Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Copyright: 2017 Andreas Müller
Covergestaltung: Maren Roloff
© 2017
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783744860376
A: Das ist niemand.
F: Wer ist denn dieser „Niemand“?
A: Einfach niemand.
Dieses Buch kann Ihnen nichts geben. Im besten Fall wird es Ihnen etwas nehmen, wobei sich selbst diese Vorstellung im Laufe des Buches als ebenso illusionär entpuppen wird wie die Vorstellung, Sie könnten etwas gewinnen. Nun ja, was Sie neben einer Vielzahl unklarer Vorstellungen über sich und das Leben verlieren könnten, sind Sie selbst. Sie könnten sich selbst verlieren. Allerdings, wie schon angedeutet, handelt es sich hierbei um eine Geschichte. Denn bei Befreiung handelt es sich nicht um das Ende einer realen Instanz, es ist eher so, dass Ihre Existenz bereits Geschichte ist.
Es gibt Sie nämlich gar nicht als das, als was Sie sich erfahren, so Sie sich denn erfahren. „Ich bin“ und „Ich erfahre etwas“ sind ein Traum. Das Erfahren einer Subjekt-Objekt-Realität gleicht einer künstlichen Realität, einer künstlich aufaddierten Realität, die darauf basiert, dass ein reales Subjekt reale Objekte erfährt. Genau das ist das „Ich bin“- und „Ich erfahre etwas“-Erleben. Innerhalb dieses Erlebens gibt es „mich“ – einen Menschen, der hier und jetzt anwesend ist – und eine Situation, in der ich mich befinde. Das ist das Setup von Trennung. Die feinste Form der Trennung ist Gewahrsein – ein feines Erleben von Anwesenheit, das sich selbst als etwas Eigenes, zwar Unbekanntes, aber Reales erfährt.
Dieses Setup – dieses Erleben – ist illusionär. Es ist nicht in dem Sinne real, wie es erfahren wird. Sich als „jemand“ zu erfahren bedeutet, durch den scheinbaren Vorgang des Erfahrens von dem, was geschieht, getrennt zu sein. „Ich bin“ erfährt sich als „jetzt und hier“ anwesend, getrennt von der Situation, in der es sich zu befinden glaubt. Diese scheinbare Trennung, die nicht nur eine Idee ist, sondern ein energetisches Erleben, ist die Ursache für das Erleben, nicht erfüllt zu sein und Erfüllung zu suchen. Die Suche nach Einheit ist Teil des Traumes von „Ich bin“, genau wie das Erleben, diese Einheit verloren zu haben. Das Dilemma ist, dass, egal welche Erfahrung das scheinbare Ich macht, diese Erfahrung im Erleben unbefriedigend bleibt, gerade weil es sich um eine Erfahrung handelt. „Ich bin“ erfährt eben nur. Befreiung, so wie sie hier im Buch besprochen wird, ist nicht ein Aufwachen aus dem Traum, „jemand“ zu sein, sie ist das Ende dieses Traumes. Aus der Sicht von „Ich bin“ ist das der Tod – das Ende des Erlebens einer realen Anwesenheit, das Ende des Erlebens, „jetzt hier“ zu sein. Im Sterben jedoch stellt sich heraus, dass gar nichts lebt. Im Sterben stellt sich heraus, dass gar nichts stirbt. Im Sterben stirbt nichts und im Leben lebt nichts.
Die erlebte Trennung ist illusionär. „Ich bin“ ist illusionär. Niemand muss finden, denn es ist niemand verloren. Dass „ich“ befreit werden müsste, ist der Traum. Dass in der Lösung „meiner“ Probleme Befreiung liegt ist, ist der Traum. Dass „etwas“ existiert, ist der Traum. Verglüht „Ich bin“, verglüht nichts – und doch: Was bleibt, ist alles. Was bleibt, ist eine Vollkommenheit, der es an nichts fehlt. Was bleibt, ist das, was ist. Was bleibt, ist das: nicht-etwas, das erscheint als das, was erscheint. Es ist diese Zeilen zu lesen, dieses Buch in den Händen zu halten, diese Gefühle und Gedanken – natürlich für niemand.
In Befreiung zu leben heißt, in Nicht-Wissen zu leben – im Sinne von Nicht-Kennen bzw. Nicht-Erfahren. Denn weil nichts als etwas Reales erfahren wird, kann auch nichts als etwas Reales gekannt werden. Das energetische Setup des Subjekt-Objekt-Erlebens verpufft zum Unbekannten. Aus der Sicht des scheinbaren Ich mag das tot und unwirtlich wirken, doch auch hier die Überraschung: Das Ende des Erlebenden nimmt dem, was passiert, keineswegs die Fülle. Es rückt vielmehr alles an die rechte Stelle, nämlich vom scheinbar Realen ins real Illusionäre. Und auch damit wird dem, was scheinbar geschieht, nichts genommen, sondern seine Ganzheit zurückgegeben. Es sind eben „Sie“, der das, was passiert, als unvollkommen erlebt, gerade weil Sie es nur erleben. Diese Verdinglichung des Nicht-Dinglichen, dieses Leben als künstliche Realität scheint dermaßen schmerzhaft und unbefriedigend zu sein, dass Sie tagein, tagaus versuchen, ihr zu entkommen. Natürlich ist das unmöglich. Woraus Sie nämlich entkommen müssten, ist nicht irgendein Traum – der Traum sind Sie selbst. Das ganze eben beschriebene Setup – „Ich bin“, „Ich erfahre etwas“, „Ich muss und kann finden“ – ist illusionär. Es hat keine eigene Realität und nur solange Bestand, wie „das Unbekannte“ als solches erscheint. Ihr Leben hängt am seidenen Faden – einem feinen seidenen Faden wohlgemerkt. Nun ja, es gibt eben weder Sie noch Ihr Leben. So gesehen, hängt da gar nichts.
Die Suche also, das Gefühl, dass noch etwas fehlt, ist Teil des Erlebens, „jemand“ zu sein. Das Dilemma ist, dass sie unbefriedigt bleibt, ja bleiben muss. Das scheinbare Ich sucht nach etwas Realem in einer Realität, die so gar nicht existiert. Es vermutet einen realen Zustand oder ein reales Ereignis „Befreiung“, obwohl es ein solches gar nicht gibt, in einer Zukunft, die es nicht gibt und die deshalb nie eintreten wird. Ganz abgesehen davon, dass etwas sucht, nämlich das scheinbare Ich, das auch nicht so existiert, wie es sich erlebt, nämlich als real. So ist und bleibt die Suche zum Scheitern verurteilt. Nicht nur, weil jedes Finden illusionär ist, sondern weil auch der Suchende selbst illusionär ist.
Ist das hier deshalb ein Aufruf, die Suche sein zu lassen? Ja und nein. Ja, denn natürlich ist, wie oben beschrieben, jegliche Suche nach persönlicher Erfüllung auf wundervoll absolute Weise vergebens; und nein, weil da natürlich niemand ist, der die Suche aufgeben könnte und müsste und weil Suche offensichtlich das Unbekannte ist, das als „Suchen“ erscheint. Wer sollte also was aufgeben, wenn das, was erscheint, gar nicht aus eigenständiger Realität besteht?
Das heißt zu versuchen, die Suche aufzugeben, ist ebenso zum Scheitern verurteilt, da es sich hierbei um ein weiteres, scheinbar vergebliches Suchen handeln würde. Auch hier vermutet das scheinbare Ich im Beenden der Suche persönliche Erfüllung, die ja, wie schon angesprochen, nicht existiert. Tja, ein Dilemma könnte man es nennen, wenn auch „nur“ ein scheinbares.
Das Dilemma des scheinbaren Ich ist, dass es glaubt, Einheit (oder Gott) umsetzen zu müssen. Es glaubt, dass es sich entweder um eine Erfahrung handelt oder um eine persönliche Realisation. Natürlich kann das scheinbare Ich nicht anders – es besteht nur daraus, genau so zu leben und zu erfahren – und doch ist dieser Versuch hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Aus der Annahme, gottgleich oder zumindest gottähnlich werden zu können, entstehen all die spirituellen Methoden und auch die Religionen. So versucht das Christentum seit ca. 2000 Jahren, „Liebe“ umzusetzen und diese in die Welt zu tragen - scheinbar mit durchwachsenem Erfolg. Buddhisten üben sich in Gleichmut; spirituelle Sucher versuchen, bedingungslose Liebe zu erfahren, dauerhaft still zu werden, Konditionierungen zu lösen, um in Frieden und eigenschaftslos zu sein, sich nicht berühren zu lassen, um als unberührtes, erleuchtetes Ich über den Dingen zu schweben. Der Sucher wähnt sich dabei in einer Entwicklung, die aus Vor- und Rückschritten, aus Erfolgen und Niederlagen besteht. Was er nicht sieht, ist, dass er sich eher im Kreis dreht. Alle diese scheinbaren Erfolge betreffen eben nicht das Erleben, „jemand“ zu sein selbst, sondern finden allesamt nur statt innerhalb seines illusionären Erlebens. Anstatt sich zu einem wahren „gut“ aufzuaddieren, sind sie flüchtige und vor allem leere Erfahrungen. Leer sind sie deshalb, weil ihnen keine Realität innewohnt. „Ich erfahre etwas“ ist eben ein Traum – eine Realität, die gar keine Realität ist. Und so bringen Erfahrungen gar keine Erfüllung mit sich. „Ich bin“ besteht nur daraus, innerhalb seiner Traumwelt zu leben, zu arbeiten, zu suchen und vermeintlich zu finden. Dass jede Suche und jedes Finden genauso illusionär ist wie es selbst, bleibt ihm innerhalb seines Erlebens verwehrt. Wäre es real, wäre es tragisch.
Das, was ist, ist „es“, aber es ist nicht darin. Es ist auch nicht außen herum oder darunter oder darüber. Es ist das, was ist. Das scheinbare Ich vermutet das Absolute getrennt vom Relativen. Es glaubt, dass dieses Absolute etwas Reales ist, das jenseits dessen liegt, was es erfährt. So erfindet es einen Gott, eine göttliche Intelligenz, eine Quelle, einen Urgrund, den göttlichen Funken, eine reine Seele – alles Dinge, die auf irgendeine Art getrennt sind von dem, was „Ich“ als Leben erfährt. Das Dilemma ist, dass Vollkommenheit gar nicht jenseits ist, sondern nur jenseits des Erlebens von „Ich bin“. Vollkommenheit ist nicht mal jenseits von „Ich bin“ und dessen Erleben an sich – denn auch das ist „es“ – sie scheint nur jenseits zu sein innerhalb dieses Erlebens; aber auch das wiederum ist auf seine eigene Weise vollkommen.
Sie können der Vollkommenheit nicht entkommen, weil Sie sie sind. Aber solange Sie sind, werden Sie sie nicht erfahren können. Sitzen ist „es“, essen ist „es“, sprechen ist „es“, atmen ist „es“, denken ist „es“. Und so ist Vollkommenheit eben nichts weniger als das, was ist. Sie ist das, ohne eine „sie“ zu sein.
Demut, Mut, Einsichten, Achtsamkeit, Lernen, Wahrheit, Offenheit – alles Dinge, die spirituelle Lehrer raten; Bedingungen, die zu erfüllen wären. Umstände, die man schaffen könnte... Und wozu das alles? „Um... zu...“ . Um erleuchtet zu werden. Um weiter zu kommen. Um, um, um. Doch ich frage: Welche Bedingung hat der Tod? Was können Sie tun, um ihn zu fördern? Wieso sollten Sie ihm mutig, achtsam und offen entgegenstürzen? Wieso, frage ich mich? Ich habe keine Lehre. Ich kann Sie nirgendwo hinführen. Es gibt weder mich noch Sie. Keine Bedingung muss erfüllt werden. Kein Zustand ist der richtige, denn es gibt Zustände nicht. Was immer Sie tun, was immer Sie denken, das ist „es“. Das ist das, was Sie suchen, aber niemals finden werden, weil es bereits ist. Nichts ist getrennt, nichts ist „da drüben“. Es gibt nur das, was scheinbar passiert. Unauffindbar, weil nicht versteckt. Nicht wahrnehmbar, weil nicht getrennt. Leer, weil bereits alles.
Befreiung, so wie sie hier besprochen wird, ist Ihr Tod – der Tod des Erlebens, „jemand“ zu sein. Sie gleicht dem letzten Ausatmen: Es ist immer entspannt. Bis dahin kann alles sein: Kampf, Hingabe, Akzeptanz, ein Wechsel zwischen den dreien, Verdrängung. Selbst beim letzten Einatmen nimmt das scheinbare Ich noch an, das nächste Ausatmen zu überleben und von ihm in den nächsten Moment geführt zu werden. Doch so ist es nicht, es lebt nämlich niemand. Im Ausatmen verpufft der bis dahin Erlebende, allerdings ist es kein realer Tod. Er verpufft in der Offensichtlichkeit seiner Illusionshaftigkeit. Es lebte niemand und plötzlich kann auch niemand sterben. „Ich bin“ ist illusionär. Dass etwas sterben kann, ist Teil dieses Erlebens. Was bleibt, ist das, was ist: scheinbares Bewusstsein ohne Bewussten. Scheinbares Leben ohne Erlebenden. Was bleibt, ist das, was ist, ungekannt, ungeklärt und unerforscht, weder in Bewegung noch stillstehend, weder hier noch dort, weder etwas noch nichts. Was bleibt ist nicht-etwas.
Diese Botschaft, deren Einfachheit nicht zu überbieten ist, ist nicht umsetzbar. Es gibt nämlich gar nichts umzusetzen. Es gibt nichts zu tun und nichts zu lassen. Es gibt bereits niemand, der tut oder lässt. Somit ist das, was scheinbar passiert, ein richtungsloses Fallen ohne Anfang und ohne Ende. Es gibt kein Erwachen daraus – auch kein Böses, das das scheinbare Ich bis zum Schluss erwartet. Niemand beeinflusst dieses richtungslose Fallen, weder von außen noch von innen, ganz einfach weil da gar niemand ist. Es gibt nichts Getrenntes – weder etwas, das außerhalb davon steht, noch etwas, das innerhalb davon lebt. So sind sowohl Gott, ein göttliches Bewusstsein, als auch das Erleben, „jemand“ zu sein, das persönliche Bewusstsein sozusagen, illusionär. D.h., es gibt „nur“ das, was ist.
Das ist „es“. Mehr gibt es nicht. Das Dilemma des scheinbaren Ich besteht darin, dass das, „was ist“, nicht kennbar ist. Aber um ehrlich zu sein, wen interessiert das schon? Genau das ist ein weiteres Dilemma des scheinbaren Ich: So sehr es sich auch der Idee annähern kann, dass seine Suche hoffnungslos zum Scheitern verurteilt ist, so sehr hat es auch keinen Zugang dazu. Es besteht eben „nur“ daraus, aufgrund der erlebten Trennung – die natürlich illusionär ist – unbefriedigt zu sein. Seine scheinbare Suche erwächst gerade aus der erlebten Trennung. Die Sehnsucht nach Einheit kann weder durch Verständnis noch durch irgendetwas sonst gestillt werden. Sie erlischt erst in der scheinbaren Verschmelzung – einer Verschmelzung, die letztendlich gar nicht geschehen kann, denn die erlebte Trennung – „Ich bin“ – ist nicht real. Was nach dieser scheinbaren Verschmelzung, die nichts anderes ist als das Ende des Erlebens, „jemand“ zu sein, übrig bleibt, ist weder kennbar noch erfahrbar noch sonst irgendetwas – zumindest bleibt kein Verschmolzener übrig. Das würde nur im romantischen Traum von „Ich bin“ geschehen und wäre persönliche Erleuchtung – etwas, das genauso wenig existiert wie „Ich bin“ selbst. Was übrig bleibt, ist das, was ist: nicht-etwas. Da nicht-etwas aber im wahrsten Sinne des Wortes nicht etwas ist, ist und bleibt es das Nicht-Kennbare. Aber: Vermuten Sie im Nicht-Kennbaren bitte nicht ein neues Etwas, das hinter dem sitzt, das scheinbar passiert. Nein, es ist weder dahinter noch jenseits davon. Was ist, ist das: vor einem Computer sitzen und diese Zeilen lesen. „Sie“ sein. Gedanken, Gefühle, ein Zimmer, ein elektronisches Gerät, das ist das, was ist, und ist gleichzeitig unkennbar. Um ehrlich zu sein, ist das keine große Sache – es ist einfach so, völlig gleichgültig, wie viele Konzepte und Theorien über die Natur der Wirklichkeit erfunden werden. Was bleibt, ist das, was ist.
Alles ist, was es ist. Nichts anderes. Nur das. Alles ist leer – leer im Sinne von „ohne getrennten Inhalt“. Entgegen der Annahme des scheinbaren Ich nimmt dieses „ohne getrennten Inhalt“ nichts weg; es scheint die Dinge eher ins rechte Licht zu rücken.
Leerheit ist die natürliche Realität – und damit meine ich nicht eine bloße nicht-erfüllende Draufsicht aus der beobachtenden „Ich-Perspektive“. Leerheit bedeutet nur, dass zwar alles das ist, was es ist, aber eben auch leer an Inhalt. Dass Dinge real sind, also einen eigenen „Inhalt“, eine eigene Essenz haben, ist Teil des Traumes von „Ich bin“. Das lebt damit in einer Welt aus Inhalten, die so gar nicht existiert. Die Befreiung liegt im „Zurechtrücken“, im scheinbaren Anerkennen der Nicht-Dinghaftigkeit bzw. Inhaltslosigkeit von Dingen.
Wie schon gesagt, aus der bloßen Draufsicht ist diese Leere fad und höchstens interessant für den in der neutralen Beobachter-Position gefangenen Sucher. Dieser mag eine ganze Weile auf der „Es ist alles so leer“-Welle reiten, bis auch ihm dieses „die Leerheit Schauen“ aus purer Ödnis zum Hals heraus hängt.
Die Überraschung liegt darin, dass dieses reine „Alles ist, was es ist“ nicht nur ohne getrennten Inhalt, sondern gleichzeitig mit der Wucht des (absolut So-)Seins dermaßen erfüllt ist, dass das, was erscheint, nicht nur leer, sondern zwar leer, aber auch erfüllt, also voll ist.
Das Ende von „Ich bin“ ist die Bankrotterklärung des spirituellen Suchers. Ich habe es nicht geschafft, mich zu heilen. Ich bin daran gescheitert, ein anderer Mensch zu werden. Ich habe es nicht geschafft, zu erwachen. Ich habe es nicht mal geschafft, zu überleben. Im scheinbaren Sterben offenbart sich das, was Jesus vermutlich mit „ewigem Leben“ meinte – etwas, das er zwar zu Lebzeiten predigte, aber erst am Kreuze erfuhr. „Vater, warum hast Du mich verlassen?“ – der letzte Aufschrei des scheinbar getrennten Ich in der Stunde der größten Not. Am Kreuze, Jesus’ dunkelster Stunde, im Moment der größten Verzweiflung, stirbt der Glaube an Gott, den Jesus gepredigt hatte. In dieser nackten, sehnsuchtsvollen Begegnung stirbt Jesus. Es ist „Ich bin“, das da am Kreuze stirbt – und zusammen mit „Ich bin“ stirbt der spirituelle Lehrer Jesus. Was bleibt, ist nichts. Nicht-etwas. Der Heilige Geist, nicht-etwas. Der eine Geist, wie Huang-Po ihn vielleicht meinte. Der eine Geist, der nichts ist und alles zugleich.
Befreiung gleicht mehr dem Tod am Kreuz, auch wenn es diese Dramatik keinesfalls benötigt. Der Tod kann ebenso leise und undramatisch sein. Die Überraschung ist: Im Tode stirbt gar nichts. So dramatisch der Tod aus der Sicht des scheinbar Lebenden wirken kann, so wenig ist er es, wenn er geschieht. Er ist nichts. So wenig es den Lebenden gibt, gibt es nämlich seinen Tod. Das ganze Drama des Lebenden, sich durchs Leben zu kämpfen, endlich herauszufinden, endlich anzukommen, es endlich zu schaffen – nichts weiter als ein Traum. Verpufft. Einfach so. Am Kreuz, beim Bäcker, zuhause. Ob laut und schrill oder leise und still – was bleibt, ist das, was alles ist. Was bleibt, ist das Unbekannte. Was bleibt, ist Selbst, das nicht gekannt wird.
Befreiung hat nichts zu tun mit all der Spiritualität, die mal kuschelig, mal grob und brachial daherkommt – im Versuch, etwas Ordnung in die Tragik der Suche zu bringen. „Aber man muss doch weiter an sich arbeiten“, hört man manchen Lehrer sagen. Vergiss es. Was soll der ans Kreuz genagelte noch arbeiten? Seinen Schmerz integrieren? Pah, nur der Tod lockt noch mit Hoffnung. Im wahren (scheinbaren :-)) Tod bleibt niemand übrig, der danach noch könnte...
Wie sagte Jesus? „Das Reich Gottes ist bereits angebrochen“ und „Suchet nicht.“ Wie recht er hat. Das Paradies – der Garten Eden – ward nie verlassen. Was ist denn die Vertreibung? „Ich bin“ – das Wissen um eine eigene Existenz. Das Erleben, „jemand“ zu sein, ist die Vertreibung aus dem Paradies. Die gute Nachricht: Es gibt gar keine Vertreibung. „Ich bin“ ist illusionär. Getrennte Existenz ist illusionär. Was ist, ist der Garten Eden. Eine zusätzliche, reale Realisation davon ist nicht nur unmöglich, sondern auch unnötig. Der Wunsch und die Sehnsucht danach, dass „ich“ den Garten Eden als solchen erfahren kann, ist bereits Teil dieses illusionären Erlebens, „jemand“ zu sein. Diese Notwendigkeit besteht nicht. Die Not des scheinbaren Ich ist Teil dessen Traumes von Anwesenheit. Es gibt sie nicht. Diese Not ist künstlich und bedarf keiner Beantwortung – weder als Trost noch als Hilfe noch als Ankommen. Was ist, ist Garten Eden – ein Garten, in dem alles das ist, was es ist – nackt und rein. Es gibt nichts anderes.