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1. Auflage 2016
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Die Originalausgabe erschien 2015 bei systemed unter dem Titel Heilkraft D – Wie das Sonnenvitamin vor Herzinfarkt, Krebs und anderen Krankheiten schützt. © 2009–2015 by systemed Verlag, Lünen. Alle Rechte vorbehalten.
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Redaktion: systemed Verlag, Lünen
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Umschlagabbildung: Shutterstock.com
Gestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Satz: Georg Stadler, München
ISBN Print 978-3-86883-888-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-233-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-234-7
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Im Jahre 2009 waren die Studien zur Heilkraft von Vitamin D noch einigermaßen überschaubar. Es folgte bald ein wahrer Vitamin-D-Hype in der Forschung wie auch in den Medien. Als ich vorhin das Stichwort »Vitamin D« in die größte Datenbank für hochrangige gesundheitsorientierte wissenschaftliche Veröffentlichungen (PubMed) eingab, wurden für das Jahr 2009 insgesamt 2.296 Fachartikel zum Thema dokumentiert – Studien, Meta-Analysen und Kommentare. Für das gerade abgelaufene Jahr 2015 wurden allerdings 4.350 Treffer angegeben. Das belegt, wie sehr das Interesse an diesem Thema zugenommen hat. Spaßeshalber habe ich alle in PubMed gelisteten Veröffentlichungen von Anfang 2010 bis Ende 2015 addiert und komme auf schier unglaubliche 21.709 neue Veröffentlichungen seit der 1. Auflage meines Buches.
Die Leser mögen vor diesem Hintergrund verstehen, dass es unmöglich ist, alle wichtigen Einzelheiten zu den neuen Erkenntnisse hier in eine Neuauflage einzubauen. Ich kann aber versichern, dass ich das Thema ständig so weit verfolgt habe, um einen guten Überblick zu behalten und zu erkennen, ob sich Wesentliches gegenüber meiner Darstellung geändert hätte.
Fakt bleibt: Vitamin D ist eine lebenswichtige Substanz, die wir nur in geringsten Mengen mit der Nahrung aufnehmen und deshalb umso mehr auf die Eigenproduktion unter Mitwirkung des Sonnenlichts angewiesen sind. Nach wie vor verhindert unser moderner Lebensstil in der industrialisierten Welt, im Sommerhalbjahr so viel Vitamin D in der Haut zu bilden, wie es nötig wäre, um das Winterhalbjahr ohne Einnahme von Vitamin-D-Supplementen ohne Mangel zu überbrücken.
Vitamin D wirkt als Hormon, das Tausende Gene aktiviert. Man schätzt inzwischen, dass bis zu 5 % unseres gesamten Genoms über das Vitamin-D-Hormon »angeknipst« werden. Unzureichende Versorgung ist folglich ein Risikofaktor – und das für fast alle Zivilisationskrankheiten. Das hat sich in Hunderten neuer Beobachtungsstudien weiter bestätigt. Und aktuelle Analysen unter Einbeziehen genetischer Faktoren (Mendel’sche Randomisierung) lassen den Schluss zu, dass die meisten beobachteten Zusammenhänge tatsächlich ursächlicher Natur sind.
Dennoch wird immer noch über die Bedeutung von Vitamin D gestritten. Einige Experten subsumieren das Thema unter den allgemeinen »Vitamin-Hype« und negieren die biologisch herausragende Bedeutung nach dem Motto, man müsse weder messen noch supplementieren. Sie ignorieren dabei die nachgewiesene Mangelversorgung in der Bevölkerung. Unterstützt wird ihre Haltung durch die Tatsache, dass zahlreiche placebokontrollierte Studien nicht die Erwartungen für Vitamin-D-Gaben erfüllt haben – das heißt, dass in Bezug auf viele Fragestellungen die Supplementation nicht besser abgeschnitten hat als ein Placebo.
Wie erklärt sich diese Diskrepanz? Selbst die Spitzenforscher haben dazu noch keine eindeutige Erklärung. War die Dosis nicht hoch genug? Wurden die Präparate richtig eingesetzt? Wurde nicht lange genug supplementiert? Waren die Studienteilnehmer richtig gewählt?
Andererseits gibt es einen weltweiten Konsens, dass die Mindestversorgung allein schon für die Knochengesundheit unabdinglich ist – sonst kommt es zu Knochenerweichung und frühzeitigem Knochenabbau. Die Untergrenze der Versorgung wird bei einem Blutspiegel von 20 ng/ml 25-Hydroxy-Vitamin-D (25OHD) gesehen. Diese Mindestversorgung wird aber von rund 60 % der Bevölkerung im Jahresmittel nicht erreicht, im Winterhalbjahr sogar von rund 80 %! Diese Fakten allein sollten ausreichen, um die Bevölkerung zum Messen des Vitamin-D-Spiegels zu animieren und ihr bei Bedarf eine Supplementation anzuraten. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung vorgeschlagene Dosis von 800 Internationalen Einheiten (I.E.) reicht aber ohne Sonnenbestrahlung oder den Konsum von mit Vitamin D angereicherten Nahrungsmitteln nicht aus, um die Masse der Erwachsenen adäquat zu versorgen.
Da die Risiken für manche Erkrankungen bereits unterhalb eines Blutspiegels von 30 ng/ml zu steigen beginnen, setzen sich viel Experten für diesen Zielwert ein, vor allem weil gleichzeitig die Erreichung nicht das geringste Risiko mit sich bringt. Neue Analysen zeigen, dass die meisten Erwachsenen zur Erreichung dieses Blutspiegels wohl eher 1.000 bis 2.500 I.E. pro Tag als Frau und eher 2.000 bis 4.000 I.E. als Mann benötigen. Je mehr Körpermasse und je mehr Übergewicht, desto höher muss man dosieren, um diesen Zielwert zu erreichen.
Ganz wichtig: Vitamin D muss man zu einem fettreichen Essen einnehmen, sonst wird es im Dünndarm nicht resorbiert. Das ist ein weit verbreiteter Grund dafür, dass viele trotz Supplementierung ihren Zielwert nicht erreichen. Und Vorsicht: Viel hilft nicht viel – sondern schadet oft! Steigt der Vitamin-D-Spiegel über 40 ng/ml, steigen offenbar auch manche Risiken. Genauso ist vor Mega-Dosen zu warnen!
Lassen Sie sich von der Natur leiten! Bis zu 20.000 I.E. pro Tag kann die Haut selbst aufbauen. Solch eine Dosis verwendet man aber über kurze Zeit zum Aufsättigen, sofern der Vitamin-D-Spiegel im Keller ist. Danach geht man zu einer Erhaltungsdosis über, die für die meisten Erwachsenen im Bereich zwischen 1.000 und 4.000 I.E. pro Tag liegen dürfte – eine Menge, die unsere Haut nach wenige Minuten ungeschützter Sonnenbestrahlung bei hohem Sonnenstand im Sommerhalbjahr erreichen kann und völlig unbedenklich ist.
München im Januar 2016
Dr. Nicolai Worm
Vorwort zur Neuausgabe
Es ist genau zehn Jahre her, dass ich ein Buch zum Thema Ernährungs- und Lebensstil und Zivilisationskrankheiten schrieb. Mein Verlag nannte es dann »Syndrom X oder Ein Mammut auf den Teller!«. Der Titel war zwar nicht mein Favorit, aber so ist es nun mal als Autor. »Mammut statt Müesli« hätte mir besser gefallen. Jedenfalls verfasste ich damals für dieses Buch ein Kapitel – das hieß und heißt immer noch »Wart’ nicht, bis es dunkel ist«.
Darin schrieb ich am Ende zusammenfassend: »… die Erforschung der Vitamin-D-Hypothese, so faszinierend sie auch sein mag, steckt immer noch in den Kinderschuhen. Bis wir Konkreteres wissen, sollten wir uns aber schon einmal darüber Gedanken machen, ob es sehr gesund sein kann, wenn wir den ganzen Tag in Bürobunkern hocken, um abends nach getaner Arbeit mit dem Lift zur Tiefgarage zu fahren und im geschlossenen, klimatisierten Auto mit Polaroidscheiben die Tiefgarage des Eigenheims oder des Fitnessclubs anzusteuern, wo wir entweder im Dunkeln drei Runden um den Block joggen oder bei greller Neonbeleuchtung auf dem Laufband traben. Bewegung soll ja bekanntlich gesundheitsförderlich sein – aber vielleicht sollten Sie damit nicht warten, bis es dunkel ist.«
Im Jahre 2009 steckt die Erforschung der Vitamin-D-These nicht mehr in den Kinderschuhen. Wir wissen heute viel mehr, und wir können viel sicherer präventiv und therapeutisch eingreifen. Das Thema ist in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Publizistik in erstaunlicher Geschwindigkeit in den Vordergrund gerückt. Die zahlreichen gesundheitlichen Vorteile durch ausreichende Sonnenbestrahlung und adäquate Vitamin-D-Versorgung sind nunmehr auf hohem Niveau dokumentiert. In Deutschland haben sich seit langer Zeit vor allem der Privatdozent Dr. Stephan Scharla aus Bad Reichenhall und Privatdozent Dr. Armin Zittermann aus Bad Oeynhausen verdient gemacht. In jüngerer Zeit war es auch Prof. Winfried März aus Heidelberg und seine Kollegen an der Universität Graz in Österreich die Doktores Stefan Pilz und Harald Dobnig. In der Schweiz hat vor allem Frau Professor Bischoff-Ferrari aus Zürich in den letzten Jahren mit Ihren Forschungsarbeiten das Thema voran gebracht.
Pflanzen ohne Licht gehen ein – Menschen auch! Das ist – kurz gefasst – das Resümee der Wissenschaft. Glaubte man bislang, dass die Bedeutung von Vitamin D nur in der Vorbeugung und Behandlung von Knochenerkrankungen und Tuberkulose läge, so weiß man inzwischen, dass es viel mehr kann als das. In den letzten Jahren hat sich Revolutionäres getan. Als Professor Michael Holick aus Boston vor etwa 20 Jahren entdeckte, dass Vitamin D nicht nur im Knochen wirkt und den Tuberkelbazillus umbringt, sondern auch überall im Körper in Muskel- und Nervengewebe, in den Blutgefäßwänden und in Immunzellen spezielle Wirkungsstellen für Vitamin D existieren, wurde man höchst aufmerksam. Seitdem kommt man Schritt für Schritt weiter.
In den letzten drei Jahren sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse förmlich explodiert. Es sind Hunderte neuer Arbeiten erschienen. Während ich hier dieses Buch schreibe, kommt fast täglich eine weitere Veröffentlichung hinzu. Immer mehr präventivmedizinische und therapeutisch wirksame Empfehlungen zur Vitamin-D-Versorgung lassen sich nun absichern. In den folgenden Kapiteln habe ich den Stand der Erkenntnisse zusammengefasst. Ich hoffe, dass es mir gelungen ist, sie in eine Sprache zu verpacken, die auch für Laien verständlich ist. An dieser Stelle möchte ich mich bei Dr. Imke Reese, Dr. Klaus Peeck und Ulrich Nigge für die kritische Durchsicht meines Manuskriptes und die vielen wertvollen Anmerkungen besonders bedanken.
Beim Thema Vitamin D geht es um praktisch alle Zivilisationskrankheiten. Von der unzureichenden Versorgung ist nahezu jeder betroffen. Das Bewusstsein dafür ist in der Bevölkerung bislang so gut wie nicht vorhanden. Da die Gesundheitspolitiker und Meinungsbildner in Sachen Ernährungswissenschaft diese Mangelversorgung epidemischen Ausmaßes in der Bevölkerung bislang offenbar verschlafen, möchte ich die neuen Erkenntnisse mit diesem Buch einem breiten Publikum vermitteln und Wege zur persönlichen Prävention oder Behandlung aufzeigen.
Seit dem ersten Erscheinen dieses Buches sind Hunderte neue Studien erschienen, die die Bedeutung des Sonnenvitamins weiter untermauern. Die wichtigsten Aspekte, Argumente und Neuentwicklungen habe ich für Sie im letzten Kapitel »Vitamin-D-Updates 2011« zusammengefasst.
München im Frühjahr 2009 und 2011
Dr. Nicolai Worm
Der große Unbekannte: Viele gesundheitsbewusste Menschen kennen ihren Cholesterinspiegel und viele andere Werte. Der Vitamin-D-Wert war jedoch auch bei vielen Fachleuten bislang keine Größe, die es zu erfassen galt. Dabei kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Vitamin D – von der Sonne in der Haut gebildet – zentrale Aufgaben im Körper verrichtet.
Sicherlich kennen Sie Ihren Cholesterinspiegel. Und wahrscheinlich auch Ihren Blutdruckwert. Wenn Sie dieses Buch interessiert, dann gehören Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den besonders gesundheitsbewussten Menschen. Wenn Sie durchschnittlich alt und durchschnittlich übergewichtig sind, dann werden Sie wahrscheinlich mit beidem hadern. Vor allem der Cholesterinspiegel sitzt uns seit Jahren drohend im Nacken. Ihn endlich zu senken, das versuchen Sie vielleicht seit Jahren schon. Mit enthaltsamer Diät, mit modernen Medikamenten? Aber: Kennen Sie auch Ihren Vitamin-D-Spiegel?
Wenn ja, dann gehören Sie zu den Null-Komma-Soundsoviel Prozent, die sich bereits über ihren Vitamin-D-Spiegel Gedanken gemacht haben. Ansonsten rate ich Ihnen hiermit, dass Sie damit tunlichst und schleunigst beginnen sollten. Sie nehmen das nicht wirklich ernst? »Wieder so ein Wundervitamin«, denken Sie vielleicht. Wahrscheinlich haben Sie sogar schon einmal mit diesem Vitamin Bekanntschaft gemacht, in der Kindheit. Früher gab es den guten Lebertran, in jüngerer Zeit Vigantol oder ein anderes Vitamin-D-Präparat als Prophylaxe für Rachitis. Tatsächlich war dank des bitteren Fischtrans vor langer Zeit die Volkskrankheit Knochenerweichung und Knochenverkrümmung schon einmal ausgemerzt. Sofern Sie im fortgeschrittenen Alter sind, wird Ihr Arzt Ihnen vielleicht ein Kombipräparat von Calcium und Vitamin D verschrieben haben, um das drohende Risiko der Knochenentkalkung, der Osteoporose, so lange wie möglich hinauszuzögern.
Seit jüngster Zeit weiß man, dass das Vitamin noch viel mehr kann. Vitamin D dient im Körper als eine Art chemischer »Zentralschalter«. In mehr als 30 Geweben und Organen unseres Körpers hat man spezielle Bereiche gefunden, an die nur dieses Vitamin andocken kann, um spezifische chemische Botschaften zu übertragen. Es knipst Hunderte von Genen an, wie Lichtschalter, damit alle ihre genetischen Anlagen zum Ausdruck kommen. Bleiben die Schalter unbetätigt, bleiben ihre Möglichkeiten verborgen.
Verspüren Sie bereits etwas mehr Interesse an Ihrem Vitamin-D-Spiegel? Wenn ich Ihnen jetzt versichere, dass die Höhe Ihres Vitamin-D-Spiegels mehr darüber aussagt, ob Sie ein erhöhtes Risiko haben an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben als Ihr verflixter Gesamtcholesterinspiegel – vielleicht dann?
Sie sollten auch noch wissen, dass Sie ganz allgemein ein erheblich erhöhtes Risiko haben, vorzeitig aus dieser Welt zu scheiden, wenn Ihr Vitamin-D-Spiegel niedrig ist. Mit niedrig meine ich allerdings nicht das, was – falls Sie denn wirklich schon einmal Ihren Spiegel haben bestimmen lassen – auf Ihrem Laborbericht als niedrig eingeschätzt wird. Aber dazu im Verlauf dieses Buches mehr. Ein niedriger Vitamin-D-Spiegel ist ein Risikofaktor für eine der am meisten gefürchteten Erkrankungen bei uns – für Krebs! Brustkrebs, Darmkrebs, Prostatakrebs und viele mehr treffen Sie wesentlich wahrscheinlicher bei niedrigem als bei hohem Vitamin-D-Spiegel. Und selbst wenn Sie das Glück haben, weder Herz- oder Hirninfarkt noch Krebs zu bekommen, dann haben Sie bei unzureichendem Vitamin-D-Spiegel immerhin noch die verschärfte Chance an Typ-1- oder Typ-2-Diabetes, an Rheuma, Osteoporose, Knochen- und Muskelschwäche, an Rachitis, Grippe, Tuberkulose, multipler Sklerose, Parkinson, Autismus, Depression oder an Schizophrenie zu erkranken. Und zu guter – oder sollte ich sagen schlechter – Letzt: Als schwangere und stillende Frau gefährden Sie nicht nur sich selbst, sondern ihr Kind gleich noch dazu.
Das alles sind Zivilisationskrankheiten, die uns vermehrt blühen, wenn wir nicht ans Licht gehen, wenn wir uns nicht genügend der Sonne und ihrer UV-Strahlung aussetzen. Die Sonne ist das Lebenselixier. Sonnenlicht heißt Vitamin-D-Versorgung. Sonnenlicht ist die vierte Säule der Gesundheit: bedarfsdeckende Ernährung, regelmäßige Muskelaktivität, ausreichend Schlaf und – welch Überraschung – genügend Sonnenlicht.
»Sonne soll gesund sein?« fragen Sie sich jetzt vielleicht. Das Gegenteil wird doch ständig verbreitet. »Sonne ist schädlich«, tönte es die letzten Jahrzehnte aus allen Ecken. Möglicherweise gehören Sie zu jenen, die in Sachen Sonne besonders vorsichtig waren und sind. Wie viele Millionen anderer Menschen haben Sie die Botschaften der Anti-Sonne-Lobby gehört, aufgegriffen und entweder die Sonne bewusst gemieden oder wenigstens immer einen Hut aufgezogen und sich dick mit Sonnenschutz eingeschmiert? Prima – damit haben Sie Ihr Risiko für einige Formen weniger gefährlicher Hautkrebse gemindert – aber das Risiko des schwarzen Hautkrebses, des brandgefährlichen Melanoms, leider sogar erhöht! Weltweit schützen sich Jung und Alt immer konsequenter gegen die Sonnenstrahlen, und gleichzeitig steigt die Melanomrate an. Ein Zufall? Nein, eher nicht, sondern eine Konsequenz aus dem konsequenten Sonnenschutz. Denn der Sonnenschutz »schützt« Sie auch vor der Bildung von Vitamin D. Aber Vitamin D ist auch ein Hautschutzvitamin!
»Vitamin D kann man doch über die Nahrung bekommen«, mögen Sie einwerfen. Können Sie schon. Aber nicht genügend. Nicht einmal annähernd. Um nicht zu sagen: Sie haben keine Chance. Selbst mit der »besten Vollwertkost« wird es Ihnen nicht gelingen, eine adäquate Versorgung zu erreichen. Schlimmer noch: Gerade damit nicht! Wenn Sie es schaffen, täglich fetten Fisch zu essen, am besten getoppt mit Dorsch-, Wal- oder Robbenleber, dazu reichlich Eier, Butter, Sahne, fetten Käse und Rindsleber, dann verbessern sich Ihre Chancen deutlicher.
Aber erstens soll das ja alles angeblich so ungesund sein, weil es von tierischem Fett und Cholesterin trieft, und zweitens fürchte ich, dass die Begeisterung für diese Kost nicht lange vorhalten wird. Interessiert Sie jetzt Ihr Vitamin-D-Spiegel? Aufgepasst: Falls Sie nicht mehr der oder die Jüngste sind, wenn Sie gar übergewichtig sind und wenn Sie immer fleißig arbeiten, im Büro oder sonst wo vom Sonnenlicht abgeschirmt, geschweige denn, sie arbeiten nächtens und schlafen tagsüber, oder Sie sind ein Nordlicht und meiden den Urlaub im Süden – spätestens dann sollten Sie es sich schleunigst überlegen.
Bevor Sie sich nun um Ihre Gesundheit Gedanken machen und Überlegungen anstellen, wie Sie Ihren Vitamin-D-Bedarf decken können, sollten Sie eine solide Basis dafür haben. Die heißt: Blutentnahme und Bestimmung der 25-Hydroxy-Vitamin-D-Konzentration in Ihrem Blut. Wenn Sie das Ergebnis vor sich liegen haben, sollten Sie das nächste Kapitel studieren und nachlesen, was diese Werte zu bedeuten haben: Sie werden erfahren, wie man sie in gängige Einheiten umrechnen kann und welche Werte in Bezug auf etwaige Zufuhrempfehlungen
wesentlich sind.
Für viele Ärzte ist es Neuland: Die Bestimmung des Vitamin-D-Spiegels im Blut ist keine gängige Kassenleistung – und doch die Voraussetzung für eine qualifizierte Ermittlung des Bedarfs. Die bisherigen Mindestwerte werden der Bedeutung des Vitamins nicht gerecht – die vielen neu entdeckten Funktionen erfordern eine Neuorientierung mit einer Anpassung der Normwerte.
Bevor es mit der spannenden Vitamin-D-Story losgeht, sind noch ein paar Zahlen und Werte zu klären. Denn der Ausgangspunkt aller persönlichen Verhaltensänderungen sollte die objektive Beurteilung Ihrer Vitamin-D-Versorgung sein. Wie bestimme und beurteile ich diesen Vitamin-D-Status? Wie können Sie wissen, ob Sie genügend oder zu wenig Vitamin D im Körper haben, um all die vielen davon abhängigen Körperfunktionen optimal zu stützen? Eine eindeutige Auskunft darüber kann nur eine Blutuntersuchung geben. Ernährungsanalysen sind völlig ungeeignet, etwas über Ihre eigentliche Versorgung auszusagen!
Bei der Blutwertbestimmung misst man üblicherweise nicht das eigentliche Vitamin D, das auch Cholecalciferol oder kurz Calciol genannt wird, sondern seine Speicherform, das 25-Hydroxy-Vitamin-D, auch als 25-OH-D oder 25OHD abgekürzt. Der Grund ist einfach: Diese Speicherform hat mit 19 Tagen eine recht lange Halbwertszeit. Das heißt es bleibt drei Wochen im Körper stabil. Der 25OHD-Spiegel gibt also am ehesten die Vitamin-D-Versorgung des Körpers während der letzten Monate an. Würde man das ursprüngliche Vitamin D messen, hätte man nur eine Auskunft über die Versorgung der letzten Stunden oder Tage. Entsprechend sollte die Blutentnahme am besten morgens nüchtern erfolgen. Sonst könnte vielleicht wegen einer außerordentlichen Ernährung in den letzten Stunden vor dem Blutzapfen ein unrealistischer Wert gemessen werden.
Ich möchte aus Gründen der Vereinfachung den 25OHD-Spiegel im Blut von nun an nur noch 25D beziehungsweise 25D-Spiegel nennen. Wenn es um die Versorgung geht, bleibt es bei der Bezeichnung Vitamin D.
Nach der Blutentnahme misst das Fachlabor die Konzentration von 25D. Das Ergebnis kann in unterschiedlichen Einheiten angegeben werden: entweder in Nanogramm pro Milliliter (ng/ml), in Mikrogramm pro Liter (μg/l) oder in Nanomol pro Liter (nmol/l).
Ein Beispiel: Das Labor schickt Ihnen das Ergebnis, und es findet sich darauf die Angabe 28 ng/ml. Das heißt die Konzentration von 25D in Ihrem Blut beträgt 28 Nanogramm pro Milliliter. Die alternative Angabe in Mikrogramm pro Liter ändert nichts am Wert: 28 µg/l wären exakt die gleiche Konzentration wie 28 ng/ml.
Wenn der Befund aber in Mol beziehungsweise in Nanomol angegeben ist, müssen wir mit dem Faktor 2,5 umrechnen.
Es gilt:
nmol/l 25D : 2,5 = ng/ml 25D
oder
nmol/l 25D : 2,5 = µg/l 25D
Will man also einen Befund von Mol in Gramm umrechnen, muss man durch 2,5 dividieren:
Beispiel: 70 nmol/l 25D : 2,5 = 28 ng/ml 25D
Will man einen Befund von Gramm in Mol umrechnen, was für unsere Betrachtungen weniger relevant ist, muss man mit 2,5 multiplizieren:
Beispiel: 28 ng/ml 25D x 2,5 = 70 nmol/l 25D
Das Labor wird auch noch anzeigen, ob sich Ihr Befund im Normbereich oder darüber beziehungsweise darunter befindet. Viele Labors geben folgende Werte an:
normal: 20,0–60,0 ng/ml
leichter Mangel: 10,0–20,0 ng/ml
schwerer Mangel: < 10,0 ng/ml
Allerdings lässt sich trefflich darüber streiten, ob eine Konzentration von 20 ng/ml wirklich als »normal« angesehen werden kann. Wie man auf die Idee kam, diesen Wert zu wählen, werden wir später noch beleuchten. Inzwischen weisen immer mehr führende Forscher darauf hin, dass bei Werten unter 30 ng/ml bereits manche Funktionen des Körpers nicht mehr optimal ablaufen und folglich gesundheitlich schon bedenklich wären. Dazu später mehr.
Eines ist unbestritten: Bei 25D-Werten unter 10 ng/ml sollten wirklich alle Alarmglocken läuten. Das deutet auf einen schweren Vitamin-D-Mangel hin. In diesem Fall entkalken die Knochen mit ziemlicher Sicherheit ganz gewaltig. Osteoporose, die schmerzhafte Osteomalazie und Knochenbrüche können die direkte Folge sein. Viele andere Risiken kann man leider nicht so schnell und einfach feststellen …
Nach moderner Sichtweise gilt folgende Einteilung:
Die Blutanalyse kostet, von Labor zu Labor unterschiedlich, meist im Bereich von 25 bis 35 Euro. Es ist dabei einerseits wichtig, den richtigen Vitamin-D-Wert bestimmen zu lassen, also die Speicherform 25D (25-Hydroxy-Vitamin-D) und nicht etwa die aktive Form 1,25D (1,25-Dihydroxy-Vitamin-D), die für den Vitamin-D-Status des Organismus keine Aussagekraft besitzt und nur bei bestimmten Grunderkrankungen von Interesse ist. Da Vitamin-D-Bestimmungen im medizinischen Alltag zurzeit eher noch ein Schattendasein fristen, ist andererseits vielen Niedergelassenen der besondere Umgang mit dem Probenmaterial nicht geläufig: Das Blutentnahmeröhrchen muss sofort nach der Blutentnahme lichtdicht eingewickelt werden – üblicherweise wird dazu Alufolie verwendet – und bis zur Messung im Labor in dieser Verpackung verbleiben, weil sich Vitamin D unter Lichteinfluss zersetzt und falsch niedrige Messwerte resultieren können.
Der Hausarzt könnte den Vitamin-D-Wert zwar auch auf Kassenkosten bestimmen lassen, wenn er eine geeignete Begründung angibt. Er wird es aber nur selten machen, weil er damit sein Laborbudget belastet und bei einer Überziehung die Kosten dann gegebenenfalls selbst übernehmen müsste. Wer will es dem Arzt verübeln, wenn er Ihre Untersuchungen nicht aus eigener Tasche bezahlen will, weil er von der Kasse in Regress genommen wird? Man fragt sich allerdings, warum die Kassen das nicht routinemäßig bezahlen – könnten sie doch Kosten in Milliardenhöhe einsparen, wenn alle Mitglieder ausreichend mit Vitamin D versorgt wären.
Am ehesten kommt für Sie wohl die Vitamin-D-Bestimmung als sogenannte IGeL infrage. Dieses Kürzel steht für »Individuelle Gesundheitsleistungen«. Das sind Leistungen, die über das vom Gesetzgeber definierte Maß einer »ausreichenden und notwendigen Patientenversorgung« hinaus gehen und daher von den gesetzlichen Krankenversicherungen nicht gedeckt werden. Ärzte dürfen sie aber ihren gesetzlich krankenversicherten Patienten gegen Selbstzahlung anbieten. Der Patient muss vor Erbringung der Leistung über Kosten und Nutzen aufgeklärt und derart beraten werden, dass er die Möglichkeit hat, sich frei für oder gegen das Angebot zu entscheiden.
Was eine fachkundige Beratung auf dem Gebiet Vitamin D angeht, bin ich allerdings sehr skeptisch: Ich gehe davon aus, dass die meisten Ärzte heute immer noch nicht über die große präventive und therapeutische Bedeutung einer adäquaten Vitamin-D-Versorgung aufgeklärt sind. Die Erkenntnisse sind relativ neu und in ihrer Ausbildung an der Uni wird das keine Rolle gespielt haben. Ich habe in den letzten beiden Jahren in meinem Umfeld viele Ärzte und auch Ernährungsberater auf die Vitamin-D-Story angesprochen. Ich habe nur einen Einzigen gefunden, der sich der Relevanz und Brisanz des Themas bewusst war!
Sie müssen also womöglich Ihre ganze Überredungskunst einsetzen. Vielleicht leihen oder schenken Sie auch Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin dieses Buch, damit diese/r sich ein Bild machen kann.
Gehen wir mal vom Idealfall aus und Ihr Arzt oder Ihre Ärztin ist aufgeklärt. Wenn man bei Ihnen zu niedrige oder nicht optimale 25D-Spiegel feststellt, muss therapiert werden. Wie viel, wie lange und auf welche Weise dann Vitamin D zugeführt werden muss, sollten Sie zusammen mit Ihrem Arzt entscheiden. Im letzten Kapitel sind Therapiehinweise abgedruckt, die ich von Prof. Michael Holick, einem der führenden Experten auf der Welt, aus seiner Fachveröffentlichung im New England Journal of Medicine (aus dem Jahr 2007) übernommen habe.
Auf alle Fälle müssen Sie ein paar Monate nach Beginn der Therapie noch einmal eine Laborbestimmung durchführen, um den Erfolg der Therapiemaßnahmen zu überprüfen. Nur so können Sie sicher sein, dass Sie nicht immer noch viel zu wenig 25D im Körper haben und die Dosis erhöht werden muss. Andererseits müssen Sie sich ja auch vergewissern, dass Sie nicht zu viel Vitamin D abbekommen haben. Wobei das Risiko einer Überdosierung bei fachgerechter Therapie verschwindend gering ist.
Nun kommen wir noch zu ein paar anderen Kennzahlen, den Zufuhrempfehlungen. Da Vitamin D ja offiziell unter die Rubrik Vitamine fällt, wird es als essenzieller Nährstoff bezeichnet. Entsprechend wird eine Empfehlung angegeben. Das ist in der Tat lustig, denn Vitamin D ist gar kein Vitamin. Es wurde nach seiner Entdeckung im Jahre 1918 fälschlicherweise der Gruppe der Vitamine zugeschlagen, denn es erfüllt weder die Voraussetzung, ein essenzieller Nährstoff zu sein, wie wir noch diskutieren werden, noch enthält es die für die Vitamine namensgebende stickstoffhaltige Amingruppe. Dennoch geben Ernährungsfachgesellschaften exakte Vorgaben für die »empfehlenswerte Tageszufuhr« mit der Nahrung – als wäre es ein »echtes« Vitamin.
Wie viel Vitamin D brauchen wir – über die Nahrung? Die Ernährungsfachgesellschaften in Deutschland, Österreich und in der Schweiz empfehlen 5 Mikrogramm (μg) Vitamin D pro Tag. Nur Kleinkinder, Stillende und über 65-Jährige sollen 10 μg täglich zuführen. Aktuelle Leitlinien in den USA empfehlen täglich 5 µg für Kinder und jüngere Erwachsene, 10 µg für 50–70-Jährige und 15 µg für über 70-Jährige. Diese Empfehlungen gelten prinzipiell nur für Gesunde. Bei einem festgestellten Mangel gelten sie ausdrücklich nicht. Höhere Dosierungsempfehlungen werden zurzeit nur für Säuglinge im ersten Lebensjahr und eventuell noch im zweiten Winter ausgesprochen: Sie sollen täglich eine Tablette mit 12,5 µg Vitamin D3 zur Rachitisprophylaxe einnehmen.
Oftmals werden die Zufuhrempfehlungen nicht in Mikrogramm, sondern in Internationalen Einheiten (I. E.) angegeben. Sie können beides ganz leicht umrechnen:
1 µg = 40 I. E.
1 I. E. = 0,025 µg
Eine Menge von rund 5 µg = 200 I. E. Vitamin D ist beispielsweise in 250 g Champignons enthalten. Eine wichtige Vitamin-D-Quelle ist auch Fisch: 100 g Thunfisch liefern etwa 5 µg, 100 g Hering sogar rund 23 µg = 920 I. E. Vitamin D.
In der Tat würde die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlene Menge von 200 bis 400 I. E. ausreichen, um klassische Vitamin-D-Mangelerscheinungen wie Knochenerweichung (Rachitis und Osteomalazie) zu vermeiden. Reicht das aber für all die anderen neu entdeckten Funktionen des Vitamin D ebenfalls aus? Unter welchen Bedingungen und unter welchen nicht? Wie viele Menschen bei uns erreichen diese Empfehlungen überhaupt? Wie hoch ist zurzeit die durchschnittliche Zufuhr? Diese Fragen werden wir noch ausführlich diskutieren.
Vorab sei schon mal gesagt: Bei niedrigem Vitamin-D-Spiegel muss man therapeutische, also sehr hohe Dosen einsetzen. Der präventivmedizinische, also der therapeutisch sinnvolle und damit wirksame Bereich liegt mit Sicherheit sehr weit über den Bedarfszahlen.
Für den Rest dieses Buches werde ich als Kennzahlen die gebräuchlichsten Einheiten verwenden:
Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) für die Blutwerte und Internationale Einheiten (I. E.) für die Zufuhr.
Vitamin D, das Vitamin, das eigentlich gar keines ist, spielt für unzählige Körperfunktionen eine wichtige Rolle. Wir nehmen es auch mit der Nahrung auf, den größten Teil jedoch bildet unsere Haut selbst – genügend Sonneneinstrahlung vorausgesetzt. Und da liegt das Problem: Oft sind die Speicher im Herbst schon leer – das Risiko für viele Zivilisationskrankheiten steigt.
Vitamin D ist eine überaus spannende Substanz. Bislang völlig unterschätzt, erkennen immer mehr führende Wissenschaftler auf der ganzen Welt, dass ohne Vitamin D nichts funktioniert, bei wenig Vitamin D wenig und erst bei reichlicher Vitamin-D-Versorgung das Leben rund läuft.
Wie bereits in Kapitel 2 angesprochen, unterscheidet sich das Vitamin D allein schon dadurch von allen anderen Vitaminen, dass es gar kein Vitamin ist! Denn definitionsgemäß sind Vitamine, wie alle anderen essenziellen Nährstoffe, Substanzen, die der Körper selbst nicht herstellen kann, die er aber zum Leben benötigt und die ihm daher zugeführt werden müssen. Vitamin D kann man aber selbst herstellen! In der Haut – und zwar aus Cholesterin plus Sonne! Etwa 90 bis 95 Prozent unseres Vitamin-D-Vorrats im Körper werden selbst produziert. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Versorgung ausreichend oder unzureichend ist. Denn 95 Prozent von »zu wenig« bleibt »zu wenig«! Voraussetzung für eine optimale Versorgung ist, dass man genügend vom richtigen Sonnenlicht zur Verfügung hat. Aber das ist für uns hier in Mitteleuropa mit dem heutigen Lebensstil ein Problem, wie wir im nächsten und übernächsten Kapitel noch ausführlich erörtern werden.
Vitamin D wird auch über die Nahrung aufgenommen. Bei uns stammen etwa zehn Prozent der Gesamtversorgung aus der Nahrungskette. Es gibt übrigens auch Menschen und Völker, bei denen es umgekehrt ist. Das sind all jene Zeitgenossen, die dort leben, wo die Sonne im Winter so gut wie nicht und im Sommer viel zu kurz und mit viel zu geringer Intensität scheint. Wenn sie überleben wollen, müssen sie sich etwas einfallen lassen. Was essen diese Menschen?
Prinzipiell kommen für die Vitamin-D-Abdeckung über die Nahrung vor allem tierische Nahrungsmittel infrage. Sie liefern das gleiche Vitamin D, das auch der Mensch selbst bildet. Das ist kein Zufall, denn alle Wirbeltiere benötigen ebenfalls Vitamin D, damit sie gesund bleiben. Sie synthetisieren es in gleicher Weise mithilfe des Sonnenlichts aus Cholesterin in ihrer Haut. Wenn Sie also das nächste Mal eine Eidechse beim Sonnenbaden beobachten, sollten Sie sie nicht stören. Das könnte deren Gesundheit gefährden.
Selbst wenn Tiere mit Fell oder Federn bedeckt sind, ändert das nichts am System. Denn auch sie können wundersamerweise das Vitamin D genau dort in gleicher Weise bilden und dann aufnehmen. Zum Beispiel Ihre Schmusekatze: Immer, wenn sie sich putzt, wird das Cholesterin aus dem Haarfett über das ganze Fell verteilt. Dann muss sie sich möglichst ausgiebig in der Sonne räkeln. Durch Sonnenlicht wird das Cholesterin in ihrem Fell in Vitamin D umgewandelt. Wenn sie sich das nächste Mal selbst oder vielleicht den verliebten Nachbarkater leckt, führt sie sich die nötige Dosis Vitamin D zu! Kein Wunder, dass sich Katzen von Sonnenstrahlen sofort magisch zum Sonnenbaden aufgefordert fühlen. Schlechte Karten hat nur die Wohnungskatze. Denn bei fehlendem Sonnenlicht und hinter dicken Scheiben wird kein oder nur wenig Vitamin D gebildet, und die Katzen bekommen die gleichen Zivilisationskrankheiten wie wir Menschen, wenn wir auch ein Schattendasein fristen.
Es gibt Hinweise aus der älteren wissenschaftlichen Literatur, dass auch beim Menschen im cholesterinreichen Talg nach einem Sonnenbad viel Vitamin D vorliegt und mit der Zeit resorbiert werden würde. Der Talg ist das menschliche Hautfett und hält das Haar und die oberste Schicht der Haut, die Hornschicht, geschmeidig und dient dem Schutz vor Hautkrankheiten, Krankheitserregern, Chemikalien und anderem. Die Talgproduktion ist also von großer Bedeutung für das Hautmilieu, aber vielleicht auch für die Vitamin-D-Versorgung. Einige Fachleute empfehlen bereits, sich nach dem Sonnenbaden unter freiem Himmel oder im Solarium nicht sofort zu waschen – zumindest nicht mit Seife. Wasser allein löst den Talg nicht von der Haut ab – Seifen schon. Das machen wir so gerne, damit wir anschließend wieder Fett auf die Haut auftragen dürfen. Die Kosmetikindustrie soll ja schließlich auch leben.
Wenn wir tierische Nahrungsmittel äßen, vor allem Innereien wie Leber und Niere, also die tierischen Gewebe, in denen das Vitamin umgebaut und aktiviert wird, und tierisches Fett, dem wichtigsten Speicherplatz für Vitamin D, dann hätten wir eine zumindest erwähnenswerte Nahrungsquelle. Auch Eier und Milch müssen Vitamin D enthalten, damit der Nachwuchs gedeiht. Großtechnisch wird Vitamin D übrigens auch aus tierischen Produkten hergestellt. Die Pharmaindustrie verwendet dazu Wolle oder genauer das darin enthaltene Wollfett Lanolin, das bestrahlt, weiterverarbeitet und extrahiert wird, um schließlich als Präparat angeboten zu werden. Dies erklärt, warum Veganer, also strenge Vegetarier, die prinzipiell keine tierischen Produkte akzeptieren, Vitamin-D-Präparate häufig ablehnen. Tierisches Vitamin D heißt übrigens genau genommen Vitamin D3.
Auch Pflanzen enthalten eine cholesterinähnliche Substanz namens Ergosterol, die in ihren Außenschichten mithilfe von Sonnenlicht und Wärme in das pflanzliche Vitamin D umgewandelt wird. Dieses unterscheidet sich nur minimal vom tierischen Vitamin D und heißt ganz korrekt Vitamin D2. Wenn wir diese Pflanzen essen, können wir das enthaltene Vitamin D2 gleichfalls verwerten. Allerdings sind die Vitamin-D2-Gehalte in den meisten Pflanzen äußerst gering, sodass sie zur Versorgung so gut wie keinen Beitrag leisten. Die große Ausnahme sind Pilze. Gewisse Pilze sind sogar recht gute Quellen: So liefern 100 g frische Shitake-Pilze 100 I. E. Vitamin D2, womit etwa 50 Prozent des »Tagesbedarfs« abgedeckt wären. Wobei über die Bedeutung der üblichen Angaben zum Bedarf jedoch gestritten werden darf und in diesem Buch auch noch herzlich gestritten werden wird. Die Tatsache, dass Pilze so effektiv Vitamin D2 bilden, wird ebenfalls großtechnisch genutzt. Zur Produktion von D2-Präparaten oder Nahrungssupplementen bestrahlt man Pilze, löst das Vitamin D2 aus ihnen heraus und arbeitet es in Präparate ein.
Nachdem D2 und D3 aus der Nahrung über unsere Dünndarmschleimhaut aufgenommen und über das Lymphsystem in den Blutkreislauf abgegeben wurden, gelangen beide zur Leber. Das Vitamin D aus der Eigenproduktion in der Haut wird ebenfalls zur Leber transportiert. Sie ist unser wichtigstes Stoffwechselorgan. Alle drei Vitamin-D-Arten münden dort in den gleichen Stoffwechselweg. Wir werden uns deshalb von hier ab alle Zusatzbezeichnungen sparen und jede Art der Zufuhr, sei es über die Cholesterinumwandlung durch Sonnenlicht oder über tierische oder pflanzliche Produkte, nur noch mit Vitamin D bezeichnen.
Die Leber wandelt alles Vitamin D schnell in eine Transport- oder Speicherform um, die wir mit 25D abkürzen (siehe voriges Kapitel). Es wäre schließlich nicht sinnvoll, wenn alles Vitamin D ständig im Blut kreisen würde. Allerdings verbleibt nur ein Teil in der Leber. Der viel größere Teil wird weitergeschickt und gelangt dorthin, wo sich fettlösliche Vitamine am wohlsten fühlen – ins Fettgewebe. Dort wird es als Reserve für schlechte Versorgungszeiten aufbewahrt. Wer viele gut gefüllte Fettzellen besitzt, hat aus diesem Grund bei gleicher Zufuhr auch mehr von seinem Vitamin D im Fettgewebe gespeichert. Dicke haben deshalb weniger Vitamin D im Kreislaufsystem als schlanke Menschen. Das ist natürlich ein weiterer gravierender Nachteil von Übergewicht und erhöht das Erkrankungsrisiko dicker Menschen. Das 25D gelangt von der Leber auf dem Blutweg auch zur Niere. Dort wird es in die biologisch aktive Form umgewandelt, in das 1,25-Dihydroxy-Vitamin D oder auch Calcitriol – offiziell mit 1,25(OH)2D abgekürzt. Der Einfachheit halber erlaube ich mir, für dieses aktive Vitamin D, das im Endeffekt all die wunderbaren Gesundheitswirkungen in den Zellen auslöst, die Abkürzung 1,25D zu verwenden. Das 1,25D gehört zur Gruppe der Steroidhormone, wie auch Cortison. Das lässt schon einiges erwarten. Jetzt ist es also geklärt: Vitamin D ist im Grunde ein Pro-Hormon oder Hormonvorläufer, und sobald es aktiviert wurde, ein echtes Hormon!
Die »klassischen« Hormone sind chemische Botenstoffe, die in dafür spezialisierten Geweben – den Hormondrüsen – gebildet, direkt ins Blut abgegeben und über diesen Weg an ihren Wirkungsort transportiert werden. In ihrem Zielgebiet haben manche Körperzellen an der Außenseite spezifische Andockstellen für Hormone, sogenannte Rezeptoren. Mithilfe dieser Andockstellen werden die Hormone in die Zellen eingeschleust, oder es werden Signalkaskaden angestoßen, die bis in den Zellkern hinein wirken. Auf diesem Weg lösen Hormone die Bildung spezieller Stoffe aus, die das Verhalten der Zellen lenken und verändern. Auf diese Weise steuern Hormone unsere Körperfunktionen und greifen in den Stoffwechsel ein. Beispielsweise fördern oder hemmen sie das Wachstum, lassen uns empfängnisbereit werden oder kinderlos bleiben, erhöhen oder senken den Blutdruck, lassen uns nervös oder ruhig sein und entscheiden vielleicht sogar darüber, ob wir eher dick oder eher dünn sind. Hormone sind also Botenstoffe, die eine Information in ihrer chemischen Struktur eingeprägt haben, um sie an bestimmte Zielzellen weiterzugeben.
Zurück zum Vitamin D: 1,25D steht für das aktivierte Hormon, den eigentlichen Stoff, um den es sich dreht, wenn die gesundheitliche Wirkung diskutiert wird. Die Abkürzung 25D hingegen steht für die inaktive Speicher- und Transportform. Und Vitamin D meint das, was wir mit fettem Fisch oder über Nahrungssupplemente zu uns nehmen oder beim Sonnenbaden in der Haut produzieren.
Wir waren bei der Aktivierung von 25D zu 1,25D in der Niere. Von hier aus wird das aktivierte Hormon wieder in den Blutkreislauf geschickt. Es gelangt zum Dünndarm, zur Nebenschilddrüse und zu den Knochen, aber auch wiederum zurück zu bestimmten Nierenzellen. In all diesen Zielzellen dockt das 1,25D an seinen spezifischen Rezeptor an. Es wird in die Zellen geschleust und löst nun die oben erwähnten Reaktionen aus, die die Funktion des Gewebes steuern. Am besten erforscht und deshalb am bekanntesten sind die Effekte auf den Knochen. Hier reguliert 1,25D den komplexen und überaus wichtigen Calciumhaushalt. Im Dünndarm stimuliert 1,25D die Aufnahme und den Transport von Calcium durch die Schleimhaut ins Kreislaufsystem. Im Knochen reguliert es sowohl die Einlagerung oder, wenn nötig, auch eine Ausschüttung von Calcium. In der Niere stimuliert es die Rückresorption von Calcium. Näheres dazu werden wir im Kapitel über »Harte und weiche Knochen« erfahren.
In jüngster Zeit sind außer der Niere noch 36 weitere Gewebe identifiziert worden, die einen spezifischen Rezeptor für 1,25D besitzen. Das aktive Vitamin D ist in all diesen Geweben für das einwandfreie Funktionieren wichtig: in Knochen, Nieren, Nebenschilddrüse – und in den Dünndarmschleimhautzellen sowieso – aber auch in Muskeln, Knorpeln, Pankreas, Prostata, Haut, Brustdrüsen, Eierstöcken und Plazenta, sowie in Gefäßwand-, Leber-, Dickdarm-, Immunabwehr- und Nervenzellen – um nur einige der wichtigsten zu nennen.
Von der Niere wird ständig eine gewisse Menge 1,25D ausgeschieden und im Blut in der nötigen Konzentration gehalten. Fällt der 1,25D-Spiegel ab, so wird mehr produziert und weniger ausgeschieden. Ist er zu hoch, wird weniger produziert und die Ausscheidung gesteigert.
Besonders spannend und erhellend ist die neue Entdeckung, dass viele Gewebe das 1,25D sogar selbst aus der Speicherform 25D aufbauen können und gar nicht von der Versorgung über die Niere abhängig sind. Die Haut-, Dickdarm, Nerven-, Gefäßwand-, Hirn-, Brustdrüsen-, Pankreas-, Nebenschilddrüsen-, Prostata-, Plazenta- und Immunabwehrzellen holen sich das 25D über eigene Rezeptoren in die Zelle und wandeln es direkt in das aktive 1,25D um. Dabei verwenden diese Gewebe das 1,25D nur für sich selbst und schicken es nicht in das Kreislaufsystem.
Die Haut kann als einziges Gewebe sogar alles: Aus Cholesterin Vitamin D herstellen, es in die Speicherform 25D verwandeln und auch noch zum 1,25D aktivieren. Das heißt, dass die Haut offenbar ganz besonders darauf angewiesen ist, gut mit Vitamin D und seinen schützenden Wirkungen versorgt werden muss. Wir werden sehen, warum.
Inzwischen sind über Tausend Gene in 37 verschiedenen Geweben und Organen identifiziert worden, die durch 1,25D aktiviert werden. Das bedeutet: Überall dort können unsere genetisch fixierten Anlagen erst dann zum Zuge kommen, wenn sie durch 1,25D dazu angeregt werden! Es gibt fast keinen Bereich in unserem Körper, der nicht auf das 1,25D angewiesen ist.
Wichtige Funktionen von 1,25D sind beispielsweise eine korrekte Zellausbildung und die Steuerung der Apoptose – des programmierten freiwilligen Zelltods, wenn Zellen einmal entartet sind. Andererseits werden von 1,25D auch die ständige Anpassung des Immunsystems und die Kontrolle anderer Hormonsysteme im Körper beeinflusst, wie zum Beispiel die Insulinproduktion und Insulinwirkung. Ich schließe mich in meiner Einschätzung gerne den Spitzenforschern an: Vor allem die Antikrebswirkung ist absolut faszinierend.
Wenn der Körper mit 25D ausreichend versorgt und genügend davon gespeichert ist, sind die Voraussetzungen für eine optimale Funktion erfüllt. Die Speicher in Leber, Fettgewebe, Haut und Muskulatur reichen für zwei bis vier Monate, je nachdem, wie gut sie gefüllt waren. Bei uns in Europa sind sie typischerweise im Spätsommer am vollsten. Viele von uns legen aber im Sommer nur ungenügende Speicher an, weil die Sonne nicht scheint oder weil wir sie meiden: Die Speicher gehen schon ab Oktober oder November zur Neige. Vor allem nützt es im Spätherbst in unseren Breiten nichts mehr, sich noch mal in die Sonne zu legen. Wenn die Sonne wieder tiefer steht, ist in Sachen Vitamin-D-Produktion nichts mehr nachzuholen, was man im Sommerhalbjahr versäumt hat.
Sind die Speicher leer, was bei uns allen im Winterhalbjahr mehr oder weniger erwartet werden kann, wird es kritisch: Bereits unterhalb eines 25D-Blutspiegels von 30 ng/ml beginnen erste Gesundheitsrisiken. Unter 20 ng/ml werden die Risiken schon deutlich. Und unter 10 ng/ml sind Schäden zwingend. Einzelheiten dazu werden nun kapitelweise erörtert. Aber an dieser Stelle sei schon einmal verraten: Unsere übliche Unterversorgung mit Vitamin D ist ein gewaltiger Risikofaktor für praktisch alle unsere Zivilisationskrankheiten.
Ein Dogma fällt: Sonnen schadet nicht, es nutzt der Gesundheit – ein vernünftiges Maß vorausgesetzt. Gebräunte Haut schützt vor der Sonne und auch vor schwarzem Hautkrebs. Hellhäutige Menschen bilden in der Sonne sehr schnell eine erhebliche Menge Vitamin D, bei dunkelhäutigen dauert die Bildung der gleichen Dosis ein Vielfaches länger: Hautfarbe, Wohnort und Jahreszeit haben entscheidenden Einfluss auf den Vitamin-D-Spiegel.