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HUGO WEHNER

TAGEDIEB UND
TAUGENICHTS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DELIUS KLASING VERLAG

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitelübersicht

Wie alles begann

Abgesichert bis zum Ende der Tage – Die Stunde der Wahrheit – Astronavigationslatein – Ein Schiff mit zwei Masten … weil’s so schön aussieht

Ein Projekt entwickelt sich

„Die Kiste kannste kaufen“ – Helmut und Uschi steigen ein – Ein Traum wird auf Eis gelegt – Probeschläge auf der Ostsee – Connar aus dem Kinderladen – Überholung des „Kommunedampfers“

Strandung

Erste Lernprozesse – Auf Schiet – Gruppenprobleme: Conny steigt aus – Die Nacht der Offenbarung – Eingeweht in Borkum – Herbstliche Tage in der Bretagne

Sturm und kein Ende

Start zur Überquerung der Biskaya – Ein Hexenkessel aus Schaum und Gischt – Segelnähen bei Windstärke 8 – Abdrehen nach Osten – Glückliches Wiedersehen in St. Nazaire

Winterschlaf in Frankreich

Die Bordkasse wird auf gefüllt – Kneipenleben in Nantes – Begegnung mit Patricia – Eine neue Zweierbeziehung schafft Probleme – Rivalitäten zwischen den Mädchen

Südwärts der Sonne entgegen

Unter Beschuß im Kriegshafen – Außenborderhandel und die Folgen – Der Zerfallsprozeß der Gruppe – Madeira, ein duftendes Paradies – Die Aussteiger von Puerto Rico – Das Ende eines Traumprojekts – Sprung über die Kante auf dem Atlantik

Horrortrip durch die Karibik

Neue Crew, neue Probleme – Pat klappt zusammen – Ein folgenschwerer Navigationsfehler – Ein Alptraum ohne Ende – Auf Kollisionskurs – Konsumtaumel in Cristobal – Aufregende Kanalfahrt

Die Robinsons der Schatzinsel

Eintauchen in die Vergangenheit – Gefangen in den Doldrums – Haifischsteaks und Schildkrötengulasch – Die Träumer auf der Teufelsinsel – Auf Wildschweinjagd – TAGEDIEB entkommt der Strandung

Kursänderung

Offene Konfrontation mit den Robinsons – Einer unbekannten Küste entgegen – Die feindselige Truppe setzt sich ab – Gefangen im Niemandsland – Alfredos Handel mit heißer Ware – Pats abenteuerliche Fahrt nach Quito – Überfall bei Nacht – Zuwachs an Bord

Pazifik – Preis für die Freiheit

Kampf mit Redondela und Moby Dick – Der Fluch der anderen Lebensform – Fischfang mit der Flinte – Überlebenskampf – Ohne Wasser ist kein Heil – Unwillkommen im Garten Eden

Das Gelobte Land

Die Metamorphose des Buschbabys – Wilde Hatz auf Hammelkoteletts – Polynesische Treibjagd – Feuer an Bord – Im Hospital auf Tuhuata – Pats Traum vom unheilvollen Ende

Abschied vom Paradies

Das Spiel der Delphine – Taugenichts’ nächtliche Abenteuer – Enttäuschendes Tahiti – Motorreparatur und ihre Folgen – TAGEDIEB steht zum Verkauf – Trennung von Patricia – Reflexionen eines Einhandseglers

Meine Trauminsel

Tom Neale, der Einsiedler von Suvorov – Mit Sack und Pack an Land – Streifzüge durch das Inselreich – Stelldichein der Yachtieszene – Leben wie ein Gott in Frankreich – Tauchen im Rudel der Haie – Der Stoff, der gute Träume bringt

Kurs Australien

Ringo, der verwegene Busfahrer – Die Kleopatra von Samoa – Der Sturm der Stürme – Pokerspiele mit dem Wind – Drei-Dollar-Selbststeueranlage für TAGEDIEB – Das Land, wo Milch und Honig fließen – Abschied von Taugenichts

Epilog

Der Vagabund wird von der Gesellschaft
verachtet, weil er sich nicht durch Herkunft
ausweisen, durch Besitz legitimieren und durch
Erfolg darstellen kann, wozu heute jeder
Spießer in seinen Maßen fähig ist. Gerade das
aber bringt ihn in den Vorhof der Weisheit.

Ernst Bullmer

Wie alles begann

Abgesichert bis zum Ende der Tage – Die Stunde der Wahrheit – Astronavigationslatein – Ein Schiff mit zwei Masten … weil’s so schön aussieht

Das ist nun schon so lange her, Ewigkeiten sind vergangen, so kommt es mir jedenfalls vor, und doch habe ich nicht vergessen, wie alles begann.

Ich arbeitete damals als Funker für eine bekannte Reederei in der Trampschiffahrt, sah die Welt und kannte praktisch jede Hafenstadt, von der man als Junge fernwehkrank träumt.

Ich verdiente nicht zu knapp, war allein verantwortlich in meinem Arbeitsbereich, hatte freie Zeit und Mußestunden en masse und im übrigen das satte Gefühl, in meinem Job ständig auf Urlaub zu sein. Im bezahlten, versteht sich.

Für viele ein unerreichbar paradiesischer Zustand, abgesichert und alles klar bis zum Ende aller Tage.

Doch nicht für mich! Nach kurzer Zeit in meinem Beruf war ich unzufrieden. Nicht überaus, muß ich gestehen, dazu ging es mir viel zu gut. Aber stets war da in mir ein Nagen und Rumoren. Das, was ich machte, war ja ganz gut und schön. Ich war finanziell unabhängig, konnte mir alles erlauben – wunderbar!

Aber meine Gedanken bewegten sich in die Zukunft, nicht hinsichtlich der Altersrente, fürwahr nicht. Ganz im Gegenteil. Ich dachte an die Jahre und Jahrzehnte vor mir, der gleiche Rhythmus, die gleiche Routine. Monoton und automatisch – wochenlang, monatelang, jahrelang. Endlose Wiederholung, doch nichts Neues. Kein Fortschritt für mich und nur gut für das Bankkonto.

Ich suchte nach anderen Möglichkeiten, nach etwas, was mich herausforderte und zufriedenstellte, wußte aber absolut nicht, was das wohl sein könnte.

Pläne, auf dem „Transamerican Highway“ von Alaska bis Feuerland zu fahren, blieben vage. Zu problematisch erschien mir die Versorgung mit Ersatzteilen und Treibstoff. Ganz zu schweigen von den täglichen politischen Veränderungen im turbulenten Südamerika.

Ich erinnere mich genau an den Tag, ja an die Stunde, die mein geordnetes Leben und eine sichere Zukunft abrupt verändern sollte. Zum Leidwesen meiner Eltern, die mich endlich in einem soliden, anständigen Beruf untergebracht sahen.

Was war geschehen?

Wir befinden uns auf der Fahrt von Las Palmas nach Neuseeland, um in Auckland einige tausend Tonnen gefrorenen Hammel zu laden. Eine ruhige Reise mit wenig Telegramm- und Funkverkehr. Herrlichstes Wetter!

Ich hänge draußen auf der Brücke herum und beobachte schläfrig das Meer, als ich am Horizont einen winzigen bunten Fleck entdecke, der schnell näherkommt.

Eine schlanke, schnittige Segelyacht unter geblähtem Spinnaker und prallem Großsegel zieht mit weißschäumender Bugwelle in Rufweite vorbei. An Deck liegen lässig tiefbraune Körper, und fröhlich wird zu uns herübergewunken.

Kurs auf die karibischen Inseln, vermute ich, denn wir befinden uns kurz vor Key West. Ein Gedanke zuckt auf: Mensch, das ist genau das, was du brauchst! Eine Segelyacht und dann los, unbeschwert mit den Winden segeln, von den Passaten zu den Inseln bringen lassen, von denen jeder einmal träumt. Keine Abfahrtsdaten und Zeitpläne mehr, unbehelligt von den Einschränkungen der Zivilisation mit ihrem Existenzdruck, ihren Verpflichtungen.

70 Prozent des Erdballs sind mit Wasser bedeckt und würden mir gehören. Nahezu drei Viertel der Welt wären mein, und ich könnte mein Schiff von den Kräften der Natur vorantreiben lassen, wohin es mich zieht.

Frei wie ein Vogel, ein Zigeuner des Meeres, und niemandem Rechenschaft schuldig.

Am kommenden Morgen, wir schreiben das Jahr 1971 und ich bin 25 Jahre alt, beginnt der Alte, will sagen: der Kapitän, mich in die mystischen Geheimnisse der astronomischen Navigation einzuweihen – gestreng und unnachgiebig und den Ausbildungsvorschriften für Kapitäne an deutschen Seefahrtschulen entsprechend.

Es genügt nicht, meinen Standort innerhalb fünf oder zehn Seemeilen zu errechnen, auf den Meter soll es stimmen.

Ich wollte mir eigentlich nur schnell in ein paar Tagen das notwendigste Wissen aneignen und lerne nun alle Verfahren und etliches mehr.

Auf meinen bescheidenen Einwand, eine Mittagsbreite sei doch auch schon etwas und, wenn es ganz hart käme, auch mal eine Länge, werde ich gleich zurechtgestutzt: „Nee, nee, min Jung, dat geiht so nich. So kann man nich über die Meere segeln. Dat möt wi ganz genau moken.“ Und weiter geht die Büffelei.

Oft habe ich große Lust, den ganzen Kram hinzuschmeißen, mich in die Funkbude zu verziehen und die nächsten Jahrzehnte weiter vor mich hinzumuckeln.

Doch der Drang nach Abenteuern ist stärker.

Astronomische Kompaßkontrolle, Chronometercheck, Mond-, Stern- und Planetenhöhen, Cosinus, H.O. 249, ABC-Tafeln – all das schwirrt in einem unverständlichen Durcheinander in meinem Kopf herum. Ich verwechsle Stern- mit Planetenhöhen, lese falsche Spalten ab und addiere anstatt zu subtrahieren. Das Mystische bleibt mystisch für viele Wochen.

Dann, ganz langsam, nach sechs Wochen intensiver Paukerei und ungezählten praktischen Messungen und sorgfältiger Kartenarbeit, erhellt Licht tröstend das Dunkel. Ich erkenne Zusammenhänge und verstehe schließlich auch, was ich da mit Sextant und Nautischen Tafeln machte.

Meine Sonnenmessungen parallel zu denen der Schiffsoffiziere werden genauer und bringen mich endlich an den gewünschten Ort. Allmählich macht mir die Sache sogar Spaß, und von frühmorgens bis in die späte Nacht sieht man den Funker völlig berufsfremd mit dem Sextanten hantieren und mit der Stoppuhr hin und her wetzen.

Als zweites befasse ich mich mit der Anschaffung eines Trommelsextanten, den ich mitsamt der Plotting sheets günstig und zollfrei in Tokio erhandle.

Meine Tagesroutine ändert sich schlagartig. Morgens um 0600 rase ich auf die Kommandobrücke, sehr zum Ärger des verschlafenen Wachoffiziers, und schieße die Morgensonne.

Fünf weitere Höhenmessungen folgen in stündlichen Abständen und dann das Mittagsbesteck. Schnell in die Funkbude zurück, ein paar Telegramme durchjagen und den Zweiten Ingenieur abwimmeln, der schon wieder mit seiner Frau telefonieren will. Mit einem Ohr und in Hast den Wetterbericht aufgenommen und nebenbei meine Berechnungen in die Privatseekarte eingetragen. Erneut aufgeregt rausgewetzt in den Kartenraum, um die Ergebnisse zu vergleichen und triumphierend festzustellen, daß die Schiffsorte identisch sind. Mehr noch, meine Standlinien sind weitaus genauer und schneiden sich alle in einem Punkt, was der wachhabende Offizier nur grummelnd anerkennt.

Der nächste Schritt ist die Anschaffung eines Schiffes. Zwar habe ich noch nie ein Segelschiff von innen gesehen und bin außer in einer Jolle auf dem Maschsee in Hannover nie gesegelt, habe mich aber ausführlich mit der einschlägigen Fachliteratur beschäftigt und besitze genaue Vorstellungen davon, wie mein Schiff beschaffen sein muß.

Ein solides, einfaches Boot. Ungefähr zehn Meter lang mit Mittelplicht – da ist man weiter vom Wasser entfernt und fühlt sich optisch sicherer-, einer starken, zuverlässigen Dieselmaschine, die aus verfahrenen Situationen heraushilft, zwei Masten, das sieht so schön aus, und einer Achterkabine, um Ruhe zu finden und zur Besinnung zu kommen, wenn man sich auf den Geist geht.

Investitionsbetrag um die 40 000 Mark.

Um die Besatzung mache ich mir in diesem Stadium der Planung noch wenig Gedanken. Gleichgesinnte werden sich finden, und notfalls würde ich vorerst auch allein lossegeln. Doch viel lieber schon mit einer Gruppe, um zusammen zu versuchen, eine zufriedenstellende Lebensform zu suchen und zu finden. Irgendwo westwärts, vorzugsweise im Pazifik, und auf jeden Fall entfernt vom rastlosen, oberflächlichen Leben der Großstädte.

Ein Projekt entwickelt sich

„Die Kiste kannste kaufen“ – Helmut und Uschi steigen ein – Ein Traum wird auf Eis gelegt – Probeschläge auf der Ostsee – Connar aus dem Kinderladen – Überholung des „Kommunedampfers“

Ein Schiff zu finden, stellte ich fest, ist schwieriger als der Erwerb eines klapprigen 300-Mark-VW.

Im Urlaub zog ich durch die Häfen der Bundesrepublik, der Niederlande, durch die dänischen und jene am Mittelmeer, um mein Schiff zu finden. Segelyachten gab es wie Sand am Meer, ich hatte Hunderte besichtigt und kannte mich allmählich in dem Metier aus. Mit jeder weiteren Inspektion wurden die Konturen meines Schiffes klarer und klarer. Leider war dieses Schiff nicht zu finden, und kam eine Yacht nahezu an meine Vorstellungen heran, verhinderte entweder der Preis oder der Zustand den Handel.

Nach sechs Monaten, ich war nur noch halbherzig auf der Suche, blätterte ich in diversen Yachtmagazinen und fand mein Schiff. Alles stimmte bis auf den Preis, der jedoch nur wenig über meinen Vorstellungen lag.

Die Anzeige war vielversprechend. Ein Motorsegler vom Typ „Vilm“, 10,60 m lang, 3,30 m breit und mit einem günstigem Tiefgang von 1,35 m. Solide gebaut aus formverleimtem Bootsbausperrholz, der Rumpf GFK-beschichtet. Einfach und zweckmäßig und genau das, was ich bisher so vergeblich gesucht hatte.

Ich führte das Telefongespräch: Ja, über den Preis könne man sich unterhalten. Nun brauchte ich noch einen Mann vom Fach, der vor dem Kauf die Qualität des Holzes unter die Lupe nahm und mit dem Ja und Amen über Haben und Nichthaben entschied.

Ich studierte zu der Zeit an der Fachhochschule Nautik in Leer. In der Nähe wohnte Jupp, ehemaliger Schiffszimmermann, nach langgedienten Jahren jetzt erfolgreicher Kneipier und stets hilfsbereit. Ihn zog ich als Holzfachmann zu Rate, und die Kaufbesichtigung wurde vereinbart.

So fahren wir eines schönen Tages mit meinem VW-Bulli nach Elsfleth, Jupp sitzt im geräumigen Fond und hat die nötige Ausrüstung – zwei Kisten Pils und einen langen Schraubenzieher – griffbereit neben sich auf der Sitzbank. Als wir eintreffen, ist eine Kiste Bier leer und Jupp recht voll, was ihn jedoch nicht von geschäftiger Aktivität abhält. Die Bilgen werden lärmend aufgerissen, und fachmännisch, das kann man klar sehen, wird hier und dort mit dem Schraubenzieher herumgestochert.

Jupp befindet, sichtlich zufrieden mit dem Ergebnis: „Hugo, die Kiste ist okay, kannste kaufen“, reißt krachend den zweiten Karton auf und greift sich eine neue Flasche Pils.

Mit Handschlag bin ich stolzer, nervöser Besitzer eines mir riesig vorkommenden Schiffes. Vergeblich versuche ich, einen Sinn in dem Gewirr von Tauen, Drähten, Masten und Bäumen zu entdecken und tröste mich mit dem Gedanken an den Stapel Segelbücher auf dem Schreibtisch, dem ich Wissen und Weisheit entziehen will.

Mit dem Werftbesitzer mache ich eine günstige Liegegebühr aus, und so bleibt mein Traumschiff eine weitere Saison trocken in der Winterhalle.

Aus TÖV MI wird nun SAYONARA.

Als mein Vorhaben greifbare Formen annimmt, melden Helmut und Uschi Interesse an. Helmut und ich sind enge Freunde seit mehr als 20 Jahren. Wir haben praktsich jeden Jugendstreich zusammen ausgeheckt und sind meist auch gemeinsam erwischt und verprügelt worden. Uschi ist seit kurzem mit ihm befreundnet.

Helmut ist wie ich 26 Jahre alt. Er hat in Hannover Philosophie, Germanistik und Sport studiert und wartet auf eine Anstellung als Referendar an einem Berliner Gymnasium. Er sucht nach einer Alternative im Zusammenhang mit Reisen, nicht unbedingt in einer Gruppe. Mein Projekt kommt seinen Wünschen und Vorstellungen entgegen – Helmut steigt ein.

Uschi ist 20 Jahre alt und steht kurz vor dem Examen als Beschäftigungstherapeutin. Sie möchte mit Helmut zusammenbleiben, aber ist sich noch nicht klar, ob unsere Alternative auch die ihre ist. Während sich Helmut sehr schnell mit dem Projekt identifiziert, steigt sie nur unter Vorbehalt zu.

Haben wir anfangs naiv gedacht, nun, da ein Schiff zur Verfügung stehe, in ein paar Monaten unsere Traumreise starten zu können, müssen wir diese Hoffnung sehr schnell begraben. Bis zur endgültigen Abfahrt sollen noch vier Jahre vergehen. Etliches kommt dazwischen, halb geplant, halb unvorhergesehen: Helmuts Referendarstelle und Uschis Praktikum in Berlin, wo sie sich neben ihrer Ausbildung intensiv in Frauengruppen und -zirkeln engagiert. Auch ich bleibe nicht verschont. Die Bundespost ändert mal wieder einige Bestimmungen, diesmal die Funkoffiziere der Handelsmarine betreffend – es geht um mich. Ich muß erneut eineinhalb Jahre die Fachhochschule besuchen.

So wird die ganz große Fahrt erst einmal auf Eis gelegt und auf unbestimmte Zeit verschoben.

Vor dem Semesterbeginn machen wir einen sechswöchigen Probe- und Erfahrungstörn durch die Nordsee in den Limfjord, nach Dänemark, Schweden und durch den Kielkanal zurück nach Elsfleth. Eine anstrengende Fahrt aufgrund schlechter Wetterbedingungen und mit Tagesetappen von rund 40 Seemeilen. Wir sammeln unschätzbare Erfahrungen und lernen zu segeln, das Schiff zu bedienen, bekommen im Skagerrak ganz kräftig eins auf die Nase und danach das Gefühl vermittelt, unser Transportmittel einigermaßen gut zu kennen.

Die SAYONARA wird in die hinterste Ecke der Halle geschoben und versinkt für zwei weitere Jahre unter einer wachsenden Staubschicht erneut in Dornröschenschlaf.

Resultat des Törns sind wertvolle Informationen und eine lange „Tu-Liste“, was an Bord verbessert, geändert, ausgetauscht und neu dazugekauft werden muß.

Staubbedeckt liegt unser Tagtraum im überdachten Winterlager, und wir haben nicht einmal die Zeit, auch nur kurz nach dem rechten zu sehen.

Zwar hat jeder von uns das Examen in der Tasche, doch sind wir auch restlos pleite. Wir können gerade noch die Liegegebühren bezahlen.

Ich fahre ein letztes Mal zur See. Die Unruhe und Aufregung vor uns liegender Abenteuer haben mich gepackt. Freilich: Je weiter ich mich mit meinem Bananendampfer vom Liegeplatz unserer Yacht entferne, desto weiter entfernt erscheint mir die Verwirklichung dessen, was wir vorhaben.

Dann ist es soweit, und die Realisierung unseres Kindheitstraums nimmt konkrete Formen an.

Von Hannover ziehen wir mit umfangreichem Gepäck nach Oberhammelwarden um und richten uns auf dem geräumigen Dachboden einer ehemaligen Dorfschule so gemütlich wie möglich ein, wenig mehr als zehn Autominuten vom Winterlager entfernt.

Ein paar Matratzen auf dem Boden, ein Bücherbord in der Ecke, und um unser geistiges Niveau sorgt sich eine altersschwache Flimmerkiste.

Wir haben alle wertvollen Habseligkeiten aus unseren Wohnungen verscherbelt oder verschenkt, geliebte Gegenstände, von keinem Wert als für den Eigentümer selbst, werden bei Freunden verläßlich verstaut oder in den überquellenden Seesack gepreßt. Jeder von uns besitzt ein Säckchen voll Kleinigkeiten, wovon eine Trennung unmöglich scheint und die nun grob in eine schmale Schublade gequetscht werden, die aufgrund der ersten Gruppendiskussion jedem von uns zusteht.

Auf einer vorgezogenen Abschiedsfete in Berlin lerne ich Connar kennen, eine Freundin von Uschi. Connar ist 26 Jahre alt und arbeitet in einem Kinderladen. Eigentlich heißt sie Cornelia, aber irgendwer machte daraus Connar, und dabei ist es geblieben. Sie spricht Uschi mehrere Male auf unsere Reise an, und auch Uschi wünscht sich eine weitere Frau an Bord. Wir alle finden Connar sympathisch und entdecken, daß unsere Gedanken und Vorstellungen ähnlich sind. Ihr Projekt „Kinderladen“ hängt vom Stadtsäckel ab, und das ist leerer als je zuvor. Die alternativen Kinderläden befinden sich kurz vor der Auflösung, und Connar sucht nach einer Veränderung. Sie entschließt sich, bei uns einzusteigen, aber ich fühle, daß sie sich ihrer Entscheidung nicht ganz sicher ist.

Somit steht die Crew fest: eine Zweierbeziehung (Helmut und Uschi) und zwei Einzelbeziehungen (Connar und ich).

Die gemeinsamen Ansprüche: An erster Stelle steht der kollektive Wunsch nach einer selbständigen Gruppe, geprägt durch die Gemeinsamkeit sowie durch gemeinsames Verstehen und Fühlen, durch gemeinsames Tun soweit gefestigt, Spannungen und Differenzen nicht nur aufzufangen, sondern auch zu klären und zu verarbeiten. Es gibt keinen Skipper oder Eigner, und Entscheidungen werden gemeinschaftlich diskutiert (wenn die Zeit dazu vorhanden ist).

Wir wollen Cliquenbildung und die damit verbundene Isolation von Gruppenmitgliedern vermeiden. Kritik soll offen geübt werden und nicht der Anlaß sein, Verstocktheit und Angst zu erzeugen, verurteilt zu werden, sondern dazu beitragen, sich besser zu verstehen, Zuneigung zu vertiefen und die Gemeinschaft enger zusammenzuschweißen. Für Helmut und Uschi ist ihr Engagement außerdem der Versuch, ihre Beziehung zu erhalten, denn nach Berufsstreß, Staatsexamen und Uschis Arbeiten in der Beschäftigungstherapie stehen sie kurz vor der Trennung.

Von Januar bis Juli arbeiten wir am Schiff, vom Morgengrauen bis in die späte Nacht. Das Innere wird vollständig nach außen gekehrt und von Grund auf überholt. Kein rostiger Bolzen entgeht unserer Aufmerksamkeit, und wir lernen das Gefährt kennen, das uns sicher über die Meere tragen soll. Jede Schraube, jeder Nagel wird geprüft und bei dem geringsten Anzeichen von Korrosion ausgetauscht.

Die Arbeit macht Spaß, obwohl wir oft nicht weiterkommen und müde und enttäuscht sind, wenn an manchen Tagen aber auch alles schiefgeht. Wir lassen uns jedoch nicht entmutigen.

Die Tage werden länger und wärmer, ein Ende der Arbeiten ist aber immer noch nicht abzusehen. Freunde kommen aus Berlin, um uns ein paar Stunden zur Hand zu gehen, überholen das Getriebe, das unverrückbar festgerostet ist, und helfen bei der qualvollen Abschleiferei grüner und roter Antifoulingschichten.

Noch ein drittes Mädchen gesellt sich zu uns: Conny, die Freundin eines Freundes. Conny ist 18 Jahre alt, hat gerade auf einer Gesamtschule das Abitur gemacht und möchte ein paar Monate mitsegeln. Ohne Langzeitperspektive und nur, um den Leerraum bis zum Studium auszufüllen. Platz ist ausreichend da, und eine Hand mehr ist besser als eine Hand zuwenig.

Die Wochen vergehen wie im Fluge. Neue Probleme tauchen auf, wenn alte gerade gelöst sind, und bald steht unser Schiff einsam in der Ecke neben einem Gerümpel von Holz, verrostetem Gut, ausgeblichenen Vorhängen, Schaumgummimatratzen, die sich krümelig auflösen, und tausend anderen Dingen, die wir aus dem Schiffsbauch herausgerissen haben. Daneben häuft sich ein ebenso großer Stapel neuer Ausrüstungsteile, der sinnvoll und nutzbringend im Innern einen Platz finden muß und nur langsam abnimmt. Etwas weiter entfernt ein trostlos ausschauendes Etwas, vom Salz zerfressen und unter einer jahrealten Fettschmutzschicht verborgen: der Motor, der den Eindruck macht, als ob er nie wieder zu pochendem Leben erwachen würde.

Zudem stehen in wenigen Tagen die Betriebsferien der Werft an, und mit unserer Unordnung (die SAYONARA ist das einzige in der Halle verbliebene Schiff, und da fallen wir besonders auf) zählen wir nicht gerade zu den gerngesehensten Kunden.

Wir hetzen und gönnen uns wenig Schlaf und arbeiten bei kurzen Verschnaufpausen im Scheinwerferlicht bis in den frühen Morgen hinein.

Doch zu Beginn der Werftferien ist unser Schiff halbwegs seeklar, um ins nasse Element zurückzukehren.

Die vielen Ratschläge ortsansässiger Wochenendsegler – „Also, eines ist Ihnen doch klar, das Deckshaus geht mit der ersten Welle über die Kante“, oder: „Ihr kommt doch nie weiter als bis Bremerhaven“ (was noch untertrieben war, wie sich später herausstellte) geben wertvolle Unterstützung.

Am Tag, als sich die Werfttore für zwei Wochen schließen, wird unser Schiff im strahlenden Farbkleid aus der Halle gezogen und gleitet nach dem Aufrichten der Masten ins lehmige Wasser der Hunte. Es schwimmt, stellen wir erleichtert fest, und mit einer Flasche Limonade wird der „Kommunedampfer“ (Elsflether Jargon) nach TÖV MI und SAYONARA nun endgültig auf den Namen TAGEDIEB getauft.

Wir gehen längsseits eines Schwimmpontons, und der Haufen Gerümpel aus der Halle verlagert sich auf den schwarzgeteerten Stahlprahm, der in kurzer Zeit so gestopft vollgepackt ist, daß andere auf ein Anlegen von vornherein verzichten. Der Werftbesitzer ist darüber nicht sehr erfreut, und nur zu gern hätte er TAGEDIEBS Spiegel von achtern gesehen. Selbst ein Segler, überläßt er uns dennoch den Platz für weitere zwei Wochen und segelt mit gemischten Gefühlen in Urlaub.

Strandung

Erste Lernprozesse – Auf Schiet – Gruppenprobleme: Conny steigt aus – Die Nacht der Offenbarung – Eingeweht in Borkum – Herbstliche Tage in der Bretagne

Natürlich überschreiten wir die gesetzte Frist, und an dem Tag, als die Werft ihre Tore wieder öffnet, fahren wir glücklicherweise ab.

Während der letzten Vorbereitungen erscheint überraschend Besuch aus Hannover mit einem prächtigen Hund, einer Mischung aus Collie und Schäferhund. Drei Jahre alt, mit klugen treuen Augen und einer buschigen Rute, die uns wedelnd begrüßt. Dieses herrliche Tier soll abgespritzt werden, weil es den überbeschäftigten Besitzer nachts mit wachsamer Bellerei nervt – es sei denn, wir erbarmen uns seiner.

Und das tun wir. Trudi springt mit einem Satz an Deck und sucht sich gleich ein geschütztes Plätzchen, wo sie alles ganz genau beobachten kann. TAGEDIEBS Besatzung ist endgültig komplett.

Mit einem wunderschönen Sonnenaufgang geht es, ungeduldig nicht nur von uns seit langem erwartet, am 22. Juli 1976 gut an. Die Leinen fliegen los, der Motor röhrt auf, und mit 15 Leuten an Bord, Kind und Kegel und zwei Besucherhunden dampfen wir flußabwärts, um zwei Meilen weiter in der Kneipe den Abschiedstrunk mit all denen einzunehmen, die uns mit ungezählten Gefälligkeiten zur Hand gegangen sind.

Kalle, unser strapazierter Vermieter, der uns nicht selten Auswege aus verfahrenen Situationen gezeigt und erheblich zum Funktionieren der Dieselmaschine beigetragen hat, steht gewichtig am Steuerrad, den Elbsegler unternehmungslustig weit in den Nacken geschoben, und peilt den Anleger an: „Ich wohne hier schon seit Generationen, alles klar und tief genug.“

Dann sitzen wir fest, wenige Meter vor der Betonpier.

Kalle kurbelt wild am Rad und gibt Vollgas voraus, was sich als äußerst unklug erweist und das Schiff nur tiefer in den Schlamm schiebt. Das Wasser ist knietief, und unsere Gäste waten mit ihren unausgepackten Frühstücksstullen ans rettende Ufer.

Bald liegen wir hoch und trocken auf der Seite, gefährlich nahe der felsigen Uferböschung. Helmut und ich bringen zwei Anker aus, dann warten wir beklemmende Stunden auf die Flut.

Das Volk vom nahen Campingplatz läuft gaffend zusammen, fotografiert und steht blöd herum. Ein grauhaariger Alter, wettergegerbt, den unvermeidlichen Elbsegler auf dem Kopf und vermutlich vom Fach, fragt mich kopfschüttelnd: „Wer ist denn der Skipper dieser Badewannenpiloten? Der hat ja keine Ahnung von nichts.“

„Keine Ahnung“, erwidere ich vollkommen desinteressiert, zucke mit den Schultern und füge erklärend hinzu: „Ich bin auch nicht von hier.“ Dann verdrücke ich mich in auffälliger Hast.

Stunden später steigt das Wasser. Die Flut kommt, und TAGEDIEB richtet sich allmählich auf und wird vom Schwall der passierenden Frachtschiffe gefährlich nahe an die steinige Böschung getrieben.

Offenherzige Kommentare der Zaungäste: Hoffnungsvoll: „Mann, das gibt gleich Bruch.“ Aufmunternd: „Idiot, siehst du denn nicht, die haben zwei Anker draußen.“ Und wieder erwartungsvoll: „Das schon, aber die halten nicht lange.“

Recht hat er, dieser Miesepeter. Noch ein paar Schiffsriesen, und unsere Suche nach einer anderen Lebensalternative ist schon nach zwei Seemeilen vor der Oberhammelwardener Dorfkneipe vorerst beendet.

Für eine Zeitlang zeigt sich kein Schiff, und mit aufheulendem Motor entkommen wir dem saugenden Griff des zähen Untergrundes.

Die Lage an Bord normalisiert sich, aber morgendliche Besinnlichkeit tritt nicht ein. Eigentlich ist es Zeit für die Kaffeepause, doch ich stehe mit diesem Wunsch allein. Helmut hat sich in ein Gespräch mit Conny verhakt. Recht einseitig, wie ich sehe. Helmut redet, Conny setzt an zu sprechen, schweigt dann. Uschi schlägt sich auf Helmuts Seite, Connar enthält sich der Stimme.

Conny ist zu jung, sie hat kein Projekt wie wir, und sie weiß auch nicht, was sie will. Ganz besonders nerven Helmut Connys häufig wechselnde Gedanken und Vorstellungen über ihre Zukunft, über das, was sie plant und was sie alles machen wird. Ich finde Helmuts verbale Attacken, wenn auch manchmal berechtigt, unfair, denn er mit seinen 30 Jahren und als Lehrer der Philosophie und Germanistik sollte sehr wohl in der Lage sein, mit einem jüngeren Menschen eine konstruktive Auseinandersetzung zu haben. So sind die Motive seiner recht emotionalen Angriffe vermutlich woanders zu suchen.

Bremerhaven kommt in Sicht, und wir werden abgelenkt. Helmut fährt forsch das erste Anlegemanöver der Saison, vorschnell wie eh, und das Holz ächzt und stöhnt gemartert. Die Fender baumeln auf der falschen Seite, schön fest an der Reling verknotet. Auch die Leinen sind nicht klar, sie liegen in einem unentwirrbaren Knäuel in der Backskiste. Wir müssen uns endlich auf einen gemeinsamen Sprachschatz einigen, den jeder versteht. Entweder seemännisch oder hochdeutsch, jedoch nicht „Achtung Backbord!“ brüllen und rechts an die Pier rauschen.

Erste Lernprozesse.

Verließen wir Elsfleth bei strahlendem Sonnenschein, verwandelt sich flußabwärts der blaue Himmel in regnerisches Grau mit böigem Wind. Kalt wird es auch. Gar nicht so, wie man sich einen Hochsommertag vorstellt. So bleiben wir im geschützten Hafenbecken und erörtern zwischenmenschliche Probleme.

Connys geplanter mehrmonatiger Segelurlaub reduziert sich auf die dreistündige Flußfahrt von Elsfleth nach Bremerhaven. Hier stellt sie den unausgepackten Seesack auf die Pier und entschließt sich, nach Hannover zurückzukehren. Sie fühlt sich von Helmut und Uschi abgelehnt und nicht akzeptiert, und die gemeinsame Weiterfahrt erscheint ihr sinnlos. Ich bleibe zuversichtlich und hoffe, daß der Schrumpfungsprozeß nicht weiter fortschreitet.

Wir hoffen auf das optimale Segelwetter. Nach einigen Tagen wird uns das Warten zu langweilig – die Zeit läuft uns davon. Zwar droht der Himmel düster, aber die Biskaya-Überquerung, Grenze zwischen warmen Südbreiten und den nördlichen Schlechtwetterzonen, hängt wie ein Damoklesschwert über uns.

An einem Tag, der nicht im entferntesten an die sonnigen Bilder in Magazinen und Segelbüchern erinnert, verlassen wir den Hafen, suchen unseren Weg zwischen den Tonnen und erreichen die offene See. Es beginnt zu regnen und in der Außenweser kräftig zu schaukeln. Es ist diesig und die Sicht entsprechend schlecht, von der feuchten Kälte überhaupt nicht zu reden, die unangenehm in den Körper schleicht.

Erste Ausfälle in der Besatzung: Helmut ist kotzübel; er liegt zunächst regungslos mit gelbgrünem Gesicht auf dem durchweichten Cockpitteppich und schleppt sich dann auf allen vieren in die Koje. Der Kopf hängt über einem grünen Plastikeimer. Hin und wieder überzeugen uns Würgen und Husten, daß noch Leben in ihm steckt.

Ich sitze am Steuer; die beiden Mädchen, denen es blendend geht und die sich in Topform fühlen, bedienen die Segel und peilen in Abständen die Festfeuer an der Küste. Hunger verspürt keiner.

Die Nacht bricht an, und aus nebligem Grau wird unergründliche Schwärze. Auf keinen Fall möchte ich mich in das Verkehrstrennungsgebiet der Großschiffahrt verirren und orientiere mich sorgfältig an den großzügig befeuerten Ostfriesischen Inseln, die nacheinander an Backbord vorüberziehen.

Der Wind brist auf, die Wellen brechen weiß, und die erste Nacht auf dem Meer macht uns bewußt, daß die Scuhe nach einer anderen Lebensform so einfach nicht sein wird.

Der Morgen sieht nicht tröstlicher aus. Es weht kräftig, und die See ist schaumbedeckt. Gischt leckt bis ins Cockpit, das mir nun gar nicht mehr so weit vom Wasser entfernt erscheint.

Helmut liegt käsebleich auf der Koje und übergibt sich fortwährend, stopft gleich darauf Zwieback in den Mund und kann trotz allem noch lachen. Uschi bemerkt mitleidig und treffend: „Dem Steiner (sie nennt Helmut stets beim Nachnamen) geht’s aber sauschlecht.“

Helmut hebt den Kopf aus der Plastikpütz und meint aufmunternd, das gehe schon vorbei.

So steht das Stimmungsbarometer trotz widriger Umstände immer noch auf Hoch, während sich um und über uns ein Tief zusammenbraut.

Borkum muß bald in Sicht kommen, und wir beschließen einzulaufen, um Wetterbesserung abzuwarten. Wer Borkum kennt, weiß, wie es in der Ansteuerung bei Windstärke 6 bis 7 aussieht. Immer höher brechen die Wellen, in deren Gischt von den Tonnen nicht einmal ein Zipfel zu entdecken ist. Wir kreuzen unschlüssig hin und her und starren mit schmerzenden Augen in die Seen. Befinden wir uns in einem Wellental, tanzt die Ansteuerungstonne dem Himmel entgegen, sind wir oben auf dem Kamm, ist es umgekehrt. Auf dem Cockpitboden liegt die feuchte Seekarte ausgebreitet. Selbst Helmut hat sich aufgerafft, studiert Karte und Seehandbuch und sucht in Abständen die Leeseite auf.

Wir überlegen uns schon, die Fahrt Richtung Englischen Kanal fortzusetzen, als sich von der Insel ein Schiff nähert. Der Seenotrettungskreuzer ADOLPH BERMPOHL, auf Routinefahrt, stürmt durch die Wellen und schleudert das Wasser meterhoch, so daß vom Schiff selbst kaum etwas zu sehen ist. In Rufweite verlangsamt sich die Fahrt, und über Megaphon wird angefragt, ob bei uns alles okay ist. Der Rettungskreuzer nimmt erneut Fahrt auf und weist uns den Weg zur Ansteuerungstonne. Von dort ist es einfach, und im ruhiger werdenden Wasser erstreckt sich vor uns der Tonnenstrich. Eine Stunde später befinden wir uns im überfüllten Hafen, in dem außer zahlreichen Yachten auch große Fischerboote Schutz gesucht haben.

Der Wind heult und peitscht den Regen, doch wir liegen in stillem Wasser direkt an der Pier, wo wir uns in ein kleines freies Fleckchen mühsam hineinmanövriert haben.

Im Borkumer Hafen treffen wir auf ein paar andere Chaoten: Axel Czuday und sein Polarsailing-Team. Sie sind am selben Tag von Holland gekommen und in rauher See beinahe gekentert, weil sie zu wenig Ballast in den Kiel gepackt hatten und außerdem völlig überladen waren – ausgerüstet für die Polarfahrt wie mit zwischenmenschlichen Problemen.

Die hitzigen Diskussionen der angehenden Polarfahrer werden zusehends mehr auf TAGEDIEB ausgefochten, und begeistert ergreift Helmut diese Gelegenheit, um in stundenlangen Monologen und der ihm eigenen gewandten Dialektik an Beispielen aufzuzeigen, woran die Differenzen innerhalb der Czuday-Crew liegen, daß die Polarexpedition ohnehin zum Scheitern verurteilt sei und wie Abhilfe geschaffen werden könne.

Ergebnis dieser tagelangen Selbsterkennungsgespräche ist, daß der Kameramann, der die Expedition im Bild festhalten sollte, genervt zu uns übersteigt und bis Scheveningen mitsegelt.

Als der Wind abflaut und sich der Hafen leert, laufen wir am 7. August aus in einen sonnigen Tag. Eine schnelle Reise bei mäßigem Wetter führt uns in die Häfen von Den Helder, Ijmuiden, Scheveningen, Oostende, Boulogne und zu der Kanalinsel Jersey, wo wir am 23. August eintreffen.

Unvorsichtig nahe passieren wir Cap de la Hague und kämpfen mit einer üblen tückischen Kreuzsee, verursacht durch starken Wind gegen Strom. Selten habe ich ein so konfuses Meer gesehen. Ganz plötzlich baut sich eine unscheinbare See turmhoch auf, bewegt sich in alle Richtungen, wechselt unaufhörlich Form und Größe und fällt unvermittelt wieder in sich zusammen.

Erleichtert und müde nach einer nebligen, durchwachten Nacht, suchen wir uns einen Platz am Anleger in der Hafeneinfahrt von Saint Hélier, wo die Segelyachten in langen Päckchen vertäut sind.

Jersey bietet äußerst günstige Gelegenheit, sich mit Lebensmitteln guter Qualität preiswert zu versorgen, ebenso wie mit Markenschlauchbooten, Rettungsinseln und anderem Yachtzubehör. Englands wohlhabende Mittelschicht hat sich hier sehr gut etabliert und lebt im Vergleich zum streikgebeutelten Mutterland in verschwenderischem Luxus.

Vor zahlreichen Kneipen und Restaurants hängen lustig anzuschauende Schildchen mit Aufschriften wie „Gentlemen mit langen Haaren werden nicht bedient“ oder „Das Betreten dieser öffentlichen Einrichtung ist nur mit Schuhen, Strümpfen und weißem Hemd gestattet“. Die Pointe britischen Humors war mir schon immer ein unlösbares Rätsel.

Der Tidenhub ist mit elf Metern gewaltig, und im Sechs-Stunden-Rhythmus geht es auf und ab wie im Fahrstuhl. Mal können wir den gesamten Hafen überblicken, dann wieder sehen wir nichts als die Steinmauern um uns.

Am 3. September verlassen wir Saint Hélier. Unrast hat uns erfaßt, und wir wollen die Biskaya hinter uns wissen, um freie Fahrt in Richtung Süden zu haben.

Einlaufen Roscoff am 5. September, ein kleiner gemütlicher Fischerhafen an der schroffen Küste der Bretagne. Da der Hafen trockenfällt, ankern wir in einer ungeschützten Bucht.

Wir warten, aber der auflandige Wind nimmt eher zu. Der Ankerplatz wird uns zu gefährlich, und außerdem lassen uns die nächtlichen Ankerwachen nicht viel Schlaf. Wir beschließen, auszulaufen.

Helmut ist nach wie vor meist seekrank; er hat sich noch nicht an die Schaukelei gewöhnen können. Die beiden Mädchen dagegen sind voll einsatzfähig – ohne Uschi und Connar würde es uns übel ergehen.

Wir halten uns gut frei vom feindlichen Land mit seinen spitzen Felsen. Das Donnern der Brandung gegen die Felswände erschreckt die Mädchen und mich. Helmut ist alles egal, wenn wir bloß schnell den nächsten Hafen erreichen. Und das soll l’Abervrac’h sein.

Gischt sprüht meterhoch, aber der verläßliche Diesel schiebt TAGEDIEB Meile für Meile voran. Wir haben die kleine Fock oben und ein doppeltes Reff im Großsegel. Der Wind steht ungünstig, und das Schiff bolzt hart durch die Seen. Der Englische Kanal macht es uns nicht leicht.

Das Genuafall reißt, doch an eine Reparatur ist bei der Schaukelei nicht zu denken. Unter gerefftem Groß und mit Maschine schleichen wir uns in die enge, beeindruckende Einfahrt von l’Abervrac’h. Felsungetüme drohen von beiden Seiten und überragen das Schiff, das Meer schäumt und wütet, aber schnell schieben sich die Felsen hinter uns und zähmen das Meer.

Wir gehen längsseits an den teilweise demontierten Schwimmsteg. Der Yachtclub ist vorwinterlich verriegelt. Vor den Fenstern hängen schwere hölzerne Rolläden und bekräftigen das unangenehme Gefühl, daß man sich auf den stürmischen Herbst auch hier bereits zeitig eingestellt hat.

100 Meter Yachtsteg gehören uns ganz allein. Mist, das Frischwasser ist abgestellt und dämpft die Vorfreude.

Die kleine Bucht liegt wunderschön von sanften Hügeln umgeben, vom Licht der Spätsommersonne golden verfärbt. Die schlanken Espen stehen im bunten Kleid, aber schon bedeckt welkes Laub den Erdboden, und hier und da streckt ein Ast die kahlen Finger in das fahle Blau des Himmels.

Wir erkunden die Umgebung, pflücken köstlich schmeckende Brombeeren, deren stachelig verfilztes Buschwerk überall die Hänge bedeckt, und schwimmen übermütig im klaren, sich abkühlenden Wasser. Auch der Rotwein ist gut und würzig, den wir neben anderen Dingen nach einem Acht-Kilometer-Fußmarsch über stopplige abgeerntete Felder im nächsten Dorf einkaufen.

Der Sommer verabschiedet sich mit leuchtenden Farben, und es wird merklich kühler. Mit ihm muß sich auch Connar verabschieden. Grund ist ein Schreiben aus Berlin, in dem ihr angeboten wird, sich über den zweiten Bildungsweg als Volksschullehrerin zu bewerben. Sie zögert noch und schiebt die Entscheidung vor sich her. Wir alle reden ihr jedoch zu, diese Chance zu nutzen.

Gemeinsam schleppen wir ihren schweren Seesack über die Äcker und setzen sie in den Bus.

Mit der Trennung überfällt uns Verlassenheit, und das sterbende Land mahnt, wie nah der Herbst ist und wie fern noch die südlichen Breiten sind.

Von l’Abervrac’h wollen wir den gefürchteten Sprung über die Biskaya wagen, aber das Wetter spielt nicht mit. Schon ziehen die ersten Sturmtiefs von Neufundland her über den Atlantik heran. Demütig stehen wir windumtost an der Steilküste und beobachten das Meer, das sich unermüdlich mit weißen Zähnen in das granitene Felsmassiv nagt.

Aus dem Sprung über die Biskaya wird nur ein verzagter Hüpfer zum nahegelegenen Schutzhafen Camaret-sur-Mer, in der Nähe von Brest. Gegenwind, hohe See, Übelkeit. Auspuffschwaden hüllen uns ein, und mir wird zum erstenmal erbärmlich schlecht. Ich geselle mich zu Helmut, der den ganzen Morgen seinen Stammplatz nahe der Seereling nicht verlassen hat, und übergebe mich.

Der Herbst kündigt sich mit Nebel, Wind und Kälte an. Es ist Oktober.

Camaret-sur-Mer enthüllt sich als ein sauberes, anheimelndes Fischerstädtchen mit einem geschäftigen Hafen, in den am Abend die buntbemalten Fischtrawler zurückkehren, den Fang am Kai ausspucken und den verschlafenen Hafen mit Emsigkeit beleben. Minuten entfernt kilometerweite, vereinsamte Strände, wo wir im eiskalten Wasser und hoher Brandung baden. Unvergeßlich sind die Spaziergänge über das moosbewachsene Hochplateau der wildromantischen Bretagne. Wir bestaunen die trutzige Steilküste, die sich wie ein uneinnehmbares Bollwerk aus dem Meer erhebt und vor uns abrupt Hunderte von Metern ins Nichts abfällt. An den zernarbten Felsen brechen sich gewaltig die Wellen des Atlantiks, und die Gischt zerstäubt als sprühend funkelnder Regen in dem Sonnenschein. Endlos und zeitlos wie die Ewigkeit, seit Jahrmillionen erklingt das tosende Lied.

Wir klettern über verwitterte Betonklötze, halbwegs in dem feinen Sand begraben, gehen still durch überwucherte Schützengräben und verstehen den Wahnsinn nicht, der im Zweiten Weltkrieg Millionen Menschen Tod und Verzweiflung brachte und die Welt in ein Chaos stürzte. Jeder sollte diese Mahnmale sehen, Grabstätten Tausender, die nicht einmal wußten, wofür sie starben. Massengräber, die unversehrt die Generation überlebt haben, die sie erschaffen hat, und die noch viele Generationen überdauern werden, bevor Sand und Gras und Wind die Vergangenheit gnädig bedecken.

Sturm und kein Ende

Start zur Überquerung der Biskaya – Ein Hexenkessel aus Schaum und Gischt – Segelnähen bei Windstärke 8 – Abdrehennach Osten – Glückliches Wiedersehen in St. Nazaire

Nervenaufreibendes Abwarten auf ein paar wetterbeständige Tage, auf den günstigen Nordwind, der uns geschwind über die Biskaya in die Wärme bläst.

Tage und Wochen vergehen, es wird später und später, doch das Meer zeigt sich schaumbedeckt. Land’s End Radio meldet ein Sturmtief nach dem anderen. Auch der französische Wetterbericht hat nichts Positives zu vermelden und bestätigt nur die trostlose Wetterlage. An ein Auslaufen ist nicht zu denken.

Erste Gruppenkrise: Uschi hat ein Abenteuer an Land. Helmut braucht zwei Tage, um das zu verarbeiten. Ich besänftige, wenn zu harte Worte fallen. Die dunklen Wolken verziehen, aber ich bin mir gewiß: Helmut wartet auf seine Chance.

Mit zunehmender Wartezeit werden wir kühner und wagemutiger. Waren wir bisher noch bei maximal Windstärke 5 gestartet, so sind wir nunmehr bereit, bei Stärke 7 den Anker zu lichten.

Stetig pfeift der Südwest in der Takelage, es ist wie verhext. Nur drei, vier Tage eine stabile Wetterlage, und wir sind drüben im sonnigen Spanien, bei Rotwein und Calamares. Ich zeichne täglich die Wetterkarte, was nicht viel mehr Hoffnung verbreitet. Wie Perlen an einer Schnur hängen die sich vertiefenden Tiefs von Neufundland bis in den Kanal, von Isobaren eingeengt, deren steiler Gradient stürmische Winde prophezeit.

Wir werden gereizt und nervös, ich nerve Helmut mit meiner Schwarzmalerei: „Das Glück hat uns nicht verlassen, es hat uns noch nie begleitet.“

Uschi macht Überwinterungsvorschläge, die bei Helmut und mir auf erbitterten Widerstand stoßen: „Bist du verrückt, eine Überwinterung in Frankreich bedeutet mindestens acht Monate Zeitverlust, und in acht Monaten könnten wir lange die Karibik erreicht haben und zwischen den immergrünen Inseln segeln.“

Uschi meint logisch, lieber die Überwinterung in Frankreich als Bruch in der Biskaya und keine Inseln im Süden. Wir bleiben uneinsichtig und bereiten uns auf eine rauhe Fahrt vor.

Sorgfältig wird alles verstaut und verzurrt, was nicht oder nur unzulässig festgelascht ist. Seemansknoten haben wir mittlerweile gelernt. Überlebenssack, Seeschlagblenden für die Fenster, Kaltverpflegung, billig und gut aus Bundeswehrbeständen, Stolperleinen an Deck – wir haken Punkt für Punkt auf der Liste ab. Uschi beobachtet diese Vorbereitungen skeptisch und behält ihre Gedanken für sich.

Doch dann spricht sie aus, was sie in den letzten Tagen bewegte: „Ich halte die Überfahrt für zu risikovoll und gefährlich; ich bin für die Überwinterung. Wenn ihr jedoch fahren wollt, ohne mich. Ich trampe nach La Coruña.“

Zweite Gruppenkrise. Helmut appelliert an ihre Solidarität, Uschi appelliert an unsere Vernunft. Wir verzichten auf die Abstimmung, weil wir wissen, daß sie recht hat.

Wir einigen uns und gehen gemeinsam auf die Suche nach qualifizierten Biskaya-Kandidaten. Brigitte und Heiner, die wir in Camaret-sur-Mer kennengelernt haben, erklären sich bereit, TAGEDIEBS dezimierte Crew aufzufüllen und mit uns nach La Coruña zu segeln.

30. September. Uschi trampt los, und wir laufen aus. Der englische Wetterbericht sagt Nordwind voraus, kein Tiefdruckgebiet in der Nähe, aber drei Kaltfronten werden erwähnt.

Schon Stunden später – wir haben die offene See erreicht und alle Segel gesetzt – dreht der Wind auf Nordwest, West und innerhalb kurzer Zeit auf Südwest. Brest Radio spricht von einer sich rasch vertiefenden Front.

Wir wägen das Für und Wider ab und kehren nach Camaret-sur-Mer zurück.

Am 1. Oktober der zweite Versuch. Das Tief ist nach Norden abgezogen; von seinen Flanken erhoffen wir uns nördliche Winde.

Wie gewünscht, treibt uns ein Nordostwind von der Küste frei und 60 Seemeilen auf unserem Kurs voran, schwächt sich in der zweiten Nacht ab, dreht und weht im Morgengrauen mit geschätzten Beaufort 8 aus Südwest. Das bedeutet Kreuzen in der aufgewühlten See.

Wir haben das Großsegel geborgen, das Vorsegel gegen die Sturmfock ausgetauscht und liegen hart am Wind. Kurs, Abdrift und Versegelung können wir nur schätzen – wir fühlen, daß wir auf dem Fleck stehen. Der Wind heult, und verwehte Gischt bedeckt in Streifen das Meer, so weit das Auge reicht.

Die Stagen singen hell, und geräuschvoll knallen die Fallen gegen den Holzmast. Das Schiff erzittert, wenn der Steuermann eine hohe Welle zu spät angeschnitten hat.

Am Abend bergen wir das Sturmsegel und treiben unter bloßen Masten. Die See geht hoch mit langen Wellenbergen, deren Spitzen der Wind verweht und TAGEDIEB mit einer salzigen Kruste überzieht. Ein Sturmtief mit 974 Millibar ist von Kanada her im Anmarsch. Über Irland hängt ein stationäres Tief, und Land’s End Radio meldet zu erwartende Windstärken zwischen 8 und 9 in Böen.

Sturmwarnung!

Wir beratschlagen und entscheiden uns, nicht umzukehren, sondern vorerst abzuwarten. Die Küste liegt in sicherem Abstand, und wir selbst fühlen uns verhältnismäßig wohl. Auch Helmut ist voll einsatzfähig. Wasser und Proviant befinden sich ausreichend an Bord, der Strom ist laut Seehandbuch mit uns und schiebt TAGEDIEB nach Westen und damit von der Küste weg.

Wir verziehen uns in die behagliche warme Kabine und schließen den Sturm aus.

Manchmal knallt ein Brecher gegen die Bordwand, legt TAGEDIEB weit über und erinnert uns, daß es draußen nicht zum besten steht. Einer von uns wacht angeleint in der Plicht mit Leuchtpistole und Taschenlampe, checkt das Schiff und hält Ausschau nach näherkommenden Postionslichtern.

Trudi hat sich unter ihr Holzbrett verzogen, das Helmut irgendwoher organisierte und so zurechtsägte, daß es quer ins Cockpit paßt. Eine Hütte für Trudi, einen Tisch für uns, ein Bett unter freiem Himmel für warme Zeiten.

Am Morgen nach der nicht endenwollenden Nacht, in der wir sehnlichst auf das helle Schimmern im Osten warten, das den Tag ankündigt, flaut der Wind etwas ab. Wir setzen die Sturmfock zum dreifach gerefften Groß und segeln laut Log bis zum späten Nachmittag zehn Seemeilen auf unserem Kurs. An eine Standortbestimmung ist nicht zu denken – die Sonne verbirgt sich in tiefhängenden Wolken.

Der Abend dämmert, und die Ruhepause ist vorbei. Stärker und stärker brist es aus Südwest auf. Wir lassen uns ohne Tuch treiben. Die Nacht ist schwarz, und bodenlos hüllt uns die Dunkelheit ein. Nur die tanzende Petroleumlampe in der Kabine verbreitet tröstend Licht und malt ihre Schattenspiele. Ich sitze im Schutz des Deckshauses, die anderen haben sich drinnen eingeklemmt und lesen. Um mich herum, fern und doch so nah, erklingt das Tosen der Brecher, die mich erschreckt hochreißen. Mit schmerzenden Augen versuche ich, das Nichts zu durchdringen, um auf das vorbereitet zu sein, was röhrend auf unsere Nußschale zubraust.

Niemand ist seekrank, Gott sei Dank, aber nach vier harten Tagen fühlt sich keiner von uns auch nur im entferntesten wohl oder sicher. Nicht Angst ist es, was den leeren Magen zusammenzieht. Eher das Gefühl der Hilflosigkeit und das bittere Empfinden, daß sich alles gegen uns verschworen hat.