Waltraut de Willigen

SCHMETTERLINGSFRAU, LUMPENPUPPENMANN UND 13 WEITERE MENSCHENGESCHICHTEN

Auslese aus W. de Willigen’s Fast Fliegenden Blättern

Schmetterling und Strohstern

und

Unterwegs geblieben

Editie VONKENDANS

Books on Demand

Copyright: © 2013 Verlag Editie VONKENDANS

NL – Philippine (Z-VL), www.vonkendans.nl

Alle Rechte vorbehalten

Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand, Norderstedt, www.bod.de

Einbandgestaltung und Illustration: Lilith-Benthe Eriksen

ISBN 978-3-8482-6611-1

… weil Liebe viele Gesichter hat

Frans gewidmet

Inhalt

DER WEG?

DAS ZIEL?

DER SINN?

DIE SCHMETTERLINGSFRAU

Start: Tampere, Ziel: Iittala. Dazwischen: Elypsen, Linien, Punkte auf dem Computerausdruck, die alles hätten bedeuten können, und über das Papier verteilt ein paar Mal die Zahl 130. Fuhr ich nun schon zum zweiten Mal diese 130 südwärts? Oder doch wieder gen Norden? Oder gar zum dritten Mal? In dieser einsamen See-Wald-Wald-See-Landschaft fand ich mich nicht zurecht. Der Weg, von dessen Richtigkeit ich eben noch überzeugt gewesen war, schien mir jetzt ein Irrweg zu sein. Alles ähnelte vorher Gesehenem und war mir doch fremd, wenn ich näher kam. Mein Orientierungssinn wurde hier ein ums andere Mal betrogen. Wälder. Felder. Wälder. Und Seen, auch bei bedecktem Himmel blau, mit Saunahäuschen auf noch grünen baumreichen Inselchen, die sich kaum unterschieden. Wollte ich je dem Grün-und-Blau seine Harmonie absprechen?

Ich öffnete das Fenster. Plötzlich störten mich das Sirren der Räder, das Brummen des Motors. Ich parkte, stieg aus, schloss nicht einmal die Autotür. Das Geräusch hätte die plötzliche Stille zerbrochen.

In Waldsaumnähe setzte ich mich auf einen Baumstumpf. Birkenstämme leuchteten zwischen ziegelrot-lachsrot-weiß durchäderten dunklen Felsen. Durch sonngelbe Blätter zitterten Lichtsprenkel auf Moosmatten, Pilzen und Farnen. Nach und nach bekam die Stille Stimmen: Summen, spätnachmittägliches Tschilpen, Rascheln unter dem Laub, ein fernes Röhren.

Wollte ich Iittala noch vor dem Dunkel erreichen, musste ich jetzt aufbrechen. Doch wo war ich? Wie weit war ich von meinem Ziel entfernt?

Entschlossen, der Straße nun konsequent zu folgen, fuhr ich weiter. Das Fenster ließ ich offen. Eine Hummel stieß ein paar Mal an die Windschutzscheibe, ehe sie ins Freie fand.

Meine Unruhe wuchs, und ich wurde schon wieder an dem Gedanken irr, Richtung Iittala unterwegs zu sein, da kamen mir am linken Waldrand zwei Menschen entgegen. Zwei Frauen, untergehakt. Sie sprachen miteinander. Eine trug Schwarz. Ihr kantiges Gesicht wirkte fahl. Die andere trug einen roten Schal um die Taille des weißen Kleides, eine weiße Jacke hing über ihre Schultern. Ihr Haar war grau und kurz und gewellt, ihre Sonnenbrille hatte die Form eines Schmetterlings.

Ich hielt an, stieg aus, ging ihnen entgegen und überlegte, wie ich sie wohl ansprechen könnte. Ich versuchte es mit Englisch. Die Schwarzgekleidete sah nicht verstehend erst mich, dann die Frau an ihrer Seite an. Die nickte. Ich war erleichtert. Sie hatte mich verstanden. Sie löste ihren Arm aus dem der Begleiterin, wandte sich um. Ihre Stimme klang hell und lebhaft: Sie haben in dieser Richtung geparkt?

Ich nickte – und begriff zu spät.

Folgen Sie dieser Straße, fuhr sie fort. Nach etwa 2km endet der Wald. Dort biegen Sie links ab. Es ist ein schmaler Weg ohne Hinweisschild, der Sie zur E12 in Richtung Hämeenlinna führt. Bei Numminmäki biegen Sie rechts in die Iittalantie ein, und dann sind Sie auch schon beinahe am Ziel. Gönnen Sie sich an einem der Seen eine Pause. Der Herbst ist hier so heiter und lebendig. Vielleicht weil er so kurz ist.

Sie hat mir den Weg beschrieben, als kenne sie seine Biegung am Ende des Waldes und vermisse den Wegweiser, als genösse auch sie die Schönheit herbstlicher Ufer.

Meinen Dank erwiderte sie mit einem Lächeln. Auch ihre Begleiterin lächelte und wirkte nicht mehr farblos. Ihr rechter Arm kam der Hand der anderen kaum merklich entgegen, und angeregt plaudernd wanderten sie weiter.

Es war danach ein Leichtes, den Weg zu finden. Am Ufer eines der vielen Seen stieg ich noch einmal aus. Träge Wellen dünten auf die flachen Uferfelsen zu, letzte Sonnenstrahlen warfen Sekundenbilder auf den Schotterpfad, der Himmel färbte sich tiefblau, der Horizonts glühendorange. Und dann war es plötzlich dunkel. Und kalt. Aber ich spürte Wärme in mir, spüre sie noch, wenn ich an sie, die Schmetterlingsfrau, denke.

SOMMERHAUSTAGE

Die Frau steht im Zug nahe der Tür, bereit auszusteigen, sobald der Zug hält, bereit, dem Mann nach Jahren wieder zu begegnen, mit dem sie einmal eine nachtlange Zugfahrt durchredet hat, dessen Offenheit sie für ihn einnahm.

Sie war gebunden, damals, antwortete nicht auf die Verführung seiner Augen, seiner Stimme. Doch sie blieb neugierig auf ihn, der ihr bald lange Briefe schrieb, Fragen stellte, andeutete, ungeduldig ihre erwartete. Sie verstand, ließ ihn jedoch nicht mehr als freundschaftliche Verbundenheit spüren.