Das Buch Hiob
Neu bearbeitete und kommentierte Ausgabe (Klassiker der ofd edition)
In der christlichen Tradition steht das Alte Testament für die heiligen Schriften des Judentums, die dort seit etwa 100 v. Chr. als Tanach bezeichnet werden. Außerdem gehören zu ihm weitere Texte aus einer griechischsprachigen Textsammlung (Septuaginta). Der jüdische Tanach wurde ursprünglich auf Hebräisch, zu kleineren Teilen auch auf Aramäisch verfasst.
Die Struktur des Buches Hiob weist drei Teile auf: Den Prolog (Kapitel 1–2), einen umfänglichen Dialogteil (3–42,6) und einen kurzen Epilog (42,7–17). Dabei wird die Rahmenhandlung durch den Prolog und den Epilog in Prosa vorgegeben, in die die Dialogreden als Mittelteil in Versform integriert sind.
Der sprachliche Unterschied zwischen der beschriebenen Rahmenhandlung und den Dialogen – ein Beispiel ist die Unterschiedlichkeit der verwendeten Gottesnamen – legen den Verdacht nahe, dass der Text auf verschiedene Autoren zurückgeht, die keine Zeitgenossen waren.
Sehr wahrscheinlich geht die Rahmenerzählung auf eine Volkssage zurück, die verschriftlicht und in die zu einem späteren Zeitpunkt der Redeteil eingeführt wurde. Gemeinhin wird die Rahmenerzählung auf die Zeit nach dem Babylonischen Exil (586–539 v. Chr.) datiert. Insgesamt dürfte der gesamte Text, der aus der hebräischen Bibel stammt, von den Anfängen bis zur letzten Bearbeitung im Zeitraum von 500 bis 100 v. Chr. entstanden sein.
Sage ich, dass ich gerecht bin, so verdammt er mich doch; bin ich unschuldig, so macht er mich doch zu Unrecht. Ich bin unschuldig! Ich frage nicht nach meiner Seele, begehre keines Lebens mehr. Es ist eins, darum sage ich: Er bringt um beide, den Frommen und den Gottlosen.
Wenn er anhebt zu geißeln, so dringt er alsbald zum Tod und spottet der Anfechtung der Unschuldigen. Das Land aber wird gegeben unter die Hand der Gottlosen, und der Richter Antlitz verhüllt er. Ist's nicht also, wer anders sollte es tun?
Hiob 1
1 Es war ein Mann im Lande Uz, der hieß Hiob. Derselbe war rechtschaffen, fromm, gottesfürchtig und mied das Böse.
2 Und er zeugte sieben Söhne und drei Töchter;
3 und seines Viehs waren siebentausend Schafe, dreitausend Kamele, fünfhundert Joch Rinder und fünfhundert Eselinnen, und er hatte viel Gesinde; und er war herrlicher denn alle, die im Osten wohnten.
4 Und seine Söhne gingen und machten ein Mahl, ein jeglicher in seinem Hause an seinem Tag, und sandten hin und luden ihre drei Schwestern, mit ihnen zu essen und zu trinken.
5 Und wenn die Tage des Mahls um waren, sandte Hiob hin und heiligte sie und machte sich des Morgens früh auf und opferte Brandopfer nach ihrer aller Zahl; denn Hiob gedachte: Meine Söhne könnten gesündigt und Gott abgesagt haben in ihrem Herzen. Also tat Hiob allezeit.
6 Es begab sich aber auf einen Tag, da die himmlischen Kinder Gottes kamen und vor den HERRN traten, kam der Satan auch unter ihnen.
7 Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe das Land umher durchzogen.
8 Der HERR sprach zu Satan: Hast du nicht achtgehabt auf meinen Knecht Hiob? Denn es ist seinesgleichen nicht im Lande, schlecht und recht, gottesfürchtig und er meidet das Böse.
9 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Meinst du, dass Hiob umsonst Gott fürchtet?
10 Hast du doch ihn, sein Haus und alles, was er hat, ringsumher beschützt. Du hast das Werk seiner Hände gesegnet, und sein Gut hat sich ausgebreitet im Lande.
11 Aber recke deine Hand aus und taste an alles, was er hat: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
12 Der HERR sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht. Da ging der Satan aus von dem HERRN.
13 Des Tages aber, da seine Söhne und Töchter aßen und Wein tranken in ihres Bruders Hause, des Erstgeborenen,
14 kam ein Bote zu Hiob und sprach: Die Rinder pflügten, und die Eselinnen gingen neben ihnen auf der Weide,
15 da fielen die aus Saba herein und nahmen sie und schlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts; und ich bin allein entronnen, dass ich dir's berichte.
16 Da er noch redete, kam ein anderer und sprach: Das Feuer Gottes fiel vom Himmel und verbrannte Schafe und Knechte und verzehrte sie; und ich bin allein entronnen, dass ich dir's berichte.
17 Da der noch redete, kam einer und sprach: Die Chaldäer machte drei Rotten und überfielen die Kamele und nahmen sie und schlugen die Knechte mit der Schärfe des Schwerts; und ich bin allein entronnen, dass ich dir's berichte.
18 Da der noch redete, kam einer und sprach: Deine Söhne und Töchter aßen und tranken im Hause ihres Bruders, des Erstgeborenen,
19 Und siehe, da kam ein großer Wind von der Wüste her und stieß auf die vier Ecken des Hauses und warf's auf die jungen Leute, dass sie starben; und ich bin allein entronnen, dass ich dir's berichte.
20 Da stand Hiob auf und zerriss seine Kleider und raufte sein Haupt und fiel auf die Erde und betete an
21 und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt.
22 In diesem allem sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott.
Hiob 2
1 Es begab sich aber des Tages, da die himmlischen Kinder Gottes kamen und traten vor den HERRN, dass der Satan auch unter ihnen kam und vor den HERRN trat.
2 Da sprach der HERR zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe das Land umher durchzogen.
3 Der HERR sprach zu dem Satan: Hast du nicht acht auf meinen Knecht Hiob gehabt? Denn es ist seinesgleichen im Lande nicht, rechtschaffen, gottesfürchtig und er meidet das Böse und hält noch fest an seiner Frömmigkeit; du aber hast mich bewogen, dass ich ihn ohne Ursache verderbt habe.
4 Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Haut für Haut; und alles was ein Mann hat, lässt er für sein Leben.
5 Aber recke deine Hand aus und taste sein Gebein und Fleisch an: was gilt's, er wird dir ins Angesicht absagen!
6 Der HERR sprach zu dem Satan: Siehe da, er ist in deiner Hand; doch schone sein Leben!
7 Da fuhr der Satan aus vom Angesicht des HERRN und schlug Hiob mit bösen Schwären von der Fußsohle an bis auf seinen Scheitel.
8 Und er nahm eine Scherbe und schabte sich und saß in der Asche.
9 Und sein Weib sprach zu ihm: Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Ja, sage Gott ab und stirb!
10 Er aber sprach zu ihr: Du redest, wie die närrischen Weiber reden. Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allem versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen.
11 Da aber die drei Freunde Hiobs hörten all das Unglück, das über ihn gekommen war, kamen sie, ein jeglicher aus seinem Ort: Eliphas von Theman, Bildad von Suah und Zophar von Naema. Denn sie wurden eins, dass sie kämen, ihn zu beklagen und zu trösten.
12 Und da sie ihre Augen aufhoben von fern, kannten sie ihn nicht und hoben auf ihre Stimme und weinten, und ein jeglicher zerriss sein Kleid, und sie sprengten Erde auf ihr Haupt gen Himmel
13 und saßen mit ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte und redeten nichts mit ihm; denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.
Hiob 3
1 Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.
2 Und Hiob sprach:
3 Der Tag müsse verloren sein, darin ich geboren bin, und die Nacht, welche sprach: Es ist ein Männlein empfangen!
4 Derselbe Tag müsse finster sein, und Gott von oben herab müsse nicht nach ihm fragen; kein Glanz müsse über ihn scheinen!
5 Finsternis und Dunkel müssen ihn überwältigen, und dicke Wolken müssen über ihm bleiben, und der Dampf am Tage mache ihn gräßlich!
6 Die Nacht müsse Dunkel einnehmen; sie müsse sich nicht unter den Tagen des Jahres freuen noch in die Zahl der Monde kommen!
7 Siehe, die Nacht müsse einsam sein und kein Jauchzen darin sein!
8 Es müssen sie verfluchen die Verflucher des Tages und die da bereit sind, zu erregen den Leviathan!
9 Ihre Sterne müssen finster sein in ihrer Dämmerung; sie hoffe aufs Licht, und es komme nicht, und müsse nicht sehen die Wimpern der Morgenröte,
10 darum dass sie nicht verschlossen hat die Tür des Leibes meiner Mutter und nicht verborgen das Unglück vor meinen Augen!
11 Warum bin ich nicht gestorben von Mutterleib an? Warum bin ich nicht verschieden, da ich aus dem Leibe kam?
12 Warum hat man mich auf den Schoß gesetzt? Warum bin ich mit Brüsten gesäugt?
13 So läge ich doch nun und wäre still, schliefe und hätte Ruhe
14 mit den Königen und Ratsherren auf Erden, die das Wüste bauen,
15 oder mit den Fürsten, die Gold haben und deren Häuser voll Silber sind.
16 Oder wie eine unzeitige Geburt, die man verborgen hat, wäre ich gar nicht, wie Kinder, die das Licht nie gesehen haben.
17 Daselbst müssen doch aufhören die Gottlosen mit Toben; daselbst ruhen doch, die viel Mühe gehabt haben.
18 Da haben doch miteinander Frieden die Gefangenen und hören nicht die Stimme des Drängers.
19 Da sind beide, klein und groß, und der Knecht ist frei von seinem Herrn.
20 Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen
21 die des Todes warten, und er kommt nicht, und grüben ihn wohl aus dem Verborgenen,
22 die sich sehr freuten und fröhlich wären, wenn sie ein Grab bekämen,
23 dem Manne, dessen Weg verborgen ist und vor ihm von Gott verzäunt ward?
24 Denn wenn ich essen soll, muss ich seufzen, und mein Heulen fährt heraus wie Wasser.
25 Denn was ich gefürchtet habe ist über mich gekommen, und was ich sorgte, hat mich getroffen.
26 War ich nicht glückselig? War ich nicht fein stille? Hatte ich nicht gute Ruhe? Und es kommt solche Unruhe!
Hiob 4
1 Da antwortete Eliphas von Theman und sprach:
2 Du hast's vielleicht nicht gern, so man versucht, mit dir zu reden; aber wer kann sich's enthalten?
3 Siehe, du hast viele unterwiesen und lässige Hände gestärkt;
4 deine Rede hat die Gefallenen aufgerichtet, und die bebenden Knie hast du gekräftigt.
5 Nun aber es an dich kommt, wirst du weich; und nun es dich trifft, erschrickst du.
6 Ist nicht deine Gottesfurcht dein Trost, deine Hoffnung die Unsträflichkeit deiner Wege?
7 Gedenke doch, wo ist ein Unschuldiger umgekommen? Oder wo sind die Gerechten je vertilgt?
8 Wie ich wohl gesehen habe: Die da Mühe pflügen und Unglück säten, ernteten es auch ein;
9 durch den Odem Gottes sind sie umgekommen und vom Geist seines Zorns vertilgt.
10 Das Brüllen der Löwen und die Stimme der großen Löwen und die Zähne der jungen Löwen sind zerbrochen.
11 Der Löwe ist umgekommen, dass er nicht mehr raubt, und die Jungen der Löwin sind zerstreut.
12 Und zu mir ist gekommen ein heimlich Wort, und mein Ohr hat ein Wörtlein davon empfangen.
13 Da ich Gesichte betrachtete in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt,
14 da kam mich Furcht und Zittern an, und alle meine Gebeine erschraken.
15 Und da der Geist an mir vorüberging, standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe.
16 Da stand ein Bild vor meinen Augen, und ich kannte seine Gestalt nicht; es war still, und ich hörte eine Stimme:
17 Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott? Oder ein Mann rein sein vor dem, der ihn gemacht hat?
18 Siehe, unter seinen Knechten ist keiner ohne Tadel, und seine Boten zeiht er der Torheit:
19 wie viel mehr die in Lehmhäusern wohnen und auf Erde gegründet sind und werden von Würmern gefressen!
20 Es währt vom Morgen bis an den Abend, so werden sie zerschlagen; und ehe sie es gewahr werden, sind sie gar dahin,
21 und ihre Nachgelassenen vergehen und sterben auch unversehens.
Hiob 5
1 Rufe doch! was gilt‘s, ob einer dir antworte? Und an welchen von den Heiligen willst du dich wenden?
2 Einen Toren aber erwürgt wohl der Unmut, und den Unverständigen tötet der Eifer.
3 Ich sah einen Toren eingewurzelt, und ich fluchte plötzlich seinem Hause.