Einführung
Zwei Menschen, 50 der eine und 70 der andere, und zwei Lebensläufe, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten. Beide ganz verschieden in Temperament, Herkunft und Prägung. Beide kennen das Leben, aber aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungswelten.
Der eine, in einer Politikerfamilie aufgewachsen, geprägt von Jahren der persönlichen Ausgrenzung und Stigmatisierung sowie der Terrorismusgefahr, persönlich durch Tiefen und Krisen bis zum Scheitern gegangen: Scheidung, familiäre Tragödien, Neuanfang als Unternehmer. Das Leben von Walter Kohl brauchte lange, bis es zur Ruhe kam.
Anselm Grün dagegen wusste schon als Kind, dass er Priester werden wollte. Er ging früh ins Kloster und lebt seit nahezu 50 Jahren in der gleichen Gemeinschaft. Er ging konsequent den Weg monastischer Gottsuche, mit einer scheinbar geradlinigen »Karriere« als Mönch, als Cellerar, der das einfache Leben ins Zentrum stellt und als spiritueller Autor und geistlicher Begleiter von Millionen gelesen und gehört wird.
Was verbindet die beiden? Und was ist das Besondere an ihrem gemeinsamen Buch bzw. daran, wie es zustande kam?
Irgendwann, bei einem Interview zu seinem letzten Buch, hatte Walter Kohl einige Namen genannt, Autoren, deren Texte ihm geholfen hatten, den Weg aus einer persönlichen Krise zu finden, die ihn an den Rand des Suizids geführt hatte. Der stoische Philosoph Seneca aus dem antiken Rom war dabei. Aber auch ein Mystiker wie Nikolaus von der Flüe, der politische Wirkung zeigte, gerade als er sich aus der Öffentlichkeit zurückzog. Oder der Begründer der Logotherapie, der KZ-Überlebende Viktor Frankl, Autor des Buches »Trotzdem ja zum Leben sagen«. Und dann fiel auch der Name Anselm Grün. Ob er ihn kenne? Ja, vor allem seine Schriften: Besonders »Einreden«, über die alten Weisheiten der Wüstenväter. Auch seine Einführung in die Evangelien der Bibel sei ihm wichtig geworden.
Die Wege der beiden hatten sich schon früher gekreuzt, sie hatten sich im Blick behalten, aber richtig kannten sie sich nicht. Und jetzt zeigte sich auf einmal: Es verbindet sie viel, nicht zuletzt der Blick auf das, was wirklich wichtig ist im Leben. Die Frage für ein gemeinsames Projekt war jetzt: Was trägt sie beide? Wohin zeigt der gemeinsame Kompass? Was wollen sie weitergeben?
Es gab intensive, lange Gespräche im Vorfeld der Erarbeitung dieses Buches. Sie fanden im Kloster Münsterschwarzach statt. Und dann stellte sich heraus, dass an diesem Ort verschiedene Fäden zusammenliefen. Münsterschwarzach und die Gegend um dieses fränkische Kloster waren Walter Kohl seit Langem vertraut. Hans Kohl, der Großvater väterlicherseits, stammt aus Greußenheim, einem kleinen Ort nahe Würzburg. Und der Vater war in der Notzeit unmittelbar nach dem Krieg schon als Jugendlicher hier gewesen, als »Lehrling« in der Landwirtschaft. Später kam er wieder. Mit dabei bei den Besuchen im Kloster auch der junge Walter Kohl, zum ersten Mal als Zwölf-, Dreizehnjähriger, der sich bei den ernsthaften Gesprächen der Erwachsenen in erster Linie langweilte. Walter Kohl selber kam später, nach dem Studium und der Bundeswehrzeit, allein und freiwillig, immer wieder für ein paar Tage. Warum er kam? »Einfach nur, um da zu sein, um zu beten, um zu mir selbst zurückzufinden.« Noch heute erzählen sie im Kloster, wie er – damals schon als Tauchlehrer ausgebildet – einem ohnmächtig gewordenen Mönch im Refektorium professionell Erste Hilfe leistete. In der klösterlichen Goldschmiede entstanden die Ringe für seine erste Ehe. Und auch ein längeres Gespräch mit P. Anselm, der damals sein Büro neben der Goldschmiede hatte, ist zumindest ihm noch ganz deutlich in Erinnerung.
Es gab also tiefer reichende Beziehungen, die bei der Arbeit an diesem Buch wieder lebendig wurden, die schnell Vertrautheit herstellten, die das Verbindende in den gegenseitigen Erzählungen lebendig werden ließen, die auch an das rührten, was inzwischen geschehen war.
Die 68er Jahre hatten für Walter Kohl lange Schatten geworfen, weil die Terrorismusgefahren der 1970er und die Projektionen seines Umfeldes als »Sohn vom…« sein Leben lange belasteten, ihn tief an sich zweifeln ließen und letztlich in eine Krise führten, aus der herauszukommen für ihn entscheidend wurde. Durch diese Krise entstanden Einsichten, Erfahrungen und neue Antworten, die er inzwischen weitergibt. Dass – und warum – die spirituelle Dimension bei diesem Mann »von Welt« so sehr dazugehört, ist das eigentlich Überraschende.
Für Anselm Grün waren die 68er Jahre auch eine Zeit der Befreiung: Die Krise der Traditionen wurde zur Chance, den Kern des Mönchtums neu zu entdecken, das Feuer unter der Asche wieder freizulegen. Auch für ihn geht es heute darum, Einzelnen zu helfen, ihr Leben zu gestalten, zu sich selber zu finden. Auch er gibt seine Sicht des Lebens an Menschen weiter, die seinen Rat suchen. Dass auch sehr konkrete Lebenskonflikte für ihn im Kern zu spirituellen Fragen führen, wird auch bei ihm immer wieder deutlich.
Was sind die Lebensthemen, denen man nicht ausweichen sollte? Und was fügt die Fragmente unseres Lebens zusammen? Es ist gefährdet, endlich, brüchig – was trägt es trotzdem?
Beide setzen beim Einzelnen an. Wer sein eigenes Leben in Ordnung bringt, trägt auch dazu bei, dass die Welt sich zum Guten verändert. Schon die alten Mönche wussten das.
Weltfremd ist keiner der beiden, auch der Mönch nicht. Der eine war einmal Investmentbanker an der Wall Street und kennt die Realität des Wirtschaftslebens aus verschiedenen Managementstationen seiner beruflichen Laufbahn von innen. Der andere, jahrzehntelang mit den ökonomischen Problemen eines Klosterunternehmens von mehr als 250 Mitarbeitern verantwortlich betraut, steht ebenfalls mitten im Leben. Aber auch in anderen Fragen redeten sie sozusagen aufeinander zu. Und so ist es ein Buch über ein Grundthema geworden: Wie zu leben wäre, um nicht Flugsand zu sein, nicht nur den eigenen Affekten zu folgen oder bloß Spielball für die Interessen anderer zu werden. Und es ist ein Buch auch darüber, was das heißen könnte: einfach zu leben. Beide reden darüber nicht abstrakt, sondern erzählen offen von sich. Und schlagen von der persönlichen Erfahrung die Brücke zu dem, was aus ihrer Sicht generell ein Leben fundieren und halten kann – auch angesichts äußerer Ansprüche und Zumutungen, angesichts auch von Schicksalsschlägen, Scheitern, Risiken. Und im Wissen darum, dass alles endlich ist.
Anselm Grün und Walter Kohl sind überzeugt: Sich selber auf den Grund gehen und die Grenzen des Ego übersteigen, sich selbst annehmen und sich mit dem Leben anfreunden, sich alle Freiheit nehmen und doch verantwortlich leben – das ist nicht etwas nur für spirituell Hochbegabte oder für Glückskinder. Es ist der Weg der Selbstwerdung für jeden, lebenslang. Dieser Weg ist das Ziel – was immer die Herkunft war, was immer der biographische Ausgangspunkt ist …
Rudolf Walter, Herausgeber