Tatjana Kruse
Zwei Schwestern für ein Halleluja
Die K&K-Schwestern ermitteln
Insel Verlag
Für »Miles Kendig«, aus Gründen.
Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.
Friedrich von Schiller
Der Bösen Rotte hat mich umringt.
Psalm 22, 17
Saubande, vermaledeite! Die Pest soll euch holen!
Chuck Norris (der Graupapagei, nicht der Action-Darsteller)
Konny wähnte sich in einer Liebesschmonzette.
Die gletscherblauen Augen des Priesters neben ihr sahen zu dem frühlingshaft knospenden Baum, in dem eine Amsel ihr fröhliches Lied sang. Nein, schmetterte.
In seinen wie aus Marmor gemeißelten Wangen tauchten Grübchen auf, die zusammen mit dem Grübchen in seinem Kinn ein Dreieck von vitruvianischer Perfektion und Schönheit bildeten. Wäre Leonardo da Vinci zufällig im Garten anwesend gewesen, er hätte zu Pinsel und Palette gegriffen. Mona Lisas Lächeln war nichts im Vergleich zu dem von Hochwürden Robert Eberhard.
Konny schmolz dahin. Und es lag nicht daran, dass sie in der Ecke des Gartenpavillons saß, der die volle Strahlung der Maisonne abbekam, sondern an ihrer zunehmenden Zuneigung zu diesem Priester. Genau das war die Grundfrage der Gefühlsmathematik – ab welchem Neigungswinkel wurde aus einer ersten, oberflächlichen Bekanntschaft Liebe?
»Es gibt die Legende von einem Vogel …«, sagte der Pater leise über das Zwitschern der Amsel hinweg, mit einer sonoren Stimme, die Konny durch und durch ging, »… und dieser Vogel sucht vom Augenblick an, in dem er sein Nest verlässt, nach einem bestimmten Dornenbusch. Sobald er ihn gefunden hat, lässt er sich so darauf nieder, dass ihn der größte und schärfste Dorn des Busches durchbohrt, aber im Sterben fängt er an zu singen, und sein Gesang ist unvergleichlich, denn er bezahlt ihn mit dem Leben. Die ganze Welt lauscht ergriffen, sogar Gott im Himmel lächelt. Denn es ist ja so: Erst das größte Opfer bringt das Beste im Menschen hervor.« Der Priester drehte sich zu Konny. »Finden Sie nicht auch?«
»Was?«
Konny sah sich in den starken Armen des Priesters. Vor ihrem inneren Auge näherten sich ihre Lippen einander an, sie atmete seinen Duft nach Weihrauch und Kernseife ein und …
Jetzt schreckte sie aus ihren Dornenvögeltagträumen. »Was?«, wiederholte sie und sprach, auf Wirkung bedacht, eine Terz tiefer als sonst.
Er sah sie an und zwinkerte. Die Wucht seines Wimpernschlags ließ sie erbeben. Weil man liebesschmonzettig fühlt, wenn man sich in einer wähnt. Und man ist ja nie zu alt, um wie ein Teenager zu schwärmen. Oder andersherum, je oller, desto doller. Konny war schockverliebt in diesen schmucken Priester, dessen Charakter ebenso schön war wie sein Äußeres. Als er in die Bed-&-Breakfast-Pension eingecheckt hatte, die sie zusammen mit ihrer Schwester Kriemhild führte, da hatte sie sich seinen Ausweis zeigen lassen – er war fast zehn Jahre älter als sie, sah aber aus wie eine nur leicht ergraute Symbiose der jungen Ausgaben von Franco Nero, Richard Chamberlain und Kardinal Georg Gänswein.
Zwar hatte Konny ein gesundes Misstrauen gegenüber exorbitant schönen Menschen, aber er strafte ihr Vorurteil in der kurzen Zeit ihrer Bekanntschaft Lügen: Jeden Tag, den sein Herr werden ließ, tat er eine gute Tat, rettete er entweder eine kleine Weinbergschnecke davor, auf der Straße überfahren zu werden, oder besuchte den bettlägerigen Bauern Schober auf dem Hof nebenan. Oder beides. Und immer ging er bei den alltäglichen Arbeiten in der Pension zur Hand, half Kriemhild beim Tischdecken und Herrn Hirsch, dem Gärtner, beim Hoffegen oder Unkrautjäten.
Kurzum, dieser Priester war ein Heiliger.
Fand Konny.
Jetzt versenkte Hochwürden Eberhard seinen Blick in Konnys Augen.
Die Knospen knospten, die Amsel zwitscherte, ein Schaf blökte, die Zeit blieb stehen.
»Ich wollte damit sagen«, fasste er seine Ausführungen zusammen, »dass man manchmal Dinge tun muss, die vielleicht große, sehr große Opfer bedeuten. Aber der Lohn dafür wird reich sein.« Pfarrer Eberhard sah hinüber zu der Wiese der Schobers, auf der ein Schafbock mit seinem Harem graste. »Die Gespräche mit Ihnen, meine liebe Konny, haben mir die Augen geöffnet. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass ich jetzt alles in einem neuen Licht sehe. Ich bin Ihnen wirklich dankbar.« Er nahm ihre rechte Hand, drückte sie fest, sah ihr dabei wieder in die Augen, und legte ihre Hand dann vorsichtig zurück auf die Gartenpavillonsitzbank.
Konny sah auf ihre Rechte. Ihre Haut kribbelte.
Es war der Tag seiner Abreise. Zwei Wochen hatte der Priester in der Pension von Konny und ihrer Schwester Kriemhild verbracht. Um fernab seines Alltags einmal intensiv nachzudenken, wie er beim Einchecken gesagt hatte. Er war eigentlich schon längst pensioniert, betreute jedoch die Nonnen des Klosters, in dem er seinen Lebensabend verbrachte, als seelischer Beistand.
Konny, ganz knapp über sechzig, im Gegensatz zu ihrer nicht-eineiigen, großen und hageren Zwillingsschwester Kriemhild kleiner und draller, hatte sich in ihrem wilden Junggesellinnenleben als freie Journalistin einige ungute Gewohnheiten zugelegt: Sie steckte zu gern ihre Nase in Dinge, die sie nichts angingen, sie aß leidenschaftlich gern Kohlehydrathaltiges wie Cremeschnitten und Pasta, die sich – ohne Umweg über den Verdauungstrakt – sofort auf ihren Hüften absetzten, und sie verliebte sich grundsätzlich in die falschen Männer. Dieses Mal in einen Priester. Mit dem sie jeden Abend seines Hierseins draußen auf der Bank saß. Manchmal redeten sie, manchmal schwiegen sie. Wobei sie sich nicht anschwiegen, sie schwiegen miteinander. Was man ja nicht mit jedem x-beliebigen Menschen konnte. Das zwischen ihnen, das war etwas Besonderes.
Nur heute saßen sie ausnahmsweise schon mittags im Pavillon, weil es sein Abreisetag war und er um kurz nach eins den Regionalzug erreichen musste.
»Ich fand unsere Gespräche auch wunderbar«, sagte Konny, jetzt schon wehmütig, und strich sich eine ihrer wilden, braun gefärbten Locken aus dem Gesicht.
Konny war bereit, endlich die Liebe zuzulassen. DIE Liebe. Natürlich würde Robert nach einem langen Leben, das er der Kirche geweiht hatte, seine Gelübde nicht einfach so über Bord werfen. Das erwartete Konny auch gar nicht. Er durfte sich ruhig Zeit lassen. Sie gestand sich ein, jetzt in einem Alter zu sein, in dem man sich nicht mehr nach der heiß kochenden Leidenschaft verzehrte – ein leichtes Köcheln genügte vollauf fürs Glücklichsein. Falls er der Kirche doch nicht den Rücken kehren wollte, könnte sie in das Gästezimmer seines kleinen Häuschens auf dem Klostergelände ziehen und so tun, als sei sie seine Haushälterin, wie Lina Carstens in den Pater-Brown-Filmen mit Heinz Rühmann. Jeder Priester hatte doch eine Frau im Haus. Und ob sie nun in fleischlicher Sünde lebten – oder einfach nur wie Philemon und Baucis heimlich händchenhaltend abends auf der Bank vor seinem Häuschen saßen und in den Sonnenuntergang schauten: Alles, alles wäre gut. Wichtig war nur, dass sie den Mann, den sie liebte, neben sich wusste – und den Kater, den sie liebte, auf ihrem Schoß liegen hatte. So wie jetzt.
Hm, Amenhotep. Das könnte womöglich ein Problem werden. Robert hatte ihr erzählt, dass auf dem Klostergelände keine Tiere erlaubt waren. Aber Konny dachte stets lösungsorientiert: Amenhotep war ein Nacktkater, der ohnehin nicht ins Freie durfte – sie würde ihn einfach in ihrem Schlafzimmer verstecken. Das machte ihm nichts: Solange er seinen Kratz- und Kletterbaum, ein warmes Fleece-Jäckchen und immer einen vollen Napf hatte, war er zufrieden. Die Nonnen würden überhaupt nicht merken, dass es ihn gab.
Hin und wieder hatte Konny in diesen zehn Tagen der Schockverliebtheit auch lichte Sekunden, in denen ihr klar war, dass sie mit ihren rosaroten Zukunftsvisionen womöglich vorschnell voranpreschte. Robert war immer Gentleman-Priester geblieben, hatte ihr nie mehr eingestanden als nur seine Freundschaft. Aber zum einen wurde die Zeit knapp. Statistisch gesehen hatte sie noch knapp zwanzig Jahre vor sich – viel zu wenig, um auf Nummer Vorsicht zu gehen. Wenn er also nicht von allein merkte, dass sie beide füreinander geschaffen waren, würde sie eben nachhelfen müssen. Und zum anderen konnte Konny sehr wohl zwischen den Zeilen lesen. Er suchte aktiv ihre Nähe, das bildete sie sich nicht ein.
Schon als er an seinem allerersten Tag in der Pension von einem Ausflug in die Stadt zurückkam, präsentierte er ihr im Anschluss an das Abendessen (in der Halbpension inkludiert) seine Beute vom Flohmarkt: eine alte, schwere Bibel. »Soll ich Ihnen daraus vorlesen?«, hatte er gefragt. Sie hatte – etwas atemlos – genickt und sich dann eine geschlagene Stunde aus dem Alten Testament vorlesen lassen. Sie! Konny! Mit 21 aus der Kirche ausgetreten. Noch dazu der evangelischen. Aber mit seiner Baritonstimme hätte er ihr auch den Beipackzettel einer Anti-Fußpilz-Creme vorlesen können, und sie wäre begeistert gewesen.
Und was hatte er ihr vorgelesen? Genau! Das Hohelied Salomons. Quasi die Porno-Ecke der Heiligen Schrift. Mein Geliebter ruht wie ein Beutel mit Myrrhe an meiner Brust. Wenn das kein Freud’scher Hinweis war, dann wusste sie auch nicht. Na gut, nicht gleich am ersten Abend – da war es ein Psalm gewesen. Konny hatte vergessen, welcher. Aber sukzessive hatten sie sich zum hocherotischen Hohelied hingearbeitet: jeden Abend eine Stunde. Nur sie beide. Im Garten. Unter dem Sternenhimmel. Und der Gartenlampe, um die Stechmücken schwärmten, kurz bevor sie zum Sturzflug auf Konnys Blutbahnen ansetzten.
»Die Zeit ist viel zu schnell vergangen«, sagte sie jetzt mit Seitenblick auf Hochwürden Eberhard. »Ich möchte Sie zu gern wiedersehen. Erwähnten Sie nicht, dass es im Kloster ein Gästehaus gibt?«
»In der Tat«, bestätigte er. »Ein wirklich nettes Gästehaus sogar. Nicht so komfortabel wie Ihre Pension, versteht sich, aber mit ebenso viel Liebe geführt.« Er nickte. »Ich würde mich ehrlich freuen, wenn Sie einmal vorbeikämen. Was Sie mir von Ihrem abenteuerlichen Leben erzählten … hochinteressant für mich. Das säkulare Leben ist mir fremd, aber …« Er stockte, sah sie an, lächelte. »… ich möchte mehr darüber erfahren. Viel mehr! Aus Ihrem Mund.«
Konny schloss die Augen. Das war bei aller Schlichtheit die schönste Liebeserklärung ihres ganzen Lebens. »Sehr, sehr gern!«
Weil jetzt alles gesagt schien, schauten sie beide zum Rand des Grundstücks, wo es hinab ging ins Tal und zur Stadt. Genau das machte die wahre Liebe aus: nicht sich ansehen, sondern zusammen in die gleiche Richtung schauen.
Konny seufzte glücklich.
Eigentlich müsste sie schon längst an dem Artikel sitzen, den sie für ein Online-Frauenmagazin schrieb. Konnys Kummerkastenkolumne. Aber was war schon Arbeit, wenn es im Dampfkochtopf der Gefühle brodelte?
Ja, fand sie, das Leben war eine große Schatulle an Abenteuern. Wenn man die Schatulle öffnete, wusste man nicht, was drin war. Wie bei Forrest Gumps Pralinenschachtel. Aber wenn man sich darauf einließ, war es nie langweilig. Und das Leben belohnte einen immer. Dass vor der Tür der Pension ein berühmter Musiker mit einem Aufsitzrasenmäher plattgefahren worden war, hatte dazu geführt, dass Gärtner Hirsch trotz seiner Aphasie die Frau fürs Leben fand. Dass der Kommodore einen Schatz vom Meeresgrund gehoben hatte, führte zu viel Verdruss für die Schnüffelschwestern und einem infernalisch fluchenden Papagei als Haustier, aber hinterher konnten sie ihre Pension grundsanieren und seitdem waren sie so gut wie immer ausgebucht. Dass Kriemhild im Wald mitbekam, wie ein stadtbekannter Promi seine Frau erschoss, führte zu …
Nein, da fiel Konny auf die Schnelle nichts Positives ein. Darauf hätte sie tutti completti – vom Magenauspumpen wegen Pilzvergiftung bis hin zu dem Moment, als sie mit ihrer Schwester im Sarg liegend in den Krematoriumsofen geschoben worden war – liebend gern verzichten können.
Sie sah zu Hochwürden Eberhard.
Robert.
Er sah sie an. »In Ihnen, liebe Konny, habe ich ganz unerwartet einen besonderen Menschen gefunden. Was für ein Segen.«
Konny klimperte mit den Wimpern. Es schien ihr der richtige Moment für Wimpernklimpern.
»Ich möchte Ihnen das hier zu treuen Händen geben, bis ich wiederkomme.« Er drückte ihr die Flohmarktbibel in die Hand. Die wog gefühlt eine Tonne und roch muffig-säuerlich. Nach den verwesenden Cellulosefasern des Papiers und dem Essigsäureleim, mit dem das Buch gebunden worden war, dachte Konny, die für einen Artikel einmal über antiquarische Folianten recherchiert hatte.
Sphinxkater Amenhotep kräuselte sein Schnäuzchen und sprang – ungnädig miauend – von Konnys Schoß, um angewidert in Richtung Küchentür zu stolzieren. Was elegant und nachgerade altägyptisch-katzengottgleich hätte wirken können, würde er nicht seinen froschgrünen Babystrampler tragen wie immer, wenn Konny ihn bei nicht ganz hochsommerlichen Temperaturen ins Freie ließ.
»Pfarrer Robert, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll?« Konny streichelte den fleckigen Ledereinband der Bibel, als wäre es der Handrücken des Priesters. In ihr jubilierte alles – er hatte gesagt, dass er wiederkommen wolle. Hossa! Aber das sprach sie natürlich nicht aus. Es war ein bisschen, wie wenn man ein wildes Tier mit der Hand fütterte: Jedes laute Geräusch konnte das Tier verschrecken und dann würde es fliehen und niemals wiederkommen. Also sagte sie nur: »Ist die Bibel nicht viel zu wertvoll, um sie mir zu überlassen?«
»Hm«, sagte er und sah die Bibel nachdenklich an. »Ich habe sie auf dem Kinderflohmarkt einem frühpubertierenden Buben für einen Hunderter abgekauft. Er meinte, er hätte sie auf dem Dachboden gefunden, und sie hätten’s in seiner Familie nicht so mit der Religion. Jetzt möchte ich diese Bibel in Ihre Hände geben, liebe Konny. Ich hoffe, Sie lesen fleißig darin«, sagte er eindringlich, aber mit einem völlig unmissionarischen Lächeln. »Wissen Sie, nur ein einziges Mal zuvor hatte ich das Gefühl, meinem Leben eine völlig neue Richtung geben zu wollen. Das war damals, als ich den Ruf des Herrn vernahm.« Er schaute milde. »Aber jetzt stehe ich wieder an einem Scheideweg, und dank Ihnen, meine liebe Konny, weiß ich, welchen der beiden Wege ich einschlagen muss.«
War das Code für Ich will dich an meiner Seite wissen, von nun an bis in alle Ewigkeit?
»Ja«, hauchte Konny.
»Wie bitte?« Er hielt ihr sein gutes Ohr hin.
Konny lief rot an. In einer Mischung aus Hummer- und Tomatenrot, die ihrem Teint so gar nicht schmeichelte. »Ich sagte: Gern geschehen.«
»Es ist zu entzückend, wenn Sie erröten!« Er grinste spitzbübisch. Seine Grübchen vertieften sich. Alle drei.
Blitzschnell überlegte sie, ob sie ihm vorflunkern solle, es handele sich um wechseljahrsbedingte Hitzewallungen. Oder ob sie nach einer Ablenkung suchen sollte. Sie entschied sich für die Ablenkung. Auch, weil in exakt diesem Moment drüben, an der Grundstücksgrenze zum Bauernhof von Ehepaar Schober, ein Wanderer auftauchte.
»Da ist schon wieder einer, der das Schild Privatgrundstück nicht lesen konnte«, schimpfte Konny und sah zu der verhuscht wirkenden, männlichen Gestalt mit Leinenhut und Rucksack, die ihnen den Rücken zukehrte und Fotos von den Schafen schoss.
»Es ist aber auch zu verlockend, dem Trampelpfad zu folgen, der von der Landstraße hier am Haus vorbei zum Wald führt«, meinte Pfarrer Eberhard, der immer erst mal den Advocatus Diaboli spielte. Er konnte nicht anders, das war eine déformation professionelle. »Oder es ist ein Tourist aus dem Ausland, der unsere Sprache nicht spricht.«
Es war natürlich durchaus möglich, dass der Rücken jemandem gehörte, der nur kyrillische oder chinesische oder arabische Schriftzeichen zu lesen vermochte. Wegen des Leinenhutes sah man den Kopf nicht, und Rucksackrücken sind ja der große Gleichmacher vor dem Herrn.
»Mittagessen ist fertig!«, rief Frau Friedrich aus der Küche, bevor Konny etwas darauf erwidern konnte.
Pfarrer Eberhard stand auf.
»Lassen Sie mich die Bibel tragen, sie ist ja doch recht schwer.« Er nahm ihr das Buch der Bücher ab.
»Danke!«, raunte Konny, wie man es einem Superhelden zuraunte, der einen gerade aus den Händen des Schurken errettet hat. Sie sahen sich noch einmal in die Augen, lächelten und gingen zur Pension.
Natürlich konnten sie es nicht wissen, aber der Tourist war kein Tourist, und er stand auch nicht zufällig auf dem Trampelpfad vor dem Elektrozaun der Schafwiese. Aus den Augenwinkeln sah er zu Konny und dem Mann im schwarzen Anzug, die jetzt durch die Hintertür ins Haus traten. Er zupfte sich unbewusst das schüttere Ziegenbärtchen. Und meinte, förmlich zu spüren, wie die Visitenkarte in seiner Westentasche aufzuleuchten schien, als sei sie soeben zum Leben erwacht. Eine Visitenkarte, auf der nichts weiter stand als:
Pater Robert Eberhard
Geistlicher Beistand der
Schwestern unserer Lieben Frau vom Sonnenberg
Kloster Mistelau am Walde
Liebe Konny,
mein Mann und ich sind seit fast vierzig Jahren verheiratet. Es gab nie ein böses Wort. Aber seit ich vor drei Monaten mit dem Rauchen aufgehört habe, beschwert sich mein Walter ständig über das Essen. Es sei entweder verkokelt oder noch roh. Er hat ja nicht ganz unrecht: All die Jahre habe ich die Kochzeit danach berechnet, wie viele Zigaretten ich rauchen kann, bis das Fleisch durch ist oder die Nudeln al dente sind.
Ich habe ihm angeboten, wieder mit dem Rauchen anzufangen, aber er sagt, er hat es satt, einen Aschenbecher zu küssen. Ich habe es allerdings auch satt, ständig angenörgelt zu werden. Was denn nun?? Ich bin sooo kurz davor, unsere Ehe in die Tonne zu klopfen!
Rauchfrei auf 180, Sybille
Liebe Zigarettenlängenköchin,
wenn’s funktioniert, soll man’s nicht ändern. Wenn man’s aber ändern muss, weil man keine Teerlunge haben will, dann funktioniert es eben anfangs nicht ganz reibungslos. Es ist nur eine Übergangsphase. Sie werden neue Wege finden, um herauszufinden, ob sie in der Pfanne noch Hamburger oder schon Kohlebriketts braten. Ich persönlich rate zu einem Küchenwecker.
Wenn Ihr Walter nicht anerkennen kann, dass Sie sich für ihn gesund halten und ihn gleichzeitig verköstigen wollen, soll er gefälligst stumm leiden.
Er soll sich zur Ablenkung ein Hobby zulegen. Beispielsweise Kochen.
Man muss den Menschen – auch denen, die man liebt – zeigen, wie man behandelt werden möchte. Werfen Sie ihn aus dem Esszimmer beziehungsweise der Küche, sobald er den Mund zu etwas anderem öffnet, als einen Bissen zu sich zu nehmen oder Ihnen ein »Danke, dass du mich versorgst, Schatz!« zuzurufen.
Kochlöffelgrüße, Ihre Kummerkastenkonny