Herausgeber: 12. Zug der Sankt-Johannes Schützen-Bruderschaft, Praest
Redaktion: Johannes Kettlack
Layout: Aloys Mazurek
Korrektur: Angelika Opgen-Rhein Anni Kettlack
Coverrückseite: Bild Inge Opgen-Rhein
Bilder:.... Privatarchive des 12. Zuges
Herstellung und Verlag:
BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-7448-4278-5
Das Leben des 12. Schützenzuges der Sankt-Johannes-Schützenbruderschaft zu Praest gleicht weniger dem stehenden Gewässer einer Woj als den dahineilenden Fluten des Rheins: Das Leben war in 60 Jahren immer in Bewegung. Aus den jungen Leuten des Jahres 1957 wurden die Leistungsträger der folgenden Jahrzehnte. Und heute sind sie die Alten.
Der 12. Zug, mittlerweile mit dem Zusatz „Senioren“, das sind die, die von Anfang an dabei waren und heute noch dabei sind; alle, die später zu uns gestoßen sind, aber auch die, die vorzeitig ausgeschieden oder für immer von uns gegangen sind.
Der 12. Zug, das sind darüber hinaus unsere Freundinnen, Lebenspartner und Frauen, ohne die diese Chronik unvollständig wäre. Schon wegen dieser Unterschiede und der dauernden Veränderungen erhebt diese Schrift keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Jeder hat seine eigene Chronik im Gedächtnis und wird beim Lesen auf Unbekanntes, Vergessenes oder Lückenhaftes stoßen. Am Ende des Buches werden daher einige Seiten für Ergänzungen und Korrekturen frei gehalten. Dann wird die Chronik zum 70. Geburtstag perfekter!
Zu jener Zeit, als Ike Eisenhower Präsident der Vereinigten Staaten war, Nikita Chrustschow der mächtigste Mann im Kreml, Konrad Adenauer der Kanzler der Bundesrepublik und Karl Elsing Brudermeister in Praest, herrschte in der Welt der Kalte Krieg und das zwölf Jahre zuvor besiegte und geschundene deutsche Volk sollte wieder bewaffnet werden. Dabei war Mitteldeutschland noch russisch und Elten noch Holland.
Nakaths Woj in Emmerich-Praest
Die Begeisterung hielt sich in Grenzen, auch bei den Jugendlichen in Praest, dem ehemalige Propstdorf, der Perle am unteren Niederrhein. Umso verwunderlicher ist es, dass sich dort im Frühjahr des Jahres 1957 eine Gruppe junger Männer – damals hätte man Schnösel gesagt – zusammentaten, um das zu lernen, was die meisten Deutschen nie mehr tun wollten: marschieren.
Sie trafen sich zu diesem Zweck auf einem Fleckchen Erde, wo geschah, was die Öffentlichkeit nicht zu interessieren hatte: hinterm Damm, in einer Wiese am Rande einer Woj, nicht weit vom Altrhein gelegen. Sie ließen also die Kirche im Dorf und fühlten sich frei und unbeobachtet. Und selbst wenn Hermann Hendricks, der Pastor und Präses der St. Johannes Schützenbruderschaft vom Glockenturm der Kirche auf sie herabgesehen hätte, es hätte sie nicht gestört; damals gingen noch alle regelmäßig zur Beichte. Er wusste ja sowieso alles.
Johannes Overgoor gen. Männe heute und 1963
Nun darf man sich die Wiese nicht wie den Rasen von Schalke 04 vorstellen. Auch war Herbert Verbücheln, der Besitzer, in keiner Weise auf das Ereignis vorbereitet. Kuhfladen, Maulwurfhügel und Schwemmgut lagen auf dem Exerzierplatz und verlangten den jungen Leuten höchste Konzentration ab. Sie mussten zugleich auf die ungewohnte Koordinierung der langen Beine, die Freiflächen zwischen dem Unrat und auf die Stimme des Ausbilders achten. „Links, links, links, zwei, drei vier…, ausrichten! auf gleicher Höhe mit dem Nebenmann bleiben...“
Die Schützlinge waren alle kurz vor Kriegsbeginn oder im Krieg geboren, also 17, 18 Jahre alt und, wie angedeutet, mehrheitlich unpolitisch. Keiner stellte tiefgründige Fragen, auch nicht, warum beim Marschieren die Betonung immer auf „links, links“ lag. Theoretischen Unterricht im eigentlichen Sinne gab es nicht. Sie wollten am Schützenfest teilnehmen und nicht an einem Natoeinsatz.
Die neue Gaststätte von Johannes Overgoor war „unsere Kneipe“
Hinzu kam, dass ihr Ausbilder selbst auch nicht gedient hatte. Dafür war er zu jung. Doch konnte man ihm eine gewisse Freude an dem Gehabe des Führers nicht absprechen. Wenn er Mittel- und Zeigefinger quer unter die Nase hielt und „flink wie Windhunde“ rief, war das Gelächter größer als die Bereitschaft, schneller zu laufen. Die „Rekruten“ durften ihn „Männe“ nennen, was einer gewissen Respektlosigkeit gleichkam. Sein vollständiger Name war Johannes Overgoor und er war älter, als sich aus seiner jugendlichen Freude am leichten Leben ableiten ließ. Die Jungs liebten ihn. Das war für die neuen Schritte wichtiger als alter Kadavergehorsam.
Praest 1957
Ernst Opgen-Rhein steht nun seit mehr als fünf Jahrzehnten dem 12. Zug vor. Die fehlende Grundausbildung hat ihm nie geschadet. Dafür hat er seinen Kopf oft hingehalten, wenn seine Mannen undiszipliniert auftraten. Auch der erste Zugführer, Johannes Kettlack, rheinisch „Hennes“ genannt, war ohne jede Erfahrung, vor allem nicht mit dem Degen. Von ihm wusste er nicht einmal, wie und wann man ihn aus der Scheide ziehen musste. Das wurde ihm beim ersten Präsentiermarsch zum Verhängnis. Den Spott der altgedienten Ulanen bekam er gratis. Ob er deswegen degradiert wurde oder wegen eines Auslandseinsatzes ausfiel wurde nie erforscht.
Sein Nachfolger im Amt war Josef Opgen-Rhein, der aber als Zweiter nach Heinrich Bergerfurt schon bald zur Bundeswehr einberufen wurde. Ganz offensichtlich hatte man beim Kreiswehrersatzamt erfahren, dass die militärische Ausbildung an der Woj in Praest den Mindestanforderungen nicht genügte. Nach dem Wehrdienst in Borken und Münster hätte Jupp den großen Vorteil gehabt, sich mit Dienstgraden ebenso gut auszukennen wie mit dem Degen. Doch war die Stelle mit dem ungedienten Ernst Opgen-Rhein bereits neu besetzt worden.
Beförderungen, die in anderen Zügen zu sagenhaften Karrieren führten, waren für diese Schützen die größte Nebensächlichkeit der Welt. Dem entspricht, dass selbst die Zurückweisung von Beförderungsvorschlägen, weil sie angeblich nicht rechtzeitig eingereicht wurden, niemanden erregte. Ein Schütze hat sogar damit gedroht, den Verein zu verlassen, wenn ihm eine Beförderung aufgezwungen werde. Im Übrigen hat es nur Ernst als Zugführer bis zum Leutnant gebracht; Hauptmann hätte er leicht werden können, wenn er es gewollt hätte.
Von links nach rechts stehend:
Hennes Kettlack, Alfred Kremer, Jupp Opgen-Rhein, Heinz Vogel, Heinz Klein-Heßling, Theo Ising, Erich Ising, Franz Tebaay,Jann Dickerboom;
kniend von links:
Heinz Rahm, Heinz Reinders, Ernst Opgen-Rhein, Friedhelm Hakfoort
Dass Theo Wissing, links, einen Schritt zurück ist, Heini Bergerfuhrt, rechts hinter ihm, sich noch für kein Bein entschieden hat, Helmut Kremer, in der Mitte, immerhin andeutungsweise zu erkennen gibt, dass das rechte Bein dran ist, und Fritz Verbücheln, zweiter von rechts, wahrscheinlich das richtige Bein für den nächsten Schritt vorbereitet, ist die verhängnisvolle Folge des unzureichenden Angebotes an Wehrübungen.
Nicht nur der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Perfektion nicht mit Präzision verwechselt werden darf. Wenn es ums Schießen ging, ob auf die Scheibe oder auf den Vogel, zeichneten sich einige von ihnen immer wieder aufs Neue aus. Stellvertretend für viele sei hier Heinz Reinders genannt, dessen Schießkünste ihn später in kaiserliche Lüfte hoben. Das ist umso erstaunlicher, als richtige Gewehre bei den Exerzierübungen nicht zur Verfügung standen. Noch trauten die Alliierten den Deutschen nicht. Ob Heinz, dessen Elternhaus recht abgeschieden in der Nähe des Altrheins lag, private Schießübungen veranstaltete, hätte wahrscheinlich selbst Herbert Sauer, der Dorfsheriff, nicht zu sagen vermocht.