Geschichten aus 1001 Nacht
Aladin und die Wunderlampe
Aladdin; or, the wonderful Lamp
Neu bearbeitete Ausgabe (Klassiker der ofd edition)
zweisprachig deutsch/englisch
„Du Undankbarer, genügt es Dir nicht, dass ich und alle Sklaven der Lampe Dir dienstbar sind, dass Du auch noch verlangst, ich solle Dir zu Deinem Vergnügen unsere Herrin bringen, damit Du sie in Deiner Schlosskuppel zu Deiner und Deiner Gattin Belustigung aufhängst? Bei Gott, Ihr beide verdient, dass ich Euch auf der Stelle zu Asche verwandle und Euch in die Luft streue ...“
Den Ursprung der „Märchen aus 1001 Nacht“ vermuten heute viele Menschen in Arabien, und tatsächlich waren die Erzählungen im 8. Jahrhundert in dieser Region weit verbreitet und sehr beliebt. Allerdings existiert eine ältere Niederschrift aus dem persischen Raum, die um das Jahr 500 entstand. Einige Merkmale der Geschichten weisen recht deutlich auf noch ältere Quellen und eine nochmals andere kulturelle Ursprungsregion hin. Tatsächlich geht die Forschung heute davon aus, dass die Erzählungen ursprünglich aus Indien stammen, vermutlich aus der Zeit um das Jahr 250 nach Christus.
Ähnlich wie bei den Märchen, die die Brüder Grimm im europäischen Raum zusammengetragen haben, geschah die Weitergabe der Geschichten lange Zeit ausschließlich mündlich. Eine schriftliche Urfassung der Sammlung existiert nicht und ließe sich auch kaum noch rekonstruieren. Sicher ist, dass einige Geschichten erst im Lauf der Jahrhunderte und diverser Niederschriften hinzukamen, so dass sich die heute aktuellen 1001-Nacht-Versionen von älteren Niederschriften deutlich unterscheiden. Hinzu kommt, dass jede Übersetzung ihre eigene Handschrift trägt.
Die erste Übertragung in eine europäische Sprache nahm der französische Orientalist Antoine Galland (1646-1715) vor. Galland fügte seiner Geschichtensammlung außerdem einige Erzählungen hinzu. Dazu gehören „Sindbad der Seefahrer“, „Aladin und die Wunderlampe“ sowie „Ali Baba und die 40 Räuber“ – interessanterweise genau die Geschichten aus 1001 Nacht, die sich im europäischen Sprechraum der größten Beliebtheit erfreuen.
Besondere Popularität erlangte die Geschichtensammlung durch die von dem Abenteurer, Sprachenkenner und Forscher Sir Richard Francis Burton (1821-1890) vorgenommene Übersetzung ins Englische, die in den Jahren 1885 bis 1888 in 16 Teilen erschien. Sie wurde später als bevorzugte Grundlage zur Übertragung in weitere westliche Sprachen verwendet.
Der Name Richard Francis Burton ist übrigens nicht nur Märchen-Kennern, sondern auch vielen Science-Fiction-Liebhabern ein Begriff. In der mehrbändigen Romanreihe „Flusswelt der Zeit“ des US-amerikanischen Autors Philip José Farmer, die 2003 auch verfilmt wurde, spielt Burton nämlich neben unter anderem Mark Twain, Jack London und Hermann Göring eine der tragenden Hauptrollen. Auch in diesem Roman sucht Burton nach den Quellen eines – hier unermesslich langen – Flusses, im wirklichen Leben war er aufgebrochen, um die Quellen des Nils zu finden.
Wie alle in der Klassiker-Reihe der ofd edition veröffentlichten Werke wurden die hier vorliegenden Texte aufwendig neu editiert. Das altertümliche Englisch der Übersetzung von Sir Richard Francis Burton wurde weitgehend beibehalten, da es der Geschichte einen ganz besonderen Charme gibt. Die deutsche Fassung von Max Henning wurde der aktuellen Rechtschreibung angepasst. Die bessere Lesbarkeit und übersichtlichere Gestaltung verhelfen nicht nur zu einem ungetrübten Lesegenuss, sondern auch zu einem deutlich besseren inhaltlichen Verständnis.
In einer Stadt Chinas lebte einst ein armer Schneider, der einen Sohn Namens Aladin hatte. Dieser Knabe war von Kindesbeinen an ein Tunichtgut und ein Taugenichts, den sein Vater, als er sein zehntes Jahr erreicht hatte, einen Beruf erlernen lassen wollte. Da er aber so arm war, dass er kein Geld ausgeben konnte, ihn ein Handwerk, eine Wissenschaft oder sonst etwas Anspruchsvolles lernen zu lassen, nahm er ihn in seinen Laden, um ihm das Schneiderhandwerk beizubringen. Der Knabe war jedoch ein Nichtsnutz und spielte fortwährend mit den Gassenbuben und saß keinen einzigen Tag im Laden, sondern wartete nur, bis sein Vater diesen eines Geschäftes wegen oder um einen Kunden zu besuchen, verlassen hatte, worauf er alsbald fortlief und mit den anderen Tunichtguten seines Schlags die Gärten aufsuchte. In dieser Weise trieb er es, ohne seinem Vater zu gehorchen oder ein Handwerk zu lernen, bis sein Vater aus Gram und Kummer über die Nichtsnutzigkeit seines Sohnes krank ward und starb. Da es nun Aladin in dieser Weise auch nach dem Tod seines Vaters weitertrieb und seine Mutter sah, dass ihr Gatte das Zeitliche gesegnet hatte und ihr Sohn ein Nichtsnutz für sein ganzes Leben blieb, verkaufte sie den Laden samt allem, was sie darin fand, und verlegte sich aufs Spinnen von Baumwolle, wodurch sie ihren Lebensunterhalt und den ihres nichtsnutzigen Sohnes Aladin bestritt, während Aladin, der sich nunmehr der Strafe seines Vaters entronnen sah, nur noch schlechter und nichtsnutziger ward und nur noch zur Essenszeit nach Hause kam.
Seine arme, unglückliche Mutter lebte von dem Gespinst ihrer Hände, bis Aladin sein fünfzehntes Lebensjahr erreicht hatte, als eines Tages, während er wieder mit den anderen Lausbuben auf der Straße saß und spielte, ein Derwisch aus dem Maghreb herankam und bei den Knaben stehen blieb und ihnen zuschaute, wobei er Aladin ansah und sein Gesicht scharf ins Auge fasste, ohne auf seine Gespielen zu achten. Dieser Derwisch aber stammte aus dem inneren Land des Maghreb und war ein Zauberer, der mit seiner Zauberei Berge aufeinander zu türmen vermochte und außerdem die Astrologie studiert hatte. Als er nun Aladin so scharf ins Auge gefasst hatte, sprach er bei sich: „Dies ist der Bursche, nach dem ich verlange, und um dessentwillen ich aus meinem Land auszog.“ Hierauf nahm er einen der Knaben beiseite und fragte ihn nach Aladin und seinem Vater aus; und der Knabe gab ihm über alles Auskunft. Da trat er an Aladin heran und sprach zu ihm, ihn abseits nehmend: „Mein Sohn, bist Du nicht der Sohn des Schneiders, Namens So und So?“ Aladin versetzte: „Jawohl, mein Herr; jedoch ist mein Vater bereits vor langer Zeit gestorben.“ Als der maghrebinische Zauberer dies vernahm, warf er sich auf Aladin und umarmte und küsste ihn weinend, dass ihm die Tränen über die Backen liefen. Aladin verwunderte sich hierüber und fragte den Maghrebiner: „Was ist der Grund Deines Weinens, mein Herr, und woher kennst Du meinen Vater?“ Der Maghrebiner erwiderte ihm mit bekümmerter und gebrochener Stimme: „Mein Sohn, wie kannst Du mich so fragen, nachdem Du mir gesagt hast, dass Dein Vater, mein Bruder, gestorben ist? Dein Vater ist mein Bruder, und ich kam aus meinem Land nach dieser langen Abwesenheit in großer Freude her, da ich hoffte ihn noch einmal sehen und mich mit ihm trösten zu können; doch sagst Du mir, dass er gestorben ist. Das Blut aber blieb mir nicht verborgen und sagte mir, dass Du meines Bruders Sohn bist; und ich erkannte Dich unter all den Buben, wiewohl Dein Vater noch unverheiratet war, als ich mich von ihm trennte.
Nun aber hab' ich die Totentrauer versäumt und die Freude verloren, Deinen Vater, wie ich hoffte, vor meinem Tode noch einmal wiederzusehen. Die Trennung tat mir jedoch dies zuleide, und die Kreatur hat keinen Zufluchtsort vor seinem Schöpfer und findet kein Mittel gegen Gottes, des Erhabenen, Ratschluss.“ Alsdann nahm er Aladin und sagte zu ihm: „Mein Sohn, ich habe nunmehr niemand zu trösten als Dich; Du stehst nun an Deines Vaters Statt, dieweil Du sein Nachfolger bist, und, wer hinterlässt, der stirbt nicht, mein Sohn.“ Dann steckte der Zauberer seine Hand in die Tasche und holte zehn Dinare hervor, die er Aladin mit den Worten überreichte: „Mein Sohn, wo ist Euer Haus, und wo ist Deine Mutter, meines Bruders Gattin?“ Da nahm ihn Aladin und zeigte ihm den Weg zu ihrem Haus, worauf der Zauberer zu ihm sagte: „Mein Sohn, nimm dieses Geld und gib es Deiner Mutter; bestelle ihr den Salâm von mir und teile ihr mit, dass Dein Oheim aus der Fremde heimgekehrt ist. So Gott will, komme ich morgen zu Euch, um sie zu begrüßen und das Haus zu schauen, in dem mein Bruder wohnte, und mir auch die Stätte zu besehen, an der er begraben ist.“ Hierauf küsste Aladin dem Maghrebiner die Hand und eilte vor Freuden spornstreichs zu seiner Mutter. Ganz wider seine Gewohnheit, da er sonst nur zur Essenszeit zu ihr kam, trat er fröhlich bei ihr ein und sagte zu ihr: „Meine Mutter, ich bringe Dir die frohe Kunde von der Heimkehr meines Oheims aus der Fremde; er lässt Dich grüßen.“ Da versetzte sie: „Mein Sohn, Du hältst mich wohl zum Narren? Wer ist denn Dein Oheim, und woher hättest Du einen Oheim am Leben?“ Aladin entgegnete ihr: „Meine Mutter, wie kannst Du zu mir sagen, dass ich weder Oheime noch Verwandte am Leben habe, wo jener Mann mein Oheim ist und mich weinend an die Brust presste und küsste und mir befahl Dir dieses mitzuteilen?“ Seine Mutter erwiderte: „Mein Sohn, ja, ich weiß wohl, dass Du einen Oheim hattest, doch ist er gestorben, und ich weiß nichts von einem anderen.“
Am nächsten Morgen ging der Maghrebiner aus und begann nach Aladin zu suchen, da sein Herz die Trennung von ihm nicht länger zu ertragen vermochte. Während er aber in den Hauptstraßen der Stadt umherging, stieß er auf Aladin, der wie gewöhnlich mit den Lotterbuben spielte. Als er sich ihm genähert hatte, fasste er ihn bei der Hand, umarmte und küsste ihn und zog aus seinem Beutel zwei Dinare hervor, worauf er zu ihm sagte: „Geh' zu Deiner Mutter, gib ihr diese beiden Dinare und sprich zu ihr: „Siehe, mein Oheim wünscht bei uns zum Abend zu essen. Nimm die beiden Goldstücke und richte ein gutes Mahl her. Vor allem zeig' mir jedoch noch einmal den Weg zu Eurem Haus.“ Aladin versetzte: „Auf Kopf und Auge, mein Oheim!“ Dann schritt er ihm voran und zeigte ihm den Weg, worauf der Maghrebiner ihn verließ und seines Weges ging, während Aladin ins Haus trat und den Auftrag seiner Mutter mitteilte, indem er ihr die beiden Dinare gab und zu ihr sagte: „Mein Oheim wünscht bei uns zum Abend zu essen.“ Da erhob sich Aladins Mutter unverzüglich und begab sich auf den Bazar, wo sie alles Erforderliche einkaufte. Dann kehrte sie wieder heim und machte sich an die Herrichtung des Abendessens, indem sie von ihren Nachbarn, was sie an Tellern und dergleichen nötig hatte, borgte. Als die Abendzeit kam, sagte sie zu ihrem Sohn Aladin: „Das Abendessen ist fertig, doch ist's möglich, dass Dein Oheim den Weg zu unserem Hause nicht weiß; geh' ihm daher entgegen.“ Aladin versetzte: „Ich höre und gehorche.“ Während sie aber noch miteinander redeten, pochte es mit einem Mal an die Tür, worauf Aladin hinausging und die Tür öffnete; und siehe, da war es der maghrebinische Zauberer, begleitet von einem Eunuchen, der Wein und Obst trug. Nachdem Aladin sie hereingelassen hatte, ging der Eunuch wieder seines Wegs, der Maghrebiner aber trat herein, begrüßte Aladins Mutter und hob an zu weinen und fragte sie: „Wo ist der Platz, auf dem mein Bruder zu sitzen pflegte?“ Da zeigte sie ihm den Platz, und er ging zu ihm und warf sich nieder und küsste die Erde, indem er dabei rief: „Ach, wie erbärmlich ist mein Los und wie armselig mein Glück, wo ich Dich verloren habe, mein Bruder, oh Ader meines Auges!“ In solcher Weise weinte und jammerte er, bis er vom Jammern und Schluchzen ohnmächtig ward. Da war Aladins Mutter überzeugt, dass er wirklich ihres Gatten Bruder war, und, an ihn herantretend, sprach sie zu ihm, indem sie ihn vom Boden aufrichtete: „Was für einen Nutzen hat es, dass Du Dich selber umbringst?“
Hierauf sprach sie dem maghrebinischen Zauberer Trost zu und ließ ihn Platz nehmen. Als er sich nun gesetzt hatte, sagte er zu ihr, bevor noch der Tisch aufgetragen war: „Oh Weib meines Bruders, lass Dich's nicht Wunder nehmen, dass Du mich während Deines ganzen Lebens nicht gesehen und mich zu Lebzeiten meines seligen Bruders nicht kennen gelernt hast; denn vor vierzig Jahren verließ ich diese Stadt und zog aus meiner Heimat in die Fremde. Ich reiste zunächst nach den Ländern Hind und Sind und durchzog ganz Arabien, worauf ich meinen Weg nach Ägypten nahm und mich in der prächtigen Stadt niederließ, die ein Wunder der Welt ist. Nachdem ich daselbst geraume Zeit gewohnt hatte, zog ich weiter nach dem inneren Maghreb und weilte dreißig Jahre lang in jenem Land. Während ich aber, oh Weib meines Bruders, daselbst dasaß und an mein Land, meine Heimat und meinen seligen Bruder dachte, überwältigte mich die Sehnsucht, ihn noch einmal zu sehen, so stark, dass ich über meine Fremdlingschaft und die Trennung von ihm zu weinen und schluchzen anhob; und die Sehnsucht ließ mir keine Ruhe mehr, bis ich mich entschloss in dieses Land, die Stätte, auf der mein Haupt niederkam, und meine Heimat, zu reisen, um meinen Bruder noch einmal zu schauen. Und so sprach ich bei mir: „Oh Mann, wie lange willst Du noch von Deinem Land und Deiner Heimat fernbleiben, wo Du allein einen einzigen Bruder hast? Steh' auf, reise heim und sieh' ihn noch einmal, bevor Du stirbst; denn wer kennt die Schicksalsschläge und Wechsel der Tage? Es wäre ein herbes Leid, wenn Du stirbst, ohne Deinen Bruder gesehen zu haben, wo der Allmächtige Dir gottlob reiches Gut gegeben hat und Dein Bruder vielleicht in Not und Armut lebt; Du kannst Deinem Bruder, außer dem Wiedersehen mit ihm, auch noch helfen.“ Alsdann erhob ich mich unverzüglich, machte mich reisefertig und sprach nach dem Freitagsgebet die erste Sure, worauf ich mich aufsetzte und nach vieler Drangsal und Beschwerde, während mich der Herr, der Mächtige und Herrliche, beschützte, zu dieser Stadt gelangte und sie betrat. Während ich nun vorgestern durch die Hauptstraßen wanderte, sah ich Aladin, den Sohn meines Bruders, mit den Knaben spielen, und, beim großen Gott, oh Weib meines Bruders, sobald ich ihn erblickte, zog mich mein Herz zu ihm, denn Blut sehnt sich nach Blut, und mein Herz sagte es mir, dass es meines Bruders Sohn war. All meine Mühe und mein Kummer waren bei seinem Anblick vergessen, und ich wäre vor Freude beinahe geflogen. Als er mir jedoch sagte, mein seliger Bruder wäre zur Barmherzigkeit Gottes, des Erhabenen, abgeschieden, ward ich vor Gram und Kummer ohnmächtig; und vielleicht teilte Dir schon Aladin mit, wie ich hiervon ergriffen wurde. Jedoch tröstete ich mich anderseits über Aladin, den der Selige hinterließ; denn, wer hinterlässt, ist nicht tot.“
Nach diesen Worten schaute er Aladins Mutter an und sah, dass sie weinte. Da wendete er sich zu Aladin, um sie die Erwähnung ihres Gatten vergessen zu lassen und sie zu trösten, damit er sie mit seiner List gänzlich finge, und sprach zu ihm: „Mein Sohn, Aladin, was für ein Handwerk hast Du gelernt, und was ist Dein Geschäft? Hast Du ein Handwerk erlernt, von dem Du Dich und Deine Mutter ernähren kannst?“ Da neigte Aladin verlegen und beschämt sein Haupt und sah zu Boden, während seine Mutter sagte: „Woher? Bei Gott, er versteht nichts. Solchen Taugenichts wie diesen Knaben habe ich mein Leben lang nicht gesehen. Er treibt sich mit den Taugenichtsen seines Schlages auf der Gasse umher, und sein Vater, oh Jammer, starb nur aus Kummer über ihn. Mir geht es ebenfalls jetzt recht erbärmlich; ich placke mich ab und spinne Nacht und Tag Baumwolle. So treibt er's, oh mein Schwager, und, bei Deinem Leben, er kommt nur noch zur Essenszeit zu mir, und ich dachte schon daran, meine Haustür zu verschließen und ihm nicht mehr zu öffnen, damit er geht und sich sein täglich Brot sucht. Denn ich bin eine alte Frau geworden und habe keine Kraft mehr, mich zu schinden und mir auf diese Weise mein Brot zu verdienen. Oh Gott, ich muss mir mein täglich Brot verdienen, wo er für meinen Unterhalt zu sorgen hätte.“
Da wandte sich der Maghrebiner zu Aladin und sprach zu ihm: „Weshalb, oh Sohn meines Bruders, bist Du solch ein Taugenichts? Pfui über Dich! Das geziemt sich nicht für Männer Deinesgleichen. Du bist ein Mann von Verstand, mein Sohn, und ein Kind respektabler Leute. Es ist eine Schande für Dich, dass Dich Deine Mutter, eine alte Frau, ernährt, wo Du nunmehr ein Mann geworden bist und es Dir ansteht, Dir Mittel und Wege zu Deinem täglichen Brot zu suchen, oh mein Kind! Schau um Dich, mehr Lehrmeister als in unserer Stadt gibt es gottlob nirgendswo. Erwähle Dir daher das Handwerk, das Dir gefällt, damit ich Dich darin unterbringe; wenn Du dann groß wirst, findest Du den Beruf, von dem Du leben kannst. Sollte Deines Vaters Handwerk nicht nach Deinem Geschmack sein, so suche Dir ein anderes aus, das Dir gefällt. Lass mich's wissen, dass ich Dir mit allem, was in meinen Kräften steht, behilflich bin, mein Sohn.“ Als nun aber der Maghrebiner sah, dass Aladin schwieg und ihm nichts auf seinen Vorschlag antwortete, merkte er, dass er zu weiter nichts als zum Herumlungern Lust hatte und sagte zu ihm: „Oh Sohn meines Bruders, lass Dich meine Worte nicht hart ankommen, denn wenn dem so ist, dass Du kein Handwerk lernen willst, so will ich Dir einen Kaufladen mit den kostbarsten Stoffen auftun, und Du sollst unter dem Volk bekannt werden und nehmen und geben und kaufen und verkaufen und in der Stadt berühmt werden.“ Als Aladin von seinem Oheim dem Maghrebiner vernahm, dass er ihn zu einem Chwâdschā, einem Kaufmann, machen wollte, freute er sich mächtig, da er wusste, dass solche Leute samt und sonders saubere und feine Kleidung tragen; er schaute deshalb den Maghrebiner lächelnd an und senkte dann sein Haupt wieder zu Boden, durch sein Verhalten seine Zufriedenheit andeutend.
Wie nun der maghrebinische Zauberer Aladin lachen sah, merkte er, dass er zufrieden war, ein Chwâdschā zu werden, und sagte deshalb zu ihm: „Wenn Du damit zufrieden bist, dass ich Dich zum Chwâdschā mache und Dir einen Laden auftue, so benimm Dich als ein Mann, oh Sohn meines Bruders, und, so Gott will, nehme ich Dich zunächst auf den Bazar und lasse Dir einen feinen Anzug zuschneiden, wie ihn die Kaufleute tragen, um Dir alsdann einen Laden auszusuchen und mein Versprechen zu erfüllen.“
Aladins Mutter hatte bisher noch immer leisen Zweifel daran gehegt, dass der Maghrebiner ihr Schwager sein sollte; als sie nun aber vernahm, dass er ihrem Sohn versprach, ihm einen Kaufladen aufzutun und ihn mit Zeug, Kapital und dergleichen auszurüsten, entschied sie dahin, dass dieser Maghrebiner in Wahrheit ihr Schwager sei, da ein Fremder dies mit ihrem Sohn doch nicht tun würde. Infolgedessen begann sie ihren Sohn zurechtzuweisen und ihn zu ermahnen, die Torheit aus seinem Kopf zu scheuchen und sich als Mann zu zeigen. Ebenso redete sie ihm zu, seinem Oheim stets Gehorsam zu leisten, als wäre er sein Vater, und die Zeit, die er mit den Taugenichtsen seines Schlages verbummelt hätte, wieder einzubringen. Alsdann erhob sie sich und trug den Tisch auf, worauf sie das Abendessen vorsetzte. Dann setzten sich alle und aßen und tranken, während der Maghrebiner mit Aladin über Geschäftsangelegenheiten und dergleichen redete, so dass Aladin vor Freude die ganze Nacht über nicht schlafen konnte.
Als aber der Maghrebiner sah, dass die Nacht vorüber war, erhob er sich und kehrte zu seiner Wohnung heim, nachdem er ihnen zuvor noch einmal versprochen hatte, am nächsten Morgen wieder zu kommen und Aladin mitzunehmen, um ihm einen Kaufmannsanzug zuschneiden zu lassen. Am anderen Morgen pochte denn auch der Maghrebiner an die Tür, worauf sich Aladins Mutter erhob und ihm die Tür öffnete. Er wollte jedoch nicht eintreten, sondern verlangte nach Aladin, um ihn mit auf den Bazar zu nehmen. Infolgedessen ging Aladin zu seinem Oheim hinaus, wünschte ihm guten Morgen und küsste ihm die Hand, worauf ihn der Maghrebiner bei der Hand nahm und mit ihm auf den Bazar ging. Hier trat er in einen Schneiderladen, in dem sich allerlei Anzüge befanden, und verlangte einen kostbaren Anzug, worauf ihm der Kaufmann das Gewünschte fix und fertig genäht hervorholte. Alsdann sagte der Maghrebiner zu Aladin: „Wähle Dir aus, mein Sohn, was Dir gefällt.“ Als Aladin sah, dass sein Oheim ihm die Wahl gab, freute er sich mächtig und wählte sich nach seinem Geschmack die Sachen, die ihm am besten gefielen, aus, worauf der Maghrebiner dem Kaufmann sofort den Preis für die Sachen bezahlte. Dann verließ er den Laden und führte Aladin ins Bad, wo sie sich badeten; alsdann tranken sie Wein, worauf sich Aladin erhob und, nachdem er sich in den neuen Anzug gekleidet hatte, fröhlich und vergnügt wieder zu seinem Oheim ging, ihm für seine Güte dankte und ihm die Hand küsste.
Hierauf nahm ihn der Maghrebiner auf den Bazar der Kaufleute und zeigte ihm den Bazar und das Kaufen und Verkaufen, indem er dabei zu ihm sprach: „Mein Sohn, es geziemt Dir nun, mit den Leuten und ganz besonders mit den Kaufleuten Verkehr zu suchen, damit Du von ihnen den Handel lernst, wo dies nunmehr Dein Beruf geworden ist.“ Ebenso führte er ihn durch die Stadt und zeigte ihm die Hauptmoscheen und alle Sehenswürdigkeiten der Stadt, bis er ihn in den Laden eines Kochs nahm, der ihnen das Essen in silbernen Schüsseln auftrug, worauf sie das Mahl einnahmen und aßen und tranken, bis sie genug hatten. Dann gingen sie wieder hinaus, und der Maghrebiner nahm Aladin und zeigte ihm die Lustplätze und Prachtbauten und trat mit ihm in den Sultansserâj, wo er ihm alle die hübschen und prächtigen Gemächer zeigte. Schließlich nahm er ihn zum Chân der fremden Kaufleute, in dem er sein Quartier genommen hatte, und lud einige der Kaufleute, die im Chân herbergten, ein. Als dieselben erschienen und sich zum Abendessen setzten, teilte er ihnen mit, dass dies seines Bruders Sohn sei und Aladin heiße. Nachdem sie dann gegessen und getrunken hatten, erhob sich der Maghrebiner, da die Nacht bereits hereingebrochen war, und führte Aladin wieder zu seiner Mutter. Als diese aber ihren Sohn Aladin wie einen der Kaufleute sah, flog ihr der Verstand fort, und sie ward vor Freude traurig. Dann begann sie ihrem Schwager dem Maghrebiner für seine Güte zu danken und sagte zu ihm: „Oh mein Schwager, mein Dank reichte nicht aus, wollte ich Dir auch mein Leben lang Dank sagen und Dich für alles Gute, was Du an meinem Sohn tust, preisen.“ Der Maghrebiner antwortete ihr: „Oh Frau meines Bruders, das ist nicht im geringsten Güte von mir, denn es ist mein Kind, und es geziemt mir die Stelle seines Vaters, meines Bruders, bei ihm einzunehmen. Sei Du daher ganz zufrieden.“ Da versetzte sie: „Ich bete zu Gott, bei dem Ruhm der Ersten und Letzten, dass er Dich bewahrt und erhält, oh mein Schwager, und dass er Dich mir am Leben lässt, damit Du ein Fittich über diesem verwaisten Knaben seist, und er zeitlebens unter Deinem Gehorsam und Befehl steht und nur tut, was Du ihn heißest.“ Der Maghrebiner entgegnete ihr: „Oh Weib meines Bruders, Aladin ist ein verständiger Mann und braver Leute Sohn, und ich hoffe zu Gott, dass er den Platz seines Vaters einnehmen und Dein Auge trösten wird. Jedoch tut es mir leid, dass ich ihm morgen nicht den Laden auftun kann, da es ein Freitag ist und alle Kaufleute nach dem Gebet in die Gärten und zu den Lustplätzen hinausgehen. Am Sabbat jedoch, so Gott will und es dem Schöpfer beliebt, wollen wir unser Geschäft erledigen. Morgen dagegen will ich zu Euch kommen und Aladin abholen, um ihm die Gärten und Lustplätze draußen vor der Stadt zu zeigen, die er vielleicht bisher noch nicht gesehen hat. Er soll dort die Kaufleute sehen, die ausgehen, um sich dort zu belustigen, damit er mit ihnen bekannt wird und sie ihn ebenfalls kennen lernen.“
Hierauf ging der Maghrebiner fort und brachte die Nacht in seiner Wohnung zu. Am anderen Morgen begab er sich wieder zum Haus des Schneiders und pochte an die Tür. Aladin aber hatte im Übermaß seiner Freude über die Kleider, die er angezogen hatte, und über alle Genüsse des vergangenen Tages, die ihm das Bad, das Essen und Trinken und die Augenweide an den Leuten, bereitet hatten, und in der Erwartung, dass sein Oheim am Morgen kommen würde ihn abzuholen, um in den Gärten zu lustwandeln, die ganze Nacht über nicht geschlafen und kein Auge zugetan und konnte kaum den Tagesanbruch erwarten. Als er nun an die Tür pochen hörte, flog er wie ein Feuerfunken hinaus und öffnete sie seinem Oheim dem Maghrebiner, der ihn umarmte und küsste. Dann fasste er ihn bei der Hand, und so zogen beide miteinander los, während der Maghrebiner zu Aladin sagte: „Oh Sohn meines Bruders, heute will ich Dir etwas zeigen, was Du Dein Lebenlang noch nicht gesehen hast“, und er begann Aladin anzulächeln und vertraulich mit ihm zu plaudern. Nachdem sie zum Stadttor hinausgegangen waren, wanderte der Maghrebiner mit ihm zwischen den Gärten und zeigte ihm die prächtigen Lustplätze und die wunderbaren stolz emporragenden Paläste. Und so oft sie einen Garten, einen Serâj oder ein Schloss besichtigten, blieb der Maghrebiner stehen und sagte zu Aladin: „Gefällt Dir dies, mein Sohn Aladin?“ Während Aladin vor Freude fast geflogen wäre, da er etwas erblickte, was er in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte. In dieser Weise wanderten sie unverdrossen weiter und ergötzten sich, bis sie ermüdeten, worauf sie in einen prächtigen Garten dort in der Nähe traten, der die Brust ausdehnte und den Blick entschleierte; denn seine Bäche strömten zwischen den Blumen, und das Wasser sprudelte aus Löwenrachen aus Messing, das wie Gold glänzte. Sie setzten sich an einen Teich und ruhten sich ein wenig aus, während Aladin überselig vor Freude war und mit dem Maghrebiner zu scherzen und fröhlich zu sein begann als wäre es wirklich sein Oheim. Dann erhob sich der Maghrebiner und löste seinen Gurt, worauf er einen Beutel voll Speise, Obst und dergleichen darunter hervorzog und zu Aladin sagte: „Oh Sohn meines Bruders, vielleicht bist Du hungrig geworden; tritt herzu und iss, was Du begehrst.“ Da trat Aladin herzu und aß, und der Maghrebiner aß mit ihm, und sie waren fröhlich und guter Dinge und erquickten sich, bis der Maghrebiner sagte: „Steh' auf, Sohn meines Bruders, wenn Du Dich ausgeruht hast, damit wir wieder ein wenig weiter wandern.“ Da erhob sich Aladin, und der Maghrebiner führte ihn wieder von Garten zu Garten, bis sie alle Gärten hinter sich gelassen hatten und zu einem hohen Berg gelangten. Hier aber sagte Aladin, der zeitlebens nicht aus dem Stadttor hinausgekommen war und in seinem ganzen Leben keinen so großen Spaziergang gemacht hatte, zum Maghrebiner: „Mein Oheim, wohin gehen wir? Wir haben alle Gärten hinter uns gelassen und stehen vor einem Berg; wenn der Weg noch weit ist, so habe ich nicht mehr die Kraft weiter zu gehen, da ich von Müdigkeit ganz erschöpft bin. Da keine Gärten mehr vor uns sind, so lass uns wieder umkehren und zur Stadt zurückgehen.“ Der Maghrebiner versetzte jedoch: „Nein, mein Sohn, dies ist der rechte Weg; auch sind die Gärten noch nicht zu Ende, vielmehr gehen wir jetzt zu einem Garten, wie Könige seinesgleichen nicht besitzen. Alle Gärten, die Du bisher gesehen hast, sind nichts im Vergleich zu jenem. Nimm daher alle Deine Kraft zum Gehen zusammen; gottlob bist Du ein Mann.“ Hierauf begann er Aladin mit freundlichen Worten aufzumuntern und erzählte ihm wunderbare Geschichten, Lügen und Wahres, bis sie zu dem Ort gelangten, der das Ziel des maghrebinischen Zauberers war, um dessentwillen er sich aus dem Abendland nach dem Lande China aufgemacht hatte.
Als sie nun daselbst angelangt waren, sagte der Maghrebiner zu Aladin: „Oh Sohn meines Bruders, setz Dich und ruhe Dich aus, denn dies ist der Ort, nach dem wir gehen wollten. Und, so Gott will, werde ich Dir alsbald merkwürdige Dinge zeigen, wie niemand in aller Welt ähnliche gesehen hat; und niemand hatte seine Augenweide an dem, was Du sogleich zu schauen bekommen wirst. Hast Du Dich jedoch ausgeruht, so steh auf und suche Holzstücke und kurzes und dürres Reisig, ein Feuer damit anzumachen; dann will ich Dich Wunderdinge schauen lassen.“ Als Aladin dies vernahm, bekam er Verlangen, das, was sein Oheim zu tun vorhatte, zu sehen, und, alle Müdigkeit vergessend, erhob er sich sofort und begann kleine Holzstücke und dürres Reisig aufzulesen, bis der Maghrebiner zu ihm sagte: „Es ist genug, oh Sohn meines Bruders.“ Hierauf holte er aus seiner Tasche eine Schachtel hervor, öffnete sie und entnahm ihr so viel Weihrauch, als er bedurfte. Dann räucherte er und sprach Schwur- und Zauberformeln und unverständliche Worte; und alsbald verfinsterte sich der Himmel, und die Erde spaltete sich unter Beben und Donnern. Erschrocken hierüber und von Entsetzen gepackt, wollte Aladin fortlaufen; als der maghrebinische Zauberer dies jedoch bemerkte, ergrimmte er gewaltig, da ohne Aladin alle seine Arbeit vergeblich war, dieweil der Schatz, den er heben wollte, sich nur durch Aladin öffnen ließ. Als er daher sah, dass Aladin fortlaufen wollte, erhob er sich wider ihn und versetzte ihm mit der Hand einen Schlag aufs Haupt, dass er ihm fast die Zähne ausgeschlagen hätte und Aladin besinnungslos zu Boden stürzte. Nach kurzer Weile kam er jedoch durch den Zauber des Maghrebiners wieder zu sich und sprach nun weinend zu ihm: „Oh mein Oheim, was hab' ich denn getan, dass ich von Dir solch einen Schlag verdiente?“ Da suchte ihn der Maghrebiner wieder zu beschwichtigen und sagte zu ihm: „Mein Sohn, es ist meine Absicht, Dich zum Mann zu machen. Widersprich mir daher nicht, da ich Dein Oheim bin und Vaterstelle bei Dir einnehme. Gehorche mir in allen meinen Befehlen, denn binnen kurzem wirst Du all diese Drangsal und Mühe vergessen haben, wenn Du die Wunderdinge schaust.“ Als sich aber die Erde vor dem Zauberer gespalten hatte, ward ein marmorner Stein mit einem Ring aus Messing sichtbar; und nun streute der Maghrebiner eine Sandfigur und wendete sich zu Aladin, indem er zu ihm sprach: „Wenn Du alles tust, was ich von Dir verlange, dann sollst Du reicher als alle Könige werden. Aus diesem Grund, mein Sohn, schlug ich Dich; denn hier liegt ein Schatz auf Deinen Namen verborgen, und doch wolltest Du ihn liegen lassen und fortlaufen. Jetzt aber nimm Deine fünf Sinne zusammen und schau, wie ich die Erde, durch meine Beschwörungen und Zauberformeln öffnete. Unter jenem Stein, in dem sich der Ring befindet, liegt der erwähnte Schatz. Stecke daher Deine Hand in den Ring und hebe die Platte, denn niemand von allen Menschen als Du allein vermag sie zu heben, und Du allein kannst Deinen Fuß in den Hort hineinsetzen, da er für Dich aufbewahrt ist. Jedoch musst Du auf alles, was ich Dich lehre, hören und darfst Dir keine einzige Silbe meiner Worte entgehen lassen. Alles dies, mein Kind, ist zu Deinem Besten, denn dies ist ein gewaltiger Schatz, wie die Könige der Welt seinesgleichen nicht besitzen, und er ist für Dich und mich.“
Da vergaß der arme Aladin Mühsal, Schläge und Weinen, und, geblendet von den Worten des Maghrebiners, freute er sich durch diese Schicksalsfügung reicher als alle Könige zu werden und sagte: „Mein Oheim, befiehl mir alles, was Du begehrst, ich gehorche Deinem Geheiß.“ Der Maghrebiner versetzte: „Oh Sohn meines Bruders, Du bist mir wie mein Kind und selbst noch teurer, da Du der Sohn meines Bruders bist. Ich habe keine anderen Verwandten als Dich, und Du sollst mein Erbe und Nachfolger werden, mein Sohn.“ Alsdann trat er an Aladin heran, küsste ihn und sprach: „Für wen unterziehe ich mich all dieser Mühen? Alles ist um Deinetwillen, damit ich Dich zu einem reichen und sehr großen Mann mache. Widersetze Dich daher keinem meiner Worte, sondern tritt heran an den Ring und hebe ihn, wie ich es Dir befehle.“ Aladin erwiderte: „Mein Oheim, dieser Ring ist mir zu schwer, ich kann ihn allein nicht heben. Tritt herzu und hilf mir dabei, da ich zu jung bin.“ Der Maghrebiner entgegnete jedoch: „Oh Sohn meines Bruders, es ist uns unmöglich etwas auszurichten, wenn ich Dir helfe, denn all unsere Mühe würde vergeblich sein. Leg nur Deine Hand an den Ring und zieh an ihm; Du wirst ihn sofort heben, da ich Dir doch sagte, dass Du ihn allein anfassen kannst. Während Du aber an ihm ziehst, sprich den Namen Deines Vaters und Deiner Mutter aus, und Du wirst beim Heben nichts von seiner Schwere verspüren.“ Da stärkte sich Aladin und tat mit festem Entschluss, wie der Maghrebiner es ihn geheißen hatte; und, sobald er seinen Namen und die seiner Eltern aussprach, hob er die Platte mit der größten Leichtigkeit und warf sie beiseite. Unter derselben ward nun ein Gewölbe sichtbar, zu dem man auf einer Treppe von ungefähr zwölf Stufen hinunterstieg, und der Maghrebiner sagte zu ihm: „Oh Aladin, nimm Deine fünf Sinne zusammen und tue alles, was ich Dir sage, aufs Genauste, ohne das Geringste davon zu unterlassen. Steig mit aller Vorsicht in jenes Gewölbe hinunter, bis Du auf seinen Grund gelangst, wo Du einen in vier Räume geteilten Platz finden wirst, in deren jedem Du vier Krüge aus Gold und andere aus Gold und Silber gewahren wirst. Hüte Dich jedoch, sie anzurühren und nimm nichts von ihnen sondern geh an ihnen vorüber, bis Du zum vierten Raum gelangst, ohne Deine Kleider oder Säume die Krüge und die Wände berühren zu lassen und ohne einen einzigen Augenblick stehen zu bleiben; solltest Du dem zuwiderhandeln, so würdest Du auf der Stelle in einen schwarzen Stein verwandelt werden. Bist Du nun in den vierten Raum gelangt, so wirst Du dort eine Tür finden; öffne sie, indem Du wieder dieselben Namen, wie bei der Platte, aussprichst, und tritt hinein. Du wirst dann in einen Garten gelangen, der überall mit Fruchtbäumen geschmückt ist. Von dort musst Du auf dem Wege, den Du vor Dir siehst, gegen fünfzig Ellen weiter schreiten, worauf Du eine Halle erblicken wirst, in der sich eine Leiter mit ungefähr dreißig Stufen befindet, und von der Decke der Halle wirst Du eine Lampe herunterhängen sehen. Nimm die Lampe und stecke sie, nachdem Du das Öl, das sie enthält, ausgegossen hast, in Deinen Busen, ohne etwas für Deine Kleider zu befürchten, da das Öl kein wirkliches Öl ist. Auf Deiner Rückkehr magst Du dann von den Bäumen pflücken, was Dir beliebt, denn es gehört Dir, so lange die Lampe in Deiner Hand ist.“
Nachdem der Maghrebiner die Vorschriften, die er Aladin gab, beendet hatte, zog er von seinem Finger einen Siegelring und steckte ihn an Aladins Finger, indem er zu ihm sagte: „Mein Sohn, dieser Siegelring wird Dich vor allem Schaden und aller Furcht, die Dir drohen könnten, wahren, jedoch nur unter der Bedingung, dass Du alles, was ich Dir sagte, beobachtest. Erheb Dich nun, steig beherzt und festen Entschlusses hinunter und fürchte Dich nicht, denn Du bist ein Mann und kein Kind. In kurzer Zeit, mein Sohn, wirst Du gewaltigen Reichtum gewinnen, so dass Du der reichste Mensch auf der Welt werden wirst.“
Da erhob sich Aladin und stieg in das Gewölbe hinunter, wo er die vier Räume und in jedem derselben vier goldene Krüge fand. Er schritt jedoch, wie der Maghrebiner es ihn geheißen hatte, mit äußerster Vorsicht und Sorgfalt an ihnen vorüber, bis er in den Garten gelangte, in dem er weiter schritt, bis er zur Halle gelangte. Dann trat er in dieselbe ein und stieg auf die Leiter, worauf er die Lampe herunternahm, sie auslöschte, das Öl, das sie enthielt, ausgoss, und sie in seinen Busen steckte. Alsdann betrat er den Garten und besah sich seine Bäume, auf denen Vögel mit ihrem Gesang den erhaben Schöpfer lobpreisten, die er zuvor bei seinem Eintritt nicht gesehen hatte. Die Früchte aller dieser Bäume aber bestanden aus kostbaren Edelsteinen, und jeder Baum hatte Früchte von besonderer Farbe und Gestalt; und diese Edelsteine waren von jeglicher Farbe, grün, weiß, gelb, rot und so weiter, und schimmerten heller als die Strahlen der Sonne am Vormittag. Die Größe der Edelsteine aber übertraf so sehr jede Beschreibung, dass nicht ein einziger Stein von derselben Größe bei den mächtigsten Königen der Welt zu finden war, ja nicht einmal Steine von der halben Größe der kleinsten unter ihnen.
Wie nun Aladin zwischen den Bäumen umherspazierte und sie samt jenen Dingen, die den Blick blendeten und die Sinne gefangen nahmen, betrachtete, sah er, dass die Bäume anstatt gewöhnlicher Früchte, große Edelsteine, wie Smaragde, Diamanten, Hyazinthen, Perlen und dergleichen Juwelen trugen, deren Anblick die Sinne verwirrte. Da aber Aladin solche Sachen in seinem ganzen Leben noch nicht zu schauen bekommen hatte, und er auch noch nicht erwachsen war, um den Wert dieser Edelsteine zu erkennen, dieweil er noch ein kleiner Bursche war, glaubte er, dass alle diese Edelsteine Glas oder Kristall wären, und sammelte so viel von ihnen auf, wie er in seine Brusttaschen stecken konnte. Dann sah er nach, ob es Früchte wie Trauben, Feigen oder dergleichen zum Essen wären. Als er aber fand, dass sie wie Glas aussahen, fing er an seine Brusttaschen mit Früchten von allerlei Gestalt anzufüllen, ohne etwas von Juwelen und ihrem Preis zu wissen, und sprach bei sich, als er sein Verlangen zu essen nicht befriedigen konnte: „Ich will mir etwas von diesen gläsernen Früchten sammeln, um mit ihnen zu Hause zu spielen.“ Alsdann pflückte er drauflos und stopfte seine sämtlichen Taschen und seinen Gurt voll, und lud sich so viel auf, als er nur zu tragen vermochte, um die Früchte dann zur Zier in sein Haus zu legen, da er sie, wie oben erwähnt, für Glas hielt. Hierauf eilte er aus Furcht vor seinem Oheim dem Maghrebiner zurück, bis er wieder durch die vier Räume kam und wieder in das Gewölbe gelangte, ohne einen Blick auf die goldenen Krüge zu werfen, wiewohl es ihm bei seiner Rückkehr freistand, von ihnen, was er wollte, an sich zu nehmen. Als er nun zur Treppe kam, stieg er dieselbe empor, bis ihm nur noch die letzte Stufe übrig blieb; da diese jedoch höher als die anderen war und er sie wegen seiner Last nicht allein ersteigen konnte, sagte er zum Maghrebiner: „Oh mein Oheim, reich mir Deine Hand und hilf mir hinauf.“ Der Maghrebiner erwiderte ihm: „Mein Sohn, gib mir die Lampe und erleichtere Deine Last; vielleicht ist's das, was Dich so beschwert.“ Aladin entgegnete ihm jedoch: „Mein Oheim, die Lampe beschwert mich nicht im Geringsten; reich mir Deine Hand, und, wenn ich hinaufgestiegen bin, gebe ich Dir die Lampe.“ Da aber des maghrebitnschen Zauberers Verlangen einzig nach der Lampe stand, drängte er in Aladin ihm die Lampe zu geben, während Aladin mit der Hand nicht zur Lampe kommen konnte, da er sie tief in seine Kleider geborgen und die Taschen darüber mit Edelsteinen vollgestopft hatte. Wie nun der Maghrebiner trotz allem Fordern und Drängen die Lampe nicht erhielt, ergrimmte er so mächtig, dass er vor Wut närrisch ward, während Aladin ohne Falsch und böse Absicht versprach, ihm die Lampe zu geben, sobald er aus dem Gewölbe herausgestiegen wäre. Schließlich verlor der Maghrebiner in seiner rasenden Wut alle Hoffnung, die Lampe von Aladin zu bekommen und hob Schwur- und Zauberformeln zu sprechen an und warf mitten ins Feuer Räucherwerk, worauf sich die Steinplatte von selbst durch die Kraft des Zaubers über die Öffnung legte und die Erde die Platte wie zuvor bedeckte, so dass Aladin unter der Erde blieb und nicht herauskommen konnte. Hierauf ging der Maghrebiner fort, um Aladin Hungers sterben zu lassen; denn, wie bereits erwähnt, war er ein Fremder und gar nicht Aladins Oheim, sondern hatte sich nur verstellt und dies erlogen, um durch Aladins Vermittlung, der den Schatz allein zu heben vermochte, die Lampe zu gewinnen. Der verruchte Zauberer stammte vielmehr aus Afrika, aus dem inneren Maghreb, und hatte seit seiner Kindheit die Zauberei und alle spiritualistischen Wissenschaften betrieben, für die Afrika berühmt ist. Er hatte unaufhörlich gelernt und studiert, bis er alle Wissenschaften von Grund auf verstand. Durch seine Meisterschaft im Beschwören und Zaubern, die er sich durch ein vierzigjähriges Studium erworben hatte, entdeckte er eines Tages, dass sich unter den äußersten Städten Chinas eine Stadt, El-Kalâs geheißen, befände, in der ein gewaltiger Schatz läge, wie kein König der Welt seinesgleichen besäße; und das Merkwürdigste in diesem Schatz wäre eine Wunderlampe, deren Besitzer von keinem Menschen auf der Erde an Reichtum und Pracht übertroffen werden könne; ja selbst der mächtigste König der Welt reichte an den Reichtum dieser Lampe und ihre Macht und Stärke nicht im Mindesten heran. Nachdem er dann durch seine Wissenschaft entdeckt hatte, dass der Schatz nur durch einen armen Knaben, Namens Aladin, der in jener Stadt lebte, gehoben werden könnte, und dass der Schatz leicht und ohne Mühe zu nehmen sei, machte er sich unverzüglich und ohne Zeitverlust zur Reise nach China fertig und tat mit Aladin das oben erwähnte, im Glauben die Lampe zu gewinnen. Da aber seine Mühe und Hoffnung vereitelt und alle seine Anstrengungen umsonst gewesen waren, beschloss er Aladin umzubringen und schloss ihn durch seine Zauberei unter der Erde ein, damit er stürbe, ohne einen Mord an ihm vollbracht zu haben. Außerdem bezweckte er dadurch, Aladin nicht aus dem Gewölbe zu lassen, damit auch die Lampe unter der Erde bliebe. Hierauf zog er seines Weges und kehrte betrübt und in seiner Hoffnung getäuscht nach Afrika zurück.