.« Er musterte sie und Clio sah leider nur zu deutlich, wie er schluckte, weil sich dabei sein Adamsapfel bewegte. Ein Zeichen dafür, dass er nervös war. Warum sollte er das sein? War er doch an ihr interessiert?
Sofort machte sich das schlechte Gewissen in ihr bemerkbar. Als Nachfahrin von Lilith hatte sie häufig diese Wirkung auf Männer. Manchmal sogar auf Frauen. Die Lilith von damals hatte schließlich erst einen Menschen verführt und anschließend einen Dämon. Man sagte ihr nach, niemand hatte sich ihrer Ausstrahlung und Schönheit entziehen können. Diese Eigenschaft, die Clio eher als Fluch, denn als Segen betrachtete, hatten auch alle ihre Nachfahrinnen inne. Clio bezeichnete sich selbst zwar nicht als schön oder würde es gar wagen, sich mit Lilith zu vergleichen, doch sie hatte schon häufiger bemerkt, wie Männer in ihrer Gegenwart erröteten oder sie anstarrten, als wäre sie ein neuentdecktes Weltwunder. Es war ihre Macht als Lilith, die der Grund für ein solches Verhalten war. Sie zog andere in ihren Bann.
Clio sah an sich hinunter. Sie hatte sich für einen kurzen Jeansrock mit durchgängigem Reißverschluss entschieden sowie ein schwarzes, enges Top mit Rollkragen. Ein Look, der von mailändischen Studentinnen häufig getragen wurde. Clio fiel in einer Menschenmasse also nicht sonderlich auf. Und nicht aufzufallen hatte für Clio oberste Priorität.
»Danke, du siehst aber auch nicht schlecht aus.« Es war die Wahrheit. Davide trug eine dunkle Hose, ein weißes Hemd darüber. Bei ihrem Kompliment wurde er rot und Clio musste sich zusammenreißen nicht zu seufzen. Ihre Kräfte als Lilith waren ihr in manchen Fällen mehr als lästig.
»Na, ihr Hübschen!« Chiara und Giselle kamen auf sie zu. Wesentlich früher, als Clio erwartet hatte. Chiara musterte sie kritisch. »Du hast dich an meine Anweisung gehalten. Freut mich. Ansonsten hätte es auch Ärger gegeben.«
Ihre Worte bezogen sich auf ihre zweite Nachricht, in der gestanden hatte, dass Clio sich doch bitte sexy anziehen sollte. Clio schüttelte lachend den Kopf. Wirklich sexy war ihr Outfit nicht, dafür war es zu schlicht. Aber das Oberteil betonte ihre Brüste und der Rock zeigte Bein. Mehr war heute Abend nicht drin. Sie hatte sich sogar gegen Absätze entschieden und stattdessen Sneaker angezogen.
Chiara zog Clio in eine Umarmung, bevor sie Davide einen Seitenblick zuwarf und die Augenbraue hochzog, als sie seine noch immer geröteten Wangen bemerkte. Ihr fragender Blick traf Clio, die nur mit den Schultern zuckte.
»Wir sind dran!«, flötete Giselle und ging voran. Der Rest der Gruppe folgte.
Im Club war es bereits voll, obwohl es erst zehn Uhr war. Der Bass hämmerte in Clios Ohren und ihr Herzschlag passte sich automatisch dem Rhythmus an. Sie gingen zielstrebig Richtung Bar und bestellten sich Getränke.
Genussvoll nahm Clio einen Schluck von ihrem Gin Tonic. Der Geschmack der Gurke breitete sich in ihrem Mund aus. Solche It-Getränke kannte sie nicht von früher. Auf den Veranstaltungen, zu denen sie zwangsläufig hatte gehen müssen, hatte es erlesene Weine oder so etwas Widerliches wie sündhaft teuren Whiskey gegeben. Nichts davon hatte Clio geschmeckt.
Giselle neben ihr lehnte mit dem Rücken gegen die Theke und ließ ihren Blick über die Tanzfläche gleiten.
»Ziemlich viele Leute hier.« Sie spielte mit einer ihrer langen blonden Strähnen. Der kleine Platz, der den Tanzenden vorbehalten war, war zum Bersten voll. Körper presste sich an Körper, es war kein freies Fleckchen zu erkennen.
Chiara schob sich zwischen die beiden Mädchen.
»Ja, vor allem gutaussehende Kerle.« Ein breites Grinsen trat auf ihr Gesicht. Sie liebte Flirts, gute Gesellschaft und leidenschaftliches Tanzen. Das war einfach ihre Art.
Davide schien von Chiaras Bemerkung nicht begeistert, er stieß ein Brummen aus. Clio ignorierte ihre drei Freunde einfach und widmete sich ihrem Longdrink. Für sie zählte heute nur, dass sie die Freiheit besaß tun zu können, was auch immer sie wollte, und dass sie bald Ferien haben würde. Auch wenn sie die Arbeit im Krankenhaus vermissen würde.
Chiara neben ihr seufzte verträumt und Clio hob irritiert eine Augenbraue.
»Was ist los?«
Ihre Freundin deutete auf eine Gruppe junger Männer, die nahe der Tanzfläche standen, aber selbst nicht tanzten, sondern nur redeten.
»Dort drüben steht der Vater meiner zukünftigen Kinder«, hauchte Chiara.
Clio verschluckte sich beinahe an ihrem Getränk, während sie versuchte, es nicht über den Tresen zu spucken. Giselle wurde hellhörig und taxierte die Männer ebenfalls neugierig.
»Welchen von ihnen meinst du?« Die Frage war berechtigt, denn die Gruppe bestand aus fünf Kerlen.
Chiara zuckte mit den Schultern. »Spielt das eine Rolle? Die sehen alle toll aus.«
Clios Augen wurden schmal und sie tauschte über Chiaras Kopf hinweg einen Blick mit Giselle, dann brachen beide in schallendes Gelächter aus.
»Chiara, du solltest etwas höhere Ansprüche an den Vater deiner Kinder haben als gutes Aussehen.« Kopfschüttelnd sah die Französin ihre Freundin an und hob mahnend den Zeigefinger. Doch Chiara schienen andere Eigenschaft in diesem Moment nicht so wichtig zu sein. Ihre Füße wippten im Takt der Musik und sie bewegte leicht die Hüften, während sie an ihrem Cocktail nippte. Ihr Blick ruhte dabei ununterbrochen auf den Männern.
Diese Unbeschwertheit, das Herumalbern, das zu tun, was ihr gerade in den Sinn kam, liebte Clio am meisten an ihrem derzeitigen Leben. Gemeinsam mit Chiara und Giselle hatte sie Seiten an sich kennengelernt, die sie vorher nicht gekannt hatte. Hier gab es keine Zwänge oder Regeln, niemanden, dem sie sich unterordnen oder gerecht werden musste. Clio war eine gewöhnliche Studentin, die mit ihren Freunden ausging. Mehr nicht.
Eine kleine Stimme in ihrem Kopf erinnerte sie daran, dass sie sich etwas vormachte. Ihre Freundinnen kannten nicht einmal ihren wahren Namen, sie wussten so gut wie nichts über sie. Dazu kam, dass sie nicht für immer ihrem alten Leben entfliehen konnte. Irgendwann würde es sie einholen.
»Ich denke, der Rechte gefällt mir am besten«, bemerkte Chiara gerade. Mit dem Finger tippte sie sich gegen das Kinn, ein prüfender Blick lag auf ihrem Gesicht, als begutachtete sie die Qualität einer Ware.
Clio sah stirnrunzelnd zu den Männern hinüber. Von weitem sahen sie für sie alle gleich aus. Dunkle Haare, gebräunte Haut. Das Klischee eines Italieners, wie man ihn sich eben vorstellte, ohne darüber nachzudenken. Aber natürlich konnte Clio nicht leugnen, dass sie gut aussahen. Musste wohl am Cheerleader-Effekt liegen.
»Los geht’s, Chiara, schnapp ihn dir, bevor es eine andere tut!« Ein herausfordernder Ausdruck trat in Clios Augen und sie sah ihre Freundin grinsend an. Dann nahm sie einen weiteren Schluck von ihrem Getränk. Der Alkohol brannte leicht in ihrer Kehle, aber das störte sie nicht.
Chiara schien über den Vorschlag nachzudenken, doch dann zuckte sie mit den Schultern.
»Vielleicht später. Was ist mit dir? Hast du schon jemanden entdeckt, der dir gefällt?«
Überraschend war die Frage nicht. Jedes Mal, wenn sie ausgingen, stellten sie Clio dieselbe Frage. Ein ganz alltägliches Thema unter normalen Frauen. Clio war es meistens unangenehm. Sie schüttelte auch heute stumm den Kopf. Nicht, dass sie überhaupt auf der Suche war, aber bisher hatte sie tatsächlich noch niemanden entdeckt, der ihr gefiel.
»O mein Gott, ein verdammt heißer Typ starrt in unsere Richtung!«, quietschte Giselle.
»Er starrt nicht uns an, sondern Gabby«, stellte Davide mürrisch fest. Sein Tonfall gefiel Clio nicht. Vielleicht sollte sie ihm klipp und klar sagen, dass er nur ein Freund für sie war und niemals mehr sein würde. Andererseits: Er hatte ihr nie gesagt, dass er etwas für sie empfand, warum sollte sie ihn darauf ansprechen? Es war zum Haare raufen! Clio war unsicher, was sie wegen Davide unternehmen sollte, sie wusste nur, dass sie diese unklare Situation schrecklich unangenehm fand.
»Gabby, ma Chérie, geh dahin und stell dich vor oder ich tue es. Ich sehe es schon vor mir, wie ihr wunderschöne Kinder macht.«
Stirnrunzelnd sah Clio Giselle an, doch ein Zucken umspielte ihre Mundwinkel. »Kinder machen? Hier und jetzt? Ich glaube kaum, dass das den Sicherheitsleuten gefallen würde.«
Giselle stieß ihr den Ellbogen in die Seite. »Du weißt, was ich meine.«
Natürlich wusste sie das, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass Clio gewiss nicht zu diesem Kerl hinübergehen würde. Sie sah sich den Mann genauer an. Dunkle Haare und im Schein der bunten Lichter blitzen seine hellen Augen auf. Lieber nicht … Diese Kombination weckte doch zu viele Erinnerungen. Daher zuckte sie nur mit dem Schultern.
»Nein danke. Nicht mein Geschmack«, sagte sie monoton, auch wenn die Lüge bitter auf ihrer Zunge schmeckte.
Giselle zog eine Schnute.
»Wie kann das nicht dein Geschmack sein? Der Typ ist heiß.« Giselle betrachtete erneut den gutaussehenden Mann mit seinen Freunden.
»Tu dir keinen Zwang an: Rede selbst mit ihm.« Clio sah, wie Giselle über ihren Vorschlag nachdachte, ihn dann aber kopfschüttelnd verwarf.
»Nein, er hat dich angesehen, nicht mich.«
»Wie du meinst.« Sie hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn Giselle sich mit dem gutaussehenden jungen Mann vergnügt hätte.
»Wenn das nicht dein Typ ist, wonach genau müssen wir dann Ausschau halten?« Chiara sah sich suchend in dem Club um. Ihre Augen scannten die Menge nach potenziellen Kandidaten für Clio ab. Diese seufzte innerlich. Mit den Fingern massierte sie ihre Schläfe. Wie waren sie wieder zu diesem vermaledeiten Thema gelangt, das Clio so hasste? Ihre Freundinnen wollten wissen, wer ihr Typ war. Das war eine gute Frage. Der einzige Kerl, an dem Clio wirklich Interesse gehabt hatte, hatte genau diese Merkmale aufgewiesen: Dunkle Haare und graue Augen, in denen zu jeder Tageszeit ein Sturm tobte und die auch aus dieser Entfernung hell aufgeblitzt hätten. Breite Schultern, die dazu einluden, sich an sie zu schmiegen, und muskulöse Arme, die einen festumschlossen hielten. Doch es war gehörig nach hinten losgegangen.
»Du hast uns noch nie verraten, mit welcher Art Mann du Partys verlässt«, stirnrunzelnd sah Chiara sie an.
»Oder was genau zwischen dir und deinem Ex passiert ist, über den du nie ein Wort verlierst. Immer wenn das Thema darauf fällt, lenkst du ab«, stellte Giselle fest. Sie hatten beide den Nagel auf den Kopf getroffen. Ihr Männergeschmack, ihr Ex und die Tatsache, dass Clio Partys niemals in männlicher Begleitung verließ, hingen zusammen.
Doch Clio würde den Teufel tun, ihren Freundinnen von ihrem Ex zu erzählen. Abgesehen davon, dass es für die beiden viel zu gefährlich war, würde Clio seinen Namen nur über ihre Leiche jemals wieder aussprechen.
Auch wenn Clio es ungern tat, benutzte sie Davides Anwesenheit als Rettungsanker. Mit einem Seitenblick auf ihn, sah Clio ihre Freundinnen tadelnd an.
»Und das werde ich auch heute nicht tun.« Sie verstanden den Wink sofort, auch wenn Chiara genervt mit den Augen rollte.
»Wie sieht es aus, wollen wir tanzen gehen?«, fragte Clio. Ein unauffälliger Versuch, das Thema zumindest für heute Abend zu begraben –und er funktionierte. Giselle hielt ihr die Hand hin, die Clio sofort ergriff, und ließ sich von ihr auf die Tanzfläche ziehen. Davide und Chiara folgten ihnen.