Über dieses Buch:
1758, zur Zeit des Siebenjährigen Krieges: Bei ihren Eltern in Ungnade gefallen und von ihrem Verlobten verstoßen, wird die junge Französin Jasmin Bouvé von einem geheimnisvollen Markgrafen aufgenommen. Doch dies ist kein Akt der Mildtätigkeit – er bildet Spione aus, die Frankreich zum Sieg verhelfen sollen. Seine Geheimwaffe: Eine Tinktur, die die Lust des Opfers ins Unermessliche steigert und es so zu einem willenlosen Werkzeug macht. Bald schon beherrscht Jasmin ihr neues Handwerk meisterhaft – und wird zur erfolgreichsten Spionin Frankreichs …
Über den Autor:
Sebastian Thiel, Jahrgang 1983, hat sich nach seinem Wehrdienst und der Ausbildung zum Fachinformatiker voll und ganz dem Schreiben zugewendet. Mit spitzer Feder schreibt er historische Kriminalromane.
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eBook-Neuausgabe Dezember 2017
Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel »Mixtur der Verführung« bei dotbooks GmbH, München.
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Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München
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eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)
ISBN 978-3-95824-658-4
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Sebastian Thiel
Der Prinz und die Spionin
Roman
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… mit einer Leichtigkeit hebt er mich hoch, dass ich beinahe nicht spüre, wie ich den Boden unter meinen Füßen verliere. Als er mich über die Schwelle trägt, umschließt die Wärme des Schlafgemaches wohltuend meinen Körper und verdrängt die bittere Kühle des Tages. An meinem Rücken spielen die Muskeln seiner Unterarme, während sein Blick an mir haftet, als behüte er eine Kostbarkeit. Mit jedem Zoll, den wir uns dem Bett nähern, wippt mir eine weitere braune Strähne ins Gesicht und kitzelt an meinen Lippen. Sein Schritt beschleunigt sich, und auch seine Atmung ist nun gepresst. Wie bei einem Kind, das einen Streich gespielt hat und nun auf denjenigen wartet, der in die Falle hineintappt, verfärben sich meine Wangen rot vor freudiger Erwartung. In ihnen sammelt sich Hitze, die nach wenigen Momenten herunterwandert und mein Dekolleté erreicht.
Ich bewege mich kein Stück, lasse mich völlig von ihm führen. Mit ihren unsichtbaren Fesseln lähmt mich die Angst vor dem, was da kommen möge. Die glänzenden Kerzen des Kronleuchters fluten das Zimmer mit einem sanften goldenen Schein und funkeln mit seinem stählernen Orden um die Wette. Die schwarze Uniform wirkt in dem Schlafgemach voller weicher Farben und samtener Bezüge wie ein Fremdkörper. Das leichte metallische Scheppern seines Säbels durchzieht den Raum als einziges Geräusch. Als er mich herabsetzt und zärtlich auf die nachgebenden Decken bettet, kann ich den herben Duft seiner Uniform in mich aufnehmen. Sie riecht nach Arbeit, nach Ehre und nach Krieg. Ich befehle mir, langsamer zu atmen, spüre ich doch ein Schwindelgefühl, welches sich allmählich in mir ausbreitet und meinen Verstand erreicht.
Wenige Augenblicke lang genieße ich seinen streichelnden Finger auf meinem Rücken, während sein Gesicht nah an meinen Brüsten ruht. Beinahe bemerke ich nicht, wie mein Mund sich vor Verlangen öffnet und mein Körper immer schneller auf und ab sinkt. So heftig, dass sein Kinn fast meine harten Brustwarzen berührt, die sich unter dem zarten Grün meines Kleides abzeichnen. Dann richtet er sich vor dem Bett auf. Sein Kopf ist geneigt, und die Schultern heben sich mit jedem Atemzug, dabei streichelt mich sein Blick. Die losen Falten des Stoffes liegen über meinen Gliedern und lassen meine Figur erahnen. Nur an meinen Brüsten, wo sich die Robe mit einem weißen Rüschensaum trifft, bin selbst ich mit meinen achtzehn Jahren schon ganz Frau.
Draußen hat die Abenddämmerung begonnen, legt einen grauen Schleier über das Licht des Zimmers. Noch immer steht der großgewachsene Offizier da, betrachtet mich mit steinernem Blick. Stoisch lässt er keinen Zoll meines Körpers aus. Besonders die Stelle, wo sich eine längliche, seidene Falte zwischen meine Beine gesenkt hat und mein Geschlecht zu erkennen ist.
Endlich öffnet er den Waffenrock, der ihm unendlich schwer geworden sein muss. Der Gurt mit der glänzenden Scheide, in dem der todbringende Säbel ruht, kracht auf den Boden. Ohne den Blick von mir zu nehmen, wirft er die schwarze Uniform zu Boden. Hastig und mit einem unbändigen Verlangen öffnet er die Knöpfe seines Hemdes, reißt sich ungestüm den teuren Stoff über seine kurzen braunen Haare und lässt ihn rücklings fallen. Eine dünne Spur aus kleinen Härchen weist den Weg in seine Hose. Ich muss schlucken, obwohl mein Mund staubtrocken ist. Mit freiem Oberkörper setzt er sich neben mich aufs Bett. Die leichten Wellen seiner Bewegung drücken meinen Körper nach oben. Ich flehe, dass er mich nun endlich berühren möge, dass er mit mir macht, was ich mir schon so lange ersehne und erträume. Innerhalb von wenigen Herzschlägen wandelt sich das Verlangen in seinem Blick in Wollust. Mit einem Augenaufschlag löst er meine Angst in nichts auf. Ich wage kaum, ein Geräusch von mir zu geben, als ein leichtes, forderndes Lächeln seinen Mund umspielt und er mit der Hand über meinen nackten Fuß fährt. Nach unendlichen Sekunden erreichen seine Finger endlich meinen Knöchel. Ich schließe meine Lider, spüre, wie seine Hand eine brennende Spur auf der Innenseite meiner Schenkel hinterlässt. Dann zieht sie sich hauchzart wieder zurück. Als er seine Fingernägel bestimmt in meine weiße Haut presst und sich erneut den Weg nach oben sucht, ergebe ich mich meiner eigenen Lust. Mein Körper beginnt zu beben. Unmerklich stoße ich einen Laut aus und verfluche mich zugleich. Der Offizier bemerkt, dass mir sein Spiel gefällt. Er wiederholt die Bewegung, bis ich meinen Rücken durchdrücke und meine Brüste der Decke entgegenstrecke. Das Licht scheint meine Sinne wohlig zu dämpfen, während er den Stoff an meinen Beinen nach oben schiebt. Die Ränder des Kleides kitzeln an meinem Becken, und ohne hinzusehen, weiß ich, wo sein Blick ruht. Seine Hand fährt weiter, langsam und mit Bedacht, als wollte er jede Sekunde auskosten. Endlich erreicht er den Siedepunkt meiner Lust und beginnt ihn mit bestimmtem Druck zu reiben. Ich spüre meine eigene Verletzlichkeit, die Haut rund um die Knospen zieht sich zusammen, und die Spitzen verhärten sich, während das Pulsieren zwischen meinen Beinen unerträglich wird. Zärtlich umspielt er meinen sensibelsten Bereich, bis er mit leichtem Druck nur einen Hauch in mich eindringt. Ich beiße mir auf die Lippe und glaube im nächsten Moment ohnmächtig zu werden. Die Haut an meiner empfindlichen Stelle pocht wie wild und leitet auch die kleinsten Berührungen direkt in meinen Kopf, wo sie prasselnd aufeinandertreffen. Ich werfe meinen rechten Arm nach oben und beiße mir in die Hand. Nur für einen kurzen Moment traue ich mich, die Augen zu öffnen.
»Bitte …«, kommt es wispernd über meine Lippen.
Doch er macht weiter, als würden meine Worte ihn anspornen, mich noch ein Stückchen weiter zu quälen. Ich kann nicht länger stillhalten, winde mich unter seinen Berührungen und presse die Lippen aufeinander. Seine Finger, welche unaufhörlich in rhythmischen Bewegungen reiben, und die Hitze der Begierde lassen meine Taille in kurzen, heftigen Bewegungen nach oben wippen.
Wie lange muss ich warten, bis ich endlich erlöst werde, bis die Lust, die im tiefsten Innern meiner Seele und meines Körpers wütet, endlich Raum bekommt? Als könnte er meine Gedanken hören, schlüpft er aus seiner Hose, ohne den Finger von meiner Scham zu nehmen. Tief atme ich, als mein Offizier sich über mich beugt und mit seinen großen Händen meine Handgelenke umfasst. Er presst mich ins Bett, so dass mir jede Bewegung unmöglich erscheint. Sein Glied spüre ich erst an der Innenseite meiner Schenkel, dann an der Öffnung zu meiner Scham, doch noch immer dringt er nicht ganz in mich ein. Er spielt mit mir, erhöht den Druck auf die enge Spalte, dann zieht er sein Becken wieder zurück. Ich umschlinge ihn mit meinen Beinen, will ihn in mir haben, liege offen für ihn da. Meine Brustwarzen reiben sich durch den Hauch von Stoff an seinem rauen Körper. Die seidenen Decken knistern unter mir und kitzeln meine Haut mit jeder Bewegung. Ergeben in der Berührung stoße ich ihm meine Taille entgegen. Doch er erlaubt mir nicht, seinen Penis zu umschließen, um endlich zur Frau zu werden. Ich stöhne, winde mich unter seinen vor Kraft strotzenden Armen, sein Griff ist jedoch stark wie Granit und unbarmherzig. Immer schneller schießt mein Becken der Spitze seines harten Gliedes entgegen. Unsere intimsten Hautpartien berühren sich jedoch nur für Sekunden, dann zieht er sich wieder und wieder zurück. Ich öffne meine Augen und sehe seine dunkel umrandeten Lider und sein braungebranntes Antlitz. Die Schatten seiner Haut sind die Zeugen großer Taten und lassen mich nur erahnen, was er verbirgt.
»Bitte …«, flehe ich erneut.
Dann endlich scheint er Gnade mit mir zu haben. Sein Gesicht senkt sich auf meines herab, und unsere Lippen berühren sich. Mit seiner Zunge unterdrückt er mein Jauchzen. Keuchend will ich mehr, viel mehr. Mein Herz scheint auszusetzen, als er in mich eindringt und mich endlich vollkommen macht.
3. Mai 1758
Grafschaft Dorset, Großbritannien
Erschrocken riss Jasmin die Augen auf und versuchte sofort Unschuld in ihren Blick zu legen, als die ältere Dame die Tür öffnete und sie freudestrahlend begrüßte.
»Das Fräulein Bouvé träumt wohl noch zu dieser Tageszeit«, entfuhr es der Gräfin, während sie die Fensterläden aufriss und die hellen Sonnenstrahlen hereinließ. Ihr markantes Kinn passte nicht zu ihren feinen Gesichtszügen und den schmalen Lippen, die ihr das Aussehen einer Lehrerin gaben. Kurz verweilte die Dame mit dem hochgeschlossenen Kleid an Jasmins Bett und legte erst die Hände an die Hüfte und wenig später die Stirn in Falten.
»Jasmin, steh jetzt bitte auf, wir haben heute viel Arbeit vor uns.«
»Ja, gnädige Frau«, druckste Jasmin mit zusammengekniffenen Augen, darum bemüht, sich nicht zu bewegen.
Die Gräfin nickte ihr kurz zu, dann verschwand sie mit schnellem Schritt aus dem Zimmer. »Schließlich wird man nicht über Nacht eine heiratsfähige Dame«, hallte ihre Stimme bereits durch den Flur.
Jasmin schloss die Augen und atmete tief durch. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn die ältere Frau mitbekommen hätte, welchen Phantasien sie sich gerade hingab. Nur widerwillig zog sie die Hand nach oben und erinnerte sich im selben Moment an die wunderschönen Gefühle, in denen sie noch vor wenigen Sekunden geschwelgt hatte. Ihre Finger glühten feucht, und sie hätte nichts lieber getan, als das im Schlaf Begonnene im Hier und Jetzt zu beenden. Doch sie wollte die Gräfin unter keinen Umständen warten lassen. Denn auch wenn diese freundlich und voller Güte war, konnte sie manchmal äußerst resolut werden. Und das, was Jasmin soeben getan hatte, geziemte sich bestimmt nicht für eine Dame.
Schnell entledigte sie sich ihres langen Schlafgewandes.
Die morgendliche Wäsche brachte sie mit einer gelangweilten Routine hinter sich, und erst als sie nackt vor dem Spiegel stand, hielt sie inne und ließ den Blick an ihrem Körper herunterwandern. Prüfend fuhr sie sich über ihre blasse Gesichtshaut, bürstete ihre brünetten Haare mit langen, sanften Strichen nach hinten und warf anschließend ihrem Spiegelbild mit gespitzten Lippen einen koketten Kuss zu. Die blauen Augen strahlten ein wenig heller im Glanz des Lichtes. Dann trat sie etwas näher heran und legte die Hände stützend unter ihren Busen. Kritisch beäugte sie diese festen, beachtlichen Brüste, welche für eine Achtzehnjährige beinahe zu groß waren. Als Nächstes inspizierte sie ihren flachen Bauch, die fordernd heraustretenden Beckenknochen und schließlich ihre vollen Schamlippen.
Zufrieden lächelte sie. Ihr gefiel, was sie da sah. Aber würde es dem Hauptmann auch gefallen? Sollten ihrem baldigen Ehemann eher pralle Hinterteile zusagen, wie in den Zeichnungen mit den Dirnen? Fragend blickte sie an sich herab.
Ihre Mutter war französischer Herkunft, sie hatte ihr keinen großen und ausladenden Po vererbt. Von der einen auf die andere Sekunde berührte sie der kalte Hauch der Unsicherheit. Den Blick auf den Boden gerichtet, verschränkte sie die Hände vor ihren rosigen Brustwarzen. Die aufreibenden Gedanken ließen sie sofort erhärten. Vielleicht waren ihm ihre Brüste nicht groß genug? Oder er bevorzugte blonde Frauen. Was, wenn sie ihrem zukünftigen Ehemann gar nicht gefiel?
Der erneute Ruf der Gräfin riss sie aus ihren Gedanken. Schnell zog sie den gegerbten roten Rock über, der ihr am Abend zuvor herausgelegt worden war, und bedeckte ihre Haare mit einer weißen Haube. Als sie die Treppe hinuntersauste, hörte sie die klirrende Stimme der Gräfin bereits mahnend aus dem Esszimmer.
»Eine Dame fällt nicht in einen Raum ein wie eine Horde Barbaren!«
Jasmin befahl sich, erst die Fußsohle, dann ihre Zehen auf den Boden zu stellen, um jegliches Geräusch zu vermeiden. Nachdem sie von ihrem ansehnlichen Schritt überzeugt war, betrat sie den Raum. Die Bediensteten hatten bereits das Frühstück serviert. Es roch nach frischem Brot und dem bitteren schwarzen Tee, den die Gräfin so gerne trank.
Ihr Blick war prüfend, trotzdem hatte ihre Stimme einen warmen Klang. »Wenn du in wenigen Tagen Hauptmann Adrian Richmond in Ipswich begegnest, wird er noch denken, du seist von einem Berglöwen erzogen worden«, fuhr die Gräfin fort, während Jasmin so grazil wie möglich Platz nahm und ihren Rock glattstrich. »Ich habe deiner armen Mutter am Sterbebett versichert, dich so gut wie möglich zu verheiraten, und der Allmächtige weiß, dass ich das zu tun gedenke, also konzentriere dich auf die Dinge, die ich dir beigebracht habe, Kind.«
Das Mädchen nickte verlegen. »Jawohl, gnädige Frau.«
Die Sonne warf ihr gleißendes Licht durch die großen Fenster des Speiseraumes und wärmte Jasmins Rücken. Deren Blick fiel auf das Bücherregal. Seit sie denken konnte, hatte sie mit Gräfin Helen die dicken Wälzer durchgearbeitet. Die Dame hatte sehr viel Wert auf die musische Ausbildung und auf Sprachen gelegt, was wohl ebenfalls der Wunsch ihrer Mutter gewesen war. So beherrschte sie zwar die französische Sprache genauso wie die englische, sah sich jedoch nicht imstande, ihre Fähigkeiten anzuwenden. Das nächste Dorf war mehrere Meilen entfernt, und die zwei alten Bediensteten, die dem Tode näher schienen als dem Leben, waren zwar immer gut zu ihr, beherrschten jedoch weder die französische Sprache noch hatte Jasmin Interesse daran, mit ihnen über das zu reden, was sie wirklich bewegte. Nur einmal war sie versucht gewesen, über ihren sich verändernden Körper und die immer intensiver werdenden Gefühle und Empfindungen zu sprechen.
»Eine Jungfer redet über so etwas nicht!«, war die schneidende Antwort der Gräfin gewesen. Ihr versohlter Hintern hatte indes noch mehrere Tage weh getan.
Kurz blickte sie auf und warf der Dame ein Lächeln zu. Sie setzte die Teetasse auf dem Unterteller ab. Sosehr sie ihre Ziehmutter auch mochte und ihr für immer dankbar sein würde, war sie doch gespannt und aufgeregt, nun ihren Ehemann zu treffen und natürlich die quälenden Fragen beantwortet zu bekommen, auf die sie so lange keine Antwort erhalten hatte. Endlich. Nach so langer Zeit.
Nach dem Frühstück ließ die Gräfin die Pferde satteln. Zusammen gingen sie zu dem kleinen Stall, der an der Westseite des herrschaftlichen Hauses lag. Vereinzelte Bäume reckten ihre Äste gen Frühlingshimmel, als wollten sie ihn ergreifen und das Azurblau festhalten. Die Sonne brannte bereits in den Morgenstunden, und ihre Strahlen vermischten sich mit dem Tau auf den Wiesen zu einem einzigartigen Glitzerspiel. Mild blies der Wind über die anliegenden Felder und verstärkte den Hauch von Aufbruch. Sie hatte ihre komplette Kindheit hier verbracht und würde das Gutshaus der Gräfin immer als ihr Zuhause betrachten. Doch nun war es an der Zeit, den nächsten Schritt in ihrem Leben zu gehen, dessen war sie sich sicher. Harold, der etwas jüngere der beiden Greise, hatte die Pferde bereits gesattelt und half den Damen beim Aufsteigen. Kräftig klopfte Jasmin ihren Argon ab, was dieser sofort mit einem wohlwollenden Schnauben quittierte. Die hellen Stellen am Maul des Pferdes gingen in ein glänzendes Schwarz über. Wie oft hatte sie sich bereits vorgestellt, endlich auf Argon zu ihrem baldigen Ehemann reiten zu können?
Hunderte, Tausende Male?
Vielleicht war die Zahl auch zu groß, um sie benennen zu können. Das Tier wieherte, als wolle es sein Wohlgefallen über den willkommenen Ausritt zur Schau stellen.
Obwohl die Gräfin gehobenen Alters war, preschte sie vor.
»Beeile dich, Jasmin!«
Ihre Stimme klang nicht wie die einer alten Frau, eher wie die einer fordernden Kontrahentin.
Einige Sekunden verstrichen, dann zog das Mädchen forsch einen Mundwinkel nach oben, bevor es dem Pferd einen leichten, aber bestimmten Klaps mit der Ferse gab. Sofort schoss das anmutige Tier los und galoppierte dem Pferd der Gräfin hinterher. Das Mädchen schwang ein Bein über den Rücken des Pferdes und befreite sich aus dem Damensitz, wohl wissend, dass ihre Ziehmutter so etwas niemals gutheißen würde. Doch für etwas, was sie nicht wusste, konnte diese sie schließlich nicht bestrafen …
Schon bei den ersten kräftigen Hufschlägen löste sich der Knoten von Jasmins weißer, mit Spitze überzogener Haube. Lose tanzten die Schnüre im Rhythmus des Windes.
Die Fertigkeiten der alten Dame zu Pferde waren unbeschreiblich. Bereits nach wenigen Augenblicken konnte Jasmin sie lediglich noch in der Ferne ausmachen. Die Zähne aufeinander mahlend, griff sie die Zügel härter und drückte den Oberkörper, so nah es nur ging, an Argon heran, während sie ihn anspornte, schneller zu galoppieren. Mit einem Mal hastete das Tier los. Der Wind pfiff mit jedem Schritt eine Nuance höher an ihren Ohren vorbei und doch schien sich der Abstand noch zu vergrößern. Ihre Augenbrauen zogen sich angestrengt zusammen, als sie auf ihrem Pferd über die Wiesen galoppierte und sich tiefer in den Sattel drückte. Bei jeder Welle der Berührung von Leder und Schoß wurde ein Funke zwischen ihren Beinen entfacht. Als das Pferd einen kleinen Hügel erklomm und sie die Schenkel noch mehr anspannen musste, breitete sich die Hitze in ihrem gesamten Körper aus. Ihre Hände umfassten die Zügel nun so stark, dass ihre Knöchel weiß anliefen. Flatternd wurde ihr Rock vom Fahrtwind hochgeweht und wippte nun auf ihrer Taille. Ihre Beine waren entblößt, und zwischen dem Leder des Sattels und ihrem Unterleib lagen lediglich ein dünner Unterrock und ihr Höschen, welches mit jedem kraftvollen Schritt des Pferdes härter gerieben wurde. Jasmin bemerkte nicht, wie ihre Haube sich vollends löste. Die langen braunen Haare wehten wie ein Schweif hinter ihr her. Ihre Augen verengten sich, als sie einen weiteren Hügel erklomm und ihr Körper noch tiefer in den Sattel gedrückt wurde, so dass ihre Knospe wippend auf Argons Rücken aufschlug. Der leichte Schmerz ließ sie stöhnen und ihre nackten Schenkel enger an das Tier schmiegen. Sie versuchte ihren Rücken durchzudrücken, damit sie mehr Reibung durch das harte Leder erfuhr. Die Hitze hatte sich in ein Brennen verwandelt, dessen Flamme mit jeder Berührung, jeder Bewegung, jedem Aufklatschen auf dem Sattel stetig wuchs und zu einem Feuer anstieg, das sie nicht mehr zu löschen imstande war. Bereits am Morgen war es schwer gewesen, der Versuchung zu widerstehen, doch all die aufgestaute Lust schien nun aus ihr herauszuplatzen. Jasmin bemerkte, wie ihr Stöhnen lauter wurde und ihre Augen sich leicht verdrehten. Ihre Brustwarzen rieben hart an dem Stoff ihres Kleides. Als Argon zu einem Sprung über einen Bach ansetzte, meinte sie, den Verstand zu verlieren. Sie senkte den Kopf und wartete auf den Moment, in dem die Hufe des Pferdes wieder auf den Boden aufschlagen und sie endlich die befreiende Explosion erleben würde. Allerdings erkannte sie im Augenwinkel einen Schatten, der über einer kleinen Kuppel thronte und dunkel aus dem hellen Grün herausstach.
Die Gräfin.
Jasmin biss sich so hart auf die Lippen, dass sie ihr Blut schmecken konnte. Es war eine Tortur, jetzt abbrechen zu müssen. Der Sprung kam ihr wie eine Unendlichkeit vor. Sie hörte ihr Herz rasen und betete, dass der Aufschlag ihr nicht so viel Freude bereiten würde, wie sie sich zuvor erhofft hatte. Das Blut rauschte durch ihren Körper und hatte ihre Haut so sensibel gemacht, dass jegliche Berührung zum Höhepunkt führen konnte. Mit geschlossenen Augen spürte sie schließlich den harten Schlag auf den Boden an ihrem Unterleib. Was für eine Qual und doch durfte sie nicht loslassen. Jeder Schrei, jeder Ton würde die Aufmerksamkeit der Gräfin auf sie richten. Leicht zitternd schwang sie eilig den Fuß über den Rücken des Tieres, um wieder in den Damensitz zurückzukehren, und trabte wippend der Gräfin entgegen. Mit glasigem Blick versuchte sie das Pochen zwischen ihren Beinen zu ignorieren. Anschließend fuhr sie sich durchs Haar und zwang sich, ruhig zu atmen. Nur unter größter Mühe konnte sie ihrer Ziehmutter in die Augen schauen, als sie das Pferd neben ihres führte und die beiden nun gemeinsam auf das kleine Dorf hinunterblickten.
Einige Sekunden verstrichen schweigend, während die Dame ruhig auf das weitläufige Tal hinabblickte.
»In wenigen Tagen wird es so weit sein«, sagte sie mit einem Hauch von Trauer in der Stimme.
»In wenigen Tagen bereits? Heißt das etwa, dass ich den Hauptmann schon so bald kennenlernen werde?« Ihre Augen weiteten sich und fixierten die alte Dame.
Die Gräfin ließ sich Zeit mit ihrer Antwort.
»So ist es, mein Kind. Die letzten Punkte bezüglich eurer bevorstehenden Vermählung sind geklärt, Hauptmann Richmond hat zugestimmt.« Sie seufzte, nahm den Blick nicht von dem Dorf, das sich ruhig in die Hügel schmiegte, und beobachtete das geschäftige Treiben der Menschen. »Du wirst in eine angesehene Familie einheiraten und fortan keine Sorgen mehr haben.« Ihre Worte waren beinahe ein Flüstern.
Jasmin stockte der Atem. Die Strahlen der Sonne ließen ihre Augen für einen Moment intensiver glitzern. »Ich werde heiraten und endlich …«
Ihr halb ausgesprochener Gedanke wurde schneidend unterbrochen.
»… und endlich eurem Ehemann eine sittsame Frau sein«, zischte Gräfin Helen, während sie ihren Kopf zu dem jungen Mädchen drehte und es mit stechendem Blick ansah.
Jasmin öffnete die Lippen, wollte etwas entgegnen, allerdings gab ihr der Blick der Dame, die kerzengerade auf dem Pferd saß, zu verstehen, dass es besser wäre zu schweigen.
»Um ehrlich zu sein, mein Kind …«, fuhr sie kopfschüttelnd fort, »… mache ich mir Sorgen um dein Wohl. Es war mir lange genug vergönnt, das Versprechen, welches ich deiner Mutter gegeben habe, einzuhalten. Ich habe dich so gut erzogen, wie es mir möglich war, habe dich alles gelehrt, was ich weiß, und dich in Sittsamkeit und Anstand unterrichtet.« Die Stimme der Dame wurde brüchig. Sie drehte ihren Kopf weg und musste mehrmals tief durchatmen, bevor sie weitersprechen konnte. »Doch jetzt, da der Abschied naht und meine Aufgabe beinahe erfüllt ist, bekomme ich Zweifel, ob dies wirklich auch genug war.«
Jasmin nickte, obwohl das Gesicht der Dame abgewandt war. Zu selten hatte sie ihre Ziehmutter so offen sprechen gehört.
»Wir waren die besten Freundinnen, deine Mutter und ich. Aber während es ihr vergönnt war, einen Mann zu finden und mit ihm … nun ja, dich zu zeugen, sollten mir solche Freuden verwehrt bleiben.«
Langsam drehte die Gräfin ihr Antlitz wieder zu Jasmin. In ihren Augen erkannte das Mädchen ein Glitzern, das sich zu einer kleinen Träne wandelte. Schließlich löste sich der Tropfen und lief das von den Jahren gezeichnete Gesicht hinunter. Die sonst so feste Stimme war nur noch ein Hauch ihrer selbst.
»Ich hätte dir gern mehr Antworten auf deine Fragen gegeben. Ich wäre gern besser imstande gewesen, dich auf das vorzubereiten, was dich vielleicht erwartet.«
»Ihr habt mich alles gelehrt, was ich wissen muss, Gräfin.« Jasmin wies ihr Pferd an, einen Schritt näher auf sie zuzugehen. Zärtlich legte sie ihre Hand auf die Schulter der alten Dame. »Ich habe hier mehr Liebe erfahren, als ich zu träumen wagte. Ihr habt mich aufgenommen, ernährt und erzogen. Das ist etwas, was ich in zehn Leben nicht zurückzahlen könnte. Ich werde euch ewig dankbar sein«, flüsterte Jasmin.
Die beiden Frauen lächelten einander an. Ein Windhauch verstrich schweigend.
»Du bist ein liebes Kind. Und doch gibt es noch etwas, was ich dich nicht gelehrt habe. Etwas, das du selbst erfahren musst.« Ihr Blick wanderte wieder zu dem Dorf und den flachsenden Männern, die lautstark eine Karre beluden. »Merke dir, Jasmin. Nur eine sittsame Frau hat den wahren Wert ihrer selbst verstanden.«
Bevor Jasmin über diese Worte nachdenken konnte, legte die Gräfin nach.
»Schau dir die Burschen da unten an. Wenn du ihnen sofort gibst, was sie wollen, wirst du für sie schnell langweilig. Die Fleischeslust kann mitunter eine Waffe sein. Eine Waffe, die Wunden hinterlässt, die die Zeit nicht heilen kann. Darum sage ich dir, gehe sparsam damit um. Sie versprechen dir das Blaue vom Himmel, lügen und betrügen, nur um das zu bekommen, was sie wollen, und dann …«
Ihre Stimme erstarb ein weiteres Mal.
»Was ich dir sagen will, das Thema, das dich so brennend interessiert, und glaube mir, ich weiß, dass du danach gierst …« Verlegen senkte Jasmin den Kopf. »… es kann dir die Finger verbrennen, wenn du dieses Spiel mitspielst. Der Beischlaf ist ein kostbares Gut, das man nicht leichtfertig verschwenden sollte.«
Mit einem leichten Ruck lenkte die Dame ihr schwarzes Ross und trabte weiter.
Jasmin stand allein auf der Kuppel des Hügels. »Was ist mit der Liebe?« Ihre Stimme klang schrill und verteidigend. Sie musste sich umdrehen, um die Gräfin anzuschauen.
»Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass du sie findest. Aber für manche soll sie für immer verborgen bleiben.« Als die Dame sah, wie sehr ihre Antwort Jasmin schmerzte, fügte sie schnell hinzu: »Doch du wirst sie finden, mein Kind. Das sehe ich in deinen Augen. Vielleicht nicht beim ersten Mal, aber du wirst sie finden, ganz bestimmt sogar.« Dann zog sie die Zügel an und gab ihrem Pferd einen Klaps.
Ruhig blieb Jasmin stehen und dachte über die Worte nach. Was – oder wer – mochte die ältere Frau nur so verletzt haben? Die Dame hatte ihr den Kontakt mit anderen Männern als dem Personal stets verboten, und doch war es genau das, was Jasmin auf eine Art faszinierte, deren sie sich nicht mehr länger erwehren wollte.
Behäbig setzte sie ihr Pferd in Bewegung und trabte mit gehörigem Abstand und nachdenklichem Gesicht hinterher.
Der Tag flog mit den finsteren Wolken, welche der kräftige Westwind über den Himmel drückte, an ihr vorbei. Als wollten diese ein Unheil ankündigen, färbten sie alles in ein tristes Bleigrau. Selbst beim Abendessen waren ihre Gedanken noch nicht geordnet, und sie lauschte nur halbherzig dem leisen Gespräch zwischen der gnädigen Frau und Harold. In ihrer Brust schienen nun zwei Seelen zu wohnen. Die Jasmin, die sich unendlich freute, endlich ihren Ehemann kennenzulernen, und die andere, deren nagende Selbstzweifel durch die Worte der Gräfin noch stärker geworden waren. Lustlos stocherte sie in ihrem Essen herum und kaute nachdenklich auf ihrer Lippe.
»Hör bitte auf damit«, sagte die Dame. »Wir wollen doch nicht, dass deine Lippen spröde werden, so kurz vor dem großen Ereignis. Des Weiteren gibt es leider schlechte Nachrichten, die dir allerdings groteskerweise gefallen müssen.«
Hastig legte das Mädchen ihr Besteck beiseite und starrte die Gräfin aus anmutigen Augen an. Die alte Dame atmete tief. Es schien ihr sichtlich schwerzufallen, die geeigneten Worte zu finden.
»Nun, mein Kind. Bisher war uns das Glück hold. Jedoch war uns klar, dass dies nicht ewig so bleiben würde. Der Zeitpunkt allerdings ist alles andere als passend.«
Wollte die Gräfin sie absichtlich auf die Folter spannen?
»So sprecht doch bitte …«
Die Dame erhob mahnend den Zeigefinger. »Allem Anschein nach lässt König François I. seine französischen Truppen in unsere Richtung marschieren. Eine Invasion ist nun möglich.«
Europas Feldherren machten die Länder allerorts zu einem Tummelplatz der Gewalt, doch bisher war der Krieg an ihnen vorübergezogen.
»Aber ich dachte, dass sich die Lage entspannt hätte.«
Die Gräfin schnaubte verächtlich. »Politiker und Generäle wechseln ihre Meinungen wie ihre Mätressen. Die britische Armee, federführend durch den ersten Duke von Suffolk, will die Franzosen bald stellen und sich das flache Küstengebiet zunutze machen.«
Jasmins Stimme zitterte, als sie ihre Worte wispernd wiederholte.
»Der Duke von Suffolk? König François? Was bedeutet das für mich … für uns?«
»Gar nichts«, zischte die alte Dame schnell, um ihr jegliche Furcht zu nehmen. »Nur weil dein Vater Franzose war, heißt das nicht, dass du dich in so etwas einmischen solltest. Für Mädchen ziemt es sich nicht, sich um Dinge wie Krieg oder Politik zu scheren. Und für unverheiratete schon gar nicht.«
Den Blick starr auf den Tisch gerichtet und mit einer Hand stützend ihr Kinn haltend, wurde sie nachdenklich von ihrer Ziehmutter gemustert.
»Das bedeutet allerdings, dass wir unsere Pläne ein wenig ändern müssen. Steh auf!«
»Bitte, Frau Gräfin?«
»Steh auf und pack deine besten Kleider ein. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Du wirst morgen in der Frühe abreisen. Die Fahrt wird mehrere Tage dauern«, sagte sie mit einer Entschlossenheit, die Jasmin zusammenfahren ließ. »Harold bereitet schon die Kutsche vor und wird dich nach Ipswich bringen.«
Sie wusste nicht, ob sie vor Freude oder vor Trauer weinen sollte. Wahrscheinlich war es der schlagartige Aufbruch, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Hunderte Gedanken schossen ihr auf einmal durch den Kopf, es war wie ein Gewitter, das durch ihren Verstand donnerte. Plötzlich war alles zu viel. Ihr Kopf wirbelte herum.
»Aber … es muss noch so viel vorbereitet werden. Die Kleider, die Pferde, wo können wir nächtigen, was werde ich anziehen …?«
Abrupt stockte sie. Ihr Blick blieb auf der alten Dame haften, die sich zurückgelehnt hatte und in die flackernde Kerze spähte. Sie war nun ganz weit weg. Ihr Gesicht wurde mit jedem Hauch zuckend angestrahlt, und dessen Farbe wechselte zwischen feuerrot und schwarz.
»Ihr sagtet, dass nur ich fahre. Aber was ist mit Euch, wenn die französischen Truppen bald hier sein werden?«
Ein Lächeln spielte auf Gräfin Helens Lippen und ließ ihr Gesicht noch faltiger aussehen. »Ich habe hier noch einiges zu erledigen. Immerhin unterstehen mir mehrere Dörfer, und diese werde ich in diesen Zeiten nicht alleinlassen. Außerdem kannst du mir glauben, dass die Soldaten eher Interesse an einem jungen Mädchen haben als an einer alten Frau.«
Jasmin wollte etwas sagen, die Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, aussprechen, doch es waren einfach zu viele.
»Du wirst ohne mich reisen«, sagte die Gräfin schließlich. »Damit ist das letzte Wort gesprochen. Und jetzt geh nach oben und packe deine Sachen, mein Kind. Es wird eine kurze Nacht und ein anstrengender Tag werden.«
Sie war unfähig, sich zu bewegen. Tonnenschwer lastete der Gedanke an ihre Abreise auf ihren Gliedern.
»GEH!«, schrie die Dame so laut, dass Jasmin erschrak und das Besteck fallen ließ.
Sie hörte sich selbst gepresst atmen, als sie die Nase hochzog, schließlich aufstand und eilig die Treppe nach oben rannte.
In ihrem Schlafgemach angekommen, schloss sie leise die Tür, dann brachen alle Dämme. Die Beine wollten das Gewicht ihres Körpers nicht mehr tragen, und so knickte sie schluchzend, den Rücken gegen die Tür gelehnt, zusammen. Heiße Tränen sammelten sich auf ihrem roten Rock und färbten einige Stellen dunkel. Die Hände vor das Gesicht geschlagen, meinte sie für eine Sekunde nicht nur ihr eigenes Wehklagen zu hören, sondern auch das bitterliche Weinen von jemandem im Untergeschoss.
Sie hatte gepackt, obwohl sie nicht wusste, ob sie die dicken, ledernen Koffer auch benutzen wollte. Achtlos hatte Jasmin sie vollgestopft, und nun drohten die Nähte an den Verschlägen zu platzen. Sie hatte eines ihrer besten Kleider angezogen und saß nun still auf einem der dicken Gepäckstücke, während die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster fielen und den Tag ankündigten. Der goldene Stoff schmiegte sich seidig wie eine zweite Haut an ihren zierlichen Körper und drückte ihren Busen zusammen, so dass er noch üppiger aussah. An den Schultern wurde das Kleid lediglich von wenigen Schnüren zusammengehalten, die den Blick auf ihren Nacken preisgaben und einige verspielte Strähnen, die sich aus der hochgesteckten Frisur gelöst hatten. Die passenden Handschuhe lagen auf ihrem Knie und warteten darauf, übergestreift zu werden. Sie hatte sich für eine schlichte Halskette entschieden, die den Weg in ihr weit ausgeschnittenes Dekolleté wies.
Sie hörte die trippelnden Schritte der Gräfin bereits auf dem Treppenabsatz. Doch als diese an der Schwelle ihrer Tür stand, war sie sich immer noch nicht im Klaren, was sie sagen wollte.
»Bist du fertig, mein Kind?«
Sie erwiderte nichts.
»Jasmin? Ich habe dich etwas gefragt.«
»Ich weiß es nicht, Frau Gräfin.«
Die Dame nickte verständnisvoll. »Abschiede fallen mir auch nicht leicht, aber für dich ist es das Beste. Es ist Zeit zu gehen.«
Ihre Worte waren versöhnlich und so süß wie Honig. Nebenbei wies sie die beiden Bediensteten mit einer Handbewegung an, die Koffer auf die Kutsche zu laden. Trotzig blieb Jasmin sitzen und würdigte das geschäftige Treiben um sie herum keines Blickes. Mit den verschränkten Armen sah sie beinahe aus wie ein kleines Kind, das sein Gemüse nicht essen wollte. Die Lippen zu einem feinen Strich geformt, beobachtete die Gräfin das Schauspiel mit hochgezogenen Augenbrauen, bis alle anderen Koffer verladen waren. Nur der, auf dem die junge Dame saß, fehlte noch. Schließlich wurde es der alten Frau zu bunt. »Steh auf, Jasmin«, befahl sie leise. Ihre Stimme war wie dünnes Eis – kalt und doch zerbrechlich.
»Und wenn ich nicht will?«
»Dann wirst du es trotzdem machen müssen.«
Noch war ihr Ton ruhig, allerdings wusste Jasmin, dass sich dies innerhalb von wenigen Augenblicken ändern konnte.
»Ist es nicht meine Entscheidung, genau so, wie es die Eure ist, hierzubleiben und sich diesem Irrsinn auszusetzen?«
Plötzlich verwandelten sich die sonst so feinen Gesichtszüge der älteren Frau zu einer zornigen Grimasse. Sie stürzte so schnell auf das Mädchen zu, dass dieses gar nicht mehr reagieren konnte, als es am Arm gepackt und mit festem Griff aus dem Zimmer gezogen wurde.
»Ich habe es deiner Mutter versprochen!«, keifte die Dame. »Und dieses Versprechen werde ich halten. Koste es, was es wolle. Ich werde dich gut verheiraten!«
Mit einem kräftigen Ruck riss Jasmin sich los. »Ich kenne meine Mutter nicht einmal«, giftete sie schwer atmend. »Euer Versprechen hat längst keine Gültigkeit mehr. Warum ist es Euch so wichtig?«
Sie hatte noch nie ihre Stimme gegen die Gräfin erhoben und war von ihrer durchdringenden Intensität selbst überrascht. Sie erwartete zumindest eine Ohrfeige. Zu ihrer Überraschung passierte nichts dergleichen. Nur wenige Zoll auseinanderstehend, funkelten sich die beiden Frauen an. Die Unterlippe der Dame zitterte, während ihr Blick mit jeder Sekunde an Kraft verlor, bis sie ihr Antlitz schließlich abwandte.
»Weil auf meinen Schultern eine Schuld lastet, eine Pflicht, die ich sonst nicht erfüllen kann.«
»Wovon redet Ihr?«
Tränen sammelten sich in Gräfin Helens Augen, als sie bebend und mit Bedacht die Worte aussprach. »Ich bin dafür verantwortlich, dass deine Eltern sich damals trennten. Ich hatte eine Liebschaft mit deinem Vater und trage die Schuld daran, dass er daraufhin wieder nach Frankreich zurückkehrte und auf dem Schlachtfeld starb.« Ihre Stimme ging in ein Schluchzen über, und sie suchte kraftlos am Türrahmen Halt. »Als deine Mutter krank wurde, habe ich geschworen, mich um dich zu kümmern und dich gut zu verheiraten. Dir sollte es an nichts mangeln.«