Als Ravensburger E-Book erschienen 2020
Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag
© 2020 Ravensburger Verlag
Titel der Originalausgabe »The School for Good and Evil #5: A Crystal of Time«
Textcopyright © 2019 Soman Chainani
Cover and map illustration copyright © 2019 Iacopo Bruno
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.
Übersetzung: Ilse Rothfuss
Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.
ISBN 978-3-473-51056-6
www.ravensburger.de
Für Uma und Kaveen
In einem tiefen, dunklen Tann
Liegt eine Schule wundersam.
Die Schule für Gut und Böse.
Zwei Türme wie Zwillingsköpfe
Einer für die Reinen,
Einer für die Gemeinen.
Es gibt kein Entrinnen,
Der Wald ist ein Graus,
Nur durch ein Märchen
Find’st du hinaus.
Agatha rannte.
Wenn der neue König von Camelot deine wahre Liebe umbringen will, deine beste Freundin gefangen hält und dich jagt wie einen Hund, dann brauchst du einen Plan.
Aber Agatha hatte keinen Plan, keine Verbündeten und kein Versteck, in dem sie sich verkriechen konnte. Also rannte sie.
Sie rannte und rannte, weg von Camelot, weit, weit weg, ohne zu wissen, wohin. Wie ein gehetztes Tier lief sie durch den Endloswald, zerfetzte ihr schwarzes Kleid im Unterholz, stürmte weiter, immer weiter, während die Sonne auf- und unterging … Bei jedem Schritt schlug ihr Täubchens Kristallkugel gegen die Rippen, und an den Bäumen tauchten überall Plakate mit ihrem Gesicht auf – eine Warnung, dass Nachrichten sich schneller verbreiteten, als ihre Beine sie tragen konnten.
Am nächsten Tag waren Agathas Füße voller Blasen, ihr ganzer Körper schmerzte, und sie hatte nichts anderes im Magen als die Beeren, Äpfel und Pilze, die sie unterwegs gepflückt hatte. Zudem lief sie offenbar im Kreis – vorbei an den rauchigen Flussufern von Mahadeva, über die Grenze zu Gillikin, dann im blassen Dämmerlicht zurück nach Mahadeva. In ihrer Verzweiflung schaffte sie es nicht, sich einen Plan zurechtzulegen oder einen Unterschlupf zu suchen. Die Gegenwart verschwand hinter dichtem Nebel, und ihre Gedanken kehrten unweigerlich in die Vergangenheit zurück: Tedros in Ketten, zum Tode verurteilt … ihre Freunde gefangen … Merlin bewusstlos fortgeschleppt … Rhian, der Junge, der die schlimmste Form des Bösen verkörperte, auf Tedros’ Thron …
Erschöpft irrte Agatha durch eine rosa Nebelbank, suchte vergeblich nach einem Weg. Rosa Nebel – war das nicht Gillikin? Aber Gillikin hatte sie längst hinter sich gelassen – wie kam sie dann wieder dorthin? Agatha hielt inne. Sie musste sich zusammenreißen, besser aufpassen – nach vorn sehen. Nur leider war im Augenblick gar nichts zu sehen, außer den rosa Nebelschwaden, die in ihrer aufgewühlten Fantasie die Gestalt der Schlange annahmen. Die Gestalt jenes grün maskierten Monsters, das alle für tot hielten. Dabei hatte Agatha es auf ihrer Flucht aus dem Schloss mit eigenen Augen gesehen – und zwar quicklebendig!
Als sie endlich in die Gegenwart zurückfand, war der Nebel verschwunden und die Nacht angebrochen. Irgendwie war sie im Stymphwald gelandet, wo es weder Weg noch Steg gab. Ein Unwetter brach herein, Blitze zuckten durch die Bäume. Agatha kauerte sich unter einen efeuüberwucherten Pilz.
Wohin jetzt? Wer konnte ihr helfen, wenn alle ihre Freunde in Rhians Kerker saßen? Und wie sollte sie einen Plan machen, wenn sie nicht wusste, gegen wen sie überhaupt kämpfte?
Ich habe den Leichnam der Schlange mit eigenen Augen gesehen. Wie kann sie dann wieder lebendig sein?
Rhian stand noch auf dem Balkon, als ich der Schlange über den Weg gelaufen bin. Rhian kann es also nicht gewesen sein …
Es muss jemand anderes sein. Ein Komplize von Rhian.
Der Löwe und die Schlange.
Agatha dachte an Sophie. Sie hatte Rhians Ring angenommen, weil sie ihn für Tedros’ Ritter gehalten hatte. Weil sie geglaubt hatte, in ihm endlich ihre wahre Liebe gefunden zu haben – einen Jungen, der das Gute in ihr sah … Aber dann wurde sie als Geisel genommen, von einem Schurken, dessen Seele noch viel schwärzer war als ihre …
Wenigstens würde Rhian Sophie nichts antun. Noch nicht. Er brauchte sie. Wofür genau blieb Agatha allerdings schleierhaft.
Aber einen würde er nicht verschonen: Tedros.
Tedros, der am Abend zuvor gehört hatte, wie Agatha zu Sophie sagte, dass sie enttäuscht von ihm sei. Tedros, der seine Krone, sein Königreich, sein Volk verloren hatte und in der Hand eines Feindes war, den er noch kurz zuvor wie einen Bruder umarmt hatte. Und der jetzt behauptete, Tedros’ Bruder zu sein.
Agatha unterdrückte ein Schluchzen. Wenn sie ihren Prinzen doch nur umarmen und ihm sagen könnte, wie sehr sie ihn liebte! Dass sie nie mehr an ihm zweifeln würde, dass sie ihr Leben für ihn geben würde. Ich rette dich, Tedros. Das verspreche ich dir. Auch wenn ich noch keinen Plan habe, und keine Menschenseele an meiner Seite.
Bis dahin musste Tedros stark bleiben, egal was Rhian und seine Männer ihm antaten. Tedros musste irgendwie überleben.
Falls er nicht bereits tot war.
Der Gedanke ließ Agatha aufspringen. Unter wildem Blitzgeflacker raste sie durch die letzten Ausläufer des Stymphwalds, an den gespenstischen Ufern Akguls entlang, die mit Asche statt Sand bedeckt waren. Der Beutel mit Täubchens Kristallkugel lastete schwer auf ihr, hämmerte unablässig gegen die wunde Stelle an ihrer Hüfte. Sie musste eine Pause einlegen … sich ausruhen … Seit Tagen hatte sie nicht mehr geschlafen, und ihr Verstand drehte sich im Kreis wie ein ins Leere laufendes Rad …
Rhian hat das Schwert aus dem Stein gezogen. Also ist er der König.
Agatha rannte noch schneller. Aber wie war das möglich? Die Herrin vom See hielt die Schlange für den König, nicht Rhian. Und Artus hatte Tedros als seinen Erben betrachtet.
Da stimmte etwas nicht. Irgendwas war oberfaul mit der Magie.
Agatha vergaß beinahe zu atmen, so angestrengt dachte sie nach. Die stickige Wärme wich einem kalten Wind, gefolgt von wirbelndem Schnee; der Wald öffnete sich und ging in einen breiten Tundrastreifen über. In ihrer Benommenheit dachte Agatha einen Augenblick, es wäre schon wieder Winter geworden.
Vor ihr tauchten die Umrisse eines Schlosses auf, schmale Türme, die sich in tief hängende Wolken bohrten.
Camelot.
War sie nach all den Strapazen wieder in die tödliche Falle zurückgelaufen? War alles umsonst gewesen?
Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie taumelte zurück, machte kehrt, um wieder loszurennen …
Aber sie konnte nicht mehr. Ihre Beine knickten unter ihr ein, und sie sank in den weichen Schnee. Ihr schwarzes Kleid breitete sich um sie herum aus wie eine finstere Wolke, und der Schlaf überrollte sie wie eine Dampfwalze.
Agatha träumte von einem schiefen Turm, der hoch in die Wolken hinaufreichte und aus lauter goldenen Käfigen bestand. In jedem dieser Käfige saß einer ihrer Freunde und Verbündeten – Merlin, Guinevere, Lanzelot, Professor Täubchen, Hester, Anadil, Dot, Kiko, Hort, ihre Mutter, Stefan, Professor Sader, Lady Lesso und viele andere. Die Käfige balancierten gefährlich übereinander, und die beiden obersten, in denen Tedros und Sophie saßen, schwankten so heftig, dass sie jeden Moment herunterzukrachen drohten. Der Turm wurde immer wackliger, und Agatha stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen, um ihre Freunde vor dem sicheren Tod zu bewahren. Doch kaum hatte sie den Turm wieder zur Ruhe gebracht, da tauchte ein Schatten über dem obersten Käfig auf …
Halb Löwe. Halb Schlange.
Die Gestalt packte die Käfige, einen nach dem anderen, und schleuderte sie vom Turm hinunter.
Agatha erwachte, schweißgebadet trotz der eisigen Kälte, und hob vorsichtig den Kopf: Der Sturm war vorübergezogen, das Schloss ragte jetzt scharf umrissen in der Morgensonne auf.
Aber was war das? Zwei riesige Eisentore schwangen auf, krachten gegen die Steinmauern und gaben den Eingang zu der weißen Festung frei, die über dem stillen grauen See aufragte.
Agathas Herz machte einen Satz. Nein, das war nicht Camelot. Sondern Avalon.
Eine innere Stimme hatte sie wohl hergeführt. Zu dem einzigen Wesen, das ihre Fragen beantworten konnte.
»Hallo?«, rief Agatha über das stille Wasser.
Keine Antwort.
»Herrin vom See!«, rief sie erneut.
Nichts. Nicht das leiseste Wellenkräuseln.
Eine kalte Angst stieg in ihr auf. Die Herrin vom See war einst die mächtigste Verbündete von Gut gewesen. Deshalb hatte Agathas Seele sie zu ihr geführt. Um Hilfe von ihr zu erbitten.
Aber Chaddick war auch hierhergekommen, weil er Hilfe brauchte – und er hatte es mit dem Leben bezahlt.
Agatha starrte auf die Treppe, die im Zickzack zu den fünf weißen Türmen hinaufführte. Das letzte Mal war sie mit Sophie nach Avalon gekommen, um Chaddicks Leichnam zu suchen. Vor ihrem inneren Auge tauchte die blutgesprenkelte Stelle im Schnee auf, an der Tedros’ ermordeter Ritter gelegen hatte, eine höhnische Botschaft der Schlange in seinen steifen Händen.
Agatha hatte die Schlange nie ohne Maske gesehen. Im Gegensatz zur Herrin vom See, die das Gesicht dieses Monsters ja gesehen haben musste, als sie es geküsst hatte.
Ein Kuss, der sie ihrer Kräfte beraubt und mit dem sie König Artus’ Sohn verraten hatte. Ein Kuss, mit dem sie der Schlange geholfen hatte, Rhian auf Tedros’ Thron zu bringen – einen schmutzigen Verräter, der sich als Tedros’ Ritter ausgegeben hatte, obwohl er in Wahrheit die ganze Zeit mit der Schlange im Bunde war.
Agatha drehte sich wieder zum See um. Die Herrin hatte die Schlange beschützt. Und nicht nur das: Sie hatte sich in sie verliebt und dadurch ihre Kräfte verloren.
Agatha schluckte. Es war falsch gewesen, hierherzukommen, aber wohin hätte sie sich sonst wenden sollen?
»Ich bin’s, Agatha!«, schrie sie erneut aus vollem Hals. »Merlins Freundin. Er braucht deine Hilfe!«
Ihre Stimme hallte weit über das Ufer. Und plötzlich erschauerte der See.
Agatha beugte sich vor, aber sie sah nur ihr eigenes Spiegelbild in der silbrigen Oberfläche.
Ganz langsam veränderte sich ihr Gesicht im Wasser, verwandelte sich in das einer runzligen alten Hexe mit zottigen weißen Haarbüscheln, die hier und da an dem kahlen Schädel klebten. Lauernd lag die Herrin unter der Wasseroberfläche, wie ein Troll unter einer Brücke, und starrte mit ihren kalten Augen zu Agatha herauf. Ihre Stimme schallte durch das Wasser, tief und verzerrt …
»Wir hatten eine Abmachung, und ich habe Merlins Frage beantwortet!«, fauchte die Herrin vom See. »Nur eine Frage habe ich ihm gewährt – eine einzige –, unter der Bedingung, dass er nie wieder herkommen würde. Und nun will er sich aus dieser Abmachung herauswinden, indem er dich schickt? Geh. Du bist hier nicht willkommen.«
»Er hat mich nicht geschickt«, sagte Agatha. »Merlin ist in Gefangenschaft geraten! Rhian, der neue König von Camelot, hat Tedros, Merlin, Professor Täubchen und alle unsere Freunde in den Kerker geworfen. Und Merlin ist verletzt! Er stirbt, wenn ich ihn nicht rette. Genau wie Tedros, Artus’ Sohn. Der wahre König.«
Das Gesicht der Herrin zeigte weder Erschrecken noch Entsetzen, und erst recht kein Mitgefühl. Da war … nichts. Nur Leere.
»Hast du nicht gehört? Du musst ihnen helfen!«, flehte Agatha. »Du hast einen heiligen Eid geschworen, den König von Camelot zu beschützen.«
»Und das habe ich auch getan«, grollte die Herrin. »Der Junge mit der grünen Maske trug Artus’ Blut in sich. Er war Artus’ ältester Sohn und Erbe. Ich konnte es riechen, als ich noch meine Kräfte hatte. Das Blut des Einen und Wahren Königs.« Sie verstummte, und ihr Gesicht verdüsterte sich. »Er hatte auch besondere Kräfte, dieser Junge. Starke Kräfte. Er erriet mein Geheimnis: Dass ich einsam geworden war in diesem kalten, wässrigen Grab. Der Junge wusste, dass ich meine Magie gegen Liebe tauschen würde, sollte ich je die Chance dazu erhalten. Und er bot sie mir. Ein einziger Kuss, so sagte er, würde mich aus meinem Gefängnis erlösen. Er wollte mich nach Camelot bringen. Liebe versprach er mir, mein eigenes Happy End …« Sie wandte den Blick von Agatha ab und sank tiefer ins Wasser. »Wie sollte ich ahnen, dass ich als hässliche alte Hexe enden würde, wenn ich meine Kräfte aufgab? Jetzt bin ich einsamer denn je.« Ihre Augen wurden hart. »Aber das war sein Recht. Er ist der König. Und ich diene dem König.«
»Ja, aber du hast den Falschen geküsst«, sagte Agatha. »Rhian ist König – der Löwe, wie er sich nennt. Der Junge, den du geküsst hast, war die Schlange. Er hat dich geküsst, um dir deine Magie zu rauben und die mächtigste Beschützerin von Gut zu entwaffnen. Er hat dich überlistet. Und ich muss wissen, wer diese Schlange ist. Denn wenn die Schlange dich täuschen kann, schafft sie das auch bei Excalibur! Dann wissen wir, wie das Böse auf Tedros’ Thron gekommen ist.«
Die Herrin vom See rauschte auf Agatha zu, bis ihr verschrumpeltes Gesicht dicht unter der Wasserfläche schwebte. »Mich überlistet niemand. Der Junge, den ich geküsst habe, hatte Artus’ Blut. Er ist der König. Wenn ich also die Schlange geküsst habe, wie du ihn nennst, dann hat die Schlange Excalibur aus dem Stein gezogen und sitzt jetzt auf dem Thron.«
»Aber das war nicht die Schlange, sondern Rhian! Und ich habe die Schlange bei ihm gesehen! Sie arbeiten zusammen, um die Leute im Wald hinters Licht zu führen. So wie sie es bei dir und Excalibur gemacht haben.«
Wütend krachte die Herrin aus den Wellen hervor. »Ich habe sein Blut gerochen. Ich habe den König gerochen.« Ihre Worte hallten wie Donnergrollen über den See. »Und selbst wenn er mich überlistet hätte, Excalibur lässt sich nicht täuschen. Wer immer das Schwert herausgezogen hat, ist Artus’ Bluterbe. Der Junge, den ich beschützt habe. Er ist der rechtmäßige König … nicht der, den Merlin auf dem Thron sehen will – oder du.« Langsam sank sie ins Wasser zurück.
»Nein, warte!«, schrie Agatha. »Du kannst nicht einfach gehen! Du kannst sie doch nicht sterben lassen!«
Die Herrin hielt inne, ihr kahler Schädel schimmerte im Wasser wie eine riesige Perle. Als sie aufblickte, war das Eis in ihren Augen geschmolzen. Nur Schmerz und Kummer lagen noch darin.
»Merlin und deine Freunde sind selbst schuld an ihrem Unglück. Ihr Schicksal liegt jetzt in der Hand des Storikers«, sagte sie leise. »Ich habe euren Chaddick begraben, wie ihr es verlangt habt. Und ich habe Merlin geholfen, als er mich darum bat. Ich habe nichts mehr zu geben. Geh jetzt. Ich kann dir nicht helfen.«
»Doch, das kannst du«, flehte Agatha. »Wenn du mir das Gesicht der Schlange zeigst, kann ich herausfinden, wo diese beiden Jungen herkommen. Und den Leuten beweisen, dass sie Lügner sind …«
»Was geschehen ist, ist geschehen«, murmelte die Herrin und sank noch tiefer. »Ich diene dem König.«
»Würde der wahre König Merlin etwas antun?«, rief Agatha verzweifelt. »Würde Artus’ Erbe das Versprechen brechen, das er dir gegeben hat, und dich in diesem Zustand zurücklassen? Du sagst, Excalibur lässt sich nicht täuschen, aber du hast das Schwert erschaffen, und du machst Fehler, wie man sieht! Hör mich an, bitte! Wahrheit wird zur Lüge und Lüge zur Wahrheit. Gut und Böse sind ein und dasselbe. Selbst dein Schwert erkennt den wahren König nicht mehr! Und im tiefsten Herzen weißt du auch, dass ich die Wahrheit sage. Die unverfälschte Wahrheit. Ich verlange ja nur, dass du mir das Gesicht der Schlange zeigst. Zeig mir, wie der Junge aussieht, den du geküsst hast, und ich komme nie mehr zurück. Ich gebe dir dasselbe Versprechen wie Merlin. Und ich werde es halten, das schwöre ich dir!«
Die Herrin schaute Agatha lange an, während sie immer tiefer ins Wasser sank und ihre zerlumpten Gewänder sich um sie herum ausbreiteten wie eine tote Qualle. Langsam verblasste sie in den Tiefen des Sees.
»Nein!« Agatha fiel auf die Knie und schlug sich die Hände vors Gesicht. An wen sollte sie sich jetzt wenden, wenn selbst die letzte Hoffnung von Gut sie im Stich ließ?
Verzweifelt dachte sie an ihren Prinzen, der in Ketten auf seine Hinrichtung wartete … an die Schlange, die in einem Winkel des Schlosses gelauert und ihr so höhnisch zugenickt hatte, als wäre das hier erst der Anfang …
Ein Gluckern riss sie aus ihren Gedanken und sie spähte durch ihre Finger. Langsam schwebte eine Pergamentrolle auf sie zu.
Hastig riss sie die Rolle an sich und wickelte sie auf. Die Herrin hatte ihr geantwortet.
»Aber das ist … das ist doch nicht möglich …«, stieß Agatha hervor und starrte auf den See, der nun ganz still war.
Blinzelnd schaute sie wieder auf das Pergament, auf die Tintenzeichnung eines schönen Jungengesichts, das sie nur zu gut kannte. Verwirrt schüttelte sie den Kopf.
Agatha hatte die Herrin gebeten, ihr die Schlange zu zeigen. Den Jungen, den sie geküsst hatte. Den Jungen, der Agathas Freunde getötet hatte und sich hinter einer Maske verbarg. Die Schlange, die mit Rhian im Bund war und ihn zum König gemacht hatte.
Aber die Herrin hatte nicht die Schlange gezeichnet.
Sondern Rhian.