BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe
der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Manuel Prieto/Norma
eBook-Produktion:
César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6302-9
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Blutige Fährte
1
Es war schon fast Abend, als wir mit unseren Wildpferden die Red Mesa Station erreichten.
Wir – nun, das waren Carlos, Juan, Nemez und ich. Mich nannte man Gil Concho. Als mich damals Apachen am Concho Creek im Gebüsch fanden, war ich noch zu klein, um meinen Familiennamen zu wissen. Ich wusste nur, dass man mich Gil nannte, was wahrscheinlich eine Abkürzung von Gilbert war.
Sie nannten mich Concho, weil sie mich am Concho Creek fanden.
Unser Wagen war damals von mexikanischen Bandoleros überfallen und meine Eltern getötet worden. Irgendwie hatte ich mich in den Dornenbüschen verkriechen können.
Aber so genau wusste ich das nicht. Und auch die Apachen hatten es mir nicht so genau erklären können.
Später dann kam ich in Santa Cruz in die Missionsschule zu den Padres. Ich wäre damals als Junge lieber bei den Apachen geblieben und einer von ihnen geworden. Erst später begann ich zu begreifen, dass ich ein Weißer war mit gelben Haaren und blauen Augen – und dass ich als Weißer in diesem Land eine Menge Vorteile und Privilegien besaß, noch verstärkt durch die gute Schulbildung, die ich den Padres verdankte.
Nun, wir erreichten also damals kurz vor der Abenddämmerung die Red Mesa Station im Santa Juanita Canyon und trieben unsere Wildpferde in einen Corral. Die Tiere waren noch längst nicht richtig zugeritten, also noch fast so wild wie an dem Tag, da wir sie in einer Schlucht wie in einer Falle fingen. Sie waren durstig wie wir alle. Denn wir hatten die Alkali-Wüste hinter uns. Die Red Mesa Station war mehr als nur eine Post- und Frachtstation, bei der man die Gespanne wechseln konnte. Es gab eine Schmiede, ein Gasthaus, einen Saloon und einen Store, dazu noch ein paar Hütten und Corrals.
Und natürlich gab es auch eine Quelle, sie füllte einen kleinen See, der nach der Wüste zu abfloss und nach zwei oder drei Meilen im Boden versickerte.
Vor dem Saloon standen einige Sattelpferde.
Und drinnen war Betrieb. Eine Gitarre erklang. Dazu konnte man die dunkle Stimme von Dolores hören. Dolores war dick und fett. Nur ihr Gesicht war wunderschön. Wenn man sich ihren unförmigen Körper wegdachte und sich nur auf ihr Gesicht und ihre Stimme konzentrierte, dann war sie für einsame Burschen, die aus der Apachenwüste kamen, eine wunderschöne Fee.
Außer ihr gab es noch einige Mädchen, die ihre Körper verkauften an die einsamen Reiter, die von irgendwoher kamen und nach irgendwohin wieder verschwanden.
So war das nun mal hier in dieser kleinen Welt, in der die Red Mesa Station sozusagen den Nabel darstellte, den Mittelpunkt.
Nun, wir wuschen uns bei den Wassertrögen den Staub ab und machten uns auf den Weg zu unserer »Tränke«.
John Farraday, der Stationsmann, kam uns vom Stationshaus entgegen, schnitt uns den Weg ab.
»Wie viele Pferde sind es?« So fragte er nach kurzer Begrüßung.
»Siebenundfünfzig«, erwiderte ich. »Wir bekommen fünfhundertundsiebzig Dollar, Mister Farraday. Am besten wäre, Sie geben uns jetzt hundert als Vorschuss. Den Rest holen wir uns, wenn wir nach unserer Feier wieder nüchtern sind.«
Er nickte.
Doch dann sagte er: »Geht nicht in den Saloon. Dort sind Al Wade und ein paar andere Skalpjäger, deren Namen ich nicht kenne. Aber es sind Skalpjäger. Geht lieber nicht in den Saloon.«
Er sprach seine Worte fast bittend.
Wir wussten jetzt, warum er uns entgegengekommen war. Er hatte mich und meine drei Partner warnen wollen. Denn Carlos, Juan und Nemez waren Halbblutmänner, Brüder überdies. Ihre Mutter war ein Mädchen vom Stamm der Chiricahuas, das von einem Missionar, der nicht keusch bleiben konnte, geschwängert worden war. Sie hatte ihre Söhne anfangs ohne Hilfe des Vaters aufziehen müssen, denn dieser hatte die Vaterschaft geleugnet, obwohl er als gläubiger Padre doch nach den Zehn Geboten leben sollte.
Die drei Brüder wuchsen dann teils bei den Apachen – teils bei den Missionaren auf, wobei Letztere wohl stets das Gefühl hatten, wegen ihres Mitbruders etwas gutmachen zu müssen.
Manchmal besuchten die Brüder ihre Mutter bei den Chiricahuas.
Als sie es wieder mal taten, da war sie nicht mehr am Leben. Skalpjäger hatten das Dorf überfallen.
Die Brüder waren also auf Skalpjäger nicht gut zu sprechen, wie man sicherlich verstehen kann.
Und Al Wade war ein im ganzen Land bekannter Skalpjäger. Manchmal zog er mit fünfzig Reitern los und brachte viele Skalpe zu dem Prämienzahlstellen.1)
Noch bevor ich etwas sagen konnte, sprach Carlos kehlig: »Skalpjäger? Ay, ich glaube nicht, dass wir sie mögen. Und weil das so ist, gehen wir ihnen nicht aus dem Weg. Oder doch, Brüder?«
»Nein«, sagte Juan.
»Die sollen uns aus dem Weg gehen«, sprach Nemez.
Ich sagte nichts. Aber als sie sich wieder in Bewegung setzten, ging ich mit ihnen. Denn wir waren Partner, Sattelgefährten. Wir kannten uns schon lange und hatten einen Vertrag mit der Post- und Frachtlinie. Wir fingen Wildpferde und lieferten diese für zehn Dollar das Stück. Weitere fünf Dollar bekamen wir für das Zureiten. Bis die Tiere dann im Sechsergespann laufen konnten, mussten die Leute der Postlinie noch harte Arbeit leisten.
Doch die Postlinie bevorzugte die hageren Mustangs, weil sie zäh und ausdauernd waren, sodass sie von einer Station zur anderen durchhielten – also an die dreißig Meilen trabten oder gar galoppierten.
Nun, ich will nicht abschweifen.
Wir setzten uns also in Richtung Saloon in Bewegung. Drinnen tönte Gelächter. Mädchen kreischten. Die Gitarre und der Gesang der dicken Dolores Mateos waren verklungen.
☆
Als wir die Tür erreichten, hielten wir an.
Es war eine Schwingtür. Man konnte über die Flügel hinweg in den Saloon sehen. Rauch, Schnaps- und Weingeruch und der Dunst von Leder, Schweiß und Menschen drangen uns in die Nase.
Auf einem Tisch tanzte eines von Dolores’ Mädchen. Sie hatte nicht mehr viel an. Die Skalpjäger umstanden den Tisch und klatschten mit den Händen den Takt. Musik oder Gesang war nicht zu hören. Nur das brettharte Klatschen der Hände tönte und ließ den Körper des Mädchens zucken. Ich sah ihre weit geöffneten Augen und wusste, dass sie irgendein Zeug geraucht hatte. Sie war entrückt. Wahrscheinlich hatte sie das Gefühl, schwerelos zu schweben.
Ich wusste, drüben in Mexiko sammelten sie irgendwelche Kräuter, die man wie Tabak rauchte. Dann bekam man das Gefühl, zum Himmel aufzusteigen.
Und ich hatte von einer alten Hexe der Yagui-Indianer gehört, die irgendwelches Pulver in das Lagerfeuer von Soldaten warf, die sie und ihre Sippe gefangen hatten. Die Soldaten atmeten den Rauch ein und waren viele Stunden betäubt.
Carlos sagte rau hinter mir: »Gehen wir, Gil. Wir haben Durst.«
Er stieß mich sanft an.
Und so hatte ich die Wahl. Ich konnte ihm und seinen Brüdern den Weg hinein freigeben oder vor ihnen hineingehen.
Ich tat Letzteres.
Als wir eintraten, sahen sie zu uns her.
Hier drinnen brannten schon die Lampen.
Ich kannte Al Wade vom Sehen. Und er kannte mich.
Er deutete sofort mit dem Zeigefinger auf mich, so als wäre dieser Finger ein Revolverlauf.
In der anderen Hand hielt er ein halb volles Glas.
Laut sagte er: »Seht euch die an.«
Sie klatschten nicht mehr im Takt, hielten inne. Und auch das Mädchen auf dem Tisch hielt inne in ihren Bewegungen.
Sie verharrte wie eine Puppe auf einer Spieluhr, wenn das Federwerk abgelaufen ist.
Die Kerle sahen zu uns her.
Ich setzte mich zum Schanktisch hin in Bewegung. Die drei Brüder folgten mir. Obwohl ich mich nicht nach ihnen umsah, wusste ich, dass sie die Blicke der Skalpjägermannschaft hart, ja, mit Abneigung und Feindschaft erwiderten.
Ich konnte sie gut verstehen.
Skalpjäger hatten einst ihre Mutter ermordet, um für deren Skalp fünfundzwanzig Dollar zu bekommen.
Es war Abscheu und Hass in den drei Brüdern Carlos, Juan und Nemez Hermosillo.
Und sie waren stolz.
Deshalb konnten sie nicht draußen bleiben.
Sie mussten hereinkommen und deutlich machen, dass auch sie Rechte besaßen, die ihnen niemand streitig machen durfte, schon gar nicht solche blutigen Skalpjäger, also Mörder, Menschenjäger, die auch Frauen und Kinder töteten und gewiss zum Dreck dieser Erde gehörten.
Als wir den Schanktisch erreichten, wischte Paco Mateos – es war der Mann der dicken Dolores – nervös mit einem Lappen auf der Platte herum.
»Tequila, Paco, Tequila für uns.« So sprach ich ruhig, denn wir wollten uns erst mal den Staub aus den Kehlen putzen und das Feuer im Leib spüren.
Aber da sagte Al Wades Stimme lässig: »Paco, den drei Indianern gibst du nichts! Jag sie raus! Indianer und Nigger haben in einem Saloon nichts zu suchen. Jage sie raus, Paco! Und wenn sie nicht parieren, machen wir ihnen Dampf.«
Nun war alles klar.
Ich vermochte ein bitteres Seufzen nicht zu unterdrücken.
Da waren wir viele Wochen in der Einsamkeit gewesen und hatten Wildpferde gejagt. Und nun waren wir noch keine einzige Stunde wieder unter Menschen, und schon saßen wir im schlimmsten Verdruss.
Aber hätten wir draußen bleiben sollen wie räudige Hunde?
Wäre es klüger gewesen, auf unser Recht zu verzichten und vor solch einer blutigen Mörderbande zu kuschen?
Es mochte sein, dass das Sprichwort »Der Klügere gibt nach« seine Berechtigung hat. Doch gewiss nicht in diesem Land. Dieses Land war zu hart. Und wer hier nachgab, der gehörte nicht zu den Klugen, sondern zu den Schwachen.
Deshalb gaben hier nur die Schwachen und Furchtsamen nach.
Alle anderen Menschen taten alles, um sich zu behaupten. Das war selbstverständlich für sie und ließ sie in diesem Land überleben.
Bei den drei Brüdern kamen noch die Verachtung und der Hass hinzu.
Wir wandten uns um.
Und wir waren vier gegen sieben.
Carlos sagte: »Lasst uns nur in Ruhe, ihr Stinker. Oder ihr bekommt was aufs Maul.«
Es ging dann sehr schnell.
Einer der Kerle schnappte fluchend nach dem Colt. Sein Fluchen war auch das Signal für die anderen.
Und so zogen sie alle.
Nein, sie wollten nicht mit den Fäusten kämpfen.
Sie wollten schießen, und sie vertrauten auf ihre Revolverschnelligkeit. Mein Colt krachte zuerst. Ich schlug sie alle.
Und ich schoss Al Wade in die Brust und schoss weiter. Ich sah in Mündungsfeuer und hörte das Krachen der Colts.
Pulverdampf breitete sich aus.
Dann wurde es still.
Ich spürte jetzt erst die Schmerzen einer Wunde und fiel auf ein Knie.
Eines der Mädchen begann unter einem der Tische zu kreischen.
Doch die Stimme der dicken Dolores ertönte hinter dem Schanktisch, wo sie mit Paco kauerte: »Seid ihr jetzt fertig? Ist es nun genug?«
Es blieb eine Weile still. Man hörte in dieser Stille nur gepresste Atemzüge, Stöhnen, Schnaufen, kein einziges Wort.
Und dann hörte man in der Stille, wie ein Mann mit seinem Sporn über den Fußboden scharrte, so als streckte er sich für immer aus. Ein letztes Ausatmen ertönte.
Ich saß da, spürte den Schmerz meiner Wunde in der Schulter. Da ich auf meinen Absätzen saß oder hockte, stachen mich die Spitzen der Sporenrädchen durch den Hosenboden.
Ich kam wieder auf die Beine. Nun spürte ich das Blut, das mir aus der Schulter lief, auch aus der Wunde im Rücken. Ich hatte also einen glatten Schulterdurchschuss.
Ich schwankte zum Schanktisch, hielt mich daran fest und griff nach der Flasche, die da zufällig stand. Nach einem langen Zug war wieder Wärme in meinem Leib.
Ich sagte heiser: »Los, steh auf, Dolores. Es ist vorbei. Steh auf und sieh nach meiner Wunde. Mach schon, Dolores!«
Sie erhob sich hinter der Bar, stand massig und fett vor mir auf der anderen Seite. Auch Paco erhob sich. Hinter mir krochen die Mädchen unter den Tischen hervor.
Eine sagte bitter: »Ihr verdammten Arschlöcher. Was habt ihr denn nun davon? Jetzt ist die ganze Bude voller Leichen! O Vater im Himmel, warum bin ich nur hier gelandet!«
»Weil dein Fahrgeld nicht weiter reichte, Lily«, sagte die fette Dolores. Sie wandte sich an Paco. »Vorwärts, hol das Verbandszeug. Wir haben hier eine Menge Löcher zuzustopfen. Die sind nicht alle tot.«
☆
Eine Stunde später wussten wir es genau.
Al Wade und drei seiner Skalpjäger waren ziemlich böse angeschossen, doch nicht tot. Drei von ihnen hatte ich erwischt. Auf unserer Seite gab es einen Toten: Nemez. Aber Carlos und Juan waren so böse getroffen, dass sie vielleicht doch noch sterben mussten.
Und das alles geschah nur, weil wir vor einer Bande von Skalpjägern nicht kneifen konnten – ja, nicht konnten.
Die Hermosillo-Brüder hassten Skalpjäger.
Und ich war ihr Compadre, ihr Partner, ihr Amigo.
Ich hatte zu ihnen halten müssen.
Überdies hasste und verachtete ich diese Skalpjäger ebenfalls.
2
Es geschah dann von einer Sekunde zur anderen.
Die dicke Dolores war soeben damit fertig, mir den Verband anzulegen. Sie ließ ein zufriedenes Schnaufen hören und sagte: »Du wirst wieder, du gelbhaariger Wildpferdjäger, du wirst wieder. Nur auf meine Mädchen wirst du ein paar Tage verzichten müssen, nicht wahr?«
Sie wandte mir den Rücken zu, warf dabei einen Blick zur Schwingtür und erstarrte jäh. In diesem Moment kam ein Pfeil und schlug mit einem dumpfen Patschen genau zwischen ihren gewaltigen Brüsten in die Magengrube.
»O Gott«, sagte sie noch, indes sie auf die Knie fiel.
Und sie sah dann gewiss auch die Apachen noch in ihren Saloon hereingesprungen kommen wie die Teufel aus der Kiste.
Ich meine diese Kinderspielzeugkiste, aus der mit Hilfe einer Spiralfeder eine Teufelspuppe springt, sobald man den Deckel öffnet. Man erschrickt dann sehr, weil einem die Teufelspuppe gewissermaßen an die Nase springt.
Nun, so überraschend kamen die Apachen hereingesprungen – aber es war nicht so harmlos wie der Teufel aus der Spielzeugkiste. Nein, es war blutiger Ernst. Denn sie kamen, um zu töten.
Und sie kannten keine Gnade, weil man auch gegen sie keine Gnade kannte.
Ich begriff in dieser winzigen Sekunde, dass sie hinter Al Wade und dessen Skalpjägern her waren.
Ich saß mit nacktem Oberkörper da. Unter meinem Schulterverband war Blut hervorgelaufen und getrocknet. Vielleicht hätte Dolores es mir noch abgewischt. Doch das konnte sie nicht.
Ich hörte Pacos Schrei, der gurgelnd abbrach. Wahrscheinlich hatte er einen Pfeil in den Hals bekommen. Ich sah nicht hin, sondern starrte den Apachen entgegen.
Denn nun würde ich sterben, wie wir alle hier im Saloon.
Die Mädchen wimmerten, wollten wieder unter die Tische kriechen. Aber die Apachen waren schneller. Sie bewegten sich wie gleitende Wüstenwölfe, wenn diese ein Wild gestellt haben und von allen Seiten angreifen, um es in Stücke zu reißen.
Einer der Apachen stand nun vor mir, sein Apachenmesser in der Hand. Ich wusste, er würde mir im nächsten Moment die Kehle durchschneiden. Ich starrte in seine Augen. Dabei hob ich langsam den Arm meiner gesunden Schulter.
Und dann sagte ich schnell in der Sprache dieses Chiricahua-Kriegers: »Ich bin Concho. Halt inne, Bruder. Denn ich habe mit meinen Amigos die Skalpjäger niedergekämpft. Warte noch, bevor du mich tötest.«
Er hielt inne. In seinem wilden Blick erkannte ich Staunen.
Ich sah an ihm vorbei zur Schwingtür. Denn dort war jetzt eine Bewegung.
Und da sah ich ihn.
Hurtado.
Ich rief sofort: »Hey, Hurtado!«
Er kam näher. Es war still im Raum. Sogar die soeben noch kreischenden Mädchen waren jetzt still.
Hurtado und ich, wir kannten uns gut. Denn von seiner Sippe war ich damals gefunden und mitgenommen worden. Sie waren es, die mich später zu den Missionaren von Santa Cruz brachten.
Dies aber geschah erst nach einigen Jahren. Hurtado und ich, wir spielten als Kinder miteinander. Und als man auch ihn für einige Jahre zu den Missionaren gab, da waren wir Schüler des gleichen Jahrgangs. Das alles geschah in jener ziemlich kurzen Zeitspanne, da man wieder einmal versuchte, Apachen zu Christen zu machen und ihnen die Raub- und Mordlust abzugewöhnen.
Doch das war nicht möglich. Ein wilder Apache blieb ein wilder Apache.2)
Hurtado kam langsam näher und drängte den Krieger mit einer Armbewegung zur Seite. Er verhielt dann vor mir. Für einen Apachen war er ziemlich groß und recht gut proportioniert. Denn sonst waren die Apachen eher klein, schmalbrüstig und auch kurzbeinig.
Sie sahen nicht so aus, als könnten sie an einem Tag einhundertsechzig Kilometer durch wüstenähnliches Land traben.
Aber sie konnten es. Ich wusste das genau.
☆
Er betrachtete mich hart.
Einer seiner Krieger trat zu ihm und sprach schnelle Worte, die ich aber dennoch verstand. Denn die Krieger hier im Saloon hatten inzwischen herausgefunden, dass die Skalpjäger entweder tot oder schwer verwundet waren und dass offenbar ich mit den drei Hermosillo-Brüdern mit ihnen gekämpft hatte.
Und natürlich waren auch die drei Hermosillo-Brüder einigen Apachen bekannt. Schließlich war ja deren Mutter eine Chiricahua gewesen. Der Krieger berichtete also Hurtado alles mit schnellen Worten.
Als er fertig war, nickte Hurtado mir zu.
Er sprach die englische und die spanische Sprache so gut wie ich. Und er sagte auf Englisch: »Ihr seid uns zuvorgekommen. Al Wade überfiel mit einem Dutzend Leuten eins unserer Dörfer, indes wir Krieger zum Pferdehandel drüben in Mexiko waren. Unsere alten Männer, die Frauen und die Kinder kämpften so gut sie konnten. Sie töteten einige der Skalpjäger – aber dann mussten sie sterben. Jedenfalls die meisten von ihnen. Nur wenige konnten dem Massaker entrinnen. Draußen an einem der Sattelpferde hängt ein ganzer Sack Skalpe. Gil Concho, es gibt keine Gnade mehr zwischen uns und den Weißen. Du bist ein Weißer. Eines Tages wirst du Partei ergreifen müssen. Dann wirst auch du Apachen töten oder von ihnen getötet werden. Das wird so kommen. Heute lassen wir dich und die beiden Hermosillo-Brüder noch am Leben. Weil auch die beiden Brüder wie Weiße denken und wie Weiße leben, ist es vielleicht dumm von mir, sie nicht zu töten. Die Weißen sind zu sehr in der Überzahl. Und es werden immer mehr. Vielleicht ist es sinnlos, sie alle töten zu wollen. Aber was können wir anders tun?«
Er wartete nicht auf eine Antwort. Vielleicht hatte er seine letzten Worte auch gar nicht als Frage gestellt.
Er wandte sich ab und ging hinaus.
Seine Krieger zerrten die vier kreischenden Mädchen mit hinaus.
Ja, sie nahmen sie mit.
Denn sie hatten ihre Frauen verloren. Und Apachen raubten sich schon seit Jahrhunderten Frauen. Deshalb wurden sie auch von allen benachbarten Indianervölkern getötet.
Das Wort Apache kommt von Apachu, und dieses Wort bedeutet in der Sprache der Pueblos nichts anderes als Feind.
Nun, sie nahmen also die kreischenden und wimmernden Mädchen mit.
Ich konnte nichts dagegen tun, gar nichts. Ich saß mit einer zerschossenen Schulter auf einem Stuhl. Rechts vor mir lag die dicke Dolores auf dem Rücken. Ein Pfeil ragte zwischen ihren Brüsten aus dem Körper.
Ich sah mich um.
Bei der Bar lag Paco, ihr um mehr als einen Kopf kleinerer Mann.
Überall lagen die Toten.
Doch Carlos und Juan Hermosillo hatten die Apachen am Leben gelassen, so wie mich.
Aber alle anderen waren getötet worden. Ich wusste, dass es auch draußen in den anderen Häusern so war. Die Red Mesa Station war überfallen und jedes Leben darin – bis auf uns drei und die Mädchen – ausgelöscht worden. Man hatte gewiss auch alle Tiere abgeschlachtet. Die meisten wenigstens. Denn dorthin, wohin die Apachen nun flüchten würden, nahmen sie gewiss nur wenige Tiere mit. Denn ihre geheimen Wasserstellen reichten nicht für viele Menschen und Tiere.
So war das also. Ich wollte fluchen. Doch mir versagte die Stimme. Fluchen hatte keinen Sinn. Diese Welt hier war zu böse.