Einleitung:
Psychomotorik – ein Wundermittel mit Breitbandwirkung?
1. Entwicklungen und Tendenzen in der Psychomotorik
1.1 Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung
1.1.1 »Lehrjahre« der Psychomotorik
1.1.2 Die Institutionalisierung der Psychomotorik
1.1.3 Psychomotorik – Motopädagogik – Mototherapie
1.1.4 Ziele und Inhalte der Psychomotorik
1.2 Das Menschenbild in der Psychomotorik
1.2.1 Humanistisches Menschenbild
1.2.2 Das Kind als aktiver Gestalter seiner Entwicklung
1.3 Psychomotorik als ganzheitliche Gesundheitsförderung
1.3.1 Salutogenese – Wie entsteht Gesundheit?
1.3.2 Risiko- und Schutzfaktoren in der kindlichen Entwicklung
1.3.3 Stärkung personaler Ressourcen
2. Konzeptionelle Ansätze in der Psychomotorik
2.1 Von der »psychomotorischen Übungsbehandlung« zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung
2.2 Der handlungsorientierte Ansatz
2.3 Die sensorische Integrationsbehandlung
2.4 Kindzentrierte psychomotorische Entwicklungsförderung
2.5 »Verstehende« Psychomotorik
2.6 Systemisch-konstruktivistische und systemisch-
ökologische Positionen in der Psychomotorik
2.7 Konsequenzen für die Praxis der Psychomotorik
3. Selbstkonzept und Identität –
Schlüsselbegriffe psychomotorischer Förderung
3.1 Kognitive und emotionale Anteile des Selbstkonzeptes
3.1.1 Selbstwahrnehmung und Selbstbewertung
3.1.2 Kompetenzen und Fähigkeiten
3.2 Die Bedeutung des Selbstkonzeptes für die Entwicklung
3.2.1 Subjektive Interpretationen
3.2.2 Selbstkonzept als generalisierte Selbstwahrnehmung
3.2.3 Zuordnung von Eigenschaften durch andere
3.3 Körpererfahrungen sind Selbsterfahrungen
3.3.1 Zur Entwicklung des Selbst
3.3.2 Das »Körperselbst«
3.3.3 Das Selbstempfinden
3.4 Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung
3.5 »Erlernte Hilflosigkeit«
3.6 Ursachenerklärung von Erfolg und Misserfolg
3.7 Die Rolle von Bezugsnormen für die Selbstwahrnehmung
3.8 Möglichkeiten zur Veränderung eines negativen Selbstkonzeptes
4. Die Bedeutung des Spiels in der Psychomotorik
4.1 Zum Symbolgehalt von Bewegungshandlungen
4.2 Merkmale des Spiels in der Psychomotorik
4.2.1 Individuelle Sinngebung und Bedeutungsoffenheit
4.2.2 Umkehrung üblicher Einfluss- und Machtbeziehungen
4.2.3 Entscheidungsfreiheit und Freiwilligkeit
4.2.4 Ambivalenz – Angst-Lust-Gefühle
4.3 Bedeutung des Symbolspiels für die Selbstentwicklung des Kindes
4.4 Handeln in sinnhaften Zusammenhängen
5. Zur Diagnose der psychomotorischen Entwicklung
5.1 Veränderungen in der Auffassung diagnostischen Denkens
5.2 Methoden der psychomotorischen Diagnostik
5.2.1 Motoskopie – Beobachtung als Basis der Diagnostik
5.2.2 Motometrische Verfahren
5.2.3 Zur Integration quantitativer und qualitativer Verfahren
in der psychomotorischen Diagnostik
5.3 Zur Praxis der psychomotorischen Entwicklungsdiagnostik
5.3.1 Anamnese – die Entwicklungsgeschichte des Kindes
5.3.2 Strukturierte Beobachtung von Wahrnehmung
und Bewegung
5.3.3 Verhalten bei Spiel- und Bewegungsangeboten
5.3.4 Sozialverhalten
5.3.5 Selbstkonzept-Einschätzung
5.3.6 Einsatzmöglichkeiten motorischer Testverfahren
5.4 Verlauf der psychomotorischen Entwicklungsdiagnostik
5.5 Zur Effektivität psychomotorischer Fördermaßnahmen
6. Rahmenbedingungen psychomotorischer Förderung
6.1 Allgemeine Prinzipien psychomotorischer Förderung
6.2 Der äußere Rahmen
6.2.1 Bewegungsräume
6.2.2 Geräte und Materialien
6.2.3 Zeitlicher Rahmen
6.3 Die Gestaltung der Psychomotorik-Stunden
6.3.1 Einstieg in die psychomotorische Förderung
6.3.2 Die Auswahl der Inhalte
6.3.3 Rituale
6.4 Die Förderung in einer Gruppe
6.4.1 Bedeutung der Gruppe
6.4.2 Gruppenzusammensetzung
6.4.3 Geschlossene und halboffene Gruppen
6.4.4 Gruppengröße
6.5 Zum Verhalten der Pädagogin
6.5.1 Rolle der Pädagogin
6.5.2 Verhaltensmerkmale für die Leitung von Gruppen
6.5.3 Team-Teaching
6.6 Interventionsstrategien
6.6.1 Umgang mit Störverhalten
6.6.2 Paradoxe Intentionen
6.7 Die Einbindung der Familie
6.7.1 Eltern-Kind-Gruppen
6.7.2 Zusammenarbeit mit Eltern in der Psychomotorik
7. Zielgruppen und Einsatzbereiche psychomotorischer Förderung
7.1 Psychomotorik in der Frühförderung
7.2 Psychomotorik in Kindertageseinrichtungen
7.2.1 Der Bewegungskindergarten
7.2.2 Psychomotorische Kindergärten
7.2.3 Psychomotorisch orientierte Bewegungserziehung
7.2.4 Psychomotorik als Beitrag zur Inklusion
7.3 Bewegungsorientiertes Lernen in der Schule
7.3.1 Psychomotorik als Bereicherung und Ergänzung des Sportunterrichts
7.3.2 Psychomotorik als spezielle Förderung von Kindern mit Lern- und Entwicklungsbeeinträchtigungen
7.3.3 Psychomotorik als grundlegendes, fachübergreifendes Arbeitsprinzip
7.4 Neue Konzepte des Sportförderunterrichts
7.5 Elternvereine und Selbsthilfegruppen
8. Beispiele zur Praxis psychomotorischer Förderung
8.1 Einstiegsspiele
8.2 Themenspezifische Spiel- und Bewegungsangebote
8.3 Miteinander spielen
8.4 Zur Ruhe kommen
9. Professionalisierung und Ausbreitung der Psychomotorik
9.1 Psychomotorikvereine und Initiativen
9.2 Hoch- und Fachschulausbildungen
9.3 Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
9.4 Vereinigungen für Psychomotorik
Literatur
Medien
Über die Autorin
Es hat sich mittlerweile in unserer Gesellschaft eingebürgert, dass wir für jedes Problem eine spezielle Fördermethode haben. Eine Förderung bei Sprachschwierigkeiten, gegen Konzentrationsmangel, zur Behebung von Bewegungsauffälligkeiten, für das hyperaktive wie für das gehemmte und ängstliche Kind. Für jedes Abweichen vom Normalverhalten gibt es ein Programm, so wie es für jeden Schmerz das entsprechende Medikament gibt.
Und nun taucht seit einiger Zeit eine Richtung auf, die sich Psychomotorik nennt und die auf einen Schlag alles »heilen« will, von der motorischen Ungeschicklichkeit über die Sprachstörung bis hin zum Schulversagen.
Psychomotorik – ein Wundermittel mit Breitbandwirkung sozusagen, das in einem großen Rundumschlag das Kind zum Funktionieren auf allen Ebenen bringen will? Ein Allroundmittel für alle möglichen Probleme, dessen Wirkungsweise sich so vielseitig liest wie der Beipackzettel eines Breitbandantibiotikums? Wie ist die Wirkungsweise einzuschätzen, und gibt es nicht auch – wie bei jedem Medikament – Nebenwirkungen?
Mit dem Begriff Psychomotorik werden also ebenso hohe Erwartungen wie widersprüchliche Vorstellungen verbunden. Spezialtherapie oder alltägliches Bewegungsangebot – mit ganz bestimmten Geräten und Materialien, die in den Katalogen von Spiel- und Sportgeräteherstellern meist auf einer Seite zu finden sind? Dreimal täglich Pedalofahren, und die Kindheit wird befreit von allen Übeln krankmachender Lebensbedingungen und persönlicher Belastungen?!
Das vorliegende Buch soll zur Klärung beitragen. Die wesentlichen Grundgedanken der Psychomotorik werden vorgestellt, ihre Entstehungsgeschichte beschrieben und unterschiedliche konzeptionelle Ansätze diskutiert. Im Zentrum des in diesem Buch vertretenen Ansatzes einer kindzentrierten psychomotorischen Entwicklungsförderung steht die Frage nach der Bedeutung von Bewegung im Kontext kindlicher Entwicklung. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das Selbstkonzept eines Kindes, die Art und Weise, wie es sich selbst wahrnimmt, ob es eine eher positive oder negative Sicht auf die eigene Person hat. Daher befasst sich ein großer Teil des Buches mit den Bedingungen für den Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes. Darüber hinaus werden auch praktische Hinweise für eine psychomotorische Entwicklungsdiagnostik gegeben und die konkreten Rahmenbedingungen psychomotorischer Förderpraxis beschrieben.
Ein Buch über Psychomotorik ohne Praxisbeispiele wäre ein nur unvollständiges Werk. Die hier getroffene Auswahl an Beispielen erfolgte unter dem Kriterium ihrer Umsetzbarkeit in der Praxis. Es werden Themen, Spielideen und Spielszenen beschrieben, die für Psychomotorik-Gruppen erarbeitet bzw. in ihnen erfunden wurden. Zwar wurden die organisatorischen Vorbereitungen von den Erwachsenen, den Leitungen der Gruppen getroffen, das Thema und die Spielhandlung wurden aber meistens von den Kindern selbst definiert.
Die in diesem Buch beschriebenen Spielideen sollen Kindern einerseits die Möglichkeit des individuellen Ausdrucks und der Bearbeitung ihrer Probleme geben, andererseits aber auch ihr Verhaltens- und Bewegungsrepertoire erweitern und zu einer veränderten Selbstwahrnehmung beitragen. Neben den inhaltlichen und organisatorischen Angaben werden daher auch Hinweise auf die individuelle Bedeutsamkeit, die die Spielthemen für Kinder haben können, gegeben. Gleichzeitig ist aber immer noch ausreichend Spielraum für die Übertragung in die eigene Praxis der Leserin und des Lesers vorhanden.
Allgemeine Überlegungen zur psychomotorischen Förderung werden in diesem Buch ergänzt durch Erfahrungen und konkrete Fallbeschreibungen, wie sie sich in unseren Psychomotorik-Gruppen ereignet haben. Ein Symbol macht dann jeweils kenntlich, dass hier die konkrete Berichtsebene beginnt. Alle Fallbeispiele beruhen auf realen Begebenheiten, allerdings wurden die Namen und die persönlichen Daten, die eine Identifizierung der Kinder oder ihrer Familien ermöglichen könnten, geändert.
Wichtige, für die Praxis relevante theoretische Erkenntnisse sind – damit sie nicht so leicht überlesen werden – ebenfalls mit einem Symbol versehen.
Und wenn die Theorie einmal überwiegt, erst einmal viele Fragezeichen auftauchen, dann erscheint wieder ein Symbol, das auf den Service des hier komprimierten Wissens hinweist.
Viele Gedanken und Überlegungen, die in diesem Buch vorgestellt und diskutiert werden, sind in der konkreten Arbeit mit Kindern und aus der Reflexion der dort gewonnenen Erkenntnisse entstanden. Ich danke all denen, die jahrelang die psychomotorische Förderung von Kindern mit mir zusammen durchgeführt haben, Kollegen und Mitarbeiterinnen, mit denen ich gemeinsam Konzepte entwickelt und erprobt, Problemsituationen durchgesprochen sowie Lösungswege gesucht habe. Allen voran meinem Kollegen Meinhart Volkamer, mit dem ich gemeinsam in Osnabrück Therapiegruppen für Kinder mit Entwicklungsbeeinträchtigungen aufgebaut habe und der immer ein kritisch-konstruktiver Begleiter meiner Arbeiten war. Durch die Einrichtung der Forschungsstelle »Bewegung und Psychomotorik« am Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe), das zunächst als An-Institut an der Universität Osnabrück gegründet worden war und dessen Leitung ich über lange Jahre innehatte, ergaben sich viele Möglichkeiten, um die Praxis der Psychomotorik in einem interdisziplinär zusammengesetzten Team auch wissenschaftlich weiter zu fundieren. Aus diesem Team der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Fiona Martzy und Peter Keßel hervorgehoben werden, da sie als erfahrene Motologen die professionelle Arbeit mit den Kindern und ihren Familien in besonderem Maße mitgestaltet haben.
In unserem Team wirkten weiter mit: Anne Bischof, Marina Kuhr, Stefan Schache, Elisabeth König, Sophie Reppenhorst, Anna Tönnissen, Nadine Madeira Firmino, Nadine Matschulat, Ursula Licher-Rüschen, Stefanie Rieger, Britte Ruploh, Jutta Trautwein und Nadine Vieker. Sie brachten aus ihren jeweiligen beruflichen Hintergründen als Psychologinnen, Motologen, Ärztinnen, Rehapädagoginnen, Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachtherapeutinnen, Erziehungs- und Sportwissenschaftlerinnen und Kunstpädagoginnen ganz unterschiedliche Kompetenzen mit, die es möglich machten, Theorie und Praxis in einen engen Bezug zu stellen. So konnte auch das sogenannte »Gegenstromprinzip«, nach dem das nifbe von Anfang an aufgestellt war, wunderbar realisiert werden: Fragen aus der Praxis wurden wissenschaftlich aufbereitet, und theoretische Erkenntnisse wurden in die Praxis umgesetzt.
Nicht zuletzt waren auch die Kinder an der Entstehung dieses Buches beteiligt. Die vielen Erfahrungen, die ich mit ihnen machen konnte, die gelösten und die ungelösten Probleme, haben mich immer wieder aufs Neue herausgefordert, nach den möglichen Wirkfaktoren psychomotorischer Förderung zu fragen. Das Erleben, hier etwas wirklich Sinnvolles zu tun, die Entwicklung der Kinder begleiten und ihre Fortschritte beobachten zu können, war für mich ein großes Geschenk, für das ich sehr dankbar bin. Den Kindern und ihren Eltern gilt daher ebenso mein Dank; sie gaben mir oft die Rückmeldung, dass die Psychomotorik-Stunden zu den schönsten Stunden der Woche gehören, die sie unter keinen Umständen versäumen wollten. »Na, was habt ihr denn heute gemacht?« fragte eine Mutter ihr Kind beim Abholen. »Och«, meinte Alexander, »nichts haben wir gemacht. Wir haben nur gespielt.«
Um den Text leserfreundlich zu gestalten, wurde auf umständliche, geschlechtsspezifische Sprachverwendung verzichtet.