Bruders Bekenntnis


Erstes Kapitel

(Beginnt mit einer nachdenklichen Betrachtung, über die sich streiten läßt)

Nicht jeder kann ein Mensch sein. Möchte es nicht einmal. Ich selbst habe es mir nie gewünscht. Vielleicht, weil ich mein ganzes Leben mit Menschen verbracht habe. Geliebkost oder mit Füßen getreten. Unbeachtet unter Tisch oder Sofa, je nach ihrer Laune.

Nicht, daß ich sie hassen lernte. Nur bedauern. Mitleid aber führt zur Liebe.

Manches lernte ich ihnen ab. Vieles hätte ich sie zu lehren gewünscht. Ihr Hochmut verhinderte dies. Aber noch heut, grau geworden an Brust und Schnauze, bekümmert mich dies. Betrübt es mich, daß sie es nicht aufgeben, vom ersten Atemzug an nur für das Später zu sorgen, zu opfern. Alles zu erforschen suchen, nur nie die Stunde, in der sie leben. Der Sprung durch den Augenblick, verständen sie ihn noch, sie würden vor Jubelgebraus wenigstens wieder lernen, mit den Ohren zu wackeln. Da sie nicht mehr den ausdrucksvollen Körperteil zu eigen haben, der uns aller Schwierigkeiten verschiedener Sprachen enthebt, uns ohne Grammatik überall Verständigung finden läßt.

Besonders einstmals bedachte ich dies. Damals, als mein geliebter Herr vier lebendige und zwei tote Sprachen erlernen mußte. Zu einer Zeit, als sich unsre Muskeln streckten und reckten und wir beide am liebsten Tag und Nacht über Stock und Stein gesprungen wären.

Ich lag unter seinem Pult. Ein Freund genießt nicht ohne den andern.

Ich war dreiviertel Jahr alt, als wir gelernt hatten, in fünf Sprachen fehlerfrei den griechischen Satz zu übersetzen: »Arbeite, Eselchen, wie ich gearbeitet habe.« ...

Zehntes Kapitel

(Bruder tut, was Pflicht und Instinkt ihn gelehrt. Nicht begreifend, daß auch das Richtige falsch sein kann)

Vom menschlichen Standpunkt aus hatte Onkel Tom gewiß recht gehabt. Jedoch nicht für jemand, der für alle wachen muß. Kaum, daß mein eines Ohr eingeschlafen war, mußte ich alle beide spitzen. Ein Geräusch war da. Aus dem Gesindehaus schlüpfte jemand heraus. Bevor ich halte anschlagen können, war Elvira, die schmale Zofe der gnädigen Frau, bei mir. Sie balancierte eine Wurst vor meiner Schnauze, während sie mich mit raschem Griff an die Kette gelegt hatte. Im gleichen Augenblick huschte ein Mann aus ihrer Kammertür ... Hinaus und fort durchs Gittertor. Ich bellte auf und zerrte an meiner Kette.

»Kusch,« schrie irgend jemand im Haus mit verschlafener Stimme.

Elvira lachte leise auf, löste meine Kette und war schon wieder im Haus, ehe ich mir klar geworden, ob ich berechtigt wäre, zuzubeißen. Ich knurrte eine Weile. Ich war geärgert und beunruhigt.

Eingeschlafen mußte ich schließlich doch sein. Denn der Hahn weckte mich. Morgennebel kitzelte um meine Schnauze. Ich streckte mich und reckte mich auf. Ich fühlte wieder nichts als Freude.

Allem Getier ging es ebenso. Die Hennen platzten beinah vor Eierstolz. Die Gänse schnatterten erregt. Sie kümmern sich um alles, was sie nichts angeht. Die Tauben girrten einfältig. Sie sahen nur sich. Genau wie die Katzen. Diese beleckten im Morgensonnenstrahl jedes Härchen ihres Fells. Sie schnurrten in tiefster Zufriedenheit.

Das war in der Küche nicht der Fall. Trotzdem es hier wärmer war als in der Frühsonne draußen. Und schon der Duft von gewärmtem Kaffee und süßer Milch die Schnauze umstrich.

Dazwischen roch es allerdings, als habe man einer Gans die Federn versengt. Es war jedoch die dicke Lina. Sie hatte sich die Haare verschönern wollen und sich dabei einen Teil davon verbrannt.

Sie brummte »lieber gar kein Morgen, als solch ein Morgen« und schlug fortwährend Fliegen tot.

Das ärgerte mich. Das war eine Zerstreuung, die ich besser verstand. Darum auch mehr Vergnügen daran hatte. Nichts ist behaglicher, als ausgestreckt zu liegen und dann und wann eine Fliege zu schnappen, die aus Vorwitz jede Vorsicht vergessen. Mir scheint, daß die Menschen ähnliche Empfindungen spüren, wenn sie rauchen oder Zeitung lesen.

Die schmale Elvira kam mit einem Krug und ließ Wasser hineinprasseln, daß die Ohren brausten. Auch sie war geärgert. Die gnädige Frau hatte sie gefragt, woher sie blaß unter den Augen ausschaue? Wer gab der gnädigen Frau das Recht dazu? Mensch ist Mensch. Durfte man nicht einmal schlecht träumen, ohne daß es im Gesindebuch vermerkt würde?

Ich umschnupperte Elvira. Ich erinnerte mich der nächtlichen Wurst. Sie war vorzüglich gewesen.

Elvira lachte auf. Als erinnre sie sich bei meinem Anblick auch an etwas Angenehmes. Sie bespritzte mich mit Wasser. Ich bellte. Sie lachte wieder und lief davon. Ich jagte ihr nach. Wir sprangen über die Wege des Gartens, bis die Klingel der Gnädigen geplatzt zu sein schien von ununterbrochenem Läuten.

Die Zunge hing mir weit zum Hals heraus, als ich plötzlich meinem geliebten Herrn zwischen die Beine lief.

Meine Freude ging wieder ins Übermaß. Ich sprang ihm bis zur Schulter.

Er fand mich abscheulich aussehend. Er rief, ein junges Mädchen könne sterben vor Schreck, wenn sie meiner plötzlich ansichtig würde.

Er wehrte ab. Erst lachend, dann böse. Er war besorgt, daß ich ihn beschmutzen könne. Unter dem einen Arm hatte er seine Bücher. Er nahm den Unterricht nicht mehr im Haus. In der rechten Hand hielt er eine langgestielte Rose in dünnem Papier. Ich witterte Hetes Hauch, der ihn umhüllte. Schnee und Kälte kamen meiner Schnauze in Erinnerung. Und der Geschmack von Schokolade.

Ich umsprang meinen geliebten Herrn. Bellte, um ihm dies begreiflich zu machen. Beleckte seine Stiefel, da ich nicht hochspringen durfte. Er lächelte wieder weit geradeaus. Er stieß mich erst zurück, als ich ihm auf die Straße folgen wollte ...

Viele Morgen wiederholte sich dies. Unverändert. Nur der Erdboden wurde jedentags wärmer, würmerreicher, würziger. Lebendiges wollte hinaufsteigen. Die Schnauze wurde nicht fertig mit Schnüffeln.

Solchentags pfiff mir der Herr Senator. Verließ mit mir den Garten und befahl: »Herrchen suchen.«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich stürmte vorwärts. Direkten Wegs zu einem großen Steinhaus, aus dem das Gemurmel des Unterrichts heraussurrte.

Die Spur führte weiter. Die Steine unter den Füßen hörten auf. Es ging am Fluß entlang. Glicht lange und ich ließ die Erde unter meinen Füßen stieben, als wäre ich ein Roß. Auf dem Balken der Böschung saß mein geliebter Herr. Dicht neben ihm Hete. Ich sauste zwischen sie. Mit vollstem Freudengebell.

Hete schrie auf. Mein geliebter Herr schalt. Er war besorgt, daß ich Hete zu sehr erschreckt hätte.

Hete lachte nur. Sie streichelte mich und fragte, ob ich Dummer denn den Achim etwa lieb hätte?

Mein geliebter Herr rief dazwischen, ich solle Fräulein Hete fragen, ob es ihr unglaublich erscheine, daß ihn jemand lieb haben könne?

Ich bellte dröhnend. Umsprang beide. Um zu beweisen, daß sie mir beide gefielen.

Mein geliebter Herr packte mich am Halsband und sagte, nun solle ich eine junge Dame höflich fragen, ob es möglich wäre, daß eine Jemandin immerfort an einen Jemand denke. So wie er an sie?

Hete zog mich an sich und flüsterte in mein Ohr, daß wer viel frage, viel Antwort erhalte. Besonders über Dinge, die sich von selbst verständen.

Sie drückte ihre Lippen in mein Fell, dicht hinter dem Ohr.

»Hoho,« rief mein geliebter Herr und drückte seine Lippen dicht hinter mein Ohr, wo ich noch Hetes Mund fühlte.

Da schüttelte ich beide ab und richtete mich auf.

Der Herr Senator hatte mich eingeholt. Er stand vor uns und sagte: »Guten Morgen, mein Söhnchen.«

Er lächelte, aber ich spürte einen Katzengeruch, daß sich mein Fell sträubte.

»Pardon, Papa,« murmelte mein geliebter Herr.

Hete lief schon weit unten auf dem Wege.

Ich spitzte die Ohren und wendete den Kopf nach ihr. Wollten mein geliebter Herr und ich nicht hinterdrein springen? Fort aus dem Katzendunst. Ins frische Freie?

Der Herr Senator pfiff. Es ging den Weg zurück. Schweigend schritt mein geliebter Herr. Ebenso der Herr Senator. Ich hinter ihnen. Eingezogen den Schwanz. Die Ohren gesenkt. Niemand hatte mich geprügelt. Aber mir war genau so zumut.

Der Weg war lang. Er endete im Arbeitszimmer des Herrn Senators, inmitten des Kaffeeimports. Ich beschnüffelte Taback, Leder, Teppich: Katzengeruch.

Der Herr Senator setzte sich an den Schreibtisch. Mein geliebter Herr blieb stehen. Ich legte mich zwischen beide.

Mein geliebter Herr sagte etwas, was mir nicht neu war. Er sagte: »Sie ist das reinste, feinste, gütigste, klügste Mädchen.«

Der Herr Senator antwortete, daß er das wisse.

Mein geliebter Herr machte einen raschen Schritt zum Schreibtisch.

»Du kennst sie, Papa?« fragte er.

Der Herr Senator öffnete Briefe, während er antwortete, daß auch er einmal diese letzte Kinderkrankheit durchgemacht habe. Er kenne also ihre Symptome.

»Ich werde sie heiraten,« rief mein geliebter Herr.

Der Herr Senator antwortete, daß es sich um die Tochter eines Mannes handelte, der sich später Achim, seinem Vorgesetzten, nur mit dem Hut in der Hand zu nähern erlauben werde.

Mein geliebter Herr rief, daß er später einmal keine solchen Unterschiede gelten lassen werde. Es werde anders in diesem Arbeitsreich aussehn, wenn er einmal der Herr würde.

Der Herr Senator zündete sich eine große Zigarre an. Er sagte, wenn ihn seine Schulkenntnisse nicht täuschten, hätte schon Cyrus zu seinem Vater gesagt, daß er das Unterste nach oben kehren wolle.

Cyrus, Gründer des Perserreichs, besiegte Krösus 529. Ich kannte ihn aus den Unterrichtsstunden. Ich bellte auf. Die Sprechenden zuckten zusammen.

»Kusch,« rief der Herr Senator streng.

Mein geliebter Herr schien mich gar nicht gehört zu haben. Er sagte sich schnell folgende Worte, ohne Atem zu holen.

Er sagte, daß des Vaters Worte nur bewiesen, daß die Welt immer jung und immer alt gewesen wäre. Jetzt aber sei er jung. Er habe noch kein Kassenbuch an Stelle des Herzens. Er fragte den Herrn Senator, ob dieser je gewünscht hatte, alle Rosen der Welt auf einmal duften zu fühlen, alle Jahreszeiten im gleichen Augenblick über dem Garten zu spüren, sich verwandelt zu finden in einen Frosch, einen Hund, einen Bettler, einen Esel, einen Käfer, einen Gott? Er fragte, ob der Herr Senator jemals ersehnt, daß der Mond am Tage, die Sonne des Nachts leuchten möge?

Ich weiß nicht, was alles er noch herausrief. Das Gähnen überfiel mich wieder.

Der Herr Senator rauchte seine Zigarre langsam, aber mit scharfem, beißendem Rauch.

Ich behielt ihn trotzdem im Auge. Der Katzenbuckel seiner buschigen Augen glättete sich. Er begann zu lächeln.

Mein geliebter Herr hatte gerufen: »Und ich heirate sie doch.«

Der Herr Senator antwortete ruhig, Achim könne später einmal tun, was er wolle. Heute wünsche er nur das Versprechen, daß sich Hete und Achim ein Jahr lang weder sehen noch schreiben sollten.

Mein geliebter Herr lachte. Er sagte, daß Zeit und Raum keine Bedeutung für sie und ihn haben könnten.

Er drückte heftig die Hand seines Vaters. Ich sprang auf. Wollte dazwischen springen. Ich wußte, wenn der Buckel schwindet, werden die Krallen vorgestreckt. Mein geliebter Herr brauchte Schutz.

Nichts geschah.

Mein geliebter Herr sagte: »Ich danke dir, Vater.«

In ein Lächeln gehüllt, eilte er hinaus. Dicht vor meiner Schnauze schlug er die Tür zu ...

Auch der Herr Senator achtete meiner nicht. Ich legte mich unter den Schreibtisch. Stand jedoch wieder auf. Die Stiefel des Herrn Senators waren mit unangenehm.

Bevor ich einen geeigneten Platz gefunden hatte, öffnete sich die Tür.

Ich nahm Angriffsstellung ein. Der Mann, der eintrat, den Hut in der Hand, roch nach Teer und Schweiß. Ich erwartete das »Pack an«. Ich wäre in der rechten Laune dazu gewesen.

Der Herr Senator befahl: Ruhe. Dem Manne versicherte er, daß ich nicht zu fürchten wäre.

Ich hatte inzwischen Hetes Hauch am Rock des Mannes gespürt. Da, wo der Flicken aufgesetzt war. Ich knurrte besänftigt.

Der Mann beugte sich zu mir nieder, um mich zu krauen. Aber er tat nur so. Seine Augenbrauen lächelten Katzenbuckel. Gut, daß er mich nicht wirklich anrührte. Es hätte mir leid getan, aber meine Erziehung verbot mir, vertrauliche Annäherung Fremder zu dulden.

Die Unterredung, die stattfand, beachtete ich erst, als ich Achims und Hetes Namen häufig wiederholen hörte. Hete sollte fort. Der Herr Senator versprach dem Manne Gutes dafür. Hete wollte, sollte, konnte in einer andern, größeren Stadt singen lernen. Der Herr Senator wollte das alles bezahlen. Beide lächelten beständig. Doch blieb ich aufgerichtet. Der Katzengeruch verstärkte sich ins Fürchterliche. Mir wurde unbehaglich. Unruhe um meinen geliebten Herrn juckte mich plötzlich. Ich winselte.

Mein Benehmen machte den Herrn Senator nervös.

Er fragte, was ich wolle. Ich merkte, daß er mich zu schlagen wünschte. Es aber nicht wagte. Ich fuhr fort, zu winseln.

Der Mann mit dem Schweißgeruch sagte, daß mancher manchmal nicht wisse, was sich solch stummseinmüssendes Luder für Gedanken mache. Es wäre doch der Hund des jungen Herrn, wenn er sich nicht irre. Hete, sein Kind, habe ihm oft von ihm vorgeplappert. Mehr als von dem jungen Herrn.

Der Herr Senator öffnete die Tür. Ich sauste hinaus. Der Mann mit dem Schweißgeruch verschwand an einer Biegung des Ganges. Der Herr Senator und ich machten einen Rundgang durch die Arbeitsräume. Mich juckte es noch. Ich bellte überall dazwischen. Böse Blicke begegneten uns. Ich zeigte meine Zähne. Der Herr Senator schien guter Laune zu sein. Er ließ mich gewähren.

Er ging meinetwegen zu Fuß nach Haus.

Durch die Pflastersteine hindurch roch ich neue Keime, schwellende Wurzeln.

Ich machte Sprünge um jedes Baumskelett, in dem ich es knacken hörte.

Im Garten spürte auch der Herr Senator etwas davon. Er wurde noch besserer Laune. Er holte sich eine Büchse, um zu sehen, ob er noch Spatzen abzuschießen verstände. Die überall die neuen Keime zerzupften. Er warf sie mir noch warm ins Maul. Jeder Tag hat auch sein Gutes.

Aber aus dem Haus kam die gnädige Frau geeilt. Beide Hände vor den Ohren.

Sie rief, die Schachtel der Geborgenheit sei doch kein Schlachtfeld. Als sie mich mit einem blutenden Spatz im Maul sah, mußte sie zum Riechfläschchen greifen.

Sie nannte mich fürchterlich. Begriff nicht, daß man solches Raubtier den besten Gefährten des Menschen nennen könne.

Der Herr Senator stellte die Büchse fort und küßte der gnädigen Frau die Hand.

Frau Alwine erholte sich wieder.

Arm in Arm mit dem Herrn Senator ging sie ins Haus zurück.

»Der Frühling liegt in der Luft,« sagte sie.

Als sie am Küchenfenster vorüberging, machte sie ihren Arm frei und sagte: »Pflicht, Liebster, ist Pflicht.«

Sie ging zu der dicken Lina, um ihr noch einmal einzuschärfen, daß die Krammetsvögel ganz knusprig zu braten wären ...

Elftes Kapitel

(Bruder macht die Bekanntschaft eines vornehmen Hundes. Erfährt, daß die Anschauungen über die Menschen verschieden sind)

Man kann auch in der Heimat Heimweh haben, hörte ich meinen geliebten Herrn einmal sagen. Später, als wir nirgends mehr zu Haus waren.

Ähnlich mußte mir in der Zeit gewesen sein, die nun folgte. Unruhe quälte mich, als hätte ich Ameisen im Fell. Ich wußte keinen Platz, wo ich alle vier in wirklicher Behaglichkeit von mir zu strecken wagte. Es regnete nicht. Aber keine Helle stieg auf. Keine Wärme strich über meinen Rücken. Auch nicht aus den Augen meines geliebten Herrn.

Ich legte mich meinem geliebten Herrn oft in den Weg, damit er über mich stolpere, ich seine Füße zu fühlen bekam. Er schalt mich dumm. Ich war zufrieden, daß er mit mir sprach.

Er war jetzt selten allein. Sein Freund Richard begleitete ihn. Beide studierten, turnten, spazierten zusammen.

Richard war, wie ich den Herrn Senator sagen hörte, ein junger Mann, wie er sein sollte. Er verkehrte mit niemandem unter seinem Stand. Er wünschte nichts andres, als zu diesen Kenntnissen zu kommen, die jemand bedurfte, auf den Ansehen und Vermögen warteten.

Ich wußte auch ohnedies, daß ich Richard nicht anzubellen hatte. Ich begrüßte ihn gar nicht.

Abneigung ist meistens gegenseitig. Richard mochte keine Hunde. Er sagte, wir wären ihm der Inbegriff der Feigheit und Unterwürfigkeit. Die Lakaien der Tierwelt. Untergebne, aber kein standesgemäßer Verkehr.

Aus Angst vor der peitsche duckten und kuschten wir uns, ließen uns mit Füßen treten. Die kleinste Katze wehre sich. Nie würde man sie dahin bringen können, nicht die Krallen zu gebrauchen, wenn ihr jemand etwas antun wolle.

Mein geliebter Herr gab ihm Recht und Unrecht. Er nannte es Demut, daß wir unsre Kräfte und Waffen nicht mehr für uns selbst anwandten. Daß wir es fertig brachten, nur für andre da zu sein.

Ich legte den Kopf auf das Knie meines geliebten Herrn.

Ich wunderte mich, daß er von mir sprechen konnte, ohne mich zu bemerken. Er blickte bei allem, was er sprach, weit in die Ferne. Als sähe er immer noch etwas andres als wir. Er lächelte und war heiter. Mir aber war als witterte ich Unheil über ihm. Meine Unruh blieb an mir hängen.

Ich umschlich den Herrn Senator. Obwohl mich der Katzendunst plagte.

Er sagte zu Frau Alwine, daß ich endlich etwas Anhänglichkeit zu spüren scheine.

Frau Alwine antwortete, daß ihr mein Blick unangenehm wäre. Er wäre melancholisch und gleichzeitig impertinent. Auch wußte sie nicht, ob meine Rasse eigentlich noch schick und modern wäre.

Ich verkroch mich unter einen Tisch, ins angenehme Halbdunkel.

Der Herr Senator sagte, Achim hänge an mir. Darauf sei Rücksicht zu nehmen. Für die nächste Zeit wenigstens. Der Junge müsse im Gleichgewicht bleiben. Man müsse zufrieden sein, wenn sich seine kleine Affäre so schnell erledigen lasse, wie es den Anschein habe.

Frau Alwine antwortete, sie werde nie begreifen, daß ihr eigner Sohn solche Sympathien fassen konnte. Ein Mädchen, daß sich nicht einmal täglich die Zähne putze. Denn sie glaube nun einmal nicht, daß man im Volke wirklich etwas von Toilettenpflege wisse.

Der Herr Senator spiegelte sich in seinen blanken Fingernägeln.

Fräulein Angelika kam zu den Eltern gesprungen. Ich kroch hervor, um sie zu begrüßen.

Sie sagte, ich hätte es gut. Ich wäre immer fertig angezogen in meinem Fell. Sie aber hätte keine Ahnung, welches ihrer Kleider sie heute wählen solle.

Man erwartete den Besuch des Herrn Assessors Gerstenrot. Ich kannte den Herrn noch nicht. Doch hatte ich von ihm sprechen hören. Die dicke Lina nannte ihn den Herrn Schwiegersohn. Worauf die schmale Elvira stets sagte, die dicke Lina solle nicht immer alles im voraus wissen wollen. Es käme doch alles anders. Auch den Herrn Harald hätte die dicke Lina fälschlich Schwiegersohn genannt.

Worauf die dicke Lina summte: »Und da wollt er und da wollt er und da könnt er leider nicht.«

Ich hatte erzählen gehört, daß der Herr Senator Herrn Harald das Billett zu einer Reise um die Welt geschenkt hatte.

Frau Alwine riet Fräulein Angelika, das blaßlila Seidenkleid anzulegen. Weil dies das Gold ihrer Blondheit besonders zur Geltung brächte.

Die schmale Elvira kam hier gerade mit einem Tablett herein. Ich umsprang sie. Man befahl Elvira, mich mit sich hinaus zu nehmen.

In der Küche wiederholte die schmale Elvira die Worte der gnädigen Frau.

Die dicke Lina lachte mitten hinein in die Pfanne, die sie vor sich hatte. Sie sagte, das Gold des Herrn Senators kleide Fräulein Angelika besser als alle Locken.

Bald darauf kam der Herr Assessor. Er gefiel mir. Er sprach sofort zu mir, wie zu einem guten Bekannten. Er verstand sich auf unsresgleichen. Er sprach mir von seinem eignen Hund, einem weißen sibirischen Windhund, namens Lord. Einem Rassestück ersten Ranges.

Frau Alwine bat Herrn Assessor, seinen vierbeinigen Freund endlich einmal mitzubringen. Die Freunde unsrer Freunde sind unsre Freunde, sagte sie.

Der Herr Assessor küßte beiden Damen die Hände. Er sagte, während seine blanken Augengläser Fräulein Angelikas Augen spiegelten, ob es wahr wäre, daß er sich hier Freund nennen dürfe.

Er trat mich dabei heftig auf den Schwanz. Ich hatte zu spät begriffen, daß nicht mehr von mir die Rede war und hatte mich ungeschickt dazwischen gedrängt. Ich quietschte unbeherrscht auf. Man überhörte es angenehmerweise.

Der Herr Assessor behielt Fräulein Angelikas Hand immer noch in der seinen. Ich glaubte trotzdem nicht nötig zu sein. Ich schlich mich hinaus. Auch unbeabsichtigte Fußtritte bleiben Fußtritte ...

Einige Tage später war der Herr Assessor von Lord begleitet. Lord war weiß, schmal, hochbeinig, lang. Mit einem schmalen Kopf, der das kleinste an ihm war.

»Der vollkommene Aristokrat,« rief Frau Alwine und lobte auch das reinliche Weiß des Fells. Sie fragte sehr erregt, ob sibirische Windhunde jetzt vielleicht moderner wären als Dobermanns.

Ich ging Lord langsam entgegen. Duckte mich, um ihn aufs Korn zu nehmen. Ich hielt mich nicht für weniger als er. Rasse ist Rasse. Und persönlich unbekannt ist unbekannt.

Schließlich begrüßten wir uns. Jeder mit der Schnauze am entgegengesetzten Teil des andern.

Frau Alwine versuchte solche Begrüßungen stets zu unterbrechen. Sie geriet durch sie in größte Verlegenheit. Ich hörte sie oft zu dem Herrn Senator sagen, daß ihr unser Benehmen nicht nur widerlich, sondern auch unbegreiflich wäre. Bei Hunden, wie wir, aus den besten Familien. Was sei Dressur, wenn man uns nicht einmal solche Unschicklichkeiten abzugewöhnen verstände ... Die doch absolut keinen Zweck haben könnten.

Der Herr Senator spiegelte sich hierbei wieder, wie bei allen solchen Gelegenheiten, in seinen blanken Fingernägeln.

Aber auch ich hätte hier keine Antwort zu geben gewußt. Tradition ist Tradition. Aber Zweck? Wir wußten, wenn wir uns auf unsre Art ausgiebig geprüft hatten, auch nicht mehr, als Menschen nach einem Händedruck und ihrer Art von Begrüßung. Nämlich: ich bin ich und du bist du.

Lord war älter als ich. Erfahrner. Lebensgleichgültiger. Keine Neugier plagte ihn, den Garten mit der Schnauze zu durchstöbern.

Er hatte sich sofort in der Vorhalle auf ein rotsamtnes Kissen ausgestreckt. Frau Alwine fand dies einen malerischen Anblick. Sie fragte wieder, ob Dobermanns wirklich noch als ladylike gälten.

Als wir allein geblieben, erklärte mir Lord, daß er die Menschen für rechte Trottel halte. Ihre Affektiertheit, nur auf den Hinterbeinen gehen zu wollen, nannte er verächtlich und einfältig. Sie erreichten damit nichts andres, als langsamer vorwärtszukommen, als jedes andre Säugetier. Ganz abgesehen davon, daß, wer immer von oben herabsieht, kein Ding mit richtigem Maß messen könne.

Ich lobte meinen geliebten Herrn. Rühmte seine Schnelligkeit auf dem Eis.

»Kindskopf,« knurrte Lord.

Er war mißgelaunt. Er war gewohnt, daß man ihm, sowie seinem Herrn Zigarren, einige Zuckerstücke anbot. Er knurrte, daß man in diesem Hause nicht die einfachsten Manieren zu kennen scheine.

Ich fragte ihn, ob er jemals eine Dressurschule besucht hätte. Er schüttelte den Kopf. Die Peitsche existierte nicht für ihn. Er würde sich auch durch sie nicht hindern lassen, sich auf jedes kleine Getier zu stürzen, wenn es ihm unnötigerweise in den Weg käme. Wenn er sich Kleines, Untersetztes schnell bewegen sähe, überfiele ihn eine Wut, die unbezwingbar wäre.

Ich konnte dies nachempfinden. Nur hatte man mir Beherrschung beigebracht.

Doch Leidenschaft läßt leiden, wie man es auch anstellt. Lord mußte dieser Passion halber meist an der Leine traben. Ich bedauerte ihn um diese Freiheitsberaubung.

Lord verbat sich dies. Er fand, daß ihm recht damit geschähe. Ein Aristokrat sollte von selbst wissen, daß man sich nicht umblicke. Sollte wissen, nichts Vornehmeres finden zu können, als sich selbst. Alle Exzesse vermieden sich dann von allein.

Das verstand ich nicht. Ich nahm damals alles noch wichtig. Auch stritt ich gern. Ich behauptete, daß Lord seinem Herrn Rücksicht schuldete. Es konnte diesem keine Annehmlichkeit sein, mit Lord an der Leine zu laufen.

Lord leugnete auch dies. Er meinte, sein Herr wäre gutmütig wie ein Frosch. Er ginge gern an der Leine.

Allmählich entspann sich ein wenig Vertrauen zwischen Lord und mir. Wir mußten viele Stunden zusammen verbringen. Herr Assessor Gerstenrot kam immer häufiger.

Die menschlichen Stimmen schallten ohne Unterlaß zu uns hinaus.

Ich überlegte, was sie sich stets zu erzählen haben könnten.

Ich hatte Frau Alwine sagen gehört, ein Wohlerzogner spräche im Salon so wenig von Religion, Politik, Weltanschauung und andern peinlichen Dingen, wie er sich dort die Nägel reinige.

Lord spitzte nicht einmal die Ohren zu meiner Nachdenklichkeit.

Er gähnte. Erst nach einer Weile knurrte er, daß wir keinen Grund hätten, sie um die Kunst des Wortemachens zu beneiden. Sie glaubten selber nur wenig von dem, was sie redeten. Einander aber glaubten sie gar nichts ...

Zwölftes Kapitel

(Bruder erhält eine Narbe fürs Leben. Weil das Herz eines Fräuleins nicht so will, wie es sollte. Bruders Pflichteifer bringt zwei Liebhaber um ihre Nasenspitze)

Luft und Boden füllten sich mit mehr Wärme bei jedem Sonnengang. Es regte sich im Erdreich, am Tag wie in der Nacht. Ich fühlte mich nicht mehr einsam draußen.

Auch war mein geliebter Herr gut zu mir. Ging er in die Lehrstunde, durfte ich ihn ein Stück Weges begleiten. Kehrte er zurück, erwartete ich ihn. Ich spürte, daß ihn das freute. Daß er ausschaute, ob ich da war oder nicht. Ich durchsprang die Stunden des Wartens.

In jener Zeit jedoch war es, daß ich die Narbe erhielt, die ich heut noch fühle. Aus Gründen, die mir damals unbegreiflich waren. Heute weiß ich, daß nichts andres die Ursache dazu gewesen, als daß sich normaler Ärger an den Hilflosen auszutoben liebt.

Es war um die Stunde der Fledermäuse. Es war still in der Schachtel der Geborgenheit und rings um sie herum.

Achim war mit Richard fortgegangen. Der Herr Senator und die gnädige Frau waren im Wagen davongefahren.

Fräulein Angelika hatte ihnen vom Fenster aus zugewinkt.

»Gute Besserung, blonder Engel,« hatte Frau Alwine hinaufgerufen, ehe die Pferde anzogen.

Aus der Küche stieg bald ein angenehmer Duft. Die dicke Lina verfertigte gute Dinge fürs Gesinde. Als ich meine Schnauze hineinsteckte, warf sie mir einen fetten Bissen zu. Sie rief dabei, ich sollte daraus lernen, daß die Mäuse tanzten, wenn die Katze aus dem Haus.

Alle lachten schmetternd auf.

Lachen war und blieb mir unheimlich. Ich erlernte nie, mich darin auszukennen. Ich hielt es zuerst für das Zeichen der Freude. Bis ich begriff, daß es auch Bosheit, Arger, Zorn, Spott bedeuten konnte.

Mehr Vertrauen gewann ich zum Lächeln. Bis ich auch hier herausgewittert hatte, daß es keine Sicherheit bot. Sie vermochten auch aus Zorn zu lächeln. Auch aus Furcht. Dann sträubte sich mir das Fell. Wahrscheinlich aus eigener Unvollkommenheit. Ich hörte die Menschen oft genug rühmen, daß nur sie zu lachen und zu lächeln vermögen. Aber kein Tier. Sie waren stolz darauf ...

Unter Gelächter beschnupperte ich also den fetten Bissen. Er war noch zu heiß. Es hieß warten auf den Genuß.

Man schalt mich ein verwöhntes Luder. Während einer nach dem andern ausfluchte, weil er sich das Maul verbrannte an dem heißen, fettropfenden Kuchen. Es waren dies nur gewöhnliche Leute. Aber ich sah im Lauf meines langen Lebens sogar Gelehrte zu heiße Bissen in den Mund stecken und sich die Zunge verbrennen. Ein Irrtum, der dem kleinsten Hund nicht unterlaufen konnte. Ich bedauerte sie ...

Fett hält Wärme. Es dauerte, ehe ich den ersten Bissen wagen konnte. Da spitzte ich die Ohren und mußte fortjagen von der vollen Schüssel.

Bis draußen hörte ich sie mir Schimpfworte nachschreien. Auch ein Holzpantoffel flog hinter mir her.

Ich hatte andres zu tun, als mich darum zu kümmern.