Drea Summer
Bist du bereit, Buße zu tun?
In der Friedenskirche des seit dem Zweiten Weltkrieg verlassenen Dorfes Döllersheim wird ein Leichnam gefunden. Die Tote ist übel zugerichtet und verbirgt eine Botschaft des Mörders in ihrem Brustkorb.
Abteilungsinspektorin Susanne Kriegler vom LKA Wien Süd begibt sich auf die Jagd nach dem Täter. Doch noch während die Ermittlungen anlaufen, verschwindet das nächste potenzielle Opfer. Alle Spuren verlaufen im Nichts, bis Susanne selbst in den Fokus des Psychopathen gerät, der gnadenlos auf Rache sinnt. Susanne muss eine Entscheidung treffen, die ihr beruflich wie auch privat den Boden unter den Füßen wegzureißen droht.
Dieses Buch enthält Trigger-Warnungen vor der Leseprobe.
Drea Summer, gebürtige Österreicherin, lebte im schönen Südburgenland. Sie begann ihre Schreibkarriere mit der Auswanderung nach Gran Canaria vor mehr als vier Jahren. Die „Insel des ewigen Frühlings“ inspiriert sie, schaurige und blutige Geschichten, die in ihrem Kopf herumspuken, niederzuschreiben.
Drea Summer
Thriller
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© September 2021 Empire-Verlag
Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer
Lektorat: Sascha Rimpl
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur
mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Cover: Chris Gilcher
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Illustrationen: Adobe Stock ID 137622416, Adobe Stock ID 99968199, Adobe Stock ID 50673495, Adobe Stock ID 124573637 und freepik.com
Vor einem Monat
Rache ist eine Handlung, die einen Ausgleich für Unrecht bewirken soll. Aber sie ist auch ein Gefühl, das sich innerlich wie ein Fegefeuer ausbreitet. Manchmal dauert es nur Momente, doch manchmal dauert es auch Jahre, Jahrzehnte, bis die Glut, die auf der Seele brennt, einen Großbrand verursacht. Angefacht von einem kleinen Windhauch.
Genau dies ging mir durch den Kopf, als ich ihn betrachtete. Es waren die Worte des Psychologen, der mich jahrelang betreut hatte. Dabei hatte er doch wirklich keine Ahnung gehabt.
Ein Augenpaar stierte mich an. Ungläubig! Fast schon unschuldig. Ich grinste bei dem Gedanken, dass er mich doch niemals hatte vergessen können.
»Na?«, sagte ich und ließ die Klinge des Messers langsam über seinen nackten Oberkörper streichen. »Du weißt doch sicherlich noch, wer ich bin. Nicht wahr?«
Er zwinkerte einige Male, als ob ihn ein grelles Licht blenden würde. Dabei hatte ich nur die beiden Öllampen angezündet. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Ich kenne Sie nicht. Bitte! Lassen Sie mich gehen. Ich habe Ihnen nichts getan.« Der flehende Tonfall in seiner Stimme ließ mich erschaudern. Es war fast so, als hätte er mir die Worte entgegengeschrien, obwohl er sie nur geflüstert hatte.
Wie konnte er mich nur aus seinem Gedächtnis löschen? Mich?
Hatte er tatsächlich vergessen, was er mir angetan hatte? Vergessen, wie viele Tränen ich seinetwegen vergossen hatte? Vergessen, was für einen Spaß es ihm gemacht hatte?
Ein weiteres Mal trampelte er auf meiner kaputten Seele herum. Zersprungen wie ein Spiegel von den ganzen Tritten. Mein Leben war von Anfang an ein Scherbenhaufen gewesen. Doch heute war ich stark genug, mich zu wehren. Ihn dafür bezahlen zu lassen, was er mir angetan hatte. Allen angetan hatte. Er musste Buße tun.
Im Raum war es stickig und heiß, sodass mein T-Shirt an meiner Haut klebte. Das Holz knisterte im Küchenofen. Es war an der Zeit.
»Tu Buße!«
Vor zwei Wochen
Isabella zog die Haustür hinter sich zu, ließ die Einkaufstüten auf den Flurboden sinken und atmete erleichtert aus.
Was für ein verschissener Tag!
Zuerst der Chef, der sie die ganze Zeit herumgescheucht hatte, dann die Helikoptermutter, die meinte, ihr schreiendes Kind an der Supermarktkasse bespaßen zu müssen. Die Kassiererin brauchte eine halbe Ewigkeit beim Einscannen der Ware, und es dauerte beinahe eine halbe Stunde, bis Isabella endlich das Geschäft wieder verlassen konnte. Dann noch der nervige Nachbar Cedrik, der einen Stock unter ihr wohnte und sie – wie schon so oft – im Treppenhaus abgefangen hatte, um ihr einen Schwank aus seinem tristen Leben zu erzählen, und natürlich um sie in seine versiffte Wohnung zu bekommen. Widerlich! Allein der Gestank nach Schweiß und ungewaschener Kleidung, der ihr entgegenschwappte, wenn er aus seiner Wohnung geschossen kam wie ein Pfeil. Die Härchen auf ihren Unterarmen stellten sich auf, und unmittelbar danach erbebte ihr ganzer Körper wie bei Schüttelfrost.
Menschen sind einfach nur zum Kotzen!
Sie war froh, ab morgen endlich Urlaub zu haben und niemanden sehen zu müssen. Den kompletten Tag auf dem Sofa herumgammeln und in die Glotze starren. Besser könnte es wohl kaum laufen.
Erst jetzt fiel ihr das Papier auf, das jemand unter der Haustür durchgeschoben hatte. »Wieder so ein blöder Werbescheiß!«, fluchte sie, bückte sich und hob es auf. Sie war gerade dabei, es in ihrer Hand zu zerknüllen, da sah sie die rote Schrift:
»HEUTE!«
Verwirrt blickte sie sich um.
Was heute? Was ist heute? Ist das ein neuer Marketing-Gag? Was soll dieser Mist? Oder ist das wieder eine Botschaft von Cedrik, diesem perversen Schwein.
Mit einem genervten Seufzen legte sie das Blatt zu der anderen Post auf den beachtlichen Stapel, der auf der Kommode im Flur lag, nahm ihre Einkaufstüten und ging damit in die Küche.
Es war der Anflug eines Gedankens, der durch ihr Hirn schoss. Nur für einen Moment dachte sie an die aufgebrochene Wohnungstür vor nicht einmal zwei Wochen. Doch im selben Augenblick atmete sie aus. Jetzt war sie sicher, denn sie hatte ein Sicherheitsschloss einbauen lassen, und schließlich war auch nichts gestohlen worden.
Isabella öffnete den obersten Küchenschrank, holte ein Weinglas heraus, in das sie den Rioja aus dem Kühlschrank goss. Zwar genoss sie für gewöhnlich den Wein lieber auf Zimmertemperatur, sie konnte aber nicht mehr warten. Mit einem Schluck trank sie das Glas leer, und ein wohliges Gefühl stellte sich in ihrer Magengegend ein. Ja, das hatte sie sich heute verdient. Jetzt nur noch schnell die Fertigpizza in den Ofen schieben und dann diese genüsslich mit einem weiteren Glas Wein auf dem Sofa vertilgen.
Sie stellte am Backofen die Temperatur ein, und als sie ihren Einkauf verstaut hatte, schob sie das Blech mit der Pizza in die Röhre. Dann aktivierte sie die Zeitschaltuhr und verzog sich auf die Couch im Wohnzimmer. Sie legte ihre Beine auf den Tisch, ließ ihren Kopf nach hinten auf die Lehne sinken und schloss für einen Moment ihre Augen.
Oh ja! Ruhe, einfach nur Ruhe!
Ein Poltern, das aus direkter Nähe zu kommen schien, riss sie aus ihrer Entspannungsphase. Noch während sie ihre Augen öffnete, spürte sie den harten Schlag auf ihren Hinterkopf. Für wenige Sekunden verlor sie die Orientierung. Fluchtgedanken, Panik und die Grundgriffe aus dem Selbstverteidigungskurs zischten wie Projektile durch ihr Hirn. Und doch war sie wie zu Eis erstarrt. Sie schrie, aber der Plastikknebel, der ihr blitzschnell in den Mund gesteckt und fest an ihrem Schädel verzurrt wurde, erstickte ihren Schrei zu einem jämmerlichen Wimmern. Der penetrante Plastikgeruch vermischte sich mit dem Duft nach geschmolzenem Käse. Das Piken der Nadel an ihrem Hals nahm sie kaum wahr, doch die eiskalte Flüssigkeit, die sich nun durch ihre Adern zwängte, ließ sie erschaudern. Wie durch eine Art Nebel auf ihren Augäpfeln erkannte Isabella ihre Umgebung nur noch schleierhaft. Wärme breitete sich in ihrer Leistengegend aus, und von einem Moment auf den anderen fühlte sie sich wohl. Geborgen. In Sicherheit. Fast so, wie es im siebten Himmel sein musste.
Kittys Köpfchen bohrte sich in ihre Seite, gefolgt von einem leisen »Miau«. Isabella bemerkte ein Klicken in ihrer unmittelbaren Umgebung und für Millisekunden ein grelles Licht.
Ein lautes Piepen durchbrach ihre Gedankenwelt. Die Zeitschaltuhr am Backofen war abgelaufen. Wie von Geisterhand verstummte der Signalton. Schritte kamen näher, schlurfend, leise, wie die einer Geisha.
Plötzlich tauchte ein Schatten vor ihr auf, und der Geruch nach Pizza kroch in ihre Nase. Sie spürte die Wärme des Essens an ihrem Kinn. Wie durch Wattebäuschchen nahm sie eine sonore Stimme wahr, die in ihr rechtes Ohr zu flüstern schien: »Magst du nicht essen, liebe Isabella? Du wirst deine Kräfte noch brauchen. Heute wirst du Buße tun.«
Tausend Fragen schossen durch ihren Kopf, doch verschwanden sie alle in dem Nebel, der sich in ihrem Hirn gebildet hatte. Sie fühlte sich schwach, wie bei einer Grippe, die einen tagelang ans Bett fesselte. Eine Schwärze breitete sich in ihr aus und riss sie in die Tiefe.
***
Stunden später erwachte sie aus einem traumlosen Schlaf. Sie presste ihre Lider aufeinander, denn innerhalb von Millisekunden kroch der Schmerz, ausgehend von ihrem Bauch, durch sie hindurch. Das Brennen ließ sie aufschreien, doch der Knebel in ihrem Mund verhinderte jedes laute Geräusch. Der erste Versuch, ihre Augen zu öffnen, scheiterte kläglich. Zu schwer waren ihre Lider, zu träge war ihr Körper. Die Furcht vor dem Unbekannten ließ sie frösteln, und doch nahm sie ihren Mut zusammen und riss ihre Augen auf.
Der Schein einer Lampe, von der Größe her wie die in einem Operationssaal, blendete sie stark, und ihre Augen tränten. Aus der Ferne nahm sie ein lautes Motorengeräusch wahr. Eine Eiseskälte hüllte sie ein. Es kam ihr vor, als läge sie in einer Gefriertruhe.
Ihr Pulsschlag verdoppelte sich, und sie fühlte den Tod, der ihr im Nacken saß. Unter ihren Fingerspitzen spürte sie eine kalte, harte Unterlage.
Wo bin ich? Was passiert hier mit mir?
Panik, gepaart mit unbändiger Angst, durchflutete sie. Sie versuchte, sich zu bewegen, ihre Arme und ihre Beine in die Höhe zu reißen, fortzulaufen, weit weg von diesem schrecklichen Ort. Doch die Fesseln an ihren Hand- und Fußgelenken saßen fest. An ihrem Kopf spürte sie den Riemen, der ihre Stirn und ihr Kinn fixierte und sich bei jeder Bewegung tiefer in ihre Haut schnitt. Unerbittlich zog sich der Schmerz durch ihren ganzen Körper, als würde ihn jemand mit einem Messer in zwei Teile zertrennen. Wieder entfuhr ein Schrei ihrer Kehle, doch niemand reagierte darauf. Niemand kam ihr zu Hilfe.
Ein Summen drang an ihr Ohr. Wer summte dieses Lied? Bildete sie sich das nur ein? Trotz der Tortur, die sie in diesem Augenblick erlitt, erkannte sie die Melodie. Es kam ihr sogar so vor, als ob sie im Geiste The Final Countdown von Europe mitsang.
Was für eine groteske Situation, schoss es ihr durch den Kopf, und der Schmerz verflüchtigte sich plötzlich. Ihr Körper fühlte sich schwerelos an.
Dann hörte sie seine sonore Stimme: »Sag das Vaterunser auf. Tu endlich Buße. Du hast ein Leben zerstört. Du bist schuld.«
Buße? Buße wofür? Ich habe nichts verbrochen. Es muss eine Verw…, dachte sie, doch ein Mann beugte sich über sie und sah ihr direkt in die Augen. Sie kannte ihn nicht. Dennoch sah sie die Entschlossenheit in seinem Blick. Sie konnte seine lodernde Wut in der Luft spüren.
»Ich werde dir das nehmen, was du genommen hast.« Sein Atem legte sich wie ein warmer Wind auf ihre Haut.
Das ist mein Tod. Ich werde sterben, dachte sie, und endlich hatte ihr Hirn die Schutzfunktion aktiviert, sodass sie ohnmächtig wurde.
Gegenwart, Samstag, vormittags
»Das ist ja der Wahnsinn hier«, sagte Lisa und drehte sich zu ihrem Freund Tobias um, der wenige Schritte von ihr entfernt stehen geblieben war. Sie fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihr rötliches Haar, das durch ihre hektischen Bewegungen förmlich durch die Luft flog.
Tobias deutete auf das Schild kurz vor dem Ortseingang von Döllersheim und schob seine schwarze Brille ein Stück weiter nach oben. Obwohl Lisa ihm schon so oft gesagt hatte, er solle sich endlich eine neue kaufen, trug er die nerdige Brille mit dem dicken Plastikrahmen noch immer. Dabei war Tobias kein Computerfreak, wie es der erste Eindruck vermuten ließ. Er liebte es, Holz mit der Hand zu bearbeiten, so wie er es im Betrieb seines Vaters gelernt hatte. Von modernen Maschinen hielt er nichts. Genauso wenig wie vom Internet.
»Hier«, sagte er und zeigte auf eine Mauer auf der rechten Seite neben einer Einfriedung. Efeu schlängelte sich die kahlen Wände hinauf. Der Mörtel, der die Steine noch an Ort und Stelle hielt, hatte seine besten Jahre bereits hinter sich. Was auch kein Wunder war, denn die Wand war vor mehr als neunhundert Jahren erbaut worden. Nur noch die Auslässe der Fenster ließen erahnen, dass hier einmal ein komplettes Gebäude gestanden hatte. »Das soll die Bäckerei vom Ort gewesen sein. Und jetzt hat sich die Natur ihren Platz wieder zurückerobert. Eindrucksvoll, echt cool.«
Tobias zückte seine Spiegelreflexkamera. Vor knapp einem halben Jahr hatte er sich dieses sündhaft teure Ding geleistet. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er endlich den Auslöser drückte. Er war durch und durch ein Perfektionist. Auch wenn es sich hierbei nur um das Hobby der beiden handelte, wartete er immer auf den besten Moment. Die perfekten Lichtverhältnisse. Es musste alles stimmen, nur dann war er zufrieden. Lisa war jedes Mal aufs Neue beeindruckt, was Tobias mit seiner Kamera einfing. Jedes Bild erzählte eine eigene Geschichte, vermittelte ein Gefühl. Bei manchen einsamen Orten, an denen sie schon gewesen waren, konnte sie auch im Nachhinein noch die Düsternis spüren, sobald sie die Fotos auf die Internetseite lud und alles mit kleinen Texten untermalte. Sie war froh, dass er nicht die Bilder auf die gemeinsame Webseite lud. Denn dann wären wohl noch keine Fotos von ihren vergangenen Ausflügen darauf zu sehen gewesen. Sie schmunzelte bei dem Gedanken, wie sie ihm erst letztens erklärt hatte, wie das Erstellen der kleinen Videos ging, die sie auch auf YouTube präsentierte.
»Komm, lass uns weitergehen«, sagte Lisa und zeigte schon nach wenigen Schritten nach links auf ein halb verfallenes Gebäude. Dort war eine Tafel angebracht. »Also das war mal die Volksschule. Der Bäcker hatte sicher einiges zu tun, wenn die Kinder morgens zum Frühstückholen vorbeikamen. Meinst du nicht?«
Tobias nickte zustimmend.
Obwohl der Ort schon seit Jahrzehnten unbewohnt war, sah er gepflegt aus. Was recht ungewöhnlich war für einen Lost Place. Im Normalfall waren solche Orte stark verwahrlost und verfallen. Lisa blieb stehen und schaute sich weiter um. Vor ihr erhob sich eine Kirche, deren Außenfassade große Risse aufwies. Auf der linken Seite der Kirche sah sie Gräber mit aufwendig verzierten Eisenkreuzen. Nur wenige Grabsteine waren zu sehen. Die meisten Grabstellen sahen verlassen aus. Bei manchen waren die Umrandungssteine im Boden eingesunken. Große Büsche wucherten darauf, und doch machte der Friedhof keinen verwilderten Eindruck.
Damals war es anscheinend nicht modern oder schlichtweg viel zu teuer, um Grabsteine fertigen zu lassen, dachte sie und notierte geistig, dies im Internet zu recherchieren. An zweiter Stelle notierte sie sich, dass sie nach Sagen über Döllersheim suchen musste. Über jeden Lost Place gab es eine Geschichte, die vielleicht schon Jahrzehnte, manchmal auch Jahrhunderte zurücklag, die aber von Generation zu Generation überliefert worden war. Wenn die Leute auch meist etwas dazugedichtet hatten.
»Weißt du etwas über diesen Ort?«, fragte Lisa Tobias, der zielstrebig auf die Kirche zuging. »Schließlich hast du ihn ausgesucht.«
Er blieb stehen und wandte sich ihr zu. »Also im Internet steht, dass hier im zweiten Weltkrieg einhundertzwanzig Menschen ausgesiedelt wurden. Hitler hat hier einen Truppenübungsplatz errichtet. Krass, oder?«
»Echt? Das ist ja krank.«
»Da hinten irgendwo«, sagte er und deutete auf eine Stelle, die hinter der Kirche zu sein schien, »soll das Bürgerspital gewesen sein. Natürlich heute nur mehr eine Ruine. Aber sehenswert. Hohe Türme mit kreuzförmig angeordneten Flügeln. Das Foto, das ich gesehen habe, sah genial aus. Aber ich krieg das natürlich besser hin.« Tobias grinste.
»Natürlich kannst du das besser. Super. Aber zuerst schauen wir uns mal hier um, oder?«
»Auf dem Friedhof soll es auch eine Gruft geben von einem Grafen und seiner Gemahlin, denen hier, ich glaube, im 15. Jahrhundert, fast die ganze Gegend gehört hat.«
»Gruselig«, sagte Lisa. »Aber zu einem Grafen gehört doch ein Schloss, oder? Ist das hier auch in der Nähe?«
»Ich weiß es nicht. So genau hab ich da auch nicht nachgelesen. Das ist ja dann eher dein Job.« Er hauchte ihr einen Kuss entgegen.
»Klar, ich werd wie immer alle Infos zusammentragen.«
»Und …«, sagte Tobias und zog das U in die Länge. Dabei streckte er seinen Zeigefinger in die Höhe. Lisa erinnerte das an ihre Volksschullehrerin, die immer dieselbe Geste gemacht hatte, wenn sie die Aufmerksamkeit der Klasse haben wollte. »Hitlers Großmutter soll hier begraben sein. Leider fand man ihr Grab nicht mehr. Aber danach können wir ja suchen. Vielleicht haben wir Glück.«
»Ja.« Bei der Erwähnung der Großmutter dachte Lisa an ihre eigene Oma. An die einzige, die ihr geblieben war. Sie schluckte, als sie an das Gespräch mit ihrer Mutter dachte, das sie noch führen musste. Am besten noch heute. Sie wusste, ihre Mutter würde ausflippen, wenn Lisa ihr von dem Plan erzählen würde. Es schwebte eine dunkle Wolke über der Beziehung zwischen ihrer Mutter und ihrer Oma, die sich seit dem Tod ihres Vaters in ein Unwetter verwandelt hatte. Genau wie über diesem Dorf. Obwohl die Sonne vom Septemberhimmel warm strahlte, spürte Lisa eine Kälte, die sie komplett einhüllte.
Gruselig. Einfach gruselig.
»In dieser Kirche soll die Großmutter von Adolf Hitler geheiratet haben«, fuhr Tobias fort. »Zumindest glaube ich das. Da steht so viel über diesen Ort im Internet. So was hatten wir echt noch nie. Das wird Wochen dauern, bis wir das alles durchgesiebt haben, welche Infos wir auf die Homepage stellen.«
Lisa ging auf die Gittertür der Kirche zu und lugte ins Innere. Große Steinbrocken, die riesige Löcher in den Wänden hinterlassen hatten, lagen auf dem Boden. Es roch feucht und modrig, und Lisa rümpfte die Nase. Vermutlich war das Dach undicht und hatte den Regen der vergangenen Wochen, Monate oder sogar Jahre ungehindert durchgelassen. Alles in allem sah die Kirche von innen genauso verwahrlost aus wie von außen. Und doch standen moderne Plastikstühle in Reih und Glied im Raum. Lisa war verwirrt.
Ist der Ort doch kein Lost Place?, schoss es ihr durch den Kopf. Sie sah die drei Stufen, die im vorderen Bereich, der wie eine Art Erker angelegt war, auf eine Erhöhung führten, doch einen Altar oder Ähnliches entdeckte sie dort nicht. Die vielen Säulen im Raum versperrten ihr die Sicht. Sie stemmte sich gegen die Gittertür, um mehr von dem Innenraum sehen zu können. Ein lautes Quietschen ertönte, und die Tür öffnete sich. Lisa sprang vor Schreck einen Schritt zurück und trat Tobias auf die Füße.
»Pass doch auf«, sagte er. »Du kennst doch das oberste Gebot von uns Urbexern: Nimm nichts mit und mach nichts kaputt.«
»Aber«, sagte Lisa, und ihr Gesicht begann zu strahlen, »sie ist doch offen. Und dann dürfen wir rein … zumindest kann mal keiner sagen, dass wir hier eingebrochen sind. Ich will mich doch nur umsehen. Nichts weiter. Sei doch nicht so ein Hosenscheißer.«
In der Kirche war es um gefühlte zehn Grad kühler. Lisa rieb sich mit ihren Händen an den Armen entlang und verfluchte sich selbst. Ihre Jacke hatte sie im Auto gelassen, das mit Sicherheit einen Fußmarsch von gut zehn Minuten entfernt war.
Nur kurz hier umsehen, und gleich bin ich wieder draußen in der Sonne.
Sie blickte nach oben. An der gewölbten Decke war Stuck angebracht, der an den monströsen Säulen zusammenlief. Lisa wagte sich einen Schritt weiter ins Innere. Unter ihren Schuhen knirschten kleine Steine, die auf dem gepflasterten Boden lagen. Trotzdem herrschte eine unheimliche Stille, und ein flaues Gefühl machte sich in ihrer Magengegend breit.
Ungewöhnlich an diesem Ort war, dass kein Beichtstuhl oder andere kirchenübliche Gegenstände zu sehen waren. Wenn Lisa nicht gewusst hätte, dass sie sich in einer Kirche befand, hätte man diesen Raum auch für eine normale Halle halten können. Sie legte ihre Hand auf eine Stuhllehne und fuhr darüber. Eine leichte Staubschicht blieb an ihren Fingern zurück. Vermutlich wurde dieser Ort nur zu besonderen Anlässen genutzt. Der modrige Geruch, vermischt mit einer süßlichen Duftnote, der ihr schon beim Eintritt in die Kirche aufgefallen war, verstärkte sich und löste Ekel in ihr aus. Sie würgte, konnte den Inhalt ihres Magens aber noch im letzten Moment abfangen, indem sie kräftig schluckte. Lisa drehte sich zu Tobias um – er stand stocksteif wenige Schritte hinter ihr.
»Was hast du denn?«, flüsterte sie und folgte sogleich seinem Blick.
Sie schlug ihre Hand auf den Mund, als sie den in sich zusammengesunkenen Körper sah, der auf einem der Stühle in der ersten Reihe direkt neben einer Säule saß. Anhand der schwarzen Blumenmusterung auf dem weißen Oberteil vermutete Lisa, dass es sich hierbei um eine Frau handelte. Der Kopf hing zwischen ihren Schultern nach unten, und die schwarzen Haare verdeckten das Gesicht. Es sah so aus, als wäre die Frau in Gedanken versunken. Das zuvor mulmige Gefühl veränderte sich schlagartig in ein unangenehmes Kribbeln, und Lisa hörte ihren Pulsschlag in den Ohren.
Haben wir etwa jemanden beim Gebet gestört?
Sie schaute Tobias nach, der zielstrebig auf die Person zuging. Sie folgte ihm in geringem Abstand. Doch je näher sie kam, desto mehr breitete sich ein furchtbarer Gestank aus, wie der eines verendeten Tieres. Abermals stieg die Magensäure in ihrer Speiseröhre hoch, und wieder schluckte sie kräftig. Dann ging alles blitzschnell.
Tobias beugte sich ein Stück hinunter, und gerade als er etwas zu der Frau sagen wollte, übergab er sich auf deren Schoß, auf dem ihre Hände wie zum Gebet gefaltet waren. Lisa blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf ihren kotzenden Freund. Noch hatte sie keine Erklärung für seine Reaktion, sie ging einige Schritte weiter nach vorne und sah sogleich das Gesicht der Frau. Die Haut wies dunkle Flecken auf und spannte sich ledern über die Knochen, die darunter hervorstachen. Eine Made kroch aus dem Mund heraus.
Lisa schrie, so laut sie konnte, und der Ton hallte in dem hohen Raum wider. Tobias griff nach ihrer Hand und zog sie fluchtartig aus der Kirche. Draußen angekommen schauten sich die beiden in die Augen. Auf Tobias’ Stirn standen Schweißperlen, und er schnaufte, als wäre er soeben einen Marathon gelaufen. Niemand brachte auch nur ein Wort über die Lippen.
Es dauerte mit Sicherheit Minuten, bis Tobias seine Stimme wiederfand: »Wir müssen deine Mutter anrufen.«
»Spinnst du?«, sagte Lisa und räusperte sich, da es in ihrem Hals kratzte. »Wir müssen hier weg! Jetzt! Da drinnen sitzt eine tote Frau. Wer weiß? Eventuell ist der Mörder noch in der Nähe.«
»Ich hab da drinnen gekotzt. Schon vergessen? Unsere Spuren sind überall. Überleg mal, was du angefasst hast. Deine Mutter macht uns die Hölle heiß, wenn sie da draufkommt, dass wir hier waren, aber nichts gesagt haben. Und dann landen wir im Gefängnis. Wir müssen das melden!«
Lisa senkte ihren Blick und malte mit ihrem Fuß unsichtbare Kreise in die Wiese. »Mama wird mir den Kopf abreißen. Kannst du dich nicht mehr an das letzte Mal erinnern, als uns die Polizei aufgegriffen hat und mit auf die Dienststelle …« Doch weiter kam sie mit ihren Ausführungen nicht, denn Tobias unterbrach sie.
»Lisa!«, fauchte er sie an. »Das hier ist kein Spiel. Da drinnen sitzt eine tote Frau. Ich glaube nicht, dass sie einfach so gestorben ist. Entweder du rufst jetzt deine Mutter an oder ich mach es. Egal was sie dir für eine Strafe aufbrummt. Du bist keine zwölf mehr, sondern dreiundzwanzig Jahre alt! Werd endlich erwachsen!«
Samstag, vormittags
»Was?«, rief Abteilungsinspektorin Susanne Kriegler. »Lisa! Wie oft hab ich dir schon ge…? Egal. Bleib, wo du bist, und fass nichts an. Ich komme sofort.« Noch während sie sprach, schnappte sie sich ihre Jacke vom Kleiderständer und winkte hektisch ihrem jüngeren Kollegen Alexander zu. »Komm, Grünschnabel. Es wird Zeit, dass du etwas lernst.« Sie konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, und er verzog seine Miene. Im ersten Moment schien es, als ob er ihr die Zunge herausstrecken wollte, doch es passierte nichts.
»Wann genau wirst du Alex zu mir sagen und mich nicht mehr als Grünschnabel betiteln? Wir arbeiten seit einem halben Jahr zusammen«, sagte er und presste zwischen seinen Zähnen »als Team« hervor. Er fuhr sich durch sein kurzes braunes Haar, das auch danach noch so aussah, als wäre er soeben aufgestanden.
»Vielleicht liegt es auch an deinem Dreitagebart, dass ich dich so nenne. Weil du dich damit älter machen möchtest, als du eigentlich bist. Also, wir müssen nach Döllersheim. Meine Tochter hat sich mal wieder unbefugt zu einem Ort Zutritt verschafft und dabei in der Kirche eine Leiche entdeckt. Sie macht nur Probleme im Moment. Erst gestern Nachmittag habe ich mich mit Lisa gestritten, weil sie eine Verpackung vom Dönerladen ums Eck im Auto gesehen hat, als ich sie vom Sport abgeholt habe. Sie hat eine Riesenszene gemacht, und ich musste mir mal wieder eine Belehrung von ihr anhören, wie grausam das Tier sterben musste, das ich gegessen habe. Seit sie auf dem veganen Trip ist, darf ich nicht mal mehr essen, was ich will. Es ist zurzeit einfach etwas viel.«
»Moment!«, ertönte die Stimme von Al Capone hinter ihnen, als sie den Flur entlanggingen. »Wo wollen Sie so schnell hin? Werde ich nicht mehr informiert über Ihre Außeneinsätze?«
Susanne drehte sich zu ihrem Chef um. Natürlich hieß er nicht wirklich Al Capone, sondern Chefinspektor Helmut Wagner, Dienststellenleiter des LKA Wien Süd, Abteilung eins, Leib und Leben. Doch durch sein rundes Gesicht, die Knubbelnase und die streng nach hinten frisierten Haare mit den Geheimratsecken sah er aus wie der Zwillingsbruder des berüchtigtsten Verbrechers der Zwanziger- und Dreißigerjahre in Amerika. In seinem Fall mit grauem, statt mit pechschwarzem Haar und ohne Narbe auf der Wange.
»Meine Tochter hat in einer Kirche eine weibliche Leiche gefunden.«
»Wurden wir angefordert?« Al Capone sah sie mit diesem durchdringenden Blick an, der bei ihr immer ein mulmiges Gefühl auslöste. Es kam ihr vor, als würde er ihre Gedanken lesen.
»Chef, ich muss jetzt zu meiner Tochter. Und nein, wir wurden nicht angefordert. Ich sag Bescheid, wenn ich mir vor Ort einen Überblick verschafft habe. Mehr, als dass ich meiner Tochter die Ohren lang ziehe, weil sie wieder mal etwas Verbotenes gemacht hat, kann nicht passieren.«
»Okay, machen Sie das, Frau Abteilungsinspektorin. Ich veranlasse, dass Sie vor Ort Unterstützung bekommen. Und falls Sie weitere Informationen brauchen, rufen Sie bitte Kontrollinspektor Köllner an. Er wird Sie hier aus dem Büro unterstützen.«
Susanne nickte. Sie kannte Siegbert Köllner, hatte früher schon des Öfteren mit ihm zusammengearbeitet. Er war – wenn man das so sagen konnte – eine allwissende Müllhalde. Egal welche Information sie jemals benötigte, Siegbert fand alles! Sie machte sich, gefolgt von Alexander, auf den Weg nach draußen.
Als sie bei ihrem zivilen Dienstwagen angekommen waren, setzte sich Susanne – wie immer – hinters Steuer und fuhr los. Gut eine Stunde Fahrzeit hatten sie vor sich.
»Döllersheim«, wiederholte Alexander und schwieg einige Sekunden, bevor er weitersprach. »Meine Großeltern haben in Rastenfeld gewohnt. Das liegt dort gleich ums Eck. Wenn ich bei den beiden in den Sommerferien war, erzählte mir Opa die schaurigsten Geschichten über diesen Ort. Die Friedenskirche musste sogar neu geweiht werden, weil sie im Zweiten Weltkrieg mehrfach geplündert wurde und Hitler dort seine Truppen stationiert hatte. Es sollen sich furchtbare Szenarien abgespielt haben, als die Bewohner ausgesiedelt wurden.«
»Wow. Ich wusste gar nicht, dass du so ein Geschichts-Experte bist.«
»Haben dir deine Großeltern nie Schauergeschichten erzählt? Also, mein Opa erzählte sie gerne beim Angeln. Ich hing so an seinen Lippen, dass ich den Fisch übersehen habe, der an meiner Angelschnur zappelte.« Alexander lachte, doch gleich darauf wurde er ernst und senkte seinen Kopf.
Susanne wollte ihn fragen, was los sei, doch sie begriff, dass Alexander in Erinnerungen schwelgte und gerade mit seinem Opa angelte und die gemeinsame Zeit genoss. Vermutlich Zeit, die es heute für die beiden nicht mehr gab.
»Was hat deine Tochter über den Leichnam gesagt?«, fragte Alexander.
»Nur, dass es eine Frau ist, die auf einem der Stühle in der Kirche sitzt und anscheinend schon verwest. Wobei ich mir bei ihrer Aussage nicht sicher bin, dass sie richtig ist. Ich meine, Stühle in der Kirche? Sind da nicht Holzbänke drinnen?«
»Nur falls du mir nicht richtig zugehört hast: Die Friedenskirche wurde ausgeraubt. Somit stand da nichts mehr drinnen. Einmal im Jahr, zu Fronleichnam, wird eine Messe abgehalten. Deswegen stehen dort die Stühle.«
***
Knapp eine Stunde später hielt Susanne vor der Schranke, die den Weg hinauf ins Dorf absperrte. Ein junger Polizist ging auf ihren Wagen zu und kam ans Fenster.
»Hier können Sie nicht weiterfahren. Das ist ein Tatort. Bitte verlassen Sie das Grundstück.«
»Abteilungsinspektorin Kriegler. Das ist mein Kollege Bezirksinspektor Braun. LKA Wien Süd. Bitte öffnen Sie die Schranke.« Sie hielt dem Mann ihren Ausweis hin. Alexander tat es ihr gleich. Der Beamte riss seine Augen auf.
»Entschuldigung … ich … ich wusste ja nicht …«, stotterte er und lief zur Schranke, die er gleich darauf öffnete.
»Ist wohl noch sehr frisch dabei.« Alexander lachte und steckte seinen Ausweis wieder in seine Hosentasche zurück. Beim Blick aus dem Fenster deutete er auf ein Hinweisschild. »Militärisches Sperrgebiet«, las er. »Genau! Dahinter ist der Truppenübungsplatz Allentsteig. Ich war das erste Mal hier, als ich zehn Jahre alt war. Mein Opa hat mich hierher mitgenommen. Doch an die Gegend erinnere ich mich kaum.«
Susanne fuhr langsam den Berg hinauf. Die Straße war asphaltiert, doch ragten die Zweige der Büsche, die links und rechts wucherten, auf den Weg. Nur wenige Meter weiter streckten sich auf der linken Seite große Birken dem Himmel entgegen, und Susanne sah ihre Tochter an einer gemauerten Einfriedung kurz vor der Kirche stehen. Tobias hatte schützend seine Arme um sie gelegt.
Sie parkte den Wagen, kramte in ihrer Handtasche nach dem Nikotinkaugummi und schob ihn sich in den Mund. Erst vor zwei Monaten hatte sie das Rauchen aufgegeben. Doch es fiel ihr schwer, besonders in solchen Situationen, ohne ihre geliebten Zigaretten auszukommen.
Lisa löste sich aus der Umarmung ihres Freundes und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Sie biss auf ihre Unterlippe und kniff die Augen zusammen. Tobias hingegen sah aus, als hätte ihn das schlechte Gewissen gepackt, denn er spielte nervös mit seinen Fingern, die er zu einer Art Dreieck geformt hatte und aneinanderpochen ließ.
»Was hast du dir nur wieder dabei gedacht? Du bringst dich immer nur in Schwierigkeiten und mich gleich mit dazu.« Susanne ging auf Lisa zu, packte sie am Oberarm und zerrte sie von dem Uniformierten weg, der neben ihr stand.
»Aber, Mama«, sagte Lisa und schüttelte ihren Arm so kräftig, dass Susanne losließ. »Es ist nicht verboten, hier zu sein, und die Kirche stand offen. Ich schwör es. Tobi kann es bezeugen. Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln.«
Susanne schnaubte und blickte den Freund ihrer Tochter an. Er nickte kaum merklich und wich sofort ihrem Blick aus.
»Ich will mich ja nicht in Familienangelegenheiten einmischen«, sagte Alexander, »aber es stimmt, was Lisa sagt. Der Ort ist frei zugänglich für jedermann.«
Dann misch dich auch nicht ein, dachte Susanne, doch schluckte sie ihre Wut auf Lisa hinunter. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um ihrer Tochter eine Standpauke zu halten. Sie atmete einmal tief durch.
»Okay, Lisa. Also erzähl, was ist passiert?« Erst jetzt fiel ihr auf, dass Lisas Hände zitterten, sie sah die gerötete Augenpartie und die Blässe, die ihr sommersprossiges Gesicht grau erscheinen ließ. Sofort tat es ihr leid, dass sie sie so angeherrscht hatte. »Willst du dich setzen?«
Susannes sanfte Stimmlage bewirkte, dass Lisa in Tränen ausbrach. »Mama, die … das … Tobias … schrecklich.« Ein heiseres Schluchzen kroch aus ihrer Kehle. Susanne nahm ihre Tochter in die Arme und streichelte ihr sanft über das rötliche Haar. Obwohl die beiden optisch als Schwestern durchgehen könnten, hatten sie noch nie ein inniges Verhältnis zueinander gehabt, war Lisa doch immer ein Papakind gewesen. Vor zwei Jahren war von einer Sekunde auf die andere alles anders. Der Unfall! Lisa war damals einundzwanzig gewesen. Sie wohnte mit ihrer besten Freundin in einer Wohngemeinschaft in der Nähe der Uni, doch plötzlich zog Lisa wieder ins Elternhaus zurück. Damals brauchte sie ihre Mutter mehr als je zuvor.
»Ja, ist schon gut«, sagte Susanne. »Ich bin ja nun da. Weißt du was? Setzt euch in das Auto auf die Rückbank. Alexander und ich gehen mal nachschauen, und dann reden wir, ja?«
Lisa schniefte, löste sich aus der Umarmung und schlurfte Hand in Hand mit Tobias zum Wagen.
Als die beiden außer Hörweite waren, fragte Susanne den Beamten: »War schon jemand in der Kirche?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, wir sollten hier nur alles absperren, hieß es von der Zentrale.«
»Komm«, sagte Susanne zu Alexander. »Lass uns reingehen.«
Schon beim Betreten der Kirche kroch ein Gemisch aus Fäkalien und saurer Milch in Susannes Nase. Eindeutig! Der Geruch des Todes. Sie ging auf die in sich zusammengesunkene Frau zu. Alexander folgte ihr und zückte sein Handy, um Aufnahmen für die spätere Spurensuche zu machen.
Susanne schaltete ihre Taschenlampe ein, die sie immer in ihrer Gürteltasche trug. Trotz der hohen Fenster mit den geschwungenen Verzierungen aus Metall warf die Sonne nicht genug Licht in den Raum. Sie ließ ihren Blick nach oben schweifen auf die gewölbte Stuckdecke. Erst jetzt sah sie, dass einige der Fenster von außen mit Platten vernagelt waren. Vermutlich hatte das Glas im Laufe der Jahrzehnte den Witterungen nicht mehr standgehalten und war aus Kostengründen nicht ersetzt worden.
»Ist das Kotze?«, fragte Alexander und hielt sich seine Hand vor den Mund.
Susanne richtete den Schein ihrer Taschenlampe auf die gelbliche Flüssigkeit mit den braunen Brocken, die aussahen wie Brotklumpen. Eine kleine Lache hatte sich auf dem Boden angesammelt. Mit dem Rest war das Kleid der Frau besudelt.
»Vermutlich. Aber die stammt sicher nicht von unserem Opfer. Dafür ist sie zu frisch. Und sie hier ist schon länger tot.« Sie ging in die Hocke und leuchtete die Frau an, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. Susanne legte ihren Kopf schief und musterte die Kleidung. Das weiße Petticoat-Kleid mit dem Muster, das vielleicht einmal in den Fünfzigerjahren modern gewesen war, hatte teilweise dunkelgelbe bis braune Flecken.
»Was denkst du?«, fragte Alexander leise.
»Warum flüsterst du?« Susanne stellte sich wieder aufrecht hin und zog ihre rechte Augenbraue in die Höhe.
»Ich … ich weiß nicht. Wir sind hier in einer Kirche. Da flüstert man halt.«
Trotz des schaurigen Anblicks, der sich vor ihr auf dem Stuhl bot, legte sich ein Grinsen auf Susannes Gesicht.
Grünschnabel hat echt einen an der Klatsche!
Gleich darauf verschwand das Grinsen wieder, und sie fuhr in einem professionellen Tonfall fort: »Ich sehe keine äußerlichen Verletzungen auf den ersten Blick. Könnte auch gut möglich sein, dass die gute Frau nur hier reinkam, um zu beten, und na ja … dann hat sie eben Gott zu sich genommen. Kannst du mal nachschauen, ob der Arzt schon hier ist? Und fordere Verstärkung an, bitte! Auch die Spurensicherung.«
Alexander nickte und verließ mit schnellen Schritten die Kirche. Susanne konnte ihm diese fluchtartige Reaktion nicht verdenken. Grünschnabel hatte einen nervösen Magen, sie erinnerte sich noch gut an seinen ersten Besuch bei Dr. Malved in der Rechtsmedizin. Und auch an die Sauerei, die Alexander dort angerichtet hatte. Seit diesem Tag durfte er den Obduktionssaal nicht mehr betreten.
Susanne widmete sich wieder der Toten. Über die grünliche Gesichtshaut zog sich ein rotbraunes Sekret, das aus Mund und Nase geflossen war. Susanne wusste aus Erfahrung, dass es sich hierbei nicht unbedingt um Blut handeln musste, sondern dass es genauso gut Fäulnisflüssigkeit sein konnte. Das Gesicht der Toten hatte alle menschlichen Züge verloren und sah eher einer Mumie ähnlich. Trotz des fortgeschrittenen Verwesungsprozesses erkannte Susanne, dass es sich bei dem Opfer um eine jüngere Frau gehandelt haben musste. Sie leuchtete auf die gefalteten Hände, die im Schoß der Frau lagen. Die Blasenbildung hatte bereits eingesetzt, und kleine Hautfetzen lösten sich.
Also, ihr Tod kann gut und gerne schon mehrere Wochen her sein, resümierte sie.
»Hallo.« Eine männliche Stimme hinter ihr ließ sie zusammenzucken, und sie fuhr herum. Sie hatte tatsächlich überhört, dass jemand in die Kirche gekommen war. So sehr war sie mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen. Wie leichtsinnig von ihr.
»Hallo«, antwortete sie missmutig und ärgerte sich über sich selbst. Stand ihr doch ein äußerst ansprechender Mann gegenüber, der sie mit einem Zweiunddreißig-Zähne-Lächeln anstrahlte. Vom Alter her schätzte sie ihn auf Anfang oder Mitte fünfzig. Seine Jeans schmiegte sich an seinen schlanken Körper, und das weiße T-Shirt unterstrich seinen dunkleren Hautton. In der rechten Hand trug er eine Arzttasche.
Sie hatte sich heute nicht mal die Mühe gemacht, ihre Haare zu kämmen, sondern sie nur auf die Schnelle mithilfe eines Bleistiftes zu einem Dutt hochgesteckt. Auch der Lidschatten und die Abdeckcreme, die sie sonst benutzte, waren heute der fehlenden Zeit zum Opfer gefallen. Nervös drehte sie an dem Ring an ihrer rechten Hand.
»Darf ich?«, sagte der Mann und deutete auf die Frau. Susanne war wie erstarrt neben der Toten stehen geblieben und hatte den Fremden wohl angehimmelt wie ein kleines Mädchen ihren Rockstar auf dem Poster über dem Bett.
Sie trat einen Schritt zur Seite und räusperte sich. »Sie sind der Arzt, richtig?«
Der Mann war in die Hocke gegangen und schaute von unten zu ihr hoch. »Ach so. Verzeihen Sie«, sagte er. »Ich bin … na ja … sagen wir Dorfdoktor dazu.« Er lachte, und die Grübchen neben seinen Augen lachten mit.
»Aha.«
Der Doktor stellte sich wieder hin. Vielleicht war es nur Einbildung, aber sie glaubte, sein Aftershave riechen zu können, trotz des starken Leichengeruches. »Ich bin Klaus Otto. Also mit Vornamen heiße ich Klaus.«
»Abteilungsinspektorin Kriegler. Landeskriminalamt Wien Süd, Abteilung eins«, murmelte sie und leckte mit ihrer Zunge über die Lippen, die sie dann mit ihren Zähnen bearbeitete. Eine Macke, die sich auch auf ihre Tochter übertragen hatte. »Sie brauchen mich hier nicht mehr?« Und noch während sie sprach, wandte sie ihm den Rücken zu und verließ die Kirche.
Draußen angekommen atmete sie tief durch. Sie schüttelte den Kopf, um sich auf den Fall zu konzentrieren. Sofern es überhaupt ein Fall werden würde. Susanne schaute sich um und sah ein wenig abseits der Kirche, in der Nähe des Friedhofs, Alexander stehen. Er telefonierte und fuhr sich aufgeregt durch sein Haar, das im aufkommenden Wind kreuz und quer stand. Ein kontrollierender Blick zu ihrem Auto bestätigte ihr, dass Lisa und Tobias noch auf der Rückbank saßen und wie befohlen auf Susanne warteten. Doch zuerst brauchte sie mehr Informationen, die sie hoffentlich von Alexander bekam.
»Ja, ich melde mich … ich verspreche es«, hörte sie noch und trat näher an ihn heran, bevor er sie sah und das Telefonat rasch beendete. »Also, ich habe mit einer Dame vom Gemeindeamt gesprochen. Sie meinte, dass die Tür der Kirche immer verschlossen sei. Nur einmal im Jahr, so wie ich es dir schon erzählt habe, versammeln sich hier die Menschen, und es gibt eine Predigt in der Kirche, die dann am Friedhof endet. Das Gelände hier wird von freiwilligen Helfern des Vereins ›Freunde der alten Heimat‹ mit Unterstützung vom Bundesheer gepflegt, aber sonst ist hier niemand.«
»Okay. Lisa sagte, dass die Tür offen war. Also, wer hat alles einen Schlüssel?«
»Laut der Gemeindemitarbeiterin gibt es nur zwei Schlüssel. Einer liegt im Gemeindeamt und der andere im Pfarramt in Altpöllau.«
»Und mit wem hast du zuletzt telefoniert?«
Sie bekam keine Antwort, somit nahm sie an, dass es wieder einmal seine Mutter gewesen war, die ihn behelligt hatte. Sie rief ständig an, und ging er einmal nicht ans Telefon, machte sie den Kollegen im Büro die Hölle heiß, wieso er nicht erreichbar war. Er hatte Susanne bei einem gemeinsamen Umtrunk – er hatte schon das dritte Bier intus gehabt – erzählt, dass er nach der Uni wieder zu seiner Mutter ins Haus gezogen sei, doch dies habe sich als großer Fehler herausgestellt.
»Okay. Alles klar. Ich weiß Bescheid«, sagte sie, und Alexander nickte.
»Frau Abteilungsinspektorin, die mir ihren Vornamen nicht nennen möchte?« Es war die Stimme von Doktor Otto, und einen Moment überlegte sie, ob sie sich überhaupt umdrehen sollte, aber sie schimpfte in Gedanken mit sich selbst, dass sie doch ein Profi und kein kleines Kind mehr war. Gleich darauf stand er neben ihr, und ihr Herz pochte schneller. »Ich kann Ihnen sagen, die Frau ist tot.« Sein Grinsen ging fast bis zu den Ohren.
»Stellen Sie sich vor, das hab ich auch schon festgestellt, ohne die medizinische Ausbildung, die Sie haben.« Sie schnaufte verächtlich.
»Verstehen Sie keinen Spaß, Frau Abteilungsinspektorin vom Landeskriminalamt?« Ganz tief schaute er ihr in die Augen, bevor sie ihren Blick von ihm nahm und auf ihren Kollegen Alexander zeigte.
»Das ist mein Kollege Bezirksinspektor Braun. Erzählen Sie ihm alles. Ich muss mich um die Zeugen kümmern.«
Samstag, vormittags
Nervös schritt ich auf und ab und schaute auf die Uhr. Eine Minute noch. Ich schaltete den Fernseher im Wohnzimmer ein und hoffte, so wie jeden Abend, wenn ich die Nachrichten schaute, endlich die erlösende Nachricht zu bekommen. Wobei die Bezeichnung »Wohnzimmer« wohl etwas weit hergeholt war für mein Ein-Zimmer-Apartment. Das verschlissene Sofa, auf das ich mich setzte, um meine Nerven zu beruhigen, hatte ich direkt vor dem Mietshaus gefunden. Dabei hatte es nur einige kleine Löcher und sah noch ganz passabel aus. Fand ich zumindest. Der Nachbar, der mit mir im selben Stockwerk wohnte, hatte mir geholfen, es in meine Wohnung zu schleppen. Dritter Stock ohne Lift. Da hatte ich mir zum ersten Mal geschworen, zukünftig aufmerksamer zu sein bei meiner Wohnungsauswahl. Es lag am fehlenden Geld, dass ich in dieser abgewrackten Bude hauste. Doch bald würde alles anders sein.
Meine Hände zitterten vor Aufregung.
Ist meine Botschaft endlich gefunden worden?
Der Nachrichtensprecher begann, die heutigen Themen der Sendung aufzuzählen, doch kein Leichenfund in der Kirche. Frustriert schaltete ich den Fernseher ab. Ich hoffte auf morgen. Morgen würde alles anders sein. Der Ruhm für meine Arbeit würde endlich mein sein, und jeder würde sehen, was sie getan hatte. Sie hatte mein Leben zerstört. Ausgelöscht. Am Boden zertreten wie eine brennende Zigarette. So wie alle, die mich mein Leben lang mit Füßen getreten hatten. Und alle würden dafür Buße tun.
»Bring all deine Sorgen in Gottes Haus und lass sie dort zurück.«
Die Worte meiner Großmutter drangen in meinen Verstand. Ich war doch noch ein kleiner Junge gewesen, als ich mit ihr sonntags in die Kirche gegangen war. Ein Lächeln zwang sich auf meine Lippen, als ich daran dachte, dass jedes Mal, wenn sie gesprochen hatte, ihre Zähne klapperten.
Samstag, vormittags
Lisa hatte ihren Kopf an Tobias’ Schulter gelehnt und starrte ins Leere. Die Abenteuerlust, die sie noch wenige Stunden zuvor verspürt hatte, war ihr eindeutig vergangen. Tobias hatte seit dem Verlassen der Kirche nicht mehr gesprochen, doch jetzt räusperte er sich.
»Was denkst du, was der Frau passiert ist? Das Bild von ihr krieg ich nie wieder aus dem Kopf. Das ist mal fix.«
Lisa setzte sich aufrecht hin und öffnete die Wagentür. Es war stickig, und sie brauchte dringend Frischluft. Sie atmete einen tiefen Zug ein, den der kalte Wind ins Auto blies. Die Sonne hatte sich vor wenigen Minuten hinter einer schwarzen Wolke versteckt. Vermutlich würde es bald regnen. Mal wieder.
Sie öffnete den Mund und wollte gerade etwas sagen, da hörte sie ein »Pst«, das aus ihrer unmittelbaren Umgebung zu kommen schien. Erstaunt schaute sie nach links, zu den großen Birken, die von Büschen eingerahmt waren. Doch dort war niemand zu sehen. Sie wandte ihren Kopf wieder Tobias zu, doch erneut hörte sie, etwas energischer als zuvor, ein »Psssst«.
»Hast du das auch gehört?«, fragte sie Tobias, doch als Antwort bekam sie nur einen fragenden Blick. »Da ist doch jemand.« Lisa stieg aus dem Auto aus, doch sogleich sprang sie einen Schritt zurück, als die Blätter des Gestrüpps wackelten und plötzlich eine zierliche blonde Frau vor ihr stand. Sie zupfte an ihrem kurzen pinken Rock, der farblich mit ihrer Armbanduhr übereinstimmte. Auch die Knöpfe ihrer hellen Bluse hatten den gleichen Farbton. Sie sah aus wie eine perfekt gestylte Schaufensterpuppe, wenn man von ihren ausgetretenen Sportschuhen einmal absah.
»Was können Sie mir erzählen? Was geht hier vor?« Die Fremde hielt Lisa ein Telefon direkt vor das Gesicht. Es hatte – wie nicht anders zu erwarten – eine pinke Schutzhülle.
Lisa starrte die Unbekannte an, und im ersten Moment musste sie ihre Gedanken sortieren, bevor sie die Sprache wiederfand. »Wer sind Sie?«
»Ich bin von der Tageszeitung Blau-Gelb. Uta Schwenger. Die rasende Reporterin. Warum ist die Polizei hier?«
»Sie sind Reporterin?«, hakte Lisa nach und wich dem Handy aus, das die Frau ihr noch immer hinstreckte. »Das hier ist ein Tatort, der abgesperrt ist. Sehen Sie das nicht?«
»Was ist hier los?«, hörte Lisa die forsche Stimme ihrer Mutter. Sofort blickte sie hilfesuchend zu ihr. Susanne stemmte ihre Hände in die Hüften und stellte sich vor Lisa hin. »Was haben Sie hier zu suchen? Wer sind Sie? Und was wollen Sie von meiner Tochter?«
Die Frau steckte ihr Telefon weg und verschwand im Dickicht, so schnell wie sie gekommen war. Tobias sprang aus dem Auto und zog Lisa nah an seinen Körper.
»He, jetzt warten Sie!«, rief Susanne der Frau hinterher und verschwand ebenso im Gebüsch. Doch gleich darauf kam sie wieder zurück zu Lisa. »Wer war das? Kanntest du diese Frau?«
»Eine Reporterin. Uta noch irgendwas. Sorry, Mama, den Nachnamen hab ich mir leider nicht gemerkt. Von einer Zeitung … irgendwas mit Blau.«
»Macht nichts, Schatz. Das hilft mir schon weiter. Was wollte sie von dir?«
»Sie wollte wissen, was passiert ist und warum hier Einsatzwagen stehen.«
Susanne durchbohrte Lisa mit einem eindringlichen Blick. »Du hast hoffentlich nichts gesagt.«
Lisa hob ihre Hände in die Höhe, als hätte Susanne sie auf frischer Tat ertappt. »Ich hab kein Wort gesagt. Tobias ist mein Zeuge. Nicht wahr?« Sie drehte sich zu ihm um, und er nickte.
»Susanne?«, rief Alexander, als er um die Ecke der ehemaligen Volksschule bog und mit schnellen Schritten näher kam. »Der Doktor hat mir etwas Interessantes erzählt, und ich denke, wir müssen uns das anschauen.« Sein Atem ging keuchend.
»Hier ist gerade eine Reporterin aufgetaucht. Dem müssen wir auch nachgehen.« Susanne drehte sich von Alexander weg zu Lisa. »Hör zu, Kleines. Ich ruf jetzt einen Streifenwagen, der dich auf die nächste Polizeistation bringen soll. Dort wartest du auf mich, ja?«