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Titelei

Dirk Walbrecker

Baron von Münchhausen

Reihe: Walbreckers Klassiker

Kuebler Verlag

Das Buch

Warum kann Lügen so große Freude machen? – Man darf als Erzähler schamlos übertreiben, kann die Leser und Leserinnen total in die Irre führen, man darf sich selbst zum glorreichen Helden machen. Ein Meister der Lüge und der Fantasie ist der berühmte Baron von Münchhausen: Er erzählt uns von seinen Reiseabenteuern – eines spannender und verrückter und haarsträubender als das andere! Ein „Klassiker“ der Lügen-Literatur!

Der Autor

Dirk Walbrecker, geboren in Wuppertal, seit 1965 in München und jetzt in Landsberg am Lech lebend, Vater von 3 leiblichen Töchtern und inzwischen auch von zahlreichen literarischen Kindern.

Nach diversen Studien (u.a. Germanistik und Pädagogik) viele Jahre beim Film und einige Jahre in der Schule gearbeitet.

Seit 1986 freiberuflicher Autor: Drehbücher, Hörspiele, Hörbücher sowie Bilderbücher, Kinder- und Jugendromane. Zahlreiche Auszeichnungen und in 15 Sprachen übersetzt.

In den letzten Jahren häufig auf Lesereisen, um jungen Menschen live und lebendig Freude an Literatur und allem Musischen zu vermitteln.

Zudem Schreibwerkstätten verschiedenster Art und Thematik für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Nähere Informationen, Unterrichts-Materialien etc. unter: www.dirkwalbrecker.de

Walbreckers Klassiker für die Familie

Baron von Münchhausen

Neu erzählt von Dirk Walbrecker

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Walbreckers „Klassiker für die ganze Familie“ im Internet:

www.klassiker-fuer-die-familie.de

Impressum

Neu vom Autor durchgesehene Ausgabe

© 2016 Kuebler Verlag GmbH, Lampertheim

Alle Rechte vorbehalten

Bildmaterial: © gumbao, © strels – fotolia.de

Korrektorat: Dr. Rainer Noske

ISBN Printausgabe 978-3-86346-085-3

ISBN Digitalbuch 978-3-86346-286-4

Die Reise nach Russland

Liebe Leserinnen, verehrte Leser! Ich bin gerade mitten im Gespräch.

Meine besten drei Freunde weilen bei mir und wollen von einer meiner aufregendsten Reisen erzählt bekommen. Wie immer, wenn wir zusammensitzen, knistert es vor Spannung, raucht es aus allen Pfeifen und es fließt reichlich aus der Karaffe …

Doch bevor es richtig losgeht, möchte ich mich und meine Freunde kurz vorstellen: Meine Wenigkeit dürfte wohl jedem von euch bekannt sein: Ich bin der berühmte Baron von Münchhausen. Ich stamme aus dem uralten Geschlecht derer von Münchhausen, in dem es von Berühmtheiten nur so wimmelt. Aber ehrlich: Niemand unter meinen namhaften Ahnen hat es zu solchem Ruhm gebracht wie ich!

Natürlich habe ich mich oft gefragt, warum die Menschen mich überall so gut kennen und mich so sehr mögen. Liegt es daran, dass das, was ich zu erzählen habe, so einmalig, so außerordentlich und so besonders ist? Oder sind es meine Bescheidenheit und mein Hang zur Ehrlichkeit, die den Menschen imponieren? Oder liegt es sogar an meinem einnehmenden und liebreizenden Äußeren?

Wie es auch sei – ich bemühe mich, immer mit beiden Beinen oder wenigstens mit einem Bein auf dem Boden zu bleiben. Und wenn ich tatsächlich mal abhebe … dann liegt es nicht an mir, sondern immer an den anderen – das schwöre ich!

Doch zurück zu meinen Freunden, die schon ganz ungeduldig werden, weil ich immer noch nicht erzähle. Wie ich schon andeutete: Wir treffen uns öfter hier in meinem Heim und wenn ich mal auspacke mit meinen Abenteuern, so passiert es gewöhnlich, dass wir Zeit und Raum vergessen – so fesselnd und kurzweilig sind meine Geschichten.

Nun glaubt bitte nicht, die Herren hier seien unkritische Zuhörer. Das Gegenteil ist der Fall! Der Herr, der mir gegenüber sitzt, ist immerhin ein anerkannter Gelehrter, dessen Beruf es ist, alles und jedes zu hinterfragen. Wenn er mich durch seine Augengläser betrachtet, so merke ich, wie er darauf aus ist, auch das letzte Körnchen Unwahrheit in meinen Erzählungen aufzuspüren. Dennoch schätze ich Antonius – so lautet sein Name – sehr. Lieber ein misstrauischer Zuhörer wie Toni als gar keiner, der mir zuhört!

Der Herr zu meiner Linken ist ein besonderer Fall. Schon sein Name mag vermitteln, dass er nicht ganz von dieser Welt ist: Engelbert tauften ihn seine Eltern und unter uns Freunden nennen wir ihn öfter Berti. Berti ist – ganz im Vertrauen gesagt – unsagbar neugierig. Er hängt an meinen Lippen, als ob diese Wahrheiten aus dem Jenseits verkünden würden. Berti ist einfach sensationsgierig und zugleich ungemein gutgläubig. Dennoch scheint er von einem anderen Stern zu sein. Denn manchmal hat er Fragen, die kein Kind stellen würde. Und wenn es einmal ein bisschen unheimlich wird, dann wird er blass … oder er beginnt gar zu zittern.

Ganz anders der etwas rundliche Herr zu meiner Rechten: Siegbold ist sein Name und General ist sein Beruf. Ob Boldi, wie ich meinen Freund zärtlich nenne, allerdings je erfolgreich gegen eine Fliege gekämpft hat, möchte ich bezweifeln. Boldi ist und bleibt der gutmütigste Mensch, den ich kenne. Er lässt keinen Genuss, welcher Art auch immer, aus. Und außerdem war er schon dann und wann mein Reisebegleiter und dies sagt eigentlich alles!

Doch nun lauscht, was ich zu erzählen habe!

Könnt ihr euch vorstellen, liebe Freunde, wie furchtbar kalt der russische Winter ist?

Ich und mein treuer Gaul haben es erlebt.

„Wieso reist der Baron Hieronymus von Münchhausen ausgerechnet im tiefen Winter nach Russland?“, werdet ihr vielleicht fragen.

Das ist sehr einfach erklärt: Im Winter sind die Holperwege gen Osten dank Frost und Schnee leichter passierbar als im Sommer!

So trabte ich also Meile um Meile in diese Himmelsrichtung. Der Schnee wurde mehr und mehr und irgendwann schien es mir, als habe er das ganze schöne Russland samt seinen lieben Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verschluckt. Kein Haus, kein Baum, kein Nichts war mehr zu finden. Und als mich und meinen Gaul nach tagelangem Ritt die Müdigkeit überkam, da war ich froh, ein spitzes Irgendwas zu entdecken, an dem ich mein müdes Pferd festbinden konnte. Auch auf die Gefahr hin, über Nacht eingeschneit zu werden … ließen wir uns in unserem weichen, weißen Schneebett nieder und schliefen umgehend ein. Und nun kommt es, liebste Freunde: Wir schliefen und schliefen und schliefen … bis uns die Kirchenglocken weckten!

„Die Kirchenglocken?“, fragt ihr verblüfft.

Jawohl! Genau die! Auch ich sperrte verblüfft und verwirrt Ohren und Augen auf, blickte in die verwunderten Gesichter einiger russischer Gestalten! Ich hielt Ausschau nach meinem Gaul und konnte es nicht fassen: Da zappelte doch der Gute hoch oben an der Kirchturmspitze, wo ich ihn festgebunden hatte, bevor – während wir den Schlaf der Gerechten und Ehrlichen schliefen – das Tauwetter eingesetzt hatte.

Mich selber hatte es dabei sozusagen hinunter auf den Kirchplatz getaut … mein Pferd aber hing dort oben und wieherte!

Ach, wie hatte ich Mitleid mit meinem guten Reisebegleiter! Der Arme zappelte hilflos da oben herum und hoffte auf Rettung! Wer kann auch damit rechnen, dass es über Nacht Tauwetter gibt und so ein kleines festes Ding im Schnee die Spitze eines Kirchturms ist!

Natürlich, ich habe daraus etwas gelernt: Künftig werde ich jedes Winzelding im Schnee genauestens prüfen, bevor ich es in Gebrauch nehme – das verspreche ich hiermit hoch und heilig!

Und eines sei noch hinzugefügt: Meinem lieben Pferd half ich schuss… ich meine schlussendlich mit einem Schuss: Ich traf seinen Halfter millimetergenau und das arme Tier landete hart, doch ohne Blessuren direkt neben mir!

*

Und weiter ging die Reise durch Russland – von nun an allerdings ganz gepflegt mit einem Schlitten. Und was geschah, als wir uns in rasanter Fahrt durch Tiefschnee St. Petersburg näherten?

Ein Tier auf vier Beinen, ein leibhaftiger Wolf …, jagte hinter uns her!

Nun sollte ich erst einmal kurz innehalten und etwas über meinen Mut sagen, ihr lieben, verehrten Freunde.

Er ist – das kann ich mit Fug und Recht behaupten – immer schon immens gewesen. Selbst als kleinem Kind grauste es mir nicht und niemals vor Regenwürmern, Spinnen und ähnlichem Getier. Schon damals war mir klar: Ich hätte ja nicht nur mich, sondern in einem Zuge meine ganze berühmte Sippe blamiert, wenn ich nicht jedem Tier furchtlos in die Augen geblickt hätte. So gelang es mir mit magischem Blick, Kaninchen zu hypnotisieren und Fröschen sogar das Quaken auszutreiben – nur einem zähnefletschenden Wolf, dem war ich wahrhaftig noch nicht begegnet!

Was also tun? Ich sorgte für Tempo, für rasantes Tempo! Anders gesagt: Ich rief meinem treuen, gejagten Gaul zu, was die Stunde geschlagen hatte.

Dass der Bursche hinter uns offenbar Hunger hatte – das hatte ich auf den ersten Blick gesehen. Ob es ihn aber nach Menschenfleisch oder nach Pferdefleisch gelüstete – das war bei der rasenden Fahrt nicht so einfach festzustellen …

Wie also war das Problem zu lösen?

Sollte ich etwa vorsichtshalber mein Pferd hergeben, um mein wertes Leben zu retten? Oder etwa umgekehrt? Nein, so sehr ich mein treues Pferd liebte – so ganz freiwillig wollte ich mich nicht für den Guten opfern – das wäre doch zu viel verlangt gewesen!

So begann ich also bei wildester Fahrt zu verhandeln: Ich versprach dem Wolf den fettesten Lammbraten von ganz St. Petersburg und alle anderen Köstlichkeiten … Ich wechselte meine Taktik und rief ihm zu: Ich und mein Pferd hätten gerade die Masern, die Röteln und wahrscheinlich sogar die Pest …

Es nützte alles nichts: Das gierige Tier setzte plötzlich zu einem Riesensprung an, flog über mich und den Schlitten hinweg, erwischte das Hinterteil meines geliebten Pferdes … und bevor ich Weiteres beobachten konnte, fiel ich in Ohnmacht!

Und was sah ich, als ich meine schönen braunen Augen wieder aufschlug?

Das Pferd war verschwunden! Statt seiner lief im Geschirr der Wolf, zog den Schlitten in unbeschreiblich schneller Fahrt, obwohl er ja eigentlich übersättigt sein musste … oder was meint ihr?

Was soll man mehr dazu sagen? Für mein Pferd, das damals schon nicht mehr das jüngste war, war es ein schneller und heroischer Tod. Und für mich ging die Reise, jetzt ohne meinen lieben Begleiter, weiter …

*