ZwölfUhrTermin

ZwölfUhrTermin

 

 

Roman

Nora Adams

 

 

 

 

978-3-947115-13-6

 

 

 

Inhalt

 

Bilanz

»Ei­nen Kaffee, bit­te.«

Die Frau, die vor Marc an der The­ke stand, zück­te ei­nen Schein aus ih­rem Geld­beu­tel und sah ver­wun­dert auf, als sie kei­ne Ant­wort er­hielt.

»Ei­nen nor­ma­len Kaffee?«, er­kun­dig­te sich der Ver­käu­fer und stutz­te da­bei däm­lich.

»Gibt es ei­nen un­nor­ma­len Kaffee?«, ent­geg­ne­te sie schlag­fer­tig, stemm­te ei­ne Hand in ih­re Sei­te.

Die­se Frau hat­te Tem­pe­ra­ment, dach­te Marc und üb­te sich in Ge­duld. »Ist es denn so son­der­bar, dass ich Fil­ter­kaffee oh­ne künst­lich hin­zu­ge­füg­te Aro­men und ton­nen­wei­se Sah­ne oder Milch­schaum mag?« Marcs Mund­win­kel zuck­te. Wenn die mal kei­nen schlech­ten Tag hat­te … Oder war sie immer so ag­gres­siv? Im Grun­de ge­nom­men war es ihm egal, denn was zähl­te, war, dass er ei­nen Termin hat­te, den er ver­pas­sen wür­de, soll­te sie nicht gleich zum En­de kom­men.

»Bo­ah! Mom!« Der Jun­ge, der ne­ben ihr stand, ramm­te ei­nen Ell­bogen in ih­re Sei­te. »Chill mal dein Ge­sicht! Aa­al­ter, das geht ja gar nicht!«

Was zum Teu­fel?, frag­te er sich in dem Mo­ment, als sie sich ruck­ar­tig dem klei­nen Möch­te­gern-Co­olio zu­wand­te, so­dass Marc die zar­ten Kon­tu­ren ih­res Ge­sich­tes er­bli­cken konn­te. Win­zi­ge Som­mer­spros­sen schmei­chel­ten ih­ren Wan­gen­kno­chen, wäh­rend sich ih­re lan­gen, ro­ten, wel­li­gen Haa­re über ih­re Schul­ter er­gos­sen. Ei­ne schwar­ze Bril­le stand im Kon­trast zu ih­rer hel­len Haut. Das war mal ei­ne ex­trem hei­ße Er­schei­nung, dach­te er sich, wäh­rend er ih­ren vor­wurfs­vol­len Ge­sichts­aus­druck be­ob­ach­te­te und sich da­bei fast schon amü­sier­te.

»Ma­ri­us, sprich nicht so mit mir. Wie oft soll ich dir das sa­gen?«, zisch­te sie dem Jun­gen lei­se zu, an­schei­nend da­rauf be­dacht, dass nicht alle in der Schlan­ge mit­be­ka­men, wie sie ih­ren Sohn rüg­te. Augen­rol­lend wen­de­te die­ser sich ab. »Voll LOL, Mom! Du bist so pein­lich!«, sag­te er in vol­ler Lauts­tär­ke.

»Du spielst ge­ra­de um dei­ne Plays­ta­tion, mein lie­ber Freund!«, platz­te es be­herrscht aus ihr her­aus.

Die Zeit rann­te ihm da­von, in­des Marc wie an­ge­wur­zelt hin­ter die­sem Schau­spiel stand und sich kei­nen Zen­ti­me­ter vom Fleck be­weg­te. Er muss­te sich ein­ge­ste­hen, dass es ihm trotz des Termin­drucks nicht so viel aus­mach­te, weil sei­ne Ge­dan­ken mo­men­tan ein ver­fluch­tes Eigen­le­ben ent­wi­ckel­ten.

Er stell­te sich vor, wie sie nackt auf ihm saß und ih­re sünd­haf­te Mu­schi – er nahm an, dass sie bei die­sem Er­schei­nungs­bild ei­ne mehr als nur ap­pe­tit­li­che Spal­te hat­te – immer wie­der über sei­ne Er­ek­tion rieb. Ih­re lan­gen Haa­re fie­len nach vor­ne, um­schmei­chel­ten ih­re hüb­sche Fi­gur, wäh­rend ih­re schma­len Fin­ger sanft über sei­ne Brust strei­chel­ten. Ihr Stöh­nen glich ei­nem lei­sen Hau­chen. Doch das ge­nerv­te Auf­stöh­nen vor ihm, brach­te ihn in die Rea­li­tät zurück. »Tall, gran­de oder ven­ti?«, frag­te er mit viel zu ho­her Stimm­la­ge und stemm­te sei­ne Hand in die Sei­te, wäh­rend er mit hoch­ge­zo­ge­ner Augen­braue auf sie blick­te.

Mein Gott, hat­te der Ba­ris­ta Schraub­zwin­gen um sei­ne Ei­er, oder wa­rum piep­te er so ab­ar­tig? Shit! Ging ihm das hier auf die Ner­ven! »Ge­ben Sie die­ser Frau so­fort ih­ren«, nach Wor­ten su­chend, ge­sti­ku­lier­te Marc mit ei­ner Hand in der Luft he­rum, »Re­tro-Kaffee«, for­der­te er sto­ckend auf, wäh­rend er sich an den bei­den vor­bei­schob, die ihn er­staunt mus­ter­ten. Er knall­te ei­nen Fünf­zi­ge­uro­schein auf die The­ke und tipp­te, un­ter­malt von ei­nem ge­nerv­ten Kopf­schüt­teln, die Fin­ger­spit­zen un­ge­dul­dig auf die Holz­the­ke. »Groß und ei­nen Lat­te mac­chia­to«, warf er et­was zu laut hin­ter­her und warn­te ihn mit ei­ner eben­falls pro­vo­kant hoch­ge­zo­ge­nen Augen­braue – ja, er konn­te das auch -, kei­ne wei­te­ren dum­men Fra­gen zu stel­len. »Und wenn das Gan­ze heu­te noch ge­schieht, wä­re das ein glanz­vol­ler Dienst an die Mensch­heit.«

Wäh­rend er war­te­te, sah er sich das klei­ne Übel, was ne­ben der Schön­heit stand und schänd­li­cher­wei­se eben­die­se Mutter nann­te, et­was ge­nau­er an. Mit of­fe­nem Mund und gro­ßen Augen starr­te er Marc an und ramm­te den Ell­bogen er­neut mehr­mals in die Sei­te sei­ner Mutter. »Was ist mit dir? Kannst du dich nicht an­stän­dig ar­ti­ku­lie­ren?«

Ge­dank­lich rüg­te er sich, denn wenn Marc ehr­lich war, sag­te er selbst be­stimmt zehn­mal am Tag Al­ter, fuck oder ähn­li­che ka­ta­stro­pha­le Wor­te, wo­bei er er­wach­sen war und ein Un­ter­neh­men lei­te­te. Der ein­zi­ge Un­ter­schied war, dass Marc es nicht in der Öf­fent­lich­keit tat. Außer­dem muss­te der Furz­kno­ten das nicht er­fah­ren. »Und was ist das mit die­sem deutsch-eng­lisch Kau­der­welsch? Ist das ei­ne Art Sprach­stö­rung?«

Ma­ri­us schluck­te schwer, das konn­te Marc an sei­nem Kehl­kopf se­hen. »Mom, du kannst doch nicht zu­las­sen, dass der so mit dei­nem Sohn spricht?«, sag­te er in ei­ner merk­wür­di­gen Mi­schung aus klein­lau­tem Auf­be­geh­ren. Als Marc den Blick hob, konn­te er er­ken­nen, wie sich klei­ne Lach­fält­chen um ih­re Augen bil­de­ten. Sie war schein­bar amü­siert und er­staunt, wie man dem skep­ti­schen Zu­cken ih­rer Augen­braue ent­neh­men konn­te. »Doch, Ma­ri­us, ge­nau das kann ich«, ant­wort­ete sie und er­wi­der­te Marcs Blick.

Fuck. Augen­bli­cklich dach­te er aber­mals, dass sie se­xy und da­bei fast schon nied­lich aus­sah. Sie wirk­te ir­gend­wie zer­brech­lich, wo­bei sie nicht dürr war und ein paar ge­schmei­di­ge Run­dun­gen vor­zu­wei­sen hat­te.

»Wie ist denn Ihr Na­me?«, frag­te der Typ hin­ter der The­ke ge­lang­weilt und Marc hät­te ihn am liebs­ten auf der Stel­le ver­gif­tet. So ein un­ge­ho­bel­ter Klotz stör­te ihn beim Gaf­fen und of­fen­sicht­lich hat­te er nicht nur ihn ge­stört, son­dern auch sie, denn ih­re Wan­gen er­rö­te­ten. »Das ist Rot­schopf und ich bin Super­man«, ent­geg­ne­te er prompt, oh­ne den Blick von ihr ab­zu­wen­den. Als ein lau­tes La­chen aus ihr her­aus­platz­te, konn­te er sich ein Grin­sen eben­falls nicht ver­knei­fen. Hot!

Das Klin­geln sei­nes Tele­fons riss ihn ins Hier und Jetzt zurück, wo­rauf­hin er es aus der Ta­sche nahm. Das war Si­na. Shit, der Termin. »Eden«, mel­de­te er sich, in wei­ser Vor­aus­sicht, dass sei­ne Se­kre­tä­rin ihn gleich fra­gen wür­de, wo er denn blieb. Da­bei hat­te er ihr be­reits vor ei­ner Stun­de ge­schrie­ben, als sein Aus­wärts­mee­ting be­en­det war, dass er sich auf den Weg ma­chen wür­de.

»Es ist drei Uhr, Ihr Termin ist da, von Ih­nen ist aber weit und breit kei­ne Spur.«

Schnell reich­te er Miss Be­au­ty ih­ren schwar­zen Kaffee, die ihn dan­kend ent­ge­gen­nahm. Oh­ne dass sie es mer­ken konn­te, präg­te er sich ih­re Er­schei­nung ein, denn sie wür­de er wohl nicht flach­le­gen. Wenn sie schon ei­nen Balg hat­te, stan­den die Chan­cen nicht schlecht, dass sie ver­hei­ra­tet war.

»Ciao, Rot­schopf«, sag­te er lei­se und zwin­ker­te ihr zum Ab­schied zu.

»Tschüss und dan­ke.« Sie hob ih­ren Kaffee und lä­chel­te ihn an. Ih­re Augen strahl­ten, sie ver­ström­te pu­re Lebens­freu­de. Was für ein po­si­ti­ver Mensch, wenn sie auch de­fi­ni­tiv ei­ne an­de­re Sei­te hat­te, wie sie zu­vor be­wie­sen hat­te. Doch die­ses Lä­cheln ließ gan­ze Eis­klöt­ze – so wie Marc eben­so ei­ner war – da­hin­schmel­zen.

»Marc?«, blaff­te Si­na durch den Hörer.

»Bin in fünf­zehn Mi­nu­ten da«, sag­te er und be­en­de­te die Un­ter­hal­tung, wäh­rend er den Laden ver­ließ und auf die Fuß­gän­ge­ram­pel zu­steu­er­te. Auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te stand sein Auto, mit dem er gleich zu sei­ner Fir­ma ED – Eden Dy­na­mics fah­ren wür­de. Marc hass­te nichts mehr als Un­pünkt­lich­keit und ge­ra­de er kam zu spät zu ei­nem wich­ti­gen Pro­jekt-Kick-Off-Ge­spräch. Immer­hin ent­schied sich, ob sei­ne Fir­ma den Auf­trag des Köl­ner Uni­kli­ni­kums er­hielt, in des­sen kom­plet­tem Haus im Zu­ge ei­ner Qua­li­täts­ma­nage­ments-Auf­fri­schung alle PCs so­wie Soft­wa­res op­ti­miert wer­den soll­ten.

Im Grun­de hat­te Marc mit sei­ner Mu­sic-App so­wie­so den Jack­pot ge­knackt, denn die be­scher­te ihm Ein­nah­men in Mil­lio­nen­hö­he. Aber ein ver­ant­wor­tungs­be­wuss­ter Ge­schäfts­mann wuss­te, dass der Hy­pe um sol­che Platt­for­men ra­sant ab­flach­te, so­bald ein an­de­rer et­was Neu­es und Ge­nia­les auf den Markt brach­te. Des­halb war es ihm ein Be­dürf­nis, für sei­ne An­ge­stell­ten ei­ne gu­te Basis zu schaf­fen, die ih­re Ge­häl­ter auch im Ernst­fall ab­deck­ten. Da­von war ak­tu­ell noch lan­ge kei­ne Re­de und selbst wenn der Not­fall ein­trat, hat­te er ge­nug auf sei­nen Kon­ten, um ED ei­ne ge­wis­se Zeit auf­recht zu hal­ten.

Okay, wenn er ehr­lich war, ging es hier im Grun­de nur da­rum, dass er den Hals nicht voll be­kam. Kurz lach­te er auf und schüt­tel­te den Kopf über sei­ne wir­ren Ge­dan­ken, die wie immer in ei­ner stren­gen selbst­ref­lek­tie­ren­den Ein­sicht en­de­ten.

End­lich an­ge­kom­men, stieg er aus dem Auto und be­gab sich un­ver­züg­lich auf den Weg in die Büro­räu­me.

»Man, Chef!« Mit ei­nem vor­wurfs­vol­len Blick kam Si­na ihm ent­ge­gen, als er den Auf­zug ver­ließ, nahm ihm den Be­cher aus der Hand, sei­ne Ta­sche ab und lief ge­ra­de­wegs vor­aus in sein Büro. »Was ist los mit Ih­nen? Un­pünkt­lich­keit ist für Sie ein Kün­di­gungs­grund, wenn ich Sie er­in­nern darf?« Si­na hat­te Recht, den­noch war es jetzt nun ein­fach mal so und er konn­te es nicht än­dern.

»In wel­chem Raum sind sie?«

»Im Jazz­raum«, ant­wort­ete sie, drück­te ihm ei­nen Sta­pel Un­ter­lagen in die Hand, die er ge­stern schon vor­be­rei­tet hat­te, und mach­te sich auf den Weg. Als er den Raum be­trat, fiel ihm zu aller­erst sein Ge­schäfts­part­ner – es sträub­te ihn in­ner­lich, die­sen Flach­wich­ser so zu nen­nen – auf, der dort saß, vor sich auf den Tisch starr­te und die mög­li­chen Neu­kun­den ig­no­rier­te. Er muss­te da­mals nicht zu­rech­nungs­fä­hig ge­we­sen sein, als er sein Un­ter­neh­men zur Hälf­te an Ale­xan­der Kra­mer über­schrieb.

Es war in der Zeit sei­nes Start-ups, als die Fir­ma Start­schwie­rig­kei­ten hat­te, ihm alles über den Kopf zu wach­sen droh­te und die in­ne­ren Dä­mo­nen Marc auf­fres­sen woll­ten. Da­mals war es ei­ne gu­te Lö­sung ge­we­sen, dass sich sein ehe­ma­li­ger Kom­mi­li­to­ne an­bot, sein Part­ner zu wer­den und sich in die Fir­ma ein­kauf­te. Das war der Start­schuss für Marc Edens Kar­rie­re. Er be­hielt sich den Na­men des Un­ter­neh­mens vor und das Stimm­recht im Streit­fall. Schon schnell nach dem Zu­sam­men­schluss frag­te er sich, was für ein Teu­fel ihn da ge­rit­ten hat­te, ihn mit ins Boot zu neh­men.

Die Zeit wür­de kom­men, da ver­pass­te er dem Nichts­nutz ei­nen hef­ti­gen Arsch­tritt. Die Fir­ma be­fand sich dort, wo sie jetzt stand, und zwar an der Spit­ze der in­ter­na­tio­na­len IT-Un­ter­neh­men, weil Marc sie dort­hin brach­te. Marc Eden und nicht Hohl­bir­ne Ale­xan­der Kra­mer. Er hat­te nichts da­zu beige­tra­gen. Er de­le­gier­te ver­meint­lich die Ar­beit im Haus, zu­min­dest dach­te er das, wenn er mal wie­der stun­den­lang durch die Büros der An­ge­stell­ten fla­nier­te, sich über­he­blich auf die Tisch­kan­ten setz­te und die Leu­te bei der Ar­beit be­ob­ach­te­te. Letz­tend­lich lief eh alles über Marcs Tisch. Sei­ne Pro­jekt­ma­na­ger mel­de­ten sich aus­schließ­lich bei ihm oder eben Si­na, wenn es et­was außer­halb der re­gu­lä­ren Mee­tings zu be­spre­chen gab. Marc war stolz auf sein mittel­stän­di­sches Un­ter­neh­men und wür­de kei­nes­wegs zu­las­sen, dass die­ser Mie­se­pe­ter ihm das Ge­schäft rui­nier­te. Soll­te er halt schweig­sam sein, je­doch nicht am Tisch po­ten­ziel­ler Kun­den. Idi­ot!

»Herz­lich will­kom­men bei Eden Dy­na­mics.« Be­stimmt trat er auf die bei­den zu und reich­te ih­nen die Hand. »Marc Eden«, stell­te er sich vor und setz­te sich an den Kopf des Ti­sches. »Ent­schul­di­gen Sie mei­ne Ver­spä­tung, der Ver­kehr steckt manch­mal vol­ler Über­ra­schun­gen.« Ni­ckend stimm­ten sie zu, in­des Marc ei­ne Er­leich­te­rung durch­flu­te­te, als es merk­te, dass noch nichts ver­lo­ren war. Das Eis war ge­bro­chen.

Nach fünf Stun­den, ei­ner kur­zen Un­ter­bre­chung, um ei­nen vom Ca­te­rer be­reit­ge­stell­ten Snack zu sich zu neh­men, ver­ließ Marc mehr oder we­ni­ger zu­frie­den den Kon­fe­renz­raum.

»Wir ha­ben den Auf­trag«, mur­mel­te er Si­na zu, als er auf dem Weg in sein Büro ih­ren Schreib­tisch streif­te, setz­te aber gleich hin­ter­her: »Kannst du Ale­xan­der ru­fen?« Auch wenn jetzt alles gut lief, so konn­te es nicht weiter­ge­hen. Sein Ge­schäfts­part­ner ar­beit­ete nicht für das Un­ter­neh­men.

»Was hat er denn schon wie­der an­ge­stellt?«, mur­mel­te sie die rhe­to­ri­sche Fra­ge vor sich hin und griff zum Hörer. »Hier ist Si­na, Herr Eden möch­te Sie ger­ne spre­chen!«

Marc ver­kniff sich ein La­chen, als er sah, wie Si­na die Augen roll­te. Sei­ne Se­kre­tä­rin wuss­te ge­nau, wer wel­che Leis­tun­gen für die­ses Un­ter­neh­men voll­brach­te. Und wenn ihr Ale­xan­der dumm kam, er­trug sie es still­schwei­gend. Das war kein Zeichen von Schwäche, nein. Sie re­spek­tier­te ihn ein­fach nur nicht und nahm ihn nicht ernst. Je­dem an­de­ren wür­de Marc et­was er­zäh­len, wenn ei­ner der An­ge­stell­ten ge­gen­über der Ge­schäfts­füh­rung re­spekt­los wer­den wür­de. Denn egal wel­chen Krieg sie aus­foch­ten, Marc wür­de das nie­mals nach außen zei­gen. Was sie sich letz­tend­lich dach­ten, lag nicht in sei­nem Er­mes­sen. Si­na hat­te sich die­sen Frei­fahrts­schein aller­dings hart er­ar­bei­tet. Sie war mehr an Marcs Sei­te, als es Ale­xan­der je­mals war. Si­na mach­te Über­stun­den, so­bald er mit dem Fin­ger schnipp­te, war Be­ra­te­rin in allen Lebens­lagen und dien­te oft­mals als ei­ne Art Schutz­panzer, sor­tier­te An­fra­gen jeg­li­cher Art nach Wich­tig­keit aus und reich­te nur an Marc weiter, was Prio­ri­tät hat­te. Sie wuss­te über sei­nen Frust detail­liert Be­scheid, nicht sel­ten half sie Marc, et­was aus­zu­bü­geln, was Ale­xan­der ver­bockt hat­te.

»Was willst du?« Ale­xan­der kam kurz da­rauf in sein Büro ge­platzt, setz­te sich vor Marcs Schreib­tisch und sah ihn mit dem Fuß wip­pend an, als hät­te er kei­ne Zeit.

»Wir soll­ten uns über dei­ne Zu­kunft in die­sem Un­ter­neh­men un­ter­hal­ten«, be­gann er, räum­te ein paar Un­ter­lagen zur Sei­te und be­trach­te­te ihn mit ern­ster Mie­ne.

»Ich wüss­te nicht, was es da zu be­spre­chen gibt. Ich bin dein Part­ner und das wird auch so blei­ben.«

»Ale­xan­der, mach dir nichts vor. Du bist für das Un­ter­neh­men ei­ne Last, denn sind wir mal ehr­lich, wel­che Kun­den hast du uns ge­bracht? Was trägst du im Ge­schäfts­all­tag bei? Wann kann ich mich nur ein­mal auf dich ver­las­sen?«

»Hey«, sprang Ale­xan­der auf und stütz­te sich dro­hend auf der Tisch­plat­te ab. »Wer ist eben zu spät ge­kom­men, wer­ter Herr Eden?« Sei­ne Stim­me trief­te vor Sar­kas­mus. »Das warst du, nicht ich. Merkst du noch was?«

»Merkst du noch was?«, wie­der­hol­te Marc zor­nig und bau­te sich eben­falls in ei­ner dro­hen­den Hal­tung vor die­sem Idio­ten auf. »Du fragst mich allen Ern­stes, ob ich noch et­was mer­ke, nach­dem ich uns ei­nen De­al mit ei­ner ge­schätz­ten monat­li­chen Mar­ge im fünf­stel­li­gen Be­reich ein­ge­han­delt ha­be? Du hast da­zu ge­nau was beige­tra­gen? Ver­zeih mir, wenn ich so stut­zig bin, aber ich kann mich da­ran er­in­nern, dass du dort schwei­gend wie ein Mönch ge­ses­sen hast und dann über die Ca­napés her­ge­fal­len bist. Und jetzt sieh mir in die Augen und er­klä­re mir noch ein­mal, was hier falsch läuft!« Ale­xan­der fo­kus­siert, blick­te er ihm un­er­bitt­lich ent­ge­gen. Nein, vor­her muss­te er sich die Zun­ge ab­bei­ßen, sie zer­kau­en und über den Darm aus­schei­den, doch kei­nes­falls wür­de er den Blick vor die­sem Voll­honk sen­ken.

Es dau­er­te ei­ne gan­ze Wei­le, bis Ale­xan­der sich dem Du­ell der Ti­ta­nen ent­zog und lei­se flüs­ter­te: »Du wirst mich nie­mals los­wer­den. Denn oh­ne mei­ne fi­nanz­iel­le Sprit­ze wä­re die Fir­ma nicht da, wo sie jetzt ist, ver­giss das nicht.«

Das hör­te sich wie ei­ne Dro­hung an und Marc wuss­te ge­nau, dass es auch ei­ne war. Ale­xan­der war ein Meis­ter im Ma­ni­pu­lie­ren und Quä­len an­de­rer Men­schen. Er wür­de so schnell nicht hin­wer­fen, aber Marc wür­de auf kei­nen Fall auf­ge­ben, das stand fest. Den­noch wuss­te er, dass er in die­ser Si­tua­tion nichts mehr er­rei­chen konn­te, wes­halb er schwieg. Ein letz­tes sieges­si­che­res Seuf­zen, als wür­de er den­ken, dass er tat­säch­lich Recht hat­te und Ale­xan­der ver­ließ sein Büro. Arsch­loch! Ja, es stimm­te so­gar. Oh­ne sei­ne an­fäng­li­che Un­ter­stüt­zung hät­te Marc sei­ne Träu­me nie ver­wirk­li­chen kön­nen, aber dass die Fir­ma nun er­folg­reich war, war auf sei­ne Fä­hig­kei­ten zurück­zu­füh­ren – Marcs Un­ter­neh­mens­füh­rung und Know-how. Wenn es ihm nur um das Geld ge­hen wür­de, könn­te er ihm mehr als ge­nug in den Ra­chen schüt­ten. Doch mehr als ein­mal hat­te er be­reits be­kräf­tigt, dass er sich nicht aus der Fir­ma ki­cken ließ.

Ein Klop­fen er­tön­te und kurz da­rauf be­trat Si­na sein Büro. »Alles okay hier?«, woll­te sie von ihm wis­sen.

»Das Üb­li­che!«, gab Marc knapp zurück. Er muss­te die­sen Ab­schaum los­wer­den und das am be­sten so­fort!

Vermögensplanung

»Al­ter, da sind wir bei Star­bucks, Mom wie­der voll pein­lich mit ih­rem Fil­ter­kaffee, und auf ein­mal steht da Marc Eden ne­ben mir und la­bert mich an. Marc Eden! Kannst du das glau­ben?« Wäh­rend er sei­ner Zwil­lings­schwes­ter von dem Hö­he­punkt des Tages be­rich­te­te, leuch­te­ten Ma­ri­us’ Augen, als hät­te er den All­mäch­ti­gen höch­stper­sön­lich ge­se­hen. Da­bei war er vor­hin sehr klein­laut und fand es gar nicht mal so toll, wie er von ihm an­ge­spro­chen wur­de.

»Nenn Ama­lia nicht Al­ter, Ma­ri­us!«, fuhr An­ni da­zwi­schen. »Was ist heu­te nur los mit dir?« Kopf­schüt­telnd stand sie in der Kü­che und wuss­te nicht, was sie am meis­ten auf­reg­te. War es ihr Sohn, der schein­bar von allen gu­ten Geis­tern ver­las­sen war, oder der Löf­fel, der in ei­nem an­ge­trock­ne­ten Jog­hurt­be­cher kleb­te, an dem wie­der­um ein be­nutz­tes Taschen­tuch hing. Gro­ßer Gott, das hier war ein ver­damm­ter Schwei­ne­stall, an­ders konn­te sie sich das kaum er­klä­ren. Ih­re Tochter stand an den Kühl­schrank ge­lehnt und be­ob­ach­te­te un­be­ein­druckt das Schau­spiel, wäh­rend sie ei­ne Ba­na­ne aß.

»Außer­dem hat er dich nicht bloß an­ge­spro­chen, er hat dich ge­rügt und da­rauf hin­ge­wie­sen, dass du dich an­stän­dig ar­ti­ku­lie­ren sollst!« In­ner­lich ju­bel­te sie, als sie an die­sen Mo­ment zurück­dach­te. Der Typ hat­te solch ein Selbst­ver­trauen, dass selbst sie kurz in­ne­hielt, um ihn an­zu­schau­en.

Zu­erst fie­len ihr sei­ne Tä­to­wie­run­gen auf. Lan­ge ver­schnör­kel­te Aus­läu­fer sah man un­ter dem Ja­ckett her­vor­lu­gen. Am Hals konn­te man das Por­trät ei­nes Man­nes er­ah­nen, wäh­rend sei­ne Haa­re zu ei­nem un­or­dent­li­chen Kno­ten am Hin­ter­kopf zu­sam­men­ge­bun­den waren. Er war groß, stolz und hat­te sie schon selbst­be­wusst er­wähnt? Den knall­har­ten Ge­schäfts­mann, der er war, nahm man ihm oh­ne mit der Wim­per zu zu­cken zu ein­hun­dert Pro­zent ab. Dass er das war, wuss­te An­ni wie­der­um, weil man Marc Eden, den Ent­wi­ckler der die an­ge­sag­tes­te Mu­sic-App ge­schaf­fen hat­te, in Köln ein­fach kann­te. Für die ei­nen war er der be­gehr­te Jung­ge­sel­le, für die an­de­ren ein Mann, den man aus den Tratsch­spal­ten di­ver­ser Zei­tun­gen, in de­nen er immer mal wie­der mit ir­gend­wel­chen Schön­hei­ten ab­ge­lich­tet wur­de, kann­te. Für ih­ren Sohn war er wei­taus mehr. Er sam­mel­te so­gar Ma­ga­zi­ne, in de­nen The God­fat­her of IT-Mist ein In­ter­view nach dem an­de­ren gab, sta­pel­te sie fein säu­ber­lich in sei­nem Regal, wenng­leich der Rest des Zim­mers ei­nem Trüm­mer­feld glich.

»Aber er hat mich an­ge­spro­chen, das ist der sprin­gen­de Punkt!«, triump­hier­te Ma­ri­us, hiev­te sich zeit­gleich mit den Hand­bal­len auf die Ar­beits­flä­che der Kü­chen­zei­le und nahm ei­nen Schluck aus der Spru­del­fla­sche. Nun gut, wenn er das so se­hen woll­te, bit­te.

»Gott, Ma­ri­us. Komm mal wie­der klar«, ent­geg­ne­te Ama­lia be­lus­tigt. »Hof­fent­lich träumst du heu­te Nacht nicht von dei­nem Zu­cker­berg 2.0.«

»Halts Maul, Sis! Du hast doch kei­ne Ah­nung. Geh mit dei­nen Bar­bies spie­len.«

»Hey, Leu­te! Jetzt ist Schluss hier. Habt ihr für die Deutsch­ar­beit ge­lernt?« An­ni war­te­te nicht auf Ant­wort, denn die­sem Ge­zan­ke durf­te man er­fah­rungs­ge­mäß kei­nen Raum zum Rei­fen ge­ben, sonst schau­kel­te sich das pu­ber­tä­re Rum­ge­strei­te im Nu zu ei­nem mons­trö­sen Klein­krieg hoch. »Geht ler­nen, da­mit ver­bringt ihr eu­re Zeit we­nigs­tens sinn­voll!«

Auch wenn die zwei sie ak­tu­ell an den Ran­de ei­nes Ner­ven­zu­sam­men­bruchs trie­ben, eins funk­tio­nier­te immer. Ih­re Kin­der waren wiss­be­gie­rig und ehr­gei­zig, was sie oft­mals frei­wil­lig hin­ter ih­re Schreib­ti­sche be­weg­te und zum Ler­nen an­imier­te. Das er­spar­te An­ni ei­ne Men­ge un­schö­ner Mo­ti­va­tions­ar­beit, wenn sie da­ran dach­te, wie häu­fig sich die an­de­ren Müt­ter da­rüber be­schwer­ten.

Ama­lia ging zum Kü­chen­tisch, um dort ih­re Ba­na­nen­scha­le ab­zu­le­gen, und ver­ließ den Raum. Kopf­schüt­telnd stand An­ni da und be­trach­te­te den Tisch mit gro­ßen Augen. Ja, war es denn zu fas­sen? Der Müll­ei­mer be­fand sich ge­nau an je­ner Stel­le, wo sie zu­vor ge­stan­den hat­te und dann wun­der­te sie sich, wa­rum sie in letz­ter Zeit so aus­ge­laugt war? »Ama­lia, räum dei­nen Müll weg. Manch­mal fra­ge ich mich, wie ihr bei­de es aufs Gym­na­si­um ge­schafft habt. Das ist doch un­glau­blich!«, rief sie in den Flur und war­te­te, bis ih­re Tochter zurück­ge­kehrt war, die Auf­ga­be er­le­digt hat­te und wort­los die Trep­pen her­auf­lief.

Als An­ni letz­tend­lich zwei Türen zu­knal­len hör­te, wuss­te sie, dass sie jetzt min­des­tens ein paar Stun­den Ru­he ha­ben wür­de. Er­mü­det stütz­te sie sich an der Tisch­kan­te ab und at­me­te tief durch.

An­ni war nor­mal­er­wei­se ei­ne Po­wer­frau. Sie re­gel­te Haus­halt, Kin­der, war über­aus en­ga­giert in der Dorf­ge­mein­schaft und ging re­gel­mä­ßig zur Kir­che. Zu­dem ar­beit­ete sie im Back­of­fi­ce, in­klu­si­ve der Buch­hal­tung, in der Fir­ma ih­res Man­nes, der Ver­mö­gens­be­ra­ter war. An­ni war mit ihm liiert, seit sie sich beim Schwimm­un­ter­richt in der Schu­le un­ster­blich in­ei­nan­der ver­liebt hat­ten.

Heu­te noch hat­te sie das Bild vor Augen, wie er mit sei­nen Klas­sen­ka­me­ra­den am Be­cken­rand stand und sich über ir­gend­et­was amü­sier­te. Sein La­chen be­wirk­te, dass sich klei­ne Grüb­chen auf den Wan­gen bil­de­ten, die sie um­hau­ten. Zwan­zig Jah­re war das her und na­tür­lich hat­te sich die Fas­zi­na­tion um Cons­tan­tins Grüb­chen ge­legt. Sie ver­brach­ten so viel Zeit mit­ein­an­der, wie es für ei­ne Un­ter­neh­mer­fa­mi­lie mög­lich war. Zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen war das nicht un­be­dingt oft. Wenn er mal wie­der auf Ge­schäfts­rei­se war, waren zum Aus­gleich die Dorf­frau­en, die sie mehr­mals wö­chent­lich sah, für sie da. An­ni hat­te alles, was ei­ne Bil­der­buch­fa­mi­lie aus­mach­te. Sie hat­te tol­le Eltern, Schwie­ge­rel­tern, groß­ar­ti­ge Kin­der, wenn sie manch­mal auch ein biss­chen nerv­ten, und ei­nen treu­en Ehe­mann.

»Hi.« Cons­tan­tin trat hin­ter sie, gab ihr ei­nen Kuss aufs Haar und setz­te sich an den Kü­chen­tisch.

»Hal­lo«, grüß­te sie ihn mü­de. »Wie war dein Tag?«

»An­stren­gend! Die­ser Meier ist so ein Idi­ot. Er ist ab­so­lut be­ra­tungs­re­sis­tent«, sag­te er und blick­te An­ni nach Zu­stim­mung su­chend an.

»Ein un­sym­pa­thi­scher Kerl«, be­stä­tig­te sie, drück­te ei­nen Espres­so aus dem Kaffee­voll­auto­ma­ten und stell­te ihn auf dem Tisch vor ihm ab.

»Aber was bringt es? Er be­zahlt nun mal an­stän­dig und auch wenn ich weiß, wie du die­se ab­ge­dro­sche­nen Sät­ze ver­ab­scheust: Der Kun­de ist Kö­nig!« Er pus­te­te in die Tas­se, nipp­te vor­sich­tig an dem hei­ßen Ge­tränk, und stell­te sie mit ei­nem schmerz­ver­zerr­ten Blick wie­der ab, wäh­rend er sich die ver­brann­te Lip­pe rieb. Skep­tisch be­äug­te er An­ni kurz da­rauf. »Alles okay? Du siehst mü­de aus!«

»Das bin ich. Viel­leicht ist ei­ne Er­käl­tung im An­marsch, wer weiß?«, er­wi­der­te sie und spür­te in der Tat die­se aus­lau­gen­de Schwe­re, die sie seit ei­ni­gen Ta­gen be­glei­te­te.

»Leg dich hin. Ich mach hier Klar­schiff!« Mit ei­ner aus­laden­den Be­we­gung zeig­te er auf die voll­ge­stell­te Kü­chen­zei­le, was er nicht nä­her er­läu­tern muss­te.

Ent­schul­di­gend hob An­ni die Schul­tern. Es brauch­te kei­ne weite­re Er­klä­rung, schließ­lich wuss­te Cons­tan­tin, wel­ches Pen­sum An­ni tag­täg­lich er­füll­te und was für Schwei­ne in punc­to Sau­ber­keit ih­re Kin­der waren. Er stand schon immer hin­ter ihr und wür­dig­te, was sie tat.

»Bin im Bett!«, sag­te sie, warf ihm ei­nen dank­ba­ren Blick zu und ließ die chao­ti­sche Kü­che mit ih­rem geord­ne­ten Ehe­mann im Ein­klang zurück. Schnell ent­le­dig­te sie sich ih­rer Kla­mot­ten, putz­te sich die Zäh­ne, zog sich ein viel zu gro­ßes Shirt über, wel­ches sie zum Schla­fen ger­ne trug, und floch­te sich ih­re fast hüft­lan­gen Haa­re zu ei­nem Zopf. Als sie end­lich die küh­len Bett­la­ken auf ih­rer Haut spür­te, merk­te sie, wie sich zu­min­dest ih­re Mus­keln ent­spann­ten und sie lang­sam run­ter­fah­ren konn­te. Das Kis­sen un­ter ih­rem Kopf mit den Hän­den zu­recht­ge­rückt, be­trach­te­te sie akri­bisch die Zim­mer­de­cke, wäh­rend sie den Tag Re­vue pas­sie­ren ließ: Sie weck­te die Kin­der, fuhr ins Büro, koch­te für Ama­lia ve­ge­ta­risch, für Ma­ri­us fleisch­hal­tig und räum­te das Haus auf, wie je­den Tag. Da­rauf­hin fuhr sie mit ih­rem Sohn in die Stadt, denn er brauch­te drin­gend ein Zu­be­hör­teil für sei­nen Lap­top, oh­ne das sein Le­ben schein­bar spä­tes­tens am Abend sinn­los ge­we­sen wä­re. Dass ein Weg bis in Kölns In­nens­tadt im Feie­ra­bend­ver­kehr ei­ne Stun­de dau­er­te, ver­such­te sie, zu ver­drän­gen. Denn die­sen Weg muss­ten sie immer­hin zwei­mal fah­ren, um nach Hau­se zu kom­men. Und dann woll­te sie sich ein­fach nur ei­nen Kaffee ge­neh­mi­gen, da tick­te ihr Sohn wort­wört­lich aus, weil sie auf die­sen IT-Gu­ru tra­fen. Wie er sie ge­nannt hat­te: »Rot­schopf und Super­man«, mur­mel­te sie lei­se vor sich, be­vor über ih­re Lip­pen ein Lä­cheln husch­te. Er war wirk­lich süß. Nein, das pass­te nicht. Er war eher se­xy, ja. Sei­ne gan­ze Hal­tung strotz­te vor Selbst­be­wusst­sein und die­ses ge­wis­se Fünk­chen Ar­ro­ganz stand ihm außer­or­dent­lich gut. Ei­ne Gän­se­haut über­zog ih­re Ar­me. Er war auf ei­ne Art un­nah­bar und den­noch war er, den sie nor­mal­er­wei­se nur von ge­druck­ten Zei­tungs­fotos kann­te, für An­ni heu­te wahr­haf­tig greif­bar. Er hat­te es ge­schafft, sie zum Lä­cheln zu brin­gen, und auto­ma­tisch frag­te sie sich, wann Cons­tan­tin das zum letz­ten Mal fer­tig­ge­bracht hat­te. Ein un­gu­tes Ge­fühl misch­te sich zu dem zar­ten Krib­beln, was durch den Ge­dan­ken an Marc er­weckt wur­de. Ei­nen sol­chen Ver­gleich hat­te sie noch nie ge­zo­gen, fiel ihr in die­sem Mo­ment auf und gleich­zei­tig auch, dass es schon sehr lan­ge her war, dass sie, bis auf ein net­tes und re­spekt­vol­les Lä­cheln, seit Mo­na­ten nicht mehr mit ih­rem Mann herz­haft ge­lacht hat­te. Die Augen­braue zu­sam­men­ge­zo­gen, roll­te sich An­ni zur Sei­te. Was soll­te sie nun mit die­ser Er­kennt­nis an­fan­gen? War es über­haupt von Be­deu­tung? Klar, war es das. Bis­her exis­tier­te in An­nis Le­ben nur ein Mann und das war Cons­tan­tin, den sie lieb­te. Er war für­sor­glich, hilfs­be­reit, kul­ti­viert und stand für sei­ne Fa­mi­lie ein. Aber ein Bauch­krib­beln gab es ewig nicht mehr.

Das war nor­mal, wenn man be­dach­te, dass sie be­reits seit so lan­ger Zeit ein Paar waren. Der All­tag hat­te sie fest im Griff, da blieb kei­ne Zeit für der­ar­ti­ge Lie­be­lei­en, die auch nur an­satz­wei­se et­was in ihr aus­lö­sen könn­ten. Dass das völ­li­ger Quatsch war, war ihr durch­aus be­wusst und trotz­dem ver­such­te sie sich mit dem Er­geb­nis ih­rer geis­ti­gen Ar­beit zu­frie­den­zu­ge­ben.

Un­wei­ger­lich dach­te sie an Marc, wie er sie, mit sei­ner lo­cke­ren Art, be­stim­mend und über­le­gen vor die­sem däm­li­chen Kaffee­hei­ni ge­ret­tet hat­te. Er konn­te es ein­fach, da war nichts ge­schau­spiel­ert, er war, wie er war. Das Krib­beln kehr­te wie­der in ih­ren Bauch zurück. Er war de­fi­ni­tiv ei­ne Mar­ke für sich und gar nicht so ab­ge­ho­ben, wie er in der Pres­se dar­ge­stellt wur­de. Was hät­te ihr Cons­tan­tin in die­ser Si­tua­tion ge­tan? Er hät­te sie wahr­schein­lich auf­ge­for­dert, et­was an­de­res zu be­stel­len, um kein Auf­se­hen zu er­re­gen, und Ma­ri­us hät­te er eben­falls zu­recht­ge­wie­sen, aber ganz si­cher nicht so cool wie Marc Eden, stell­te sie schmun­zelnd fest. Wenn sie nur da­ran dach­te, wie Ma­ri­us sich in der Schu­le mit dem Tref­fen brüs­ten wür­de, muss­te sie sich ein Auf­la­chen ver­knei­fen. Un­ter den Nerds konn­te er da­mit Ein­druck schin­den, das war Fakt. Nun gut, sie gönn­te ihm sei­nen glanz­vol­len Mo­ment.

An­ni wälz­te sich von ei­ner Sei­te zur an­de­ren, fand kei­ne Ru­he. Ih­re Ge­dan­ken dreh­ten sich im Kreis, lie­ßen sie auf­ge­bracht zurück. Und immer, wenn sie knapp da­vor war, in ei­nen ent­spann­ten Schlaf ab­zu­drif­ten, tauch­ten Marcs Augen vor ih­ren auf und mach­ten sie von der ei­nen auf die an­de­re Se­kun­de wie­der hell­wach. Ge­dank­lich durf­te sie sich die­se ent­glei­sen­den Aus­rut­scher ru­hig er­lau­ben, so­lan­ge Cons­tan­tin das nicht mit­be­kam.

Ein kur­zes Klop­fen er­tön­te an der Zim­mer­tür: »Mom!«, flüs­ter­te Ma­ri­us lei­se, als er nä­her­trat.

»Hm?«, brumm­te An­ni, nicht ge­willt, auch nur ein Wort von sich zu ge­ben. Mü­de, schla­fen, Ge­hirn­gu­lasch … Lasst mich doch alle in Frie­den. In Ge­dan­ken spul­te sie noch mal ei­nen Schritt zurück und er­gänz­te, hei­ßer und schar­fer Ge­hirn­gu­lasch. So weit war es schon mit ihr ge­kom­men, dass sie so ei­nen geis­ti­gen Un­fug fa­bri­zier­te.

»Mom!«, er­klang ei­ne vor­wurfs­vol­le Stim­me.

Ma­ri­us. Ihr Sohn, ach Gott, da war doch was. Wi­der­wil­lig schal­te­te sie das Nacht­licht an. »Was?«, frag­te sie mo­no­ton.

»Meinst du, wir könn­ten mor­gen noch mal zu Star­bucks fah­ren? Wir set­zen uns ein­fach ein biss­chen da­hin und war­ten, viel­leicht kommt Marc Eden ja wie­der. Dann könn­te ich mich rich­tig mit ihm un­ter­hal­ten.«

»Hä?« Er muss­te durch­ge­dreht sein. Und sie gleich mit, denn jetzt war es um ih­re Ar­ti­ku­la­tion ge­sche­hen. Was soll­te man zu solch ei­nem Vor­schlag nur sa­gen? Ihr Sohn woll­te sich in ein Café set­zen, Stun­den dort ver­brin­gen, nur um mög­li­cher­wei­se sein Vor­bild an­zu-tref­fen. »Ma­ri­us, ich sags nur ein ein­zi­ges Mal: Geh so­fort in dein Bett!«

»Al­ter, bleib mal cre­mig. Du gehst ja ab.«

Jetzt setz­te sich An­ni doch auf. »Du glaubst doch nicht ernst­haft, dass ich mei­ne Zeit mit dir ir­gend­wo in Köln ver­ge­ude, nur weil die­ser Eden sich dort ein­mal ei­nen Kaffee ge­holt hat? Fer­nab da­von, dass das to­tal be­scheu­ert ist, weißt du nicht mal, ob er re­gel­mä­ßig da ist oder doch nur spo­ra­disch. Lass mich da­mit ein­fach in Ru­he, okay? Ich möch­te schla­fen.«

»Darf ich denn we­nigs­tens nach der Schu­le da­hin? Ich könn­te mei­ne Haus­auf­ga­ben da ma­chen.«

»Raus!«, for­der­te An­ni schrof­fer, als es ge­plant war und re­gis­trier­te be­ru­higt, dass er die Tür hin­ter sich ge­schlos­sen hat­te. Himmel Herr­gott, wie konn­te man nur in ei­nen der­ar­ti­gen Fan­mo­dus ver­fal­len, das war ja schon fast krank­haft.

Portfolio

»Soll ich dir ei­nen bla­sen?« Nan­cy drück­te sich schein­bar un­auf­fäl­lig, aber doch ir­gend­wie auf­rei­zend, an sein Bein und raun­te ihm ins Ohr, be­vor sie die Ge­trän­ke auf dem run­den Tisch ab­stell­te, an dem Marc und sei­ne Kum­pels sa­ßen.

»Lass mal, ich bin heu­te nicht in Stim­mung«, wie­gel­te er in nor­ma­ler Lauts­tär­ke ab und kas­sier­te vier vor­wurfs­vol­le Bli­cke. Nein, fünf, wenn man Nan­cy mit­zähl­te. »Sor­ry!«, mur­mel­te er und nahm ei­nen kräf­ti­gen Schluck von dem Whis­key, den er so­eben ser­viert be­kom­men hat­te. Sei­ne Jungs wuss­ten, dass sie fick­ten, da muss­te sie nicht so ein Af­fent­hea­ter ab­hal­ten und sich fast das Ge­nick aus­ren­ken, nur um ihm ins Ohr zu flüs­tern, und außer­dem soll­te er das Gan­ze eh be­en­den, da sie ei­ne für ihn wich­ti­ge Gren­ze über­schrit­ten hat­te.

»Was war das denn? Sonst treibt ihr es doch immer wie die Ramm­ler, egal wann und wo«, brach­te Finn es oh­ne gro­ße Um­schwei­fe auf den Punkt und er­hielt sog­leich ni­cken­de Be­stä­ti­gung von Vin­ce, Tom und Björn, die eben­falls mit am Tisch sa­ßen.

Marc und Nan­cy trie­ben es tat­säch­lich oft und ja, er muss­te zu­ge­ben, es kam schon mal vor, dass sie es im Per­so­nal­raum mach­ten oder eben in der Kü­che, die so­wie­so nie be­nutzt wur­de. Das Hells Bells, die Stamm­knei­pe der Jungs, bot ih­nen so ei­ni­ge Ecken, in de­nen man un­ge­stört schnell ab­sprit­zen konn­te. Mehr als das war es nicht. Nan­cy hat­te ei­nen Or­gas­mus, Marcs Ei­er waren leer, das Ver­gnü­gen war beid­sei­tig er­folgt, al­so ging je­der wie­der sei­ner We­ge.

»Dass ich das noch er­le­ben darf«, mur­mel­te Björn.

»Ach, komm. Selbst ein trieb­ge­steu­er­ter Marc braucht ir­gend­wann mal ei­ne Ver­schnauf­pau­se«, warf Vin­ce ver­tei­di­gend ein, was die Meu­te zum Auf­la­chen und ihm ein Lä­cheln auf die Lip­pen brach­te.

»Was ist los?«, frag­te Finn, der ihn von sei­nen Jungs am ehe­sten zu durch­schau­en schien. Nicht nur dort, im Hells Bells am Tisch, son­dern in allen Lebens­lagen war er stets der rich­ti­ge An­sprech­part­ner und stand ihm auf ei­ne ganz be­son­de­re Art und Wei­se zur Sei­te. Er schwieg, wenn es an­ge­bracht war und er brach­te ihn zum Re­den, so­fern es nö­tig war. Wie auch immer, er hat­te ein gu­tes Händ­chen für Marc.

»Ich weiß nicht, wie ich Ale­xan­der aus der Fir­ma ki­cken soll. Er scha­det mir und dem Un­ter­neh­men, was ich fak­tisch na­tür­lich nicht nach­wei­sen kann, da er dies­be­züg­lich wirk­lich mal sei­ne drei Ge­hirn­zel­len an­strengt und die Schnei­se der Ver­wü­stung oh­ne gro­ße Be­wei­se hin­ter­lässt. Heu­te hat er es echt über­trie­ben, das ist nicht mehr trag­bar.«

»Er war schon immer ein Voll­trot­tel«, be­merk­te Tom ne­ben­bei. »Du hät­test es da­mals oh­ne sei­ne Hil­fe ge­schafft!«

»Tja, das weiß ich heu­te, nur bringt mich das mei­nem ak­tu­el­len Ziel kei­nen Schritt nä­her.« Ge­dan­ken­ver­lo­ren nahm er ei­nen wei­te­ren Schluck von der gol­de­nen Flüs­sig­keit, die ihm ein an­ge­neh­mes Bren­nen im Hals be­scher­te.

»Hast du mit dei­nen An­wäl­ten ge­spro­chen?«, woll­te Finn wis­sen, wäh­rend er sei­nen Freund mit ern­ster Mie­ne mus­ter­te.

»Ber­ger ist im Ur­laub und da ich nichts akut Hand­fes­tes vor­zu­wei­sen ha­be, bleibt er auch dort.«

»Du kriegst das hin, Al­ter. Es fin­det sich ei­ne Lö­sung«, warf Tom ein.

»Hof­fen wir es!« Wenn Marc nach außen auch immer der Taf­fe war, kei­ne Schwäche zeig­te und un­nah­bar wirk­te, wie man ihm nach­sag­te, so waren es ge­nau die Men­schen an die­sem Tisch de­nen er un­ein­ge­schränkt ver­trau­te und die sei­ne an­de­re Sei­te kann­ten. Er konn­te nicht zu­gu­cken, wie sein Ba­by, wie er ED lie­be­voll nann­te, den Bach her­un­ter ging und zu ei­ner von vielen Fir­men mu­tier­te. Das wür­de ihn zers­tö­ren.

»Und was ist mit Nan­cy?«, hin­ter­frag­te Björn, der so­mit alle Auf­merk­sam­keit wie­der auf Marc lenk­te.

»Was soll mit ihr sein? Ich mag nicht, wenn sie klam­mert. Neu­lich stand sie abends vor mei­ner Tür, das müsst ihr euch mal vor­stel­len. Fi­cken, ja. Be­zie­hung, nein. Das waren die Rah­men­be­din­gun­gen und so ma­chen wir es seit Mo­na­ten. So gut kann sie gar nicht sein, dass ich ihr Ein­tritt in mein Pri­vat­le­ben ge­wäh­re. Außer­dem hab ich der­zeit an­de­re Sa­chen im Kopf.«

»Gut zu wis­sen«, blaff­te plötz­lich ei­ne grel­le Stim­me hin­ter ihm. Das voll­ge­stell­te Ta­blett wur­de et­was zu schwung­haft auf den Tisch ge­scho­ben, so­dass die Glä­ser leicht über­lie­fen und ei­ne stink­wü­ten­de Be­die­nung da­von­lief.

Na, su­per, Marc! Gra­tu­la­tion.

»Heu­te hab ich lei­der kei­nen Nerv, um mich mit so ei­nem Kin­der­gar­ten zu be­fas­sen.« Er warf ei­nen Fünf­zi­ge­uro­schein auf den Tisch, sah ein­mal in die ver­wun­der­ten Augen sei­ner Kum­pels, ver­ließ die Bar und fuhr auf di­rek­tem Weg nach Hau­se.

Ge­ra­de hat­te er es sich auf der Couch ge­müt­lich ge­macht, die Bei­ne auf dem Tisch ab­ge­stellt und das Bier, wel­ches er sich zu­vor aus dem Kühl­schrank ge­nom­men hat­te, an­ge­setzt, als sein Smart­pho­ne ei­ne What­sApp Nach­richt an­kün­dig­te.

Finn: Soll ich dir viel­leicht ei­nen bla­sen, Ho­ney?

Marc: Mas­sierst du mir da­bei die Ei­er?

Finn: Mal gu­cken … Quatsch, soll ich vor­bei­kom­men?

So war Finn – her­zens­gut und selbst in sol­chen Si­tua­tio­nen brach­te er ihn zum Lä­cheln. Wenn er das auch zu schät­zen wuss­te, stand ihm der Kopf ge­ra­de nicht nach Be­such. Er wür­de sich gleich ins Bett le­gen und ver­su­chen, ei­ne Müt­ze Schlaf ab­zu­be­kom­men.

Marc: Mach dir kei­ne Sor­gen, ich bin nur ge­stresst, das wird mor­gen bes­ser sein.

Finn: Du weißt, wo ich woh­ne. Bis dann, Al­ter.

Ein klein we­nig Wär­me, ver­ur­sacht durch den Rück­halt, den er durch Finn und die Jungs er­fah­ren durf­te, leg­te sich schüt­zend um sein Herz. Dass die Tür sei­nes Seelen­ver­wand­ten für ihn of­fen­stand, war ihm be­wusst, oh­ne dass Finn ihm das sa­gen muss­te. Das galt auch für die an­de­ren, den­noch war es un­er­klär­li­cher­wei­se meis­tens Finn, zu dem es ihn hin­zog, wenn es ihm schlecht ging. Marc wuss­te, dass er ein Spaß­vogel war und als die­sen ge­mocht wur­de. Aber es gab tief in sei­nem in­ne­ren ei­ne Wun­de, die immer wie­der auf­riss und ihn über­for­dert und schmerz­er­füllt zurück­ließ. In die­sen Mo­men­ten war er ein­fach froh, die Jungs zu ha­ben. Schnell schob er den Ge­dan­ken bei­sei­te, denn heu­te hat­te er ge­nug un­ge­lös­te Rät­sel im Kopf, so­dass er sich nicht mit sei­nen Dä­mo­nen aus­ein­an­der­set­zen konn­te.

Ale­xan­der muss­te raus, das hat­te Prio! Viel­leicht hat­te Ber­ger tat­säch­lich ei­nen ent­schei­den­den Hin­weis pa­rat, so­dass das Gan­ze end­lich ins Rol­len kam.

Er nahm den letz­ten Schluck aus der Fla­sche, stell­te die­se in die Kü­che und ging auf di­rek­tem Weg ins Bad. Acht­los warf er sei­ne Kla­mot­ten ne­ben den Wä­sche­korb und dreh­te schon mal das Was­ser der Du­sche an. Zwi­schen­zeit­lich stell­te er sich vor den Spiegel, ent­fern­te den Haar­gum­mi, und putz­te sich die Zäh­ne, wäh­rend das pras­seln­de Ge­räusch des Was­sers wie immer ei­ne be­ru­hi­gen­de Wir­kung auf ihn hat­te.

Frisch ge­duscht, lag Marc nur Mi­nu­ten spä­ter in sei­nem Bett, schal­te­te den Bild­schirm ne­ben ihm ein, ak­ti­vier­te den Ti­mer und stre­am­te über Net­flix ei­ne ame­ri­ka­ni­sche La­wy­er-Se­rie, die er ganz un­ter­halt­sam fand und ihm beim Ein­schla­fen half, weil er sei­ne Ge­dan­ken auf et­was an­de­res als die ak­tu­el­len Pro­ble­me lenk­te.

 

Schnell drück­te Marc sei­nen We­cker aus. Er schlug die De­cke zur Sei­te und schlurf­te in die Kü­che. Wäh­rend ihm schon der Duft des frisch auf­ge­brüh­ten Kaffees in die Na­se stieg, den sein ge­tim­ter Voll­auto­mat ihm je­den Mor­gen zu­ver­läs­sig in ei­ne Tas­se ein­lau­fen ließ, check­te er die E-Mails auf sei­nem Han­dy. Wenn heu­te nichts Gro­ßes an­stand, wür­de er von Zu­hau­se ar­bei­ten. Marc war ein­fach mü­de. Kei­ne Nach­rich­ten, die nicht Si­na für ihn be­ant­wor­ten konn­te, der Ka­len­der gab nur ei­nen wich­ti­gen Termin am Nach­mit­tag vor, den er auch vor Ort wahr­neh­men wür­de, aber bis da­hin blieb er im Ho­meof­fi­ce.

Er schrieb Si­na ei­ne Mail, dass er von zu­hau­se ar­beit­ete und setz­te sich erst mal mit sei­nem Kaffee an den Tisch, um on­li­ne die Tages­zei­tung zu le­sen.

Er fühl­te sich krank, nach­dem er wie­der so un­ru­hig ge­schla­fen hat­te. Marc war kein Typ, der viel litt. Er ge­hör­te eher zu der Ka­te­go­rie ›Augen zu und durch‹, war stets zum Scher­zen auf­ge­legt und lieb­te es, in Ge­sell­schaft zu sein. Doch wenn es ihn er­wisch­te, dann rich­tig!

Nach­dem er so­gar ei­nen zwei­ten Kaffee ge­trun­ken hat­te, und auf dem neu­es­ten Stand des welt­li­chen Ge­sche­hens war, hör­te er, wie sich die Tür öff­ne­te. Ein Schrei, der direkt da­rauf folg­te, ließ ihn zu­sam­men­zu­cken. Er hat­te ganz ver­ges­sen, dass sei­ne Rei­ni­gungs­kraft heu­te bei ihm sau­ber mach­te.

»Gu­ten Mor­gen, Mon­sieur Eden. Sie sind da­heim!«, stell­te sie er­schro­cken fest und sah ihn ir­ri­tiert an, bis sie sich rasch schüt­zend ei­ne Hand vor die Augen hielt und nach Luft schnapp­te. Sie stand dort wie ein klei­nes Kind, das sich selbst die Sicht nahm, weil es et­was nicht se­hen durf­te, dach­te er sich schmun­zelnd.

»Hal­lo, An­ge­li­que«, grüß­te er sie und ging er­ho­be­nen Haup­tes, nur mit sei­ner Bo­xers­horts be­klei­det und sich am Bauch krat­zend, läs­sig an ihr vor­bei. »Sie kön­nen jetzt wie­der gu­cken, die Luft ist rein«, sag­te er amü­siert, wo­rauf­hin sie sich tat­säch­lich in Be­we­gung setz­te, was er an den Ge­räu­schen im Ab­stell­raum hör­te, wo die Putz­sa­chen ge­la­gert wur­den. Himmel, sie war fast sein Al­ter und doch so ver­klemmt, dass sie ihn nicht mal an­bli­cken konn­te? »Bin im Büro«, rief er ihr zu, nach­dem er ei­ne Jog­ging­ho­se und ein Shirt über­ge­zo­gen hat­te. Es dau­er­te nicht lan­ge, bis es an sei­ner Tür klopf­te.

»Par­don, Mon­sieur Eden. Ich will Ent­schul­di­gung sa­gen, ich woll­te nicht gu­cken, aber sie waren da und ich war über­rascht und …«

»Es ist nichts ge­sche­hen, An­ge­li­que. Wo­her hät­ten Sie wis­sen sol­len, dass ich mich halb­nackt in der Kü­che auf­hal­te?« Er zwin­ker­te ihr zu, wäh­rend ihr aber­mals die Rö­te in die Wan­gen schoß. Okay, das war et­was un­an­ge­bracht. »Es ist alles okay«, sag­te er ab­schlie­ßend und lä­chel­te sie be­ru­hi­gend an, be­vor sie zu­frie­den drein­bli­ckend ging.

Sie war ein Gold­stück, aus tief­stem Her­zen loy­al und ehr­lich. Sie sab­ber­te ihm nicht hin­ter­her wie an­de­re Weiber, die ihn aus ir­gend­wel­chen Zei­tun­gen oder dem In­ter­net kann­ten. Sie er­le­dig­te ih­re Ar­beit zu­ver­läs­sig und war höf­lich, sorg­te nicht nur für Ord­nung und Sau­ber­keit, son­dern auch da­für, dass sein Kühl­schrank stets voll war und die Woh­nung ge­müt­lich aus­sah. Sie trau­te sich zu­dem, ab und zu et­was De­ko­ra­tion auf­zu­stel­len, und war immer ziem­lich ner­vös, ob es von ihm ak­zep­tiert wur­de. Lie­ber wür­de er sich die Zun­ge ab­bei­ßen, als ir­gend­et­was zu kri­ti­sie­ren, was sie lie­be­voll ar­ran­gier­te. Selbst wenn es mal nicht Marcs Ge­schmack ent­sprach, ei­nes war es immer: Es kam aus tief­stem Her­zen und das ver­lieh sei­nem Zu­hau­se ei­ne an­ge­neh­me Wär­me. Kurz um, er moch­te sein Mäd­chen für alles und soll­te sich lie­ber nicht all­zu viele Scher­ze mit ihr er­lau­ben, denn er woll­te sie noch ein we­nig be­hal­ten.

Wealth Management