Gefährlicher Einsatz auf Sylt: Kripow & Kripow Herr Doktor und die Polizei
Published by CassiopeiapressAlfredbooks, 2021.
Title Page
Gefährlicher Einsatz auf Sylt
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
Further Reading: 12 FBI Thriller August 2021: Krimi Paket
Also By A. F. Morland
Also By Bernd Teuber
Also By Lynda Lys
![]() | ![]() |
Kripow & Kripow
Herr Doktor und die Polizei
von A. F. Morland und Bernd Teuber
mit Lynda Lys
Der Umfang dieses Buchs entspricht 130 Taschenbuchseiten.
Am Strand von Sylt werden mehrere Rucksäcke mit Kokain angespült. Offenbar benutzt jemand die Insel als Umschlagplatz für Drogen. Kommissarin Kathrin Kripow wird von der Sylter Polizei um Unterstützung gebeten. Als Touristin getarnt, mietet sie sich in der Pension KLEINE MÖWE ein, und versucht, den Tätern auf die Spur zu kommen.
Währenddessen bahnt sich in der Falkenberg-Klinik eine Liebesbeziehung zwischen Schwester Tanja Drewitz und dem Immobilienmakler Viktor Borchert an. Doch dann werden die beiden Opfer einer hinterhältigen Intrige. In ihrer Verzweiflung wendet sich Tanja an ihren Chef Doktor Alexander Kripow.
![]() | ![]() |
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Cover: Steve Mayer, nach Motiven, 2021
Serie created by Marten Munsonius, Alle Rechte vorbehalten, 2021
Nach Romanmotiven von A.F. Morland & Bernd Teuber
Die Pension Kleine Möwe und ihre Figuren: Created by Lynda Lys & Eliza Simon
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
![]() | ![]() |
Die Möwen schrien.
Mit nachlässig ruhigem Flügelschlag schwangen sie im silbrigen Dunst, der die blaue Wasserfläche unter schiefergrauem Himmel ins Nichts zerrinnen ließ. Wie Ausrufezeichen standen die schwarzen Pricken im Sand. Durch die knappe, grüne Grasnarbe, die am Nordrand von Sylt wuchs, strich ein regenfeuchter Wind. Hinter der gleichmäßig grauen Wolkendecke ahnte man die Sonne. Hier und da erhellte sie das eintönige Grau mit einem durchsichtigen, opalen Schimmer, der die Fenster der Häuser aufblinken ließ. Es roch nach Salzwasser, Tang, Muscheln und Schlick.
Der achtundsiebzigjährige ehemalige Seemann Hillrich Kuper hatte die Hände tief in den Taschen seiner langen, dicken Friesjoppe. Klein, stämmig und lebhaft war er, und seine blaugrauen Augen unter der dunkelblauen Schiffermütze musterten nach Seemannsart immer wieder Himmel und Meer. Sein rotbäckiges kluges Gesicht verzog sich zu einem freundlichen Lächeln, das all die kleinen Runzeln und Fältchen aufspringen ließ, die der Salzwind und das Ausschauen über blinkende Wasserflächen hinein gruben.
„Liegt Nebel in der Luft“, murmelte er und schnupperte mit erhobener Nase in den Wind. Durch nasses Gras stapfte er und hielt Umschau. Sein Blick schweifte den Sandstrand entlang, der bei gutem Wetter bunt gekleideten Badegästen als Tummelplatz diente. Und da entdeckte er ihn. Der Gegenstand war nicht sehr groß, aber aufgrund seiner dunklen Farbe hob er sich deutlich vom hellen Sand ab.
Langsam ging Hillrich darauf zu. Im ersten Moment hielt er es für ein Tier, einen toten Seehund, den die Flut hier angespült hatte, doch als er nur noch zwei Meter von seinem Fund entfernt war, erkannte er, dass es sich um einen Rucksack handelte. Vermutlich war er aus einem Boot gefallen oder ein Tourist hatte ihn hier vergessen. Der Alte bückte sich und hob ihn auf. Ziemlich schwer, stellte er fest. Hillrich, der früher auf vielen Fahrten und bei jedem Wetter draußen gewesen war, blickte sich nach allen Seiten um, in der Hoffnung, dass sich der Besitzer noch irgendwo in der Nähe befand.
Aber weit und breit war Hillrich der Einzige hier am Strand. Nachdenklich wiegte er den Kopf hin und her. Dann öffnete er den Rucksack. Vielleicht fand er darin einen Hinweis auf den Eigentümer. Hillrich klappte den Deckel zurück und blickte hinein. Erstaunen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Der Inhalt bestand aus mehreren, rechteckigen Päckchen, die mit Klebeband umwickelt waren. Hillrich Kuper beschloss, seinen ungewöhnlichen Fund zur Polizei zu bringen.
![]() | ![]() |
Heinz Gienke stammte ursprünglich aus Hamburg. Vor einem Monat waren er und seine Frau Annemarie nach Hannover gezogen, um hier ihren Lebensabend zu verbringen. Ihnen gefiel es in Hamburg nicht mehr. Der Lärm und der Anblick der großen Betonklötze hatten ihre Lebensqualität dermaßen gemindert, dass sie sich dazu entschlossen, nach Hannover zu ziehen.
„Man erkennt Hamburg überhaupt nicht wieder“, sagte Heinz schwermütig. „Ich habe mich da nicht mehr wohlgefühlt. Überall Kräne, Bagger, Baumaschinen. Kaum dreht man sich für einen Moment um, schon steht da ein Neubau. Die Stadt verändert ihr Gesicht in einem Tempo, sage ich Ihnen, da kommt ein alter Mann wie ich nicht mehr mit. Das geht alles im Sauseschritt.“
„So ist es doch mittlerweile in den meisten Großstädten“, meinte Schwester Tanja Drewitz. „Alles wird kräftig umgekrempelt. Und die vertraute Atmosphäre geht dabei verloren.“
Heinz winkte seufzend ab. „Die ist doch schon längst hinüber. Von der merkt man nichts mehr. Trotzdem fiel es mir nicht ganz leicht, mein geliebtes Hamburg zu verlassen.“
Die Krankenschwester lächelte. „Einen alten Baum soll man doch nicht verpflanzen, nicht wahr?“
„So ist es. Ich habe das Opfer vor allem für meine Schwester gebracht. Nach dem Tod ihres Mannes wohnt sie jetzt ganz allein in der großen Villa. Sie ist einsam, alt und gebrechlich. Sie braucht mich. Also haben ich und meine Frau uns entschlossen, ihr zu helfen.“ Er lächelte. „Na, vielleicht lade ich Sie mal zum Kaffee ein. Dann können wir uns ausführlicher unterhalten. Ich muss mich jetzt leider auf den Weg machen.“
Heinz verabschiedete sich und verließ den Raum. Er hatte sich von Doktor Alexander Kripow, dem Chefarzt der Falkenberg-Klinik, Herztropfen verschreiben lassen. Schwester Tanja betrat das Wartezimmer und rief den nächsten Patienten auf. „Herr Borchert, bitte.“
Viktor Borchert, mit dreißig Jahren schon ein erfolgreicher Immobilienmakler, legte die Illustrierte beiseite und erhob sich. Er war ein großer, stattlicher Mann, schlank, elegant, attraktiv und blond. Er schenkte der jungen Schwester ein warmes Lächeln, ging an ihr vorbei und betrat das Behandlungszimmer.
„Guten Tag, Herr Doktor.“
„Herr Borchert“, erwiderte der Chefarzt und streckte dem Makler seine Hand entgegen. „Bitte, kommen Sie weiter. Nehmen Sie Platz.“
Der Patient setzte sich.
„Was führt Sie zu mir?“, erkundigte sich Doktor Kripow.
„Ich fühle mich seit einigen Tagen nicht mehr wohl in meiner Haut.“
„Aus welchem Grund? Haben Sie Schmerzen?“
„Nicht direkt Schmerzen, aber ein unangenehmes Brennen in der Speiseröhre. Und dann beunruhigt mich plötzlich Herzrasen oder ein unverhoffter Druck auf der Brust. Manchmal fühle ich mich morgens schon so müde und abgeschlagen ...“
„Haben Sie viel Stress?“
„Zurzeit ja. Ich stehe vor der Realisierung eines großen Projekts. Wenn es mir gelingt, dass durchzuziehen, setze ich mir selbst ein imposantes Denkmal. Selbstverständlich ist das mit sehr viel Arbeit verbunden. Aus nichts wird nichts.“
„Machen Sie bitte Ihren Oberkörper frei“, bat Doktor Kripow. Er nahm das Stethoskop, horchte den Patienten ab, betastete dessen Lymphdrüsen, maß Puls und Blutdruck. „Danke“, sagte er, nachdem die Untersuchung abgeschlossen war. „Sie können sich wieder anziehen. So weit scheint alles in Ordnung zu sein. Wenn Sie es zeitlich einrichten können, möchte ich Ihnen aber noch zu einem medizinischen Check-up hier in der Klinik raten, damit wir ganz sicher sein können. Wären Sie damit einverstanden?“
„Wenn Sie mir zu dem Check-up raten, werde ich ihn durchführen lassen“, entgegnete Viktor. „Ich muss in den kommenden Monaten fit sein. Da kommt nämlich noch einiges auf mich zu.“
„Versuchen Sie auf jeden Fall etwas kürzerzutreten. Erledigen Sie nicht alles alleine. Man kann viele Dinge delegieren. Überlegen Sie sich auch, wie Sie Ihr Arbeitspensum so straffen können, dass unterm Strich mehr Freizeit für Sie herausspringt.“
Der Immobilienmakler nickte. „Ich werde darüber nachdenken.“
„Das sollten Sie. Und zwar ernsthaft.“
„Ich verspreche es“, erwiderte Viktor lächelnd.
„Gut, dann sehen wir uns in den nächsten Tagen wieder.“
![]() | ![]() |
Grell stach die Sonne ins Zimmer. Kriminalhauptkommissarin Kathrin Kripow öffnete die Augen und blinzelte zum Fenster hinüber. Die Vorhänge waren nicht richtig zugezogen. In der Mitte klaffte ein handbreiter Spalt. Die Sonnenstrahlen erfassten das Bett wie ein Fächer. Staub stand unbeweglich in dem Licht. Kathrin stützte sich auf dem Ellenbogen auf und blickte sich um. Nur langsam setzte die Erinnerung ein.
Sie befand sich gar nicht in ihrem Schlafzimmer in Ewersbrunn bei Hannover, sondern auf Sylt. Ihr Chef, Dezernatsleiter Gerhard Tielich, hatte sie an die hiesigen Kollegen ausgeliehen, um auf der Insel verdeckt zu ermitteln. An drei verschiedenen, teilweise weit voneinander entfernten Stellen waren Rucksäcke mit Kokain gefunden worden. Der Straßenverkaufswert betrug 1,75 Millionen Euro.
Zuerst hatte ein Spaziergänger einen Rucksack mit fast 2,5 Kilogramm Kokain gefunden. In der darauffolgenden Nacht tauchte ein zweiter Rucksack mit fast 20 Kilogramm Kokain auf und am nächsten Nachmittag fand man nochmals mehr als 10 Kilogramm. Weil zwei der drei Rucksäcke direkt an der Wasserlinie entdeckt worden waren, ging die Sylter Kriminalpolizei davon aus, dass das Kokain von einem vorbeifahrenden Schiff geworfen und dann an Land gespült wurde.
Trotz intensiver Ermittlungen fand man keinen Hinweis auf die Herkunft der Drogen. Doch es stand außer Zweifel, dass es bald weitere Funde geben würde. Irgendjemand benutzte Sylt als Drogenumschlagplatz. Weil die Kriminalisten vor Ort bei der Bevölkerung bekannt waren, beschlossen sie, Verstärkung vom Festland anzufordern. Aus diesem Grund hatte sich Kathrin Kripow als Touristin getarnt in der Pension KLEINE MÖWE einquartiert.
Es war ein braunrot verklinkertes Haus mit Reetdach und weißen Fenstern. Und es lag keine zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof Westerland entfernt. Die Besitzerin hieß Wencke Fries. Sie hatte zwei Kindern und war mit einem Anwalt verheiratet, der jedoch die meiste Zeit in Flensburg arbeitete.
Gähnend schwang Kathrin die Beine über die Bettkante. Sie ging ins Bad, erledigte ihre Morgentoilette, kleidete sich an, zog die Vorhänge zur Seite und öffnete das Fenster. Tief atmete sie die frische Seeluft ein. Keine Wolke war am Himmel zu sehen. Es schien ein schöner Tag zu werden. Kathrin verließ das Zimmer und ging leise die Treppe hinunter. Im Haus war es vollkommen still. Die anderen Pensionsgäste schienen noch zu schlafen. Die Haustür war nicht abschlossen.
Kathrin drückte die Klinke herunter und verließ das Gebäude. Es war ein zauberhafter Morgen. Die Luft, das Licht, die Ruhe – alles war zauberhaft. Das Echo ihrer Schritte trappelte neben, vor und hinter ihr die leeren Straßen entlang, an den Fassaden der schlafenden Häuser hinauf und weckte im Garten einer Villa einen Hund, dessen Gebell nun mit dem Echo ihrer Schritte um die Wette lief. Kathrin verließ die Straßen und gelangte an den Strand, der zu dieser frühen Stunde noch sauber und leer war.
Fußspuren im Sand hinterlassend, lief sie nach vorn an die Wasserkante, wo kleine Wellen Purzelbäume schlugen. Über dem Meer schwebten zarte, lilafarbene Dunstschleier, aus denen – weit weg im Norden, weiß gegen den rosa Himmel – einige Segel aufragten. Das Meer war tiefblau mit oxidgrünen Streifen und silbernen Glitzerlichtern. Es war so ungeheuer farbig, dass man es nie hätte naturgetreu malen können, ohne das ein kitschiges Bild daraus geworden wäre – so eines, wie sie in nachgemachten Barockrahmen in Warenhäusern neben Gebirgs- und Heidelandschaften zum Verkauf standen, der Quadratzentimeter für 12 Euro 50 inklusive Mehrwertsteuer.
Die Meeresvögel ließen sich von aufsteigenden Luftströmungen tragen, zogen im Gleitflug vorüber, stiegen auf, flogen wieder nieder und drehten dann um, wobei sie mit einer plötzlichen Bewegung ihren Flug unterbrachen und wild mit den Flügeln schlugen. Kathrin zog die Schuhe aus und wanderte barfuß am Wasser entlang nach Süden. Sie genoss die Ruhe und beobachtete die huschenden Schwärme fingerlanger Fische, die durch das Wasser zogen. Hinter ihr ertönten schnelle Schritte und ein keuchender Atem. Sie drehte sich um. Eine Gestalt in einem blauen Jogginganzug stürmte auf sie zu. Bevor Kathrin ausweichen konnte, erfolgte der Aufprall. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Abrupt blieb der Mann stehen.
Aus großen Augen blickte er sie an. Er wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, doch dann überlegte er es sich anders. Mit zwei Schritten war er bei Kathrin und half ihr auf die Füße. Sein Atem ging keuchend. Schweiß ran über sein Gesicht. Er murmelte etwas, das sie nicht verstand, wandte sich ab und rannte los. Kathrin blickte ihm nach, bis er in der Ferne verschwunden war. Dann kehrte sie über den Strand zur Straße zurück. Mittlerweile war es kurz vor sieben.
Auf den Straßen fuhren erste Lieferwagen, brachten Brötchen oder Milch zu den Hotels. Die Souvenirläden, Boutiquen, Bars, Cafés und Restaurants waren noch geschlossen. Nur vor einem Kiosk, der auch Zeitungen verkaufte, packte eine verhärmt aussehende Frau die ersten Papierbündel aus. Kathrin widmete sich noch eine halbe Stunde den Schaufenstern, in denen wundervolle Kleider und bunte Geschenkartikel zu sehen waren – neben kitschigem Kram aus Schaumgummi und Plastik.
Um halb acht – es fing schon an, warm zu werden – traf sie wieder in der Pension ein. Im Eingangsbereich kam ihr die Besitzerin Wencke Fries entgegen.
„Moin, Frau Kripow, schon so früh unterwegs?“, erkundigte sie sich.
„Ja, ich wollte die morgendliche Stille genießen.“
Wencke nickte. „Wenn Sie möchten, können Sie auch gleich frühstücken.“
„Vielen Dank“, erwiderte Kathrin.
Kathrin ging in den Speiseraum. Sie nickte den Anwesenden zu und setze sich an den einzigen freien Tisch. Das Frühstück war sehr gut, auch in Bezug auf die Buttermenge und die Qualität der Konfitüre. Der Kaffee Melange schmeckte wundervoll. Das Ei hatte genau die richtige Konsistenz. Kathrin ließ sich Zeit. Nach dem Frühstück kaufte sie in einem kleinen Andenkenladen eine Postkarte, die sie Alexander schicken wollte, und kehrte in ihr Zimmer zurück.
![]() | ![]() |
„Wenn es dir hier nicht passt, kannst du ja ausziehen“, sagte Ulrike Menzel kalt. Sie stand in der Küchentür und hatte die Hände in die Seiten gestemmt.
„Warum sollte ich?“, fragte Manuela Dreger. „Dies ist schließlich mein Elternhaus. Ich habe ein Recht, hier zu sein.“
„Aber es gehört dir nur zur Hälfte.“
„Ich weiß. Die andere gehört meinem Bruder Pascal.“
„Ganz genau. Und er hat mir erlaubt, hier bei ihm zu wohnen.“
„Hat er dir auch erlaubt, hier ständig Theater zu machen? Ich muss meine Diplomarbeit schreiben, aber bei dem Krach, der hier ständig herrscht, komme ich überhaupt nicht dazu.“
Ulrike zuckte mit den Schultern. „Na und? Das ist doch nicht mein Problem.“
„Ist es sehr wohl. Denn schließlich bist du diejenige, die hier im Haus für Unruhe sorgt.“
„Dann werden Pascal und ich dir deine Hälfte abkaufen.“
„Tatsächlich? Und woher nehmt ihr das Geld?“
„Das ist unsere Sache.“
„Pascal hat bloß ein paar Hosenknöpfe auf der hohen Kante, und in seiner Firma wird immer lauter von Gesundschrumpfen geredet. Vielleicht ist mein Bruder schon bald arbeitslos.“
Ulrike reckte ihr Kinn vor. „Dafür habe ich die allerbesten Aussichten, Filialleiterin zu werden.“
Zurzeit arbeitete die schlanke, junge Frau als Kassiererin in einer Filiale der größten Supermarkt-Kette des Landes.
„Und wie viel Bares hast du auf der Bank?“
„Das geht dich nichts an.“
„Ich frage nur, weil du mir die Hälfte dieses Hauses abkaufen willst. Das wird ein teurer Spaß für dich. Vorausgesetzt, ich bin überhaupt bereit, über einen Verkaufspreis nachzudenken.“
Ulrike wandte sich um und verließ den Raum mit grimmiger Miene. Gleichzeitig überlegte Manuela, wie sie ihr Problem lösen konnte. Pascal würde sich wohl kaum von Ulrike trennen. Und sie aus dem Haus zu ekeln, dürfte ziemlich schwierig werden. Das konnte sie vergessen. Was also tun? Manuela saß in der Küche und seufzte schwer.
Wie kriege ich die Dinge so geregelt, dass ich in Ruhe meine Diplomarbeit schreiben kann?, überlegte sie. Irgendeinen Weg muss es doch geben. Dieses verdammte Miststück. Ich könnte sie umbringen! Was fällt ihr eigentlich ein? Setzt sich in unser gemütliches Nest und versucht alles, um mich rauszuschubsen.
Ununterbrochen dachte Manuela über ihr Problem nach, und plötzlich hatte sie den rettenden Einfall.
![]() | ![]() |
Nach dem Mittagessen in einem netten Restaurant an der Strandpromenade kehrte Kathrin Kripow zur Pension KLEINE MÖWE zurück, um ihre Badesachen zu holen und ging anschließend an den Strand. Sie trug ein helles Sommerkleid mit Blumenmuster und darunter einen Bikini. Ihre Standtasche hatte sie sich über die Schulter gehängt. Der breite Sandstreifen zwischen der Straße und dem blauen Wasser war laut und voll mit Menschen. Ein paar Hundert Touristen in allen Hautfarben-Schattierungen zwischen Stubenhockerweiß und Schokoladenbraun saßen dort in der Sonne, im Schatten der aufgestellten, pilzähnlichen Reetdächer oder unter bunten Schirmen.
Viele Stimmen riefen, lachten und redeten um die Wette. Es roch nach Schweiß, Hautcreme und Sonnenöl, nach Tabak, Schlick, Salzwasser und Fisch. Kathrin ging zwischen den Geräuschen und Gerüchen hindurch. Von der Sylter Polizei hatte sie eine Karte bekommen, auf der die Fundorte der Rucksäcke markiert worden waren. Sie lagen etwas außerhalb, dort, wo sich für gewöhnlich keine Touristen tummelten. Wer immer die Rucksäcke auch ins Wasser geworfen haben mochte, kannte sich sehr gut mit den Strömungsverhältnissen aus.
Kathrin entfernte sich von dem überfüllten Strand und genoss den leichten Wind, der über die Wasseroberfläche strich. Ein kleines Fischerboot fuhr mit tuckerndem Außennordmotor in einiger Entfernung vorüber. Der Strand erstreckte sich, soweit das Auge reichte. Kathrin ging weiter. Drei junge Frauen tauchten zwischen den Dünen auf, vollkommen nackt. Als sie an Kathrin vorbeikamen, unterbrachen sie ihre Unterhaltung, drehten sich nach ihr um, lachten leise und setzten ihren Weg fort.
Nach einer Viertelstunde erreichte sie die Stelle, an der man den ersten Rucksack gefunden hatte. Es gab nichts Ungewöhnliches zu sehen. Kathrin bezweifelte sowieso, dass sie tagsüber fündig wurde. Sollte sich der Verdacht der Sylter Kollegen bestätigen, dass jemand die Insel als Umschlagplatz für Drogen benutzt, dann würden die Täter ihre Aktivitäten wohl in die Nachtstunden verlegen.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie vollkommen vergessen hatte, Alexander anzurufen. Sie beschloss, es sofort nachzuholen. Kathrin nahm ihr Smartphone aus der Umhängetasche und wählte seine Nummer. Nach dem fünften Klingeln wurde am anderen Ende abgenommen.
„Na endlich“, sagte Alexander, nachdem sie sich gemeldet hatte. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“
Seine Stimme war nah, und voller Wärme. Sie sah ihn vor sich, wie er am Schreibtisch saß, die Ellenbogen auf seine Unterlagen gestützt, in seinem weißen Kittel.
„Entschuldige“, sagte Kathrin. „Ich hatte es vollkommen vergessen.“
„Bist du wenigstens gut angekommen?“
„Ja, alles bestens.“
„Und hast du schon etwas herausgefunden?“
„Noch nicht. Gibt es bei dir etwas Neues?“
„Nein. Nichts.“
„Und wie geht es den Kindern?“
„Alles in Ordnung.“
„Tatsächlich?“, fragte sie erstaunt.
„Ja.“
„Keine Streitereien?“
„Nein.“
„Das überrascht mich.“
„Ja, ehrlich gesagt, mich auch.“
„Na, dann“, meinte Kathrin. „Ich melde mich in den nächsten Tagen noch mal.“
„Mach‘s gut, meine Schöne.“
„Ja, mach‘s gut.“
Kathrin beendete das Gespräch und steckte das Smartphone wieder in die Tasche.
![]() | ![]() |
Doktor Alexander Kripow war froh, dass heute nur wenige Hausbesuche anstanden. Seit Kathrins Aufenthalt auf Sylt musste er sich auch noch um die Kindererziehung kümmern, was nicht immer ganz einfach war. Zwar unterstützte ihn die Haushälterin Martha Lehmann so gut es ging, aber sie konnte sich nicht alle Aufgaben übernehmen. Und bei vier Kindern war immer etwas los. Ständig gab es irgendwelche Probleme. Deshalb passte es ihm sehr gut, dass er nur noch einen Besuch erledigen musste.
Bei den Mantheys, den Stenzels und den Oppermanns war er bereits gewesen. Nun kümmerte er sich um Frau Ofenhäußer, die seit zwei Tagen mit hohem Fieber im Bett lag.
„Nehmen Sie auch die Medizin, die ich Ihnen verschrieben habe?“, erkundigte sich der Arzt.
Elli Ofenhäußer nickte. „Selbstverständlich, Herr Doktor.“ Ein kleines Lächeln huschte über ihr faltiges Gesicht. Elli Ofenhäußer war die Großmutter von Tanja Drewitz. Eine kleine Welt, dieses Hannover. Man hätte meinen können, jeder wäre hier mit jedem irgendwie verwandt.
„Wann war Tanja zuletzt bei Ihnen?“, wollte Doktor Kripow wissen.
„Heute Vormittag. Sie ist eine ganz Liebe. Ich bin sehr froh, dass ich sie habe. Und ich bin sehr stolz auf sie. Tanja hat mir eine Kraftbrühe gekocht, die Wohnung aufgeräumt, und die Medikamente, die Sie mir gestern noch aufgeschrieben haben, aus der Apotheke geholt.“
Doktor Kripow untersuchte die Patientin. „Wie hoch ist Ihre Temperatur?“
„Noch immer neununddreißig“, erwiderte die alte Frau.
„Wenn das Fieber bis morgen nicht merklich zurückgeht, werden Sie wohl oder übel in die Falkenberg-Klinik müssen, Frau Ofenhäußer. Wir dürfen kein Risiko eingehen.“
„Tanja meint, es könnte sich um eine Lungenentzündung handeln.“
„Genau das“, bestätigte der Arzt. „Deshalb warte ich mit der Einweisung auch nur noch vierundzwanzig Stunden.“
„Ich war noch nie Patientin in einem Krankenhaus. Und darauf bin ich sehr stolz.“
„Einmal ist immer das erste Mal“, gab er zurück. „Aber vielleicht bleibt Ihnen die Einweisung ja auch erspart. Wir werden sehen, wie es Ihnen morgen geht. Also dann.“ Er tippte sich grüßend an die Stirn. „Morgen Abend. Dieselbe Zeit. Derselbe Ort.“
„Ich werde da sein, Doktor“, entgegnete Elli Ofenhäußer. „Wenn ich Glück habe, nur noch mit erhöhter Temperatur.“
![]() | ![]() |
Schwester Tanja Drewitz verließ die Toilettenräume und kehrte auf ihre Station zurück. Unterwegs traf sie Doktor Roland Böwing, der als Assistenzarzt in der Falkenberg-Klinik arbeitete.
„Hätten Sie nicht schon längst Dienstschluss?“, erkundigte er sich.
„Ja“, antwortete sie lächelnd. „Ich bin auch schon so gut wie weg.“
„Ich wünsche Ihnen einen erholsamen Feierabend.“
„Und ich Ihnen einen ereignislosen Nachtdienst.“
Doktor Böwing wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, blieb dann aber stehen. „Beinahe hätte ich es vergessen: Da waren zwei Anrufe für Sie. Ein Florian Stührenberg wollte Sie sprechen.“
Eine Unmutsfalte erschien über Tanjas Nasenwurzel. „Ich habe ihm schon hundertmal gesagt, er soll mich hier nicht anrufen.“
„Ich habe ihn gefragt, ob ich Ihnen etwas ausrichten könne. Er sagte Nein.“
„Danke“, entgegnete Tanja.
„Keine Ursache“, gab der Assistenzarzt zurück und setzte seinen Weg fort.
Tanjas Miene verfinsterte sich. Was mache ich bloß mit dir, Florian Stührenberg?, dachte die junge Frau. Seit einem halben Jahr ging sie mit ihm aus. Er liebte sie, aber sie liebte ihn nicht. Anfangs mochte sie ihn, doch ihre Gefühle hatten sich im Laufe der Zeit sehr schnell abgekühlt. Florian wollte das jedoch nicht wahrhaben. Er war davon überzeugt, ihre Liebe erzwingen zu können. Doch stattdessen erreichte er mit seinem Verhalten nur das Gegenteil.