Finch, Paul Angstbringer

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Übersetzung aus dem Englischen von Bärbel und Velten Arnold

 

© Paul Finch 2018
Titel der englischen Originalausgabe
»Kiss of Death «, Avon, London 2018
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2019
Covergestaltung: zero-media.net, München
Covermotiv: Finepic®, München

 

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Prolog

»Okay, die Sache läuft folgendermaßen ab. Passen Sie jetzt auf, Brian. Passen Sie ganz genau auf.«

Es war der Ältere, der mit ihm sprach, derjenige, der sich während der ganzen Nacht als so unbeschreiblich niederträchtig erwiesen hatte.

Es war merkwürdig, aber wenn man Brian Kelso vor nur einem Tag gefragt hätte, welchen von den beiden Schwerkriminellen er für den hemmungsloseren, gewalttätigeren halten würde – den älteren oder den jüngeren –, hätte er auf jeden Fall auf den jüngeren getippt.

Doch die vergangenen neun Stunden hatten nicht nur seine Meinung im Hinblick auf diese Frage geändert – sie hatten alles geändert.

»Hören Sie mich?«, fragte die kehlige Stimme.

Es schien ihm so, als ob der Kerl aus East Yorkshire stammte. Kelso nahm sich erneut vor, sich das zu merken, damit er der Polizei irgendeinen Anhaltspunkt geben konnte, aber erst mal mussten er und Justine dieses Martyrium überleben.

»Ja, ich höre«, sagte er in das nicht rückverfolgbare Einweghandy, das sie ihm gegeben hatten.

»Fahren Sie auf der Welton Road in Richtung Norden aus der Stadt heraus. Kennen Sie diese Straße?«

»Ja, die kenne ich.«

»Wenn Sie die Kreuzung Welton Road/Horncastle Lane erreichen, sehen Sie eine Bushaltestelle. Bremsen Sie dort ab, und halten Sie an. Da erhalten Sie weitere Instruktionen.«

»Okay.«

»Bevor Sie losfahren, noch eine Frage: Wie viel konnten Sie einsacken?«

»Äh.« Brians Mund, der sich sowieso schon anfühlte wie Schmirgelpapier, nachdem er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mal einen Schluck Wasser getrunken hatte, wurde noch trockener. Er warf einen kurzen Blick über seine Schulter auf die vier schweren Taschen mit den zugezogenen Reißverschlüssen, die auf der Rückbank seines Peugeots festgeschnallt waren. »Ungefähr zweihundert, glaube ich.«

Es folgte ein ausgedehntes Schweigen.

»Zweihundert?«, kam schließlich die Antwort. »Ich dachte, wir hätten uns auf mindestens dreihundert geeinigt.«

»Hören Sie, ich war schließlich ganz alleine. Ich hatte höchstens eine Stunde, bis das sonstige Personal eingetrudelt wäre. In der verfügbaren Zeit habe ich so viel zusammengerafft, wie ich konnte. Außerdem werden in der Zweigstelle Dunholme sowieso keine Unmengen Bargeld vorrätig gehalten.«

»Dann wird das wohl reichen müssen.« Die Tonlage ließ deutliche Verstimmung erkennen. »Aber ich bin nicht zufrieden mit Ihnen, Brian. Überhaupt nicht.«

Die Verbindung wurde beendet.

»Einen Moment noch!«, rief Brian. »Bitte! Geht es Justine gut?«

Dröhnende Stille schlug ihm entgegen.

Er schaffte es, den Leidensschrei zu unterdrücken, der im Begriff war, seiner Kehle zu entweichen, als wäre er Ausdruck eines real empfundenen physischen Schmerzes, warf das Handy neben sich auf den Beifahrersitz und sank verzweifelt vornüber. Seine Stirn schlug auf das Lenkrad.

Justine, mit der er seit zwölf Jahren verheiratet war, hatte noch nie in ihrem Leben jemandem etwas zuleide getan. Sie war gutmütig und gutherzig und nörgelte nur selten an ihm herum oder wies ihn zurecht, obwohl es durchaus Gelegenheiten gegeben hatte, bei denen sie ihm mit gutem Grund den Kopf hätte waschen können. Obwohl sie zutiefst bekümmert gewesen war, als sie erfahren hatte, dass sie keine Kinder bekommen konnte, hatte sie sich davon nicht herunterziehen lassen. Stattdessen hatte sie ihr Leben entschlossen weitergelebt und die gähnende Leere, die ihnen beiden nach dieser traurigen Offenbarung gedroht hatte, mit ihrer übersprudelnden Persönlichkeit und ihrer beflissenen Geschäftigkeit gefüllt. Sie kümmerte sich penibel und hingebungsvoll um sich selbst, um ihn und um ihr frei stehendes Haus mit den vier Schlafzimmern und sorgte dafür, dass dort immer alles blitzblank war.

Und jetzt hatten diese Mistkerle … Sie hatten …

Brian schüttelte den Kopf. Heiße, salzige Tränen rannen ihm über die Wangen, während er alle Mühe hatte, auf der vereisten Market Rasen Road die Kontrolle über seinen Wagen zu behalten. Was auch immer bei dem Ganzen herauskam, er wusste, dass er das Bild, das sich in sein geistiges Auge eingebrannt hatte, nie vergessen würde: das Bild seiner geliebten Seelenverwandten, splitternackt wie ein X mit gespreizten Armen und Beinen mit ihrer eigenen Strumpfhose an das untere Treppengeländer gefesselt, mit herabhängendem Kopf, das kastanienbraune Haar lose in langen, verklebten Strähnen herunterbaumelnd, ihr schlanker, marmorweißer Körper mit Blutergüssen übersät und blutverschmiert.

»Eins müssen Sie verstehen«, hatte der Ältere irgendwann gegen drei Uhr morgens gesagt, als Brian steif und in Schweiß gebadet auf dem Esszimmerstuhl saß, den sie in die Diele gebracht hatten und auf dem sie ihn mit dem Staubsaugerkabel gefesselt hatten, damit er zusehen konnte. »Wir hätten nichts von alledem Ihnen antun können. Denn kurz vor Sonnenaufgang müssen Sie wie an jedem normalen Tag in Ihrem besten Anzug mit den Schlüsseln in der Tasche in die Bankfiliale spazieren, die Sie leiten. Nur ein bisschen früher als sonst, aber auch nicht viel früher, und auf keinen Fall in einem Zustand, der bei jemandem, der Sie sieht, irgendeinen Verdacht erregen könnte. Doch wir mussten Ihnen trotzdem unmissverständlich klarmachen, was Ihnen blüht, wenn Sie versuchen sollten, uns reinzulegen. Mein junger Kumpel hier wird auf dem Weg zur Bank hinter Ihnen herfahren. Und er wird vor dem Eingang der Bank auf der gegenüberliegenden Seite parken und dort warten, bis Sie hineingegangen sind. Ich würde sagen, bis zu diesem Moment kann man mit Fug und Recht behaupten, dass wir Sie voll unter Kontrolle haben. Aber wir geben uns keinen Illusionen hin: Wenn Sie erst einmal drinnen sind, sieht die Sache anders aus. Nichts kann Sie davon abhalten, ans nächste Telefon zu gehen und die Bullen anzurufen. Nichts außer dem Wissen, dass wir Ihre bessere Hälfte noch in den Händen haben. Und nichts außer dieser hässlichen, kleinen, nagenden Stimme in Ihrem Hinterkopf, die unentwegt fragt: Wenn die beiden sie so behandelt haben, ohne dass ich ihnen irgendwelchen Kummer bereitet habe, was in Gottes Namen werden sie ihr antun, wenn ich versuche, sie reinzulegen?«

Brian schauderte, als er sich diese kalten, reptilienartigen Augen in Erinnerung rief, die ihn durch die beiden Schlitze der hellgrünen Sturmhaube fixiert hatten. Es war nicht allzu schwer, sich vorzustellen, dass sich hinter diesen Augen nichts Menschliches befand.

»Also werden Sie nicht versuchen, irgendeine Dummheit zu begehen, oder?«

»Ich schwöre es«, hatte der gefesselte Brian gesagt. »Aber ich flehe Sie an: Bitte tun Sie ihr nicht noch mehr an.«

»Wissen Sie was, Brian? Ich glaube tatsächlich, dass ich Ihnen vertrauen kann.« Das hätte überzeugender gewirkt, wenn der Ältere Brians rechter Schläfe nicht einen derart kräftigen Schlag mit seiner Pistole verpasst hätte, dass Brians Kopf heftig zur Seite geschleudert wurde. »Geben Sie mir bloß keinen verdammten Anlass, mein Vertrauen zu enttäuschen. Wenn Sie das nämlich tun, wird was absolut Unvorstellbares passieren.«

Als er auf der Welton Road war, war es schon nach acht. Die Eisnebelschleier verflüchtigten sich, und es klarte auf, was den beiden Verbrechern sicher entgegenkam, denn sie hatten mehrfach klargestellt, dass sie ihn genau im Auge haben und Ausschau nach jedem Anschein von etwas Unnormalem halten würden, wie zum Beispiel einem ungewöhnlichen Interesse der sogenannten Ordnungshüter an seinen Aktivitäten oder einem unweit von seinem Auto fliegenden Hubschrauber. Allerdings war so etwas nicht zu erwarten, denn Brian war beim Betreten der Bank zwar kurz versucht gewesen, die Polizei anzurufen, hatte es dann aber sein lassen. Wozu hätte das auch gut sein sollen? In der kurzen verfügbaren Zeit hätten sie nichts anderes tun können, als schnell ein paar uniformierte Beamte zu seinem Haus und zu der Bank zu schicken, was nichts gebracht hätte, da der ältere Verbrecher sich wahrscheinlich nicht mehr in seinem Haus aufhielt und der jüngere Brian zwar bis zur Bank gefolgt, dann aber verschwunden war. Wahrscheinlich verbarg er sich irgendwo in der Nähe und beobachtete ihn. Die beiden hätten sich relativ leicht aus dem Staub machen und Justine problemlos mitnehmen können. Und das wäre ihr Ende gewesen.

Also hatte Brian getan, was von ihm verlangt worden war.

Natürlich hatte er das getan.

Aber er hatte keine Ahnung, was ihn als Nächstes erwartete.

Als er sich der Kreuzung Welton Road/Horncastle Lane näherte, sah er die Bushaltestelle, an der jedoch niemand wartete. Die Rush Hour war zwar in vollem Gang, wovon der zunehmende, immer dichter werdende Verkehr kündete, doch dies war eine ländliche Gegend, und die wenigen Pendler, die in den verstreuten Dörfern wohnten, zogen es vor, mit dem eigenen Auto zur Arbeit zu fahren.

Bevor Brian am Morgen aufgebrochen war, hatten sie seinen Wagen nach einem Tracker abgesucht und ihn gewarnt, dass sie ihn, nur für den Fall, dass er es irgendwie geschafft haben sollte, sich zu verdrahten und der Polizei heimlich Informationen zukommen zu lassen, an der Übergabestelle erneut untersuchen würden. Sollten sie dabei fündig werden, würde er seine Frau nie wiedersehen. Genau genommen würde er gar nichts mehr wiedersehen, da man ihn auf der Stelle erschießen würde. Seine Lieblingsmethode, hatte der Ältere klargestellt, sei ein Nackenschuss.

Wäre die Situation nicht so schlimm gewesen, hätte Brian gelacht. Ein Tracker? Ein verborgener Minisender? Sie überschätzten eindeutig die Möglichkeiten, die Filialleitern von Banken dieser Tage zur Verfügung standen, aber die Botschaft war trotzdem klar: Sie würden kein Risiko eingehen und keine Sekunde lang dulden, dass er irgendetwas Falsches tat.

Er versuchte, lieber nicht daran zu denken, fuhr auf den Parkstreifen gegenüber der Bushaltestelle, schaltete den Motor aus und wartete. Während die Sekunden verstrichen, wurde er zusehends nervöser.

Er stand nicht unter Zeitdruck, aber er nahm an, dass die beiden Verbrecher bestimmt nicht wollten, dass sich das Ganze unnötig lange hinzog, und je länger es dauerte, desto angespannter und gefährlicher würden sie werden. Aber wie sollte es jetzt weitergehen? Bestimmt hätte inzwischen jemand aufkreuzen sollen. Er dachte an den Jüngeren, der ihm zur Bank gefolgt war. Aber vielleicht spielte er in dem Plan, den sie ausgeheckt hatten, inzwischen eine andere Rolle. Bei ausgestelltem Motor wurde es im Inneren des Wagens schnell immer kälter. Brian streifte sich seine ledernen Autohandschuhe über und zog den Reißverschluss seines Anoraks über seinem zerknitterten Anzug zu. Er hatte am Morgen versucht, sich angemessen zu kleiden, aber angesichts der Umstände war daran nicht zu denken gewesen.

Draußen glitt mit dem trägen Strom der dahinrollenden Autos ein Streifenwagen der Verkehrspolizei vorbei. Brian sank in sich zusammen und konnte dem Drang widerstehen, sich zu ducken, um von draußen nicht mehr zu sehen zu sein. Er betete leise, dass sie nicht umdrehten und hinter ihm hielten, um sich zu erkundigen, ob er ein Problem habe, das ihn genötigt hatte, auf den Parkstreifen zu fahren. Wenn ihn einer der beiden Verbrecher beobachtete und das sah, würden sie ihm nie und nimmer glauben, dass es ein Zufall war.

Gott sei Dank passierte das nicht, doch der bloße Anblick des Polizei-Range-Rovers mit dem grellen blau-gelben Schachbrettmuster an den Seiten sorgte dafür, dass Brian erneut von einem Anfall von Verzweiflung befallen wurde. Er leitete die Bankfiliale seit fünfzehn Jahren, aber er hatte keine Ahnung, wie man das, was er getan hatte, sehen würde, wenn alles vorbei war. Die Leute würden doch sicher verstehen, dass er unter Zwang gehandelt hatte, oder? Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er der Bank, die er selber leitete, 200 000 Pfund gestohlen hatte. Und was war, wenn die Verbrecher davonkamen? Woher sollten die Leute wissen, dass er nicht mit ihnen unter einer Decke steckte? Die Tatsache, dass Justine so brutal behandelt worden war, würde für sich allein nicht ausreichen, diesen Verdacht aus der Welt zu schaffen. Also stünde er am Ende mindestens als Verdächtiger da.

Er richtete sich auf und ließ seinen Blick umherschweifen, um zu sehen, ob es irgendetwas gab, worauf er hätte reagieren müssen und das ihm entgangen war.

Zu seiner Linken gab es einen Zaunübertritt und dahinter ein Feld, das jetzt, da der Nebel sich gelichtet hatte, flach und weiß dalag. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war das Haltestellenhäuschen und dahinter eine Gruppe Bäume, deren blattlose Äste von weißem Frost überzogen waren.

Sein Blick wanderte über das Haltestellenhäuschen – und da fiel ihm etwas ins Auge.

Es war ihm schon bei seiner Ankunft ins Auge gefallen, aber er hatte es nicht weiter beachtet. Von der Straßenseite gegenüber sah es nur nach einem einfachen Blatt Papier in einer schäbigen Plastikhülle aus, die an den Pfosten mit dem Fahrplan geklebt worden war. Er hatte gedacht, dass es etwas mit einem Erneuerungsvorhaben in der Gegend zu tun hatte, dass es eine Aufforderung an die Anwohner war, Vorschläge einzureichen, oder etwas in der Art. Doch jetzt stieg er aus dem Wagen, schlängelte sich durch die langsam fahrenden Autos und überquerte die Straße. Als er die Bushaltestelle erreichte, sah er, dass auf dem Blatt eine Botschaft stand, die aus ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben zusammengesetzt war:

FAHREN SIE DIE HORNCASTLE ROAD IN RICHTUNG NORDEN

DAS IST OFFENES GELÄNDE

WIR BEOBACHTEN SIE

WENN WIR IRGENDEIN ANZEICHEN SEHEN

DASS SIE BEGLEITET WERDEN

WISSEN SIE WAS PASSIERT

BRINGEN SIE DIESE NACHRICHT UND DIE PLASTIKHÜLLE MIT

 

Brian riss die Plastikhülle ab, eilte zurück zu seinem Wagen, stieg schnell ein, setzte sich hinters Lenkrad und reihte sich bei der ersten Gelegenheit in den Verkehr ein. Er bog auf die Horncastle Road und fuhr in Richtung Norden. Die Anweisung war ziemlich vage, aber absurderweise fühlte er sich erleichtert, beinahe so, als ob sich das ganze Desaster auf einmal für ihn gelöst hätte.

Wie die Botschaft klarstellte und er sowieso bereits gewusst hatte, befand er sich in einem ausgedehnten landwirtschaftlich genutzten Gebiet. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich bis zum Horizont viele Hektar große Felder, die unter einer winterlichen weißen Schneedecke lagen. Die Sonne war inzwischen aufgegangen und stand tief im Osten, ein blasser aschgrauer Kreis am Horizont. Der Himmel war wolkenlos, jedoch in dieser schaurigen, für Januartage typischen Weise absolut farblos. Auf einmal hatte Brian das Gefühl, als ob er den Trubel des morgendlichen Berufsverkehrs weit hinter sich gelassen hätte. Auf dieser ruhigeren Straße gab es kaum noch andere Verkehrsteilnehmer.

Das Handy klingelte, und er rammte es sich ans Ohr.

»Brian Kelso.«

»Ich weiß, dass Sie es sind«, entgegnete die ihm bereits vertraute, selbstbewusste Stimme. »Bisher waren Sie ein braver Junge. Wie’s aussieht, kommen wir tatsächlich ins Geschäft, oder was meinen Sie?«

»Das hoffe ich sehr. Können Sie mir bitte sagen, wo Justine ist? Geht es ihr gut?«

»Es ist gut, dass Sie sich Gedanken um Ihre Frau machen, Brian. Ich wusste, dass Sie das tun würden. Deshalb war unser Plan von Anfang an idiotensicher. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen. Sie werden sie wiedersehen. Befolgen Sie einfach nur weiter exakt unsere Anweisungen, dann wird alles gut.«

»Okay. Bringen wir das Ganze hinter uns.«

»Biegen Sie bei der nächsten Möglichkeit links ab.«

Allein das war unheimlich. Es bedeutete, dass sie ihn tatsächlich beobachteten. Von wo aus nur? Vielleicht standen Sie mit einem Fernglas auf dem Dach einer Scheune. Aber wo auch immer sie steckten – sie waren verdammt gut organisiert.

»Und wo führt mich diese Abzweigung hin?«

»O nein.« Die Stimme verhärtete sich. »Jetzt verbocken Sie es nicht, indem Sie dumme Fragen stellen. Ich dachte, wir wären bereits übereingekommen, dass wir Sie durchsuchen, sobald wir uns wieder treffen. Nur um auf Nummer sicher zu gehen, dass Sie und der freundliche Polizist, der in Ihrem Viertel Dienst schiebt, es nicht auf wundersame Weise geschafft haben, Sie heimlich mit einem Kommunikationsgerät auszustatten.«

»So was habe ich nicht getan«, platzte Brian heraus. »Ich bitte Sie. Ich war nur zehn Minuten in der Bank. Wie hätte so was in der kurzen Zeit wohl arrangiert werden sollen? Außerdem haben Sie mich doch die ganze Zeit beobachtet, oder? Sie hätten doch gesehen, wenn ein Polizist vor der Bank vorgefahren wäre.«

Es folgte ein langes abschätzendes Schweigen. Und dann: »Wie gesagt: Biegen Sie bei der nächsten Möglichkeit links ab.«

Damit war die Verbindung beendet.

Brian schauderte und hatte kurz das Gefühl, sich übergeben zu müssen, doch stattdessen trat er aufs Gaspedal und beschleunigte von 65 auf 80 Stundenkilometer. Wie angewiesen, bog er nach links ab, allerdings in waghalsigem Tempo. Erst nach einigen Sekunden schaltete sich sein gesunder Menschenverstand wieder ein, und er drosselte das Tempo wieder. Die Gegend mochte zwar einsam und verlassen erscheinen, aber er wollte auf keinen Fall die Aufmerksamkeit eines trägen Polizisten erwecken, der in der tiefsten Provinz herumgurkte, um vielleicht irgendeinen jungen Raser zu erwischen, der die Gegend mit einem getunten Wagen unsicher machte.

Er fuhr etwas vorsichtiger gut fünf Kilometer weiter und passierte zu seiner Rechten ein Bauernhaus, das jedoch mit Brettern vernagelt war. Für einen kurzen Moment stieg seine Anspannung, weil er das Haus für einen möglichen Übergabeort hielt. Doch er ließ den alten Bauernhof schnell hinter sich und fuhr immer weiter nach Norden. Das Handy blieb immer noch still.

»Na los, komm schon«, murmelte er leise vor sich hin. Er war panisch und gleichzeitig frustriert. »Bitte, Herr im Himmel, mach, dass das schnell vorbei ist.«

Das Handy summte. Er nahm es hastig in die Hand und sah, dass er eine SMS erhalten hatte:

An der nächsten Abbiegung rechts

Der Wagen wärmte sich wieder auf, aber der Schweiß auf seiner Stirn hatte nichts mit der Temperatur zu tun.

Bei der nächsten Gelegenheit bog er nach rechts ab und achtete im ersten Moment überhaupt nicht auf die Bedingungen. Der Peugeot rutschte seitlich über die Fahrbahn, die von so einer dicken Eisschicht überzogen war, dass die Straße aussah, als wäre sie doppelt verglast. Er fand sich auf einer einspurigen Piste wieder, die nicht einmal asphaltiert war. Die Räder ruckelten und hüpften über steinharte Traktorspuren. Ihm wurde bewusst, dass er immer weiter von der Zivilisation weggelockt wurde, und der Gedanke machte ihm Angst. Aber wahrscheinlich war das von Anfang an einer der Gründe gewesen, weshalb die Verbrecher die Filiale in Dunholme ausgewählt hatten. Er war ein Niemand, nur ein stinknormaler Filialleiter, aber die Bank, die er leitete, befand sich am Rand einer ausgedehnten ländlichen Gegend, in der es die Räuber leicht haben würden, schnell zu verschwinden und abzutauchen. Was ein weiterer Beweis dafür war, wie gut die ganze Sache geplant worden war. Doch all das spielte im Moment keine Rolle. Sein überwältigendes Verlangen, Justine wieder in den Armen zu halten – wenn auch zweifellos zitternd und wimmernd, mit vor Kälte klappernden Zähnen und vor Schreck wie gelähmt, aber immerhin in Sicherheit –, machte all seine Bedenken hinsichtlich der einsamen Gegend hinfällig.

Vor sich konnte er Bäume sehen. Kein richtiger Wald, eher ein Wäldchen. Die schmale Piste führte schnurgerade mitten durch das Wäldchen hindurch.

Ob das der Übergabeort war? Es war seit etlichen Minuten die erste Veränderung der Landschaft in dieser trostlosen Gegend. Das hatte doch bestimmt etwas zu bedeuten. Als er in das Wäldchen hineinfuhr und die Piste beidseitig von Bäumen gesäumt war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, wieder aufs Gas zu treten. Der Wagen hüpfte auf dem zerfurchten, hart gefrorenen Untergrund hin und her, und um ein Haar wäre er frontal gegen den weiß angemalten Pfahl gefahren, auf dem das Schild mit dem roten Kreis thronte und der mitten auf der Piste einbetoniert worden war.

Als der Peugeot schließlich zum Stehen kam, nachdem er beinahe zwanzig Meter weit gerutscht war, stand das Schild direkt vor ihm. Über der Motorhaube war nur noch die Scheibe mit dem roten Kreis zu sehen, in deren Mitte in schwarzen Lettern ein einziges Wort stand:

STOP

Brian stieg aus und stellte sich neben seinen Wagen. Sein Atem bildete in der eisigen Luft Wölkchen.

Im ersten Moment war nichts zu hören. Er blickte nach rechts und nach links und sah zu seiner Überraschung, dass er auf einer schmalen Brücke gehalten hatte. Er hatte sich so auf das Stoppschild konzentriert, dass er die verrotteten, dünnen Geländer zu seinen Seiten gar nicht wahrgenommen hatte. Die Brücke machte einen recht kümmerlichen Eindruck. Wie es aussah, führte sie an keinen speziellen Ort. Wahrscheinlich war sie für Vieh bestimmt.

»Brian!«, ertönte eine schroffe Stimme.

Er drehte sich einmal um sich selbst.

»Brian!«, rief die Stimme erneut, und diesmal wurde ihm klar, woher sie kam. Er ging vorne um seinen Peugeot herum zu dem Geländer auf der linken Seite.

Gut sechs Meter unter sich sah er einen Einschnitt, auf dem, wie er vermutete, einmal eine Eisenbahntrasse verlaufen war, der jedoch inzwischen offenbar als Feldweg genutzt wurde, denn fast unmittelbar unter ihm befand sich die Ladefläche eines Pritschenwagens. Der Fahrer, der jüngere der beiden Verbrecher, der größer und schlanker war als der ältere, jedoch vor allem deshalb eindeutig zu identifizieren war, da er im Gegensatz zu seinem älteren Kumpan keine grüne Sturmhaube trug, sondern eine schwarze, war aus der Fahrerkabine gestiegen.

»Werfen Sie die Kohle runter!«, rief er nach oben. »Und zwar jetzt!«

»Wo ist meine Frau?«, rief Kelso zurück.

»Werfen Sie die Kohle jetzt runter, oder Sie werden sie nie wiedersehen.«

»Mein Gott, von mir aus!«

Brian ging zurück zu seinem Wagen und trug eine prall gefüllte Tasche nach der anderen zum Geländer und warf sie nach unten. Jede Tasche landete mit einem lauten Rums auf der Ladefläche und brachte den ganzen Wagen zum Schaukeln. Aus einer Höhe von sechs Metern entfalteten fünfzig Riesen in gebrauchten Scheinen eine ziemliche Wucht. Das war dem jüngeren Räuber offenbar sehr wohl bewusst, denn für den Fall, dass eine der Taschen ihr Ziel verfehlte, war er ein Stück weit zurückgetreten. Doch als alle vier Taschen gelandet waren, ließ er schnell die hintere Ladeklappe herunter, sprang auf die Ladefläche, öffnete von zwei Taschen die Reißverschlüsse und prüfte den Inhalt. Dann stieg er von der Ladefläche herunter, schloss die Klappe wieder und huschte zur Fahrerkabine.

»He!«, rief Brian. »He! Was ist mit meiner Frau?«

Der Typ drehte sich nicht mal um. Er knallte die Fahrertür hinter sich zu, der Motor erwachte zum Leben, und im nächsten Moment bretterte der Wagen den Einschnitt entlang, vereistes Laub und Klumpen gefrorener Erde hinter sich aufwühlend.

»Was zur Hölle?« Ihm versagte beinahe die Stimme. »O mein Gott. Gott, Allmächtiger!«

»He«, ertönte eine Stimme hinter ihm.

Brian wirbelte herum und sank beim Anblick des älteren Verbrechers beinahe vor Dankbarkeit in sich zusammen. Er war offenbar zwischen den Bäumen hinter dem Schild hervorgekommen und kam auf Brian zu.

Er trug immer noch einen Overall, dicke Handschuhe und eine grüne Sturmhaube.

Und wie bei ihrer letzten Begegnung hatte er seine Pistole gezogen.

»Ich habe alles genauso gemacht, wie Sie es von mir verlangt haben«, sagte Brian und taumelte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. »Das konnten Sie ja mit eigenen Augen sehen.«

Der Verbrecher zielte mit der Pistole auf Brians Brust. »Stimmt, Sie haben es genauso gemacht, wie Sie sollten.«

Brian blieb schwankend stehen. »Gut, dann lassen Sie uns dieses Spielchen jetzt bitte beenden. Geben Sie mir einfach Justine.«

»Sieh an, Sie machen sich Sorgen um Ihre Frau, was?«

Obwohl er sich mit aller Kraft zusammenriss, um sich zu beherrschen, nahm Brians Stimme einen weinerlichen, gequälten Ton an. »Bitte tun Sie das nicht. Sagen Sie mir einfach, wo sie ist.«

»Na, da, wo sie die ganze Zeit war. Bei Ihnen zu Hause. Warum hätten wir sie mitnehmen sollen?«

»Gut. Dann war’s das also, oder?«

»Ja, das war’s.« Doch der Gangster senkte seine Pistole nicht.

Brian war verwirrt. »Dann kann ich also gehen?«

»Scharf darauf, sie wiederzusehen, was?«

»Was glauben Sie denn! Lassen Sie mich einfach gehen, und dann fahre ich zurück.«

»Nein. Ich kann Sie auf einem schnelleren Weg zu ihr schicken.«

»Was?« Nach dieser furchtbaren Nacht des Horrors hatte Brian gedacht, dass er für den Rest seines Lebens gegen jegliche Art des Schreckens immun sein würde, doch in diesem Moment verspürte er eine tiefere, quälendere Angst als jemals zuvor. »Was meinen Sie damit?«

Der Blick dieser furchterregenden Augen wurde noch intensiver. Brian stellte sich vor, dass der Mistkerl unter seiner Sturmhaube grinste. Ein irres, wahnsinniges Halloweenkürbisgrinsen.

»O nein«, brachte Brian wimmernd hervor. »O nein.«

»O doch«, entgegnete der maskierte Verbrecher kichernd und feuerte zwei Kugeln in die Brust des Bankfilialleiters.

Kapitel 1 

Heute

Die St-Pauls-Kirche von Little Milden befand sich in einer ländlichen Oase ein Stück außerhalb des kleinen Dorfes in Suffolk. Vom Dorf bis zur Kirche waren es gut zehn Minuten zu Fuß. Sie lag an einer ruhigen Landstraße, die eigentlich die beiden fernen Ballungsgebiete Ipswich und Sudbury miteinander verband, doch in Wahrheit war auf der Straße nicht viel los. Sie wurde von leicht hügeligen Wäldern und ausgedehnten Feldern gesäumt, die im Spätsommer bis zum Horizont Blicke über ein goldenes Meer von sonnengereiftem Weizen freigaben.

An diesem malerischen Plätzchen herrschte eine Atmosphäre des ungestörten Friedens. Selbst Menschen, die sich nicht zur Religion hingezogen fühlten, dürfte es schwerfallen, an diesem Ort irgendeinen Mangel zu entdecken. Man hätte sogar meinen können, dass dort niemals etwas Schlimmes passieren könnte – wären da nicht die Ereignisse eines bestimmten späten Juliabends gewesen, etwa vierzig Minuten nach dem Ende der Abendandacht.

Es ging los, als der große, dunkelhaarige Pfarrer aus dem Pfarrhaus trat und an der Zaunpforte stehen blieb. Er war etwa Mitte dreißig, eins neunzig groß und von beeindruckender Statur: quadratische Schultern, breite Brust und kräftige, von der Sonne gebräunte Arme, die er vor seinem rosafarbenen, kurzärmeligen Hemd verschränkt hatte. Er hatte volles schwarzes, lockiges Haar, ein markantes Kinn, eine gerade Nase und verschmitzt funkelnde blaue Augen. Wer ihm auf der Straße begegnete, mochte es vielleicht merkwürdig finden, dass so ein durch und durch maskulines Exemplar von einem Mann seine Berufung darin gefunden hatte, den Talar zu tragen. Es war zumindest nicht ganz ausgeschlossen, dass einige seiner weiblichen Gemeindemitglieder von seinem Aussehen abgelenkt wurden und ihn von den Kirchenbänken aus eher anhimmelten, anstatt seinen Predigten zuzuhören, doch an diesem Abend war er es, der von etwas abgelenkt worden war.

Und da war es schon wieder.

Ein dritter oder vierter schwerer Schlag, der hinter der Kirche ertönte.

Im ersten Moment fragte der Pfarrer sich, ob es vielleicht das Echo der Arbeiten in einer fernen Werkstatt war, das die warme Sommerluft zu ihm trug. Von der Südseite der Kirche aus konnte man am fernen südlichen Rand des angrenzenden Weizenfeldes das Dach von Bauer Holbrooks Scheune sehen. Doch das war das einzige Gebäude weit und breit, und es war eher unwahrscheinlich, dass dort an einem ruhigen Montagabend noch schwer gearbeitet wurde.

In dem Moment ertönte etwas, das klang wie ein fünfter Schlag, doch diesmal klang er entschiedener, intensiver und lauter, als ob er mit Wut ausgeübt worden wäre. Der Pfarrer öffnete die Pforte, trat auf den Pfad und steuerte die nordwestliche Ecke der Kirche an. Als er sie erreichte, hörte er einen weiteren Schlag. Und dann noch einen und noch einen.

Diesmal wurden die Schläge von einem Krachen begleitet, einem Geräusch von zersplitterndem Holz.

Er eilte zur südwestlichen Ecke der Kirche. Es folgte ein weiterer Schlag, diesmal begleitet von einem Ächzen, als ob sich jemand gewaltig anstrengte.

Unmittelbar an der Südseite der Kirche befand sich ein vernachlässigter Teil des Geländes. Aus dem langen sommerlichen Gras ragten verwitterte Grabsteine aus dem achtzehnten Jahrhundert empor. Hinter den Grabsteinen befand sich ein verrosteter Metallzaun, der die Grenze zu dem Weizenfeld bildete. Es mochte ein beunruhigender Gedanke sein, dass man auf dieser Seite der Kirche komplett von der Straße und dem vorbeifahrenden Verkehr abgeschirmt war, aber der Pfarrer hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Er bog um die letzte Ecke, ging ein paar Meter den Pfad neben der Südseite der Kirche entlang und blieb wie angewurzelt stehen.

Ein Mann mit langem rotem Haar, der eine grün-braun gefleckte Kakihose trug, schlug mit einer Holzaxt auf die Tür der Sakristei ein. Er ächzte bei jedem Schlag und schlug mit solcher Wucht zu, dass Holzsplitter zu allen Seiten flogen und in der Mitte der Tür bereits ein Loch klaffte. Wie es aussah, würde es nicht mehr lange dauern, bis er die Tür komplett eingeschlagen hätte.

Die Sohlen der schwarzen Lederschuhe des Pfarrers hatten auf den abgetretenen Pflastersteinen kaum ein Geräusch gemacht, aber der Mann in der Kakihose hatte ihn gehört. Er ließ seine Axt sinken und drehte sich um.

Er trug eine aus Holz geschnitzte Ziegenmaske. Doch das Ziegengesicht grinste menschenartig und hatte einen dämonischen Ausdruck, die Hörner waren bizarr gekringelt. Das Schlimmste an dem Ganzen war jedoch real: Die Augen, die durch die aus der Maske herausgeschnitzten Löcher blickten, waren absolut menschlich, und in ihnen brannte glühender Hass.

Der Mann stieg die Türstufe hinunter und ließ die Axt locker an seiner Seite herabbaumeln. Der Pfarrer wich nicht von der Stelle und sprach den Mann unbeeindruckt an.

»Was tun Sie da? Warum beschädigen Sie Kircheneigentum?«

»Du weißt doch, was wir hier tun, Schamane!«, sagte eine Stimme zu seiner Rechten.

Er blickte zur Seite und sah drei weitere Gestalten. Jede hatte sich hinter einem anderen Grabstein erhoben. Sie waren ebenfalls überwiegend in Grün gekleidet und trugen alte, abgetragene Pullover und vom Militär ausrangierte Kampfjacken. Und sie waren ebenfalls maskiert: als Kröte, als Wildschwein und als Kaninchen. Alle drei Tiermasken waren mit abscheulichen Zügen ausgestattet, durch alle Augenlöcher starrten hasserfüllte Blicke.

Der Pfarrer erhob erneut mit fester Stimme das Wort: »Ich habe gefragt, was Sie da tun.«

»Du kennst die Antwort, du selbstgefälliges Arschloch!«, stellte eine Stimme von hinten klar.

Der Pfarrer wirbelte herum und sah eine fünfte Gestalt, die um die Ecke der Kirche getreten war. Sie war ebenfalls in Grün gekleidet, trug jedoch über dem Oberteil eine braune Lederkluft. Die Holzmaske dieses Kerls stellte ein Wolfsgesicht dar, und während er auf den Pfarrer zuging, zog er ein großes Messer aus der Scheide an seinem Gürtel: ein tödlich scharf geschliffenes Jagdmesser.

Der Pfarrer ließ seinen Blick wieder zu dem Trio auf dem alten Friedhof wandern. Der Krötentyp schwang inzwischen einen knotigen Knüppel und klatschte dessen Ende in seine linke behandschuhte Handfläche. Der Kerl mit der Kaninchenmaske nahm eine Rolle Seil von seiner Schulter. Mister Wildschwein hatte einen Benzinkanister in der Hand.

»Im Namen Gottes«, sagte der Pfarrer. »Tun Sie das nicht.«

»Wir erkennen deinen Gott nicht an«, erwiderte der Typ mit der Wolfsmaske.

»Sie wissen nicht, was Sie tun.«

»O doch, das wissen wir genau«, entgegnete der Wolfstyp und kicherte. »Verdammt genau sogar.«

»Das hier ist heiliger Boden«, stellte der Pfarrer klar. »Wenn Sie sich noch weitere Gotteslästerungen erlauben, bin ich gezwungen, Sie zu bestrafen.«

»Ach ja?« Der Kerl mit der Wolfsmaske war so überrascht, dass er beinahe stehen blieb. »Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie du uns bestrafst.«

»Ich warne Sie.« Der Pfarrer wirbelte herum. »Ich bin kein Märtyrer.«

»Ach nein? Das ist ja wirklich komisch«, entgegnete der Wolfstyp höhnisch. »Deine Vorgänger haben sich ihrem Schicksal auch nicht freiwillig ergeben.«

»Ah, jetzt weiß ich, wer Sie sind«, sagte der Pfarrer.

»Es ist immer gut, seine Feinde zu kennen.«

»Dies ist die letzte Warnung.«

»Vielleicht wird dein Gott uns ja niederstrecken, oder was meinst du?« Der Kerl mit der Wolfsmaske war nur noch fünf Meter von dem Pfarrer entfernt. »Vielleicht schickt er an diesem schönen Sommerabend einen Blitz.«

Der Pfarrer nickte ernst. »Ich fürchte, genau in diesem Moment kommt einer.«

Hinter der Wolfsmaske ertönte ein krächzendes Kichern. »Du hast wirklich Eier in der Hose, das muss ich dir lassen.«

»Nicht nur das, außerdem habe ich auch noch das hier.«

Mit diesen Worten zog der Geistliche einen Teleskopschlagstock aus seiner Hosentasche. Ein einziger Ruck mit seinem kräftigen Handgelenk genügte, und schon war der Schlagstock auf seine dreiundfünfzig Zentimeter ausgefahren.

Bevor der Kerl mit der Wolfsmaske reagieren konnte, holte der Geistliche mit der Rückhand aus, und der Schlagstock krachte mit voller Wucht gegen die Maske. Das hölzerne Schnitzwerk knackte, der Kopf des Wolfskerls flog zur Seite, er taumelte und ließ das Messer fallen. Die anderen Gestalten blieben erschrocken stehen. In dem Moment wurde die Tür der Sakristei von innen aufgerissen, ein Mann stürmte heraus und warf sich von hinten auf den Kerl mit der Ziegenmaske. Dieser Mann war weder so groß noch so breit wie der Pfarrer. Er maß eins zweiundachtzig, war durchschnittlich gebaut und hatte dichtes schwarzes Haar. Er trug eine blaue Jeans, ein blaues Sweatshirt, darüber eine Stichschutzweste der Polizei und hatte ebenfalls einen ausgefahrenen Teleskopschlagstock in der Hand, den er mit voller Wucht gegen das Ellbogengelenk des rechten Arms des Kerls mit der Ziegenmaske krachen ließ.

Dieser schrie vor Schmerz ungläubig auf, die Axt fiel klirrend auf den Boden. Er versuchte sein verletztes Ellbogengelenk zu untersuchen, doch im nächsten Moment sandte ihn ein Tritt in den Hintern mit ausgestreckten Armen und Beinen vornüber auf den Boden. Der Mann, der ihn angegriffen hatte, sprang von hinten auf ihn, die Knie zuerst, und presste ihm die Luft aus der Lunge.

Der Priester wirbelte zu den drei Kerlen mit der Kröten-, der Wildschwein- und der Kaninchenmaske herum, hielt eine lederne Geldbörse hoch und zeigte ihnen seinen Dienstausweis. »Detective Inspector Reed, Dezernat für Serienverbrechen!«, rief er. »Sie sind alle verhaftet. Sie stehen unter dem Verdacht, John Strachan, Glyn Thomas und Michaela Hanson ermordet zu haben.«

Der Typ mit der Wolfmaske floh zur südwestlichen Ecke der Kirche, rannte jedoch frontal in einen weiteren riesigen Mann hinein, der sogar noch massiver war als der Pfarrer. Er trug ebenfalls Jeans und eine Stichschutzweste und begrüßte den als Wolf Maskierten mit einem Vorderarmschlag gegen die Kehle.

Als der Kerl würgend zu Boden ging, fragte eine tiefe Stimme mit walisischem Akzent in Anlehnung an das beliebte englische Kinderspiel: »Wie spät ist es, Mr Wolf? Für Sie jedenfalls zu spät.«

Die anderen drei rannten, so schnell sie konnten, auf den Grenzzaun zu, wo sie jedoch beim Anblick weiterer Polizeibeamter völlig perplex stehen blieben. Die Polizisten, einige in Uniform, andere in Zivil, waren alle bewaffnet, erhoben sich aus dem Weizenfeld und rückten in Schützenlinie vor.

»Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern«, sagte Detective Inspector Reed und sah zu, wie die drei Männer einer nach dem anderen überwältigt, ihnen die Masken abgenommen und sie mit Handschellen gefesselt wurden. »Doch es kann Ihre Verteidigung beeinträchtigen, wenn Sie trotz Befragung eine Aussage unterlassen, auf die Sie später vor Gericht angewiesen sein könnten. Jede Ihrer Aussagen hat Beweiskraft.«

»Außerdem sind Sie verhaftet, weil Sie ein frevlerisches kleines Arschloch sind«, knurrte der große walisische Polizist leise, während er sich zu dem Kerl mit der Wolfmaske hinabbeugte und ihm die Hände hinter dem Rücken fesselte.

»Wir fürchten euren Gott nicht«, zischte dieser mit qualvoller Stimme.

»Das brauchen Sie auch nicht.« Der walisische Polizist riss ihm die zerbrochene Maske von dem schlanken, in Schweiß gebadeten Gesicht, das sich darunter verbarg. »Mein Gott ist nämlich gnädig. Du hast nur ein Problem, Junge. Du hast einen langen, harten, steinigen Weg vor dir, den du zurücklegen musst, bevor du vor ihn treten kannst.«

Neben der Tür zur Sakristei ließ der blau gekleidete Polizist Handschellen um die Hände des als Ziege maskierten Kerls zuschnappen, dessen Gesicht sich ohne Maske als hager und blass erwies. Sein fuchsrotes Haar hing in Strähnen herab, während er da kauerte.

»Aufstehen!«, wies der Polizist ihn an, der hinter ihm stand und, seinem Akzent nach zu urteilen, aus Nordwestengland stammte.

»Scheiße«, sagte der Typ, der als Ziege maskiert gewesen war. »Ich glaube, Sie haben mir den Arm gebrochen.«

»Nein. Ich habe nur einen Nervenstrang getroffen.« Der Polizist verpasste ihm einen Tritt. »Na los, aufstehen!«

»Ich kann vom Ellbogen abwärts nichts mehr spüren.«

»Ihnen werden drei Morde zur Last gelegt.« Der Polizist packte den Kerl unter der Achselhöhle und hievte ihn hoch auf die Beine. »Da dürfte ein ramponierter Ellbogen Ihr geringstes Problem sein.«

»O mein Gott!«, schrie der Typ, der als Ziege maskiert gewesen war. »Mein Arm ist gebrochen! O mein Gott!«

»Ich dachte, ihr Typen glaubt nicht an Gott.«

»Ich sterbe, Mann!«

»Ganz schön Scheiße, wenn man hergekommen ist, um jemanden zu verletzen, und feststellen muss, dass es andersrum läuft, oder? Wer sind Sie überhaupt?«

»Sh… Sherwin«, stammelte der Verhaftete.

»Und der Vorname?«

»Das ist mein Vorname. Mein Nachname ist Lightfoot. O Scheiße! Mein Arm, verdammt!«

»Sherwin Lightfoot? Ist das Ihr Ernst?«

»Ja. O mein Gott!«

»Na gut. Für den bescheuerten Namen werden Sie auch eingebuchtet.«

»Alles klar, Heck?«, rief Detective Inspector Reed.

»Heck?«, sagte Lightfood. »Bei dem Namen sollten Sie sich lieber mal an die eigene Nase fassen.«

»Klappe halten!«, entgegnete der Polizist, der Heck hieß, und wandte sich dem Detective Inspector zu. »Alles bestens, Sir. Warum auch nicht?«

»Na dann ist ja alles klar, Sergeant.« Detective Inspector Reed fuhr mit einem Finger an der Innenseite seines Priesterkragens entlang, um ihn zu lockern, stellte sich dabei jedoch so ungeschickt an, dass der Knopf absprang. »War ja nur eine Frage.«

»Ich mache so was nicht zum ersten Mal, wissen Sie?«

»Gute Arbeit. Das gilt für alle«, meldete sich eine weibliche Stimme und ging dazwischen.

Detective Superintendent Gemma Piper war immer eine beeindruckende Erscheinung. Selbst jetzt, als sie in Jeans, T-Shirt und Schutzweste über einen verrosteten Bauernhofzaun stieg, machte sie mächtig was her. Mit ihrer sportlichen Figur, ihrem wilden, langen hellblonden Haar und ihrem umwerfenden Aussehen versprühte sie Charisma, aber auch Härte. Die Schar großmäuliger männlicher Polizisten, die Gemmas Geschlecht als Freibrief angesehen hatten, einen lockeren Spruch abzulassen oder sich ihr zu widersetzen – oder gar beides – und dies umgehend bereut hatten, war groß.

»Sind die Männer auf ihre Rechte hingewiesen worden, Jack?«, fragte Gemma.

»Jawohl, Ma’am«, erwiderte Detective Inspector Reed.

»Und? Hat jemand was gesagt?«

»Der Einzige, den ich was sagen gehört habe, ist dieser Kerl da.« Reed zeigte auf den Typen, der als Wildschwein maskiert gewesen war und der auch ohne Maske wie ein Schwein aussah. Im Moment wurde er an jeder Seite von einem uniformierten Polizisten festgehalten. »Ich glaube, er hat so was gesagt wie ›Verpisst euch, ihr schwanzlutschenden Nichtsnutze‹.«

»Super. Genau die richtigen Worte, um die Geschworenen zu überzeugen.« Gemma erhob die Stimme. »Na gut. Schafft sie weg. Ich möchte, dass jeder in einem eigenen Gefangenentransporter gefahren wird. Lasst sie nicht miteinander reden.«

»Keine Sorge«, sagte der Typ, der als Wolf maskiert gewesen war, höhnisch. Er befand sich immer noch im Griff des großen walisischen Polizisten, schien aber ein Stück weit seine provokante Haltung zurückgewonnen zu haben. »Hier hat ja niemand was zu sagen außer Ihnen. Und für eine halbe Portion von einer Tussi nehmen Sie den Mund ganz schön voll.«

Gemma zog eine Dose CS-Gas aus der Gesäßtasche ihrer Jeans und stapfte auf ihn zu.

»Ma’am!«, warnte Reed sie.

Detective Superintendent Piper war unter anderem dafür bekannt, sich so gut wie nie aus der Fassung bringen zu lassen, weshalb sie es schaffte, sich selbst dazu zu bringen, stehen zu bleiben, bevor sie etwas tat, was sie anschließend möglicherweise bereuen würde. Sie stand gut einen halben Meter vor dem Verhafteten, dessen hageres, von grauen Bartstoppeln gesprenkeltes Gesicht sich zu einem Grinsen verzog, das gelbe Zähne offenbarte.

»Sagt nichts!«, rief er seinen Komplizen zu. »Habt ihr verstanden? Wenn ihr nichts sagt, haben wir gute Chancen davonzukommen.«

»Sind Sie fertig?«, fragte Gemma ihn.

Er zuckte mit den Achseln. »Fürs Erste ja.«

»Gut. Dann schauen Sie sich Ihre Freunde noch mal gut an. Das ist wahrscheinlich das letzte Mal, dass Sie Gelegenheit dazu haben, bevor Sie sich alle im Gericht wiedersehen. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie dann einen oder zwei von ihnen im Zeugenstand antreffen werden. Wie sehen Ihre Chancen dann wohl aus?«

Mister Wolf zog Schleim hoch und spuckte ihr vor die Füße.

»Auf geht’s!«, rief Gemma. »Jemand kann die Spurensicherung herbestellen. Sagt ihnen, dass der Tatort freigegeben ist und sie sich an die Arbeit machen können. Ich will, dass hier jeder Stein umgedreht wird.«

Kapitel 2

Es war nicht immer so, dass Verdächtige, die von Beamten des Dezernats für Serienverbrechen verhaftet wurden, nach London gebracht wurden, um in Gewahrsam genommen und verhört zu werden. Das Dezernat für Serienverbrechen war eine Abteilung der National Crime Group, dessen Zuständigkeitsbereich sich über ganz England und Wales erstreckte, weshalb die Beamten dieses Dezernats bei der Lösung von Fällen in der Regel mit den Polizeidienststellen vor Ort zusammenarbeiteten und deren Einrichtungen nutzten. Doch in diesem Fall hielt es zumindest Detective Sergeant Mark »Heck« Heckenburg für die vernünftigste Option, die Verhafteten nach London zu bringen. Von Little Milden bis nach London waren es nur gut neunzig Kilometer und bis zur Polizeiwache Finchley Road, deren Haft- und Verhöreinrichtungen umfassend umgebaut worden waren, um Mitglieder so gefährlicher Banden wie der »Schwarzen Kapelle« dort unterbringen zu können, nur hundertfünfzehn.

Die Wache Finchley Road galt als eine von nur zwei Hochsicherheitspolizeiwachen in ganz London. In der ersten, der Wache Paddington Green, wurden vor allem Terrorismusverdächtige festgehalten, weshalb sie eher einer Festung glich als einer normalen Polizeiwache. Die Sicherheitsvorkehrungen der Wache Finchley Road waren ebenfalls verstärkt worden, allerdings wurden dort eher Kriminelle untergebracht, die dem organisierten Verbrechen zugerechnet wurden. Im Grunde genommen war es eine ganz normale, unauffällige Wache, die jeder Bürger sieben Tage die Woche rund um die Uhr aufsuchen konnte. Doch die verstärkten Betonabsperrungen, die das Gebäude umgaben, wiesen darauf hin, dass die Wache auch anderen Zwecken als dem normalen Polizeibetrieb diente. Darüber hinaus gab es auch noch andere, weniger augenfällige Sicherheitsmaßnahmen, wie zum Beispiel kugelsicheres Glas in den Fenstern und mit Stahlstreben verstärkte Außentüren mit sehr komplexen Zugangscodes. Außerdem waren auf der Wache jederzeit bewaffnete Beamte anwesend. Es gab einen normalen Gewahrsamstrakt für den alltäglichen Polizeibetrieb, aber darüber hinaus verfügte die Wache im Untergeschoss auch noch über einen speziellen Gewahrsamstrakt, der vom Rest des Gebäudes komplett abgetrennt und mit zwanzig Haftzellen und zehn Verhörräumen ausgestattet war. Per Videolink oder durch einen Spionspiegel konnte man bei laufenden Verhören von außen zusehen.

Durch einen dieser Spionspiegel beobachtete Heck gerade, wie Mister Kaninchen alias Dennis Purdham verhört wurde. Er war von den fünf Verdächtigen derjenige, bei dem die Verhaftung erkennbar die größte Bestürzung ausgelöst hatte. Neben Mister Wolf, der auch als Ranald Ulfskar bekannt war, waren die anderen – Sherwin Lightfood (Ziege), Michael Hapwood (Kröte) und Jason Renwick (Wildschwein) – zwar auch überrascht und schockiert gewesen, als die Polizei aufgekreuzt war, doch sie hatten, wie bei Anhängern einer Sekte üblich, Kraft aus dem stoischen Gleichmut ihres Anführers gezogen und gehorsam den Mund gehalten. Dass sie es eher mit einer Sekte zu tun hatten als mit einer gewöhnlichen Bande von Kriminellen, davon ging Heck ganz stark aus.

Purdham war die Ausnahme.

Wie alle anderen war er Heck als ein Außenseiter erschienen. Er war unrasiert, langhaarig und hatte Pockennarben im Gesicht. Die Kleidung, die sie ihm abgenommen hatten, bestand überwiegend aus einer ölverschmierten Jägerkluft und nicht zueinanderpassenden Klamotten aus einem Army Shop. Doch mit seinen dreiundzwanzig Jahren war Purdham deutlich jünger als seine Komplizen und an den Morden möglicherweise nur in einer Nebenrolle beteiligt gewesen. Das behauptete zumindest sein Anwalt. Purdham war in Tränen ausgebrochen, als sie ihn in Haft genommen hatten, und hatte erneut geweint, als sie ihn in den weißen Untersuchungshäftlingsanzug gesteckt hatten. Und während die anderen in ihren Zellen schmorten, hatte es nicht lange gedauert, bis Purdham bei seinem Verhör angefangen hatte zu reden.

Das Verhör führten Gemma Piper und Jack Reed durch, der, wie sie vorher vereinbart hatten, die Rolle des verständnisvollen Polizisten spielte. Mit dieser Rolle hatte er nach und nach Purdhams Vertrauen gewonnen und ihm die Zunge gelöst.

»Letzten Endes sind Christen ein Haufen abscheulicher Arschlöcher«, stellte er in einem breiten Staffordshire-Akzent klar. »Alles an ihnen stinkt. Ihre Scheinheiligkeit, ihre Unaufrichtigkeit, einfach alles. Außerdem sind sie eine Bande verfickter Kontrollfreaks.«

»Hat Ihnen als Kind jemand das Leben schwer gemacht, Dennis?«, fragte Detective Inspector Reed. »Vielleicht ein Priester?«

»Sie meinen, ob sich ein Kinderfummler an mir vergangen hat?« Purdham schüttelte den Kopf. »Nein. So was ist mir nie passiert. Aber es gibt ja jede Menge andere, denen es passiert ist.«

»Dann reagieren Sie mit Ihren Taten also auf sexuellen Missbrauch?«, fragte Gemma. »Ist es das, was Sie uns sagen wollen?«

Purdham zögerte. Er war erkennbar unsicher, was er darauf erwidern sollte.

Er war nicht so dumm, wie er aussah, dachte Heck, denn wenn er das bestätigte, würde er zugeben, dass sie mit Vorsatz gehandelt hatten.

»Denn für den Fall, dass Sie das getan haben sollten«, fuhr Gemma fort, »kann ich Ihnen versichern, dass gegen keines der drei Mordopfer je ein Verdacht in dieser Hinsicht vorlag. Und auch nicht gegen Reverend Hatherton, den Pfarrer der St-Pauls-Kirche in Little Milden.«

»Also den Pfarrer, in dessen Rolle ich heute Abend geschlüpft bin«, sagte Detective Inspector Reed.

Purdham fuhr sich mit einer Hand durch sein strähniges mausbraunes Haar. »Ich glaube nicht, dass wir es auf irgendjemanden speziell abgesehen haben. Wie gesagt, Christen sind einfach Arschlöcher.«

»Meinen Sie Christen im Allgemeinen?«, fragte Gemma.

»Darin stimmen viele Leute mit mir überein«, stellte Purdham klar. Seine Augen weiteten sich. Er war jetzt Feuer und Flamme. »Gucken Sie sich doch nur mal in den sozialen Medien um. Die sind voll mit solchen Kommentaren.«

Im Beobachtungsraum ertönte ein leises Klick, das davon kündete, dass eine Tür geöffnet worden war. Heck drehte sich um und war überrascht, den untersetzten, stiernackigen Detective Chief Inspector Bob Hunter zu sehen, der verstohlen in den Raum kam. Hunter begrüßte Heck mit einem Nicken und gab ihm zu verstehen, dass er nicht stören wollte.

Heck wandte sich wieder dem Spiegel zu, hinter dem Gemma gerade dabei war, auf Purdhams letzte Bemerkung zu antworten.

»Sie dürfen nicht vergessen, dass die sozialen Medien eine Echokammer sind, Dennis«, sagte sie.

Purdham sah sie verwirrt an.