Titel
Impressum
November 1983
Monate später
In den folgenden Monaten
Weihnachten
Afrika hatte uns wieder!
Über den Autor
Rolf Stöver
Die Unfreiheit der Liebe –
Mein Kampf um meine Frau in Südafrika
Autobiografischer Roman
Verlag DeBehr
Copyright by: Rolf Stöver
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by © Galyna Andrushko
Erstauflage: 2017
ISBN: 9783957534170
November 1983, Frankfurt. Die Boeing 747 der südafrikanischen Airline hob pünktlich um 20.oo Uhr ab in Richtung Johannesburg. Jetzt hatte ich 14 Stunden Zeit, darüber nachzudenken, was hinter mir lag, vor allem aber, was mich nun erwartet. Ich war auf dem Wege auszuwandern. Ein lang gehegter Traum. Wohin wusste ich nie so richtig, bis ich auf einer Chorreise mit dem Männerchor aus meiner Heimatstadt Verl (Ostwestfalen) Namibia und Südafrika kennenlernen durfte. Die unendlichen Weiten im südlichen Afrika, die Natur, die Tiere, die Gastfreundschaft der Menschen hatten mich zutiefst beeindruckt, und natürlich das Wetter. Nun wusste ich, wohin ich auswandern wollte – nach Südafrika! Nach einem Besuch der südafrikanischen Botschaft in Bonn begann der unabwendbare Krieg mit Formularen, ärztlichen Attesten, polizeilichem Führungszeugnis und letztendlich einer eidesstattliche Erklärung, dass ich niemals einer kommunistischen Vereinigung angehört habe. Eine Kopie meines Parteibuches einer christlichen Partei war dann die Krönung. Ich bekam eine Daueraufenthaltsgenehmigung auf Lebenszeit.
8.oo Uhr in der Früh landete die Maschine auf dem Jan Smuts Airport in Johannesburg. Muffensausen hatte ich aber gewaltig, zumal ich kein Englisch und auch kein Afrikaans konnte. Von einem Bekannten, den ich auf der Chorreise kennengelernt hatte, wurde ich vom Flughafen abgeholt und zu einer möblierten Wohnung im Stadtteil Hillbrow gebracht. Dort landet erst einmal jeder Emigrant, um sich umzuschauen und sich einzugewöhnen.
In den folgenden Wochen hatte sich mein berufliches Ziel schon mal verabschiedet. Als gelernter Heizungs- und Klimatechniker hatte ich bereits in Deutschland eine Agentur für Sonnenkollektoren erworben. Naheliegend im südlichen Afrika bei 2500 Sonnenscheinstunden. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Durchschnitt bei 800 Stunden.
Seifenblase – die Elektrizität in Südafrika war so billig, das sich selbst die kleinste Investition erst in 100 Jahren amortisiert hätte. Also versuchte ich, Englisch zu lernen, aber leider nur sporadisch. Es war ja viel bequemer, sich in der deutschen Community zu bewegen. Auch das war ein Fehler. Kein Fehler war es, dem deutschen Chor „Liedertafel Johannesburg“ beizutreten, aber auch dort wurde fast nur deutsch gesprochen. Meine Karriere als Bariton-Solist nahm dann seinen Lauf. Fortan war ich auf den Bühnen der Stadthallen, aber auch schon mal im Fernsehen zu sehen. Bald hatte ich meinen ersten Job – eine alte stillgelegte Goldmine sollte zu einem Museum umfunktioniert werden. Dazu musste eine alte Dampflok mitsamt den Personenwaggons restauriert und fahrbereit gemacht werden. Das war mein Job, weil man der Meinung war, dass ein Deutscher das wohl kann. Nur mein Partner, der mir zugeteilt wurde, war Schotte. Das Chaos war nicht mehr zu überbieten – er kein Deutsch und ich kaum Englisch. Gelernt habe ich dabei, dass niemand in Südafrika es übel nimmt, wenn man etwas falsch gesagt oder ausgesprochen hat. Man wird auch nicht besserwisserisch berichtigt. Niemand tut das. Dadurch verliert man seine Hemmungen. Einfach drauflos plappern, egal ob falsch oder richtig. In keinem Englischkurs lernt man so schnell die Sprache. Jetzt konnte mein Abenteuer Afrika richtig beginnen.
Inzwischen hatte ich meine kleine Residenz in Hillbrow verlassen und außerhalb Johannesburgs ein Reihenbungalow in einem geschlossenen Komplex gemietet. Viel zu groß, drei Schlafzimmer, zwei Badezimmer, Swimmingpool usw., aber es gab nichts Kleineres. Längst war mir klar, dass die weißen Südafrikaner wie Gott in Frankreich lebten. Die Schwarzen hatten eigentlich nichts, durften sich nicht einmal frei bewegen.
In der Goldmine musste ich mit Schwarzen arbeiten – zum ersten Mal in meinem Leben. Dass ich als Weißer automatisch nach den Gesetzen des Apartheidsystems der Boss sein sollte, war für mich mehr als gewöhnungsbedürftig. Das wollte ich aber nicht und hatte mich deshalb entschlossen, mich so zu verhalten, wie ich es auch in Deutschland getan hätte. Teams wurden gebildet, morgendliche Arbeitsbesprechungen abgehalten, jeder durfte anregen, mitreden, Meinungen äußern usw. Das brachte die Schwarzen völlig aus dem Konzept. Nun sollten sie plötzlich nicht mehr devot sein. Komischer Deutscher haben die wohl gedacht. Auch habe ich niemals etwas verlangt, was ich nicht selbst vormachen konnte. Das hat mir genau das eingebracht, was ich wollte – nämlich Respekt und Vertrauen. So bekam ich nach einigen Wochen einen Schnellkurs in Sachen afrikanischer Kultur. Diese Leute haben einfach angefangen zu erzählen, was sie so bewegt, von ihrer Herkunft, von ihrer Familie, ihre Sitten und Gebräuche, aber auch von Sangomas. Wie ich später noch lernen sollte, war dies nur ein winziger Vorgeschmack. Ich wurde aber immer neugieriger.
Dann kam der Tag, auf den ich mich schon lange freute: ein Gemeinschaftskonzert im supermodernen Linder Auditorium in Johannesburg. Mitwirkende: wir – nämlich der deutsche Chor, der Schweizer Chor und der Soweto-Chor. Das Konzert war schon lange ausverkauft. Die erste halbe Stunde waren wir auf der Bühne mit deutschen Volksliedern – was sonst. Beifall, Abgang. Dann stellte sich der Soweto-Chor auf – mit Folgen für meine Zukunft, was ich damals aber noch nicht wissen konnte. Der Chor fing an zu singen mit einer solchen Stimmgewalt, wie ich es in meiner ganzen musikalischen Vergangenheit noch nie erlebt habe. Nach wenigen Minuten geriet der Chor in Bewegung, erst langsam mit den Armen, dann mit dem ganzen Körper, rhythmisch – aber ich hatte nicht den Eindruck, dass das jemals einstudiert war – das kam einfach aus der Seele – Natur – Afrika. In keiner westlichen Kultur wäre es möglich, so etwas rüber zu bringen. Für mich wurde dieser Abend zu einem Schlüsselerlebnis.
Danach traten die Schweizer auf und taten dasselbe, wie wir – nämlich stocksteif auf der Bühne stehen. Nach dem Konzert lud die Stadt Johannesburg zum Essen und Trinken ein, das war immer so und konnte man als Brauch bezeichnen. Gespannt war ich, wie sich Schwarz und Weiß nun verhielten, denn für so etwas gab es wohl kein Apartheid-Gesetz. Und siehe da, es vermischten sich alle Beteiligten – Musik kennt eben keine Grenzen. Und dann geschah etwas Unerwartetes: Die Soweto-Leute kamen zu uns mit der Bitte, wir möchten doch ein deutsches Solo singen und zwar „Stille Nacht“. Weil das auf der ganzen Welt bekannt und eben typisch deutsch ist und es außerdem kurz vor Weihnachten war. Unser Dirigent kam sofort zu mir und sagte: Du singst das! Er wollte mich am Piano begleiten. Peng – das hatte ich noch nie gesungen, jedenfalls nicht solo. Eine Wahl hatte ich wohl nicht, also sagte ich zu. Ehrlich, mir ging der Arsch auf Grundeis. Ein Sprecher des Soweto Chores kündigte nun in Tswana und in Zulu an, dass ein Deutscher „Silent Night, Holy Night“ für sie singen wird. Also auch noch auf Englisch! Totenstille im Saal, der Pianist begann mit dem Vorspiel und ich fing an zu singen. Seltsam, emotionell war ich in meiner Kindheit, Heiligabend, Tannenbaum, Kerzen usw. Es wurde mein schönster Liedvortrag in meinem Leben mit so viel Sentimentalität, dass ich mit den Tränen kämpfen musste. Tosender Beifall – nun war ich überzeugt, in Südafrika angekommen zu sein. Es war ein wunderschöner Abend und später in Bierlaune habe ich dann noch das Lied vom Zarewitsch zum Besten geben müssen. Auch für die Sänger und Sängerinnen aus Soweto war es ein ungewöhnlicher Abend, denn mir wurde immer wieder erzählt, dass noch nie ein Weißer FÜR sie gesungen habe. Ich hatte Freunde gefunden, viele. Auch das wurde mir erst später richtig klar.
Nach dem Umzug hatte ich mir einen alten VW-Käfer zugelegt, denn ich brauchte etwas für den Transport. Außerdem war ich auch auf der Suche nach einer Stammkneipe. Meine Wahl fiel auf das Restaurant und die Kneipe „Alt Heidelberg“ mitten in der Stadt. Deutscher konnte das wohl nicht sein. Eisbein mit Sauerkraut, Königsberger Klopse usw., die ganze Palette deutscher Küche eben. Im Volksmund wurden wir Deutschen „Krauts“ genannt. Nach einigen Besuchen auf dem Heimweg nach Feierabend hatte ich die Nase voll vom „Alt Heidelberg“. In der Kneipe dort standen meine Landsleute schon früh morgens in Dreierreihen an der Theke. Alles Handwerker, die nur dann einen Job annahmen, wenn das Geld alle war und der Wirt nicht mehr anschreiben wollte. Da ich schnell als Neuling erkannt war, hagelte es gute Ratschläge, wie „Finger weg von schwarzen Weibern und Rohdiamanten, die Schwarzen sind schlecht und faul und stehlen wie die Raben“ usw. Das war dann nicht mehr mein Ding, zumal ich andere Erfahrungen gemacht hatte. Etwas später gab mir mein deutscher Friseur einen „heißen“ Tipp. Ich sollte mal eine Shabeen (illegale Kneipe irgendwo im Hinterhof) besuchen und lieferte mir auch gleich ein paar Adressen dazu, aber auch den Hinweis, mich nicht erwischen zu lassen. Folglich landete ich eines Abends in so einer Shabeen (es war schon dunkel!) und traute meinen Augen nicht! Meine lieben Ratgeber aus dem „Alt Heidelberg“ lungerten auch hier herum und schäkerten mit schwarzen Mädchen und nicht nur schäkern – in den Hinterzimmern wurde um die Wette gebumst. Gute Miene habe ich gemacht und mich angeregt mit den Mädchen unterhalten und dabei erfahren, dass für ihren „Service“ etwa ein Euro bezahlt wurde (bei heutiger Umrechnung). Erfahren habe ich auch, dass die Mädchen das Geld für ihre Familien in den Homelands dringend benötigten. An diesem Abend bin ich wieder einmal nachdenklich nach Hause gefahren, denn so viel Verlogenheit seitens meiner „Ratgeber“ musste ich erst mal verarbeiten. Am nächsten Tag sprach ich mit meinem Schotten auf der Baustelle, denn mein Englisch war inzwischen recht gut. Er meinte, die Deutschen seien nicht so schlimm, manche Burschen in den Polizeieinheiten seien viel schlimmer. „Wenn die schwarze Frauen beim Anschaffen erwischen, werden diese mitgenommen und sexuell missbraucht.“ Aber so würde auch verfahren, wenn schwarze Frauen nach 22 Uhr noch draußen angetroffen werden. Ferner gab er mir den Rat (wieder ein guter Ratschlag???), doch mal eine der Bars in den internationalen Hotels aufzusuchen, denn dort würden die Apartheid-Gesetze nicht gelten. Er empfahl mir das Hotel Rand International, welches unmittelbar an meinem Heimweg von meiner Baustelle lag.
So landete ich an einem Freitagabend im Rand International. Ein imposantes Hotel, ca. 20 Stockwerke, mit einer riesigen Bar, welche mehr oder weniger vom Hotelbetrieb abgeschottet war. Ich sah eine U-förmige Bar, eine Tanzfläche und eine Bühne mit einer Vier-Mann-Kapelle. Die Stimmung war bombig und ich fand einen Stehplatz in der zweiten Reihe an der Bar. Von 18 bis 19 Uhr war Happy Hour, also zwei Getränke zum Preis von einem. Deshalb war es wohl so voll und die Stimmung so gut. Später lernte ich, dass das den ganzen Abend so war. Und das Niveau war sehr gut. Ich war entschlossen, nicht ohne weibliche Begleitung nach Hause zu fahren. Zu vorgerückter Stunde konnte ich eine dunkelhäutige brasilianische Geschäftsfrau, welche zu Besuch in Südafrika war, überreden, das Wochenende mit mir zu verbringen.
Also ab in meinen Käfer und zu mir nach Hause. Jetzt konnte ich mich ohne schlechtes Gewissen austoben, obwohl es illegal war, denn die Dame war ja farbig. Zum besseren Verständnis: Japaner wurden auch als Nicht-Weiß eingestuft. Ähnliches gab es ja auch schon mal in Deutschland, arisch und nichtarisch.
So und ähnlich ging es nun für ein paar Monate ohne irgendwelche Zwischenfälle.
So wurde das Rand International mindestens einmal bis zweimal pro Woche zu meinem Zuhause. Man kannte mich und ich lernte eine Menge Leute aus allen Nationen kennen. Viele gaben zu, eine farbige Freundin zu haben, ließen sich aber nur in eben diesen internationalen Hotels gemeinsam sehen. Heimlichtuerei überall.
Wieder an einem Freitagabend. Ich hatte gerade mein zweites Bier, als Linda, eine ehemalige Wochenend-Freundin, an meinen Tisch kam und mit mir reden wollte. Sie erzählte mir, sie hätte eine Freundin aus Soweto mitgebracht, welche von ihrem Ex-Ehemann bedroht wurde, der sie nun umbringen wolle und in der Nähe ihrer Wohnung herumlungerte. Sie hätte die Scheidung schon längst eingereicht, weil ihr Mann sie fast täglich verprügelt hatte. Sie hätte ihre Freundin mit vielen Worten überredet, nun mitzukommen, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich fragte sie, wo denn ihre Freundin jetzt sei – ja, die sei noch draußen. Also bat ich Linda, doch die Freundin zu holen, dann würden wir zu dritt einen Drink nehmen und plaudern. Gesagt, getan und Linda kam wieder mit einer bildhübschen jungen Frau etwa Mitte zwanzig, gekleidet in einem traditionellen afrikanischen, recht bunten Wickelkleid bis zu den Knöcheln und einem kleinen Turban. Ich war total von den Socken und völlig sprachlos, was nicht allzu oft vorkam. Wir nahmen Platz und die Freundin stellte sich mit einer dunklen melodiösen Stimme als Elizabeth Makhubela vom Stamme der Tswana vor.
Wir tauschten ein paar Nettigkeiten aus. Inzwischen hatte Elizabeth bereits für Aufmerksamkeit bei den anderen Gästen gesorgt, denn sie war faszinierend schön und in der Bar noch nie gesehen worden. Ihre Körpersprache wies auf einen enormen ungebrochenen Stolz hin. Ich vermutete, dass bereits Wetten abgeschlossen wurden, ob wir wohl als Trio die Bar verlassen würden. Nach einer Weile schaute mich Elizabeth nachdenklich an und sagte plötzlich: „Du hast gesungen!“
Ich sagte: „Ja, das habe ich schon oft getan.“ Sie meinte, das mag schon sein, aber nicht für sie – den Soweto-Chor. „Und du musst der Deutsche sein, der uns so viel Freude gemacht hat – und Hoffnung. Und wenn du derjenige bist, der das für uns getan hat, dann bist du ein guter Mensch.“ Ich war total perplex und brachte nur noch die Frage raus: „Woher weißt du das überhaupt?“ Sie erzählte mir, dass der Abend im Linder Auditorium gefilmt worden war und nun sei ich in Soweto „der Deutsche“. Den Rest des Abends war ich ziemlich wortkarg. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war und noch geschehen würde. Jedenfalls hatten diejenigen, die auf unseren gemeinsamen Abmarsch gewettet hatten, gewonnen. Längst hatte ich gemerkt, dass Elizabeth nicht nach Soweto aus den mir bekannten Gründen zurück wollte. Außerdem vertraute sie mir wohl und die Anstandsdame Linda war auch noch dabei. Also verschwanden wir drei in meinem Käfer, wobei die beiden auf dem Rücksitz Platz nahmen. Es war schon nach 22 Uhr und im Falle einer Kontrolle könnte ich ja mehr oder weniger glaubhaft behaupten, ich hätte meine Hausangestellten im Auto und Schwarze säßen eben auf dem Rücksitz. Na ja, das war mir zwar noch nicht passiert, aber ich ließ sie auf dem Rücksitz. So fuhren wir die etwa zehn Kilometer zu meinem Haus. Dort plauderten wir, tranken noch etwas und gingen dann ins Bett, aber nicht gemeinsam in ein Bett, sondern ich verteilte uns auf alle drei Schlafzimmer.
Ich schlief also allein in meinem Bett. Ungewöhnlich war das, aber ich hatte eine Vorahnung, dass sich mein Leben nun verändern würde.
Am nächsten Morgen wollte ich in mein Badezimmer. Das war aber besetzt, denn die Beiden saßen quietschvergnügt in meiner Wanne. Ich hatte ja noch ein zweites Badezimmer mit Dusche, also ging ich dorthin duschen. Nach dem Frühstück meinte Elizabeth, dass jetzt das ganze Haus geputzt würde, denn das wäre ziemlich nötig.
Ein Widerspruch meinerseits war zwecklos. Ich fuhr einkaufen, damit ich nicht zusehen musste, wie die beiden Putzteufel durch mein Haus wuselten. Wieder zu Hause fand ich meine Küche so sauber wie noch nie vor. So fing ich in einer aufgeräumten Küche an, unser Mittagessen vorzubereiten. Das hat richtig Spaß gemacht, denn ich kochte mit Leidenschaft. Nach dem Essen beschlossen wir, schwimmen zu gehen. Nicht vorhandene Badeanzüge seien überhaupt kein Thema, meinten die beiden, sie seien ja auch nackt zur Welt gekommen. Also plumpsten sie nackt ins Wasser, nur schwimmen konnten sie nicht. Wo hätten sie das denn auch lernen sollen? Das alles geschah in einer solch natürlichen Weise, dass ich diese Augenweide genossen habe. Die Fähigkeit, sich richtig zu freuen, und das auch zu zeigen, scheint mir in Deutschland irgendwie abhandengekommen zu sein. Wir hatten einen sehr vergnügten Nachmittag, wobei ich durch winzige Kleinigkeiten glaubte, bemerkt zu haben, dass Elizabeth anscheinend Deutsch versteht. Abends sprach ich sie darauf an und erfuhr, dass sie tatsächlich Deutsch versteht, aber nur sehr wenig sprechen kann. Ebenfalls erzählte sie, dass sie ausgebildete Kosmetikerin mit Diplom sei und auch ihr Matrix (Abitur) gemacht hatte. Überraschungen am laufenden Band. Deutsch habe sie gelernt, als sie vor Jahren für die deutsche Familie Becker in Randburg als Maid (Hausangestellte) gearbeitet hatte. Ich beschloss, diese Familie Becker ausfindig zu machen. An diesem Wochenende habe ich Elizabeth „kennengelernt“, sie hatte nämlich den Schalk im Nacken, war voller Humor und von einer unaufdringlichen Freundlichkeit. Und sie hatte Augen, die lachen konnten. Und klug war sie. Langsam wurde mir bewusst, dass ich mich verliebt hatte – und wie! Abends gingen wir wieder ins Bett, jeder in seins. Am Sonntag hieß es Abschied nehmen, denn beide mussten zurück nach Soweto. Busse für Weiße durften sie nicht benutzen, also brachte ich sie in die Stadt, wo sie einen Transport für Schwarze finden konnten. Elizabeth wollte nicht, dass ich mit ihr nach Soweto hineinfuhr, denn das wäre zu gefährlich. Eine Telefonnummer, unter der ich Elizabeth erreichen konnte, habe ich ihr noch abgeschwatzt. Es war die Nummer von der Kosmetikfirma Lancome, ihr Arbeitsplatz. Abschied – sie verschwand in ihre Misere und ich nach Hause.
Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Zu Hause suchte ich die Telefonnummer der Familie Becker. Ich fand sie und rief an. Ich bekam Frau Becker an den Apparat, welche offensichtlich sehr erstaunt über mein Anliegen war. Ich musste ihr den bisherigen Stand der Dinge erklären, danach erklärte sie mir: „Enttäuschen Sie das Mädchen nicht, davon hat sie nämlich genug. Elizabeth war die ehrlichste Maid, die wir jemals gehabt haben, sehr fleißig und absolut zuverlässig. Aber vorsichtig, wenn Elizabeth jemanden liebt, dann verteidigt sie diese Liebe wie eine Löwin, die ihre Jungen in Gefahr sieht. Sie kann kämpfen, auch physisch. Sie war auch für die Betreuung unserer kleinen Tochter verantwortlich und hat einmal einen schwarzen Mann zusammengeschlagen, der unserem Kind in erkennbarer böser Absicht zu nahe gekommen war. Der macht das nie wieder. Später hatten mein Mann und ich das Gefühl, dass diese Frau viel zu schade ist, um in einem Haushalt zu arbeiten – und zu hübsch.
Wir entschlossen uns deshalb, Elizabeth eine Ausbildung zu finanzieren, damit sie eine Chance auf eine gute Zukunft hat. Zu unserem tiefsten Bedauern mussten wir uns dann eine neue Maid suchen. Wir waren aber sicher, dass wir etwas Gutes getan hatten.“ Dann fragte mich Frau Becker, wie ich mir denn eine Beziehung zu Elizabeth in diesem Land vorstelle. Eine Antwort hatte ich nicht, aber eine Vorstellung. In dieser Nacht schlief ich nicht. Was nun kam, kann ich nicht erklären, jedenfalls habe ich Elizabeth nicht versucht zu kontaktieren. Aber sie spukte in meinem Kopf herum – Tag und Nacht.
Dann, an einem Sonntag in der Früh, hatte ich freiwillig meinen Dienst angetreten, mit Hintergedanken. Meine Dampflok war druckgeprüft und vom TÜV abgenommen sowie der ganze Zug nun renoviert und betriebsbereit. Ich wollte die Dampflok fahren, ohne Genehmigung und natürlich ohne Lizenz. Schlitzohrig war das und recht abenteuerlich. 5 Uhr fing ich an anzuheizen, denn das dauerte eine Weile. Gegen ca. 9 Uhr hatte ich die Lok auf Betriebsdruck und prüfte noch einmal alle Ventile, als ich eine mir bekannte Stimme hörte, die da sagte: „Hallo Baba.“ Das ist Tswana und bedeutet sehr guter Freund und ist eine Respekterbietung. Da stand Elizabeth und strahlte mich wie ganz selbstverständlich an. Ich war sprachlos. Ich fragte sie, wie sie denn überhaupt reingekommen sei bei all der Security. „Ganz einfach, mit hoch erhobenem Haupt und ohne Schleichgang, niemand hat mich aufgehalten.“ Na, so einfach war das! Dann kletterte sie in den Führerstand der Lok, obwohl ich sie warnte, sie würde sich sehr schmutzig machen. Sie erwiderte fast trotzig: „Das ist mir egal, ich bin jetzt bei dir.“
Ich öffnete die Ventile, der Zug setzte sich tatsächlich in Bewegung. Ich ließ einmal das Signal ertönen, ein Kindheitstraum wurde wahr. Aber noch viel mehr: Für mich fiel Weihnachten und Ostern auf einen Tag, nämlich Lokführer sein und Elizabeth in meinen Armen! Wir küssten uns nämlich heiß und inniglich, zum ersten Mal. Der Zug konnte auch ohne Führung fahren, sofern da nichts im Wege stand und die Weichen richtig gestellt waren. Das hatte ich schon am Vortag überprüft. Plötzlich wurde mir bewusst, was wir da eigentlich taten, nämlich knutschen, küssen und nicht voneinander lassen. Und das fast in der Öffentlichkeit. Ein wilder Entschluss reifte in mir, nämlich die Apartheid zu ignorieren, wohl wissend, was das bedeuten könnte. Nachdem wir genug hatten, mit der Eisenbahn zu spielen, fuhr ich den Zug zurück auf das Rangiergelände, ließ den Dampf ab und öffnete alle Ventile. Dann machten wir, dass wir wegkamen. Wir erreichten ungestraft meinen Käfer und fuhren zu mir nach Hause, es war ja Sonntag. Wir sahen aus, wie die Schornsteinfeger. Zu Hause stiegen wir erst mal in die Wanne und liebten uns mit einer Intensität, die ich kaum für möglich gehalten hatte. Im Laufe des Tages liebten wir uns eigentlich überall: im Swimmingpool, in der Küche … Wir zogen uns nicht einmal mehr an, wozu auch. In einer Ruhepause erzählte sie mir, dass sie mich gesucht habe, in den Straßen, aber auch im HOTEL Rand International, in der Hoffnung, mich irgendwo zu finden. Ohne Erfolg. Für mich war es absolut rätselhaft, wie sie mich auf meinem Arbeitsplatz finden konnte. Es war doch Sonntag und sie konnte ganz bestimmt nicht wissen, dass ich dort zu finden war. Von niemandem, denn ich war dort sozusagen in geheimer Mission. Auf meine Frage diesbezüglich antwortete sie einfach: „Ich wusste es und hatte nicht die geringsten Zweifel.“ Das war’s! Solche und andere tief greifende Erlebnisse hatte ich dann später noch öfter. Erklären konnte ich mir das nie, niemand konnte das.
Fortan verbrachten wir jedes Wochenende zusammen. Meine Arbeit in der ehemaligen Goldmine war beendet. Danach suchte ich die deutsche Arbeitsvermittlung auf (ja, so was gab es) und bekam prompt ein Angebot einer deutschen Firma als Projektmanager für das größte Kraftwerk der Welt, nahe der Grenze zu Botswana, also mitten im afrikanischen Busch. Mein Ressort sollte die Trockenkühlung sein. Ich nahm den Job an und bekam einen nagelneuen VW-Passat als Firmenwagen, auch zur privaten Nutzung, und eine Kreditkarte für Benzin. Was wollte ich mehr, ich war wieder in meinem Beruf. Meine Baustelle war etwa 400 Kilometer entfernt. Ich bekam mein eigenes Büro in Johannesburg, ein Büro auf der Baustelle und ein Dauerzimmer im einzigen Hotel weit und breit. Ein richtiges Buschhotel, alles war afrikaans, ich meine, die Bevölkerung bestand fast nur aus Buren. Dementsprechend wurden auch die Schwarzen behandelt. Ich habe des Öfteren erlebt, wie der Hotelbesitzer seine Schwarzen mit der Bullenpeitsche schlug. Ein richtiges Arschloch. An einem Montag war ich wie immer unterwegs zur Baustelle und freute mich schon auf die letzten 200 Kilometer meines Weges, denn dort war Wildnis pur, Wildschutzzäune an beiden Seiten der Straße. Ich fuhr hier niemals nachts, wenn hier nämlich etwas passierte, konnte es sein, dass stundenlang niemand vorbeikam. Unfälle mit Wild waren durchaus üblich. An diesem Montag sah ich dann ein Auto in zwei Hälften geteilt, eine links der Straße, die andere auf der rechten Seite. Im Hotel angekommen bemerkte ich eine merkwürdige Stimmung und prompt erfuhr ich, dass der Hotelbesitzer letzte Nacht tödlich verunglückt war – besoffen. So war das also, die grausige Unfallstelle hatte ich gesehen. Traurig war ich nicht!
Auf meinen Reisen durch den Busch hielt ich manchmal an, um die Natur zu genießen und das Wild zu beobachten. Diese unglaubliche Stille kann ich eigentlich nicht beschreiben, das muss man einfach erleben. Manchmal dachte ich, das hier ist Gott! Wenn ich da so saß, verschwanden alle Probleme, Stress existierte nicht mehr. Ich begriff plötzlich, warum Krankheiten, die wir in der westlichen Welt kennen, hier nicht einmal bekannt sind. Die Natur ist ein Geschenk Gottes. Nun war ich nicht nur in Elizabeth verliebt, sondern auch in Afrika.
Das Wochenende nahte wieder und ich freute mich schon auf meine Elizabeth. Diesmal wollten wir ein vornehmes Restaurant in Johannesburg besuchen. Wie überall war auch hier der Zutritt für Schwarze verboten. Ich bestellte telefonisch einen Tisch unter meinem Namen. Dass es Probleme geben könnte, hatten Elizabeth und ich nicht einmal gesprächsweise erwähnt. Wir gingen einfach hin. Am Eingang warteten wir, dass man uns einen Tisch zuwies. Elizabeth war mal wieder traditionell gekleidet – sie sah bezaubernd aus. Ein Kellner kam zu uns und ich konnte sehen, dass der jetzt eine Krise hatte. Er wusste definitiv nicht, was er machen sollte, entschied sich aber schnell und wies uns einen Tisch zu. Einen Eklat überließ er wohl lieber seinem Chef. Elizabeth bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit, dass man den Eindruck bekommen musste, wir seien hier Stammgäste. Die Speisekarte wurde gebracht und wir bestellten. Zwischendurch beobachtete ich aus den Augenwinkeln die anderen Gäste. Sie sprachen zweifellos über uns. Das Essen kam, es war ausgezeichnet, dann bestellten wir noch eine Flasche Wein. Wir unterhielten uns angeregt, tranken langsam unseren Wein aus und forderten die Rechnung an. Der Teufel muss mich wohl geritten haben, denn ich gab Elizabeth Geld und bat sie, die nun kommende Rechnung zu bezahlen. Dann kam die Rechnung – mit dem Restaurantbesitzer. Ich dachte an Lokalverbot oder so – war aber nicht. Der Mann machte eine Verbeugung und fragte höflich, ob alles zu unserer Zufriedenheit war.
Elizabeth setzte noch einen drauf, sie bezahlte und gab auf Afrikaans Antwort: „Wir danken Ihnen für das fantastische Essen, für Ihre Freundlichkeit und die nette Atmosphäre.“ Der Besitzer meinte dann, er würde sich freuen, uns hier wieder begrüßen zu dürfen. Es war still geworden im Restaurant, die Gäste konnten wohl nicht glauben, was sie hier erlebt hatten. Elizabeth verzichtete großzügig auf das Wechselgeld (war ja mein Geld). Als wir uns dann verabschiedeten, hörten wir plötzlich Beifall aus verschiedenen Ecken des Restaurants – das mussten wohl Europäer gewesen sein. Als wir draußen waren, umarmten wir uns und lachten und lachten ohne Ende. Wir hatten etwas gelernt, was unsere Zukunft prägen würde. Wir hatten nun schon einmal gesiegt. Ich übersetzte Elizabeth das Zitat: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie sagte: „Richtig, die Freiheit aber auch, ich glaube fest daran. Seit heute und mit dir.“ Wir fuhren glücklich und zufrieden nach Hause und genossen den Rest des Abends.
Sonntags ist in Südafrika tote Hose, damals war es jedenfalls so. Nur die Kirchen und Friedhöfe waren offen. Den Leuten blieb daher nichts anderes übrig, als den traditionellen Braai zu veranstalten. Das war eine Zeremonie oder besser gesagt: EIN KULT. Da das Wetter in Südafrika nicht Bestandteil der Tagesthemen war, zog sich dieser Kult über den ganzen Sonntag hin. Braai hieß nichts anderes als grillen, aber nicht mit Holzkohle, sondern mit sehr hartem Holz, vorzugsweise aus trockenen Flussbetten oder Kameldornholz. Allein das Anheizen dauerte Stunden, bis keine offene Glut mehr zu sehen war. Zum Grillen wurde die sogenannte Boerewurst genommen, ähnlich unserer groben ungebrühten Bratwurst aus Wild oder Schwein, mit geheimnisvollen Gewürzen aus der indischen Küche. Gerne wurden auch Steaks, immer zwischen 500 und 1000 Gramm, gegrillt.
Das Fleisch war von einzigartiger Qualität, da die Rinder keine Ställe hatten und sich ihr Futter selbst suchen mussten. Zufütterung mit Chemie gab es nicht. Gut abgehangen hatte das Fleisch auch keinen Schrumpfungseffekt wie in Deutschland. Und es war billig, sehr billig. Zu einem solchen Braai hatte ich einige Nachbarn aus unserem Komplex für Sonntag eingeladen. Alles Afrikaner, Buren eben. Wir hatten ja gerade unser Restauranterlebnis am Vorabend hinter uns und traten nun einen weiteren Eiertanz an. Ich hatte schon Kudufleisch von meiner Baustelle mitgebracht, das gab es während der Jagdzeit umsonst. Elizabeth wollte unbedingt etwas aus ihrer eigenen Tradition beitragen. Sie kochte Milliepap, das Nationalgericht der schwarzen Bevölkerung, vergleichbar mit Kartoffelpüree, aber aus Maismehl gekocht, das mit den Händen gegessen wird. Dazu gab es Elizabeths geheimnisvolle feurige Soße, genannt Chakalaka. Dann rückten die Nachbarn an. Konsternierte Blicke sah ich rundum, als ich sie mit Elizabeth konfrontierte. Aus der angeborenen Freundlichkeit des Afrikaners heraus, aber auch aus Respekt mir gegenüber, hörte ich keine schäbigen Bemerkungen. Traditionelles Essen aus der schwarzafrikanischen Küche wurde ihnen auch nicht jeden Tag geboten. Und Elizabeth hatte wirklich lecker gekocht. Das Eis bröckelte Stück für Stück. Die Atmosphäre wurde ausgesprochen freundlich. Elizabeth wurde aber weiter aufmerksam beäugt, anscheinend passte sie nicht in ihr Klischeebild. Am Abend gingen die Gäste leicht besäuselt nach Hause, nicht ohne mich zum nächsten Braai einzuladen, aber ich müsste dann Elizabeth unbedingt mitbringen. Einer meinte sogar, ich müsse gut auf meine Freundin aufpassen, denn sie hätte ihnen (den Gästen) eine denkwürdige Lektion erteilt. Na also, ging doch. Wir hatten das Gefühl, das Richtige getan zu haben. Heimlichtuerei gab für uns ja von Anfang an nicht.
Inzwischen ging im Büro das Gerücht um, ich hätte eine schwarze Freundin. Ich bejahte und sagte: „Selbstverständlich, ich hätte meine Freundin sowieso am kommenden Freitag zu unserer Betriebsfeier mitgebracht.“ Da war Ruhe, geglaubt hat mir aber keiner. An dem Freitag (es war schon Spätnachmittag) musste ich kurz weg, um Elizabeth abzuholen. Als wir zurückkamen, geschah das Übliche – Ruhe. Bis irgendein Vollidiot von Arbeitskollege Elizabeth fragte, warum sie an den Innenflächen der Hände und Füße so hell sei? Jetzt war ich aber gespannt, was nun kommt. Elizabeth stand auf und sagte: „Baba, das ist doch ganz einfach, wenn wir auf die Welt kommen, plumpsen wir aus dem Mutterleib direkt auf die Hände und Füße. Wenn ihr auf die Welt kommt, plumpst ihr auch, aber nicht wie wir, sondern ihr rollt. Deshalb seid ihr so weiß.“ Gebrüll im Saal und Stimmung kam auf. Im Laufe des Abends kam ich an Elizabeth kaum noch heran, sie war immer irgendwie umlagert. Aber etwas anderes wunderte mich, denn es sprachen mich mehrere Kollegen an, alle in etwa mit den gleichen Worten. Nämlich wie mutig und ehrlich ich für meine Liebe stehe und nicht wie die meisten Leute das Versteckspielen immer wieder neu erfinden musste. Und mein Chef meinte so ganz nebenbei, er habe sich nicht in mir getäuscht. Das war unsere Büro-Fete.
Dass Elizabeth sieben Schwestern und sechs Halbbrüder hatte, wusste ich längst. Das lag einfach daran, dass in deren Kultur der Mann mehrere Frauen haben durfte. Je mehr Frauen, umso höher das Ansehen. Der heutige Präsident Jakob Zuma hat sechs Frauen. Elizabeths Vater hatte also zwei Frauen. Leider war er schon lange verstorben. Aber ich sollte den ganzen Clan bald kennenlernen. Weihnachten stand schon wieder kurz bevor, wobei es den 2. Weihnachtstag in Südafrika nicht gab.
Es war aber auch ein Feiertag und nannte sich „Boxing Day“. An diesem Tag kamen die Familien traditionell zusammen. Ich bot Elizabeth an, mit ihr dorthin zu fahren. Sie war überglücklich, wohl auch deshalb, weil sie mich nicht hatte fragen brauchen. Ich war ja auch neugierig, zugegeben.
Wir mussten schätzungsweise 200 Kilometer fahren und laut Elizabeth waren die Straßen zum Schluss nicht mehr befestigt. Also fuhren wir schon um 5 Uhr los. Vorbei an der Hauptstadt Pretoria auf einer erstklassigen vielspurigen Autobahn. Dann passierten wir Hammanskraal und waren damit bereits in dem damals autonomen Homeland Bophutatswana. Hier begann Elizabeths Homeland. Aber wir waren noch lange nicht am Ziel. In Rust de Winter verließen wir die Autobahn und fuhren nun auf immer noch guten Landstraßen vorbei an endlosen Maisfeldern und Sonnenblumen, so weit das Auge reichte, es war ja jetzt Hochsommer in Südafrika. Bald sahen wir die ersten Baumwollfelder. Schließlich befanden wir uns auf Sandstraßen, fuhren durch kleine Dörfer und ich musste manchmal Kühen und Eseln ausweichen, die offensichtlich die Straße bevorzugten. Mir fiel auf, dass die Menschen alle freundlich winkten. Endlich erreichten wir das Dorf, in dem Elizabeth aufgewachsen war. Elizabeth lotste mich durch das Dorf und endlich standen wir vor ihrem Elternhaus. Wir wurden erwartet. Begrüßung, Umarmungen und das typische afrikanische Händeschütteln, das hatte ich schon gelernt. Dann kam eine ältere Frau mit einem Reisigzweig aus dem Haus. Ich erkannte auf den ersten Blick die Mutter von Elizabeth. Sie fing an, mit dem Reisigzweig den Weg, der zur Haustür führte, zu fegen. Sie tat das unmittelbar vor unseren Füßen. Ich wusste, dass dies eine Geste der Achtung war. Die Begrüßung konnte ich nicht verstehen, denn die Mutter sprach kein Wort Englisch, Elizabeth musste übersetzen. Dann wurde mir das Haus gezeigt, ein einfaches Backsteinhaus, verputzt und bemalt mit den typischen afrikanischen Farben. Fließendes Wasser und elektrischen Strom gab es nicht. Aber ein Plumpsklo etwas entfernt vom Haus gab es. Ich fühlte mich in meine Kindheit versetzt, als ich meine Schulferien im Bergischen Land bei meinen Großeltern auf dem Bauernhof verbringen durfte. Alles war identisch, nur einen Stall gab es nicht. Als wir ins Wohnzimmer kamen (ich nenne es mal so) standen dort zwei Flaschen Bier auf dem Tisch, eiskalt. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Niemand konnte wissen, ob und wann wir kamen, und dann eiskaltes Bier auf dem Tisch? Und ohne Kühlschrank? Elizabeth sah meine Verwunderung, lachte und klärte mich auf. Sie meinte, man habe uns lange vor Ankunft gesehen, die Meldung von Mund zu Mund weitergegeben und uns angekündigt. Die Buschtrommel funktionierte also tatsächlich. Das kalte Bier hatte man schnell von einem Dorfbewohner besorgt, der einen paraffinbetriebenen Kühlschrank besaß. So war das also, so einfach. Plötzlich hörte ich aufgeregte Hühner, die herumsausten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Dann sah ich einen ca. 6-jährigen Jungen, der ein Huhn jagte, welches gerade ins Maisfeld flüchtete. Der Junge hinterher, dann Stille, plötzlich ein Schrei. Dann kroch der Junge mit dem Huhn aus dem Maisfeld, es war bereits tot. Elizabeth sah mein Staunen, sie sagte schlicht und einfach, wie immer: „Das Huhn ist für dich, es gehört zu deiner Begrüßung.“ Langsam bekam ich das Gefühl, dass an dem Tag wohl noch so einiges auf mich zukommen würde, als hätte ich nicht schon genug gestaunt. Nach und nach kamen nun die Nachbarn vorbei, um uns zu begrüßen. Auch der Esel des Nachbarn. Wohl Nachbarschaftspflege oder Neugierde, es stand ja nicht jeden Tag ein Auto aus Johannesburg vor der Tür. Plötzlich hörte ich jemanden rufen: „Hallo Naniki!“ Ich fragte nach, wer denn Naniki sei, und Elizabeth sagte: „Das bin ich, mein Spitzname.“
Die Erklärung dazu kam von Francina, der älteren Schwester von Elizabeth, nämlich: Naniki ist Tswana und bedeutet grob übersetzt freches, hübsches Mädchen. Im Laufe des Tages hörte ich den Spitznamen noch sehr oft. Von da an nannte ich meine Freundin nur noch Naniki. Später wurde Mittagessen serviert, es gab natürlich Huhn (es waren wohl mehrere Hühner) mit Reis, Gemüse und Chakalaka. Nach dem Essen kam Unruhe auf und alle meinten, wir müssten jetzt aufbrechen, um die Festlichkeiten nicht zu versäumen. Ich hörte bereits Trommelklänge aus verschiedenen Richtungen. Die Gruppen der umliegenden Dörfer marschierten jetzt in Richtung Festplatz, um den Boxing Day zu zelebrieren. Mir wurde langsam mulmig. Da kamen Tausende von Leuten zusammen, um zu feiern, und ich war der einzige Weiße. Wem wären da wohl keine Fluchtgedanken in den Sinn gekommen? Wir marschierten los, Naniki nahm mich bei der Hand und flüsterte mir in der ihr so typischen Art ins Ohr: „Ich bin da.“ Seltsam, wie schon so oft fühlte ich mich plötzlich entspannt und sicher. Auf dem Festplatz, der schon recht voll war, herrschte reges, lautes Treiben. Es wurde getrommelt, gesungen und getanzt. Es bildeten sich Gruppen, die traditionelle afrikanische Lieder sangen. Es hat mich, wie so oft, zutiefst beeindruckt, wie diese Menschen ihre Lebensfreude zum Ausdruck bringen konnten. Mit meiner Hautfarbe war ich unmöglich zu übersehen, was wohl dazu führte, dass sich ein Fotograf an mich heranmachte. Er meinte, da seien viele Leute, vor allem Frauen und Mädchen, die gerne ein Foto zusammen mit mir haben möchten. Ich drehte mich um und sah Naniki, die stets in meiner Nähe war, zustimmend nicken. Ich nickte auch. Ich konnte ja nicht wissen, was ich mit meinem Nicken ausgelöst hatte. Man hatte uns beobachtet. Männer, Frauen, aber auch viele junge Mädchen, die alle barbusig waren, formierten sich für die Fotos. Und es wurden immer mehr.
Ich möchte den Mann sehen, dem das nicht gefallen hätte. Aber ich stand unter strenger Aufsicht. Naniki war da, hat sie ja auch gesagt, aber ich glaube, sie hat gewusst, was da auf mich zukam. Ich kam mir vor wie ein Hollywoodstar, überall Lippenstift, anstrengend war das. Nach etwa einer Stunde hatte Naniki die Nase voll. Sie kam zu mir, küsste mich heiß und inniglich, um zu demonstrieren, jetzt ist aber Schluss. Sie schlug vor, nach Hause zu fahren, wir seien doch beide müde und es wäre auch noch ein langer Weg. Recht hatte sie oder war es weibliche Intuition? Wir versuchten, so unauffällig wie möglich zu verschwinden. Auf der Rückfahrt wurde nicht viel gesprochen. Ich war emotionell zu bewegt, wollte alles verarbeiten, was ich an diesem denkwürdigen Tag erlebt hatte. Naniki ging es scheinbar nicht anders. Plötzlich, wir waren noch nicht auf der Autobahn, fragte sie, ob wir nicht mal anhalten könnten. Ich tat es, dann fiel sie über mich her. Wir waren wohl doch nicht so müde. Solche spontanen Attacken war ich zwar von ihr gewohnt, aber an dem Tag war es irgendwie anders. Wieder zu Hause fiel mir ein, dass ich keine hohen Mauern, vergitterte Fenster, verriegelte Türen usw. gesehen hatte, wie in Johannesburg. Naniki meinte dann noch, es würden auch nachts keine Haustüren abgeschlossen. Man ging dort überall einfach ein und aus, ganz nach Belieben. Ja, gab es denn noch eine solche Welt a la Friede, Freude, Eierkuchen? Scheinbar ja, ich glaubte es mal. Aber ich wollte noch mehr wissen. Ich fragte Naniki, warum die Schwarzen immer beide Hände aufhalten, wenn man ihnen etwas gibt, wie z. B. Trinkgeld. Ganz einfach, sagte sie, sie wollen nur zeigen, dass sie kein Messer in der anderen Hand haben. Auch würden sie nie hinter einem hergehen, sondern immer vorne vorbeigehen, um zu zeigen, dass sie nichts Böses im Schilde führen. Sie sprach dann auch noch über ihr Problem mit ihrem Ex-Mann. Der bedrohte sie immer noch, obwohl sie sogar schon bei der Polizei war. Aber was konnten die schon machen? Die hatten wohl anderes zu tun. Ich wollte Naniki aus Soweto raushaben. Aber wie? Sie durfte außerhalb der zugewiesenen Townships nirgendwo eine Wohnung mieten. Ich hatte eine Idee, zumindest wusste ich unter der Hand, wie man das bewerkstelligen konnte. In der folgenden Woche fuhr ich zum Mariston Hotel, von dem ich wusste, dass dort ab dem 11. Stockwerk keine Hotelzimmer mehr vergeben wurden, sondern nur noch möblierte Apartments. Ich bekam eins, unterschrieb den Mietvertrag in meinem Namen und bezahlte auch gleich die Kaution. Naniki zog überglücklich um. Die Umgebung dort war angenehm. Es gab einen wunderschönen tropischen Garten mit Swimmingpool, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten, alles war da. Auch konnte sie von dort zu Fuß zur Arbeit gehen. Und für mich war es praktisch, konnte ich ihr doch auch während der Woche einen Besuch abstatten oder gleich dort schlafen. Am Monatsende zahlte sie mir dann die Miete zurück. Dem Hotel war das egal, obwohl sie genau wussten, was lief. Sie verstießen aber nicht gegen das Gesetz. So hatten wir mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Da ich außerordentlich gut verdiente, erfüllte ich mir selbst einen kleinen Traum. Ich kaufte mir ein Motorrad, eine gebrauchte 750er BMW in erstklassigem Zustand, zwei seitliche Gepäcktaschen und zwei Helme. Ein Motorrad in Südafrika ist der Traum der Träume. Kaum Verkehr auf den Fernstraßen und eine dauerhafte Schönwetter-Garantie. Am Sonntag wollten wir nun einen Ausflug zum Hartebeesportdamm, ca. 80 Kilometer von Johannesburg entfernt, machen. Ein wunderschönes Ausflugsziel, mit der Möglichkeit zum Bergsteigen, Wassersport und vielem mehr. Wie wohl die meisten wissen, ist der Beifahrer auf dem Motorrad eine heikle Sache, wenn der nämlich nicht in die Kurve will oder Angst hat, fährt der Fahrer unweigerlich geradeaus. Gefährliche Sache. Bevor wir losfuhren, sagte ich Naniki nur, sie möge ihre Arme um meinen Bauch schlingen, um sich so festzuhalten, sonst nichts. Wir fuhren los. Was für ein Spaß! Nach einer Weile musste ich mich überzeugen, ob die Naniki überhaupt noch auf dem Motorrad saß, ich spürte sie nicht. Sie war die perfekte Beifahrerin. Einfach fantastisch. Später, als wir bereits durch Buschgelände fuhren, hatte sie die Sache mit dem Festhalten wohl falsch verstanden, sie war bereits in meiner Hose – aber nicht, um sich festzuhalten. Zwangspause war angesagt und ich glaubte nicht, dass sich eventuell Tiere beschweren würden. Sonst war ja niemand da. So gefiel mir das Motorradfahren unheimlich gut. Das sollte auch so bleiben. Wir genossen einen wunderschönen Sonntag am Hartebeesportdamm. Wir erregten zwar wie immer Aufsehen, aber Zwischenfälle gab es in keiner Weise. Denn was wir taten, war ja bei Strafe verboten. Auch in der Vergangenheit hatten wir noch nie ein gemischtes Paar gesehen. Die gab es scheinbar nicht, wir wussten aber, dass es die gibt, heimlich und unheimlich. War es die Selbstverständlichkeit, mit der wir uns in der Öffentlichkeit bewegten, die uns vor Strafe schützte? Naniki hätte Schauspielerin sein können, aber sie spielte nicht – sie war einfach so. Auf dem Rückweg hielt sich Naniki wieder fest – nach Art des Hauses. Wir hatten schon ein wunderschönes Leben mit nur einem Makel. Wir wussten nicht, wie lange das noch gut geht. Wirkliche Liebe schweißt bekanntlich zusammen, wir wären füreinander durchs Feuer gegangen. Wir machten uns keine Sorgen.
Einige Wochen später musste ich geschäftlich nach Bloemfontein, welches im Oranje Freestate lag, ca. 200 Kilometer entfernt. Das Wochenende hatte ich bei Naniki verbracht, von dort wollte ich am frühen Morgen aufbrechen. Naniki fragte mich, welchen Weg ich denn nehmen würde, und ich meinte, der Golden Highway sei der schnellste Weg. Sie sagte dann: „Bitte nimm eine alternative Route.“ Ich musste es ihr versprechen und ich nahm tatsächlich eine andere Autobahn. Später auf dem Rückweg hörte ich im Autoradio, dass der Golden Highway komplett gesperrt sei. Unruhen seien dort am Morgen ausgebrochen mit vielen Toten. Jugendliche Protestler hatten mit Ziegelsteinen Autofahrer massiv angegriffen und ein Chaos angerichtet. Ich war geschockt, denn das wäre mein Weg gewesen, wenn Naniki mich nicht gebeten hätte, meine Route zu ändern. Solche Aktionen geschahen wie immer völlig spontan, selbst die Polizei konnte es nicht wissen, einfach unmöglich. Woher hatte Naniki das gewusst? Sie hatte mir wohl das Leben gerettet. Ich dachte den ganzen Heimweg darüber nach, aber eine Antwort konnte ich nicht finden. Im Gegenteil, die ganze Angelegenheit wurde immer mysteriöser. Zu Hause angekommen kehrte ich wieder bei Naniki ein. Ich wollte unbedingt wissen, warum sie mir das Versprechen abverlangt hatte, die Route zu ändern. Ich bedrängte sie, aber sie sagte einfach: „Ich danke dir, dass du meiner Bitte nachgekommen bist und ich danke Gott, dass du wieder hier bist – lebend.“ Damit war für sie das Thema beendet. Für mich war es mal wieder ein denkwürdiger Abend, denn eines war mir klar – sie konnte es einfach nicht gewusst haben. Ähnliches ereignete sich in den folgenden Jahren noch öfter. Aber ich fragte nicht mehr nach einer Erklärung, denn es gab wohl keine. Ich hatte nie geglaubt, dass es so etwas wie Ahnungen gibt. Aber meine Einstellung sollte sich ändern. Es gab Ahnungen oder Vorsehungen – wirklich!
Im März – es war noch Sommer – beschlossen wir, eine Woche an der Ostküste am Indischen Ozean zu verbringen. Es war Nachsaison. Wir beantragten beide für die Zeit Urlaub.