Der englische Schriftsteller H.G. Wells (1866-1946) zählt zu den
Pionieren der Science-Fiction-Literatur. Seine Klassiker wie „Krieg
der Welten“, „Die Zeitmaschine“ und „Die Insel des Dr. Moreau“
wurden mehrmals verfilmt und begeistern damals wie heute Jung und
Alt.
Etwas unbekannter sind die politischen Schriften von H.G. Wells, in
denen er schon in den 1920ern für eine solidarische
Weltgemeinschaft plädiert, die sich in einem einzigen Weltstaat
organisiert. Wells war bekennender Sozialist, kritisierte aber jede
Form eines autoritären Staates – und damit auch die Praxis der
Sowjetunion. Wells veruteilte jede Form der Ausbeutung, der
Unterdrückung und des Rassismus. Seine hier vorliegende Schrift
„Die Rettung der Zivilisation“ stammt aus dem Jahr 1922, ist aber -
dank Wells’ Weitsicht und Intelligenz - noch heute außerordentlich
aktuell.
„Bedeuten der Wohlstand und die zuversichtlichen Hoffnungen, mit
denen das 20. Jahrhundert begann, nichts mehr, als den Gipfel
zufälliger Glückserscheinungen? Hat sich der Kreis von Wohlstand
und Fortschritt schon geschlossen? Wohin wird uns dieses Taumeln,
Stolpern, werden uns diese Missgriffe, die feindseligen Ereignisse
der Jetztzeit führen? Steht die Welt im Beginn solcher Zeiten des
Unglücks und der Verwirrung, wie sie den Untergang des
weströmischen Reiches verursachten und in China das Ende der
Han-Dynastie?“
- H.G. Wells in „Die Rettung der Zivilisation“
Im Jahr 1941, also mitten im Zweiten Weltkrieg, schrieb Wells, dass
sein Grabspruch eigentlich folgender sein müsste: „I told you so.
You damned fools.“ („Ich hab’s euch gesagt. Ihr
verdammten Dummköpfe.“)
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig editiert und enthält H.G.
Wells’ Essay „Die Rettung der Zivilisation“ (1922) im ungekürzten
Original-Wortlaut der deutschen Übersetzung.
Wells behandelt das Problem der Rettung unserer Kultur und kommt
zum Ergebnis, dass wir Westländer entweder untergehen oder aber uns
zu einer höheren Einheit zusammenschliessen müssen. Er geht von der
These aus, dass die Grundursache des heutigen Chaos darin besteht,
dass unser politischer Organismus den neuen Lebensbedingungen in
keiner Weise mehr angepasst sei. Bei der Schnelligkeit der modernen
Verkehrsmittel, der wechselseitigen ökonomischen Abhängigkeit, der
bald alles Leben gefährdenden Vernichtungskraft der modernen
Kriegsmittel seien die bisherigen Staatsgrenzen unhaltbar; entweder
sie würden aufgehoben oder aber mir müssen alle miteinander
zugrunde gehen. Und die einzige zweckmässige politische
Zusammenfassung sieht Wells schon heute – alle Zwischenglieder
überspringend – im Weltstaat. Der Schwierigkeiten, die seiner
Konstituierung entgegenstehen, ist Wells sich wohl bewusst. Er
glaubt weder an den Völkerbund, noch an irgendein ähnliches
Palliativ. Belehrt durch die Kriegserfahrungen, will er die
Schwierigkeiten nicht von aussen, sondern von innen her überwinden:
durch Erziehung zu einem Weltbürgertum, demgegenüber der bisherige
Patriotismus ebenso selbstverständlich verschwände, wie der
regionale Patriotismus im Nationalstaat aufgegangen ist. – Auf die
vorgeschlagenen Mittel, z. B. das einer neuen Bibel, will ich hier
nicht näher eingehen. Ich persönlich glaube weniger als Wells an
die Allmacht der Beeinflussung durch die Schulerziehung, weil
letztere im ganzen doch nur »Wissen« einflösst und »Verstehen«
allein innerlich verwandelt. Aber sicher kommen für eine fernere
Zukunft auch Wells' Heilmittel in Frage; es gibt keines, das alles
zu leisten vermöchte, jedwedes muss angewandt werden, und es
schadet auch nichts, wenn das Äussere dem Inneren zeitweilig
vorauseilt. Eins steht jedenfalls fest: Wells' Grundgedanke, dass
unser politischer Organismus den neuen Verhältnissen nicht mehr
angepasst sei, und dass, solange solche Anpassung nicht eintrete,
Katastrophe auf Katastrophe erfolgen müsse, ist wahr. Der
Nationalstaat als letzte Synthese ist unhaltbar
geworden.«
I
Die wahrscheinliche Zukunft der Menschheit
§ 1
Der gegenwärtige Ausblick auf die menschlichen Dinge
gehört zu denen, die weiteste Verallgemeinerung gestatten und
weiteste Verallgemeinerung zu verlangen scheinen. Wir befinden uns
in einer jener Erfahrungsphasen, die in der Geschichte
ausschlaggebend werden. Eine Reihe unermesslicher und tragischer
Ereignisse hat die Selbstgefälligkeit der Menschheit zertrümmert,
sie hat Willen und Einsicht herausgefordert. Jener leichte
allgemeine Fortschritt menschlicher Dinge, der mehrere Generationen
hindurch den Glauben an ein notwendiges, unbezwingliches Wachstum
zu rechtfertigen schien, ein Wachstum zu grösserer Macht, grösserem
Glück und fortschreitender Lebenserweiterung, ist gewaltsam gehemmt
und möglicherweise gänzlich aufgehalten worden. Die Katastrophe des
grossen Krieges hat in unserer äusserlich gedeihlichen Gesellschaft
eine Anhäufung von Vernichtungsgewalten offenbart, die wenige von
uns sich hätten träumen lassen; sie hat ebenfalls die tiefe
Unfähigkeit bewiesen, diese Mächte zu behandeln und sie zu zähmen.
Die zwei Jahre des allgemeinen Mangels, der Unordnung und
Unentschlossenheit, die dem Weltkrieg in Europa und Asien folgten,
die Ungewissheit, die sogar das verhältnismässig ungestörte Leben
in Amerika beunruhigt haben, erscheinen dem wachsamen Verstande
noch verhängnisvoller, für unsere soziale Ordnung, als der Krieg
selbst. Was geschieht mit unserer Rasse? fragt man sich. Bedeuten
der Wohlstand und die zuversichtlichen Hoffnungen, mit denen das
20. Jahrhundert begann, nichts mehr, als den Gipfel zufälliger
Glückserscheinungen? Hat sich der Kreis von Wohlstand und
Fortschritt schon geschlossen? Wohin wird uns dieses Taumeln,
Stolpern, werden uns diese Missgriffe, die feindseligen Ereignisse
der Jetztzeit führen? Steht die Welt im Beginn solcher Zeiten des
Unglücks und der Verwirrung, wie sie den Untergang des
weströmischen Reiches verursachten und in China das Ende der
Han-Dynastie? Und wenn dies der Fall sein sollte, wird sich das
Unglück auch auf Amerika erstrecken? Oder ist das amerikanische
System selbständig genug, durch die Entfernung genügend gesichert,
um eine eigene Fortschrittsbewegung beizubehalten, wenn die alte
Welt zusammenbricht.
Irgendeine Antwort, wenn auch eine noch so allgemeine und
unbestimmte, muss ein jeder von uns auf diese Fragen finden, bevor
wir ein einsichtsvolles Interesse an fremden Angelegenheiten nehmen
oder eine wirksame Stimme abgeben können. Auch wenn es jemandem
nicht möglich sein sollte, eine bestimmte Ansicht zu formulieren,
so muss er doch zum mindesten eine stillschweigende Überzeugung
besitzen, ehe er in diesen Dingen handeln kann. Ist es ihm nicht
gelungen, zu einer klaren Entscheidung zu gelangen, so wird er sich
von instinktiven Forderungen des Unterbewusstseins leiten lassen.
Es ist sehr viel nützlicher, dass er diese in die Beleuchtung des
klaren Gedankens stelle.
Die Unterdrückung der kriegerischen Ereignisse steht, der
allgemeinen Anschauung nach, im Mittelpunkt unserer
zeitgenössischen Probleme. Der Krieg ist jedoch der menschlichen
Erfahrung nichts Neues, jahrhundertelang konnte die Menschheit
trotz häufiger Kriege fortbestehen. Die meisten Staaten und Reiche
befanden sich in den Zeiten ihres Wohlstandes und ihrer Festigkeit
stets in abwechselnde Kriege verwickelt. Aber ihre Kriegsführung
war eine andere als heutzutage. Das was die Energie der
fortschrittlichen Entwicklung der verflossenen anderthalb
Jahrhunderte zu so plötzlichem Stillstand gebracht hat, ist nicht
die alte bekannte Kriegführung; die Kriegführung hat sich durch die
neuen Bedingungen seltsam verändert und verschärft. Es ist daher
diese Veränderung der Bedingungen, nicht der Krieg an sich, die wir
als Tatsache ins Auge zu fassen haben, in ihrer Wirkung auf unsere
politischen und sozialen Ideen. Die Grossmächte Europas
entschlossen sich im Jahre 1914 zum Kriege, wie sie's bei so vielen
früheren Anlässen getan hatten, um gewisse Streitpunkte zu
schlichten. Dieser Krieg griff mit unerwarteter Schnelligkeit um
sich, bis die ganze Welt hineingezogen war. Er entwickelte eine
zerstörende Gewalt, ungeheuerlich und grauenhaft, und vor allen
Dingen einen Mangel ausschlaggebender Entscheidungskraft, der allen
vorhergehenden Kriegen ganz ungleich war. Diese Ungleichheit ist
das Wesen der Sache. Was man auch zur Rechtfertigung früherer
Kriege vorbringen kann: dass unter den neuen Bedingungen der Krieg
nicht mehr ein gangbares Mittel ist, internationale Händel zu
schlichten, ist jetzt Vielen klar geworden. Diese Erkenntnis liegt
an der Oberfläche. Der Gedanke eines Völkerbundes, mit einem
obersten kriegsersetzenden Schiedsgerichtshof erwachte nicht an
irgendeinem besonderen Ort, sondern brach gleichzeitig hervor, wo
einsichtsvolle Leute zusammen waren.
Worin bestand die Veränderung der Bedingungen, die die
Menschheit vor die verblüffende Notwendigkeit stellte, auf den
Krieg zu verzichten? Denn verblüffend ist es sicherlich. Bis zum
heutigen Tage war, in allen Gesellschaftsschichten, Krieg ein
herrschender, angenommener Begriff; nur wenige werden dies
bestreiten wollen. Politik hat sich in sehr naher Beziehung zum
Begriff des Krieges entwickelt; die äussere Form der Staaten ist
durch Angriff und Abwehr geschaffen worden, wie sich ihre innere
Organisation durch den Zwang des Zusammenschlusses entwickelte.
Fasst man nun plötzlich den Entschluss, Kriegsführung überhaupt
aufzugeben, so wird man zur Entdeckung gelangen, dass dieser
Entschluss die weitgehendsten, eingreifendsten Veränderungen in
politischen, sozialen Begriffen, die auf den ersten Blick gar keine
Beziehung zu kriegerischer Betätigung zu haben scheinen, mit sich
bringt.
Die drei folgenden Aufsätze behandeln das allgemeine Problem,
welches sich aus diesen Betrachtungen ergibt; die Frage: was soll
den Krieg ersetzen, falls dieser aus dem menschlichen Dasein
ausscheidet? und das Problem, was soll geschehen, wenn er in der
Zukunft auf ewig aus den Möglichkeiten und Erfahrungen unseres
Geschlechts gestrichen werden soll? denn wir wollen der Wahrheit
ins Auge sehen: die Abschaffung des Krieges ist kein leichter,
selbstverständlicher Schritt, nicht der Bruch mit einer
altertümlichen, barbarischen, nun veralteten Sitte; die Abschaffung
des Krieges wird, falls wir soweit kommen können, nicht nur eine
vollständige Wandlung des bisherigen menschlichen Daseins, sondern
auch der allgemeinen Naturordnung bedeuten, einer Ordnung, die auf
Streit und Vorherrschaft basiert. Es wird eine neue Phase in der
Geschichte des ganzen Daseins sein, nicht bloss eine neue Seite in
der Geschichte der Menschheit. In diesem kurzen Aufsatz wird
versucht werden, der Menschheit die ganze Grösse der sie
erwartenden Aufgabe vor Augen zu halten, falls der Krieg wahrhaftig
beseitigt werden soll, und zu beweisen, dass das Projekt, den Krieg
durch gelegentliche Versammlung eines Völkerbundes und dergleichen
aus der Welt zu schaffen, ebensoviel Wahrscheinlichkeit des
Gelingens bietet, als der Vorschlag Hunger, Durst, Tod durch einen
kurzen, gesetzlichen Beschluss abzuschaffen.
Wir wollen erstlich die Veränderungen der menschlichen
Daseinsbedingungen prüfen, die den Krieg um sein normales Aussehen
brachten, den eines Daseinskampfes innerhalb der menschlichen
Gesellschaften, und ihn in einen Schrecken und eine Bedrohung für
die gesamte Gattung verwandelten. Die Veränderung liegt wesentlich
in einer Änderung der menschlichen Zwecken erreichbaren
Machtmittel, sie liegt spezieller in der Anhäufung materieller
Macht, die einem einzigen Individuum unterworfen sein kann. Bis vor
ein paar Jahrhunderten besass die menschliche Gesellschaft
hauptsächlich das Menschen- und Pferdekraftsystem, dazu kam ein
beschränktes Mass von Wind- und Wasserkraft. Die ersten Anzeichen
der Umwälzung begannen vor sieben Jahrhunderten mit dem Auftreten
der Explosivstoffe. Im 13. Jahrhundert machten die Mongolen sehr
wirksam Gebrauch des von den Chinesen entdeckten Schiesspulvers.
Sie eroberten den grössten Teil der damals bekannten Welt und die
Einführung eines geringgradigen Explosivs, zu Kriegszwecken,
vertilgte schleunigst die Vorherrschaft fester Städte und Burgen,
vernichtete das Rittertum und zerstörte vollständig die
Bewässerungsanlagen Mesopotamiens, vor der Geschichtsschreibung,
einst eines der fruchtbarsten, bevölkertsten Länder. Die damaligen
noch sehr bedingten Kenntnisse der Metallbehandlung beschränkten
den Umfang und die Tragweite der Kanonen. Erst im 19. Jahrhundert
machte die grössere Produktionsmöglichkeit von Gussstahl und die
Erweiterung chemischer Kenntnisse verschiedentliche Explosivstoffe
militärischen Zwecken dienlich. Die systematische Ausbreitung
menschlicher Macht begann im 18. Jahrhundert mit der Nutzbarmachung
von Dampf und Kohle. Damit begann ein Wachstum auf dem Gebiet der
Entdeckung und Erfindung, das der Menschheit immer neue, sich
anhäufende materielle Macht in die Hände spielte. Auch heute hat
dieses Wachstum vielleicht noch nicht seinen Höhepunkt
erreicht.
Wir brauchen die altbekannten Geschichten von der daraus
folgenden Aufhebung jeder Entfernung, nicht noch einmal zu
wiederholen: wie durch Radiogramm und Telegramm jede in der Welt
sich ereignende wichtige Begebenheit gleichzeitig zu einem Ereignis
für jeden Einzelnen werden kann; wie Reisen, die früher Monate und
Wochen in Anspruch nahmen, jetzt in Tagen oder Stunden erledigt
werden können, oder wie Papier und Buchdruckerkunst die allgemeine
menschliche Bildung gehoben haben usw. Noch wollen wir den Einfluss
dieser Erscheinungen auf die Kriegsführung schildern. Das was uns
dabei interessiert ist dieses: vor dem Zeitalter der Erfindungen
stritten und kämpften die verschiedenen menschlichen
Gemeinschaften, wie unartige Kinder in einem überfüllten
Kinderzimmer, innerhalb der Grenzen ihrer Möglichkeit. Sie
verletzten, verwundeten sich, aber es ist selten vorgekommen, dass
eines das andere vollständig vertilgt hätte. Ihre Händel mögen auch
viel Unglück verursacht haben, sie waren jedoch noch immer
erträglich. Man kann diese früheren Kriege sogar als gesundende,
kräftigende lebenserneuernde Konflikte betrachten. In diese
Kinderstube aber trat nun die Wissenschaft, sie drückte den Kindern
vergiftete Rasierklingen in die Faust, Explosivbomben von
erschreckender Sprengkraft, ätzende Flüssigkeiten und dergleichen.
Der verhältnismässig harmlose Streit der Kinder ist nun plötzlich
mit so fürchterlichen Mitteln ausgerüstet, dass es nur noch eine
Frage der Zeit ist, wann sich die Kinderstube früher oder später in
einen Leichenhaufen verwandeln oder in die Luft gesprengt werden
wird. Eine wirkliche Kinderstube, in die eine gewissenlose Person,
solche Gabe verteilend, eindränge, würde bald durch das Eingreifen
der Kinderfrau gerettet werden. Aber die Menschheit besitzt keine
solche Pflegerin, sie besitzt nichts, als ihre eigene armselige
Einsicht. Und ob diese armselige Einsicht sich zur Höhe wirksamen
Eingriffs aufraffen kann, das ist heutzutage das wesentliche
Problem der weltgeschichtlichen Dinge. Die todbringenden
Erfindungen nehmen ihren Fortgang. Von 1914 bis zum Beginn des
Jahres 1918 kann man in den Kriegsmitteln ein beständiges Anwachsen
der fürchterlichen Zerstörungskraft bemerken; Material- und
Energiemangel milderten diesen Fortgang; aber seit dem
Waffenstillstand hat sich die Kriegswissenschaft wesentlich
entwickelt. Man versichert uns, dass der nächste, gut organisierte
Krieg sehr viel rascher und ausgiebiger wirken wird, namentlich auf
die Zivilbevölkerung. Die Heere werden sich nicht mehr auf Strassen
fortbewegen, sondern in Linien ausgerollt, auf schweren Tanks,
durch die von ihnen überschwemmten Gegenden, dieselben vollständig
aufpflügend, sich heranwälzen; der Luftkampf wird mit Bomben, die
jede einzeln eine kleine Stadt vernichten kann, tausende von Meilen
hinter der Front geführt werden, und die See wird durch Minen und
Unterseeboote von jeglicher Schiffahrt gesäubert werden. Es wird
kein Unterschied zwischen Kämpfenden und Nichtkämpfenden gemacht
werden, weil jeder gesund gestaltete Bürger, männlichen oder
weiblichen Geschlechts, als wirksamer Erzeuger von Nahrungs- und
Munitionsmitteln gilt, und wahrscheinlich werden in diesem
allgemeinen Untergang nur die Hauptquartiere der streitenden Heere
das bestgeschützte und sicherste Obdach gewähren. Von dort aus
werden militärisch hochgeschulte Leute von sehr beschränktem
Horizont das Zerstörungswerk über das Mass ihres eigenen
Verständnisses hinaus, vollenden. Die rauhe Kriegslogik, die den
Sieg stets dem energischsten und gewaltätigsten Kämpfer erteilt,
wird die Kriegsführung mehr und mehr aus einem um Beute und
Eroberungssucht geführten Unternehmen, in einen Vorgang verwandeln,
der die endgültige Vernichtung des Gegners zum Zwecke hat.
Beharrliche und unnachgiebige Tapferkeit ist für kriegerische
Zustände charakteristisch. Krieg ist Krieg und Ungestüm liegt in
seinem Wesen. Man muss immer so stark als möglich losschlagen.
Offensive und Gegenoffensive gewinnen die Oberhand über die blosse
Verteidigung. Im nächsten grossen Kriege wird der Sieger nicht
weniger als der Besiegte aus der Luft bombardiert, ausgehungert und
weissgeblutet werden. Sein Sieg wird kein leichter sein; es wird
der Triumph des Erschöpften, Sterbenden über den Toten sein.
Man hat beweisen wollen, dass ein so lang vorbereiteter, gut
organisierter Krieg wie der, den die Welt von 1914-1918 erlebte,
sich, wegen der Schäden, die die soziale Stabilität dadurch
erlitten, in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht wieder so bald
ereignen kann. Es wird vielleicht ein paar zufällige, kurze Kriege
geben, ungenügend vorbereitet, so urteilen diese hoffnungsfrohen,
oberflächlichen Kritiker, aber keine noch so in sich gefestigte,
der Bevölkerung sichere Staatsführung kann einen wissenschaftlich
geführten Krieg vorbereiten und unternehmen. Diese Aussicht bietet
der Menschheit jedoch keinen befriedigenden Ausblick, denn es läuft
daraus hinaus, dass solange die Menschheit so verarmt und
ungeordnet ist, sie sich zu der Höhe eines gutgeführten Krieges,
nicht mehr aufschwingen kann. Augenscheinlich wird dies aber nur
solange dauern, als sie sich in so verarmten und zerrütteten
Verhältnissen befindet. Kaum genesen, wird sie sich von neuem
erheben, um das frühere Unheil heraufzubeschwören, mit all den
modernen Vervollkommnungen und Erfindungen, die der menschliche
Geist in der Zwischenzeit ersonnen haben mag. Die neue Phase von
Streit, Unordnung, sozialer Auflösung, in der wir uns befinden,
dieser Zustand des Verfalls, den wir den anwachsenden, zunehmenden
Verwüstungs- und Zerstörungsmitteln, über die die Menschheit
verfügt, verdanken, muss daher solange anhalten, als die auf
veralteten Konfliktsvorstellungen beruhenden Spaltungen währen; und
sollte der Niedergang zeitweilig aufgehalten scheinen, so wird es
nur dazu dienen, um unter dem Einfluss jener Ideen, neuen
Kriegsstoff anzuhäufen, genugsam zerstörend, verheerend, um den
Auflösungsprozess von neuem herbeizuführen.
Wofern die Menschheit ihre sozialen und politischen Begriffe
nicht auf dieses wesentlich neue Faktum der ungeheueren,
vergrösserten Machtmittel einstellt, wofern sie ihre Streitsucht
nicht einschränkt und bändigt, scheint uns keine andere
Möglichkeit, als Verfall offen zu stehn, wenigstens bis zu einem
solchen Grad des Rückschritts, dass wir alle wissenschaftlichen und
industriellen Vorzüge unserer Zeit dabei einbüssen und vergessen.
Wenn alle Möglichkeiten auf ihre frühere, primitive Stufe
herabgesunken sein werden, dann wird sich unsere Rasse vielleicht
in einer Art von Gleichgewicht zwischen den Vorteilen und Schäden
von Krieg und Frieden halten können. Da unser dekadentes Geschlecht
aber sehr viel weniger Lebensfähigkeit und Widerstand besitzt als
in früheren, primitiven Zeiten, so wird es vielleicht auch irgend
einem animalischen Feind zum Opfer fallen oder durch eine Seuche
vernichtet werden, die durch Ratten, Hunde, Insekten oder
dergleichen verbreitet wird, die dazu bestimmt sein mögen, die
Erben unserer heutigen modernen, rostenden Städte, Höfe, Brücken,
Strassen zu werden.
Um diesen Rückschritt zu verhindern, scheint es mir nur eine
Möglichkeit zu geben, und das ist der sorgsame, systematische
Neuaufbau der menschlichen Gesellschaft. Die Welt ist für die
Gemeinschaft geschaffen, und mit der Zeit wird der menschliche
Verstand auch fähig werden, dieses einzusehen und sich der Tatsache
anzupassen. Es wird der Menschheit gelingen, sich von Krieg und
Kriegsführung abzukehren und sich in einem unendlichen,
weltumfassenden Streben gegenseitiger Mitwirkung, Duldung und Hilfe
zusammenzuschliessen. Sie werden Kraft finden, um ihre alte
Gewohnheit in getrennten Staaten zu leben, aufzugeben, sie werden
ihre Rauflust und die Zerstörungsmittel ihrer traditionellen
Feindseligkeit zu bändigen wissen und ihre Lebensbedingungen in ein
einziges Gesetz und in einen Frieden einigen. Diese neuen, in der
Natur noch vergeudeten Kräfte, die ihnen verliehen worden sind und
die, falls ihre Ziele streitsüchtig und ungeeint bleiben,
sicherlich ihren Ruin herbeiführen werden, werden dann ein Mittel
sein, um eine neue Ordnung, ein kaum vorstellbares Glück, Nutzen
und Vollendung herbeizuführen. Aber ist unsere Rasse zu solch einer
Anstrengung fähig, zu einer solchen Umkehr ihrer angeborenen,
instinktiven Impulse? Können wir in dem heutigen politischen,
geistigen Leben Vorzeichen finden zu solch kühnem, umstürzlerischem
Bestreben? Inwieweit dienen wir, Leser und Schreiber dieser Zeilen,
z. B. diesen grossen, neuen Lebenszielen? Halten wir sie getreulich
im Herzen? Und wie ist es mit unserer Umgebung? Lassen wir uns und
das ganze menschliche Geschlecht nicht von der Strömung der
Umstände treiben wie vor 1914? Ohne eine gewaltige Anspannung
unsererseits (oder seitens irgend eines andern) wird diese
Strömung, die unser Geschlecht zeitweilig in einen Sonnenschein von
Hoffnungen und Glücksfällen gezogen hat, die Menschheit sicherlich
unrettbar in neue Kriege, neues Elend, Hunger, Mangel, soziales
Unglück reissen, und entweder vollständiger Vertilgung oder weit
über unser gegenwärtiges Verständnis reichender Erniedrigung
entgegentreiben.
§2
§ 3
§ 4
II
Das Projekt des Weltstaats
III
Die Entwicklung des Patriotismus zum Weltstaat
IV
Die Bibel der Zivilisation
Erster Teil
Gewissheit des Fortschritts
das Buchunsere moderne Welt ist ohne
Zusammenhalt
zu
schieben
§ 2
V
Die neue Bibel
§ 4
§ 5
denkbar
VI
Die Schulung der Welt
Angenommen, dass die
Möglichkeiten dazu vorhanden sind
dass die Möglichkeiten gegeben sinddass die
Möglichkeiten gegeben sind
die entsprechenden
Möglichkeiten vorhanden sind
VII
Universitätsbildung, Zeitungen und Bücher
dass man bis zu seinem Lebensende nicht zu lernen aufhört
so weit ihre
Gedanken heute noch lebendig sind
einer
Welt
schlichte Wahrheit
Schlusswort
die