Schutzengel
geben niemals auf
Illustriert von Christel Kruse
Kadera-Verlag
Impressum
Peter Jäger
Schutzengel geben niemals auf
Kontakt zum Autor:
www.peter-jaeger-quickborn.de · pejaeg@freenet.de
Der Autor lebt in einer Kleinstadt bei Hamburg.
Obwohl er seine Märchen in dieser realen Kulisse ansiedelt,
sind die Handlungen und viele Personen frei erfunden.
© 2017
Kadera-Verlag, Norderstedt
www.kadera-verlag.de · verlag@kadera.de
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung und Illustrationen:
Christel Kruse
ISBN: 978-3-944459-88-2
E-Book: 978-3-944459-89-9
Liebe Leser
Meine kleinen Engelfreunde haben mich überrascht, als ich mir eine Erholungspause an der Nordsee gönnte. Sie erzählten wieder Aufregendes und Spannendes, bis mir der Kopf schwirrte!
Und so entstand mein neues, inzwischen sechstes Piccolo-Märchen.
Mit 70 hat Opa Siggi noch Träume. Der Hobby-Gärtner will mit zwei Bienenstöcken zur Vermehrung der bedrohten Blütenbestäuber und Honigproduzenten beitragen. Aber schafft er das?
Bauer Ackermann ist entschlossen, Vorurteile gegen Landwirte auszuräumen. Mit seinem Hof-Fest vermittelt er Familien aus der Stadt, dass man nicht alle Bauern über einen Kamm scheren sollte. Er bekommt tatkräftige Unterstützung von Lisa, Annika und den Jungs, Keule und Heiner.
Und weil das Hof-Fest allen Besuchern gefällt und ein großer Erfolg wird, verrät der Bauer dem Bürgermeister seine neue Idee ...
Ihr wollt bestimmt auch wissen, was in der geheimnisvollen Welt der Schutzengel geschieht. Die Engel sind besorgt – ja, alarmiert über das Chaos auf der Erde. Mit ihrer »Vollversammlung« wollen sie den Menschen die Augen öffnen. Zum ersten Mal seit der himmlischen Geschichtsschreibung versenden die Himmelsboten ein wichtiges Signal an alle Internet-Nutzer:
»Achtet das Leben
und schützt eure Umwelt!«
Ob die Menschen darüber nachdenken werden?
Das hofft, verbunden mit besten Wünschen für viel Lesespaß
Peter Jäger
Geburtstagsfreude
»Hurra, die Sonne ist da!«, jubelt Lisa, als sie einen Blick aus dem Fenster wirft. Endlich ein Sonntag, der diesen Namen verdient. Heute ist sogar ein Festtag. Ihr heißgeliebter Opa Siggi feiert seinen siebzigsten Geburtstag. Sie muss sich beeilen, weil sie spätestens in einer Stunde mit ihrer Mutter im Vereinshaus der Kleingärtner erwartet wird. Weil aber ihr Geschenk noch nicht fertig ist, wird sie ungeduldig.
Es soll eine lustige Putzlappen-Trulla werden. Sie hat den Lappen um einen Holzlöffel gewickelt, damit er die Form einer Puppe bekommt. Fünf Tüten Blumensaat und Gemüsesämereien will sie daran befestigen. Das geht zum Glück ratzfatz mit Papas Bürohefter. Als sie das fertige Kunstwerk anhebt, um es in Geschenkpapier einzuwickeln, fällt die Puppe auseinander. Entsetzt starrt sie auf einen Haufen Müll.
»Verflixt und zugenäht, meine Trulla ist futsch!«, kreischt Lisa wie am Spieß. Sie flucht so laut, dass ihre Mutter in die Küche gerannt kommt.
»Was ist passiert?«, fragt sie besorgt, obwohl ihr die verunglückte Puppe schon alles verrät.
»Was passiert ist? Ich hab kein Geschenk mehr für meinen Siggi«, schluchzt das Mädchen. »Dabei habe ich alles richtig gemacht.«
»Nun gib doch nicht gleich auf«, versucht die Mutter zu trösten. »Du hast doch die Sämereien, die können wir auch ohne die Putzlappen hübsch einpacken, darüber wird Opa sich bestimmt freuen. Aber ...« Die Mutter hält kurz inne, sie scheint eine andere Idee zu haben. »Sag mal, hast du deinem Vater alle Luftballons zum Schmücken des Vereinsheims mitgegeben?«
»Nicht alle, ich hab mir eine Packung für meinen Geburtstag weggelegt.«
»Das ist doch prima! Lass uns einen Luftballon aufblasen und den großen Putzlappen darüber legen, dann haben wir einen schönen runden Kopf.«
Lisa schießt wie eine Rakete vom Stuhl hoch und rennt in ihr Zimmer. Unterwegs hört sie ihre Mutter rufen: »Bring auch Filzstifte mit, wir malen der Puppe ein lustiges Gesicht!«
*
Aus dem Vereinsheim dröhnt fetzige Musik. Typisch mein Vater, denkt Lisa, als sie mit ihrer Mutter das Auto auf dem Parkplatz verlässt. Wenn alle Gäste eingetroffen sind, wird bestimmt andere Musik gespielt – alte Schlager, die Opa Siggi lieber hören mag. Übertrieben vorsichtig trägt sie ihr eingepacktes Geschenk wie eine Geburtstagstorte. Sie will keine Panne mehr erleben.
Opa Siggi sitzt schon am geschmückten Tisch. Als er Lisa hereinkommen sieht, beendet er seine Unterhaltung. Mit leuchtenden Augen erwartet er seine Enkelin. Als sie an seinem Platz angekommen ist, stellt das Mädchen eine ziemlich freche Frage: »Warum bist du schon so alt?«, fragt sie ihn. Dabei schaut sie besorgt in sein Gesicht.
Lisa gefällt es nicht, dass ihr Opa schon Siebzig ist. Im vorigen Jahr hatte sie ihn in seinem Garten gerettet. Er lag auf einem Gemüsebeet und stöhnte. Zum Glück konnte ihr Vater schnell den Rettungsdienst herbeirufen. »Es war nur ein Warnschuss«, hatte Opa Siggi sie beruhigen wollen. Doch seitdem betrachtet sie ihn mit wachsamen Augen.
Opa Siggi grinst verschmitzt, bevor er auf ihre vorlaute Frage mit kraftvoller Stimme antwortet: »Und schlägt der Bauch auch Falten, wir bleiben doch die Alten!« Gleichzeitig erhebt er sich vom Stuhl und streckt seine Hände nach ihrem Päckchen aus.
»Darf ich dir die schwere Last abnehmen? Das ist doch bestimmt für mich.«
»Ja, mein Geschenk. Aber du musst vorsichtig sein, sonst macht es ›Päng!‹ und alle denken, hier wird geschossen«, betont Lisa wichtig.
Oma Rosi, Onkel Hans und seine kugelrunde Frau Ulla beugen sich neugierig vor.
»Du bist hoffentlich nicht enttäuscht, wenn ich das Geschenk erst zu Hause auspacke?«, versucht Opa Siggi die Sache spannend zu machen.
Seine Schwägerin Ulla protestiert empört und versucht dem Mädchen beizustehen: »Nun hör auf, unsere Lisa zu ärgern, du alter Witzbold!«
»Das nenne ich Erpressung, aber gut«, gibt der Opa nach. Mit beiden Händen wiegt er das Päckchen und versucht den Inhalt zu erraten. »Ich hab‘s! Es ist leicht und raschelt ... Ich vermute eine große Tüte Chips, hoffentlich meine Lieblingssorte.«
»Bloß nicht!«, protestiert Oma Rosi, »du hast mir versprochen, dass du abnehmen willst!«
»Von Chips wird man nicht dick, die sind wichtig für mein Wohlbefinden. Wenn ich am Sonntagabend meinen ›Tatort‹ schaue, muss ich etwas zum Knabbern haben«, entgegnet er und stimmt ein triumphierendes Gelächter an.
»Nun pack schon aus, Siggi«, drängelt Tante Ulla, die auch gerne Knabberzeug nascht. »Seht mich an. Ich trage mindestens drei Rettungsringe um meine Hüfte, aber mein Hänschen liebt mich trotzdem!«
Opa Siggi reißt die bunte Verpackung auseinander und stutzt: »Keine Chips, das sind andere Tüten!«, verkündet er und hält die Putzlappenpuppe hoch. »Der lustige Kopf hat eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem. Das ist wirklich sensationell – sogar an Gemüse-Saat hast du gedacht!«
Lisa nickt heftig und genießt die Freude ihres Opas. »Du musst mich aber auch zur Ernte einladen!«
In diesem Moment pocht Lisas Vater mit einem kleinen Löffel gegen sein Weinglas. »Hallo, Siggi – die anderen Gäste wollen auch ihre Geschenke loswerden!«
»... und warum seid ihr so schüchtern?«
Lisas Bruder Tim lässt sich nicht zweimal bitten. Hinter einem Garderobenständer zieht er einen umwickelten Spaten hervor. Ein sehr wichtiges Gerät für Hobby-Gärtner. Wie ein Wachsoldat vor dem Buckingham-Palast legt er das lange Ding über seine
Schulter und schreitet mit kräftigen Schritten durch den Raum. »Glückwunsch, Opi! Wer will gute Ernte haben, muss im Garten tüchtig graben!«
»Wahnsinn! Hast du das Geschütz von deinem Taschengeld gekauft?«
»Das Geschenk ist von der ganzen Familie, alle haben Geld gegeben. Aber ich auch, weil du unserem ›Haus der Jugend‹ zu Halloween so viele Kürbisse geschenkt hast. Wir sind übrigens auch an deinen Erdbeeren interessiert. Und später ...«
»... und später kriegt ihr was hinter die Löffel!«, beendet Opa Siggi die Wunschliste.
Die Bescherung dauert lange. Zum Glück trifft der Party-Service schon vor 18 Uhr ein, um das Buffet aufzubauen. »Ich finde, du solltest uns jetzt endlich zum Schlemmen einladen«, schlägt Lisas Vater vor. Er vermutet, dass auch die anderen Gäste, mindestens fünfzehn an der Zahl, ein Knurren im Magen verspüren.
Lisa überfliegt mit schnellen Blicken das Angebot, dann stellt sie sich einen Schlemmerteller zusammen: Hähnchenschenkel, Curry-Reis und mehrere Löffel frischen Obstsalat.
Oma Rosi beobachtet, wie ihre Enkelin mit einem Löffel Ananasstückchen, Mandarinenscheiben und Weintrauben aus der großen Obstschüssel fischt. »Warum isst du alles durcheinander? Das ist unser Dessert, dazu gibt es Vanillesoße. «
»Ich mag das so – echt indisch«, antwortet Lisa und geht zu ihrem Platz zurück. Bevor sie vom Hähnchenschenkel abbeißen kann, der schön krosch aussieht, bleibt ihr Opa hinter ihrem Stuhl stehen, beugt sich vor und flüstert: »Komm nachher zu mir, wenn keiner mehr bei mir ist. Ich will dir ein Geheimnis verraten ...«
»Mach ich Opi. Ich kann sogar schweigen!«
*
Als die meisten Gäste gespeist haben und anfangen, ihre Plätze zu tauschen, steht auch Oma Rosi auf und geht zu ihrer Tochter. Das ist der Moment, auf den Lisa gewartet hat. Sie platzt vor Neugierde und will endlich das Geheimnis erfahren.
»Die Luft ist rein Opi, du kannst loslegen«, zischelt sie mit unterdrückter Stimme, damit niemand etwas versteht.
»Pass auf Lisa, du musst meine Idee noch eine Weile für dich behalten, ich plane etwas ganz Tolles in meinem Garten.«
Lisa nickt heftig, beginnt auch schon nachzudenken. Er plant etwas in seinem Garten ... vielleicht einen Teich ... oder was könnte es sonst sein?
»Du kommst nicht darauf, obwohl du mich auf die Idee gebracht hast«, verrät der Opa grinsend und beugt sich ganz dicht an ihr Ohr. »Ich werde Imker.«
»Nein! In echt?«
»Ja doch! Ich habe schon mit meinen Freund gesprochen, einem Imker aus Pinneberg. Er will mir einen Bienenstock schenken, heute zum Geburtstag, den zweiten muss ich ihm abkaufen.«
»Ist der Imker hier?«
»Na klar, das ist der kleine Dicke da drüben, der mit den Frauen schäkert. Er wird nachher eine Ansprache für mich halten.«
»Aber Oma weiß schon Bescheid, was ihr beide ausgetüftelt habt, oder?«
Opa Siggi schmunzelt. »Na klar, ich habe ihren Segen bekommen, obwohl sie Bedenken hat, dass wir im Sommer nicht mehr verreisen können. Mal sehen, was sich da deichseln lässt. Ich habe auch die Zustimmung meines Kleingärtnervereins. Die musste ich haben, weil es Nachbarn gibt, die Bienen mit Wespen verwechseln.«
Lisa ist total aus dem Häuschen. »Mensch, Opa, das ist eine starke Nummer! Dann brauchen wir uns keinen Honig mehr zu kaufen, wir haben ja dich.«
»... aber nur, wenn du mir ab und zu hilfst. Zuerst müssen wir den Schuppen aufräumen. Ich brauche Platz für die Ausrüstung.«
»Sag mir Bescheid, wenn du die Bienen holst. Willst du den Honig selber schleudern? Ich frage nur, weil ich gesehen habe, wie das geht. Aber dann brauchst du auch eine Schleuder.«
»Nein, dass muss mein Freund machen. Bin froh, wenn ich im ersten Jahr das Grundwissen über die Imkerei einigermaßen beherrsche.«
Nach diesen Worten drückt Opa Siggi den Zeigefinger gegen seine Lippen: »Pssst! Einige Gäste kriegen schon lange Ohren.«
Bienen und Hummeln
sind munter
Nicht nur im Vereinshaus herrscht ausgelassene Stimmung. In den Gärten, verkündet lebhaftes Vogelgezwitscher den Frühlingsanfang. Etwas weniger auffällig schwärmen Bienen zu den ersten Blüten.
Der kleine Engel Piccolo und sein Freund Donaldus sitzen auf dem Deckel einer Regentonne, um das rege Treiben zu beobachten.
»Alle haben ihren Winterschlaf beendet. Sieh mal, wie viele Bienen hier herumschwirren. Bin gespannt, ob sie sich mit Opa Siggis Bienen vertragen, wenn er eigene Völker hat«, bemerkt Piccolo.
»Der Imker hat so laut geredet, dass jetzt alle Kleingärtner Bescheid wissen. Siggi schafft sich zwei Bienenvölker an. Ganz schön mutig, in seinem Alter.«
Piccolo wundert sich über diese Bemerkung. »Gibt es dafür einen besseren Zeitpunkt? Er hat einen großen Garten und viel Zeit für sein Hobby. Außerdem will Lisa ihren Opa unterstützen, dafür gibt er ihr Honig ab.«
»Wie lange kann sie ihn denn unterstützen, Piccolo? Du hast mir doch erzählt, dass sie schon in die 6. Klasse kommt.«
»Stimmt, nach den Sommerferien, dann wird sie noch mehr büffeln müssen.«
Donaldus zuckt mit den Schultern. »Engel brauchen keine Schule. Für uns ist nur wichtig, dass wir die Bibel kennen und unsere Flugprüfung bestehen. Sonst dürfen wir nicht das Himmelreich verlassen. Mich wundert trotzdem, dass du Lisa so anhimmelst. Eigentlich braucht sie dich nicht. Sie hat nette Eltern. Lass uns lieber zum Hafen fliegen. Ich habe echt Lust, mit den Möwen über die Elbe zu schweben.«
»Schon gut, ich bin dir nicht böse«, antwortet Donaldus. »Aber ich will auch Spaß haben, so wie die Menschen da drinnen. Hör mal, was sie jetzt singen.«
Nach einer kleinen Atempause wiederholen alle den Text, diesmal noch lauter, einige Stimmen überschlagen sich fast. Donaldus findet das Lied merkwürdig und fragt: »Sind Fische nicht immer im Wasser?«
»Aber nur, wenn es dort auch Möwen gibt!«