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1. Auflage, August 2017
© Text: Carolin Jenkner-Kruel
© Cover und Illustrationen: Stella Chitzos
Lektorat und Korrektorat: Sabine Wagner
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7448-4608-0
Die rosa Pappfee hat Knicke bekommen, aber das Papier fühlt sich immer noch gut an. Yara hält die Pappfee schon den ganzen Tag in der Hand. Es ist die Einladung zu Felis Geburtstag. Aber für Yara ist es noch ein bisschen mehr. Es fühlt sich an wie die Eintrittskarte in eine neue Welt. Heute wird sie den ersten Kindergeburtstag in ihrem neuen Land feiern. Kein Wunder, dass Yaras Herz wie wild klopft, als sie die Waldstraße entlanggeht. Von der Nummer fünf, in der Yara wohnt, bis zu Felis Haus mit der Nummer 42 sind es nur ein paar hundert Schritte. Yara bummelt. Seit ein paar Wochen wohnt sie in derselben Straße wie Feli, aber es ist das erste Mal, dass sie zu ihr nach Hause darf. Noch nie haben sie sich vorher verabredet. Manchmal treffen sie sich auf dem Weg zur Schule und gehen dann gemeinsam weiter bis zum Schulhof. Aber dann trifft Feli meistens Lotta und Lisa, und Yara ist wieder die Fremde in der Klasse 3b der Dorfschule.
Vor einer Woche hat Feli ihr diese Pappfee in die Hand gedrückt, und Yara hat sich wahnsinnig gefreut: Es war die erste Einladung im neuen Land. Und das, obwohl sie schon fast zwei Jahre hier lebt. Vielleicht gehöre ich jetzt dazu, hat Yara gedacht. Und nun ist die Woche um und Yara ist wahrhaftig auf dem Weg zu Feli. Auf der linken Seite entdeckt sie das Haus mit der Nummer 42. Hier also wohnt Feli. Für Yara sieht das Haus wie ein modernes Schloss aus: Es ist weiß und neu, mit drei Stockwerken, glänzenden, schwarzen Dachpfannen und einem Carport, unter dem ein ebenfalls schwarzes, großes Auto steht. Ob Feli hier allein mit ihren Eltern wohnt? Sie hat keine Geschwister. Das hat sie Yara erzählt.
Yara schaut noch einmal auf die Einladung: Nummer 42. Die Hausnummer stimmt. Also los. Yara nimmt all ihren Mut zusammen und drückt auf den silberfarbenen Klingelknopf. Es dauert nicht lange, bis sich die Tür öffnet. Feli, Lotta und Lisa stehen im Flur und lächeln freundlich:
„Hallo, Yara, komm rein! Wir haben schon auf dich gewartet.“ „Herzlichen Glückwunsch“, erwidert Yara schüchtern und drückt Feli eine Packung Gummibärchen in die Hand.
„Danke“, sagt Feli und nimmt das Geschenk entgegen. Yara ist erleichtert. Der erste Schritt ist getan. Feli rennt mit den beiden anderen Mädchen ins Wohnzimmer, während Yara einfach nur staunt. Das Haus scheint auch von Innen einem Schloss zu gleichen. Im Flur fällt ihr der weiße Marmorfußboden auf. Und alles kommt ihr sehr groß vor. Im Wohnzimmer stehen ein Aquarium und zwei schwarze Ledersofas. Der Esstisch ist so lang, dass dort bequem zehn Leute Platz nehmen und ein Fest feiern könnten. Und der ganze Raum ist so riesig, dass man darin die Zwei-Zimmer-Wohnung unterbringen könnte, in der Yara mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester lebt. In diesem Land scheinen wirklich alle sehr reich zu sein, denkt Yara.
Felis Mama kommt mit einem großen Teller voller Muffins aus der Küche, und Yara findet sie auf Anhieb nett. Sie hat blonde Locken, genau wie Feli, und lächelt freundlich, als sie Yara sieht.
„Möchtest du auch einen Muffin, Yara?“, fragt sie. Erst jetzt bemerkt Yara, dass die anderen Mädchen schon am Tisch sitzen und nimmt neben Feli Platz. Die Muffins schmecken wunderbar süß und sehen toll aus: mit rosa Zuckerguss und einer Feenfigur aus weißer Schokolade. „Wollen wir Stoppessen spielen?“, fragt Lisa.
Alle sind einverstanden. Yara versteht die Spielregeln schnell: Ein Kind ist an der Reihe mit „Stopp“ sagen und in dem Moment darf sich keiner mehr bewegen, auch nicht kauen, ganz so, als wäre man versteinert, bis das Kind „weiter“ ruft und sie erlöst. Die Mädchen essen und kichern. In der dritten Runde müssen auf einmal alle so laut lachen, dass sie das Spiel nicht weiterspielen können. Sie beschließen, in Felis Zimmer zu gehen.
Es liegt im ersten Stock und ist ein einziger Prinzessinnentraum: Feli hat ein weiß lackiertes Hochbett mit einem Himmel aus rosa Glitzerstoff. An ihrem Kleiderschrank hängt ein großer Spiegel mit einer Krone am Rahmen. Die Mädchen bewundern Felis Geschenke: den Pferdehof, die CDs, die Bücher und das Puppengeschirr. Sie sitzen gerade unterm Bett und plaudern, als Felis Mama von unten ruft: „Möchtet ihr jetzt die Feentaschen bemalen?“
Yara hält noch immer die Pappfee in der Hand. Feentaschen, Feeneinladung, alles mit Feen, denkt sie. Ihr Herz pocht wieder schneller. Yara liebt Feen. Denn Feen können Wünsche erfüllen und Yara möchte so gerne eine treffen, vielleicht sogar heute an diesem Kindergeburtstag.
Jetzt aber rennt sie mit den anderen Mädchen die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Felis Mama hat für jedes Kind eine Baumwolltasche mit einer Fee vorbereitet und Textilfarben gekauft.
„Das ist ein richtiger Feengeburtstag, wie ich ihn mir gewünscht habe“, ruft Feli glücklich und beginnt, ihre Tasche zu bemalen. „Jetzt fehlt nur noch Wilma.“
Die anderen Mädchen schauen sie fragend an.
„Wer ist Wilma?“, fragt Lisa.
„Wilma ist eine Waldfee“, erklärt Felis Mama. „Jedes Jahr an Felis Geburtstag versteckt sie einen Schatz im Wald.“
Yara schaut auf die Pappfee. „Ist das hier auf der Einladung auch Wilma?“, fragt sie.
„Ja“, antwortet Feli. „Wilma ist die beste Fee der Welt.“
Yara streicht ihre Pappfee so gut es geht glatt. Dann malt sie weiter ihre Tasche an.
Gerade, als die Mädchen die Baumwolltaschen fertig bemalt haben, klingelt es. Sofort flitzen sie zur Haustür. Aber es ist niemand zu sehen. Feli schaut sich um.
„Da!“, ruft sie. „Ein Brief! Der ist bestimmt von Wilma.“ Tatsächlich liegt auf der Fußmatte ein lilafarbener Briefumschlag.
„Mach schon auf!“, drängelt Lotta. Feli öffnet den Umschlag und liest laut vor:
Liebe Feli,
liebe Geburtstagsgäste,
hier schreibt euch Wilma, die Waldfee.
Wie jedes Jahr habe ich für dich und deine Freunde einen Schatz im Wald versteckt. Geht in den Wald.
Dort, wo im Herbst eure Bastelsachen liegen, findet ihr den nächsten Hinweis.
Eure Wilma
Feli und die anderen schauen sich ratlos an. Bastelsachen im Wald? Was hat Wilma sich dabei gedacht?
„Das können wir ja auf dem Weg in den Wald herausfinden“, meint Felis Mama.
Der Wald beginnt gleich hinter dem Nachbarhaus. Lotta, Lisa und Feli rennen vor. Nur Yara bleibt lieber in der Nähe von Felis Mama.
„Ist der Wald nicht gefährlich?“, fragt sie. Denn ihre Mutter hat ihr streng verboten, dorthin zu gehen.
„Nein“, beruhigt Felis Mama sie. „In unserem Land muss man keine Angst haben, wenn man am Tag durch den Wald geht.“ Yaras Mama hat oft Angst. Und Yara auch. Sie erinnert sich noch gut an die bösen Menschen mit den Gewehren in Morgenland.
Und manchmal träumt sie davon. Aber jetzt mag sie nicht an die schlimmen Dinge denken. Nein. Sie will Wilma, die Waldfee, treffen und den Schatz finden und geht hinter den anderen her.
„Ich hab‘s“, ruft Lotta, als sie zwischen den hohen Buchen hindurchgehen. „Bastelsachen im Wald – das sind doch Kastanien!“
Feli schlägt vor, zu dem großen Kastanienbaum an der Lichtung zu laufen. Und tatsächlich entdeckt Lisa zwischen zwei Wurzeln einen weiteren lilafarbenen Briefumschlag:
„Sehr gut! Ihr habt das erste Rätsel gelöst. Hier ist der zweite Hinweis für euch: Geht dorthin, wo Wanderer Schutz suchen.“
Feli lacht und ruft:
„Das ist einfach. Wir müssen zur Schutzhütte.“
Sie kennt sich im Wald gut aus und rennt vor. Die anderen holen sie schnell ein. Nur Felis Mama hat es nicht so eilig und schlendert ein wenig verträumt hinter den Mädchen her. „Feli“, flüstert Lisa. „Meinst du, es gibt wirklich eine Waldfee, die Wilma heißt?
Oder hat deine Mama das alles für uns gemacht?“
„Ich glaube, das war Mama. Aber ich tue immer so, als würde ich an Wilma glauben.“
„Ach, jedes Kind weiß doch, dass es Feen nur im Märchen gibt“, mischt Lotta sich ein.
Yara hat alles gehört. Sie steckt die Pappfee in ihre Hosentasche.
„Ich weiß, dass es dich gibt, Wilma!“, flüstert sie so leise, dass es niemand hören kann. An der Schutzhütte suchen die Mädchen nach einem weiteren Briefumschlag. Drinnen und draußen und rundherum. Aber sie finden nichts.
„Schaut doch noch mal genau hin“, meint Mama.
Feli und Lisa schauen sich verschmitzt an.
„Siehst du, es war bestimmt Mama. Woher sollte sie sonst wissen, dass wir hier suchen müssen?“, flüstert Feli.
Yara tastet mit ihren Händen die Bank ab und findet einen weiteren Umschlag. Voller Stolz öffnet sie ihn und liest vor:
„Das habt ihr gut gemacht. Der nächste Hinweis führt euch zum Ziel: Unter tausend wilden Blumen liegt ein Glitzerschatz vergraben.“
Die Mädchen überlegen.
„Wo gibt es tausend wilde Blumen?“, fragt Lisa.
„Eigentlich überall jetzt im Frühling“, meint Feli und denkt dabei an die Märzenbecher, den Bärlauch und den Waldmeister, an denen sie schon vorbeigerannt sind.
„Aber an der Lichtung stehen doch die allermeisten Blumen“, findet Lotta, und die anderen geben ihr recht.
Yara erreicht die Lichtung zuerst. Sie kann es kaum erwarten, endlich die Waldfee zu sehen. Aber weit und breit sieht man nur Wiesen und Bäume. Ja, und wirklich Tausende von Blumen: Wiesenschaumkraut, Veilchen und Vergissmeinnicht teilen sich die Lichtung mit verschiedenen Gräsern.
„Irgendwo hier muss der Schatz versteckt sein“, ruft Feli, und alle beginnen, zu suchen.
Aber das Gras ist hoch und die Lichtung groß. Von einem Schatz keine Spur.
„Hier ist eine Schippe“, ruft Lisa schließlich.
Neben einem frischen Erdhaufen mitten auf der Wiese liegt tatsächlich so ein Spaten, wie Mama ihn im Garten benutzt.
„Dann müssen wir hier buddeln“, schlägt Lotta vor.