Johannes Weinand
Der Pfad des Profilers
Rassmussen
Johannes Weinand
Der Pfad des Profilers
Rassmussen
Band 1
Impressum
© 2020
Rechtsinhaber/Autor: Weinand Johannes, jd@weinand.vip
Covergestaltung: Constanze Kramer, www.coverboutique.de
Bildnachweis: ©Viorel Sima-stock.adobe.com, ©Lumina Obscura-pixabay.com
Lektorat: Klaus-Dietrich Petersen
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN: |
|
978-3-347-18743-6 |
(Paperback) |
978-3-347-18744-3 |
(Hardcover) |
978-3-347-18745-0 |
(E-Books) |
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Das gilt insbesondere für die elektronische und sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Rassmussen
Der Pfad des Profilers
Thriller
von
Johannes Weinand
Band 1
Das Chatham House
London, West End, der Stadtteil, der bei der High Society von London als einer der besten Adressen galt. Der Stadtteil für die Reichen, die Müßiggänger, dem Adel und den Huren. Kalt legte sich der bekannte Londoner Nebel über die großen Häuser, die im gregorianischen Stil erbaut waren und eng an eng standen, ohne dem Nachbarn Luft zum Atmen zu lassen. Die Hauptstraßen ruhten in dem dumpfen Glanz eines neuentwickelten Teers, der die Geräusche der Pneus in sich verschluckte, während die Nebenstraßen in ihrem alten Pflaster gebettet, dass darüberfahren der Reifen, wie eine Arie in den Himmel schrie, um dann von den hohen Häusern als Echo abzuprallen.
Ab und zu hörte man das dumpfe Brüllen der Nebelhörner von Schiffen, die auf der Themse ihrem Ziel entgegensteuerten, um sich dann in den Häfen dieser Millionenmetropole wie Dinosauriere zu erleichtern, nur mit dem Ziel wieder zu fressen und dann im beladenen Zustand ihren Weg, wie bei den Wanderrouten von Herdentieren, wieder neu zu beginnen.
Auch das Klappen der Autotüren war in der dichten Suppe des Nebels nur dumpf wahrnehmbar und hatte man es gehört, war die Richtung nicht auszumachen. Genauso wie das Klappern von eisenbeschlagenen Schuhen, die sich in den dunklen Straßen verloren, ohne dass man den Verursacher zu Gesicht bekam.
So beschlich einen das Gefühl, dass sich Jack the Ripper in dem vornehmen Stadtteil verlaufen haben könnte, um nicht Freudenmädchen, sondern vornehmen Damen, die ihr Näschen in den Himmel streckten, die Eingeweide aus dem Körper zu reißen, um sich an den noch pochenden Herzen, oder dem Sprudeln von zerrissenen Arterien zu ergötzen. Es waren nicht nur die Mörder, die mit dem Leben anderer spielten, es gab sie auf einer anderen Art, auch in der vornehmen Gesellschaft. Denn hier agierten Menschen, die mit dem Leben anderer spielten, nicht nur um ihr Machtgefüge zu stärken, sondern um eine Art der Befriedigung zu erleben, die sie, wie sie meinten, gottgleich machte.
Alte Herrenclubs, wie der East India Club, gaben dem Stadtteil etwas Mondänes und hinter dieser Fassade versteckten sich die eigentlichen Herrscher der Welt. Es waren die Clubbesitzer, die Eigentümer von verrufenen Etablissements und die, die sich darin aufhielten. Jeder, der schon einmal den Geruch des Verrufenen gerochen hatte, kam immer wieder, um am Nektar der Macht zu kosten. Obwohl die Herrenclubs, wie auch die Etablissements gut besucht waren, sah man nur wenige Menschen auf der Straße dieses Teiles von London, der Krone des Empires. Denn alles spielte sich hinter den Fassaden der alten Häuser ab.
Viermal hörte man das dumpfe Klacken schwerer Autotüren, die in der Höhe St. James Square No. 10 zugeschlagen wurden. Drei Männer und eine Frau trafen sich auf dem Bürgersteig, absolut konservativ gekleidet, nickten sie sich nur kurz zu und steuerten das Chatham House an. Wie von Geisterhand gesteuert, öffnete sich die Eingangstür von No.10 und in der Tür stand ein Butler in schwarzem Livree, unnahbar, aber doch nur ein Handlanger. Abschätzend schaute er die vier Besucher an, die voller Respekt, der einzigen Dame des Quartetts, den Vortritt ließen. Der Butler begrüßte jeden einzelnen mit der Höflichkeit, die man nur aus der Kolonialisierungszeit kannte. Drei mit Häubchen gekleidete Hilfen und gesenktem Blick, nahmen dem Butler die Mäntel der Besucher ab, die dann, ohne dass ein Laut verursacht wurde, in einem anderen Raum verschwanden.
„Baroness Wyatt, wir begrüßen Sie recht herzlich. Es ist alles vorbereitet, und Ihr Tee steht im kleinen Konferenzraum bereit.“
„Danke, James. Ist alles so ausgeführt worden, wie ich es bestellt habe?“
„Jawohl, Madam, es wird Sie niemand stören und es ist alles vorbereitet.“
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, aber mit einem herrischen Blick einer Führungspersönlichkeit, entließ die Baroness den Butler, der sich wiederum, ohne ein Gefühl zu zeigen, der Reihe nach um die drei männlichen Gäste kümmerte.
„Lord Fraser.“
Ein kurzes Kopfnicken.
„James, Kaffee.“
Die Order kam kurz und hart.
„Sehr wohl, Mylord.“
Der Butler verzog keine Miene. Es war, als hätte Botox sein Gesicht erstarren lassen.
„Lord Baxter, sehr schön Sie wieder in unseren Reihen zu sehen.“
„Hallo, James. Was macht die Familie?“
„Meiner Mutter geht es gut. Sie wird dieses Jahr 90 Jahre.“
„Grüßen Sie sie von mir.“
„Vielen Dank, Lord Baxter. Der Kaffee steht bereit.“
„Hey, James.“
Sir Morgan schaute James erwartungsvoll an.
„Ist er?“
„Ja, Sir Morgan, wir haben eine neue Ladung bekommen.“
Sir Morgan klopfte James gönnerhaft auf die Schulter. Was der Butler mit einem knappen Hochklappen seiner grauen buschigen Augenbrauen quittierte.
„Der Whisky kommt gleich.“
Im Verlauf dieser kurzen Gespräche zogen sich die Neuankömmlinge die schweren Mäntel aus und übergaben sie dem Personal.
Butler James führte die kleine Gruppe in den dafür vorbereiteten Konferenzraum. Die Vorhänge waren schon zugezogen und kein Laut berührte den Raum von außen.
Um die Dunkelheit zu vertreiben, fluteten große Lampen Licht in den Raum, das teilweise von den alten Schränken und Tapeten wieder geschluckt wurde. Das kleinere Konferenzzimmer gab einem das Gefühl, in der guten alten Kolonialzeit stehen geblieben zu sein, selbst der vermeintliche Geruch, der von dem polierten Mahagonischränken ausging, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, welches Leid in der erfolgreichen Kolonialzeit dieses Landes, die Herrscher verursacht hatten, um das Gold fremder Länder zu erbeuten. In der Mitte beherrschte ein alter schwerer Tisch aus Mahagoni, an dem nicht mehr wie zwölf Menschen Platz hatten, den Raum. Vier der Plätze waren vorbereitet, an die sich die Anwesenden setzten. Am Kopfende des Tisches saß Baronin Wyatt. Der Diener verließ gemessenen Schrittes den Raum, drehte sich, unter dem Sturz der Doppelflügeltür, mit einem Ruck nach links, vollendete eine 180° Drehung, griff die beiden Türknäufe der Flügeltür und zog sie von außen zu.
Alle vier Teilnehmer hatten Platz genommen, und ein Moment des Schweigens erfüllte den Raum. Durch die schweren Vorhänge abgeschirmt, kam kein Laut der Straße in das abgedunkelte Rechteck. Absolute Stille umhüllte den Raum wie Watte und ließ die Zeit langsamer verrinnen. Dieser ernste Moment hatte etwas Diabolisches, und jeder wusste, dass die Entscheidung, die sie zu treffen hatten, eine Endgültigkeit beinhaltete, die keine weiteren Diskussionen zuließ. Mit leiser, aber doch durchdringender Stimme, begann Baronin Wyatt, und mit dieser leisen Stimme eröffnete sie die Versammlung der Führungsgruppe des Chatham Houses. Ihre Begrüßung begann knapp und akzentuiert.
„Guten Tag, Gentlemen.“
Alle nickten sich noch einmal zu.
„Der innere Kreis ist heute hier zusammengekommen, um über das Schicksal von An Wong zu urteilen. Der der Think Tank Bewegung zugehörige Angestellte An Wong hat die Regeln der Verschwiegenheit gebrochen. Sie alle haben das Memo gelesen.“
Lord Fraser unterbrach sie und fragte: „Wie kam es dazu, Baroness?“
„Im Rahmen einer Überprüfung haben wir einen Lockvogel auf den Mann angesetzt. Hochintelligent wie er war, sollte er in der Think Tank Bewegung eine Stufe höher steigen. Eine durchaus übliche Praxis bei uns.“
„Wie hat man es angefangen?“
Die Baroness lächelte verschlagen.
„Mit dem ältesten Trick der Welt. Geld.“
Die Männer schauten sich lächelnd an und nickten anerkennend.
„Wir haben einen Journalisten auf ihn angesetzt, es dauerte ein halbes Jahr, da hatte er ihn so weichgekocht, dass er auf die Fragen des Journalisten Antworten gab.“ Jetzt wurde die Stimme der Baroness stahlhart.
„Er hat nicht viel Preis gegeben, aber er hat das Gesetz des Schweigens durchbrochen. Nach unseren Statuten langt das für eine Anklage“
Wieder war es Lord Fraser, der das Wort ergriff.
„Was schlagen Sie vor, Baroness?“
„Wir machen es so, wie wir es seit 1924 machen, Todesurteil.“
Ungerührt hörten die anderen zu. Es war so, als würden sie sich am Frühstückstisch zwischen Brot und Müsli entscheiden müssen.
„Es stellt sich nur die eine Frage: Wollen wir ein Zeichen setzen? In der Zukunft stehen viele wichtige Entscheidungen an, in der die Disziplin des ganzen Chatham Houses gefragt ist.“
Jetzt schaute sie jeden Einzelnen intensiv an, bis derjenige, ohne mit der Wimper zu zucken, zustimmend nickte.
„Gut, dann ist es einstimmig. Die Familie stirbt mit dem Verräter.“
„Haben wir sonst noch Punkte, Baroness?“
„Nein, Lord Baxter, ich werde alles veranlassen, wie üblich.“
„Sehr gut, Baroness. Ich habe mich mit meinen Kindern verabredet. Ich wollte sie zum Essen nicht warten lassen.“
Einer nach dem anderen verließ den Raum, nicht ohne der Baroness noch einmal zuzunicken, die dieses Nicken mit einer nicht zu lernenden Arroganz erwiderte. Die Adelige blieb noch auf ihrem Stuhl sitzen und wartete. Als alle den Raum verlassen hatten, erschien James und fragte die Baroness.
„Baroness?“
„James, stellen Sie eine Verbindung mit Statford her.“
„Sehr wohl, Mylady.“
James stellte sich an den alten Tisch, drückte auf einen verborgenen Sensor und wie von Geisterhand klappte ein Teil des Tisches um und ein Monitor mit Telefon erschien auf dem Tisch. Baroness Wyatt drückte an ihrer Seite einen weiteren Sensor, und der Vorgang wiederholte sich auch bei ihr. James stellte schnell die Verbindung her. Auf dem Bildschirm erschien der Kopf eines Mannes mittleren Alters, der konzentriert auf den Monitor schaute, aber keineswegs überrascht schien.
„Baroness?“
„Statford, grünes Licht für An Wong.“
„Standard?“
„Nein, mit Familie. Lassen Sie sich etwas einfallen. Das Finanzielle regelt James, wie immer.“
„Gut, dann werde ich…“
Hier unterbrach die Baroness den Anwalt.
„Will ich nicht wissen, Statford, handeln Sie einfach.“
„Zeitraum?“
„So schnell wie möglich.“
„Sehr wohl, Baroness, der Auftrag ist so gut wie erledigt.“
Ohne zu antworten, beendete die Baroness das Gespräch mit einem Knopfdruck.
„James, Sie regeln das. Jetzt will ich einen guten Whisky.“
„Den von Sir Morgan?“
„Ich sagte etwas Gutes, James.“
„Sehr wohl, Mylady.“
Zwei Tage später. USA
Ein kleines Wohnmobil, auf dem Weg der Interstate 10 East, es bewegte sich im Bereich der Christopher Columbus Transkontinental Highway. Jetzt, gegen Abend wurde der Verkehr weniger und es war für den Fahrer des kleinen Wohnmobils angenehm so frei durch die Wüste zu fahren. Der Übergang von Helligkeit zur Dunkelheit kam im Wüstenbereich der USA abrupt. Trotzdem nahmen die Passagiere des Wohnmobiles den Herbst in seiner ganzen Pracht wahr und der Übergang zur Dunkelheit brachte ein Licht zustande, dass von keiner der neuen Techniken nachvollzogen werden konnte. Ein Sonnenuntergang der ganz besonderen Art zeigte den Westen der USA von seiner schönsten Seite, und der kleinen Familie wurde ein Erlebnis zuteil, welches das Universum nicht allen Menschen offenbarte. Es beschlich sie ein Gefühl der Melancholie, als die Sonne in ihrer tiefsten Spitze den Horizont berührte und im Nichts verschwand. Der Fahrer des Wohnmobils gähnte.
„Schatz, ich bin müde, lass uns halt machen. Hier befindet sich ein kleines Desertcenter mit einem kleinen Wohnmobilpark.“
„Ok, Schatz. Die Kinder schlafen auch schon fast. Es war ein anstrengender, aber sehr schöner Urlaub, und wir sind alle rechtschaffend müde. Die Kleinen freuen sich mit Sicherheit auf eine Portion Pommes mit einem kleinen Hamburger.“
Hedda Wong legte zärtlich die Hand auf den Unterarm ihres Mannes An Wong und nickte ihm liebevoll zu. An Wong legte mit dem Zeigefinger der linken Hand den Hebel des Blinkers um und bog bei langsam werdender Geschwindigkeit nach rechts ab. Die Zwillinge, die das Gespräch mitbekommen hatten, stießen sich geheimnisvoll an und lächelten sich zu. Ohne hinzuschauen sprach Hedda Wong gegen die Windschutzscheibe.
„Pauline und Katharina Wong.“
Die strenge Stimme der Mutter ließ die beiden aufhorchen.
„Ihr braucht nicht so geheimnisvoll tun. Es wird etwas gegessen und dann ab ins Bett mit euch. Wir haben morgen noch weitere 150 Meilen zu fahren, dann müssen wir zum Flugplatz und es geht wieder nach Hause, ins nasskalte Hamburg.“
Pauline, die die Lebhaftere der Beiden war, meinte nur: „Ach, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr, Mama.“ „Paulinchen, du bist zehn Jahre alt, also noch ein Kind.“
„Sag doch nicht Paulinchen. Wenn das einer hört, ist das doch peinlich.“
An Wong, der die Diskussion verfolgte, grinste breit, ließ sich aber zu keiner Bemerkung hinreißen.
„Mann, du brauchst gar nicht so zu grinsen. Setz du dich doch einmal mit diesen kleinen Raketen auseinander.“
Da An Wong wusste, wo diese einseitige Diskussion hinführte, benutzte er ein bewährtes Mittel, er setzte ein ernstes Gesicht auf und wechselte das Thema.
„Hedda Wong, Frau meines Herzens. Wir sind am Ziel.“
An Wong steuerte das kleine Wohnmobile auf den Parkplatz zu, der sich vor der kleinen Gaststätte befand, dabei bemerkte er den vollen Wohnmobilplatz und sagte nur kurz.
„Sieht ziemlich voll aus. Na, mal sehen, sonst stellen wir uns auf den Parkplatz.“
Mit dieser kurzen Bemerkung stieg er aus, streckte sich und ging zur Rezeption. An seinem federnden Gang sah man, dass er einen durchtrainierten Körper besaß. Der Manager des Wohnmobilplatzes kam ihm schon entgegen.
„Tut mit leid, die Plätze sind alle belegt. Stellen Sie sich auf den Parkplatz hinter dem Desert Inn. Sie können auch unsere Duschen und Toiletten benutzen.“
„Das ist sehr nett. Wir nehmen das gerne in Anspruch, es war eine lange Fahrt. Sind 10 Dollar ausreichend?“
„Das ist schon in Ordnung.“
Der Manager nahm das Geld und ging wieder in sein Office.
„Ok, Kinder, wir stellen den Wagen ab, und dann essen wir erst einmal etwas.“
Die strahlenden Gesichter der Kinder verrieten ihm, dass das die Musik war, die die Mädchen hören wollten. Hedda schüttelte nur mit dem Kopf. An Wong stellte das Wohnmobil auf einen Parkplatz, schloss es ab und die kleine Familie ging geschlossen, Hand in Hand, auf die kleine Gaststätte zu.
An öffneten die Tür und der Geruch von frischem Essen schlug der Familie entgegen. Sie ergatterten noch einen Tisch und bestellten ihr Essen und Trinken. Eine sehr freundliche Bedienung nahm ihre Bestellung auf, sagte noch ein paar nette Worte zu den Kindern und wollte gerade gehen, als sie erschreckt aufschaute. Das laute Knattern von drei Motorrädern war in der Ferne zu hören. Sofort sahen die Gäste interessiert aus den Fenstern und bemerkten, wie drei Rocker mit ihren futuristisch aussehenden Maschinen immer näherkamen und vor dem Desert Inn, auf dem Parkplatz, anhielten. Leichtfüßig stiegen sie ab, bockten ihre Maschinen auf und nahmen die Helme ab. Alles passierte mit einer aufreizenden Lässigkeit, die die Luft schwerer werden ließ. Die Helme legten sie auf den Motorrädern ab und gingen mit langsamen Schritten zum Desert Inn, dabei schauten sie sich suchend um. Der erste der drei Typen, in Leder gekleidet, mit strähnigem langem Haar, öffnete die Tür und trat ein. Den Anwesenden kam es so vor, als ob mit dem Öffnen der Tür die kalte Schneeluft der Rockys in den Raum pfiff. Die Besucher in der Gaststätte erschauerten ängstlich, und sofort verstummten die Gespräche der Gäste an den Tischen. Die beiden anderen Rocker, die ungleicher nicht hätten sein können, blieben draußen an der Tür stehen und schauten teilnahmslos in die Wüste. Der Riese, der die Gaststätte betreten hatte, blieb einen Augenblick an der Tür stehen und musterte die Anwesenden. Wenn noch einer den Mut aufbrachte hochzuschauen, senkte sich sein Blick sofort wieder, denn die lodernden Augen des Rockers trafen jeden einzelnen der Anwesenden. Ein schiefes Lächeln trat auf die Lippen des Mannes, als er die Bedienung am Arm festhielt. Alleine diese kurze Bewegung zeugte von so viel Gewaltbereitschaft, dass die Anwesenden das Gefühl hatten, in einer Zeitfalle zu sitzen, in der alles in einer Zeitlupenhaftigkeit ablief, auf die sie keinen Einfluss nehmen konnten.
Der Riese beugte sich leicht vor und zog die Kellnerin zu sich.
„Dreimal doppelter Cheeseburger mit Pommes und drei Dosen Budweiser, aber dalli. Wir bleiben draußen, da ist die Luft sauberer.“
Als hätte er einen guten Scherz gemacht, lachte er meckernd, ließ seine gepflegten Zähne sehen und stieß die Bedienung leicht in Richtung des Tresens, die sich den Arm rieb und ihn wütend ansah.
„Na los, Kleines, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“ Die Worte, die aus seinem Mund kamen, durchschnitten den Raum wie eine Peitsche. Er drehte sich um, fixierte die Anwesenden mit einem verächtlichen Blick und stapfte wieder nach draußen, wo er sich zu seinen Kumpanen an einen Tisch setzte.
Als sich die Tür schloss, erfüllte wieder Wärme den Raum und die Gespräche wurden stockend fortgesetzt. Zuerst leise, dann wieder in der gewohnten Lautstärke, aber immer mit dem Blick auf die drei Rocker. Die drei Männer draußen steckten die Köpfe zusammen und waren heftig am Diskutieren, dabei fiel ab und zu ein Blick in das Innere der Gaststätte. Die drei wurden schnell bedient, sie ließen sich mit dem Essen aber Zeit, denn sie wussten genau, dass während ihrer Anwesenheit draußen keiner die Gaststätte verlassen würde.
„Papa, was sind das für Leute?“
„Das sind Rocker, Paulinchen.“
Pauline wusste genau, wenn ihr Vater Paulinchen sagte, hatte er Stress und war auf andere Sachen fixiert.
„Die schauen immer zu uns rüber.“
„Das bildest du dir nur ein, Liebes.“
Das Gespräch wurde vom Aufröhren der Motoren unterbrochen. Sofort erstarben all das Gemurmel, das den Raum erfüllte, und ein hörbares Aufatmen ging durch den Gastraum. Hedda stieß die beiden Zwillinge an, die verträumt den drei Rockern hinterher schauten.
„Meine Damen, aufessen.“
Wieder war es Pauline, die das Wort ergriff.
„Mama, die waren böse, ich spüre das.“
Katharina nickte nur zustimmend.
„Das waren genauso Menschen, wie du und ich.“
„So, Kinder, ich habe bezahlt. Auf, Zähne putzen und ab ins Bett.“
„Mama, ein Spiel noch.“
„Ok, was denn?“
„UNO.“
„Gut, dann beeilt euch mit dem Zähneputzen.“
Die Wongs verließen das Desert Inn und gingen zu ihrem Wohnmobil.
Der Abend war noch lau, aber man merkte die ersten Boten des Herbstes. Die Kinder liefen vor und stürmten das Wohnmobil. Bevor das Ehepaar am Wagen war, kamen sie schon wieder aus der Tür und liefen zu den Waschräumen des kleinen Stellplatzes. Das Ehepaar lächelte sich verliebt an. Als die Kinder wiederkamen und sich erwartungsvoll zu ihren Eltern setzten, mischte An Wong schon die Karten. Das Spiel dauerte länger als erwartet, aber dann sprach Hedda Wong ein Machtwort. Es dauerte nicht lange, bis die Kleinen schliefen. Hedda und An tranken ihr Glas noch leer. In dem Bewusstsein, die nächsten 150 Meilen am anderen Tag schnell durchfahren zu können, folgten sie den Kindern ins Bett. Keiner konnte ahnen, dass in der Nacht der Tod für einen von ihnen seine Sense bereits geschärft hatte.
Es war kurz nach Mitternacht, als ein Lieferwagen hinter dem Wohnmobil hielt. Ohne einen Laut zu verursachen, stiegen vier Männer aus, die schwarz gekleidet waren. Einer machte sich am Wohnmobil zu schaffen, während die anderen drei zur Tür gingen. Leise probierten sie aus, ob abgeschlossen war. Ein kurzes Nicken, und ein zweiter Mann kam zur Tür, nahm einen Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn in den Türgriff und schloss auf. Mittlerweile hatte der Erste eine Pistole gezogen, er riss die Tür auf, sprang in das Innere des Wohnmobils. An Wong kam sofort hoch, aber es war schon zu spät. Die Taschenlampe blendete ihn, und drei Kugeln streckten ihn in seinem Bett nieder. Hedda, die etwas langsamer reagierte, sah nur noch, wie ihr Mann auf das Bett zurückfiel. Mit einem Seufzer drehte er noch den Kopf, und nur noch leere Augen starrten seine Frau an. Bevor Hedda schreien konnte, wurde es Nacht um sie. Den Lauf der Pistole, die ihren Hinterkopf traf, sah sie nicht mehr.
„Grüße vom Chatham House“, knurrte der Riese, der die Pistole immer noch in den Händen hielt.
„Leg die anderen um, Langer.“
„Nein, die kommen mit.“
„Aber du kennst den Auftrag.“
„Scheiß auf den Auftrag. Die Gören bringen im Nahen Osten richtig Kohle. Die Mutter nehmen wir mit, die kann für unsere Altersversorgung arbeiten.“
Die beiden anderen hatten die Mädchen betäubt, sie hatten erschreckt mitbekommen, was passiert war. Die Aktion lief routiniert ab. Einem Beobachter wäre klar gewesen, dass die Männer das nicht zum ersten Mal machten. Der Lange schnappte sich Hedda Wong und warf sie sich über die Schulter. Die anderen beiden nahmen sich die beiden betäubten Kinder unter den Arm und schleppten sie zum Lieferwagen, wo sie die drei auf die Ladepritsche legten.
„Hast du den Sender vom Wohnwagen abgenommen?“
„Ja.“
Dabei zeigte der vierte ein kleines Gerät.
„Ok, alles einladen und ab. Der Zünder ist eingestellt? Das wird ein nettes Feuerwerk“
„Ja, in 15 Minuten brennt der Wagen und alles, was drin ist, mit.“
Sie legten die drei Betäubten in den Lieferwagen und fuhren, ohne einen Laut zu verursachen davon. Die Fahrt dauerte eine ganze Weile und ging Richtung Westen, aber davon bekamen die Betäubten nichts mit. Vorschriftsmäßig, ohne weitere Aufmerksamkeit zu erregen, fuhren die Rocker die East 10 in Richtung Los Angeles und erreichten, ohne aufzufallen, den Stadtteil South Central. Einer der Hochburgen von weitverbreiteter Bandenkriminalität in Los Angeles.
In einer der vielen Seitenstraße angekommen, hielten sie den Wagen vor einem Club. Sie brauchten nicht lange zu warten, und neben dem Club ging fast übergangslos ein Eisentor hoch. Der Lieferwagen passte gerade durch, aber der Fahrer kannte schon den Winkel, den er erreichen musste, um ohne das Gemäuer zu streifen, das Tor passieren zu können. Hedda, die inzwischen wieder bei Bewusstsein war, schaute sich, immer noch benommen, ängstlich nach den Kindern um, die vom Chloroform betäubt, wie erschlagen dalagen und sich nicht rührten.
„Lasst meine Kinder in Ruhe.“
„Halts Maul, Alte.“
Der Rocker, der über ihr saß, grunzte die Worte in den freien Raum, ohne Hedda anzusehen. Der Wagen blieb im Hinterhof stehen, und die Tür wurde von anderen Männern, die bereits warteten, aufgerissen. Die Kinder fingen an sich zu bewegen. Der Lange gab eindeutig die Befehle.
„Los, bringt sie in den Keller. Was machen die Nutten?“
„Ein guter Tag heute, Jack. Sie sind alle belegt. Wir brauchen mehr Weiber.“
„Dann wollen wir mal sehen, ob wir die Alte heute noch zum Geldverdienen bringen. Wie ist dein Name?“
Dabei stieß er die junge Frau, mit seinen Stiefeln aus Klapperschlangenhaut, brutal in die Seite. Hedda stöhnte laut auf.
„Hedda Wong.“
„Aha, eine Chinesennutte. Du wirst für uns im Puerto-Ricaner Viertel arbeiten. So und jetzt ab mit ihr, in den Keller. Bevor ich sie mir nehme, will ich was trinken. Sagt Liam und Estella Bescheid, sie sollen sich um die Gören kümmern.“
Zwei Rocker brachten Hedda Wong in den Keller des mittleren Hauses, schlossen eine Tür auf und warfen sie in den dunklen Raum, der sich vor ihr auftat. Hedda blieb einen Moment benommen liegen und stand dann leise stöhnend auf. Sie gehörte nicht zu der Art Frau, die gleich in Tränen ausbrach. Mit zwei Schritten war sie an der Tür und prüfte, ob sie verschlossen war. Der Griff ließ sich nicht bewegen. Dann tastete ihre rechte Hand hoch und berührte einen Schalter. Mit einer kurzen Fingerbewegung schaltete sie das Licht ein. Nach einer kurzen Inspektion des Raumes stellte sie fest, dass es wohl die Gerümpelkammer des Hauses war. Das Fenster zum Hof war nur ein schmaler Schlitz. Hedda nahm sich aus dem Haufen Gerümpel einen Stuhl, setzte sich und überlegte. Um aus dem Raum zu kommen, gab es nur eine Möglichkeit, durch die Tür. Diese war wiederum nicht so fest verankert, dass ein paar starke Männer sie aus der Verankerung hätten schlagen können. Wieder schweifte Heddas Blick durch den Raum, und sie nahm eine alte Küchenanrichte, hinter einem Stapel Stühle, wahr. Sie räumte die Gegenstände weg, die ihr im Weg standen und riss die Schubladen, eine nach der anderen, auf. Bevor sie den Blick hineinwerfen konnte, hörte sie es klappern. Mit einem Griff hielt sie ein Küchenmesser in der Hand. Ein kleines Messer, mit einer zehn Zentimeter langen Klinge. Ein böses Lächeln trat in ihre Augen, als sie die Klinge unter dem Armband ihrer Uhr festklemmte. Die Klinge war gerade so lang, dass sie beim Beugen des Armes sich am Oberarm nicht verletzte. Sie suchte weiter und fand außer Gabeln nichts. Da Hedda noch in ihrem Schlafanzug steckte und keine Halterung für die Gabeln fand, um sie als Waffe zu benutzen, ließ sie das Besteck liegen. Hedda setzte sich wieder auf den Stuhl und wartete.
Es dauerte nicht lange, bis sich ihr Kopf auf die Brust senkte und sie einschlief. Hedda wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, als auf einmal die Tür aufgerissen wurde. Sie schreckte hoch und sah, wie zwei Rocker auf sie zukamen.
„Audienz beim Chef.“
Damit nahmen sie Hedda zwischen sich, hielten sie mit ihren riesigen Händen am Oberarm fest und führten sie die Treppe hinauf. Ein kurzer Flur, von dem drei Türen abgingen, lag im Halbdunkel. Eine der Türen stand offen, auf die die drei zusteuerten. Mit einem Blick erfasste Hedda die Situation. Ihre Kinder standen rechts von der Tür. Beide wurden von zwei Frauen festgehalten, die Hedda noch nie gesehen hatte. Auf dem französischen Bett saß, nur mit einer kurzen Hose bekleidet, der Riese, den sie Jack nannten. Er musterte die Mutter der Zwillinge abschätzend.
„Das wurde aber auch Zeit. Bringt sie her, und ihr beiden schaut genau zu, damit ihr wisst, wo es lang geht.“
„Mama“, kam der klägliche Ruf der beiden Kinder. Liam, die Chinesin, und Estella, die Brasilianerin, schauten Jack irritiert an.
„Jack, du willst doch nicht die Mutter vergewaltigen, und die Kinder dabei zuschauen lassen?“
„Halts Maul. Es ist immer gut, wenn die Kinder die Schule des Lebens kennenlernen.“
Mit den Worten drehte er Hedda an den Haaren herum, riss ihr den Schlafanzug und den Schlüpfer herunter, dann stellte er sich breitbeinig hinter sie.
„Was für ein schöner Chinaarsch, da werden wir beide noch sehr viel Spaß miteinander haben.“
Mit der linken Hand öffnete er seine Hose, und sein strammes Geschlecht sprang wie eine Feder hervor. Immer noch krallte er mit der rechten Hand Heddas Kopf gewaltsam auf dem Bett fest. Er nahm die Linke zu Hilfe und wollte das steife Glied gerade einführen, als Hedda sich auf einmal, wie ein Bogen krümmte und der Rocker einen scharfen Schmerz zwischen seinen Beinen spürte. Er sah an sich herunter und bemerkte nur noch die Hand, die unter dem schlanken Körper der jungen Frau verschwand. Er selbst ging etwas in die Knie und schaute an seinem erschlaffenden Geschlechtsteil vorbei und bemerkte den schwarzen Griff eines Küchenmessers, das bis zum Heft hinter seinen Hoden steckte. Leise tropfte das Blut, über den dunklen Griff, auf das helle Bettlaken. Als er bemerkte, was passiert war, drehte er die junge Frau mit einem Ruck herum. Dabei knallte er ihr die rechte Faust auf den Kehlkopf, der mit einem leisen Knacken zersprang. Die zermürbende Ruhe, die dann eintrat, wurde nur durch den krampfhaften Versuch Heddas, am Leben zu bleiben, unterbrochen. Das Röcheln, das der geschundene Leib hervorstieß, war so atemberaubend schrecklich, dass selbst die anwesenden Rocker erschreckt ihren Boss anschauten.
„Dumme Hure.“
Den zweiten Schlag sah Hedda schon nicht mehr kommen, der Tod hatte seinen schweren Mantel über sie gelegt.
Der Riese sank auf das Bett und lag neben der toten Frau. Ein grotesker Anblick, der sich den Anwesenden bot. Die Beine breit, steckte das Küchenmesser bis zum Griff zwischen seinen Schenkeln.
„Holt einen Arzt, aber dalli. Bringt die Gören hier raus und sperrt sie ein. Liam und Estella, ihr seid mir für die beiden verantwortlich und bringt diese verdammte Leiche weg. Entsorgt sie in der Wüste, bei den Coyoten.“
„Ja, Boss.“
Einer der Rocker war schon dabei, einen Arzt zu besorgen, indem er hektisch an seinem Handy herumhantierte.
Die beiden Mädchen standen erstarrt neben Liam und Estella und waren zu keiner Bewegung mehr fähig. Sie sahen nur, wie die Lebenszeichen ihrer Mutter erstarben. Langsam, es passierte fast synchron, machte der kindliche Ausdruck in ihren Gesichtern eine Veränderung durch. Es war nichts Kindliches mehr in ihnen zu entdecken. Keine Mimik bewegte die erstarrten Züge, nur diese vier Augen schauten glühend den Riesen an und prägten sich jede Einzelheit des Mörders ein, auch die anderen, die in dem Zimmer waren, blieben nicht verschont. Keine Träne ran über ihre Wangen, aber die Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Es war nur noch eiserne Härte, welche ihren ganzen Körper erfüllte. Anscheinend willenlos, ließen sie sich von den beiden Frauen aus dem Raum drängen. Sie wurden in ein Zimmer gebracht, das noch ein Stockwerk höher lag.
„Liam, sind wir uns einig?“
„Ja. Aber wann?“
„Jetzt und heute, wenn der Arzt kommt. Ich glaube nicht, dass sie das Messer hier so einfach rausziehen. Jack muss in die Klinik, und in der Zeit haben wir den meisten Freiraum.“
„Ok, die Kinder müssen noch etwas zum Anziehen haben.“
„Was ist mit unserer Mama?“
„Eure Mama ist tot, und wir bringen euch hier weg. Wir müssen euch aber trennen, sonst funktioniert das nicht, und sie haben uns schnell wieder gefangen.“
Liam ging zum Schrank und warf den Mädchen ein paar Sachen zu.
„Sind wohl etwas groß, aber für das Erste müssen sie langen. Zieht euch an, Kinder.“
Die beiden Mädchen zogen sich schnell um.
„Wie viel Geld hast du, Liam?“
„Genug, um dahin zu kommen, wo ich hinwill.“
„Ich habe auch genug. Wenn ich am Ziel bin, wird man mir weiterhelfen.“
„Ok, dann warten wir, bis der Arzt kommt. Ich sage denen jetzt Bescheid, dass wir den Kindern etwas zum Schlafen geben mussten und wir wieder arbeiten gehen.“ Liam ging zur Tür hinaus, und Estella half den Mädchen beim Anziehen. Mit ihrer rauchigen Stimme redete sie mit den beiden, und Pauline und Katharina hörten der Frau zu. Wie in Trance, führten sie jede Order, die ihnen gegeben wurde, aus. Liam kam kurze Zeit später wieder. „Wie geht es ihm?“
„Sieht nicht so gut aus. Er muss wohl in die Klinik, wie wir gesagt haben, da können sie erst sagen, was kaputt gegangen ist.“
„Das wird seine Launen auch nicht verbessern.“
„Der Arzt ist da, es wird Zeit, dass wir verschwinden.“ Liam öffnete vorsichtig die Tür und schaute nach draußen, dabei hatte sie Pauline an der Hand. Liam gab Estella ein Zeichen, die mit Katharina folgte. Leise gingen sie ins Treppenhaus und stiegen noch eine Etage nach oben. Auf dem Dach angekommen, orientierten sie sich und die beiden führten die Kinder über die Nachtbardächer zur nächsten belebten Hauptstraße. Die Häuser in dem Stadtteil von Los Angeles waren so dicht aneinandergebaut, dass man bequem über die Dächer von einer Hauptstraße zur anderen gelangen konnte. Die erste Dachtür war offen, und sie stolperten durch einen dunklen Treppengang nach unten. Während der ganzen Odyssee über die Dächer fiel kein Wort. Selbst die Kinder duckten sich, um nicht gesehen zu werden. Liam öffnete vorsichtig die Tür und lugte nach draußen und gab den anderen Bescheid, ihr zu folgen.
„Los.“
Die vier huschten aus der Tür, auf den fast unbelebten Bürgersteig, wo die letzten Nachtschwärmer von den ersten Arbeitern abgelöst wurden.
„Jetzt brauchen wir ein Taxi.“
Gehetzt schauten sie sich um, aber keiner verfolgte sie.
„Da.“
Ein Pfiff und das Taxi hielt am Bordstein.
„Zum Bahnhof.“
Am Bahnhof angekommen, bezahlten sie und stiegen aus. Eine Seitenstraße weiter stiegen sie in das nächste Taxi.
„In die City.“
Auch dort stiegen sie wieder aus und nahmen das nächste Taxi.
„International Airport.“
„Gott sei Dank haben sie die Pässe der Kinder mitgenommen.“
Dabei hielt Estella zwei Pässe hoch.
„Und jetzt habe ich sie.“
Am Flugplatz angekommen, stiegen sie aus.
„Verabschiedet euch voneinander, wenn ihr leben wollt, müssen wir euch trennen.“
Ohne Worte fielen sich die beiden Mädchen in den Arm und drückten sich.
„Wir sehen uns wieder, Pauline.“
„Wir sehen uns wieder, Katharina.“
Auch die beiden jungen Frauen drückten sich.
„Keiner darf wissen, wo der andere hinfliegt.“
Tränen liefen über die Wangen der jungen Frauen, als sie sich trennten. Liam ging mit Pauline zum Flugschalter für Inlandflüge. Sie hatten Glück und konnten den ersten Flug nehmen. Estella und Katharina bekamen noch zwei Tickets für einen Flug nach Rio de Janeiro. Beide Abflüge verliefen problemlos.