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Über dieses Buch

Am Griller zischt es. Die Dunstabzugshaube röhrt. Pfannen scheppern auf dem Herd. Der Bon-Drucker rattert, die nächsten drei Tische werden annonciert. Konzert einer Küche im Hochbetrieb.

Und Eva Rossmann mittendrin, Köchin aus Leidenschaft. Mit Witz und Verstand schreibt sie über ihr Küchenuniversum:

Köche und Kellnerinnen, Gäste und Lieferanten. Einen aus Syrien in die Küche Geflohenen, den bügelnden Bocuse, Allergikerinnen und Königspudel, die nicht rauchen.

Lese-Genuss pur! (…und das ganz ohne Kalorien…)

Eva Rossmann

MAHLZEIT!

Geschichten aus der Küche

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INHALT

Zur Vorspeise: Grüße aus der Küche

Erzählungen einer Küchenhilfe

Die Angst des Tormanns …

Feuer!

Von schattigen Gastgärten und einem Platz an der Sonne

Bitte zahlen!

Hallo Ober!

Vom Kochen und einem bisschen Bürokratie

Kein Problem. Hussam.

Hauptgang I: Buffet à la mode

Angelegte Kaisergranaten

Unsere Liebeserklärung …

Das Lamm aus Nachbars Garten

Fad-Food

Fleisch & Lust

Teuflische Paradeiser

Königspudel rauchen nicht …

Hauptgang II: Variationen über ein Thema

Bocuse bügelt

Der Promi-Faktor

Mahlzeit!

Von Köchen und Liebhabern

Wo Rauch ist, wird für das Fernsehen gekocht

Zum Dessert: Bittersüßes

Sperrstund’ is … oder zumindest fast

Vom schönen Schein der Sterne

Ein Aufbruch, ein Abschied

ZUR VORSPEISE: GRÜßE AUS DER KÜCHE

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ERZÄHLUNGEN EINER KÜCHENHILFE

samt Anmerkungen vom Buchinger

Das kommt davon, wenn man den Mund voll nimmt. An sich wäre das in Buchingers Gasthaus „Zur Alten Schule“ ja nicht so schlimm, aber ich habe eben nicht nur gern, gut und entsprechend oft dort gegessen, sondern auch mit den Buchingers geplaudert. Und irgendwann einmal machte ich das Angebot, dann, wenn es wieder einmal eng wird, in der Küche einzuspringen.

Ich bin keine gelernte Köchin, ich bin … Hobbyköchin. Und dass das etwas ganz anderes ist, wissen zumindest die Profis.

Alle ham a Hobby, selbst der Frisör kocht, nur ich frisiere mich, aber ich erzähl’s keinem.

Irgendwann also beim Frühstück kam der Anruf. Der Koch ist krank, die eine Küchenhilfe ebenfalls.

Dann, noch in meiner Küche, das erste Zögern. Meine Messer sind großartig, wie fast alle Hobbyköchinnen hab ich einen Drang zur Überausstattung.

Schöne Messer ham s’ ja, aber halten tun sie s’ wie an Fön.

Ist es lächerlich, sie mitzunehmen? Aber die Gelegenheit ist zu günstig. Ich kann sie ja im Auto liegen lassen, und sollte der Buchinger etwas Einschlägiges sagen …

Eine halbe Stunde später stehe ich in seiner Küche und habe wenig Chance, beiläufig über Messer zu plaudern. Er schießt hin und her, der Steamer klingelt, Unmengen von angerösteten Knochen werden in einen großen Topf umgeleert, der Gardemanger aus Ägypten rührt eine Schoko-Marquise zusammen. Ich versuche mit meinen Augen überall zu sein, aber das ist gar nicht so einfach – zumal ich an der Abwasch stehe. Den Platz habe ich selbst gewählt.

Ran mit der Frau ans Spülbecken, aber nein, da stand ja schon ein Primarius, der in der Küche dienen wollte. Und der gegen mich beim Hendlauslösen – Skalpell gegen Ausbeinmesser – verloren hat. Sein Hang zum Danach-wieder-Zusammensetzen raubte ihm alle Chancen zum Sieg.

Trotzdem. Erstens: Angeblich fängt es ja immer mit dem Tellerwaschen an. Zweitens: keine Extrawürste für mich. Drittens: Da war was zu tun. Viertens: Hier kann ich wohl nichts falsch machen. Denkt man sich so. Bis ich den Profi-Spülautomaten gesehen habe. Nach einer kleineren Überschwemmung schleiche ich demütig zu einem grünen Schneidbrett, grün ist fürs Gemüse, ich habe den Auftrag, die Karotten zu schneiden, in Scheiben. Wie dick? Aber bevor ich das fragen kann, ist der Buchinger schon wieder woanders, diesmal am Telefon.

Mein ägyptischer Kollege hilft. Wobei er mir nicht helfen kann, ist das Schneiden an sich. Ich habe mich bislang für relativ flink gehalten. Nun, wo ich’s wie ein Profi machen will, komm ich mir wie gelähmt vor. Krampf in der Hand, mein großes Messer (ja, die habe ich aus dem Auto geholt) zwar superscharf, aber eben irgendwie auch ziemlich groß, unhandlich, der Messerrücken drückt auf meinen rechten Zeigefinger. Weiter. Immerhin hab ich „Kitchen Confidential“ gelesen (auf Anraten des „Chefs“, sozusagen als Vorbereitung auf Kommendes) und weiß, dass in der Küche kein Platz für Wehleidigkeiten ist und Köche, echte Köche (über Köchinnen wird wenig erzählt), stolz sind auf ihre Schwielen, Blasen und Schnittverletzungen.

Gegen Mittag dann die ersten Gäste. Buchinger, der nahezu gleichzeitig eine Menge Töpfe und Pfannen auf dem Herd platziert und mich bittet aufzupassen, dass nichts anbrennt. Ich gehe und suche nach Kochlöffeln. Aber ausgerechnet die scheint es nicht zu geben. Einen finde ich gerade noch rechtzeitig, Buchinger schaut mich groß an

O jessas, den Kochlöffel nur net mitkochen, sonst hamma an Barriqueabgang!

und zeigt mir, dass man Kochlöffel nur selten braucht. Man nimmt den Stieltopf und schüttelt ihn, wendet mit einer einzigen Bewegung aus dem Handgelenk, wie im Vorübergehen, sautiert Gemüse. Wenn man’s kann. Ich bin beflissen, zuerst zu zögerlich, dann zu schwungvoll, Zwiebeln und Karotten landen nur mehr zur Hälfte in der Pfanne.

Am Nachmittag taucht ein Koch auf, der sich für einen Job interessiert. Ob er will oder nicht, eine Viertelstunde später steht er in der Küche und ich zeige ihm, wo gewisse Utensilien zu finden sind. So schnell scheint man in der Küchenhierarchie aufzusteigen, aber der Fall kommt noch rascher und ist gnadenlos. Buchinger bittet um geschnittene Petersilie, ich nehm mein Messer, und drei Sekunden später weiß der Koch, dass ich willig, aber diesbezüglich schwach bin.

Am Abend lerne ich, was es heißt, wenn das Gasthaus voll ist. Ununterbrochen scheinen die Leute vom Serviertrupp zu kommen, „Neuer Tisch!“ zu rufen und einen Bon auf das Magnetbrett zu knallen. Man identifiziert sich ja mit dem Unternehmen, ist froh, dass alles so gut läuft, aber andererseits …

Buchinger jedenfalls kommandiert laut, was zu tun ist, aber was, verdammt, gehört als Beilage zum Saibling? Wo ist der Topf mit dem Bruckfleisch? Und wer hat meinen frisch geschnittenen Schnittlauch versteckt? Außerdem hab ich die zwei Rindsuppen noch nicht vorbereitet und auf den Wildkarpfen für den Salat ganz vergessen, obwohl die Vorspeisen für Tisch 13 schon fertig sind. Wenn Blicke töten könnten. Mir gehen mindestens fünf Hände ab und auch der Kopf scheint in der Hektik immer wieder auszulassen.

Akademische Gedanken haben manchmal ein paar Hirnwindungen zu viel für die erdige Küche, Köche sollen nicht überlegen, sondern agieren.

Buchinger kocht à la minute, schlimmer noch, er hat die „cuisine du moment“ erfunden. Dumme Sache, dass die Anzahl der für mich verfügbaren Momente deutlich geringer zu sein scheint als jene der Bestellungen und Sonderwünsche. Aber daran muss ich eben arbeiten.

Apropos Sonderwünsche: Bisher habe ich mir gedacht, so etwas ehrt die Küche, man zeigt, dass einem gutes Essen nicht einerlei ist. Hier lerne ich, dass plötzlich das pikante Spargelgulyás für Tisch 15 nicht mehr pikant zu sein hat, und zum Fisch auf Tisch 3 gibt es kein Gemüse, sondern Erdäpfelscheiben, dafür soll die Rindsuppe ohne Fleisch, aber mit Frittaten (die wir nicht auf der Karte haben) kommen. Alles kein Problem, wenn da nicht noch dreißig andere Bestellungen am Laufen wären.

Was gehört noch einmal zum Maibockrücken? Vier Brennnesselknödelscheiben aus der gekühlten Lade nehmen, auf dem Grill knusprig machen. Die Wurstkrapferl. Das Gemüse zum Lachs. Das jedenfalls ist fertig, länger schon. „Nein!“, ruft Buchinger. Ich geb zu, die Erbsenschoten waren früher knackig-grasgrün. Jetzt sind sie dumpfgrün-lätschert. Wieder höre ich ein „à la minute“ und dass man die Schoten erst unmittelbar vor dem Servieren dazutun darf. Ich nicke und tu weiter und leere nebenbei das Gemüse weg und mache ein neues. Der nächste Tisch wird angesagt. Acht Personen. Alle haben etwas anderes gewählt. Esse ich, liebe ich es, wenn alle an meinem Tisch Unterschiedliches bestellen. So kann ich vielerlei kosten. Als Küchenhilfe schätze ich Gruppen, sie sich auf ein oder zwei Vorspeisen und ein oder zwei Hauptspeisen einigen können. Immerhin sind wir in einem Haubenlokal, und da gehört nicht nur alles frisch und köstlich, sondern auch jeder Tisch synchron serviert.

„Schaut her, jetzt schwitzt sie, jetzt gehört sie zu uns!“, ruft Buchinger.

Der Schweiß bricht ihr aus dem Gesicht, nicht von der Hitze, vom Ehrgeiz, mindestens so gut wie wir zu sein! Aber vielleicht sollten wir den Ofen doch voll aufdrehen, um ihre Betriebstemperatur zu erhöhen, ein bisserl Cruiseship spielen?

Daheim koche ich bisweilen zehngängige venetische Menüs für acht Personen und bekomme dafür eine Menge netter Worte. Aber was ist das gegen dieses stolze Gefühl, plötzlich aufgenommen worden zu sein?

Bloß dass am nächsten Tag wieder alles anders ist, inklusive der Speisekarte. Wieder bleibt für Erklärungen nicht viel Zeit, ich tu, was mir angeschafft wird (unglaublich, für eine Revoluzzerin wie mich).

Aufstände in der Küche werden demokratisch aufgelöst.

Das Zanderfilet jedenfalls wird wunderschön, wie es sich gehört. Etwas Maisgrieß macht die Hautseite knusprig, der Fisch ist zart, nicht zu lange, nicht zu kurz gebraten. Ich selbst darf ihn auf die Gemüsegarnitur legen.

Fünf Minuten später ist der Fisch zurück. Unberührt. Der Gast habe ihn genau so, wie er auf der Karte gestanden sei, gewollt: gebraten mit Rosmarin, dieses knusprige gelbe Zeug auf der Hautseite wolle er nicht.

Ich hole gerade Luft, um wütend zu lamentieren, da hat Buchinger schon eine zusätzliche Pfanne auf den Herd geknallt. Butter hinein, Fisch geschnitten. „Dann machen wir eben einen neuen“, sagt er bloß. Wenn ich könnte, wie ich wollte … ich würde hinausstarten und dem Typen die Meinung sagen!

Der Gast ist König, der Küchengott hat keine Zeit, um ihn zu ignorieren.

So aber bekomm ich den Auftrag, den Jus abzuziehen. Ich kann leidlich Betten abziehen, aber eine Sauce? Irgendwie denke ich mir schon, dass das etwas mit Binden zu tun haben kann. Aber die Stärke schaut hier schon von der Verpackung her anders aus, Maizena tut’s im täglichen Gebrauch auch, aber wie viel braucht man davon für zwei Liter, ohne eine Leim-Pampe zu bekommen?

„Richt das Entenhaxerl und das Gemüseragout an, ich mach schon“, sagt Buchinger und ist im Lager verschwunden. Okay, aber wo gehört der Jus genau hingegossen? Und wie, verflixt noch einmal, hält eine gefüllte Kürbisblüte mitten auf einem Salatgupf? Lob bekomm ich keines (und das ist auch nicht ganz unverständlich), dafür eine Brandblase.

Früher, als Lehrlinge, haben wir in der Zimmerstunde mit unseren Wunden vom Mittagsgeschäft geprahlt, so hatten wir etwas zum Plaudern. Denn täglich Jerry Cotton, das war zu viel

Buchinger liebt es, Stielpfannen mit einem stinknormalen Teller zuzudecken, wenn er den Inhalt ganz rasch braucht. Man versuche einmal einen glühend heißen Teller von einem Topf inmitten eines Großherdes zu nehmen. Ich jaule auf, Tränen schießen mir in die Augen, ich rase zum Waschbecken und tauche meine rechte Hand in kaltes Wasser. Niemand hat etwas gesehen. Einfach zurück und weitertun und Zähne zusammenbeißen. Bis heute versteh ich nicht, was diese Methode mehr (außer eben Brandblasen) bringen soll als einer der üblichen Deckel, aber vielleicht sind geniale Köche eben auch dazu da, uns immer wieder Rätsel aufzugeben.

Woche zwei. Ich starte früh. Die Sonne lacht aufs Weinviertel und kurz überlege ich, wie schön es wäre, die nächsten Stunden im Garten zu verbringen.

À la mode, sie sagen Toskana vor den Alpen, ich bin hier aufgewachsen und in die Welt gependelt, es war Österreichs Hinterhof, Hinterhof war für Kinder immer ein seliger Begriff und steht für Erwachsene als geruhsam, ganz so ist es nicht, es gibt viel zu sehen, viel zu entdecken, weinige Erlebnisse, das große Weinbaugebiet lockt

Und dann die Überraschung: Christian, der Koch, ist zurück. Absurde Enttäuschung. Jetzt braucht mich hier wohl keiner mehr, baba und ab an die Sonne. Aber aus irgendeinem Grund kann man mich doch brauchen und schon steh ich wieder am Herd und versuche, schneller zu werden, besser, nichts zu vergessen, nicht ins Schwimmen zu kommen. „Bei uns ist jeden Tag Muttertag!“, brüllt Buchinger gut gelaunt als Ansporn für alle durch die Küche, dann singt er als Hommage an unsere unermüdliche Küchenhilfe Silvia noch einige Takte aus „Sylvia’s mother says, Sylvia is busy“, der Laden läuft, die Anzahl der Bons an der Wand wächst. Wo ist das Linsenpüree? Meine Spargelsuppe wird besonders schaumig. Sie geht hinaus und ist damit schon wieder vergessen. Dagegen ist der Tagesjournalismus eine langfristige Sache. Eine Zeitung von gestern. Ein Maibock von vor fünf Minuten. Vergessen. Die Gegenwart zählt.

Apropos Muttertag: Vor dem hab ich mich nach diversen Schauergeschichten schon etwas gefürchtet. Doch an diesem Tag schien allen klar zu sein, dass es besser ist, zu reservieren und dann auch zur vereinbarten Zeit da zu sein. Wär das bloß immer so. Der Wermutstropfen war, dass eine Zwölfergruppe einfach nicht erschienen ist. Storno wie im Reisebüro gibt es keines, auch wenn der Tisch am Muttertag natürlich gut und gerne ein paar Mal verkauft hätte werden können.

Muttertag: „Mama, iss, mir ham jo zohlt“, dröhnt noch zehn Jahre später in meinem Kopf, essen, miteinander essen, heißt Rücksicht nehmen und ist ein Teil unserer Kultur, auch am Muttertag.

Irgendwann einmal gegen Abend geht sich eine halbe Stunde auf der Terrasse aus. Ein Glas Cidre aus Obersdorf. Plötzliche Idylle. Grüne Weinhügel. Ruhe. Vögel singen. Meine Fingernägel sind schmutzig, kaum mehr sauber zu bekommen. Die Brandblase schmerzt immer noch. Am Abend sind wir wieder ausgebucht. Allein der Gedanke beschleunigt meinen Puls.

„Ich tät auch gern einmal in der Küche helfen, was braucht man dafür?“, hat mir ein anderer Stammgast vor einigen Tagen zugerufen. Mit der Überheblichkeit eines alten Küchenhasen hab ich mir gedacht, der stellt sich das so einfach vor. „Dafür muss man schon etwas verrückt sein“, war meine Antwort und alle am Tisch haben gelacht.

Aber man muss dafür wohl wirklich etwas verrückt sein, ein Freak, andere machen als Hobby Bungee-Jumping. Ich krieg die Höhen und Tiefen, den Speed und den Kick ganz ohne Gummiseil. Und dann ist da auch noch das Ergebnis. Hätte ich dafür Zeit, mir würde immer wieder das Wasser im Mund zusammenlaufen. Jedenfalls: Solange man mich Amateurin duldet, werd ich mit dabei sein. Irgendwie hat es mich gepackt. Ich bin eben ein bisschen verrückt.

Zwei Hände mehr sind einfach zwei Hände mehr.

DIE ANGST DES TORMANNS

Darauf wäre Handke wohl nie gekommen, als er seinen Roman geschrieben hat. Dass „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ zur geflügelten Redewendung wird. Unter anderem bei uns in der Küche. Dann, wenn es mehr Reservierungen als Plätze gibt. Dann, wenn gleichzeitig jemand im Service und jemand in der Küche ausfällt, ich zu einer Lesung sollte und Buchinger vereinbart hat, die große Hochzeit zu besprechen. Dann, wenn die beiden großen Tische, die unbedingt à la carte essen wollten, statt im Stundentakt gleichzeitig eintreffen. Und Karel und Maria dringend mehr Speisekarten brauchen und der Drucker wieder einmal spinnt.

Vor allem aber gibt es diesen Moment. Diese seltsame Ruhe, bevor es losgeht. Man hat vorbereitet. So gut und so schnell es möglich war. Mise en place, das Zauberwort, das sich auch in Zeiten der Schäumchen und Texturen nie grundsätzlich geändert hat, das für den Schnitzelwirtn genauso gilt wie für den Dreihauber. Der Gemüsefond ist heiß, die Rindsuppe geklärt und abgeschmeckt. Der Zwiebel geschnitten und die Velouté bereit, der Sauce à la minute etwas Bindung zu geben. Im Niedertemperaturgerät wartet die Entenbrust auf ihre Bestimmung, die Steaks von Krexners Superrind liegen im Kreta-Olivenöl. Der Grill ist heiß. Jenny bringt die blauen Erdäpfel-Chips zum Pass. Julia hat die Kräuter vorbereitet, ein feuchtes Stück Küchenpapier darunter, eines darüber. Estragon und Oregano, Rosmarin und Bohnenkraut. Alles aus dem Garten. In einer halben Stunde werden sie durcheinander liegen, Chaoswiese. Ich weiß es. Ich habe es oft genug erlebt. Trotzdem. Jetzt beruhigt die Ordnung. Vor dem Sturm.

Es ist Sonntagmittag. Oder Freitagabend. Auf der einen Seite immer ein großer Unterschied: Da die Familien, die gemeinsam essen, aber nicht immer geeint sind. Der Vater wollte zum Buchinger, die Mutter möchte bloß nicht selbst kochen, die Tochter wäre lieber ins Stadtwirtshaus gegangen und der Sohn ist sowieso genervt, weil er mit seinen Kumpels verabredet war. Die Oma findet, da ist es zu teuer, und die Tante erzählt von einer Bekannten, die gehört habe, hier seien die Portionen winzig. Der Einwand, dass diese Bekannte gut und gerne hundert Kilo wiege, wird abgeschmettert. Und dann bringt Karel statt des Apfelsafts mit lauwarmem Wasser einen Apfelsaft mit kaltem Wasser – dazu soll man dann in ein Haubenlokal? Dass er irritiert war, weil die Familienähnlichkeit durch kreative Umbestellungen bewiesen wurde, gilt ihnen nicht als Entschuldigung. Und dass das Lokal gesteckt voll ist, schon gar nicht. Man kann sich doch vorbereiten, oder? Nur dass man Servierkräfte weder klonen noch vervielfältigen kann. Während Freitagabend: Meist Menschen mit mehr Zeit, die gern gut essen. Dafür aber auch Besonderes. Und der Doktor hat schon überall gespeist, will nun vergleichen und tut das auch. Ausgiebiger, als das die anderen am Tisch brauchen. Maria wird als hübsch und freundlich klassifiziert, aber dass es keine Weinkarte gibt, sondern man aufstehen muss, um sich die Flaschen anzusehen, konveniert weniger. Immer der Buchinger mit seinen Spinnereien. „Begehbare Weinkarte“. So was. Die Servierkraft müsste dann die Weine im Kopf haben, ist wohl nicht zu viel verlangt. Unser Rudi hätte ihm gesagt: „Was ich nicht habe in Kopf, Sie müssen haben in Beinen“ und wäre mit Dinner-for-one-Gehumpel abgegangen. Aber unser Rudi ist schon eine Zeit im Ruhestand, kommt nur noch hin und wieder, um am Nachmittag Petersil zu zupfen („Das beruhigt! Bin ich immer noch nervees!“) und alte Geschichten zu erzählen.

Was den Sonntagmittag mit so einem Freitagabend verbindet, sind Gewissheit und Ungewissheit. Wir wissen, wir sind voll. Eigentlich mehr als voll. Wir können bloß hoffen, dass zwei der früh eingetragenen Tische rechtzeitig gehen, damit die beiden spät eingetragenen Tische gleich einen Platz haben. Ansonsten können wir nur beten, dass sich die Zweitbelegung daran erinnert, bei der Reservierung gemeint zu haben, es sei gar kein Problem, einige Minuten zu warten. Was wir nicht wissen: Kommen die Gäste so, wie sie eingetragen sind? Bringen sie Ärger mit oder Freude? Haben sie Hunde und sitzen neben ihnen Hundefreunde? Allergiker? Werden sie Lamm essen oder wollen sie plötzlich alle das Surschnitzel, das wir nicht auf der Karte haben? Was bedeutet das hingeschmierte „3 veg“ neben den zehn Personen, die unser „Running Weinviertel“ bestellt haben? Vegetarisch? Vegan? Niemand kann sich erinnern, es hingeschrieben zu haben. Keine Zeit für halbwissenschaftliche Schriftgutachten. Jedenfalls sind wir überschaubar viele. Weil trotz der vielen Arbeitslosen offenbar die wenigsten in der Gastronomie Gas geben wollen. Zehn Gänge für drei Personen von zehn am Tisch vegan oder vegetarisch. Es gibt Dinge, die kann man nur herankommen lassen. Für ALLES ist man ohnehin nie gewappnet.

In zwanzig Minuten beginnt die Küchenzeit. Ist quasi, um einen weniger literarischen Sportvergleich zu nehmen, Formel-1-Start. Von null auf hundert. Zumindest wenn man dem Reservierungsbuch trauen darf. Yolanda hat die Erdäpfel geschält, bringt sie Jenny. Julia stellt die Salatmarinaden bereit, checkt das Käsebrett.

„Die ersten sind schon da!“, ruft Maria herein und stellt sechs Amuse-Gueule auf ein kleines Tablett. Jetzt nur nichts sagen, befehle ich mir. Ich weiß, wie Buchinger reagiert, wenn ich „Was machen die schon da?“ rufe. Oder einfach und schlicht: „Scheiße!“ Weil die Morcheln noch nicht fertig blanchiert sind. Weil der Zander noch nicht portioniert ist. Weil er die Veltliner-Beurre-blanc dazu unbedingt selber machen wollte, davon aber nichts zu sehen ist. Weil … Jedenfalls mag er es nicht und es kann schon sein, dass er mit einem „Willst alle nervös machen, nur weil du Angst hast?“ kontert. „Angst?“, würde ich empört antworten, „Ich hab keine Angst! Ich bereite vor! Und die Idioten sind erst in einer halben Stunde eingetragen!“ Und … er könnte wieder etwas darauf sagen, weil er … Weil er vielleicht auch etwas nervös ist. Wir müssen es ja nicht Angst nennen. Und bevor genau das passiert, halte ich den Mund. Niemand soll sagen, ich hätte nichts gelernt in meinen Küchenjahren. Auch wenn es nicht immer funktioniert. Und: Hat ja Vorteile, wenn sie früher da sind. Haben wir einen Tisch weniger zu versorgen, wenn der große Ansturm kommt. WENN er kommt.