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September 1983
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Über den Autor
Rolf Stöver
EMMA
Mit einem Dackel nach Afrika
DeBehr
Copyright by: Rolf Stöver
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Erstauflage: 2017
Grafiken: Copyright by Fotolia by © Galyna Andrushko, © Nessi
ISBN: 9783957534187
Es war im September 1983, als ich nach Südafrika ausgewandert bin. Allerdings ohne meinen Rauhaardackel Emma, und genau dieser fehlte mir an meiner Seite. Ich hatte mich gerade einigermaßen eingelebt, alle Behördengänge waren erledigt und die Bescheinigungen des Tierarztes aus Deutschland lagen ebenfalls vor, als ich erfuhr, dass ich Emma am nächsten Tag am internationalen Airport in Johannesburg abholen konnte.
Das würde ein aufregender Tag für mich werden, und ganz sicher auch für Emma. Ich hatte nur die Befürchtung, dass Emma nun die nächsten drei Tage beleidigt sein würde, schließlich kannte ich meinen Dackel.
Am nächsten Tag fuhr ich schon früh zum Flughafen, denn die Maschine der Lufthansa landete bereits um sechs Uhr. Nachdem ich mich zu den Frachtterminals der Lufthansa durchgefragt hatte, betrat ich eine große Halle, die vollgepackt mit Containern, Kisten und Kartons war.
Der Flughafenmitarbeiter, der mich durch die Halle führte, wusste natürlich nicht, wo der Frachtkäfig mit Emma stand, weshalb ich so laut ich konnte: „EMMA!!!“ rief.
Sofort ertönte ein Bellen und zugleich ein undefinierbares Geheule durch die riesige Halle. Nun war es einfach, den Käfig zu finden, denn wir mussten nur noch dem Geheule folgen.
Ich sah den Käfig sofort und befreite meine Emma. Nun wusste ich, wie hoch mein Dackel springen konnte. Es folgte eine endlose Schmuse-, Leck- und Riechprozedur, bevor ich Emma auf afrikanischen Boden setzte. Nun war also auch Emma ausgewandert.
Vor Freude hatte Emma vergessen, die Beleidigte zu spielen, und das, obwohl ich sie für eine ganze Weile im Stich gelassen hatte.
Da ich die Hundeleine vergessen hatte, trug ich Emma den langen Weg bis zu meinem VW-Käfer. Kaum saßen wir im Auto, sprang sie sofort auf meinen Schoß – das hatte sie noch nie getan. Nur widerwillig ließ sie sich auf den Beifahrersitz setzen, schlechte Angewohnheiten sollte es auch in Afrika nicht geben.
Emma war hundemüde, verständlicherweise. Sie legte sich aber so auf den Sitz, dass sie mich im Auge behalten konnte, und warf immer mal wieder einen Blick zu mir herüber. Offensichtlich traute sie dem Braten nicht – schließlich hatte ich sie vor einigen Wochen allein gelassen – ich hatte allerdings gewusst, dass sie in guten Händen war. Doch irgendwann war die Müdigkeit stärker, und Emma schlief ein.
Nach einstündiger Fahrt kamen wir zu Hause an. Nachdem Emma kurz ihr neues Körbchen begutachtet hatte, inspizierte sie das ganze Haus und schließlich den Garten mit dem kleinen Swimmingpool.
In der Zwischenzeit hatte ich in der Küche den Fressnapf mit Emmas Lieblingsessen gefüllt – Gehacktes mit Ei. Über all den neuen Eindrücken hatte Emma wohl vergessen, wie hungrig sie war, denn innerhalb von Sekunden war der Napf leer.
Es war Freitagnachmittag und ich beschloss, mit Emma einen ausgedehnten Spaziergang in die nähere Umgebung zu machen. Da ich außerhalb der Großstadt Johannesburg wohnte, gab es hier schon fast einen kleinen Vorgeschmack auf den afrikanischen Busch. Deshalb führte ich Emma an der Leine. Sie wich zwar sonst nicht von meiner Seite, von kurzen Abstechern einmal abgesehen, aber hier waren wir in Afrika, auf unbekanntem Terrain. Ein Risiko wollte ich nicht eingehen, denn Dackel sind Jagdhunde mit einem ausgeprägten Jagdinstinkt – was ich später noch erleben konnte.
Die Leine bewährte sich, denn Emma war unruhig und aufgeregt, wollte immer wieder ausbrechen. Die Geruchswelt hier in Afrika war Neuland für sie.
Wieder zu Hause nahm Emma endgültig Besitz von ihrem neuen Körbchen, schlief sofort ein, und wurde erst am nächsten Morgen wieder wach.
Den Samstag verbrachten wir mit Einkaufen, Putzen und Kochen. Ich hatte wieder Gehacktes für Emma gekauft, da ich mich ihr gegenüber schuldig fühlte – ich wollte etwas wiedergutmachen. Als ich das Gehackte im Kühlschrank verschwinden ließ, hatte Emma dies genau bemerkt.
Ich beachtete sie jedoch nicht weiter, sollte sie doch den Kühlschrank bewachen.
Als ich mir am Abend ein Bier holen wollte, hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn Emma ließ mich nicht einmal in die Nähe des Kühlschranks. Sie knurrte bedrohlich und alle guten Worte halfen nichts, Emma bewachte ´ihren` Kühlschrank. Als ich mich nach einer Stunde wieder in Emmas Nähe wagte, ging sie auf mich los. Auch wenn es nur eine Scheinattacke war, verlor ich jetzt die Geduld und gab ihr einen ´Tritt in den Hintern`, so dass sie ein Stück durch die Küche rutschte. Als ich mein Bier aus dem Kühlschrank geholt hatte und an Emma vorbei ging, lag sie bereits tief beleidigt in ihrem Körbchen, drehte den Kopf zur Seite und strafte mich mit totaler Ignoranz.
Mal sehen, dachte ich, wie lange das nun gehen würde, oder besser gesagt, wie lange ich das aushalten würde.
Am nächsten Morgen saß Emma schmollend vor der Terrassentür. Ich ließ sie hinaus, doch auch nachdem sie ihr Geschäft erledigt hatte, würdigte sie mich noch immer keines Blickes. Inzwischen füllte ich ihren Napf mit ihrem Lieblingsessen und legte die Hundeleine daneben.
Emma lief an mir vorbei, fraß dann aber nach einigem Zögern doch ihren Napf mit den Leckerchen leer. Nach einer Weile kam sie mit der Leine in der Schnauze zu mir, das Eis war gebrochen. Das war mal wieder typisch Emma, Dackel eben.
Wir fuhren mit meinem Käfer etwas weiter in die afrikanische Natur. Im ´Busch` angekommen ließ ich Emma ohne Leine laufen. Dieses Risiko musste ich eingehen, denn ich wollte Emma nicht immer an der Leine führen, das hatte ich zu Hause ja auch nicht getan.
Wir wurschtelten uns durch den Busch, mal auf sandigen Pfaden, mal durch hohes Gras. Emma blieb brav an meiner Seite, als wollte sie etwas wiedergutmachen.
Doch plötzlich war sie verschwunden, einfach so.
Ich rief ihren Namen, aber es kam keine Reaktion. Da ich wusste, dass Emma auf ihrer eigenen Fährte zurückkommen würde, um dann meine aufzunehmen, setzte ich mich auf einen Baumstamm und wartete.
Nach etwa einer Stunde, während der ich die unglaubliche Ruhe in dieser wunderschönen unberührten afrikanischen Natur genoss, hörte ich Geräusche, konnte jedoch nichts erkennen. Dann endlich erblickte ich Emma, die auf meiner Fährte zurück kam. Verblüfft sah ich, dass sie eine gut einen Meter lange Schlange hinter sich her schleppte, die sie mir letztendlich vor die Füße legte. Die Schlange war noch warm, Emma hatte die Schlange nicht gefunden, sie hatte sie getötet.
Ich war unentschlossen, ob ich Emma nun loben sollte, tat es dann aber doch, denn es wäre unfair, einen Jagdhund nach erfolgreicher Jagd nicht zu loben. Trotzdem fühlte ich mich nicht wohl.
Wir machten uns auf den Heimweg, die Schlange nahm ich mit. Ich wusste in der Nähe von meinem Haus ein Tierasyl mit einem Veterinär. Dort lieferte ich die Schlange ab. Der Veterinär schlug die Hände zusammen: „Du lieber Himmel, wo haben Sie denn die Schlange her? Die ist hochgiftig und äußerst gefährlich!“
Ich zeigte auf meinen Rauhaardackel. Emma saß derweil angeleint neben mir, als wenn sie kein Wässerchen trüben könnte, richtig brav.
„Dieser Hund soll die Schlange getötet haben?“, fragte der Tierarzt, und zeigte auf Emma. „Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern eigentlich unmöglich“, erklärte er mir stirnrunzelnd. Die Schlange behielt er für medizinische Zwecke.
„Passen Sie gut auf ihren Dackel auf“, meinte er beim Abschied und schaute nachdenklich hinter Emma her.
In Gedanken vertieft fuhr ich mit Emma nach Hause.
Dass Dackel schauspielerisches Talent haben, ist nicht neu, aber wie Emma sich jetzt verhielt, war mehr als mustergültig. Sie saß brav neben meinem Fernsehsessel und machte nicht einmal den Versuch, das Sofa zu erobern. Als sie mir dann auch noch meine Pantoffeln brachte, musste ich lauthals lachen.
Ich hatte meinen ersten Job in Südafrika längst begonnen. Ein altes stillgelegtes Goldminengelände sollte zu einem Museum ausgebaut werden. Nach alten Plänen von 1880 entstand hier eine kleine Stadt mit Bank, Hotel, Gefängnis, kleiner Kirche – eben allem, was damals zu einer kleinen Stadt gehört hatte.
Attraktion war allerdings eine historische Dampflok mit sechs Waggons, die restauriert und wieder fahrbereit gemacht werden sollte. Das war mein Job für mindestens ein Jahr.
Da ich Emma nicht den ganzen Tag allein zu Hause lassen wollte, nahm ich sie am Montag einfach mit zur Arbeit.
Sie saß sichtlich ungeduldig in meinem Käfer neben mir, offensichtlich spürte sie, dass etwas Neues auf sie zukommen würde. Auf dem Minengelände angekommen parkte ich mein Auto auf einem reservierten Stellplatz. Nun hatte ich etwa zehn Minuten zu laufen, um zu meiner ´Baustelle`, dem Lokschuppen, zu kommen. Umgeben von bewachsenen Abraumhalden der alten Goldmine war es hier richtig ruhig, ja beinahe idyllisch. Emma war brav hinter mir hergedackelt.
Mein Arbeitgeber hatte eine Handvoll afrikanischer Mitarbeiter für mich abgestellt. Emma schnüffelte, ließ sich aber nicht anfassen und knurrte bedrohlich. Die Hautfarbe der Menschen war ja auch neu für sie. Es ist allgemein bekannt, dass Hunde von weißen Haltern auf schwarze Menschen losgehen, umgekehrt aber ist es ebenso.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich meine Emma, die häufig Ausflüge unternahm, aber nach zehn Minuten wieder zurück war.
Am nächsten Tag wurden die Ausflüge schon länger, aber Emma kam stets zurück, um sich zu überzeugen, dass ich noch da war. Wenn alles o.k. war, verschwand sie wieder. Es war ja auch ein recht abenteuerliches Umfeld hier auf dem Minengelände.
So ging das nun die ganze Woche, wobei die Abstände, in denen Emma bei mir vorbeischaute, immer größer wurden.
Nach zwei Wochen geschah es zum ersten Mal, dass sie den ganzen Tag verschwunden blieb.