Für Siegfried
Fotos: Siegfried und Ingeborg Bauer
Layout: Ingeborg Bauer
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < www.dnb.de > abrufbar.
© 2017 Ingeborg Bauer
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-744831987
Vom Flugzeug aus
wird die Landschaft zum Teppich
nur die höchsten Gipfel ragen heraus
unsere Stadt ist ihrer Hügelstruktur
verlustig - die Steile wirkt abgeflacht
und verändert die Perspektive:
Häuser wie kleine Bausteine
und in solcher Zahl, wie ich sie mir
als Kind zum Spielen gewünscht hätte.
Lauter kleine Steine, die die Topografie
unserer Stadt ausmachen, gerastert
und ähnlich wie die gleichen
ungleichen Steinchen in Mosaiken,
verwandt den portugiesischen Azulejos,
die sich aneinanderreihen lassen
zu einer Monotonie des Stetigen,
die ohne das Einzelne
nicht bestünde.
Den Mosaiken der bebauten Flächen
folgt das Patchwork der Felder,
die sich um die Verdichtungen
von Häusern und Straßen gruppieren -
schöne Muster auf dem Modell
von Spinnennetzen beruhend,
mit Flächen, die zunächst mit grünen
und ockerbraunen Tönen gefüllt sind,
bis das Gelb der Rapsfelder sich
alle andere Farbigkeit unterwirft.
Dann schließt sich der Vorhang,
wir sind über den Wolken
in einer Helligkeit von Blau,
die monochrom strukturlos
künstlich erscheint und kalt.
In Lissabon
dominieren zuweilen - anders als
in vom Islam beherrschten Ländern -
die Fenster, die hochgeschossenen Fassaden
schlaksig und schlank
mit farbig scharf umrissenen Augen, die
wie in heftig geschminkten Gesichtern,
diese betonen - und doch stehst du
vor blinden Scheiben, die deine Blicke
abperlen lassen wie tränenden Regen -
und die Träume ihrer Bewohner
bleiben dir fremd wie ihre Tränen.
Die hochgetürmten Fassaden
bewahren die Stille
trotz des Lärms in den Gassen.
Nur die flatternde Wäsche
kündet vom Alltag
der Menschen.
Grell-leuchtend und üppig die Bougainvillea
über den hellen hohen Häuserzeilen.
Der Blick schweift hinauf
zur grünen Insel um das Kastell
und hinunter zum graublauen Tejo,
zur ihn in hohem Bogen umspannenden Brücke -
bei halb geschlossenen Augen
könntest du in den Booten die Karavellen
von einst wiedererkennen.
Die Kirche des Heiligen Rochus
erschlägt einen mit diesem
in Gold getauchten horror vacui –
die Hölzer Brasiliens in hochbarocke
Formen geschnitten, die das Holz
zu überwuchern, aus ihm zu quellen
scheinen wie die unzähligen
Kindchengesichter der Putti
aus dem üppig schwellenden
Gewand der Madonna, als
ginge es um die Fruchtbarkeit
einer archaischen Muttergöttin –
und dieses Gold, das dann
dem Armenhaus Portugal fehlte!
Die portugiesische Fahne
rot und grün mit dem Wappen
als Emblem: den sieben
portugiesischen Burgen
und den fünf Wundmalen Christi -
so steht der Traum
im Kontext von Leiden –
die portugiesische Saudade –
Straßenlaternen künden
mit ihren ausgestreckten Armen
von Portugals großer Zeit –
die Karavelle weist hin auf das Licht,
das Gold aus fernen Landen,
das kam und ging
und Portugals Kirchen vergoldete,
die Menschen aber letztendlich
in Armut zurückließ
und mit der Sehnsucht
nach der Erfüllung
von diesem großen Traum.
Das große Beben erschütterte
im Jahre 1755 ganz Europa.