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»Ob Sommer, ob Winter, ob Krieg, ob Frieden – das Merkwürdige ist stets unterwegs.«

Es würde Land verteilt, hatte die Mutter geschrieben, und Esau Matt ist wieder nach Bossdom gekommen. Um fast zwei Jahrzehnte sind alle älter geworden, und ein Weltkrieg liegt hinter ihnen. Von neuem ist Esaus Leben mit den Schicksalen der Bossdomer verbunden.

Erwin Strittmatter

Der Laden

Roman

Dritter Teil

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Über Erwin Strittmatter

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Für Eva

… so sind die Vorgänge und die Geschichte eines Dorfes und die eines Reiches im Wesentlichen die selben; und man kann am Einen, wie am Andern, die Menschheit studiren und kennen lernen. Auch hat man Unrecht zu meynen, die Autobiographien seien voller Trug und Verstellung. Vielmehr ist das Lügen (obwohl überall möglich) dort viel schwerer, als irgendwo.

Schopenhauer

Nun bin ich wieder hier. Ausgehungert nach der tagelangen Reise und angemästet mit falschen Vorstellungen. Ich weiß noch nicht, daß man kein zweites Mal an denselben Ort kommt. In meinem Rucksack sind Zweige einer Heckenpflanze, Spierstrauch genannt. Das Haus liegt im Nebel. Rechts von der Haustür der Laden und die Backstube, links von der Haustür die Elternwohnung.

Der Junge reißt sich von mir los und rennt ins Haus. Ich lasse den Handwagen mit den Koffern stehn, ich muß erst Unter Eechen. Durch die Eichenkronen kriecht träger Novemberwind. Der Nebel macht, daß ich von Baum zu Baum gehen muß. Ich will wissen, ob alle noch da sind: sieben Eichen und zwei Silberpappeln. Ich lege den Bäumen die Hand auf ihre feuchten Rinden: Alle sind, trotz allem, noch da. Also muß noch etwas von meiner Kindheit unter ihnen aufbewahrt sein. – Unter Eechen. Bin ich der Junge geblieben, der sich manches zurechte sieht, wie die Mutter von mir sagte?

Es erwartet mich niemand, aber die Leute sind um diese Zeit dran gewöhnt, daß jemand unerwartet aus dem Nebel kommt und da ist.

Im halbdunklen Hausflur ertaste ich große Kannen. Mischgeruch von Metall und Milch fährt mir in die Nase. Ich werfe meinen Rucksack ab, öffne die Küchentür, stehe auf der Schwelle, richte mich auf und sage: Und wir haben doch gesiegt! Ich erinnere mich nicht gern an diese Pose von damals, aber ich will nichts auslassen. Heute weiß ich, daß Siege vorübergehende Einbildungen von einzelnen Menschen und Menschengruppen sind.

In der Küchenmitte sitzt mein Vater, der Halsausschnitt seines Trikothemdes ist mit einem unsauberen Fetzen abgedeckt, damit ihm keine Haare hineinregnen. Bruder Tinko steht halb über den Vater gebeugt und barbiert ihn.

N’ Oabend, sagt der Bruder.

N’ Oabend ooch, sagt der Vater.

Die Schere klappert, der Bruder tut beschäftigt. Der Vater hat die Augen geschlossen. Er genießt das Haarschneiden. Ich stehe unbewillkommt, wo ich stehe: Auf dem narbigen Zementboden unserer Küche, auf dem in der Kindheit an Sonnabenden neben dem Ofen das Holzfaß stand, wenn wir gebadet wurden. Alle Kinder im selben Wasser. Die Mutter ging sparsam mit dem Badewasser um, es steckte Arbeit drin: Man mußte es aus dem Hofbrunnen schöpfen und in gußeisernen Töpfen erwärmen. Unsere Küche war eine kleine Bühne, auf der das Leben seine Spiele trieb. Sie hat drei Türen. Durch die eine bin ich soeben hereingekommen, eine zweite Tür führt in die Wohnstube, eine dritte hinunter in die Alte Backstube. Ich denke an die Szene, in der mein Vater, voll Wut über mißratene Brötchen, die vier Stufen aus der Fußgrube in die Backstube und aus der Backstube die drei Stufen in die Alte Backstube und von dort die zwei Stufen zur Küche anstieg. Er wollte in den Keller und seine Wut dort mit einer Flasche Bier kühlen. Jemand, der in der Küche hantierte und den Vater nicht anstampfen hörte, schloß ihm die Tür vor dem Angesichte. Der Hausherr trat, seine Wut hatte Gewicht, gegen die Tür, und deren Füllung zerbrach, und das rechte Bein des Zornigen erschien in der Küche.

Meine Mutter schrieb auf ein Stück Packpapier: Dieses ist die Wut meines Mannes. Mit dem Packpapier überklebte sie das Türloch.

Bevor Stellmacher Schestawitscha kommt, reißt der Türenzertreter das Packpapier mit der Inschrift herunter. Stellmacher Schestawitscha will wissen, wofürzu und wie es gekommen ist, daß die Füllung aus der Tür flog. Wenn bei uns auf der Heide jemand mit einer Gesichtsgeschwulst, auch eine dicke Backe genannt, befragt wird: Woher das? heißt die Antwort: Von alleene geworn. Und also kriegt Schestawitscha auf seine Frage nach dem Türloch vom Vater zu wissen: Von alleene geworn.

Wie viele Bergarbeiter haben in dieser Küche, wenn sie von der Schicht kamen, umhergestanden und Bier getrunken! Oft trank der Vater mit ihnen, und die Männer stellten die Gefechte des Weltkriegs römisch eins mit gelallten Worten nach: Bei Ypern, was denkste, wie uns die Franzmänner da mit Gas beharkt ham. Und die Erzählungen der Bergleute verfingen sich in den gehäkelten Spitzen, die die Borde im Küchenschrank der Mutter zierten, in den gehäkelten Zierspitzen, die schon wieder da sind, obwohl im Schrank nur noch wenig Geschirr steht und obwohl die Schranktürenscheiben verklebt sind. Alles muß wieder seine Ordnung kriegen, die Zierspitzen sind jedenfalls schon da. Auch zwei Küchenstühle aus dem Heiratsgut der Mutter sind noch da: Einst waren sie graugrün gestrichen, jetzt sind sie oben an den Lehnen abgegriffen bis aufs blanke Holz. Die Farbe ist im Gange der Jahre von dreitausend Händen klein bei klein fortgeschleppt worden, und das Wachstuch, mit dem die Stuhlsitze überzogen waren, ist von dreitausend Bergmanns- und Familien-Ürschen durchgesessen, und die übriggebliebenen Fetzen vom Wachstuch sind von den dreitausend Gesäßen in die graugrüne Stuhlfarbe gedrückt worden und sind mit ihr verschmolzen. Auf einem dieser Küchenstühle sitzt nun mein Vater. Seine Hand mit dem sommersprossigen Rücken kommt langsam unter dem Ersatz-Barbierumhang hervor und erwidert meinen Handdruck mühsam. Der Bruder reicht mir sein Handgelenk, er legt die Schere nicht weg. Mensch, wo kommst du her bei son Nebel? Die Schere des Bruders begleitet den Satz mit Geklipper, ein säuerliches Wiedersehen.

Die Mutter kommt aus der Wohnstube gehinkt. Mein Sohn stützt sie mit angehobener Schulter, bis sie ihre Arme zum Willkommen ausbreitet. Ich sehe, daß ihr der Ehering entkommen ist, und ich neige mich zu ihr nieder, und sie umarmt mich, und sie sagt: Ich dachte schont, du hast dirs überlegt.

Die Mutter ist mager geworden, so mager, daß ihr die Jacke eines beleibten Feldwebels paßt, und sie hat sich diese Jacke in ihrer Art mit einigen Schleifchen gefällig gemacht. Erscht moal bißchen was essen, sagt sie. Kein Besuch, den die Mutter unabgefüttert davonläßt. Sie lud und lädt sich dabei selber auch ein bißchen ein, sie ißt so gern, und jetzt verdrängt sie die Barbiere, und der Vater wird in der Ecke, bei der Eimerbank, weiter enthaart.

In der Wohnstube sitzt Elvira. Weshalb überrascht mich das? Muß sie nicht sein, wo mein Bruder Tinko ist? War sie nicht auch zu ihm, dem Sanitätsgefreiten, an die Neißefront gefahren, um ihm beizustehen? Da sitzt sie mit ihren ewig frischfrisierten Haaren und den großen, etwas starren Puppenaugen, Puppenaugen, die sich schließen, sobald man die Puppe hinlegt. Ich gebe ihr die Hand. Hatte ich erwartet, daß Elviras Batterie zur Erzeugung von Ero-Strom entleert wäre? Bruder Tinko erscheint in der Tür, in einer Hand die Schere, in der anderen den Kamm. Er will erkunden, von welcher Art mein Wiedersehen mit seiner Elvira ist.

Seit seiner Kindheit sind Neid und Eifersucht im Bruder. Sie wachsen in ihm, und er läßt sie wachsen. Man muß befürchten, daß er einmal bei frischester Luft an ihnen erstickt.

Neben der blonden Schwägerin Elvira sitzt Hertchen, die Bruder Heinjak mir anverwandt gemacht hat. Ihre Augen sind schwarz und etwas stumpf, ihr Haar ist schwarz und schlicht gescheitelt. Sie hat verhalten blühende Lippen und hinter den Lippen unversehrte Mädchenzähne. Sie ist mir knisternd neu. Ich bin Esau, sage ich.

Ich kenn dir lange, sagt sie.

Schwägerin Elvira lacht hämisch. Ihre gelackten Locken rascheln. Sie ist Friseuse und Barbiermeesta dazu, Hertchen ist für sie eine Unausgeschlafene. So werden in Bossdom Kleinbauerntöchter von solchen Mädchen genannt, die in der Glashütte arbeiten oder in der Stadt zu Dienste sind.

Unausgeschlafene werden im Dorf geboren, wachsen im Dorf auf, bleiben bei Muttern am Ofen hocken, heiraten einen von den Eltern ausgesuchten Burschen aus dem Dorf, kriegen Kinder, ziehen sie auf und sterben.

Was soll schon mit einer sein, die nicht wenigstens in der Stadt bei feine Leite in Stellung woar, eene, die nicht mitgekriegt hat, daß man öfter als zu hochen Feiertagen die Stuben gründlich putzt und Staub wischt bis in die Ecken hinein und alles reene auswischt und ausscheuert. Daß ein solches Bauernmädchen, wenn sie den Garten umgräbt, keine Unkrautwurzel unaufgefunden läßt und den Mist auf den Feldern so sauber ausbreitet wie den Zucker-Zimt auf dem Hirsebrei, wird von denen, die sich in der Stadt umgerochen haben, nicht veranschlagt.

Elvira und Hertchen sitzen in der halb schummerigen Wohnstube. Der Schirm der Lampe über ihnen ist von Kriegsbränden versengt. Der alte rot-braune Kachel-Ofen sendet Wärmewellen aus. Die jungen Frauen kleben Papierschnipsel mit Roggenmehlkleister auf Zeitungsbögen. Die bedruckten Schnipsel heißen amtlich Lebensmittelkartenabschnitte, aber die Bossdomer nennen sie Marken, und Elvira und Hertchen kleben eben Marken.

Mir ist, als würden sich von Menschen verfertigte Verhältnisse nach Jahren wiederholen. Auch in der Zeit nach dem Weltkrieg römisch eins mußte Mutter Lebensmittelkartenabschnitte ans Landratsamt liefern, aber damals nicht aufgeklebt wie kleine Briefmarken, sondern, weil sie länger und breiter waren, wie Geldscheine aufeinandergelegt. Um jedes Hundert schlang die Mutter mit ihren Schneiderinnenfingern weißes Nähgarn. Weißes Nähgarn gehörte zu den Arbeitsmaterialien der Mutter, mit ihm umwickelte sie die Rindsrouladen, heftete sie lose Geschäftspapiere zusammen, umwand sie unsere Fingerverbände. Eine Mutter mit eigenen Zähnen lernte ich nicht kennen, dafür jeden Morgen eine Mutter ohne Zähne. Zum Zahnarzt ging sie nie. Sie behauptete, es befänden sich in ihrem Oberkiefer noch einige ureigene Zahnwurzeln, und sie fürchtete, daß der Zahnarzt Lust bekäme, sie herauszuziehen. So was tut doch weh, Kinder! Einmal zerbrach ihre obere Prothese, und ich überraschte sie dabei, wie sie versuchte, die Teile mit weißem Nähgarn zusammenzubinden. Da das Ungemach sie am Mittag vor dem Gesangsvereinsvergnügen überfiel, schob sie das wacklige Gebilde in den Mund und verstummte. Während des Vergnügens verwies sie stumm auf ihren Hals und verpflichtete den Vater, sie auszuweisen. Diphtherie am Ende, erklärte er den Leuten.

Die ewig jungen Hände der Mutter spielten für mich Fingertheater. Sie erahnte meine Bewunderung, wie ein guter Handwerker sich nicht ankennen läßt, wenn man seine Geschicklichkeit stumm bestaunt.

Meine Mutter war eine Fingerakrobatin. Mit der Bewegung von Daumen und Zeigefinger, mit der man sonst Salz und Pfeffer verstreut, schlug sie Knoten in die Enden ihrer Nähfäden. Wir Kinder brauchten dazu beide Hände und ganz Neegchen Zeit. Mutter konnte ihren Kleinfinger so in der Faust verstecken, daß seine Spitze aus dem Faustloch zwischen Daumen und Zeigefinger herauslugte und sich bewegte, wie ein Engerling, der versucht, sich aus dem Erddunkel zu winden. Wir versuchten, es ihr nachzutun, es mißglückte, und dann war der Mutter doch eine kleine Genugtuung anzukennen. Es war ihr recht, daß nur sie es konnte.

Wir wissen, daß sie Seeltänzern werden wollte.

Warum biste nicht?

Sie schob Großvater vor. Der wollte sie nich mit die Zigeiner loofen lassen.

Wenns eene Seeltänzerei bloß für Finger gäbte, hätt ich nich erscht lange mußt lernen, wäre ausgerickt und uff Reesen gegangen.

Sie wußte nichts, die naive Mutter, und auch wir wußten nichts von den javanischen Tänzerinnen, die mit ihren grazilen Fingern den Zuschauern über den Gesichtssinn Erlebnisse vermitteln, die sie sonst übers Gehör empfangen.

Der Laden, dieses Goldkalb, dem ich in den Kindheits- und Jugendjahren zu Willen sein mußte, ist also noch vorhanden und gegenwärtig, und sein Zulauf hat sich verdoppelt und verdreifacht. Wieder werden dort rationierte Waren verteilt wie nach dem Weltkrieg römisch eins.

Wer im Laden bedient, braucht, außer sauberen Händen und einer sauberen Schürze, eine Schere zum Markenabschneiden. Kennkarte und Lebensmittelkarte sind heilige Dokumente. Ohne Kennkarte ist man Verdächtigungen, ohne Lebensmittelkarte dem Hunger ausgesetzt.

Und wieder waren die Eltern, vor allem die Mutter, mit ihrem Laden obenauf und für manchen armen Umsiedler gottähnlich: Unser täglich Brot gib uns heute … Und der Vater buk das Brot, und die Mutter teilte es gegen Papierschnipsel aus.

Ich hoab schnell poarchen Kartoffeln gekocht, sagt die Mutter und tischt Abendbrot auf. Es ist meinem Sohn Jarne und mir zugedacht, den Zugereisten, aber Bruder Tinko und seine Elvira kriechen mit hinein, und sobald ein Appetit einen anderen Appetit zu sehen kriegt, werfen sie sich zusammen. Es entsteht ein Zweit-Abendbrot für alle. Mit Kartoffeln brauchen wir nich gerade spoaren, sagt die Mutter, und die Kartoffelschalenhäufchen der Esser wachsen auf der Tischplatte wie die Maulwurfshaufen auf einer Wiese. Das Schalenhäufchen neben dem Teller von Bruder Tinko ist das größte. Man muß die Leute schädigen, wo man kann! Das ist eine von den Grodker Barbierredereien. Ich glaube, du mußt dein Hemde moal wieder teeren, wird einem empfohlen, dessen Hemdkragen schmutzig ist. Oder: Das Leben ist am schwersten drei Tage vor dem Ersten. Mir war schon früher, wenn ich Barbierweisheiten hörte, als sollten mir Hörner wachsen.

Bruder Tinko und seine Elvira stopfen sich an diesem Abend zum letzten Male vom Kartoffelvorrat der Eltern an. Von jetzt an müssen sie sich in die eigene Tasche greifen. Sie beziehen eine eigene Wohnung in der alten Schule. Gehn sie, weil ich gekommen bin? Verdränge ich sie? Wäre ich hierher gefahren, wenn die Mutter es in ihren Briefen, in denen sie mich lockte, angedeutet hätte? Je länger ich hier sein werde, desto überzeugter wird die Antwort nein heißen.

Das Treppengeländer knarrt. Die Anderthalbmeter-Großmutter, der Detektiv Kaschwalla unserer Kindheit, stapft mühsam die Treppe herunter. Wie konnte ich vergessen, die Großeltern zu begrüßen? Ich gehe der kleenen Kräte, wie der Großvater sie nennt, beschämt entgegen. Ihr scheint mein Heimkommen etwas so Selbstverständliches zu sein, daß ich heulen möchte. Ich nehme ihre Willkommensgrüße blank und ohne Stutzen hin. Sie erwartet nicht, daß ich ihr für etwas nützlich sein soll, sie erwartet nicht, daß ich wieder gehe. Endlich biste wieder doa! sagt sie.

Eine kleine, mit Schäfertunke bestrichene Kartoffel scheint sich zu sträuben, in den Innenvater hineinzurutschen. Sie bleibt zwischen den Lippen des Vatermundes hocken. Er mißbilligt das Erscheinen der Anderthalbmeter-Großmutter. Kann er denn nicht einen Happen ohne die Kontrolle von Detektiv Kaschwalla essen? Der Duft der Schäfertunke ist treppauf gezogen und hat die Anderthalbmeter-Großmutter zum Kontrollgang verlockt. Schäfertunke, jenes Gebilde aus Mehl und angebräunten Zwiebelstücken; Schäfertunke, jenes rasch herzustellende und billige Zubrot aus der Zeit, da noch Schafe die karge Heide beweideten und Schäfer sie bewachten: Schäfertunke, die den Armen half, trockene Kartoffeln glittiger zu machen; Schäfertunke, die im kalten Zustande auch auf trockenes Brot geschmiert wurde. Meine unerhoffte Anwesenheit hat, scheints, die Anderthalbmeter-Großmutter die Schäfertunke vergessen lassen, aber nein, noch während sie mich begrüßt, fällt einer ihrer kleinen schlitzenden Blicke auf Elvira, die die Schäfertunke mit dem Löffel blank in sich hineinschaufelt.

Also bin ich wohl doch wieder zu Hause, denn kaum wahrnehmbare Zeichen und Blicke lassen mich, ohne daß Worte sie begleiten, erkennen, wer was von wem denkt: Da ist Feindschaft, vielleicht junge Feindschaft, zwischen der Anderthalbmeter-Großmutter und Elvira, und da ist Einigkeit zwischen dem Vater und Elvira, mit der Großmutter in immergrüner Feindschaft zu leben.

Die Mutter befürchtet, daß sogleich bissige Bemerkungen wie kleine Dorfhunde gegen die Großmutter anrennen werden, und fragt sie: Konnteste denn Voatern oben alleene lassen?

Die Großmutter erkennt, wohin die Frage zielt: Ich halte mir ja nicht uff, sagt sie, uffn Abtritt wird man ja woll noch gehn könn, und damit geht sie auf den Abtritt.

Vor der Tür des Abtritts steht der Nebel, sinkt nicht, steigt nicht und schmiert der Anderthalbmeter-Großmutter die Sicht zu.

Das Bett des Großvaters steht in der alten Stube an der Südwand, und dort hat es immer gestanden, und über seinem Bett hängen die beiden Wandbilder, gedruckte Bilder, Massenware. Niemand weiß, wer ihre Vorlagen einst malte. Bilder im verschnörkelten Rahmen. Eines zeigt den Frühling, das andere den Winter in den Hoch-Alpen. Ein Muß für jede Bauernstube, von der behauptet werden soll, sie sei gut eingerichtet. Ein Reiseersatz für die seßhaften Heideleute.

Großvaters Bett war mir ein Nest, als ich ein Junge war. Ich kroch hinein in meinen Nöten, um mein Weh zu heilen, oder ich lag mit dem Großvater zusammen darin und ließ mir von ihm Geschichten erzählen. Wir lagen auf dem gleichen Stroh, das wir in der Scheune hatten. Es wurde vierteljährlich erneuert: Alte, den Strohsack stopfe mir nei, er ist schont ganz krumpelig! Der Strohsack war mit einem Leinenlaken überdeckt, und der Strohgeruch und der Geruch des Leinenlakens mischten sich mit dem Altmännergeruch des Großvaters, und der Mischgeruch ging in meine Erinnerung ein und stand mir zur Verfügung, wenn ich Tröstung brauchte. Ein Zeitchen lang lebte ich auf meiner Lebensfahrt im Hochgebirge, in Tirol gar, und ich war dort wohlgelitten, und das Land gefiel mir, aber es war nicht das Land, das ich, im Bett des Großvaters liegend, mit den Augen bereist hatte, es war nicht das Land, das der Mischgeruch umgab, der von Großvaters Bettstatt ausging.

Dieses Bett beliegt Großvater nun schon ein Jahr lang, beliegt es bei Tag und bei Nacht, und es ist mehr Nacht um ihn als Tag. Über dem Bett hängen noch immer die in ihre Rahmen wie in Gärtchen gesperrten Hochgebirgslandschaften. Quer über dem Deckbett liegt ein Stock. Er ist ein Gefährte meiner Kindheit. Sein Holz besteht nur aus Knoten, Knoten bei Knoten, ein Knotenstock eben. Eigentlich ist es ein vornehmer Stock, denn in seine Zwinge sind Elfenbeinblättchen eingelegt. Großvater erhandelte ihn auf einer Auktion, als er versuchte, ein Grodker Kleinbürger zu werden. Er wurde kein Kleinbürger, es mißlang ihm. Er war Kutscher, und die Pferde, die gleich ihm vom Lande hereingekommen waren, hintertrieben Großvaters Bestreben. Sie mußten ländlich versorgt werden.

Nur an Sonntagnachmittagen gelang es Großvater, sich, als Kleinbürger verkleidet, mit kleinen Geschäftsleuten und anderen Kutschern im Bergschlößchen oder im Schweizer-Garten zum Skatspielen zu treffen. Dann war, außer der Großmutter, auch dieser vornehme Spazierstock dabei. Und wenn ich bei den Großeltern in Grodk zu Besuch war, war auch ich dabei, und ich schloß Freundschaft mit dem Stock. Großvater überließ ihn mir unterwegs zuweilen, weil er ihn sowieso nicht brauchte. Ich führte den Stock auf den Wiesenwegen entlang, und er war mir wie ein großer Hund, der nicht recht gehorchte. Jetzt ist dieser Stock, von dem ich rede, Großvaters Signalholz; mit ihm stampft er seine Wünsche, seinen Willen und seinen Unwillen wie mit überlauten Morsezeichen auf die Stubendielen. Auch anderweitig kam Großvater nicht vom ländlichen Gehabe los. Er wischte zum Beispiel die Krümel seiner Brotmahlzeiten mit der ausholenden Bewegung eines Sämannes vom Küchentisch. In den sorbischen Futterküchen war das Drinnen vom Draußen nicht durch Vorkehrungen wie verschlossene Türen getrennt, und der Großvater vergaß immer wieder, daß es jetzt nicht mehr so war, und erwartete, daß die Hühner seine Krümelsaat einstappten. Jetzt aber stellte die Anderthalbmeter-Großmutter Hennen-Gegacker aus Geschimpf her, wenn sie die Krümel mit der Kehrschaufel und dem Borstenbesen aufnahm.

Die Anderthalbmeter-Großmutter benutzt ihren Rückweg vom Abtritt, um noch rasch mit Seitenblicken das Geschehen in der Küche zu kontrollieren. Sie mißt an der Höhe der Kartoffelschalenhäufchen, wer sich von den Leuten am Tische am meisten dick gemacht hat, und sie stellt fest, daß Elvira Aktive raucht, und sie erwägt, wo sie die hergeholt haben könnte. Aktive werden um diese Zeit Zigaretten genannt, die man nicht aus selbstangebautem Tabak gedreht hat. An der Küchentür bleibt sie nochmals stehen und sieht mich ermunternd mit ihren tiefliegenden Äuglein an, weil sie hofft, daß ich das Bündel meiner Erlebnisse von draußen in der Welt aufschnüre. Aber da kommen Stock-Morsezeichen aus der Oberstube. Zuerst sind es einzelne und zeitlich voneinander getrennte Töne, vergröberte Herzschläge. Dann werden die Zeiträume zwischen den Klopfzeichen kleiner, bedrängen einander, und ihre Lautstärke nimmt zu, und schließlich endet alles mit einem Geklirr und Gepolter. Nu hörschte mal, was ich durchmache, sagt die Großmutter noch rasch zu mir, dann zieht sie sich am Treppengeländer zur Bodenstube hoch und öffnet die Tür der Großvaterstube. Ein Schwall von Schimpfwörtern nutzt die Gelegenheit, in den Hausflur und bis zu uns in die Küche zu dringen. Dann ein dumpfer Schlag auf die Dielen, dann ein Zeitchen Stille, dann ein Hilferuf der Großmutter.

Wir sind, jeder mit seinem Schreck bepackt, in der Großvaterstube. Ich bin entsetzt. Alle anderen haben das, was jetzt Großvater genannt wird, schon gesehen, ich aber nicht: Ein Geripp, das einem mittelalterlichen Totentanzbilde entstiegen zu sein scheint. Ein Geripp, dessen Knochenfäuste die Stubendielen betrommeln, auf denen es einst im fleischlichen Leben mit dem Brunsttanz der Rinder einen kleinen Gewinn in der Lotterie betanzte.

Der Großvater hat sich mit einem Schwung aus dem Bett geworfen, um die Großmutter für ihre kurze Abwesenheit zu strafen. Haben Bosheit und Rachsucht dem Geripp, das der Großvater ist, die Kraft für diesen Sprung verliehen? Es gibt einen Käfer, der in die Höhe schnellt, wenn man seine Flügeldecken mit dem Finger berührt. Das Verhalten dieses Käfers hat mich schon als Kind nachdenklich gemacht. Ist es zusammengepreßte Überlebenskraft, die man durch die Berührung des Käfers mit dem Finger zum Explodieren bringt? Ists auch beim Großvater Überlebenskraft, oder ists der Tod, der die weiße Haut des Alten berührte, jene Haut, die voll Falten und ohne Glanz ist wie die Haut auf abgekochter Milch. Das kniende Geripp stößt mit weib-männlicher Mischstimme Verwünschungen und Flüche aus: Dir wer ich zeigen! Und dann nimmt die Stimme die Färbung eines Rabenschreies an: Dir wer ich abstrafen, wer ich dir!

Weshalb ich erstarre, wenn ich andere Menschen leiden sehe, konnte ich bis heute nicht ausdeuten. Bruder Tinko und das Hertchen packen den Alten und heben ihn in sein Bett zurück, während die Großmutter mit einem Lappen an dem Großvatergeripp herumwischt. Auf den Dielen bleibt ein nasser Fleck zurück. Der Alte verlangt eigensinnig nach seinem Stock, und sie legen ihm den Stock wieder quer über das Deckbett, und da erkennt der Alte mich, und sein Blick wird scharf, und er hebt den Stock und läßt ihn niedersausen, doch der Schwung, mit dem das Knotenholz mich treffen soll, ist zu stark für die Knochenhand: der Stock fällt mit Gepolter auf die Dielen. Die Rabenstimme des Großvaters kommt wieder nach vorn. Was treibst du dir rum? brüllt er und hält mir vor, er habe mir das Leben gerettet, als das noch nicht ein Jahr lang war, er habe mich gehudelt und betan und habe mir ein zweites Mal das Leben gerettet, als meine Mutter nach der Geburt der Schwester mit Kindbettfieber lag, und du und du, brüllt der Alte und reißt die Augen auf, daß man fürchten muß, die Lidränder könnten reißen, du läßt mir hier alleene leiden? Scher dir furt, scher dir furt, ich will dir nich mehr sehn! Und langsam versinken die Vorwürfe des Großvaters in einem Gewimmer.

Die Anderthalbmeter-Großmutter will mir beistehen, wie sie es ihr Leben lang getan hat. Sie versucht, dem Alten zu erklären, daß ich unschuldig bin, daß ich unterwegs und lange, lange nicht hier war.

Die Entschuldigung kommt nicht an, Großvater lebt wieder anderswo, niemand weiß, ob im Überirdischen oder im Unterirdischen. Niemand kennt das spezifische Gewicht der Großvaterseele. Vielleicht erfährt der Alte soeben, dort, wo er jetzt ist, daß es zwischen den Zuständen, die wir organisch und anorganisch nennen, keine Grenze gibt, aber ich weiß jetzt mehr als genau, was die Verfluchten, von denen ich in Büchern las, zu schleppen hatten.

Wir gehen nach unten. Ab und zu dringt noch ein Grölen aus der Großvaterstube, aber das Stockgestampf des Alten verliert das Fordernde. In der Küche kommt eine Stimmung wie nach einem abziehenden Gewitter auf. Bruder Tinko verabschiedet sich. Er gibt mir nicht die Hand und scheint mir mit dieser Unterlassung zu bescheinigen, daß ich wieder zur Familie, zu den Dorfleuten gehöre, die sich nicht die Umständlichkeit leisten, jede Verabschiedung und jede Begrüßung mit einem Handschlag zu feiern.

Elvira läßt mich wissen, daß ich das Bett beschlafen werde, in dem sie bisher schlief. Das Bett sei von ihr angewärmt. Ich hoff, es kommt dir nichts an dabei, sagt sie und gibt mir die Hand, und sie biegt ihren Zeigefinger ein, daß er in die Handfläche meiner Rechten zu liegen kommt, und sie krault mir die Handfläche.

Eine halbe Stunde später liege ich in diesem Elvira-Bett. Ich versage es mir, an sie zu denken. Eine Weile gelingts mir, dann tue ichs doch, aber dann verbiete ichs mir energisch. Lächerlich! Könnte man je in einem Hotelbett schlafen, wenn man wüßte, wer zuvor darin gelegen hat? Ganze Heerscharen von Leuten sind in so Gastbetten gelegen, aufregende Frauen, verabscheuungswürdige Männer, grundgütige Christen, scharfe Politiker. Kein Mensch hat sich je in einem Hotel erkundigt, wer in dem Bett, das er beschlafen soll, rumort, gehurt oder sanft geruht hat.

Draußen steht ein stärkerer Wind auf. Ich höre die Eichen rauschen. In ihren Kronen ist stets wie auf Türmen ein Windchen zugange. Ich fühle mich besänftigt. Ein Stück Kindheit blickt zu mir herunter: Weshalb bin ich wieder hier? Ists richtig, was ich tue, frage ich mich und stutze: Habe ich etwas mit mir tun lassen?

Ihr wißt, bevor ich meine erste Nachkriegsarbeit fand, lief ich hungrig umher, bis ich in einem großen Obstgarten Arbeit und Unterkommen fand, im Garten Eden. Und ich verließ diesen Garten, obwohl ich dort nicht nur Arbeit und Essen, sondern auch menschlichen Zuspruch gefunden hatte, ich verließ ihn, nachdem mich meine Mutter mehrmals in Briefen gebeten hatte, ich möge heimkommen, und wenn ich nicht bald käme, wäre es zu spät. Ich hätte mir doch in Jungjahren stets Land und eine kleine Bauernwirtschaft gewünscht. Man verteile jetzt in der Heimat Land. Die Russen würden drauf dringen, daß sich ooch unsereens bissel Feld geben lassen tut. Sie wolln, daß es bei uns so wird wie in Rußland – keene Gutsbesitzer nich mehr. Die Bossdomer hätten zunächst gezögert und gefürchtet, es könnte wieder alles anders kommen, aber der Russenkommandant hat mit Beene gestampt, die Gutsbesitzer kämen nicht wieder zurück, hätte er gebrüllt, und da hätten die ersten Kleinbauern und Bergleute sich ebent Stücke Feld geben lassen, der Vater auch. Ich meene, warum nich in die Wurscht beißen, wenn se unsereen for die Noase gehalden wird? Es sei wahrhaftiglich richtig Mode geworden, sich Land geben zu lassen.

Ihr wißt, wie mir war, als ich Eden verließ, und wie mich die Tochter der Eden-Familie an den Zug brachte, mich und meinen Sohn Jarne. Ich möchte mich nicht wiederholen, obwohl der verehrte Tolstoi, der geliebte Hesse, der geschätzte Faulkner, auch der bewunderte Proust nichts dagegen haben, sich in ihren Werken zu wiederholen. Vielleicht ist meine Besorgnis, mich zu wiederholen, nur eine Marotte, denn gründlich betrachtet, wiederholt sich nichts, aber auch nichts im Leben.

Das Zugabteil, in das wir stiegen, war ungeheizt. Die Fenster waren scheibenlos oder mit Pappe vernagelt. Im Garten Eden hatte ich das Privileg, in der Nähe meiner Hütte Tabak anzupflanzen. Der Chef selber war Kettenraucher und wußte, wie schwer es ist, mit der Nikotinsucht fertigzuwerden. Meine Tabak-Ernte fiel gut aus. Die Witwe eines abgestürzten Fliegers, die auf Eden zu tun hatte, bot mir für drei Bunde Tabakblätter den Fliegerpelz ihres Helden an. Sie war der Nikotinsucht verfallen. Sie ließ sich vom Tabakrauch über den Tod ihres Mannes hinwegtragen. Der Pelz wäre ihr nicht mehr zunutze, sagte sie, er wäre zu lang, zu schwer, trüge zuviel Mannsdunst in seiner Wolle, zu viele Erinnerungen.

Dieser Fliegerpelz verhalf meinem Sohn und mir zu einem Kubikmeter Nestwärme im Zugabteil, in dem sonst kein Gran Heimligkeit zu finden war. Der Fliegerpelz, der uns wärmte, war in den ersten zwei Reisestunden unser Glück. Für den zitternden, unrasierten Alten, der uns gegenübersaß, hatte das Glück die Form eines halben Brotes. Von Zeit zu Zeit schnitt er sich eine Scheibe herunter, und wir konnten zusehen, wie sich sein Glück von Mahlzeit zu Mahlzeit verminderte. Ein anderer Mann, mit Krätzezeichen an den Händen, erzählte uns ächzend von den Urinmineralien, die ein Steinchen in seiner Niere gebildet hätten. Das Steinchen bereitete ihm von Zeit zu Zeit Schmerz und Scherereien. Er trampelte im Abteil hin und her, und sein Glück war, wenn das Steinchen für eine Weile ruhig lag und ihn mit Schmerzen verschonte.

Mein Sohn beschäftigte sich damit, festzustellen, welche Bahnstationen am zertrümmertsten waren. Wenn sich der Mann uns gegenüber eine Scheibe von seinem Brot herunterschnitt, verlangte Jarne nach dem Kochgeschirr. Frau Höhler, die Eden-Mutter, hatte uns Kartoffelsalat mitgegeben und zuversichtlich gesagt: Wir sehen uns nicht zum letzten Male, das weiß ich. Aber wir sahen uns zum letzten Male, das weiß ich (heute).

Der Sohn aß vom Kartoffelsalat, kuschelte sich wieder in den Fliegerpelz und sang das Lied vom Sunset Hill. Er kannte es von einer Schallplatte herunter. Die Platte hatten amerikanische Onkels seiner Frau Mutter, meiner geschiedenen Frau, geschenkt. Ihre gefährliche Nähe drunten in der Stadt wollte ich abschütteln, denn ich wurde und wurde mit dieser Frau nicht fertig, obwohl ich amtlich von ihr gelöst war, ich wollte, ich durfte sie nicht mehr sehen. Dieser Umstand und die Lockungen der Mutter mit dem Ackerland, das ich erhalten würde, und mit dem naiv mütterlichen Versprechen, daß wir dann wieder so schön wie früher beieinander sein würden, sie halfen mit, mich aus dem Garten Eden zu treiben.

Der Zug ruckelte und quietschte und kam und kam nicht voran. Ich dachte an Fräulein Hanna auf Eden und erwog, ob ich nicht durch einige Zärtlichkeiten mehr Anrechte auf sie hätte hinterlassen sollen. Ich hatte es gut in ihrer Nähe, in ihrer Familie und in der Bibliothek ihres Herrn Vaters. Ich war so ausgehungert auf Bücher und auf Lesen, daß ich mir die Möglichkeit, in Büchern zu schwelgen, fast mit der Bindung an dieses Mädchen erkauft hätte.

Der Chef auf Eden hatte mir zum Abschied einen Band Emerson-Essays geschenkt. Nun besaß ich ein zweites Buch von diesem amerikanischen Weisen. Wenn die Lichtverhältnisse in unserem dubbrigen Abteil es zuließen, hörte ich mir lesend an, was der erkundet hatte, und was er von der Welt und ihren Menschen zu berichten wußte. Es kam viel Tröstliches von ihm zu mir her.

Wir fuhren zwei Tage und zwei Nächte lang, standen häufig auf Abstellgeleisen, weil Militär- und Güterzüge Vorfahrt hatten. Die Fahr- und Streckenpläne der Deutschen Reichsbahn waren ungültig. Nachkrieg.

Die zweite Nacht verbrachten wir in der etwas weniger zertrümmerten Stadt Hoyerswerda. Der Zug wurde neu zusammengestellt und sollte erst tags drauf weitergehen. Wir konnten in die Stadt und uns dort einmieten. Wir übernachteten in einer warmen Wirtshausstube und verzehrten das, was wir unser Abendbrot nannten, und am Nebentisch verzehrten russische Offiziere das, was wir früher Abendbrot genannt hatten. Sohn Jarne umkreiste die beiden Offiziere und bewunderte deren Orden. Sie waren auf den Brüsten der Militärs ausgelegt wie Kostbarkeiten in einem Schaukasten. Einer der hohen Dienstgrade schnitt eine dicke Scheibe von seiner Wurst herunter und hielt sie Jarne hin. Mein Sohn brachte sich eifrig an die Wurst heran, dankte, biß hinein und schlang. Und da schnitt auch der andere Offizier von seiner Wurst herunter und gab Jarne eine Scheibe, und die Männer hatten ihr Wohlgefallen an dem Kinde ihres deutschen Feindes, und mein Sohn hatte sein Wohlgefallen an den feindlichen Offizieren. Ich kam nicht in Betracht, ich schien den russischen Wohltätern meines Sohnes zu verdächtig zu sein; ich trieb mich ungefangen umher. Wahrscheinlich hielten sie mich für einen, der vorzeitig aus amerikanischer oder englischer Gefangenschaft entlassen wurde und nach ihren Spielregeln möglicherweise ein westlicher Agent war. Sie hätten das Recht gehabt, mich an Ort und Stelle zu kontrollieren, doch mein Sohn schien mich vor dieser Kontrolle zu schützen. Selbst wenn ich den Russen hätte erklären können: ich bin nicht das, was ihr denkt, sie hätten es mir nicht geglaubt. Sie hatten ihre Erfahrungen: Kein Deutscher gab um diese Zeit zu, etwas mit Hitler zu tun gehabt zu haben. Mein Sohn aber war für sie ein Kind der Welt, und die Sorge der Offiziere um die Weltunschuld rührte mich.

Am nächsten Morgen fuhren wir weiter, und alsbald mußten wir wieder aussteigen, mußten auf einem Bahnsteig auf einen Wechselzug warten. Ich zählte unsere Gepäckstücke wieder und wieder. Da war die Kiste mit den beiden Angorakaninchen, da war der Gebirgsjägerrucksack, der mit Spierstrauchzweiglein gefüllt war, die ich um das Land pflanzen wollte, das ich noch nicht hatte. Da war ein Bücherkoffer und das Köfferchen des Sohnes mit dürren Spielsachen. Ich zählte, zählte und wurde zählkrank wie in meiner Kindheit.

Ich mußte unser Gepäck für ein Zeitchen verlassen. Sohn Jarne, der es bewachen sollte, sah den Zugvögeln nach, die über den Bahnhof hinweg in ihre warmen Heimaten flogen. Als ich zurückkam, fehlte die Kaninchenkiste. Ich suchte sie und fand sie auf einem Bahnsteig hinter uns. Sie bereicherte das Gepäck eines anderen Reisenden, der nicht zu sehen war.

Ich holte meine Kiste zurück und wurde von den Umherstehenden als Dieb verschrien, bis ein wassersüchtiger Soldat, ein Heimkehrer, meine Diebsrolle sprengte. Er hätte mich vorher mit der Kaninchenkiste gesehen, sagte er, er kenne mich, sagte er, und er kannte mich wirklich, doch ich erkannte ihn nicht sogleich. Das Wasser, das seinen Körper aufschwemmte, war zwischen uns, andererseits hatte das Wasser bewirkt, daß man ihn vorzeitig aus der Kriegsgefangenschaft entließ. Hunger-Ödem.

Der Wassersüchtige und ich hatten vor Jahren zusammen in einer Bäckerei gearbeitet. Jetzt fuhr er heimzu, obwohl ihm Nachbarn berichtet hatten, daß seine Frau, seine Kinder, auch seine Schwiegereltern nicht mehr lebten. Der Schwiegervater hatte alle erschossen, als die russischen Truppen einzogen. Mein ehemaliger Arbeitskollege war auf dem Wege zu den Gräbern seiner Familie.

Der Mensch, der die Kaninchenkiste gestohlen hatte, kam nicht zurück. Hoffentlich hatte ihm in der Zwischenzeit niemand sein Gepäck gestohlen, so wie er mir die Kaninchenkiste stahl. Es fehlt noch, daß ich ihn bedauere, jetzt, da es mir in der Stube, die wir früher die Gute Stube nannten, so gut wie gut geht, und da ich mich vorderhand unter den Flügeln der alten Eichen vor dem Hause geborgen finde.

Und wir fuhren weiter, und unsere Fahrt endete in dem Glasmacher-Ort Friedensrain, und nach dorthin hatte meine Schwester geheiratet, und von dort nach Bossdom waren es noch vier bis fünf Kilometer Waldweg.

Die Schwester hört mein Hereinklopfen nicht. Sie sitzt am Küchentisch und hat Spielkarten vor sich ausgebreitet, sie legt sich die Karten. In den Jahren, da wir uns nicht sahen, haben sich Falten in ihre Stirnhaut geschlichen. Sie springt auf, schiebt die Karten auf dem Tisch zusammen, ohne den Tod gewahrt zu haben, der vielleicht rechts oben im Quadrat der ausgelegten Spielkarten hockte. Sie hat ihn noch nicht entdeckt, weil ich kam, den Nachkriegstod, den Typhustod, den sie drei Jahre später sterben wird.

Wir haben uns als Schulkinder nie umarmt, nur in der ganz, ganz frühen Kindheit, wenn uns die Mutter dazu überredete. Jetzt umarmen wir uns, wir sehen uns wieder, wir freuen uns aneinander.

Die Schwester verweist auf das Kartenhäufchen, zu dem sie ihr Schicksal zusammengeschoben hat. Nun braucht sie, sagt sie, ihre Karten nicht mehr nach der Zukunft zu befragen, nun bist ja du da, sagt sie, und wirst mir hypnotisieren und in die Zukunft schicken, wirschte? Ich vertröste die Schwester, erst will ich ein Weilchen hier sein und ein paar Faserwurzeln schlagen.

Wir finden in der Siedlungswohnung der Schwester ein kleines Vor-Zuhause. Ihr Sohn Rudi scheint auf meinen Sohn Jarne gewartet zu haben. Sie sind gleich alt, sie machen magere Seifenblasen aus dem Schaum nachgebliebener Kriegsseife. Sie blasen Weckgläser, bestimmt Schwestersohn Rudi. Im Glasmacher-Ort Friedensrain wird Glas geblasen. Sohn Jarne will nicht glauben, daß Seifenblasen Weckgläser sind. Die Jungen streiten sich. Eine von den Streitereien, die entstehen, wenn der eine was glaubt, was der andere nicht glauben kann.

Die Schwester erzählt von dem, was ihr in den Zeiten, in denen wir uns nicht sahen, widerfuhr, und alles, was ihr widerfuhr, ist von ihr selbst ausgegangen. Sie ist zur Frau auseinandergelaufen und ähnelt in ihrer Figur meiner Mutter, auch ihre Hände sind, wie bei der Mutter, jung und feingliederig geblieben. In ihrer besten Zeit war sie ein vielbetanztes Mädchen, goldrothaarig und begehrt. Ich weiß nicht, wie viele Männer daran beteiligt waren, aus ihr die jetzt etwas formlose Frau zu machen. Ich kannte nur ihren ersten Mann, den Glasschleifer. Ich sah ihn, wenn ich ein seltenes Mal auf Besuch in die Heimat kam. Er war ein Schönling, gehörte zu den Zivilsoldaten, die es damals gab, ging in einer schwarzen Uniform umher und sprach von einem Mann, den er seinen Führer nannte, seinen Führer, dem er folgen müsse wie ein Blinder seinem Schäferhund. Und diesen Menschen mußte die Schwester haben. Seiner Locken wegen und weil er eine so vornehme Mutter hatte, eine Wienerin: Ists gefällig? Sie verlangte etwas Ungewöhnliches für uns auf der Heide, diese Mutter, sie verlangte, daß man ihr vorgestellt wurde, und wenn es einer über sich brachte, sich vorstellen zu lassen, sagte sie: Freut mich, ausgezeichnet! Dieses Benehmen ging schließlich auf die ganze Familie des Schwester-Mannes über, nur der Vater, ein Friedensrainer Glasmacher, brachte ein bißchen Niederschlesisch in die Vorstellungszeremonie ein: Freut mir, is ock ausgezeichnet!

Die Brüder waren gegen den schwarzen Mann der Schwester. Sie sagten es ihr. Sie hänselten sie und verkümmerten es ihr, ihn mit nach Hause zu bringen. Sie zwangen die Schwester, sich mit ihrem Schönling in den Bruchfeldern der Grube Conrad zu treffen, doch später heirateten die beiden gegen allen Widerstand, oder der Widerstand der Eltern und der Brüder wurde aufgegeben. Ich weiß nicht, wie es war, ich war unterwegs.

Nicht jede Ehe ist eine Einrichtung zum Produzieren von Glück. Im Kriege zog der Schwestermann, der Schönling, mit den deutschcn Besetzern nach Norwegen hinauf und entdeckte, daß meine rotgoldblonde Schwester ihm nicht nordisch genug wäre, und vielleicht war sie ihm als Halbsorbin auch zu mischrassig, und er ließ sich scheiden, denn es zog ihn zu einer Norwegerin, weiter und so weiter, und meine Schwester saß da mit dem blondlockigen Sohn des schwarzen Mannes und kummerte eine Weile, aber für ein längeres Trauern war sie nicht eingerichtet. Ein Förster fing an, sich um sie zu kümmern. Der war unabkömmlich, war nicht im Kriege. Zugegeben, sagt die Schwester, er war älter schont, aber so väterlich uff mir, bißchen verheiratet war er ooch, und denn mußte wissen, sagt die Schwester, ein Lied war ooch dran schuld. Sie meinte den Löns-Schlager vom Jägersmann im grünen Kleid, der damals aus den Lautsprechern der Volksempfänger tönte.

Es kam ein Kind auf die Schwester zu, doch es kam nicht in die Welt der sichtbaren Dinge. Es sullde woll nich sein, sagte die Schwester, entschuldigend. Niemand weiß es außer mir und dem grünen Jägersmann …!

Es war Krieg, und es war ein Durcheinander, und im Durcheinander warf es den Jägersmann wieder zu seiner Familie zurück.

Dieses Erlebnis ließ, wie ich feststellte, im Gesicht der Schwester zwei Falten rechts und links zwischen den Wangen und ihrer kecken Nase zurück, aber jetzt ist sie wieder ein unweinerliches Wesen und legt sich die Karten, um zu erkunden, ob ihr aus ihnen ein Mann zuwinkt, der geneigt ist, ihre Gesichtsfalten zu übersehen, einer, der schon immer eine Goldrotblonde wollte, einer, der an das Gesage glaubt, die Rothaarigen hätten es hinter den Ohren.

Schwester Magy sieht auf die Uhr und sagt: Heute kommt er nicht. Soweit ist es schon wieder? Na, mäg, sie hat zu erzählen und zu erzählen. Es ist schon scheene, jemanden zu haben, mit dem sie über ihre vertrackten Liebschaften reden kann. Ich weiß, daß ich nicht ihr einziger Vertrauter bin; sie ist die Plapperguste geblieben, die sie schon als Schulmädchen war. Haste gehört und weeste das noch? Bleib noch bißchen und iß noch was!

Dann wird es Zeit. Der Abend rieselt ins Siedlergärtchen. Die Schwester leiht mir ihren Handwagen. Ich trecke unser Gepäck auf Bossdom zu. Den Wäldern sieht man nicht an, daß der Krieg vor kurzem noch durch sie hindurchkroch. Der November-Abendnebel deckt Schützenlöcher, Panzergruben, Baumsplitter und alles Gewüst zu.

Ein Weg, auf dem ich manches Mädchen vom Tanze heimbrachte, eene Heemfuhre machte, wie es unter uns Burschen hieß, wenn die Äste der Kiefern im Mondlicht flirrten, wenn der Kauz rief und das Mädchen sich an mich schmiegte.

Und da drüben lag das Stück Hochwald, in dem ich als kleiner Fliegenpilz mit der Großmutter Blaubeeren pflücken ging. Ich erinnere mich der alten Frau, die des Wegs kam. Sie hatte zotteliges Haar, eine schmale scharfe Nase, einen knorrigen Stützknüppel und entsprach der Vorstellung, die ich von einer Hexe hatte. Macht eich beiseite, rief sie uns zu, gleich wird Förschter Moser kumm!

Und die Großmutter packte mich bei der Hand und zog mich mit sich, denn wir hatten keinen Blaubeerschein. Wir machten uns tiefer in den Wald hinein. Ich stolperte. Mein Sammelkännchen fiel mir aus der Hand. Die wie von Nebel überzogenen Beeren rollten ins Moos. Ich mußte sie ein zweites Mal einsammeln. Wir sahen Förster Moser, den grünen Mann, vorübergehen. Er pfiff sich eins und bemerkte uns nicht.

Eine Erinnerung ist an die andere gekettet: Eines Tages wurde der Geldbote von der Grube Conrad hier in diesem Walde von einem Räuber überfallen. Der Räuber erschoß den Geldboten, von dem er wußte, daß er die Löhne für die Grubenbelegschaft von der Bank geholt hatte und im Rucksack trug. Doch er hatte nicht mit dem allgegenwärtigen Förster Moser gerechnet. Der war auf den Schuß hin eins, zwei, drei heran, und der Räuber erschoß auch Förster Moser und kroch auf eine hohe Kiefer, weil in der Ferne schon andere Verfolger zu hören waren. Der Raubmörder wollte wohl in der Kiefernkrone die Nacht abwarten, aber die Verfolger entdeckten ihn im Baum, und da erschoß der sich selber, und er fiel wie ein Sack vom Baum, so wurde damals bei uns im Laden erzählt.

Die Geschichte vom braven Förster Moser, der den Räuber als erster gestellt und dafür hatte sterben müssen, machte die Runde, wurde in den Zeitungen veröffentlicht und wurde sogar von den Bänkelsängern, die damals noch über die Jahrmärkte zogen, abgesungen. Wir aber waren stolz, daß das alles in unseren Wäldern geschehen war und daß auch wir zwischen Friedensrain und Bossdom nicht ohne waren.

Ja, damals wurde um drei Tote noch Aufhebens gemacht. Wieviel Tote mochte es hier in diesem Walde vor Monaten gegeben haben, die keinerlei Aufsehen erregten!

Mein alterndes Gedächtnis fängt an, Erinnerungen zuweilen sanft zu verwischen. Ich bitte alle, die damals mit mir waren und über ein jung gebliebenes Gedächtnis verfügen, es mir nicht zu verübeln, wenn ich hie und da nicht chronologisch erzähle oder die Ereignisse falschen Jahreszeiten zuordne. Die Chronologie ist die Feindin der Kunst, oder ähnlich heißt es bei Valentin Katajew, der im Alter ein eifriger literarischer Ausprobierer war.

Ich wiege Teig ab, den Teig für dreißig Sechspfundbrote. Ich wirke die Sechspfundstücke durch, forme Kugeln aus ihnen, mach aus den Kugeln Teigwalzen, die späteren Brote, und werfe sie zum Garen in Holzmulden.

Brotaufwirken lernte ich schon als Neunjähriger; ich stand neben dem Vater, sah zu und lernte es ihm ab. Damals waren die Sechspfund-Teigkugeln für mich große Raupen-Eier, und der Vater bewirkte mit seinen Händen das Ausschlüpfen der Raupen, und er fuhr denen über die Bäuche, und die Raupen krümmten sich vor Wonne. Ich vertrieb mir die Langweile mit Poesie. Später schien mir diese Gabe eine Zeitlang verlorengegangen zu sein, und in dieser Zeit war eine Teigwalze ein ungebackenes Brot, keine lachende Raupe.

Ich habe das Brotbacken nicht verlernt, es ist in mir wie alles andere, was ich mir beibrachte, wie Reiten und Radfahren, als wärs mir in die Gene gekrochen.

Ich backe Brot für die russische Kommandantur. Sie ist für die Bossdomer um diese Zeit die höchste Macht auf Erden. Ich bin nach Bossdom geworden und habe mich damit der russischen Kommandantur unterstellt.

Der Backofen kann dreißig Teig-Raupen aufnehmen und abbacken. Dreißig Brote, ein Schuß Brot, in jeder Bäcke. An jedem Vormittag backe ich drei Schuß Brot für die Kommandantur. Appetit und Hunger der Russen stehen auch am Sonntag nicht still. Sie nennen sich unsere Befreier und hören gern, wenn auch wir sie so nennen. Mich haben sie vom verfluchten Krieg befreit. Ich hatte ihn nicht angeschafft.

Die Soldaten vor der Kommandantur fahren auf den Hof, unser Tor muß Tag und Nacht geöffnet sein; überhaupt können die Russen Zäune nicht leiden. Wer seinen Zaun lieb hat, reißt ihn selber ab und bringt ihn in Sicherheit. Eenmoal wird doch woll wieder Ruhe sein, heißt es.

Drei Soldaten dringen in die Backstube, schon draußen höre ich sie rufen: Dawei, dawei, dawei! Ich versuche ihnen zu erklären: Das Brot muß eine Stunde im Ofen bleiben, damit es durchgebacken ist. Sie begreifen. Aber am nächsten Tag kommt ein anderer Trupp das Brot abholen. Mal sind es kleine Kerlchen, ein wenig krummbeinig, mal sind es Recken, Heldengestalten, und immer wieder: Dawei, dawei, dawei!, und auf dem Hof rattert der Lastwagen, als ob er die Ställe und den Taubenschlag durch eine Schrotmühle drehen würde.

Die Brotabholer kauern vor dem Mundloch des Backofens. Ich zeige ihnen die Brote. Die Soldaten sehen, daß sie noch blaß und erst halb gebacken sind, und sie geben sich zufrieden.

Mehl wird von der Kommandantur angeliefert. Dem Ochsen, der da drischet, soll man das Maul nicht verbinden, heißt es. Die übertünchte Spruchkante in der alten Backstube: Wo Brod keine Nod … wurde wieder gültig. Mußte nicht pimplig sein, sagte die Mutter, mußt immer moal een Sack russisches Mehl rüber zum Mehl für die Dorfleite stellen. Tinko hats ooch gemacht, is sowieso deitsches Mehl, sagt sie.

Ich will kein schlechterer Sohn sein als Bruder Tinko.

Meine Hilfskraft in der Backstube ist die Heinjakfrau Hertchen. Sie bestreicht die garenden Brote in den Holzmulden mit Wasser, damit die Brotrinde im Ofen nicht reißt. Sie reicht mir die Mulden mit den backreifen Brot-Embryonen zu. Ich schlage die Brote aus den Mulden auf den angesengten Holzschieber und schiebe sie in den Ofen, ich schieße sie ein.