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Deutsche Erstausgabe

Copyright © 2020 Schneiderbuch.digital in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel

„MINECRAFT – The End“ bei Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

This translation is published by arrangement with Del Rey, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC

 

Copyright © 2019 Mojang AB and Mojang Synergies AB. MINECRAFT is a trademark

or registered trademark of Mojang Synergies AB.

All rights reserved.

 

Übersetzung aus dem Englischen: Maxi Lange

Coverillustration und -design: M.S.Corley

Umschlaggestaltung: Achim Münster, Overath

Satz: PPP Pre Print Partner GmbH & Co KG, Köln

In Anlehnung an das amerikanische Original

eBook: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu

ISBN 978-3-505-14082-2

www.schneiderbuch.de

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Aurora und Cole

Ich bin immer nur ein Portal entfernt

 

 

 

 

 

Es war einmal ein Spielerwesen.

 

Dieses Wesen warst du.

 

Manchmal hielt es sich für einen Menschen auf der dünnen Kruste einer sich drehenden Kugel aus geschmolzenem Gestein. Diese Kugel umkreiste eine andere aus lodernden Flammen, die noch dreihundertdreißigtausendmal größer war. Die beiden Kugeln waren so weit voneinander entfernt, dass das Licht acht Minuten brauchte, um von der einen bis zur anderen zu gelangen. Das Licht war wie die Nachricht eines Sterns, der dich wissen lässt, dass er deine Haut aus einhundertfünfzig Millionen Kilometer Entfernung verbrennen kann.

 

Manchmal stellte sich das Spielerwesen vor, auf der Oberfläche einer flachen, unendlichen Welt unter einer quadratischen, weißlichen Sonne nach Erzen zu graben. Die Tage waren kurz, es gab viel zu tun, und der Tod war nur ein vorübergehendes Übel.

 

- Julian Gough, Minecraft „End-Gedicht“

Im Ende ist immer Nacht. Es gibt keinen Sonnenaufgang, keinen Sonnenuntergang und keine tickenden Uhren.

Aber das bedeutet nicht, dass es dort keine Zeit gibt. Oder Licht. Ringe aus blassgelben Inseln glimmen in der Dunkelheit und schweben auf ewig in endloser Nacht. Purpurne Riesenpflanzen und Türme erheben sich aus dem Boden und ragen in den leeren Himmel empor – Pflanzen mit Früchten und Türme voller Zimmer. Weiße Kristallstäbe stehen wie Kerzen an den Ecken der Turmdächer und Balkone und bringen Licht in den Schatten. Ausgedehnte uralte, stille Siedlungen voll solcher Türme sind über den gesamten Archipel verstreut und leuchten in Purpur und Gelb, wie alles an diesem Ort. Neben ihnen schweben große Schiffe mit hohen Masten. Unter ihnen gähnt die schwarze, bodenlose Leere.

Es ist ein schöner Ort, und er ist keineswegs verlassen.

Auf den Inseln wimmelt es von Endermen, deren lange, schlanke schwarze Gliedmaßen sie über kleine gelbliche Hügel und durch kleine gelbliche Täler tragen. Ihre schmalen lila-rosafarbenen Augen funkeln. Ihre dünnen schwarzen Arme bewegen sich im Rhythmus einer sanften, flüsternden Musik, während die Kreaturen in den hohen, verdrehten Türmen, die älter sind als der bloße Gedanke an eine Uhr, unauffällig ihre Ränke schmieden. Sie beobachten alles und schweigen.

Shulker verstecken sich in Kisten, die an den Schiffen und Türmen sitzen. Wie kleine gelblich-grüne Schnecken verkriechen sie sich vor Fremdlingen. Manchmal wagen sie einen Blick nach draußen, doch gleich darauf schnappt die Kiste wieder zu – wie die Schale einer wütenden Muschel. Das sanfte Pochen ihrer sich öffnenden und schließenden Hüllen ist der Herzschlag des Endes.

Auf der zentralen, dunkelsten Insel umringen riesige Obsidiantürme einen kleinen Haufen grauen Gesteins, der von Fackeln umgeben ist. Auf jedem Turm thront ein helles Licht  – eine Flamme im silbernen Käfig, die ihre Strahlen auf den Boden, über den kleinen grauen Hof und weit hinauf in den schwarzen Himmel wirft.

Über allem zieht etwas Großes seine Runden. Etwas Riesiges. Etwas mit Schwingen. Etwas, das niemals ruht. Runde um Runde dreht es, während seine lilafarbenen Augen wie zorniges Feuer glühen.

Fin!

Das Wort zischte durch die Schatten jenseits der Küste einer der Außeninseln. Eine große Endsiedlung überragte den Großteil der Landmasse: Telos. Sie wucherte aus dem Inselhochland wie etwas Lebendiges hervor. Große Pagoden und Pavillons überall. Weiße Lichtpartikel rieselten von den schimmernden Endstäben. Shulker klapperten mit ihren Kisten. Angeleint wie ein Hund, schwebte gleich neben Telos ein großes purpurnes Schiff – ein Piratenschiff ohne Ozean. Diese großen Boote kamen in den meisten Endsiedlungen vor. Niemand kannte den Grund, genauso wie niemand ahnte, wer all die großen seltsamen Siedlungen errichtet hatte. Nicht die Endermen, was sie selbstverständlich nicht davon abhielt, all den Orten Namen zu geben. Auch nicht das fliegende Ding, das endlos seine Runden um ein Portal ins Nirgendwo zog. Nicht die Shulker, die nie lange genug aus ihren Schalen hervorlugten, um irgendetwas über die Welt lernen zu können. Die Endschiffe existierten einfach, genauso wie die Siedlungen und das Ende – genauso wie Wolken, Diamanten und Dienstage.

Fin! Hast du was Gutes gefunden?

Ein schmaler junger Enderman teleportierte sich schnell über die Insel, hinein und hinaus aus Telos’ Ecken und Winkeln. Er blinzelte sich an den einen, dann den nächsten Ort, bis er schließlich mit etwas Beute im Arm an Deck des Endschiffs stand. Sein Kopf war schön – schwarz und kantig. Seine Augen leuchteten hell und hungrig. Seine Gliedmaßen waren schlank, und doch stark. Ein anderer Enderman stand wartend an den Mast gelehnt. Sie verschränkte die dunklen Arme über der schmalen Brust.

Nein, dachte ihr Gegenüber, als würde er das Wort rufen. Es erschien einfach im Verstand des anderen Enderman. Sie brauchten keine Münder und Stimmen oder gar Ohren. Keine Geräusche. Telepathie war so viel einfacher als zu sprechen. Man dachte einfach mit jemandem, anstatt zu sprechen, und er oder sie verstand.

Nichts Gutes, Mo. Nur ein paar Perlen. Davon haben wir tonnenweise. Pff. Nimm du sie. Mir sind die unheimlich. Ich war mir sicher, dass die Brustpanzer von letzter Woche inzwischen wieder da wären, aber jemand anders ist uns wohl zuvorgekommen. Außerdem habe ich etwas Redstone-Erz gefunden, aber das war’s. Nächstes Mal gehst du wieder. Du hast den besseren Riecher für gutes Zeug.

Die zwölfjährigen Enderman-Zwillinge Fin und Mo, Bruder und Schwester, traten unter Deck. Fin war eigentlich drei Minuten älter, aber das kümmerte ihn nicht weiter. Dinge wie Altersunterschiede stanken nach Rängen, nach Struktur, nach Ordnung – und Ordnung war im Ende nicht willkommen.

Sie hatten immer hier gelebt. Sie konnten sich an keinen anderen Ort erinnern. Sie waren hier aufgewachsen. Es war ihr Zuhause. Genau wie das Hunderter weiterer Endermen, die auf den Inseln des Archipels lebten. Die Zwillinge lebten auf einem Endschiff voller Zeug, das sie von überallher zusammengetragen hatten. Ein Teil davon war richtig gutes Zeug – Diamanten und Smaragde, Golderz und Lapislazuli. Verzauberte Eisenbeinlinge, Spitzhacken jeder Art, Rote-Bete-Samen und Chorusfrüchte, Sättel und Pferdeharnische (obwohl ihnen noch nie ein Pferd begegnet war). Dutzende Paare wundervoller grauer Flügel, die man sich umschnallen konnte, um nach Herzenslust damit umherzufliegen. Manche Dinge waren aber auch ziemlicher Müll. Steine und Tonklumpen und Sand und alte Bücher mit beschädigten Rücken. Fin und Mo machte das nichts aus. Sie waren Plünderer, und die durften nicht wählerisch sein. Außerdem konnten sie nie wissen, wann sie ein wenig guten alten Ton gebrauchen konnten.

Die Enderman-Zwillinge wussten, dass es draußen noch andere Welten gab. Denn wenn es ein Ende gab, musste es auch einen Anfang geben. Nur eben irgendwo anders, an einem Ort, der diesen hier sein Ende nannte. Ein Irgendwo, das das Gegenstück zu hier war. Grün und hell, mit blauem Himmel und blauem Wasser, voller Schafe und Schweine und Bienen und Tintenfische. Andere Endermen besuchten diesen Ort andauernd. Die Geschwister kannten ihre Geschichten. Aber das hier war ihre Welt. Sie waren hier sicher, mit ihren eigenen Sachen und ihrer eigenen Art.

Fins und Mos Schätze stapelten sich schon bis unters Dach des Laderaums. Vorsichtig durchquerten sie die Berge aus Krimskrams wie bereits tausendmal zuvor. Zwischen all den Stiefeln und Schwertern und Helmen und Drachenköpfen und Barren schlängelte sich ein ausgetretener Pfad, der hier und dort etwas breiter war – gerade Platz genug zum Sitzen und Leben … und für Haustiere.

Hallo Grollo, begrüßte Mo fröhlich den Shulker, der in seiner Kiste an der Wand gegenüber saß. Er war schon immer hier gewesen, genau wie sie. Sie wurden ihn einfach nicht los. Dabei hätten sie den Platz, den er wegnahm, so gut für ihre Beute gebrauchen können. Doch obwohl sie in der Vergangenheit bereits mehrfach versucht hatten, ihn loszuwerden, war er am nächsten Tag immer wieder aufgetaucht. Irgendwann hatten sie einfach aufgegeben und ihn akzeptiert. Sie hatten ihm sogar einen Namen gegeben und überließen ihm manchmal die Bewachung ihres Schiffs. Schließlich konnten sie nie wissen, wann der nächste Räuber vorbeikommen würde. Wer so viel Beute an einem Ort gesammelt hatte, musste wachsam bleiben. Eigentlich bewachte Grollo das Schiff nicht wirklich. Er war immer nur da und hasste wie üblich alles und jeden, aber die Zwillinge fühlten sich trotzdem sicherer. Er war nicht irgendein Shulker. Er war ihr Shulker.

Wenn es denn ein Er war. Sie hatten ihn nie gefragt, denn sie respektierten seine Privatsphäre.

Hallo, antwortete Grollo. Er lugte aus seiner Kiste hervor und zeigte sein gelblich-grünes Gesicht. Ich hasse euch.

Wenn du meinst, gab Fin gleichgültig zurück. Braver Junge.

Bin ich nicht, schimpfte Grollo. Ich will dich beißen.

Bist du wohl!, dachte Mo. WER IST EIN BRAVER JUNGE?

Der Shulker brummelte etwas vor sich hin und schloss dann seine Schale. Sein letzter Gedanke erschien in ihren Köpfen, die Buchstaben klein und zornig. Ich bin ein böser Junge. Ich beiß euch morgen, ihr werdet sehen.

Mo und Fin kramten hinter einigen Erzblöcken und holten einen Korb mit Chorusfrüchten hervor – ihr Mittagessen, das sie sogleich gerecht aufteilten. Sie waren absolut gleichberechtigt, und alles wurde genau gleich aufgeteilt – sorgfältig, durchdacht und penibel. Schweigend und zufrieden arbeiteten die Zwillinge Seite an Seite und packten ihren Proviant ein.

Bewache das Schiff, Grollo, dachten Fin und Mo. Wir gehen ED besuchen. Lass nicht zu, dass irgendwer unser Zeug klaut.

Ich hasse das Schiff, nörgelte Grollo, ohne seine Schale zu öffnen. Ich hasse euch. Ich hasse ED. Ich hasse euer Zeug.

Gut gesagt, Grollo!, lachten sie vergnügt.

Fin und Mo teleportierten sich auf das Oberdeck des Endschiffs. Der schwarze Himmel über der funkelnden Siedlung sah so schön aus. Aber sie wollten nicht nach Telos. Sie blinzelten sich von einer Insel zur nächsten, und ihre Enderperlen glühten bei jedem Sprung.

Nach wenigen Momenten hatten sie die Hauptinsel erreicht. Massenweise Endermen drängten sich zwischen den Obsidiantürmen, deren Kronen aus eingesperrtem Licht ihre Strahlen in die Dunkelheit entließen.

Sei gegrüßt, Hubunit Paa, dachte Fin zu einem großen, älteren Enderman, den sie hier draußen oft trafen. Heil dem Großen Chaos!

Möge das Große Chaos dir hold sein, junger Enderman, antwortete Paa ernst. Das war die übliche Antwort. Alle Endermen verehrten das Große Chaos. Das Universum teilte sich in Chaos und Ordnung. Oberweltler glaubten an die Ordnung, aber Endermen wussten, dass sie nur eine Lüge war – auf immer und ewig eine Lüge. Die größte Lüge, die je existiert hatte. In der Oberwelt glaubten die Leute, dass man eine Festung bauen kann, die stark genug ist, alles abzuwehren. Dass wahre Perfektion erreichbar war. Oder etwas Bleibendes. Nur die Endermen, die Diener des Großen Chaos, schienen zu verstehen, dass das ein Irrglaube war, und es war ihre heilige Pflicht, diese Tatsache immer wieder aufs Neue zu beweisen. Das Leben war so viel schöner, wenn man die Wahrheit begriff: Alles konnte passieren, jederzeit, jeder Kreatur und jedem Ding. Das Große Chaos erreichte früher oder später alle. Irgendwann würde es das ganze Universum erfassen, und die Endermen mussten es dabei mit aller Kraft unterstützen. Die heiligste Pilgerfahrt, die ein Enderman unternehmen konnte, war die Reise in die Oberwelt, um dort Zeuge der Konstruktionen der Ordnung zu werden und ebendiese zu sabotieren – einen Block aus einem gemütlichen Haus zu entfernen und damit dem Großen Chaos den Weg zu ebnen. Regen oder Feuer könnten durchs Dach eindringen. Creeper könnten sich durch ein Loch im Fundament einschleichen. Diebe könnten in ein Heim einbrechen und es ausrauben. Ordnung war so langweilig. War das Leben nicht viel interessanter, wenn man das Chaos zuließ?

Sei gegrüßt, Hubunit Lopp, dachte Mo zu einem von purpurnen Funken umgebenen Enderman, der am Rand der Insel stand und in die Ferne starrte. Heil dem Großen Chaos.

Sei gegrüßt, Mo, antwortete Lopp. Ich warte auf die Rückkehr meiner Enderfrags. Sie sind in die Oberwelt gereist, um die Ordnung zu jagen und zu zerstören. Ich bin sehr stolz auf meine Fragmente. Sie werden dem Ende Ruhm bringen.

Sie sind bestimmt bald zurück, tröstete Mo.

Die Kreatur drehte sich um und starrte die Zwillinge an. Sie war furchtbar groß, und etwas Seltsames flackerte in ihren magentafarbenen Augen.

Seid ihr allein? Seid ihr geschwächt? Benötigt ihr Endstapelung mit einem Hubunit von überlegener Stärke und Macht?

Mo wich einen Schritt zurück. Die Erwachsenen machten immer einen Aufstand, wenn jüngere Endermen allein unterwegs waren. Es erschütterte sie geradezu. Mo gefiel diese Denkweise der Großen überhaupt nicht. Außerdem waren sie immer so steif und förmlich und benutzten ständig lange Wörter. Junge Leute waren anders. Weder Fin noch Mo noch irgendeiner der anderen jungen Endermen, die sie kannten, dachte so. Vielleicht befiel einen irgendein Zauber, wenn man erwachsen wurde, der einen Snob aus einem machte.

Natürlich hatte Lopp diese Idee überhaupt nur, weil so viele andere Endermen auf der Insel des Enderdrachen umherliefen. Allein waren Endermen zornig und primitiv – kaum besser als ein gefangener Bär, den man einmal zu oft geschlagen hatte. Nur in Gruppen erreichten die gemeinsamen Gedanken all diese interessanten Verästelungen. Eine Gruppe von Endermen wurde „Ende“ genannt. Deshalb hieß auch ihr Land so. Alle Endermen zusammen bildeten das größte Ende überhaupt.

Jedes Ende enthielt viele verschiedene Individuen, von denen sich jedes in einem anderen Entwicklungsstadium befand. Enderfrags waren die Jüngsten – Fragmente zweier erwachsener Hubuniten. Nubuniten waren ausgewachsene Endermen, die sich noch nicht repliziert hatten, um ihr eigenes Ende zu gründen. Dann gab es noch die Kruxuniten – die großen, uralten Ahnen, die sich einst allein repliziert und ihre Enden aus sich selbst hervorgebracht hatten. Versammelten sich mehrere Endermen, um sich zu unterhalten oder gemeinsam etwas zu tun, hieß dieser Vorgang „Endstapeln“. Am einfachsten ging das mit den Mitgliedern und Fragmenten des eigenen Endes. Schließlich kannte man diese Leute schon aus der Zeit, bevor sie überhaupt repliziert worden waren. Doch Endermen konnten auch mit anderen Endermen stapeln und auf diese Weise stärker, schlauer, und raffinierter werden. Außerdem bot ein Ende Sicherheit. Eine Sicherheit, die Lopp vor allem angeboten hatte. Ein Ziegelstein ist nicht viel – auch wenn es wehtut, wenn er dir auf den Kopf fällt. Aber Einhundert davon ergeben eine starke Mauer.

Trotzdem wollte Mo all das nicht. Sie hatte Fin, und das reichte ihr. So war es schon immer gewesen. Wenn sie mit Endermen stapelte, die nicht Fin waren (ausgenommen einem, über den sie jetzt lieber nicht nachdachte, denn über Kan nachzudenken lenkte sie immer furchtbar ab, und Mo hatte heute viel vor), fing ihr Körper an, unangenehm zu jucken, sodass sie sich die Haut am liebsten abgezogen hätte. Es brachte sie zum Weinen. Es verlieh ihr so viel Energie, dass sie sich kaum davon abhalten konnte, zu laufen und zu springen und Saltos zu schlagen wie eine Verrückte. Vielleicht hätte Mo das Endstapeln wirklich klüger gemacht, aber sie fühlte sich nie so, weil sie sich bei all dem Juckreiz, dem Umherspringen und den Saltos nicht konzentrieren konnte. Vielleicht würde all das ja in einigen Jahren ein Ende haben, wenn sie zum Nubunit heranwuchs. Mo und Fin waren Enderfrags – gerade noch so.

Vielleicht war Mo aber auch nur absonderlich. Das war durchaus möglich.

Nein, danke. Alles in Ordnung, erwiderte Mo nachdrücklich.

Bist du dir sicher?, hakte der große Enderman besorgt nach. Ich bin verfügbar. Ich bin ein exzellentes Hubunit. Meine Teleport- und Kampffähigkeiten sind beispiellos.

Es geht mir gut!, rief Mo und rannte, ohne sich noch einmal umzusehen, zu Fin.

Das Drachenwesen zog brüllend seine Runden. Es flog auf und ab, zwischen den Türmen hindurch und ruhte sich hin und wieder auf dem kleinen grauen Bereich in der Mitte der Insel aus. Dort brüllte es noch einmal und hob sogleich wieder ab.

Fin und Mo teleportierten sich auf eine der schwarzen Säulen, um sich auf dem dunklen Gestein neben der Laterne niederzulassen, die in der Mitte stand. Von dort aus beobachteten sie den Drachen. Das gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Egal, wie lange man ED zusah – so nannten sie das Monstrum –, es wurde nie kleiner, weniger angsteinflößend oder weniger interessant. Allein diese knotigen Schuppen entlang seiner Wirbelsäule. Die tollen Schwingen. Die riesigen lilafarbenen Augen. Jedes Mal, wenn das Biest an ihnen vorbeiflog, zitterten sie vor Aufregung und Angst – aber die Aufregung überwog.

Möchtest du irgendwann einmal hin?, fragte Mo und knabberte an einer Chorusfrucht.

Wohin? Fin ließ den Enderdrachen nicht aus den Augen. Er nahm kaum wahr, was ihn seine Zwillingsschwester gefragt hatte. Wer hätte das auch gekonnt, mit einem waschechten Drachenwesen in der Nähe? Gerade ruhte es sich wieder einmal auf dem kleinen Steinpodest am Boden aus.

In die Oberwelt.

Igitt, wieso sollte ich? Da gibt’s Menschen.

Menschen waren das Schlimmste, was er kannte. Schlimmer als die allgegenwärtige Leere, in die er jederzeit stürzen konnte. Schlimmer als Beutediebe. Viel schlimmer als Grollo. Menschen hassten Endermen. Sie töteten sie und stahlen obendrein ihre Herzen – die Enderperlen, mit denen jeder Enderman geboren wurde. Diese Juwelen, die ihnen die Macht der Teleportation verliehen. Wer tat so etwas? Wer stahl Herzen?

Ich weiß nicht. Mo streckte die langen schwarzen Beine aus. Um neue Leute kennenzulernen. Oder zu vernichten. Mehr Beute zu suchen. Etwas anderes als Chorusfrucht zu essen. Dem Großen Chaos zu dienen.

Mo, du weißt doch, was mit unseren Hubuniten passiert ist. Sie gingen in die Oberwelt und kamen nie zurück. Ohne die Oberwelt hätten wir beide noch unser Ende.

Sie wurden vom Regen überrascht, erinnerte sich Mo. Es war eine furchtbare Erinnerung. Regen war für ihresgleichen wie Gift. In einem Sommergewitter draußen zu stehen war, wie einem Hagel aus einer Million Silbergeschossen ausgesetzt zu sein.

Aber das könnte jedem passieren. Das lehrt uns das Große Chaos. Es gibt und nimmt. Es könnte dir oder mir oder Grollo passieren. Es könnte auch Lopps Enderfrags passieren. Jeden Tag steht sie dort und wartet auf ihre Rückkehr. Hast du Lopps Enderfrags je gesehen?

Nein, erwiderte Mo sanft.

Fin schnippte eine Chorusfrucht vom Säulenrand und beobachtete, wie sie dem gelben Boden entgegenschwebte. Siehst du? Es kann wirklich jedem passieren. Wer weiß, wie viele Endermen wir jede Woche verlieren.

Möge ihr nobles Opfer die Vorherrschaft des Großen Chaos beschleunigen, predigte Mo.

Ja, ja, ja. Aber rate, wer die Drecksarbeit für die Mächte der Ordnung erledigt. Menschen. All unsere Probleme existieren nur wegen der Menschen. Sie sind schuld daran, dass wir uns nicht einmal daran erinnern können, wie unsere Hubuniten aussahen. Nur wegen der Menschen können wir nicht für ein kleines Picknick spontan in die Oberwelt reisen, wenn wir Lust darauf haben. Aber das wäre es ohnehin nicht wert, glaub mir. Nichts da oben ist besser als das, was wir hier haben. Der einzig gute Grund, die Oberwelt zu besuchen, ist der, dem Großen Chaos zu dienen. Aber nicht einmal das würde ich tun – außer, ich verspüre plötzlich einen Todeswunsch. Was gibt es Chaotischeres als sich zu weigern, irgendwem zu dienen?

Fin beobachtete die lilafarbenen Partikel, die seine Haut umschwirrten. Daran war zu erkennen, dass ein Enderman sprach, auch wenn er nicht zu hören war. Die schimmernden kleinen Lichter – Zeichen ihrer telepathischen Fähigkeiten – umgaben sie ständig und überall.

War es das, was unsere Hubuniten getan haben? Zu dienen? Sich zu opfern?

Ich glaube, schon. Zumindest will ich es glauben. Denn das würde wenigstens bedeuten, dass wir unsere Hubuniten für mehr als nur einen gemeinen Scherz des Großen Chaos verloren hätten.

Wie wäre es mit Rache?, dachte Mo beiläufig. Wir könnten die ganze Nacht Jagd auf Menschen machen. Das wäre vielleicht lustig – wir könnten zur Abwechslung ihre Herzen stehlen.

Mo, die Oberwelt ist gefährlich. Sie raubt unsere Gefährten. Wozu dieses Risiko eingehen?

Da hast du wohl recht. Außerdem haben wir hier alles, was wir brauchen. Sie drückte seine schmale dunkle Hand.

Das Laternenlicht schimmerte und warf Funken. Es war die schönste Nacht, die man sich vorstellen konnte. Wie eigentlich jede Nacht. Fin legte den langen kantigen Arm um seine Zwillingsschwester und strich ihr liebevoll über den Kopf.

Oh!, dachte sie. Diesmal kommt es ganz nah!

Das Drachenwesen hielt auf die beiden zu und fing unterwegs Licht von jeder Laterne ein, die es passierte.

Guten Tag, ED. Mo winkte schüchtern, als die Kreatur sich ihrer Säule näherte. Sie hatten schon oft versucht, mit dem großen Biest zu sprechen, obwohl es nicht zahm war. Es antwortete nur selten.

Doch heute war es anders.

Der Drache drehte den kantigen schwarzen Kopf in Richtung der Geschwister, öffnete sein großes Maul und entblößte dessen lila glühendes Inneres.

Heil dir und Segen, Mo-Fragment. Der Gedanke brannte in ihrem Kopf – größer und lauter als der jedes Endermans.

Mo erstarrte – vergessen war die Chorusfrucht, die sie gerade hatte verspeisen wollen. Es kennt meinen Namen! Wie ist das möglich?

Du musst berühmt sein, dachte Fin. Mo spürte seine knisternde Eifersucht in ihrem Kopf.

Das Drachenwesen machte kehrt und kam erneut angeflogen. Vorher kreischte es in die Leere.

Salve, Fragment Fin.

Meinen Namen kennt es auch! Wow! Kunstvoll umrundete der Drache eine Säule. Aber Salve? Was ist das für ein komisches Geräusch? Ist ED krank? Muss es sich übergeben? Du kriegst Segen, und ich „Salve?“

Es bedeutet Hallo. Mo kicherte tief in ihrem Kopf.

Oh! Hallo, ED! Hallooooo! Salve! Vielleicht will es sich mit uns anfreunden! Was meinst du, Mo?

Mo war sich da nicht so sicher. Es flog nun genau auf die beiden zu, und das lilafarbene Feuer in seinen Augen sah nicht gerade freundlich aus. Diesmal flog es so dicht über die Zwillinge hinweg, dass die große dunkle Schwinge sie berührte und umwarf, als wären sie federleicht.

JETZT VERSCHWINDET!, bellte ED in ihre Gedanken. Die Kristalllaterne neben ihnen flimmerte angstvoll. Dann ließ der Drache seinen Schwanz wie eine Peitsche durch die Luft schnellen und verschwand in der Dunkelheit.

Das war …, dachte Fin.

… so cool!, beendete Mo den Satz für ihn. Ihre Augen glühten vor Freude.

Mo schnappte sich eine Handvoll der Silbernetze, die um die Laterne verstreut waren. Guter Beute konnte sie einfach nicht widerstehen.

Wer zuerst zu Hause ist!, dachte sie fröhlich und verschwand.

Dann verschwand auch Fin.