Cover

Über dieses Buch:

Endlich die Seele baumeln lassen! Ganz egal, ob Sie am Strand liegen, im Straßencafé sitzen oder in der Hängematte träumen: Wir haben das richtige Lesevergnügen für Sie – zehn gefühlvolle Kurzromane und Erzählungen plus eine erfrischend eiskalte Krimigeschichte! Finden Sie heraus, was passiert, wenn eine Braut in spe auf dem Weg zur Hochzeit eine überraschende Bekanntschaft macht. Reisen Sie in Gedanken nach Spanien, Dänemark oder einmal um die Welt. Und amüsieren Sie sich königlich, wenn Sie hautnah miterleben, wie eine zu allem entschlossene Frau sich für die Untreue ihres Ehemannes revanchieren will – mit ungeahnten Folgen …

Informationen über die Autorinnen finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

Originalausgabe September 2016

Copyright © der Originalausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/kuleczka

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-755-0

***

Wenn Ihnen dieses eBook gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Sommerkuss an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktiven Preisaktionen – melde Sie sich einfach für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Sommerkuss und Sonnenliebe

Geschichten für die schönste Zeit des Jahres von Annemarie Schoenle, Kirsten Rick und vielen anderen

Herausgegeben von Claudia Weber

dotbooks.

Inhalt

Annemarie Schoenle
Der Mann für den Notfall

Roberta Gregorio
Barbara, das Brautkleid und der Blumenmann

Kirsten Rick
Die 1000 Hügel von Langeland

Sandra Peters
Meine beste Feindin

Marie Poss
In acht Gedanken um die Welt

Annemarie Schoenle
Ein kleines Stückchen heile Welt

Ashley Bloom
Busfahrt in den 7. Himmel

Friederike Costa
Per Anhalter nach Bad Rosenau

Annemarie Schoenle
Es war Sommer

Steffi von Wolff
Bis dass das Boot uns scheidet

Stefanie Koch
Rosis allerletzte Oper

Die Autorinnen
Lesetipps

Annemarie Schoenle
Der Mann für den Notfall

Es fing damit an, dass Oscar sich ein kariertes Sakko und ein auberginefarbenes Seidenhemd kaufte. Und sich morgens Eau de Toilette aufs Gesicht klopfte.

»Ich dachte, du kannst parfümierte Männer nicht ausstehen?«, sagte Rieke. Sie hieß eigentlich Henrieke und war Oscars Frau. Oscar klopfte weiter. »Ich habe immer schon Eau de Toilette benutzt.« Er pfiff ein fröhliches Liedchen.

»Nicht im Büro. Und wozu das neue Outfit?«

»Du beklagst dich doch immer, dass ich so nachlässig in Sachen Kleidung bin.«

»Aber du hast noch nie Sakkos und Hemden ohne mich gekauft.«

Er grinste. »Ich emanzipiere mich, mein Schatz.«

Während des Frühstücks sah Rieke nur einen Büschel brauner Haare über der Zeitung. Oscar nahm einen Schluck Kaffee. »Kann später werden, heute Abend«, murmelte er. Dann verließ er das Haus, die auberginefarbenen Hemdsärmel albern aufgekrempelt und das karierte Sakko überm Arm. Und das im Januar, bei fünf Grad unter null, wo er sonst schon beim ersten Herbstlüftchen nach dem gestrickten Schal seiner Mutter verlangte. Rieke stand am Küchenfenster, in ihrem Inneren klingelten so viele Alarmglocken wie im Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr. »Das stinkt zum Himmel«, sagte sie zu Brünhilde. Brünhilde, eine rote, furchtbar verfressene Spanieldame, wedelte sorgenvoll mit dem Schwanz. Wenn Riekes Stimme so zornig nach oben kiekste, verhieß es wirklich nichts Gutes. Dann blieb der Futternapf wegen dräuender Dramatik oft stundenlang leer.

Oscar war vierzig Jahre alt, zehn Jahre älter als Rieke und das, was man einen aufregenden Mann nannte. Er arbeitete als Art Director in einem Werbeverlag. Rieke, eine überschlanke, storchenbeinige hübsche Person, mit kurzgeschnittenen Haaren und tintenblauen Augen, war vor ihrer Heirat Oscars Assistentin gewesen. Dann hatte sie, auf Wunsch Oscars, ihren Job schweren Herzens an den Nagel gehängt. »Einer muss sich doch um den Garten und den Hund und die Kanarienvögel ... und ein bisschen um meine Mutter kümmern«, hatte Oscar gemeint. Dieser »eine« war sie. Henrieke Schmitt, verehelichte Eydelstedt. Nur Karlchen Benedikt, der im Haus neben Oscar und Rieke residierte, ein Autor für Theaterstücke und Hörspiele, riss Rieke ab und zu aus ihrer Einsamkeit. Er kochte Kaffee, schlug Nägel in die Wand und führte Brünhilde ums Eck, kurzum, er hatte Familienanschluss. Karlchen stammte aus Oscars Kindertagen. Die beiden hatten sich Kaugummis, Briefmarken und Pausenbrote geteilt und später gemeinsam Jagd auf Mädchen gemacht. Oscar bekam die Hübschen mit Sexappeal und Karlchen die Pickeligen mit Charakter.

Rieke seufzte. Und vergaß tatsächlich Brünhildes Futternapf. Sie streifte Gummistiefel über und stakste zu Karlchens Haus. »Du musst mir helfen«, sagte sie, als er öffnete.

»Is’ was kaputt?« Karlchen hatte noch verklebte Augen. Er schrieb seine Hörspiele mehr in den Abendstunden.

»Oscar. Er ist auf Abwegen.«

»Komm rein«, sagte Karlchen erschrocken.

Rieke zählte die belastenden Indizien auf. Das Seidenhemd. Das Eau de Toilette. Die Zeitung beim Frühstück. Die langen Bürostunden. Und die Assistentin.

»Welche Assistentin?«

»Eine brandneue. Er hat, wie du weißt, ein Faible für Assistentinnen. Ich war auch mal Oscars Assistentin, erinnerst du dich?«

»Au weia«, sagte Karlchen und holte die Cognacflasche.

***

Am Nachmittag besuchte Rieke »Brigittes Modekästchen« und erstand einen enganliegenden Pullover für den Tag, ein dekolletiertes Kleid für den Abend und etwas rabenschwarz Sündiges für die Nacht. Dann ging sie in einen Feinkostladen. »Geräucherten Aal, bitte«, sagte sie. Oscar liebte geräucherten Aal. Bei geräuchertem Aal und Salzkartoffeln hatten sie sich kennengelernt.

Doch Oscar kam erst gegen Mitternacht nach Hause. Da war es für den Aal zu spät. Weil so schwer verdaulich.

»Wo warst du so lange?« fragte Rieke.

»Im Büro«, sagte Oscar und gähnte kompliziert.

»Da war niemand im Büro. Ich hab angerufen. Festnetz und Handy.«

»Zentrale nicht mehr besetzt, Akku leer.«

»Wie praktisch.«

»Was meinst du damit?« Oscar schlüpfte aus dem auberginefarbenen Hemd, das schrecklich zerknittert war. So zerknittert wie Riekes Innenleben. Trotzdem lächelte sie und platzierte sich und ihre rabenschwarze Sünde dekorativ aufs Bett. Oscar scheuchte Brünhilde von der Decke und löschte das Licht. »Bin ich müde«, sagte er und schlief sofort ein.

***

Am nächsten Abend sah Rieke ihn und die andere. Die andere war eine gepflegte reife Frau mit braunen Locken und rot sündigem Mund. Sie sah sehr nach tüchtiger Assistentin aus und saß mit Oscar in der hell erleuchteten Fensternische eines französischen Restaurants. Rieke trat auf die Bremse. Hinter ihr hupte es. Neben Rieke winselte Brünhilde. »Der Schuft«, flüsterte Rieke und hatte auf einmal entsetzliche Angst. Brünhilde kroch auf ihren Schoß und sabberte tröstend auf den enganliegenden Pullover für den Tag.

Beim Frühstück sagte Oscar: »Ich muss verreisen. Ich hab da einen tollen Texter aufgetan, und du weißt, wie rar die sind.«

»Wann?«

»Morgen. Nach Frankfurt. Ich bleibe über Nacht.«

»Wieso über Nacht? Frankfurt ist doch um die Ecke?« Rieke hatte wieder ihren Kiekser in der Stimme.

»Die Besprechung wird lange dauern.«

»Kann ich mitkommen?«

»Duuu?«

Oscar redete sehr lange und umständlich, um ihr klarzumachen, dass er mit dem Texter eine höchst brisante, geheime Sitzung hatte, die man besser unter vier Augen führte. »Geheime Sitzung mit einem läppischen Texter? Ist er Undercover-Agent?«

Oscar strafte sie mit einem beleidigten Blick. Der Blick ersparte ihm die Antwort. Na, warte!, dachte Rieke voller Zorn.

***

Am Nachmittag stattete sie seinem Büro einen Besuch ab.

»Ja, die Frau Eydelstedt«, sagte Oscars Sekretärin. »So eine Überraschung.«

»Mein Mann nicht da?«

»Der ist in der Druckerei. Immer dienstags, wissen Sie’s nicht mehr?«

Rieke lächelte bezaubernd. »Gott sei Dank hat Oscar jetzt zur Entlastung endlich wieder eine Assistentin.«

»Ja, ja. Aber kaum da, hat sie schon wieder für morgen Urlaub genommen. Möchten Sie ’nen Kaffee?«

Rieke nickte. Und warf einen Blick in den Reiseordner, während die Sekretärin den Kaffee holte. So, so. Ein Zimmer in einem noblen Landgasthof war für Oscar reserviert worden, etwas außerhalb Frankfurts.

Als sie nach Hause kam, führte sie ein Telefonat mit besagtem Gasthof und bestellte auf den Namen von Henrieke Schmitt ein Doppelzimmer. Dann stakste sie wieder in Gummistiefeln zu Karlchen. »Ich werde Oscar eifersüchtig machen. Deshalb brauche ich einen Mann für den absoluten Notfall«, sagte sie. »Nimm mich«, schlug Karlchen, rot bis unter die Haarwurzeln, vor.

»Das geht nicht. Dir glaubt es Oscar nie und nimmer ...« Jetzt wurde auch Rieke rot. »Es ist nur ... Ich will eure Freundschaft nicht belasten.«

Karlchen blies ein bisschen Pfeifenrauch in die Luft. »Du willst Oscar also erzählen, du übernachtest bei deiner Freundin Annette. Dann fährst du mit einem gutaussehenden Mann zu dieser noblen Absteige. Du tust, als bemerktest du Oscar gar nicht, lässt dich verhätscheln und verehren ...«

»Und mich aufs Doppelzimmer führen.«

»Vielleicht ist Oscar ja allein in diesem Gasthof? Vielleicht hat er gar keinen Seitensprung?«, gab Karlchen zu bedenken.

»Den hat er. Ich kenne Oscar und seine ganzen Maschen, wenn er seitenspringt. Also. Hast du einen gutaussehenden Mann für spezielle Fälle zur Hand?«

Karlchen zählte auf. »Meinen Zahnarzt. Der sieht blendend aus. Aber er ist verheiratet und hat drei Kinder. Dann noch meinen Versicherungsagenten. Der schwatzt dir in einer Stunde zehn Lebensversicherungen auf. Und den Schauspieler, der in meinen Hörspielen immer die Liebhaberrollen kriegt. Der hat’s aber nicht so mit Damen.«

Rieke seufzte. »Vielleicht doch der Versicherungsagent? Wir haben noch keine Lebensversicherung, Oscar und ich.«

»Halt, ich hab’s!«, schrie Karlchen und kruschte nach der Zeitung. Blätterte und zeigte triumphierend auf eine Anzeige unter VERMISCHTES:

GEHEN SIE NICHT GERN ALLEINE AUS? ODER BRAUCHEN SIE EINEN BABYSITTER? EINEN HANDWERKER? EINEN CHAUFFEUR? DANN RUFEN SIE MICH AN. ICH BIN DER ABSOLUT ZUVERLÄSSIGE MANN FÜR NOTFÄLLE. TELEFON  ...

»Der Mann für Notfälle«, schrie Karlchen begeistert. »Kapiert?« Rieke nickte argwöhnisch. »Hoffentlich ist er wirklich bloß zuverlässig ...«

***

Zu Hause packte sie ein Köfferchen für Oscar. Sie legte den kratzigsten Schlafanzug hinein und Socken mit Loch in der Ferse.

»Ach, übrigens. Ich bin morgen Nacht auch nicht da.«

»Aha«, sagte Oscar zerstreut.

»Ich fahre zu Annette. Hab sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

»Und Brünhilde?«

»Die bleibt bei Karlchen.«

»Okay«, sagte Oscar und lächelte sie an. »Wird dir guttun, der Tapetenwechsel.«

»Das glaube ich auch«, sagte Rieke zornig.

Das Telefonat mit dem »Mann für den absoluten Notfall« verlief sehr sachlich. Sicher, er verstehe schon. Ein gepflegtes Abendessen, ein fingierter Flirt, um den abtrünnigen Ehemann eifersüchtig zu machen ... »Neigt er manchmal zu Gewalttätigkeit?«

»Mein Mann ist total unsportlich. Wenn er tobt, knallt er höchstens mit den Türen. Das ist ihm Anstrengung genug.«

»Gut. Dann hole ich Sie am Spätnachmittag ab.«

»Danke«, sagte Rieke bedrückt. Sie kam sich vor wie die Heldin einer Kinoschnulze. Eine, die hinterher ins Wasser geht, weil alles schiefläuft.

Und es lief auch alles schief. Nicht, dass der »Mann für Notfälle« eine Enttäuschung gewesen wäre. Er war an die fünfundzwanzig Jahre jung, muskulös, blond, mit grünen Augen und ausgeprägtem Kirk-Douglas-Kinn. Er hieß Sascha. Auch die Fahrt nach Frankfurt verlief angenehm. Sascha brachte Rieke sogar manchmal zum Lachen. Und der Gasthof war reizend, das Ambiente gepflegt, die Ober zurückhaltend herzlich. Nur zwei Kleinigkeiten fehlten: Oscar und sein Seitensprung. Die beiden tauchten nicht auf. Nicht zum Abendessen, zu dem man Beaujolais trank, nicht an der Kaminbar, an der man Champagner genoss, und auch nicht später, als man tanzte.

»Er hat aber hier ein Doppelzimmer gebucht«, sagte Rieke. »Ich habe an der Rezeption gefragt. Was machen wir denn jetzt?«

»Wir genießen den Abend. Oder bin ich so ungenießbar?«

Früher hätten Saschas grüne Augen ihr sehr zugesetzt. »Sie sind wirklich nett, aber ...« Riekes Stimme zitterte.

»Na, also. Warum dann die Panik?«

»Verstehen Sie denn nicht? Jetzt brauchen wir das Doppelzimmer tatsächlich. Wir haben so viel Rotwein und Champagner getrunken, wir können nicht mehr Auto fahren.«

»Und das ist so schlimm?«, fragte Sascha.

»Ich hab’s bestellt, das Zimmer, um es nicht zu brauchen.«

»Klar«, sagte Sascha. »Sie dachten, Ihr Mann tobt vor Eifersucht und schleppt Sie ab nach Hause. Zur Versöhnungsfeier.«

»Na ja, so ähnlich.«

»Aber er ist nicht da, Ihr Mann.«

»Eben.«

»Ich bin schon da.«

»Aber Sie ...« Sie sind unseriös!, wollte Rieke sagen und sagte es nicht.

Er lächelte so wissend, als ob er Gedanken lesen könne. »Ich studiere Psychologie und Philosophie. Und arbeite nebenher als Babysitter, Chauffeur, Handwerker oder Gesellschafter. Nur als Gesellschafter. Manchmal verliebe ich mich auch. Wie jeder Mann. Und jede Frau. Das ist alles.«

Manchmal verliebe ich mich ... Rieke schloss die Augen. In ihrem Kopf drehte sich alles. »Ich ... ich könnte auf der Couch schlafen und Sie im Bett.«

»Klar«, sagte Sascha und zog sie ein bisschen näher.

***

Am nächsten Morgen versprach er, alles zu vergessen. Auch die nicht benutzte Couch. »Gewissensbisse?«

Rieke seufzte.

»Du liebst ihn wohl sehr, deinen Mann?«

»Sieht so aus.«

»Dann mach ihm die Hölle heiß«, sagte Sascha, ging zur Rezeption und zahlte die Rechnung. Weil das ganze kein Auftrag war, sondern Freude. »Hör mal ... Heißt du wirklich so? Henrieke Schmitt?«

»Henrieke reicht.« Sie blickten sich an.

»Dein Mann ist vielleicht ein Idiot ...«

»Find ich auch«, sagte Rieke.

***

Als Oscar, sein Köfferchen in der Hand, nach Hause kam, war er so gut gelaunt wie lange nicht mehr.

Rieke musterte ihn genau. »Du hast ’n Loch in der Ferse.«

Oscar schielte nach unten. »Hab ich gar nicht bemerkt.«

»Und du hast nicht in dem Hotel gewohnt, das deine Sekretärin für dich gebucht hat.«

Oscar wurde nervös. »Wir haben kurzfristig umdisponiert.«

»Wer ist wir?«, setzte Rieke das Verhör fort.

»Der Texter und ich. Ist übrigens ein guter Mann. Verlangt auch dementsprechend. Ich werde wohl noch ein paarmal mit ihm ... Der hat natürlich nicht gleich angebissen.«

»Ach? Hat er nicht? Obwohl er so schöne braune Locken hat?«

»Ich versteh nicht recht ...«

»Immer sind’s die Assistentinnen«, schrie Rieke.

Oscar war zutiefst entrüstet. »Du glaubst mir nicht? Ich werde es dir beweisen. Ich bringe dir diesen Menschen. Da hört doch alles auf!«

Ja, es hörte auch alles auf. Rieke holte ihr Bettzeug und trug es ins Gästezimmer.

***

Am nächsten Tag verkündete Oscar mit eisiger Stimme, dass man am Abend mit dem Text-Menschen zum Essen ginge. So könne sie diesen tüchtigen Kerl ungeniert examinieren. Dann werde sie ja sehen, wie unrecht sie ihrem Ehemann getan habe.

Rieke begann zu zweifeln. Wenn er nun tatsächlich bloß mit diesem vielleicht neuen Kollegen am Mittwochabend ...?

***

Sie fuhren zu »Rosario«. Der Ober lächelte. »Ihr Gast ist bereits eingetroffen.« Er führte sie zu einem reizenden Tisch mit grasgrüner Tischdecke, grasgrünen Servietten und grasgrünen erstaunten Augen über den Servietten.

»Darf ich vorstellen?«, sagte Oscar. »Herr Gabriel, seines Zeichens Werbefachmann. Meine Frau Rieke ...«

»Freut mich«, sagte Sascha und reichte Rieke die Hand.

»Mich auch«, stotterte Rieke und wünschte sich irgendwo ins Bermuda-Dreieck.

Schon bei der Vorspeise – geräucherter Aal – erzählten Oscar und Sascha vom Mittwochabend. Sie erzählten von den zähen Verhandlungen, dem noch fehlenden Konsens. Das heißt, Oscar erzählte, und Sascha grinste ab und zu verlegen auf den Aal. »Ja, meine liebe, gnädige Frau«, sagte er schließlich mit samtweicher Stimme. »War ein netter Abend. Wir haben Rotwein getrunken ... Champagner ... Man war sich sehr ... sympathisch.« Er zwinkerte Rieke zu.

Rieke beschloss, nie mehr Aal zu essen. Immer fingen beim Aal die Unannehmlichkeiten an.

***

Noch am gleichen Abend versöhnten sie sich, Oscar und sie.

Oscar verzieh mit gütigen Worten, dass Rieke an seiner Treue gezweifelt hatte, während Rieke, mit innigem Augenaufschlag, meinte, sie wolle nächste Woche wieder in den Verlag zurückkehren. »Als deine Assistentin. Du hast doch nichts dagegen, Liebling?«

Am nächsten Tag, als sie beim Frühstück die Zeitung lasen, sagte Rieke plötzlich: »Guck mal, was für ’ne komische Anzeige: DER ABSOLUT ZUVERLÄSSIGE MANN FÜR NOTFÄLLE ...«

Oscar machte ein Schafsgesicht. Rieke lächelte ihn unschuldig an. »Das müssen komische Leute sein, die so einen Kerl brauchen. Findest du nicht?«

Oscar schwieg.

War auch besser so.

Roberta Gregorio
Barbara, das Brautkleid und der Blumenmann

Kapitel 1

»Ich denke, wir sollten heiraten.«

Ludovica starrte ungläubig auf ihr Handy, nur um es sich gleich wieder ans Ohr zu halten. Sie hatte sich wohl verhört? Was genau meinte ihr Freund Agostino damit? War das jetzt ein versteckter Antrag? Stumm schimpfte Ludovica auf all die Filmemacher und Schriftsteller, die Generationen von Mädchen mit ihrer romantischen Auffassung der Liebe irreführten.

Romantik! Pffft!

So etwas gab es gar nicht. Zumindest nicht in ihrer Beziehung, und das war ihr meistens auch ganz recht so.

»Was meinst du?«, hakte Agostino nach.

Gute Frage.

Mit größter Mühe riss Ludovica sich zusammen. Immerhin kannte sie Agostino schon seit Jahren. Sie wusste also nur zu gut, dass er zu mehr nicht fähig war. Besonders nicht, wenn es darum ging, Gefühle zu zeigen.

»Das hat Zeit, Ago.«

»Aber du bist schon über 30.«

Fantastisch. Das wurde ja immer besser.

»Ja und?«

»Ich meine ja nur. Du wirst halt nicht jünger. Wie stellst du dir das vor? Mit dem Kinderkriegen und so?«

Ahhhhh.

Ludovica wollte ganz laut schreien. Sie hasste die Richtung, in die dieses seltsame Gespräch ging.

»Ago, ich muss Schluss machen. Kundschaft. Sehen wir uns später?«

»Ist gut. Bis dann.«

Ja, bis dann.

Ludovica steckte ihr Handy in die Hosentasche und lehnte sich gegen die Wand. Keine Kundschaft. Aber das war immer wieder ein guter Vorwand, wenn sie jemanden schnell loswerden wollte. Und so sollte es doch nicht sein, nicht wahr? Eine Frau sollte ihren Freund nicht loswerden wollen, oder? Dennoch ging es Ludovica sehr oft so. Agostino war einfach anstrengend. Und pedantisch. In jeder Lebenslage. Sogar beim Sex.

Gleichzeitig war er aber loyal. Und niemals böse. Immer neutral-freundlich. Zu jedem.

Du bist viel zu wählerisch, pflegte Ludovicas Mutter stets zu sagen. Und sie hatte recht. Das war Ludovica tatsächlich. Vor allem, wenn es um ihr Leben ging. Aber an Agostino war sie irgendwie hängengeblieben. Was sie als recht gutes Zeichen deutete. Immerhin waren sie nun schon seit drei Jahren zusammen. Es hatte keine Höhen und Tiefen gegeben. Ganz im Gegenteil, ihre Beziehung stellte eine flache Gerade dar. Keine weltbewegenden Emotionen, aber auch kein Drama. Klang gut. Dennoch fehlte es Ludovica manchmal an Action.

Geräusche drangen aus der Backstube an Ludovicas Ohr. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr, dass Mara, ihre Teilhaberin, Freundin und Kollegin, heute mal recht pünktlich war.

»’Ngiorno«, meldete sich Mara wenig später und gesellte sich zu Ludovica an den Verkaufstresen.

Mara sah, wie meistens, total zerknautscht, zerknittert und zerrissen aus. Ihr Haar stand wahllos in alle Richtungen ab. Ihre Hose steckte am linken Bein in der Socke. Und ihr Pulli wies ein enormes Loch am Ärmel auf.

Trotz ihres eher abschreckenden Auftretens, konnte sich Ludovica keine Person vorstellen, mit der sie lieber gearbeitet hätte.

Gemeinsam hatten Ludovica und Mara vor etwa genau einem Jahr Salernos erste Cupcake-Konditorei eröffnet. Während Mara für den praktischen und kreativen Teil verantwortlich war – also konkret Cupcakes buk und stets neu interpretierte –, kümmerte sich Ludovica um den viel langweiligeren Teil des Marketings und des Rechnens. Schichtweise standen die zwei Frauen im Verkauf. Nur knapp nach der Mittagszeit, wenn die nahe gelegene Schule schloss und die Schüler sich in ihrem kleinen Laden geradezu stapelten, arbeiteten sie Seite an Seite an der überschaubaren Ladentheke.

»Ich kann die Augen kaum offen halten«, gab Mara zu und gähnte dabei demonstrativ.

Mara bereitete die Cupcakes jede Nacht frisch für den nächsten Tag zu. Was sie ziemlich schlauchte.

»Wir sollten uns überlegen, bald mal jemanden einzustellen, der dir zur Hand geht«, schlug Ludovica vor. »Ich bekomme sonst echt noch ein schlechtes Gewissen.« Ihr war klar, dass Mara den unbequemeren Teil der Aufgaben trug.

»Du bist das Zahlengenie. Können wir uns das bereits leisten?«

»Na ja. Wie du weißt, zahlen wir noch den Ofen ab …«

Mara kratzte sich am Kopf. »Nee. Dann lass mal. Das schaffe ich schon noch eine Weile.«

Und dann betrat der erste Schüler den Laden, und Ludovica und Mara konnten nichts anders tun, als einen Cupcake nach dem anderen über die Ladentheke zu reichen und dafür zu kassieren.

Danach aber, als auch der letzte Teenie gegangen war, setzten sich Ludovica und Mara gemeinsam in die kleine Sitzecke. Das machten sie gerne und so oft sich ihnen die Möglichkeit bot. Mara hatte eine duftende Tasse Tee vor sich stehen. Ludovica hingegen trank Cappuccino aus Sojamilch und Gerstenkaffee. Und Mara rümpfte auch prompt die Nase.

»Ich weiß echt nicht, wie du das Zeug runterbekommst, Ludo.«

»Ist lecker. Magst du mal?«

Mara machte eindeutige Würgegeräusche. »Gott bewahre.«

Ludovica lachte. Maras Gestik war erheiternd. Sie konnte so wunderbar theatralisch sein. In der Tat hatte Mara vor der Eröffnung der Cupcake-Konditorei ihr Glück als Schauspielerin versucht, dabei sogar einige gute Theaterrollen ergattert. Letztendlich war es ihr aber zu erniedrigend geworden, um Rollen zu betteln.

»Wie läuft es daheim?«, fragte Ludovica, um das Thema zu wechseln.

»Gut. So wie es als Mutter und Ehefrau halt läuft.« Mara zuckte mit den Schultern, blies in ihren Tee und nahm einen großen Schluck. Im Gegensatz zu Ludovica war Mara längst verheiratet und Mutter. »Wie steht’s mit dem langweiligen Agostino?« Mara mochte Agostino nicht und machte kein Geheimnis daraus.

»Ich glaube, er hat mir heute einen Antrag gemacht«, gestand Ludovica und leckte sich den Sojaschaum von der Lippe.

Mara schreckte bei dieser Nachricht überrascht auf. So überrascht, dass ihr Tee dabei überschwappte und sich über den kleinen, runden Bistrotisch ergoss.

»Häh? Wieso glaubst du das nur? Hat er oder hat er nicht?«

»Ja, das weiß ich eben nicht so genau. ›Ich denke, wir sollten heiraten.‹ Genau das hat er gesagt.«

Mara wischte den Tisch sauber und sah ihrer Freundin dann gerade ins Gesicht.

»Dir ist schon klar, dass dein Guter es nicht einmal zustande bringt, dir einen ordentlichen Antrag zu machen? Ich denke, wir sollten heiraten! Was soll denn das heißen?«

»Na ja, so wie ich ihn kenne, sollte das schon ein Antrag sein.«

Ludovica löffelte ihre Tasse leer, stellte sie dann vorsichtig auf die Untertasse.

»Auf jeden Fall ein ganz doofer Antrag.«

»Du, ich kann auch nicht sagen, dass ich vor Begeisterung einen Meter hoch gesprungen bin. Aber so ist er halt, der Ago.«

»Genau. So ist er. Die Frage ist nur, willst du den Rest deines Lebens mit so einem Mann verbringen?«

»Keine Ahnung«, gab Ludovica offen zu.

»Keine Ahnung ist falsch, Ludo. Keine Ahnung ist eine ganz bescheuerte Voraussetzung. Roberto ist für mich nicht keine Ahnung. Nie. Roberto ist mein Leben. Keine Sekunde zweifle ich daran. Selbst dann nicht, wenn wir mal streiten, verstehst du?«

Ja, irgendwie schon.

Roberto und Mara. Das war Leidenschaft. Liebe. Feuer.

Agostino und Ludovica. Das war … Ja, was war es nur? Allerhöchstens lauwarme Suppe.

Aber lauwarme Suppe war doch irgendwie tröstlich, aufbauend, verlässlich.

Mara seufzte.

»Klar verstehe ich dich, Mara. Ich glaube aber nicht an die große Liebe, die alles andere in den Schatten stellt. Das gibt es nur selten. Im Film. Vereinzelt wohl auch im richtigen Leben. Aber wahre Liebe ist so selten, dass ich meine Zeit nicht mit der Suche danach verschwenden will.«

»Und deshalb gibst du dich mit Agostino zufrieden? Du spinnst! Wirf deine Chancen nicht ins Klo, Ludo! Irgendwo da draußen läuft er herum, dein Idealpartner. Der Mann, der dein Herz erobert. Glaub dran!«

Wenn sie das nur könnte.

***

Ludovica hatte den Rest des Tages damit verbracht, über die Worte ihrer Freundin nachzudenken. Mara hatte sie durcheinandergebracht. So richtig. War Agostino am Ende doch nicht der Richtige für sie?

Ruhig war es in den engen Nebenstraßen, die Ludovica einschlug, um nach Hause zu gelangen. Sie wohnte in einem hässlichen, anonymen Gebäude. Nein, sie mochte ihre Wohnung wirklich nicht. Aber Besseres konnte sie sich nicht leisten, nicht nach der großen Investition für den Laden. Müde blickte sie am Haus hoch. Überall hing unordentlich Wäsche herunter, hier und da bröckelte der Putz. Kein schöner Anblick. Aber in der Küche brannte Licht, was nur bedeuten konnte, dass Agostino da war. Er besaß den Hausschlüssel und ging bei Ludovica ein und aus, meist, um sich um Sofia Loren, ihre Katze, zu kümmern. Agostino schlief gerne mal bei Ludovica, obwohl er an der Amalfiküste, also außerhalb der Stadt, arbeitete. Dort hatten sie sich auch kennengelernt. Genauer, in seinem kleinen Laden, wo Agostino selbsthergestellte Lederwaren verkaufte. Taschen, Geldbörsen, Etuis, sogar Schmuck.

Eher zufällig war Ludovica auf seinen winzigen Geschäftsraum gestoßen, der sich in einer schmalen Gasse von Positano befand. Eigentlich war Ludovica Anfang Oktober an einem Sonntag nach Positano gefahren, um sich zu sonnen. Das Wetter war aber so schnell umgeschlagen, dass sie ihr Handtuch bald wieder eingepackt hatte. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als sich die ganzen kleinen Geschäfte anzusehen, um die Zeit zum Mittagessen zu überbrücken, dass sie unbedingt in einem angesagten Restaurant zu sich nehmen wollte. Und dabei hatte sie Agostinos »Artigianato della Pelle« entdeckt. Von außen wirkte das Geschäft eher anonym. Ludovica aber war neugierig geworden, dachte daran, dass sie eine neue Tasche gut gebrauchen konnte.

Sie waren in das Gespräch gegangen und hatte letztendlich Agostino zum Mittagessen eingeladen. Ja! So und nicht anders herum.

Und der Rest war eben Geschichte.

Ohne große Motivation stieg Ludovica in den alten, arg abgenutzten Fahrstuhl und fuhr in den vierten Stock. Das Erste, was sie bemerkte, als die Fahrstuhltür sich öffnete, war, dass es im Treppenhaus seltsam roch. Abendessen. Aus vier verschiedenen Haushalten. Die Mischung verursachte ihr beinahe ein Schwindelgefühl und erinnerte sie daran, dass sie an diesem Tag noch nicht sehr viel gegessen hatte. Vielleicht hatte Agostino ja eine Kleinigkeit zubereitet. Er machte ganz passable Pasta.

Ludovica schloss ihre Haustür auf und musste ihre Augen erst an das unerwartete Dämmerlicht gewöhnen. Hoppla. Kerzen? Angestrengt dachte Ludovica nach, ob sie auch die letzte Stromrechnung rechtzeitig bezahlt hatte.

Doch. Hatte sie.

»Ago?«

Es rumorte verdächtig aus dem Wohnzimmer.

»Ja. Hier.«

Etwas verunsichert schloss Ludovica die Tür hinter sich ab und betrat den schummrigen Flur. Dabei setzte sie ihren Fuß auf irgendetwas Weiches. Mist. Hatte Sofia Loren schon wieder in den Flur gekotzt?

Nein.

Bei näherem Betrachten schloss Ludovica das aus.

Unter ihrer Fußsohle klebte nämlich ein Rosenblatt.

Kapitel 2

Was zum Teufel …?

Der gesamte Flur war mit Rosenblättern ausgelegt. Cielo! Das würde nachher eine Menge Arbeit machen, diese rote Pracht wieder einzusammeln.

»Was ist denn hier los, Ago?« Ludovica suchte die Wand nach dem Lichtschalter ab. Agostino kam ihr aber zuvor.

»Nicht!«, sagte er. Und sein Ton war so flehentlich, dass Ludovica innehielt. »Komm, ich führe dich ins Wohnzimmer.«

»Okay …«

Irgendetwas stimmte hier nicht. Und Ludovica war sich nicht sicher, dass sie herausfinden wollte, was Agostino im Schilde führte.

Es ging weiter mit Überraschungen. Im Wohnzimmer war der kleine Couchtisch festlich gedeckt. Wein, wieder Blumen, wieder Kerzen und irgendetwas, was nach Pizza aussah.

Angestrengt dachte Ludovica nach. Hatten sie etwa Jahrestag? Wann waren sie noch mal zusammengekommen?

Ach, und wenn schon! Agostino krümmte doch sonst auch keinen Finger, wenn es darum ging, wichtige Daten ihrer Beziehung zu zelebrieren.

Und dann war Agostino plötzlich weg.

Nein, nicht so richtig. Vielmehr war er nur weg aus Ludovicas Blickfeld. Er kniete nämlich. Direkt vor ihr. Ob er etwas verloren hatte?

»Was machst du denn da, Ago?«

Ludovica griff sich an den Kopf, genau da hin, wo es richtig übel anfing zu pochen. Das fehlte ihr gerade noch. Migräne!

»Ich habe heute extra im Internet recherchiert. Da stand, dass man das so macht!«, gab Agostino beinahe trotzig zur Antwort.

»Dass man was so macht?« Ludovica verstand einfach nicht. Sie wollte nicht verstehen.

»Na, das mit dem Heiratsantrag und so.«

»Oh!«

Ja. Jetzt hatte er es gesagt. Und kniete noch immer vor ihr. Ludovica blickte sich in ihrem Wohnzimmer um. Es war ihr selbst fremd. Ihre Gedanken fingen an, sich endlos in ihrem Kopf zu drehen, während Agostino sie erwartungsvoll ansah und dabei schwieg.

Hatte er die Frage denn jetzt ausgesprochen? Verwirrt massierte Ludovica ihre Schläfen.

Das Schweigen wurde viel zu laut. Glücklicherweise kam Sofia Loren und schmiegte sich an Ludovicas Beine. Das war eine konkrete, ehrliche Geste, die sie langsam aus ihrer Starre holte.

»Und was jetzt?«, forderte Ludovica Agostino heraus. Wenn, dann schon richtig!

»Ja, jetzt …«, nervös rückte Agostino seine Brille zurecht und nahm dabei Ludovicas Hand. Seine Finger fühlten sich an wie weich gekochtes Gemüse, was sie bravurös ignorierte. »… jetzt möchte ich von dir wissen, ob du meinst, wir sollten heiraten.«

Wieso musste er das so formulieren? Konnte er nicht einfach so etwas sagen wie ›Ich liebe dich, willst du mich heiraten?‹ oder ›Willst du meine Frau werden?‹ oder ›Nimm mich zum Mann!‹. Es gab doch wirklich Millionen von Möglichkeiten, diese eine Frage zu formulieren. Warum musste Agostino sich die unvollkommenste aussuchen?

Du bist viel zu wählerisch, tönte die Lieblingsaussage ihrer Mutter mal wieder in ihrem Kopf. Ludovica hatte doch jetzt Rosen. Und Kerzen. Und einen Freund, der vor ihr niederkniete. Und einen Ring. Oder etwa nicht? Agostino machte keine Anstalten, irgendwo einen herausholen zu wollen. Gut, dann halt keinen Ring. Aber sonst passte doch alles. Oder fast.

Warum klopfte dann aber ihr Herz nicht aufgeregt gegen ihren Brustkorb? Warum spürte sie keinen einzigen Schmetterling im Bauch? Warum wurden ihre Knie nicht weich? Und warum konnte sie sich so gar nicht vorstellen, mit Agostino vor dem Altar zu stehen?

Weil sie wählerisch war.

So.

Und deshalb würde sie jetzt diesen verkorksten Antrag annehmen. Jawohl!

»Ja, Agostino, ich denke, wir sollten heiraten!«

Ludovica fand, dass ihre Stimme dabei klang, wie direkt aus einem Horrorfilm importiert: schrill, übertrieben, krank.

Agostino riss auch prompt die Augen auf. Er war ganz offensichtlich erstaunt. Was wiederum Ludovica nervte. Wollte er etwa ein Nein?

»Oh. Hervorragend. Herzlichen Glückwunsch!«

Endlich erhob sich Agostino, und Ludovica ignorierte das vollkommen unangebrachte ›Herzlichen Glückwunsch‹.

»Dann sind wir jetzt also verlobt?« Sie wollte es doch noch einmal auf den Punkt bringen. Nicht, dass sie am Ende irgendetwas missverstanden hatte.

»Sieht so aus, ja. Und ich denke, wir sollten das Ganze ziemlich zügig über die Bühne bringen.« Agostino zog Ludovica mit sich auf die Couch.

Oh Gott. Alles, aber auch alles, was Agostino zum Thema Heiraten sagte, klang so falsch! Deshalb schwieg Ludovica lieber. Sie wollte den kaputten Moment nicht noch kaputter machen.

»Ist mein Geburtstag als Datum okay? Ich meine … dann muss ich mir kein anderes Datum merken.«

Ihr wurde langsam schlecht.

Dann aber nahm sie wahr, dass es gerade April war. Und Agostinos Geburtstag war Anfang Juni.

»Bist du von Sinnen? Wie soll ich denn eine Hochzeit in so wenig Zeit organisieren?«

»Ludo, das überlasse ich dir. Das wirst du schon machen!«

***

Das Telefonat, um ihrer Mutter von dem bevorstehenden Ereignis zu erzählen, verlief recht unspektakulär.

»Ma, ich heirate.«

»Tatsächlich? Wen denn?«

Wen schon?

»Meinen Freund?«

»Den Agostino?«

»Was denkst du denn, wie viele Freunde ich gleichzeitig habe?«

»Wann?«, lenkte ihre Mutter ab.

»Am 5. Juni.«

»Geht das nicht eher?«

»Eher? Juni ist doch schon bald.«

»Du meinst Juni 2014?«

»Natürlich.«

»Oh.«

»Und ich bin nicht schwanger!«

»Habe ich auch nicht behauptet.«

»Ma, ich kenne dich und errate deine Gedanken problemlos …«

»Na gut. Muss ich irgendetwas machen?«

»Nur zur Hochzeit kommen.«

»Das lässt sich vereinbaren …«

Oh, wie zuvorkommend!

Das Gespräch mit Mara hingegen wurde anstrengend. Richtig, richtig anstrengend.

»Nur über meine Leiche!«

»Komm schon, Mara, sei nicht immer so theatralisch!«

»Na schön. Dann nenn mir einen guten Grund, der mich umstimmt!«

Schwierig. Mara war aber auch nicht leicht umzustimmen. Ludovicas Kopf war jedenfalls leer. Je länger sie darüber nachdachte, desto trostloser erschien ihr der Inhalt ihres Gehirns.

»Siehst du! Du hast keine Argumente! Dann sag mir wenigstens, warum du ihn heiraten willst!«

Puh! Ludovica hasste tiefgründige Gespräche mit Mara. Sie wollte dabei immer so viel wissen und hinterfragte auch noch alles.

»… weil wir schon so lange zusammen sind?«, versuchte sie es.

»Falsche Antwort! Gib mir eine bessere!«

»… weil es Zeit wird, eine richtige Familie zu gründen?«

»Falsch! Falsch, falsch, falsch. Auf diese Frage gibt es nur eine richtige Antwort: Weil ich ohne ihn nicht leben kann!«, schrie Mara nun fast.

Und Ludovica traf dieser Satz härter als eine Ohrfeige. Sie musste sich setzten und ging hinüber zur Sitzecke, wobei Mara ihr folgte wie ein Schatten.

»Ist es so, Ludo? Kannst du ohne Agostino nicht leben?«, fragte Mara nun viel sanfter und nahm dabei ihre Hand, setzte sich ihr gegenüber, suchte ihren Blick.

Zum ersten Mal dachte Ludovica darüber nach. Wie war das eigentlich? Konnte sie ohne Agostino nicht leben? Was ging in ihr vor, wenn sie ihn ein paar Tage lang nicht sah? Wie schrecklich fand sie die Vorstellung eines Lebens ohne Agostino?

Die Antworten erschreckten sie allesamt zutiefst.

Agostino war nicht ihr Lebensinhalt. Eher eine Randerscheinung.

»Ich kann schon ohne ihn leben. Und du könntest auch ohne deinen Mann leben, Mara, sei ehrlich!«, startete Ludovica einen Gegenangriff.

»Ja, vielleicht könnte ich es sogar, Ludo. Aber ich würde ihn bei jedem Atemzug vermissen. Ich vermisse ihn sogar jetzt. In diesem Augenblick, Ludo. Geht es dir auch so?«

Wieder horchte Ludovica in sich hinein. Vermisste sie Agostino? Nicht die Spur! Aber sie hatte sich doch auch erst vor ein paar Stunden von ihm verabschiedet. Er hatte bei ihr geschlafen, sie hatten zusammen gefrühstückt und dann hatte er sich auf zur Arbeit gemacht. Sie konnte Agostino doch nach so wenig Zeit nicht wirklich vermissen.

»Ich vermisse ihn nicht. Aber das muss doch nichts heißen!«

»Ich denke hingegen, dass das alles heißt. Du liebst ihn nicht. Oder zumindest nicht richtig. Lass es sein. Gib nicht auf. Es gibt sie, die wahre Liebe.«

»Mag sein. Aber ich habe gar keine Lust, sie zu finden!«

Und in dieser Aussage steckte so viel Wahrheit. Immerhin hatte Ludovica mitbekommen, was mit einer Frau passieren konnte, wenn eben diese wahre Liebe beendet wurde. Ihre Eltern hatten sich scheiden lassen, da war Ludovica neun Jahre alt. Sie hatte die Hölle auf Erden erlebt. Und die totale Gleichgültigkeit ihrer zurückgebliebenen Mutter gegenüber. Nein, so wollte Ludovica nicht enden.

»Ich weiß, was du denkst«, behauptete Mara, die Ludovicas Hand noch immer nicht losgelassen hatte. »Liebe ist nicht immer nur glücklich und schön. Aber das Risiko ist es wert. Glaub mir!«

»Schon möglich. Aber das ist mir egal. Ich werde Agostino heiraten. Und morgen beginnt die Suche nach dem Hochzeitskleid!«

Zumindest diese Freude würde Ludovica sich nicht nehmen lassen. Egal, wie wenig ihr Herz bei der Sache war, gut aussehen wollte sie auf jeden Fall.

»Also gut. Diese Runde geht an dich. Aber glaube ja nicht, dass ich mich geschlagen gebe«, erwiderte Mara resignierend. »Und zum Kleiderkauf gehst du nicht ohne mich! Nur dass du es weißt!«

Ha!

Ludovica hatte sich doch gedacht, dass sie Mara mit dem Kleid ködern könnte.

***

Die beiden machten sich also schon am nächsten Tag auf Kleidersuche, nachdem sie abends den Laden abgeschlossen hatten. Glücklicherweise hatten die Kleidergeschäfte bis 20 Uhr offen, so dass sie die paar Stunden noch ideal nutzen konnten.

»Also, ich komme jetzt zwar mit, aber ich bin trotzdem nicht glücklich mit deinem Entschluss«, stellte Mara gleich klar und hakte sich bei Ludovica unter.

»Ich weiß, MaraCara!«

MaraCara, so nannte Ludovica ihre Freundin immer, wenn sie sie fröhlich stimmen wollte. Und tatsächlich gelang ihr das. Es stellte sich eine recht ausgelassene Shopping-Laune ein, die Ludovica schlagartig verging, als sie den ersten Brautmoden-Laden betraten. Sie mochte die Atmosphäre nicht. Und die Verkäuferin. Und die Kleider. Und noch viel weniger die Preise. Sie konnte sich auch gar nicht vorstellen, tatsächlich so ein übertriebenes, raschelndes, funkelndes Ding zu tragen. Irgendwie verströmten die Kleider keinen Charme. Das sagte sie auch Mara.

»Irgendwie anonym, oder?«

»Ja, so sind sie halt die Brautkleider …«

Nach dem dritten Brautmoden-Geschäft war Ludovica doch ziemlich deprimiert. Kein einziges Kleid hatte in ihr das Verlangen geweckt, es anzuprobieren.

»Vielleicht bist du doch nicht zur Hochzeit bereit«, bemerkte Mara irgendwann wie beiläufig.

Nein. Nein, nein, nein. Ludovica wollte nicht, dass das Gespräch wieder in diese Richtung ging. Die Hochzeit war beschlossene Sache. Es fühlte sich nicht perfekt an, aber Ludovica begann, sich mit dem Gedanken anzufreunden.

»Doch. Ich bin bereit. Aber jetzt brauche ich einen Soja-Cappu.«

Würgegeräusche von Mara, die Ludovica natürlich ignorierte. Sie zog ihre Freundin einfach in eine enge Gasse, wo es eine Bar gab, von der Ludovica wusste, dass sie Soja-Milch führte.

»Ich warte draußen auf dich!« Mara weigerte sich vehement, die Bar zu betreten, die nur Gesundes führte und vegane Kuchen anbot.

»Wenn du meinst …«

Ludovica ließ sich nicht abhalten. Sie brauchte diese kurze Pause einfach, um sich zu sammeln. Ganz ehrlich, sie war vollkommen durcheinander. Alles ging so schnell … Gefiel ihr deshalb kein einziges Kleid? Sie blickte auf ihre Armbanduhr. So spät schon? Das konnte sie vergessen. Heute würde das sicher nichts mehr werden. Sie stand an der Bar, fuhr sich müde durch das dicke, schwarze Haar, welches sie rigoros kurz trug. Der Barista ließ sich Zeit. Schäumte die Soja-Milch gemächlich auf, nahm extrem langsam die aufgewärmte Tasse und reichte nach gefühlten Ewigkeiten das Resultat an seine Kundin. Mit der freien Hand griff sie nach ihrer Tasse und führte sie vorsichtig an den Mund. Als ihre Lippen die Tasse beinahe schon berührten, nahm Ludovica eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.

Mara.

Wortlos stellte Mara sich zu ihr an den Tresen, schob den Arm ihrer Freundin wieder in Richtung Untertasse und somit weg von Ludovicas Mund.

»Hey! Was soll das?«

Ludovica drehte sich zu ihrer Freundin. Ein bisschen sauer war sie jetzt schon. Sie verstand ja, dass Mara keine Soja-Milch mochte, aber das ging jetzt doch zu weit. Dann aber bemerkte sie Maras Gesichtsausdruck: geradezu ekstatisch! Aufgeregt irgendwie.

»Ist was?«

»Hiermit verkünde ich dir offiziell, dass ich dein Brautkleid gefunden habe.«

Kapitel 3

»Jetzt? Wo denn bitte?«

»Da draußen! In so einem kleinen Innenhof.«

Mara war so aufgeregt, dass sie bei jedem Wort hüpfte. Was Ludovica ziemlich anstrengte, weil sie das Gesicht ihrer Freundin nicht anvisieren konnte. Sie wollte feststellen, ob Mara noch alle Tassen im Schrank hatte. Beim Thema Tasse erinnerte sie sich auch wieder an ihren Soja-Cappuccino, den sie nun ruhig und gelassen wieder an ihre Lippen führen wollte.

»Was machst du denn da, Ludo?«

»Trinken?«

»Das hat doch Zeit. Komm jetzt!«

Und wieder das anstrengende Hüpfen. Ludovica kannte Mara lange genug, um zu wissen, dass Widerstand zwecklos war. Sie zahlte und folgte ihrer Freundin. Schaute in alle Richtungen, konnte aber keinen Laden entdecken.

»Wo genau hast du das Kleid noch mal gesehen?« Ludovica ließ sich von Mara am Ärmel die Gasse entlang zerren.

»Hier vorne!«

Noch immer sah Ludovica weder eine Leuchtschrift noch eine Vitrine. »Bist du sicher?«

Sie gingen ein paar Meter weiter in das Labyrinth aus engen Gassen, tiefer in die antike Innenstadt von Salerno. Dass da irgendwo ihr Kleid sein sollte, bezweifelte Ludovica stark. Taubendreck und modrige Ecken, ja, aber ein Hochzeitskleid?

Dann hielt Mara jedoch an und zog Ludovica scharf nach rechts in einen anonymen Innenhof. Dort sah sie sofort die Vitrine, die mit ihrer sanften Beleuchtung so etwas wie Wärme ausstrahlte. Un po’ di Vintage, stand da in ganz schlichten weißen Buchstaben an der Ladentür.

»Ach nee, Mara, ist das so ein Secondhandshop mit übelriechender, dreckiger Kleidung?«

Mara liebte es, sich in Secondhand-Klamotten zu kleiden. Ludovica weniger.

»Sei nicht immer so negativ, ja?«

»Mara, lass gut sein. Mich bekommen da keine zehn Pferde rein!«

»Tu. Es. Einfach.«

Mara nahm Ludovicas Gesicht in beide Hände, was ihr ziemlich schwer fiel, da sie viel kleiner war als ihre Freundin. Sie suchte den Blickkontakt. Und irgendetwas in ihrem Blick überredete Ludovica, es zu probieren.

»Von mir aus. Aber kaufen tu ich da drinnen gar nichts!«

»Das wird sich zeigen.«

Widerwillig folgte Ludovica Mara ins Ladeninnere. Eine blutjunge Verkäuferin sah gelangweilt auf. In ihrer Hand hielt sie ein Handy. In ihrem auffallend roten Mund war ein Kaugummi, den sie offensichtlich sehr gerne herzeigte. Demonstrativ tippte sie mit ihrem roten Fingernagel auf ihre Armbanduhr.

»Wir schließen gleich.«

Kein Buonasera, kein Hallo.

»Nur eine Minute!«, bat Mara und kam Ludovica dabei zuvor, die bereits wieder gehen wollte. Es gab da nämlich etwas, was Ludovica noch weniger mochte als Secondhand-Kleidung: diese Art von Verkäuferinnen, die ihre Arbeitszeit mit null Motivation einfach nur absaßen.

Die Verkäuferin nickte genervt.

»Wäre nett, wenn sie dieses Mal etwas kaufen würden!«, setzte sie auch noch hinzu. Und schon war sie wieder mit ihrem Handy beschäftigt.

Ludovica konnte sich gerade eine Million Läden vorstellen, in denen sie jetzt lieber gewesen wäre. Aber Mara war kaum mehr zu halten, zog sie einfach ins Ladeninnere. Es tat sich vor ihnen ein enormer Raum auf, den man von außen gar nicht erahnte. Dunkel, lieblos. In diesem Raum roch es auch tatsächlich nicht wirklich erfrischend. Dennoch bahnte sich Mara ihren Weg, während Ludovica ihr ein bisschen angeekelt folgte und ihren Blick hin und her schweifen ließ, in dem Versuch, die Massen an Kleidung richtig wahrzunehmen. Aber sie hatte keine Chance. Der Laden war einfach zu voll.

Erst als Mara abrupt stehen blieb, hob auch Ludovica den Blick, der direkt auf eine gesichtslose Schaufensterpuppe fiel. Sie war scheußlich, fast ein bisschen beängstigend. Aber das Kleid, das sie trug … das war … perfekt!

Es war so schön, dass es Ludovica schier den Atem verschlug. Ohne hinzulangen konnte sie sehen, dass der Stoff schwer und edel war. Seide vielleicht. Einfacher Schnitt, aber raffiniert. Ärmellos, mit einem herrlichen V-Ausschnitt, der von einer delikaten, blass-rosa Stoffrose verziert wurde. Es war hinten länger als vorne und hübsch tailliert. Ein Traum.

Ludovica blickte sich erschrocken um, weil sie einen Schrei gehört hatte. Dann aber nahm sie war, dass sie selbst geschrien hatte. Das wiederum fand sie so komisch, dass sie in hysterisches Gelächter ausbrach. Mara sah ihre Freundin eine Zeit lang verwundert an, lachte aber dann selbst, wobei sie wieder hüpfte. Und Ludovica machte mit. Schrie, lachte und hüpfte, weil sie wusste, dass sie vor ihrem Hochzeitskleid stand.

Schwer zu sagen, wie lange das so ging. Vielleicht aber eine Weile zu lang, denn irgendwann kam die unmotivierteste aller Verkäuferinnen mit einem teilweise genervten, teilweise beunruhigten Blick. Die beiden verstummten augenblicklich.

»Kann ich noch etwas für Sie tun?«, fragte die Verkäuferin wohl eher, um klar zu machen, dass sie nichts aber auch rein gar nichts für Mara und Ludovica tun wollte.

»Meine Freundin probiert das Kleid schnell an, ja?«

»Aber wir schließen gleich.«

»Sorry, Bambina, aber hier wird gar nichts geschlossen, bevor nicht diese Dame dieses Kleid anprobiert hat. Capito?«

Die Verkäuferin schluckte. Nickte. Mara konnte sehr überzeugen sein. »Capito!«

Unerwartet flink machte sie sich daran, das Kleid von der Schaufensterpuppte zu nehmen. Mara und Ludovica sahen sich inzwischen nach einer Umkleide um.

»Oben!«, war die einfache Auskunft der Verkäuferin. Tatsächlich bemerkten die Freundinnen eine schmale Treppe, die in einen weiteren Raum führte. Eine Tür verbarg eine winzige Kammer mit einem Spiegel und einem Stuhl.

»Tolle Umkleidekabine, echt!«

»Beklag dich nicht dauern, Ludo!«

Und wahrlich betrat Ludovica die Umkleide ohne weiteren Kommentar. Tapfer. Denn sie litt eigentlich an Platzangst. Es war auch viel zu stickig darin. Aber ein paar Atemübungen machten sie bereits ruhiger.

»Ich zieh mich dann schon mal aus, damit die Verkäuferin uns nicht vor Wut ermordet!«

»Geht klar. Ich warte hier und reiche dir dann das Kleid, ja?«

»Ist gut. Danke.«

»Danken kannst du mir später.«

Ludovica setzte sich auf den wackligen Stuhl, zog langsam ihre Schuhe aus. Dann die Hose. Puh, was war das stickig. Ludovica kam sich vor wie in einem Sarg. Und sie konnte die Panik schon langsam spüren, irgendwo unter der Fußsohle. Sie atmete ein paarmal ganz tief ein und aus, fuhr sich durchs Haar und merkte dabei, dass sich auf ihrer Stirn ein leichter Schweißfilm gebildet hatte.

»Lächerlich!«, sagte Ludovica zu sich selbst. Als Selbstmotivation.

»Was?«, kam es von draußen.

»Nichts, Mara. Alles gut!«

Ludovica zog sich weiter aus und stieß dabei regelmäßig gegen die Wände, bis sich endlich etwas tat. Mara klopfte an.

»Hier ist es!«

Ludovica öffnete, nahm das Kleid an sich und wunderte sich, wie schwer es war.

»Danke!«

»Brauchst du Hilfe?«

»Nee, das mache ich schon.«

Vorsichtig schloss Ludovica die Tür wieder. Aus unerfindlichem Grund wollte sie in diesem Moment für sich sein. Allein. Nur sie und das Kleid. Beinahe ehrfürchtig hielt sie es hoch, hielt es dann vor sich und betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte das Kleid noch nicht einmal an und doch war Ludovica bereits klar, dass es perfekt passen würde.

So war das also, wenn man das richtige Kleid fand! Man spürte es tatsächlich ganz instinktiv. Schade nur, dass Ludovica der gesamten Hochzeit gegenüber kein so enthusiastisches Gefühl aufbringen konnte. Auch jetzt, in diesem so wichtigen Moment, musste sie sich förmlich zwingen, Agostino mit in ihre Gedanken einzuschließen. Sie fragte sich nicht, wie das Kleid auf Agostino wirken würde. Es war ihr nämlich erschreckend egal. Er war einfach kein Mensch, der sich leicht begeistern ließ. Komplimente machte er auch nur äußerst selten. Aber so war er halt.

Und trotzdem machte das Kleid Ludovica glücklich. Sie konnte es kaum erwarten hineinzusteigen. Wenn es doch in diesem Loch von Umkleidekabine nicht so stickig wäre. Trotzdem schaffte sie es irgendwie, das schöne Kleid anzuziehen. Obwohl der Stoff sich auf der Haut angenehm kühl anfühlte, wurde ihr kurz schwarz vor Augen. Verdammte Platzangst! Ihr Herz pochte wild, die Knie wurden weich, der Schweiß fühlte sich eiskalt an. Das alles registrierte Ludovica bis ins kleinste Detail. Sie wusste auch, dass sie nach Mara rufen musste, aber das schaffte sie nicht. Mehr schlecht als recht hielt sie sich an der Wand aufrecht und konzentrierte sich aufs Atmen.

»Nicht umkippen, Kindchen, nicht umkippen!«, hörte Ludovica ganz unerwartet aus nächster Nähe.

Irgendwer stand hinter ihr. Kein Zweifel. Ludovica vergaß kurz, wie schwindlig ihr war, drehte sich zu der Stimme hin und sah dabei direkt in das sympathische Gesicht einer Signora. Einer uralten Signora. Schwer zu sagen, wie alt die Dame wirklich war. Aber alles an ihr war faltig. Selbst die Ohren, an denen richtig tolle Ohrringe hingen. Ludovica stand vermutlich vor der Inhaberin des Ladens. Wie sie aber unbemerkt in die winzige Kabine gekommen war, konnte Ludovica sich nicht wirklich erklären.