Ich habe den geliebten, vaterländischen Boden wieder betreten, und bin Dir nun wieder um vieles näher, meine Julie! Wer durch mehr als hundert Meilen getrennt war, dem scheint eine Entfernung von zwanzig nur ein unbedeutender Zwischenraum zu seyn, obgleich nicht selten sich hier größere Schwierigkeiten in den Weg stellen, als selbst bei jenen. – Du und Deine Liebe sind mir noch um vieles werther geworden, denn meine nähere Bekanntschaft mit den Menschen hat mich den Werth und die Seltenheit einer Neigung, die sich nicht auf äussere Verhältnisse sondern auf unsere Persönlichkeit gründet, sehr innig fühlen lassen. – Ich freue mich darauf, Dir, da ich hier sehr ruhig leben zu können hoffe, von Zeit zu Zeit manches aus der Geschichte dieser letzten, im Geräusch verlebten, Jahre nachholen zu können. Meine bisherigen flüchtigen Briefe müssen Dir nur einen sehr unvollkommenen Abriß meiner Lage gegeben haben. Alles war mir neu, Gegend, Menschen, Verhältnisse, und ich gestehe Dir, daß ich mich oft mit geheimem Vergnügen, oft auch mit Bangigkeit, daran erinnerte: »ich stehe nun wirklich auf dem Schauplatze der Welt, die ich mir sonst in mancher stillen Jugendphantasie verworren geträumt hatte.« Doch zuweilen schien das Gewühl von Menschen und der glänzende Schein, der mich umgab, meine Eigenthümlichkeit ganz verschlungen zu haben, und es kostete mir beinah Mühe, mich zu überzeugen, daß ich jenes stille, einfach erzogene Mädchen sei, welches die Welt und die Menschen nur aus ihren Büchern kannte. Mein ganzes, voriges Leben wich immer mehr in einen neblichen Hintergrund zurück, und selbst Dein Bild, meine Julie, schien an seiner Lebhaftigkeit verloren zu haben. Aber dann kam ein Brief von Dir, Du warst noch immer die Alte. Ganz und in Allem Deinen vorigen Ideeen getreu, lebtest Du noch ungestört in jenem glücklichen Ländchen, dessen Andenken mir immer mehr zu verschwinden drohte. Mit Dir erschienen die Geister aller vergangenen, freundlichen Jugendscenen, und so waren Deine Briefe das Band, das über Berg und Thal zu mir reichte, und mich an sanften, seidenen Fäden zu einem unversiegbaren Quell von Ruhe und milder Besonnenheit zurückführte. – Ach! ich hatte oft nöthig, aus diesem Quell zu schöpfen, wenn ich nicht unter den wechselnden Eindrücken von Vergnügen und Sorge, Neigung und Wiederwillen, mich selbst und alle innre Uebereinstimmung auf ewig verlieren wollte! – Der erste Eintritt in das Haus meines Mannes, als wir unsre Reise vollendet hatten, überraschte mich auf das angenehmste. Der Glanz, den ich dort allenthalben herrschen sah, war mir neu, und berauschte mich mit Vergnügen. Ich wiegte mich mit Lust auf den seidnen, schwellenden Polstern, ich strich gern vor den Spiegelwänden vorüber, ich horchte mit Aufmerksamkeit auf das melodische Spiel einer Flötenuhr, welches die Stunden angenehm bezeichnete. So geschwind auch die Lebhaftigkeit dieses Eindrucks verlosch – denn das Auge gewöhnt sich bald an die Reize einer prächtigen Umgebung, und Bewunderung ermüdet leicht – so wußte doch Albret durch Neuheit und Abwechselung ihn immer wieder anzufrischen. Er führte mich in eine Welt voll glänzenden Scheins, und munterte mich unaufhörlich auf, hier alle andre zu verdunkeln. Die Art, wie ich mich, auf sein Verlangen, allenthalben zeigen mußte, war mir oft lästig, so sehr sie auch der Eitelkeit schmeichelte. Ueberall, wo ich erschien, zog ich die Blicke der Neugierde auf mich, öfterer folgten selbst Frauen mir nach; besonders gab es Einige, die mich mit einer seltsamen, unangenehmen Theilnahme beobachteten. Einst, als wir aus einem glänzenden Zirkel zurückgekommen waren, wo diese mir, oder meiner Umgebung, geweihte Aufmerksamkeit ihren höchsten Gipfel erreicht zu haben schien, fiel mir Albret mit Innigkeit um den Hals. »Holdes Weib, rief er entzückt, wie sehr hast du mich zu deinem Schuldner gemacht! ich sehe es, ich bin durch dich gerächet!« – Diese Aeusserung freute und betrübte mich. Ich fühlte, daß ich sie nicht mir selbst, sondern einer fremden, mir unbekannten Ursache zuzuschreiben hatte, und doch rührte es mich, ihn endlich einmal herzlich mit mir sprechen zu hören. »Lieber Albret, sagte ich, und lehnte mich an seine Brust, wolltest du mich nur näher kennen lernen, so würdest du, wie ich hoffe, ganz andere Ursachen finden mit mir zufrieden zu seyn, als diese, von denen ich mir nichts zueignen kann.«
Er sah mich einige Augenblicke lang mit zweifelhaftem Ausdruck an, und schien bewegt. Aber bald war es, als schämte er sich seiner Empfindung, er verließ mich, und blieb so verschlossen, wie vorher. Ach! Julie, wenn ich diesen sonderbaren Mann zuweilen Sätze aufstellen hörte, die meiner heitern Ansicht von Welt und Menschen gänzlich Hohn sprachen, wenn ich sein peinliches Mißtrauen in Alle und auch in mich vergebens zu mildern versuchte, und vor diesem verschloßnen Herzen ewig unerhört stand, dann wurden mir meine Tage oft unerträglich, und die Erinnerung an das Gute, das ich ihm verdankte, sank wie eine erdrückende Last auf mein Herz! – Freilich habe ich dies alles auch oft genug vergessen. Meine Wünsche waren nicht eigensinnig an einen einzigen Gegenstand gebunden, meine Sinne standen jedem Eindruck offen, und so konnte es mir in meiner Lage nicht an Veranlassungen fehlen, meinen Kummer zu vergessen. Nur das Verlangen nach einer vertrauten Seele, nach dem Genuß einer gegenseitigen Mittheilung, eines arglosen, innigen Umgangs, ließ sich nie ganz unterdrücken.
Und wo hätte ich dies Glück eher suchen sollen, als bei Albret? – Aber ach! meine Julie, an welches unerklärliche, furchtbare Wesen hat mich das Schicksal gebunden! – Du scheinst hievon weniger überzeugt zu seyn, und Deine schon oft geäusserte Meinung, daß meine Klagen über unsere wenige Uebereinstimmung wol überspannt sein möchten, bewegt mich, Dir ein Geheimniß zu entdecken, das vielleicht bei mir auf ewig vergraben bleiben sollte. Du bist das einzige Wesen auf der Welt, dem ich es anvertraue, das einzige, in dessen Herzen ich alle meine Sorgen niederlege.
Wenn ich nicht irre, so habe ich Dir schon längst in einem meiner Briefe von dem Markese ** geschrieben, der meine nähere Bekanntschaft sehr eifrig zu suchen schien. Bei dem zerstreuten, geselligen Leben, welches wir führten, ward es ihm nicht schwer, Zutritt in unserm Hause zu finden; er sah mich fast täglich, und bald hörte ich das Geständniß seiner Liebe von ihm. Ich hörte es ohne Entrüstung – und ohne Vergnügen an. Ich schätzte den Markese; seine Unterhaltung war mir von großem Werth; doch Liebe fühlte ich nicht. Natürlich daß ich ihm dies sagte, er aber schien es nur halb zu glauben. »O! Sie werden, Sie müssen mich lieben, rief er feurig aus, meine Beharrlichkeit soll sie dazu zwingen. Die Natur will mein Leben; ohne Liebe sterbe ich, und ich kann Niemand lieben, als Sie.« Was ich auch gegen diese Behauptung einwandte, so konnte es ihn doch für den Augenblick nicht überzeugen, und nur die Folge bewies zu seinem Schmerz, mit welchem Recht ich widersprochen hatte. Doch gestehe ich Dir, daß ich mich selbst oft im Stillen über die eigensinnige Unempfindlichkeit meines Herzens gegen diesen liebenswürdigen Mann wundern mußte. Das allgemeine Urtheil nannte ihn schön, ich selbst erkannte gern so viele Vorzüge in ihm an, und gleichwol fehlte meiner Empfindung für ihn jener geheimnißvolle, harmonische Zug, ohne welchen mir nun einmal jede Liebe gemein erschien. Unser Umgang, den Jedermann für ein Liebesverständniß hielt, dauerte auf diese Weise fort, ohne daß unser gegenseitiges Glück sehr dabei gewonnen hätte. Die Offenherzigkeit, mit der ich meinem Freunde den Zustand meines Herzens mittheilte, schien ihn nur fester an mich zu binden. Er zerriß, zu seinem Nachtheil, manches andere Verhältniß, und fuhr fort, mir mit einer hartnäckigen Anhänglichkeit ergeben zu seyn. Albret schien auf alles dies nicht zu merken, er beschränkte unsern Umgang nicht, und legte durchaus keine Spur seines Mißfallens an den Tag.
Einst an einem schönen Abend war ich mit dem Markese im Garten, der unser Haus umgab. Das laue, schmeichelnde Wehen der Lüfte, und die balsamischen Gerüche, die aus tausend Blumen und Pflanzen stiegen, bewegten mein Herz auf ungewohnte Weise. Was ich empfand, war nicht Erinnerung des Vergangenen; nicht Genuß des Gegenwärtigen; es war eine Ahnung, ein Sehnen nach etwas Fernem, Unnenbarem. Es schien mir, als müßte ich die ganze Welt mit Innigkeit, mit Liebe umfassen; nur das Nahe, Gegenwärtige war mir fremd. Auch der Markese war ungewöhnlich bewegt, jedoch von ganz andern Empfindungen, als ich. Wir gingen schweigend neben einander durch die duftenden, halberhellten Alleeen. »Wenn Sie nur liebten, rief er endlich, mit schmerzlichem Ausdruck, wenn auch nicht mich! – Aber Sie lieben nicht, und werden ewig nicht glücklich seyn! – O! der nagende Schmerz, diese Blume, die schönste, welche je die Natur hervorbrachte, traurig verblichen, an dem kalten Herzen eines Mannes vergehen zu sehen, der keinen Sinn für ihre Vortrefflichkeit hat! – und o! fuhr er fort, indem er mir schmerzlich die Hand drückte, daß eine Zeit kommen wird, wo Sie dies alles lebhafter, aber vergebens, mit ewiger Reue empfinden werden!« – –
Mich schauderte, indem er dies sprach. Ich fühlte, daß eine Wahrheit in seinen Worten lag, die ach! nur zu sehr mit meinen eignen Empfindungen zusammen traf. Meine Gedanken flogen weit hinweg; überall fanden sie eine trostlose Leere, und kehrten quälender zurück. So, ohne Gegenstand, verworren träumend, wußte ich es kaum, daß wir uns in einer Laube niedergesetzt hatten, und daß der Markese mir zu Füßen gesunken war, und mich mit einem Arm umschlungen hielt.
In diesem Augenblick trat Albret vor uns. – Er fuhr betroffen zurück, doch war er bald gefaßt. »Gut, sagte er mit kaltem aber schneidendem Ton, ich habe es erwartet.« Und hierauf, als wäre nichts geschehen, verschwand er in einen Seitengang. Der Markese sprang auf, er drückte mich mit Heftigkeit an sich, dann trennten wir uns stumm und beängstigt. Ich suchte Albret auf seinem Zimmer; ich wünschte so sehnlich, ihm den wahren Zusammenhang dieser Scene entdecken zu können. Er war nicht da, und als ich ihn am andern Morgen wieder sah, blickte er mich so kalt und entfernend an, daß es unmöglich war, diese Scheidewand hinwegzuschieben. Er war noch bei mir, als man uns die Nachricht brachte, der Markese sei am vorigen Abend, nicht weit von unserm Garten, ermordet gefunden worden. Todesschauer überfiel mich bei dieser Nachricht und ein gräßlicher Argwohn zuckte mir wie ein Dolchstich durch die Seele. O! Albret! rief ich mit leichenblassem Gesicht, und bebender Stimme. Mein Mann heftete lange einen festen Blick auf mich, und schien den schrecklichen Gedanken ohne große Befremdung in meinem Auge zu lesen. Es lag etwas furchtbares in seinem Blick, aber zugleich eine gewisse Hoheit, der ich nicht widerstehen konnte. Unsre Abreise erfolgte bald darauf, und ich blieb in dieser schauderhaften Ungewißheit, deren Quaalen nur durch die Veränderung der Gegenstände, und durch den gänzlichen Mangel einer, jenen Verdacht bestärkenden, Bestätigung, gemildert worden sind.
Doch, frage Dich selbst, ob mir nicht, wenn ich darüber nachdenke, immer noch Gründe genug zu ängstlichen, entfernenden Zweifeln gegen Albrets Carakter übrig bleiben? – Was soll, was kann ich von diesem geheimnißvollen Wesen denken? und ist nicht vielleicht diese erhabene, in allen Fällen sich gleichbleibende, Fassung selbst ein Beweis, daß gewisse schreckliche Grundsätze ihm ganz zur Natur geworden sind?
Ich verlasse Dich, um mich zu zerstreuen, und diese Gedanken so viel als möglich aus meiner Seele zu verbannen. Wollte ich ihnen nachhängen, so müßte ja aller Frieden und aller Glauben an Menschlichkeit auf ewig daraus scheiden.
Seitdem Du mich verlassen, mein Barton, habe ich schon oft den waldigen Hügel erstiegen, wo ich zum letztenmal Deines vertrauten, freundschaftlichen Umgangs genoß. Du warst damals in einer ungewöhnlich feierlichen Stimmung, und Dein Auge schaute voll tiefer Rührung herunter in die heitere, weit um uns verbreitete Welt. »Welches Leben, welche Wirksamkeit in der ganzen Natur! sagtest Du. Stete Umschaffung, Verarbeitung, Veränderung, und eine Kraft, die immer bleibt; denn nur das Bleibende kann sich verändern. Aber was sie ist, diese Kraft, welche die Räder des Ganzen zusammen hält, daß kein Theil sich aus seinen Fugen herausreißen darf, die den Geist mit Formen bekleidet, und das Aufgelösete, nach Ruhe strebende, zu neuem Leben, neuer Thätigkeit zwingt? – Forsche nicht darnach; nur das, was sich verändert, können wir wahrnehmen, und das Bleibende erkennen wir, wie unser eignes Wesen, aus seinen Wirkungen. Ja, Eduard, fuhrst Du fort, wir lernen unser inneres Leben immer deutlicher und schöner kennen, je wirksamer wir in dem äussern sind. Laß uns dem großen, guten All aufs innigste angehören, und unser Selbst nur in dem Ganzen wiederfinden. Der Mensch fängt damit an, Alles von Andern zu erwarten, und soll damit enden, Andern so viel er kann zu gewähren. Es giebt eine Zeit, wo er sich unglücklich fühlt, wenn Andere ihm nichts sein wollen, und wieder eine andere, wo es ihm Bedürfniß ist, der Welt etwas zu sein. Du hast den Weg bis dahin natürlich und gut vollendet; ich gebe Dich mit frohem Muth der Welt; und verlasse Dich, weil Du es werth bist, allein zu stehen.« – Dieses, und noch manches andere fällt mir ein, so oft ich den Hügel ersteige, und ich liebe diese Erinnerungen. – O! ich begreife wohl Deine Absicht, Theurer! Du sahest meine Anhänglichkeit an Dich, meine feurige Bewundrung Deiner seltnen Eigenschaften, und Du fürchtetest, meine Eigenthümlichkeit könnte bei diesen Empfindungen leiden, das Lebendige, Wahre in mir könnte zu einer künstlichen, nachgeahmten Tugend herabsinken, die immer unfruchtbar bleibt, so vortrefflich auch ihr Vorbild sein mag. Deshalb hättest Du mich verlassen, auch wenn keine andre Geschäfte Deine Gegenwart verlangt hätten. Aber Dein Bild wird nie aus meinen Gedanken weichen, und in den Stunden des Unmuths, wie in Stunden der Weihe, wird es, wie ein freundlicher Genius, tröstend oder theilnehmend vor meiner Seele schweben. Ja, Du hast mich der Welt gegeben, ein heitres gutgebildetes Wesen, stehe ich vor ihr, und blicke mit Lust in die weite, lebensvolle Sphäre hin, wo auch ich mit wirken soll und will. Eindrücke aller Art strömen mit Macht an mein Herz, und ich brenne vor Verlangen, dem Ganzen, durch Wort und That, das wieder zu geben, was es so wohlthuend in mir erweckte. Ich kann Dir nicht beschreiben, Barton, wie sehr mich ein frohes Selbstgefühl zuweilen emporhebt, und glücklich macht. So war ich am gestrigen Abend in einer Gesellschaft junger Männer, die sich versammelt hatten, um fröhlich zu seyn. Wir hatten Musik, tranken, und die herrschende Idee eines Jeden mahlte sich bald lebendiger und stärker im freien Gespräch. Barton! hier fühlte ich recht meinen Werth; ich fühlte mich voll Kraft, reich an Erfindung eine ganze Welt zu beglücken, stark an Entschließung, trotz allen Verhältnissen, der Natur getreu zu leben. Ich sah um mich her – die meisten schienen mir kraftlos, künstlich, verstimmt – nicht Einer, der sich zu meinen Gefühlen hätte emporheben können. Mitleid und Stolz bestürmten mich wechselsweise so sehr, daß ich es nicht aushalten konnte. Hinaus in die freundliche Abendwelt lief ich, und an den einsamen Ufern des Stroms, wo nur die Abendwinde mit geistigen Stimmen mich umsäuselten, fand ich mich inniger, glücklicher wieder. Ich sank auf die Kniee und küßte die Blumen und die Erde, im Gefühl einer namenlosen Liebe. – O! was sind alle Genüsse der Sinne gegen das Entzücken eines solchen Augenblicks! – ein dumpfes, unterbrochenes Geräusch störte meine Begeisterung. Es kam aus dem Wasser, und ich entdeckte bald durch die Gesträuche etwas Lebendiges in dem Strom. Ein Knabe war es, der noch spät am Ufer geangelt hatte, und unvorsichtig in die Fluth hinabgegleitet war. Er kämpfte noch matt gegen die Wellen. Ich sprang sogleich hinein, und brachte ihn, ohne Gefahr, leicht und glücklich ans Ufer. Seine Besinnung kehrte nach einiger Mühe bald zurück, und ich führte ihn zu seinen, um ihn besorgten, Aeltern, deren Wohnung er mir beschrieb. Das Kind hatte ein bedeutendes Gesicht, und selbst die Keckheit, womit er sich heimlich an den Fluß geschlichen hatte, gefiel mir; es freute mich doppelt, ihn gerettet zu haben. Hierauf gieng ich zurück an den Strom, entkleidete mich, und tauchte von neuem in die lauen Fluthen. Der gewölbte Himmel mit Mond und allen leuchtenden Sternen stand in unermeßlicher Tiefe unter mir im Wasser. Ich durchkreuzte die Fluren des Himmels und verwirrte der Sterne ewige Bahnen. Ueber mir, unter mir und in mir war Himmel. Ein einziges thut mir weh, Barton! daß sich mein Vater so lange von mir trennt, daß ich in manchen Augenblicken nicht zu ihm eilen kann, zu ihm, dem ich mein ganzes Glück verdanke, und dem mein Anblick gewiß belohnend sein müßte. – Jetzt erst fange ich an zu begreifen, wie er auf mich gewirkt hat. In vielem, wo ich sonst nur das planlose Spiel des Zufalls fand, ahne ich jetzt die wohlthätige Einwirkung eines vernünftigen heitern Geistes, der die Umstände gerade so für mich zusammenreihte. Mein Vater hielt mir nie langweilige Vorstellungen meiner Lebenspflichten, die nur den Verstand berühren und das Herz unbewegt lassen; nur durch lebendige Eindrücke suchte er mich zu bilden, und so blieb die Eigenthümlichkeit und Freiheit meines Gemüths ungekränkt. Wenn ich in die Zeiten meiner Kindheit zurückgehe, wie eine lachende Welt mich, von der Wiege an, umfing, und alles einen Quell von Lebenslust in meine Brust senkte, der wie ich hoffe, unversiegbar sein wird. – Selbst das Zimmer, worin ich lebte, der erste Schauplatz meiner Erfahrungen und meiner Spiele, hat ein angenehmes Bild von Harmonie und Fröhlichkeit in mir zurückgelassen, und ich weiß noch ganz genau, welche Farben, welche Gemälde es zierten, welche Aussicht es gewährte. Mein Auge gewohnte sich an heitre, liebliche Formen, und mein kindisches Herz war mit unsichtbarer Gewalt an das Schöne gebunden; ich unterließ das Schlechte, nicht weil es böse, sondern weil es häßlich war. So ward die Sinnlichkeit zuerst in mir gebildet, und mir eine Freundin an ihr erzogen, bis ich älter ward, und mein Verstand erwachte. Von dem glücklichen Wahn erfüllt, daß man Alles lernen, Alles begreifen könne, war ich unermüdet in Fragen, und vielleicht ward meine Wißbegierde noch geflissentlich gereizt. So lernte ich Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaft, Geschichte, mit immer neuer Lust und dankbarem Gefühl, und der Baum der Erkenntniß trug mir nur süße Früchte, bis ein reiferes Alter mir durch das Gefühl meines beschränkten Wissens auch die bittern darreichte. Aber jetzt brach ein neues Leben für mich an. Mein Vater, hieß es, müßte eine Reise in verschiedene Gegenden Europa's thun, und ich sollte ihn begleiten. Das heitre Bild menschlicher Thätigkeit wuchs vor meinen Augen immer mehr, wie der Raum um mich her. Unter der Menge neuer, lebendiger Vorstellungen verlohr ich das Andenken an mich selbst; meine erwachende Phantasie umgab die Natur mit einem ätherischen Schimmer; die Strahlen der Kunst berührten meine Seele mit heiliger Ahnung, und eine Welt von neuen Gestalten bildete sich in meinem Busen aus. Ich dachte nur so viel als gerade nöthig war, um meine Genüsse schöner und an ziehender zu machen, und so genoß ich Glücklicher! alle Freuden der Jugend, von Phantasie, Gefühl und Geschmack zu Allem begleitet, und nur dann verlohren sie ihren Reiz für mich, wenn die Grazien sich von ihnen weggewandt hatten. – – Freylich bin ich stolz geworden. Diesen Nacken hat noch kein Unglück gebeugt, immer hat ein günstiger Zufall mir, wenn ich sorgen wollte, die Hand geboten, und selten habe ich einen Wunsch verfehlt. Ja, ich traue mir Kraft genug zu, die Gewährung meiner Wünsche, so hoch sie fliegen mögen, der Welt abzuzwingen, und von dem Schicksal die Erfüllung meines Berufes zum Glück zu fordern. Aber Barton, mein Gefühl ist lebendig und gut; es giebt Menschen, die ich hasse, aber ich könnte sie dennoch beglücken, stände es in meiner Macht; und selbst die, welche ich verachten muß, bedaure ich zugleich. Meine Leidenschaften sind heftig, ich weiß es, aber sie brechen sich in sanfte Farben, wie Regentropfen im Sonnenstral, vor dem allmächtigen Schönheitssinn, der mein ganzes Wesen durchdringt und emporhebt. – Und ist nicht dieser Sinn, wenn wir frei genug denken, ihn aufs Ganze zu verbreiten, das größte, heiligste in uns? – wie weit erhebt er uns über eine engherzige Sinnlichkeit! Diese zieht nur einen kleinen Zirkel um uns, wählt wankelmüthig bald dies, bald jenes, und selbst das höchste Interesse, das sie an Andere binden kann, wird durch den Tod zerrissen. Aber jenes Gefühl, dessen heilige Rührung durch die ganze Gattung gefühlt wird, durch welches eine wahrhaft schöne Handlung, eine große Empfindung, die vor Jahrhunderten verübt oder gefühlt ward, und auf unser persönliches Wohl oder Weh keinen Einfluß hat, Thränen des reinsten Wohlgefallens in unser Auge lockt – dies Gefühl entstand mit der Menschheit, erhielt sich und dauert fort.
Du siehst, mein Lieber, daß ich Deine Auffoderung, Dir viel, und viel von mir selbst zu schreiben, treulich in Erfüllung setze. Ich habe jetzt mehr als je über mich nachgedacht, und ich hoffe, dies soll nicht ohne Nutzen gewesen seyn. Ja, Barton, ich erwarte viel von mir selbst. In dieser jugendlichen Freudigkeit gedeihen gute Entschlüsse, und die Kräfte, die ich in mir fühle, sollen eine wohlthätige Erscheinung werden, und die Fackel der Thätigkeit auch in fremden Gemüthern anzünden. Das handelnde Leben, ohne welches die edelsten Gesinnungen unfruchtbar bleiben, und alle Kraft des Gedankens verschwindet, reizt mein Verlangen, und ich brenne vor Sehnsucht mein eignes Wesen, in Wort und That, wieder zu finden.
Leb wohl, mein Freund, und laß mich bald von Dir hören.
Ich beklagte mich in meinem letzten Brief über Dein Schweigen, und nun gebe ich Dir Ursache über das Meinige zu klagen. Aber sind wir uns gleich? – Du kannst meine Briefe entbehren, Du liesest sie vielleicht nur um meinetwillen; mir sind die Deinigen unentbehrlich, ja sie machen einen Theil meines Lebens aus.
Ich habe seit ich Dir zuletzt schrieb, Nanettens Freundin, die sie mir in ihrem Brief schilderte, kennen lernen, und in ihr jene Unbekannte wieder gefunden, die ich in den ersten Tagen meines Hierseins, neben dem ältlichen Mann im Wagen schlummern sah, und deren unbefangene Schönheit ich Dir schilderte. Eine nähere Bekanntschaft hat mich nur noch mehr zu ihr hingezogen, und ich überlasse mich willig den Eindrücken die sie auf mich macht, – unbekümmert, ob sie meine flüchtige Neigung wird fesseln können, oder nicht. Du selbst riethest mir oft, mich dem verfeinerten Theil der Weiber, der gleichsam ein andres Geschlecht ausmacht, zu nähern, und ich hätte es gern gethan, wenn mich nicht meine natürliche Ungeschicklichkeit immer davon zurückgehalten hätte. Doch jetzt fühle ich lebhafter als je den Wunsch, von diesem wunderbaren Wesen mehr zu erfahren, und ihre mächtige Einwirkung auf unsere Bildung und Zufriedenheit an mir selbst zu empfinden. Glaube jedoch nicht, daß mich der weibliche Umgang ausschließend beschäftigen und von allem andern, was mir bis jetzt wichtig war, abziehen werde, denn noch gedenke ich lebhaft der Stunde, wo Du mir einst sagtest: Nichts hindert die Bildung besserer Menschen mehr als Liebeleien. Leidenschaften können zerrütten und erheben; die Seele, die sich ganz der Liebe hingeben kann, ist zu jeder Größe fähig, aber sie werden nur selten empfunden, und kleinlich ist es, ihren Schein zu erkünsteln.
Auch müßte ich wol sehr eitel sein, wenn ich glauben wollte, auf Amandens Herz einen bedeutend tiefen Eindruck machen zu können; denn sie ist reizend, sehr reizend, ein jeder fühlt das, der sie sieht, und ein wunderbarer Zauber, von tiefem, lebhaften Gefühl, der sie umgiebt, zieht Männer und Weiber mit Liebe zu ihr hin. Und doch, Barton! – ich möchte gegen Dich, um alles in der Welt nicht Heuchler sein – wenn ich alles bedenke, so, – wie mich auch ihre Phantasie ihr vielleicht darstellt – wie ich auch auf sie gewirkt haben mag – genug! ich muß es glauben, dieses Weib, dem Alles huldigt, das ich anbeten muß – sie liebt mich!
Höre was ich Dir zu sagen habe, und urtheile selbst. Nanette hat sich in der Nähe ein Gut gekauft, weil ihr das hiesige Leben so sehr gefällt, daß sie jährlich einige Zeit in dieser Gegend zubringen will. Sie lud uns ein, mit ihr dahin zu fahren, Amanda, mich und noch einige Bekannte, die ich Dir ein andermal schildern will. Ich sage Dir nichts von der Reise, obgleich Witz und Vergnügen sie zu der angenehmsten erheben, und obgleich schon da ein unsichtbares, unnennbares Band sich zwischen mir und Amanda webte. Als wir ankamen war es bereits Nacht. Nanette, von der Hitze des Tages und ihrer eigenen Lebhaftigkeit ermüdet, sehnte sich nach Ruhe, und da Amanda, die, unveränderlich wie eine Göttin, noch wie am Morgen voll Geist und Leben war, sich gleichwol nicht von ihrer Freundin trennen wollte, so ließen wir übrigen sie allein und gingen in der heitersten Laune und mit der angenehmen Aussicht auf ein paar glückliche Tage in die uns angewiesene Zimmer. Ich erwachte früh am andern Morgen; im Hause war noch alles still, und ich eilte hinaus in die Landschaft, auf welche eben die ersten Strahlen des Morgens fielen. – Die Schönheit der Gegend überraschte mich, denn die glückliche Stellung der Gebirge, die sich um das schöne Thal ziehen, bildete sehr romantische Parthien und einen reizenden Grund, wovon ich am Abend nicht das Mindeste geahnet hatte.
Ich verlor mich seitwärts in den Wald, der sich sanft den einen Berg hinaufzog; die frischen Waldgerüche durchdrangen und stärkten mich, und die Vögel wirbelten mit ihrer wilden, frohen Musik, mich zu neuer, rascher Lebenslust empor. Unvermerkt hatte ich die Höhe erreicht, und trat nun aus dem Dunkel des Waldes heraus. Ein wildes Klippengemisch sank unter mir ins Thal herab. Ringsumher waren alle Berge mit Wald bedeckt, der bald scharfe, dunkle Umrisse zog, bald gefällig wie mit grünen Wellen herabsank. Die Morgensonne glänzte mit heiligen Strahlen über die Berge, und meine Seele erklang wie Memnons Bildsäule, beim Wiedersehen der Mutter. Lange, lange stand ich da, das schöne Bild mit Wollust in mich aufzunehmen, und meine Gedanken hiengen an dem freudigen Wehen der Bäume, und an dem Leben, das aus ihren Zweigen in heiterer Ungebundenheit rauschte. Ueberall sah' ich eine unaussprechliche Freiheit und Liebe verbreitet. Wie in einem glücklichen, wohl organisirten Staat gedieh' hier alles, hinderte sich nichts, wuchs alles nach Kräften empor. – Mitten in diesen Bildern fühlte ich mein Herz von einer seltsamen Wehmuth durchschnitten. Hier, wo alles sich zu kennen, sich zu fassen schien, und fröhlich in Eins zerschmolz, schien ich mir ganz unzusammenhängend, ganz allein, dazustehen, und erschrack fast vor meiner eigenen Gestalt. – Ich breitete meine Arme aus, und fühlte mich so innig mit der Natur verwandt, hätte ein Mitglied dieser Bäumerepublik werden mögen! Ach, das ängstliche Klopfen meines Herzens störte keinen in seiner Ruhe, und eine Thräne preßte sich mir ins Auge, indem ich die unübersteigliche Scheidewand fühlte, die mich von den Wesen, welche mich umgaben, trennte. – In diesem Augenblick sah ich nicht weit von mir, unter Felsen und wildem Gesträuch, eine weibliche Figur sitzen, die ich im ersten Augenblick für Amanda erkannte. Sie sah zu mir herauf, sie blickte mich seelenvoll an, und mir ward wohl, jugendlich wohl. – O! Leben, rief ich – und sprang über die Felsen zu ihr hinab, welch ein liebes, freundliches Geschenk bist du! – Mit innigen Vergnügen hörte ich, wie sie mir zurief, nicht diesen Weg, der allzugefährlich sei, zu kommen. Ich sah sie schöner, himmlischer als je, eine überirdische Glut loderte in ihren Blicken, und jeder Zug ihres Gesichts, jede Bewegung, war Anmuth und Seele. – Meine Amanda! dachte ich – und merkte erst an ihrem überraschten Blick, daß ich es auch gesagt hatte. Aber wer hätte bei dieser Umgebung, in solcher Stimmung, und bei ihr, wol an Verhältnisse, oder nur an etwas Entferntes denken können? – Die Gegenwart war so allbeseligend, und eine fröhliche Begeisterung, gab allen Gegenständen um uns her eine neue, schönre Bedeutung. Ich schlang meinen Arm dicht um den ihrigen; mein Blick durchirrte die Gegend nicht mehr, und so oft auch sie mich anblickte, mit ihrem Auge voll Geist und Liebe, flog ein heiliger, nie gefühlter Schauer durch meine Seele.
Nach diesem Morgen war alles ganz anders, zwischen ihr und mir. Ueberall schienen wir uns zusammen zu gehören, und ein geheimes Verständniß leitete uns, ohne daß davon zwischen uns die Rede gewesen wäre. Wir blieben einige Tage auf dem Lande. Am letzten war Amanda trübe, aber diese Schwermuth war reizender als alle Freude der Welt. Wir alle hatten den schönen Abend in der Laube des Gartens zugebracht. Die andern giengen weg; sie verspätete sich einen Augenblick: O! daß ich sie zu erheitern vermöchte! sagte ich, daß ich ihnen nur etwas sein könnte! – Eduard, sagte sie, sie können mir Viel sein! Und in diesem Augenblick fühlte ich einen leisen Druck ihrer Hand, der meine ganze Seele erschütterte.
Was wirst Du mir schreiben, Barton? ich erwarte Deinen Brief mit der höchsten Ungeduld. Wie? wenn ich vor Dir da stände, wie einer jener Gecken, die ich immer so bitter gehaßt habe, die jedes freundliche Wort eines Weibes, jeden leichten, vorübergehenden Scherz für Liebe halten! – Tage sind vergangen, ich habe sie nicht gesehen, und jene seltsame, freudige Gewißheit, ist nicht mehr in meiner Brust; ja fast schäme ich mich, daß einige Blicke, halbe Worte, und ein Händedruck, mir sie erregen konnten. Und doch!– O! sag' Du mir Deine Meinung, aber bald! ich bin entschlossen, sie nicht wieder zu sehen; denn, wenn die Gewalt eines Weibes so groß ist, daß sie uns mit uns selbst entzweit, so ist sie mir furchtbar.
Hab' ich bis jetzt geträumt? oder sendet eine höhere Sonne nur zuweilen einen flüchtigen, aber göttlichen Blick auf unser düstres Leben? – Was für Stunden sind mir geworden! Das erste goldne Alter der Menschheit ist zurückgekehrt, alle Mißverhältnisse sind verschwunden, alle Fesseln zerbrochen, und ungehindert folgen die Herzen dem süßen Zug der Harmonie. Ich trage in meiner Seele ein hohes Bild; ich denke an nichts, kein Mensch hat Recht auf meine Theilnahme, ich lebe jetzt nur mir, nur meinem Himmel. Zu welcher Höhe von Glück bin ich auf einmal emporgestiegen? Welch ein göttlicher Frühlingshauch hat alle Blüthen meines Gefühls entfaltet? Julie! wenn Du jetzt nicht mit mir fühlst! – Du sagtest mir es oft – und ich bestritt es zuweilen – wenn zwei gleichgestimmte Herzen sich fänden, das sei die lieblichste Blüthe des Lebens. O! freue Dich mit mir, holde Jugendgespielin! Laß Dich von keiner Sorge, keiner Bedenklichkeit zurückhalten. – Wahrheit des Gefühls, wo und wenn sie auch erscheint, und wie sie sich auch äussert, ist immer ehrwürdig, immer heilig! –
Auswuchs