Cover

Für alle, die sich schon einmal in einem Menschen getäuscht haben.

Manchmal braucht es mehr als einen Blick.

Ein Wort.

Eine Tat.

Eine Schublade.

Manchmal lohnt es sich, sich die Zeit zu nehmen, hinter die Kulissen zu sehen …

Eins

Simona

Ein Kackhaufen!

War es nicht genug, dass der Regen meine Frisur bereits ruiniert hatte? Musste ich jetzt tatsächlich noch in einen ekligen, stinkenden Kackhaufen einer vermutlich tollwütigen und mit Flöhen und anderen Parasiten besiedelten Töle treten?

Angewidert zog ich den Schuh vom Fuß. Gucci hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, hätte er das sehen können!

Ich drückte mich näher in den Schatten des Gebäudes und blickte mich um. Keiner in der Nähe, was bei dem Wetter absolut nicht verwunderlich war. Ich hob die Hand und deutete auf den hautfarbenen Pumps. Für was war ich denn eine mächtige Hexe, wenn ich es nicht in Notsituationen nutzen konnte?

»Mundus«, flüsterte ich und spürte, wie die magische Energie durch meinen Körper direkt in meine Finger floss. Ein angenehmes, leicht prickelndes Gefühl, das ich schon liebte, seit ich ein kleines Kind gewesen war.

Zufriedenheit flutete mich. Stolz! Gab es eine bessere Art als die der Hexen?

Ohne weiter auf den Schuh zu achten, zog ich ihn mir an und rutschte umgehend mit der Hand ab. »Iiih!«, quiekte ich auf und starrte auf meine nun schokoladenbraun verfärbten Finger. Übelkeit durchströmte mich. Dieser Geruch! Unbedacht fuhr ich mir mit der Hand über die Stirn. »Uuuh! O nein. Simona, du törichtes Huhn.«

Wimmernd starrte ich auf meinen Schuh, der noch genauso ekelerregend aussah wie vor wenigen Sekunden. »Aber?«, keuchte ich, als mir dämmerte, dass meine Hexerei nicht funktioniert hatte. Panisch wiederholte ich meinen Zauberspruch. Doch nichts geschah. Außer dem Kribbeln, dem rasanten Aufbau der ungeheuren Energie, die in mir steckte, passierte nichts.

Nichts!

Absolut nichts!

Was war denn nur los? Wieso funktionierte meine Magie nicht? Lag es am Spruch? Aber der hatte sich bisher immer bewährt.

»Vestem mutare!«, probierte ich es nun und meine Hände zitterten, als sie auf mich zeigten.

Nichts!

»Mutare color.«

Nichts!

»Purgare!«

Nichtsnichtsnichts!

Das durfte nicht wahr sein! Irgendetwas stimmte nicht. Irgendwas …

Mit wackligen Knien schlurfte ich aus dem Schatten des Gebäudes heraus, direkt in den strömenden Regen hinein. Ich hatte kein Geld, keine Unterkunft, keine Kleider. Ich besaß nichts außer meiner Magie! Ohne sie würde ich nicht überleben können. Ohne sie konnte ich mich gleich der Ungnade des Rats ausliefern!

Ich fiel wie ein nasser Sack auf die Bank der Busstation, die mit Kot verdreckte Hand von mir weggestreckt. Das Schicksal konnte es nicht so schlecht mit mir meinen. Immerhin war ich von der Liebe meines Lebens geprellt worden! Ich war das Opfer! Ich!

Ein Auto raste an der Bushaltestelle vorbei, direkt in eine Wasserlache, die aufspritzte, mir mitten ins Gesicht. Ungläubig sah ich an mir herunter. Mein champagnerfarbenes Kostüm war übersät mit dunklen Spritzern und klebte wie eine zweite Haut an mir. Mein Schuh und meine Hand glänzten in braunem Hundekot. Ganz zu schweigen von meiner Stirn und meiner ruinierten Hochsteckfrisur …

Ich war das Opfer.

Zweifellos.

***

Einige Stunden später saß ich immer noch auf der Bank an der Bushaltestelle. Einmal kam ein Bus, vermutlich der letzte, der in dieser Nacht fuhr, aber da ich kein Geld besaß, hatte ich nicht einsteigen können. Und ob die Route meinem ausgeklügelten Plan gerecht geworden wäre, war doch ziemlich unwahrscheinlich.

Seit Monaten tingelte ich durch die Staaten, blieb nie lange an einem Ort. Dabei hätte ich das durchaus können. Mein Schutz- und Verschleierungszauber, der meine Person als Simona DeDay verschleierte und meinen Standort nicht preisgab, war unverfolgbar. Unantastbar. Ich gehörte einer reinen Linie Hexen an. Keine Mischungen, die jetzt, da der Bindungszauber wieder aufgehoben worden war, erlaubt waren.

Meine Eltern, Großeltern und alle anderen Vorfahren waren Hexe und Hexer und je reiner das Blut durch einen floss, desto stärkere Fähigkeiten besaß man in der Hexkunst. Man brauchte die Fertigkeiten nicht zu erlernen, weil sie einem in die Wiege gelegt wurden.

Nicht umsonst waren Großmutter und Großvater jahrzehntelang Mitglieder des mächtigen Rats der Nachtschwärmer gewesen. Der Wesen, die unentdeckt unter den Menschen lebten. Hexen, Vampire, Feen, Werwölfe und … Gestaltwandler.

Ich räusperte mich und zog die Stirn kraus. Gestaltwandler! Eine durch und durch unfähige Art. Sie konnte nicht hexen. Nicht heilen. War nicht stark oder schnell oder konnte manipulieren. Sie konnte nur ihre Gestalt ändern. Und was sollte man damit? Was brachte es einem, eine stinkige Töle zu sein? Oder ein verlauster Affe? Unwürdig und absolut unnötig. Weswegen meine Familie diese Art grundsätzlich nur als Hauspersonal anstellte und das auch eher ungern.

Seufzend stand ich auf. Aber das lag nun sowieso nicht mehr in meinem Gebiet. Kein Personal. Kein Haushalt. Kein Reichtum. Keine Familie. Die letzte Aktion, die ich mir mit Eliza Lake geleistet hatte, hatte mich vollends aus der Familie gestoßen. Davon abgesehen, dass ich mir keiner Schuld bewusst war, würde ich ganz sicher nicht vor dem neuen Rat zu Kreuze kriechen. Ich war eine DeDay. Und die DeDays hatten die Macht. Wir wurden nicht geboren, um zu dienen. Oder unterwürfig zu sein. Ganz besonders nicht ich!

Ich strich mir mit der sauberen Hand den Rock glatt, so gut es eben unter den Umständen ging. Dann sah ich mich um. Der Regen hatte endlich aufgehört und eine gespenstische Ruhe durchdrang die sommerlich warme Nacht. Diese Stadt lag in absoluter Menschenhand. Was genau der Grund war, weswegen ich sie mir ausgesucht hatte. Keine oder wenige Nachtschwärmer in meinem Umfeld bedeuteten keine oder weniger Gefahr zu laufen, erkannt und verpetzt zu werden.

Ich vertraute zwar meinem selbst angefertigten Schutzzauber, aber sicher war sicher. Wer wusste schon, was der Rat mit mir anstellen würde, bekäme er mich doch in die Hände.

Ich zeigte erneut auf mich und flüsterte eindringlich: »Purgare!«

Das Kribbeln bahnte sich seinen Weg in meine Fingerspitzen und verpuffte wieder im Nichts. Genervt trat ich mit dem Fuß auf. Ich verstand das einfach nicht! Ich hatte noch nie Probleme mit meiner Kraft gehabt. Niemals!

Lag es vielleicht an dieser Stadt? Schwächte sie die Magie? War das überhaupt möglich?

Mein Blick schwirrte die Straße entlang, die links und rechts von verschiedenen Geschäften und Häusern eingesäumt lag. In der Mitte stand ein Springbrunnen mit einer Figur, die ich aus der Entfernung nicht klar benennen konnte. Im Hintergrund zeichneten sich Berge und Wälder in dunklen Umrissen ab. Bei Tag durfte diese Kulisse von meinem Standort aus ein malerisches Bild abgeben. Aber jetzt, in den letzten Zügen der Dunkelheit, war es nur eine trostlose Version davon.

Genauso wie es in mir gerade vorging. Und ich hasste diese Emotionen! Hexen waren keine Schwärmer, die sich schlecht fühlten. Unsicher. Trostlos oder schwach! DeDays waren das nicht! ICH war das nicht!

Der Bruch im gewohnten Ablauf meiner Flucht brachte meine Selbstsicherheit jedoch leicht ins Wanken. Das musste ich zugeben. Insbesondere die Tatsache, dass meine Magie nicht funktionierte. Die Magie, die mir in jeder neuen Stadt eine Unterkunft vermittelt hatte. Wie durch zauberhafte Hand war ich nun bereits siebzehn Mal die Bewohnerin eines leerstehenden Hauses gewesen und keiner, aber auch wirklich keiner, hatte sich daran gestört. Ich war die liebenswerte Nachbarin, die wenige Tage zuvor eingezogen war. Eine Witwe. Kinderlos. Die ein neues Leben begann. Und jetzt? Jetzt war ich eine verknitterte, verdreckte junge Frau, die nichts besaß als das, was sie am Körper trug.

Bevor ich einen Plan schmieden konnte, wie ich nun weiter verfahren wollte, brauchte ich zunächst einmal saubere Hände. Ob sich meine Magie von dem Kot an meiner Hand einschüchtern ließ und sich deswegen nicht entfalten wollte? Dieser Umstand war nämlich eine Premiere. Selbst als ich in den Windeln gelegen und nur vor mich hin gebrabbelt hatte, war ich in der Lage gewesen zu hexen. Meinen Schnuller zurück in meinen Mund zum Beispiel, wenn er aus meinem Bettchen gefallen war. Das hatte mir meine Nanny zumindest immer erzählt.

Ich schüttelte den Kopf. Was denkst du dir denn da nur, Simona? Ich war müde und ausgelaugt und nicht ganz klar bei Verstand.

In der Dunkelheit vor mir erstrahlte plötzlich ein viereckiger Lichtkegel auf das Kopfsteinpflaster der Straße. Hoffnungsvoll ging ich der Lichtquelle entgegen. Es würde sicherlich nicht das Four Seasons sein, aber in meiner momentanen Situation konnte ich mich auch mit Einrichtungen für gewöhnliche Menschen anfreunden. In der Not schlug man Gelegenheiten nicht aus. Und dies war ja unbestritten ein Notfall.

Süßer Vanilleduft stieg mir in die Nase, bevor ich überhaupt die Tür geöffnet hatte. Bill’s hieß der kleine Laden mit großzügiger Fensterfront und bei näherer Betrachtung entpuppte es sich als Restaurant. Eine Theke, hinter der die Durchreiche zur Ausgabe der Speisen war. Mehrere Tische, gruppiert in Viererplätzen. An der holzvertäfelten Wand hingen Bilder von Menschen, die mir nichts sagten. Es war niemand zu sehen, trotzdem probierte ich mein Glück und trat durch die Tür.

»Wiiiehaaa«, ertönte es schrill und ich zuckte erschrocken zusammen. Bei allen verwünschten Monden! War es den texanischen Mitbürgern nicht möglich, sich weniger auffällig zu verhalten? Reichten diese albernen Lederstiefel, Cowboyhüte und die obligatorische Waffe, die sie im Bund ihrer verschmutzten Jeans verstauten, nicht aus?

»Howdy«, ertönte es rau und ich erschrak erneut. »Oho. Immer langsam, junges Fohlen. Oder sind Sie auf der Flucht?«

Mein Blick schweifte zu einem weißhaarigen Kerl, der stilecht gekleidet in einem karierten Flanellhemd, das er sich in seine Wrangler gestopft hatte, mit einem Cowboyhut auf dem Kopf und einem Zahnstocher im Mundwinkel, grinste. Wo war ich denn hier gelandet? Wie hatte dieser Ort nur auf meine Liste geraten können? Wegen des immens hohen Anteils an Menschen, beantwortete ich mir still meine Frage und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.

Small-Talk lag grundsätzlich unter meinem Niveau, besonders wenn es sich bei meinen Gesprächspartnern um Menschen handelte. »Entschuldigen Sie, Sir. Mein Wagen ist liegengeblieben und ich bin seit Stunden unterwegs, um Hilfe zu finden.«

»Yay, so sehen Sie auch aus. Hinten rechts geht’s zu den Waschräumen. Ich schenk Ihnen solange einen Becher Kaffee ein.«

»Danke. Das ist sehr freundlich.« Ich nickte knapp und eilte durchs Restaurant. Im Waschraum lehnte ich mich zunächst einige Sekunden gegen die Tür. Zum Glück lag uns Nachtschwärmern das Lügen im Blut. Nur aus diesem Grund waren die verlogenen Worte eben so leicht und glaubhaft meinen Lippen entflohen. Ich hasste Lügen.

Tief durchatmend trat ich ans Waschbecken. Insgesamt gab es zwei davon, sowie zwei Toilettenkabinen. Alles einfach und schlicht gehalten, aber sauber. Darauf kam es in erster Linie an. Ich war vielleicht in einem palastähnlichen Zuhause großgeworden, verkannte aber auch hier nicht Notsituationen und was sie bedurften.

»Oh! Oooh!«, jammerte ich beim Blick in den Spiegel. Das sah ja schlimmer aus als angenommen. Dicke trockene Streifen prangten auf meiner Stirn. Kleine dunkelbraune Brocken klebten im Ansatz meiner perfekt in Mahagoni gefärbten Haare. Mein sonst makelloses Make-up lag in schwarzen und blauen Schlieren auf meinen Wangen.

Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so derangiert ausgesehen zu haben. Meine Eltern würden sich für mich bis in Grund und Boden schämen und meine Freundinnen angeekelt Abstand halten.

Mit spitzen Fingern drehte ich den Wasserhahn auf und drückte mir Unmenge Seife aus dem Spender. Zuerst wusch ich mir die Hände, dann mein komplettes Gesicht und trocknete mich zuletzt mit Papiertüchern ab. Danach rückte ich meine Hochsteckfrisur zurecht – ein streng nach hinten gekämmter Dutt, der mir Klasse verlieh. Und den Fokus auf mein Gesicht lenkte. Die scharfen Wangenknochen, die anmutenden Lippen, den perfekten Teint, für den ich täglich Infrarot-Sitzungen machte. Gerade sah er leider nur fahl und irgendwie kränklich aus. Das vermochten selbst meine blauen Augen, die ob der Strapazen wie Topase funkelten, nicht zu ändern.

Ich straffte die Schultern und verließ den Waschraum mit hoch erhobenem Kopf. Eine Haltung, die mir von klein auf antrainiert worden war. Eine DeDay ging niemals mit gesenktem Kopf durch die Welt. Eine DeDay trug die Welt auf den Schultern und jedermann sah von dort aus zu ihr oder ihm auf!

Würziger Kaffeeduft stieg mir in die Nase und ich schlug dankbar die Hände gegen meine Brust. »Das kommt genau richtig. Leider hab ich meine Tasche im Auto gelassen. Ich hatte ja keine Ahnung, wie weit ich laufen muss.«

»Yay. Das hat schon manche überrascht. Der geht aufs Haus. Kaffee ist grundsätzlich im Bill’s gratis. Ich bin übrigens Bill, Abkürzung von William.«

Ich setzte mich an die Theke, hinter der der Cowboy stand und Kaffee in einen großen Becher goss. »Julie O’Neill. Sehr erfreut Sie kennenzulernen.« Wir schüttelten die Hände. »Dann bin ich nicht die Erste, die hier gestrandet ist?«, fragte ich und nippte an der heißen Köstlichkeit.

»Nay. Unser beschauliches Örtchen liegt durch den Wald und die Berge ziemlich versteckt. Da wir keine Attraktion vorzuweisen haben, stehen Ausflüge hierher eher selten an.«

Ich nickte. Das wunderte mich nicht. Verschlafenes Städtchen passte perfekt als Bezeichnung für Blissful Creek. Die Glückseligkeit des Ortes lag im unaufgeregten vor sich hin Dümpeln seiner Einwohner. »Danke. Der tut gut.«

»Ist der beste in der Stadt.«

»Wiiiehaaa«, ertönte es in meinem Rücken und ich zuckte erneut zusammen. Bei allen Monden. Diese Türklingel!

Ein kühler Windzug streifte über meine nackten Beine und ich fröstelte, trotz der warmen Temperaturen, die der Sommer mit sich brachte. Ich war geschafft und müde. Für gewöhnlich achtete ich sehr penibel auf meine Ruhezeiten. Bekam ich nicht genug Schlaf, erfolgte die Quittung in Form von Krähenfüßen und Augenringen. Und da brachte es auch nichts, dass wir Hexen um einiges langsamer alterten, wie es die Menschen taten, wenn auch nicht so langsam wie die Vampire.

»Howdy«, ertönte es sanft hinter mir und mein Blick fiel auf eine junge Frau mit langen, glatten blonden Haaren, die ihr bis zu den Hüften reichten. Sie besaß eine Haut wie frisch gepflückter Pfirsich und strahlend grüne Augen.

Unvermittelt streckte ich den Rücken ein Stückchen weiter durch. Konkurrenz, waberte es durch meine Gedanken, was mich unglaublich störte, ja regelrecht anwiderte. Ich stand mit Menschen nicht in Konkurrenz. Niemals. Ich war eine Hexe! Und eine DeDay! Aber in dieser Situation, mit vollgekoteten Pumps, lädiertem achthundert Dollar Kostüm und fehlender Hexkraft, fiel es mir schwer, darüber hinwegzusehen.

»Guten Morgen«, sagte ich.

»Jolene.« Sie hielt mir die Hand hin. »Lassen Sie mich raten: Sie hatten einen Unfall und brauchen Hilfe.«

Ich schüttelte ihre dargebotene Hand. »Julie. Ich könnte auch ein Urlaubsgast sein.«

Sie lachte und es hörte sich haargenau an wie von dem grauhaarigen Cowboy. Dann ging sie um den Tresen und gab eben jenem einen Kuss auf die Wange. »Morgen, Daddy.«

»Morgen, mein Schatz.«

»Sie führen das Restaurant zusammen?«

»Yay. Und wir sind ein super Team, nicht, Daddy?«

Er lächelte und der weiße Schnurrbart zog sich hoch. »Das sind wir, Pfirsichkeks.«

Pfirsichkeks? Du liebe Güte. Sie gaben sich hier also Koseworte. Eine Unart, die es auch unter meinesgleichen gab. Aber nie in meiner Familie. Nie. Dafür besaßen die DeDays zu viel Klasse.

»Hat er wieder behauptet, wir haben den besten Kaffee in Bliss?«

»Ja.«

Sie klopfte ihrem Vater liebevoll auf den Bauch und löste sich aus seiner Umarmung. »Wir sind das einzige Restaurant in der Stadt.«

Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. »Ach so.«

Sie legte ihre Tasche unter die Theke und deutete auf mich. »Was ist denn passiert?«

»Mein Wagen ging plötzlich aus. Ich konnte noch an die Seite fahren, versuchte ihn einige Male zu starten, aber er gab keinen Ton mehr ab. Eine Weile wartete ich im Auto, ob vielleicht jemand vorbeikommt … na ja. Irgendwann habe ich es dann aufgegeben und bin losgelaufen.«

»Hast du kein Mobiltelefon?«

»Durchaus habe ich eins. Nur der Akku ist leer.« Bedauernd senkte ich die Schultern und verzog das Gesicht. »Momentan geht in meinem Leben alles schief.«

»Das ist perfekt!«, sagte Jolene und klatschte in die Hände.

Ich hob erstaunt den Kopf. War meine Farce nicht gut genug gewesen? Ging mir das Schauspieltalent nun auch noch flöten?

»Yay. Sieh es als Zeichen, in unserem wunderschönen Ort gelandet zu sein. Wir haben schon einige traurige Seelen gerettet.«

»Sehen Sie meiner Tochter ihren Enthusiasmus nach. Sie hätte sich besser als Krankenschwester oder Seelsorgerin gemacht, ihre soziale Ader ist sehr ausgeprägt. Sobald irgendeiner, sei es Mensch oder Tier, Hilfe braucht, ist sie zur Stelle.«

»Daran ist nichts verwerflich, Daddy!« Sie bedachte ihn mit einem tadelnden Blick und unwillkürlich fragte ich mich, ob es denn auch eine Mrs Bill gab.

»Nay. Und jetzt wirf endlich den Herd an. Unsere ersten Gäste kommen bald. Wenn Travis seine Baked Beans nicht bekommt, ist sein Tag gelaufen.«

Jolene rollte mit den Augen, zwinkerte mir zu und verschwand hinter der Schwingtür.

»So. Und nun zu Ihnen. Wissen Sie, wo Ihr Auto ungefähr stehengeblieben ist?«

Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Es war alles dunkel. Berge und Wälder.«

»Wie lange sind Sie denn gelaufen?«

»Ein paar Stunden? Es kam mir vor wie eine Ewigkeit.«

Er nickte. »Kommen Sie.«

Schnell trank ich den Kaffee aus. Mist. Jetzt würden wir den Wagen suchen gehen und ich würde auffliegen. Ich brauchte dringend meine Magie zurück! Dann könnte ich Bill mit einem Vergessenheitszauber belegen. Und Jolene. Mit flauem Gefühl stellte ich den Becher ab und folgte ihm aus dem Restaurant hinaus. »Purgare«, flüsterte ich.

»Bitte?« Fragend schaute Bill über seine Schulter zu mir.

»Nichts. Ich – nichts.« Ich schüttelte den Kopf. Absolut nichts! Das machte mich wahnsinnig.

Wir überquerten den Platz und strebten ein Haus am Ende der Straße an. Dean’s Garage. Eine Autowerkstatt! Der Cowboy öffnete die Tür – eine unverschlossene Tür! –, schaltete das Licht ein und rief: »Dean. Bist du wach?«

Ich blieb auf der Veranda stehen, Bill im Türrahmen. Etwas klapperte oben und im nächsten Moment polterten laute Schritte auf der hellbraunen Holztreppe. Nackte Füße gerieten in mein Blickfeld. Nackte, behaarte Beine. Der Saum eines schwarzen Badetuchs, das tief, sehr tief, um braun gebrannte Hüften geschlungen war. Gefolgt von einem flachen Bauch, an dem sich eine dunkle Linie Haare bis rauf zum Nabel schlängelte und den Weg zu einem breiten und durchaus gut trainierten, unbehaarten Oberkörper ebnete.

Ich schluckte. Schwer. Auch wenn mein Herz einem anderen gehörte: Das Betrachten eines attraktiven Körpers war nicht verboten. Man sollte dem Schönen Aufmerksamkeit schenken. Immer. Das hatte dieser verdient! So ein Körper kam nämlich nicht von ungefähr.

»Ein Notfall?«, dröhnte es dunkel und unterbrach meine Gedanken und meinen Blick von den starken, sehnigen Armen. Ich sah auf, direkt in ein markantes Gesicht mit gleichmäßigen, vollen Lippen, eingerahmt von dunklen Bartstoppeln und grauen Augen, die kurz Blau aufblitzten.

Erschrocken quietschte ich auf. Ein Gestaltwandler! O Himmel. Ih! Oh! Ih! Oh! Ah! Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich von meinen lechzenden Gedanken angewidert war oder vor Überraschung und Ekel geschockt.

»Alles in Ordnung, Lady?«, fragte er, überbrückte die letzten paar Stufen, blieb vor uns stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Aus seinen tiefschwarzen Haaren, die sich feucht um seine Ohren lockten, perlten Wassertropfen und fielen auf seine breiten Schultern.

»Ich, ich«, stotterte ich, da kam Bill mir zur Hilfe.

»Ich erschrecke mich auch immer aufs Neue, wenn ich Dean halbnackt sehen muss.«

Mr Dean lachte und mir entfleuchte ebenso ein Lachen, wenn auch irgendwie erstickt und mehr hüstelnd. Aber immerhin. Nur nicht die Fassung verlieren. Nervös wischte ich meine feucht gewordenen Handflächen an meinem verknitterten Rock ab.

»Mrs O’Neills Auto ist stehengeblieben.«

»Alles klar. Ich zieh mir schnell was über, dann können wir los.«

»Yay. Ich mach euch solange Frühstück.«

Der Gestaltwandler nickte und trabte wieder die Stufen hoch.

»Mrs O’Neill. Bei Dean sind Sie in guten Händen. Er ist der beste Mechaniker in der Stadt.«

»Lassen Sie mich raten – er ist der einzige?«, antwortete ich spröde.

Bill tippte sich lächelnd an seinen Hut. »Die ersten Gäste kommen gleich und meine Bedienung ist momentan im Urlaub. Ich muss los.«

Leicht panisch sah ich ihm auf seinem Weg zurück ins Bill’s nach. Bleib ruhig, Simona, und denk nach! Meine Magie war weg. Das war schlecht. Äußerst schlecht. Fast so schlecht, als kein Auto zu haben, das wir gleich suchen, aber nie finden würden.

Zum Glück lag über mir der Verschleierungszauber, der mich vor anderen Nachtschwärmern versteckte. Ich hatte ihn erst erneuert, kurz bevor ich nach Blissful Creek aufgebrochen war und er hielt noch eine gute Woche. So lange der Kerl also nicht wusste, wen er vor sich hatte, würde er es mir vielleicht glauben, dass mein Auto verschwunden war. Vielleicht gestohlen. Oder noch besser: Ich wusste einfach nicht mehr, wo ich es abgestellt hatte …

Und bis meine Tarnung auffliegen konnte, war ich schon längst über alle Berge und dieser Gestaltwandler hätte keine Ahnung davon, dass ich eine Hexe war. Auf der Flucht. Ohne Magie. Hier würde ich unter diesen Umständen nämlich ganz sicher nicht bleiben. Vielleicht hatte ich in der nächsten Stadt mehr Glück und meine überlebenswichtige Hexkraft kehrte zurück.

Zwei

Dean

Ich war mir nicht ganz sicher, weswegen diese High-Society-Lady überrascht aufgequiekt hatte, als sie in mir einen Gestaltwandler erkannte. Aber ich vermutete stark, dass sie, wie viele andere Nachtschwärmer, meine Art als nieder betrachtete. Nicht den mächtigen Hexen ebenbürtig. Noch einer anderen Art. Was ich wohl nie verstehen würde.

Seine Gestalt in jegliche andere Lebewesen zu verändern, war in meinen Augen ein Können, auf das man verdammt stolz sein dufte. Und dieses Können schafften noch nicht mal Hexen, die sich aufgrund ihrer magischen Fähigkeiten gerne für das Gelbe vom Ei hielten.

Aber was interessierte mich das schon? Ich lebte nicht umsonst in Bliss. Hier tickte die Zeit anders und das ganze Nachtschwärmerleben zog an mir vorbei, ohne dass es mich tangierte. Ich wollte einfach nur meine Ruhe, auch wenn durch den neuen Rat nun vieles besser und das Leben an sich flexibler geworden war.

Ich warf mich in meine ausgewaschene Wrangler, nahm blind ein Shirt und ein Flanellhemd aus dem Schrank, stieg in meine Cowboystiefel und donnerte runter zu Julie O’Neill. Sie war ganz schön durch den Wind. Einer Hexe merkte man ihre Gefühlsregung gewöhnlich nicht an, doch diese Lady schien genauso mitgenommen zu sein wie ihr teuer aussehendes Kostüm.

»Brauchen Sie vorher noch etwas in den Magen, Ma’am? Sie sehen aus, als würden Sie gleich umkippen«, sagte ich, schnappte mir meinen Cowboyhut und die Schlüssel vom Haken.

Sie hob den Kopf und ihre scharf gezeichnete Nase reckte sich weiter gen Himmel. »Nein, danke. Es war eine kurze und kapriziöse Nacht. Ich möchte nur mein Auto wieder und so bald wie möglich weiterfahren.«

Yay. Diese Lady hatte definitiv etwas gegen Gestaltwandler. »Von mir aus. Beklagen Sie sich aber nicht, wenn Ihnen die Fahrt nicht bekommt.«

»Die Fahrt? Bedeutet das, Sie fahren wie ein rücksichtsloser Halunke?«

Ich lachte laut auf. Rücksichtsloser Halunke? »Jetzt machen Sie sich mal nicht in Ihr Seidenhöschen, Lady. Ich werde Sie sicher zu Ihrem Auto geleiten. Texanisches Ehrenwort.«

Empört verschränkte sie die Arme unter der Brust. »Was für Höschen ich trage, geht Sie überhaupt nichts an.«

»Nay. Aber vorstellen darf ich es mir doch wohl.« Ich zwinkerte ihr beim Vorübergehen zu und trabte zum Truck. Mrs O’Neill schnaubte auf, folgte mir aber nicht.

»Was ist los, Lady? Wollen Sie nun zu Ihrem Auto oder nicht?«

»Natürlich will ich das. Ich möchte Sie jedoch bitten Ihre anzüglichen Bemerkungen im Zaun zu halten.«

»Ungewohntes Spielfeld?«

»Spielfeld?«

»Wird in der High Society nicht geflirtet?« Ich hielt ihr die Tür auf und sie stieg ein, ohne mich anzusehen.

»Das war keine Flirterei. Das war Provokation.«

Ich beugte mich zu ihr hinab. »Lady. In meinen Kreisen nennt man das Vorspiel.«

Ihre eisblauen Augen weiteten sich und ein Gefühl der Selbstzufriedenheit schnurrte durch meinen Körper. Yeah. Ich ließ mich nicht gerne vorführen, nur weil ich anderer Art war. Schon gar nicht, wenn man mich noch nicht mal kannte. Genervt warf ich die Tür zu und drückte mich hinters Steuer. Demonstrativ starrte sie zum Seitenfenster hinaus, während ich das Radio einschaltete. Tammy Wynette schmetterte voller Herzblut ihren bekanntesten Song Stand by your Man raus und ich erhöhte die Lautstärke. Summend startete ich den Wagen und trommelte mit den Fingern gegen das Lenkrad. Toller Song!

Mrs O’Neill rieb sich die Stirn. »Ist das die Hymne für waschechte Cowboys?«

»Nay. Kein Cowboy muss seine Frau überzeugen, dass sie bei ihm bleibt.«

»Tss«, zischte sie abfällig.

»Glauben Sie das nicht?«

»Näääiii«, imitierte sie mich übertrieben, was mich auflachen ließ. Sieh mal einer an – so verstockt war die Lady ja gar nicht.

»Sie müssen vorsichtig sein. Bei uns gilt es als gesellschaftlicher Tod, wenn Sie sich über Country Musik lustig machen. Das verzeiht Ihnen kein texanischer Mitbürger.«

»Sie meinen, genauso wenig wie ich es Ihnen verzeihen würde, dieser Musik ausgesetzt zu sein?«

»Vermutlich.« Ich grinste. »Wobei ich nicht ganz verstehe, was man an dieser Stilrichtung auszusetzen hat. Es gibt keine ehrlichere und lebensnahere Musik als der Country.«

»Bei allen Monden!«, sagte sie und sah mich nun erstaunt an. »Ich hätte Sie wirklich nicht für so einen Weichspüler gehalten. Das erklärt natürlich einiges.«

»Weichspüler? So bin ich auch noch nie genannt worden. Tatsächlich werde ich gerade wegen meiner Härte gelobt.«

Ihre Augen weiteten sich erneut und ich lenkte meine Konzentration zurück auf die Fahrbahn. Schade eigentlich, dass die Lady schon wieder abhauen wollte. Gegen ein bisschen Spaß hätte ich nichts einzuwenden gehabt.

»Sie haben mich gar nicht gefragt, in welche Richtung wir müssen«, sagte sie, nachdem wir das Wohngebiet durchfahren hatten.

»Das ist auch nicht nötig. Wenn Sie nicht zu Fuß angekommen sind, dann gibt es nur diese eine Straße in unseren wunderschönen Ort. Ansonsten können Sie noch durch den Wald oder rückseitig über die Berge klettern.«

»Oh. Dann hatte ich sowieso keine Chance, irgendwo anders anzukommen als hier.«

»So sieht’s aus.«

»Wie weit ist die nächste Stadt denn entfernt?«

»Mit dem Auto? Eine Dreiviertelstunde, wenn Sie angepasst fahren. Mit dem Bus brauchen Sie eine Stunde.«

»Finden Sie das nicht furchtbar?«

»Was meinen Sie?«

»So abgeschieden zu leben? Blissful Creek scheint mir nicht der metropolistischste Ort zu sein.«

»Metropolitistisch …« Ich schüttelte den Kopf. Gab es dieses Wort überhaupt?

»Es würde den Leuten im Allgemeinen nicht schaden, wenn sie sich förmlicher ausdrücken würden. Klasse vermag allein durch sein Niveau ein lebenswerteres Klima zu bewirken.« Sie strich sich über ihren altbackenen Dutt. »Die Welt wäre wahrlich ein besserer Ort.«

»Das glauben Sie wirklich, yay?«

Sie verzog pikiert die Lippen. »Natürlich.«

Ich seufzte. »Verstehen Sie mich nicht falsch, aber meiner Meinung nach wäre die Welt ein ziemlich trauriger Anblick, wenn wir alle einen Stock im Arsch hätten.«

»Ich trage keinen Stock im … im …«

»Arsch?!«

»In meinem Hinterteil!«, antwortete sie gefasst und reckte wieder ihren Kopf hoch.

Ehe ich kontern konnte, knallte mein Wagen gegen etwas und blieb regungslos stehen. Mrs O’Neill quiekte erschreckt auf.

»Was zur Hölle?« Ich stieg aus dem Wagen und besah mir die Vorderseite des Trucks. Nichts. Kein Blut, kein Tier. Kein Gegenstand. Mein Blick schweifte umher, aber da war nichts. Die Straße war frei. Die Sonne ging allmählich auf, trotzdem schnappte ich mir meine Taschenlampe und legte mich auf den Boden, um unterm Auto nachzusehen.

Nichts.

»Haben Sie etwas angefahren?«, ertönte es plötzlich neben mir und dreckverkrustete Schuhe gerieten in mein Blickfeld. Wow. Der Gestank war ja übel. Da hatte die Lady es wortwörtlich scheiße erwischt und jetzt war mir klar, woher der komische Geruch in meinem Truck kam.

Ich stemmte mich hoch und schüttelte den Kopf. »Ich schau mir mal den Motor an. Vielleicht hat sich ein Nager an den Kabeln zu schaffen gemacht.«

Nachdem ich sie umrundet hatte, öffnete ich die Motorhaube, doch wie erwartet, war alles in Ordnung. Es hätte auch nicht zu dem Aufprall gepasst. Es war, als wäre ich mit dem Wagen gegen etwas geknallt. Mit der Hand fuhr ich durch die Luft, durch den leichten Nebel, der bedingt durch die Wärme und den Regen den Asphalt hinauf waberte. Da war nichts.

Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich auf etwas Magisches getippt, aber das war nicht möglich. Wir befanden uns noch direkt vor dem Ortsschild von Blissful Creek. Keine zwei Fuß entfernt, bevor wir über der Grenze der Stadt waren.

»Ich versuche den Wagen zu starten. Ich kann es mir nicht erklären.«

»Okay. Ich warte hier.« Mrs O’Neill trat einen Schritt zur Seite und ich stieg in den Truck. Ohne mich anzuschnallen, drehte ich den Zündschlüssel und der Wagen schnurrte ohne Zicken los. Ich fuhr ein Stück und alles lief und hörte sich so an, wie es sein sollte. Was auch immer eben passiert war, jetzt war es verschwunden.

»Kommen Sie. Weiter geht’s.«

Im Außenspiegel verfolgte ich, wie die Hexe um den Wagen lief. Ich schnallte mich an, da hörte ich einen Schlag. »Autsch. Himmel, Mond und Sterne!«

In Sekundenschnelle war ich wieder aus dem Truck. »Was ist passiert?«, fragte ich und half der Lady auf die Beine, die sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hintern rieb. »Ich hab keine Ahnung. Ich war im Begriff, in Ihren Wagen einzusteigen, da knallte ich gegen etwas und es riss mich von den Beinen.«

Überrascht streckte ich den Arm aus und wedelte damit umher. Kein Widerstand. Nur Nebel. Luft. Pures Nichts. »Das ist verdammt merkwürdig, Lady.«

»Ich verstehe es auch nicht«, flüsterte sie und sah so bedrückt aus, wie ihre Stimme klang.

»Na gut.« Ich öffnete die Wagentür. »Steigen Sie ein.«

Sie atmete tief durch, machte einen Schritt nach vorn und wurde erneut von den Füßen gerissen. Unsanft landete sie auf ihrem Hintern.

»Dang! Lady! Was geht hier vor sich?« Ich half ihr wieder auf.

Ihre Hände zitterten, obgleich sie sich fest an mich krallte. Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Ich bin genauso ratlos wie Sie.«

»Wir probieren es gemeinsam, yay?«

»Okay.«

»Gut.« Ich schritt langsam rückwärts, bis ich an den Rand der offenstehenden Tür kam. Etwas ruckte und ich musste all meine Kraft bündeln, damit Mrs O’Neill nicht wieder auf ihren Allerwertesten fiel. Sie streckte ihre andere Hand aus, die umgehend weggestoßen wurde. Dann hob sie das Bein, um vorwärtszugehen, doch auch da bot sich das gleiche Bild.

Mit einer unheimlichen Kraft verhinderte irgendetwas Unsichtbares sie durchzulassen.

Panisch ließ sie mich los und schlug sich die Hände vor den Mund. »Ich komm nicht durch«, nuschelte sie dahinter hervor. »Ich komme nicht durch.«

»Das ist unmöglich. In Blissful Creek herrscht keine Magie«, erwiderte ich genauso irritiert.

»Magie?«, stieß sie schrill aus. »Wie kommen Sie denn auf diesen Humbug?«

»Äh? Wollen Sie mich verarschen?«

»Sehe ich etwa so aus?«

»Ich weiß nicht. Was ich aber weiß, ist, dass das alles sehr strange ist und ich mich frage, ob das alles vielleicht Ihr Werk ist und Sie sich einen Scherz mit mir erlauben.«

Mrs O’Neill starrte mich regungslos an und meine Irritation wich einem genervten Grummeln in meinem Bauch, als sie wenige Sekunden später immer noch nicht antwortete.

»Hören Sie, Lady. Ich hab heute noch einiges zu tun und keine Zeit für Spielereien. Lassen Sie den Quatsch und steigen Sie jetzt ein, damit wir Ihren Wagen abschleppen können.«

»Ich komm da aber nicht rein«, zischte sie nun und verschränkte die Arme unter der Brust. »Sind Sie eigentlich schwer von Begriff?«

Das Grummeln in meinem Bauch entfachte sich zu einem Feuer. Es war eine Sache, Neckereien zu betreiben, eine andere jedoch, mich persönlich anzugreifen. Ich hatte genug von dieser Show und musste mich sicher nicht von einer Hexe vorführen lassen, nur weil ich einer Art angehörte, die ihr nicht in den Kram passte.

Kommentarlos stob ich an ihr vorbei und drückte mich hinters Lenkrad. »Bringen Sie Ihren hochnäsigen Arsch zu Bill. Ich komm dorthin, wenn ich Ihren Wagen abgeschleppt hab, und weiß, was das Problem ist.«

»Aber –«, sagte sie und sah mich plötzlich entsetzt an, doch ich rammte den Gang rein und raste davon, ehe sie etwas erwidern konnte. Im Rückspiegel beobachtete ich, wie sie die Arme fallen ließ und mir mit offenem Mund nachstarrte.

Yay, Lady … Für dieses Schauspiel würde ich einen Aufschlag kassieren, der sich gewaschen hatte. Mal sehen, ob Mrs Stock-im-Arsch es dann immer noch so lustig fand, mir auf den Wecker zu gehen.

Drei

Simona

Fassungslos starrte ich dem Truck nach, der in rasender Geschwindigkeit davon bretterte. »Oooh«, jammerte ich still vor mich hin und hielt mir den Magen. Was für ein Desaster! Was sollte ich denn jetzt nur tun? Es war doch nicht möglich, dass mich dieser Ort gefangen hielt. Davon hatte ich noch nie gehört.

Ob der Gestaltwandler dahintersteckte? Aber wann hätte er das tun sollen? Außerdem war er ja nur das – ein Gestaltwandler. Diese Kraft, die in der unsichtbaren Wand steckte, war mächtig. Richtig mächtig.

Zaghaft streckte ich den Arm aus und tappte mit den Fingerspitzen gegen die Barriere, die so hart und undurchdringlich war wie eine Wand aus Beton. Langsam strich ich an ihr entlang, während ich weiter nach rechts lief. Weg von der Straße, rein in den Wald. Immer weiter hinein, über moosbedeckte Stämme, vorbei an riesigen Eichen, über knackende Äste, über die ich mehr als einmal stolperte, Laub und Wildblumen. Aber es gab kein Durchkommen. Keine Tür, kein Loch, keine freie Stelle, nichts.

»Das ist doch wirklich albern«, rief ich entrüstet und stampfte mit dem Fuß auf. Niemand hielt eine DeDay ohne ihre Zustimmung an einem Ort fest! Schon gar nicht solche Hinterwäldler wie die in Blissful Creek!

Das ist unmöglich. In Blissful Creek herrscht keine Magie, kamen mir die Worte des Mechanikers in den Kopf.

Was hatte das zu bedeuten? Magie war allgegenwärtig. Es gab keinen Break im Universum – zumindest hatte ich noch nie etwas davon gehört und in Geschichte kannte ich mich hervorragend aus. Immerhin hatte ich Geschichte studiert. Damals, am College. Gemeinsam mit ihm – Morgan O’Malley.

Wärme flutete in meine Wangen. Eine Gefühlsregung, die mir als DeDay nicht zustand. Ich war strikt dazu erzogen worden, alles Persönliche in mir verschlossen zu halten. Zum einen, weil es zum Grundwesen einer Hexe gehörte, und zum anderen, weil meine Großeltern, Georgia und Tal, einst dem Nachtschwärmerrat angehört hatten. Jeder hatte zu ihnen aufgesehen. Die DeDays waren die Creme de la Creme und es gehörte sich nicht, sich angreifbar zu machen, indem man seinen Gefühlsregungen erlag.

Was mir, sobald Morgan in meiner Nähe auftauchte, immer schwerer von der Hand gegangen war, bis ich es schließlich bei den letzten Aufeinandertreffen überhaupt nicht mehr unter Kontrolle gehabt hatte. Bilder des legendären Abendessens, an dem die Geschichte um den Bindungszauber aufgeklärt worden war, fluteten mich. Ich trug die Schuld am Lüften des Geheimnisses.

Ich. Und meine Gefühle für Morgan O’Malley, dem smartesten, höflichsten und niveauvollsten Mann, den ich je kennengelernt hatte. Keiner konnte ihm das Wasser reichen. Er war einfach perfekt. Von seinen wundervollen dunklen Haaren, die er immer ordentlich gescheitelt trug, bis zu seinen Lederslippern. An Morgan O’Malley stimmte einfach alles!

Alles bis auf den Umstand, dass er mit ihr verlobt war – Eliza Lake.

Schmerz durchzuckte mein Herz. Wie sich so ein gebildeter Mann in so eine Frau verlieben konnte, würde ich nie verstehen. Was sah er nur in ihr? Sie besaß keine Klasse, keinen Anstand und vor allem keinen Geschmack in Kleiderfragen. Diese Frau war ein wandelndes, lautes, versoffenes Chaos in Turnschuhen mit einem völlig unrespektablen Job.

Eigentlich war sie das weibliche Pendant zu diesem Halunken Dean. Obgleich ich nicht wusste, ob dieser Kerl versoffen war. Allerdings war er ein Cowboy und Bier vermutlich sein zweiter Vorname.

Ich strich mir über mein Kostüm und stakste zurück auf die Straße, um zu Bill zu laufen. Es brachte nichts, weiter hier draußen auf eine Lösung zu hoffen. Vielleicht war die Sperre nur temporär und ich versuchte mein Glück besser gegen Mittag noch mal. Immerhin war ich problemlos in Blissful Creek reingekommen, da musste ich doch auch genauso mühelos wieder rauskommen.

Ob meine Magie daran Schuld trug? Immerhin gab es nicht viele Hexen, die sich von Ort zu Ort teleportieren konnten. Das bedurfte eines großen Energie- und Kraftaufwands. Womöglich hatte ich in dieser Einöde etwas aus dem Gleichgewicht gebracht mit meinem Erscheinen. Blissful Creeks beste Eigenschaft lag ja darin, die geringste Einwohnerzahl an magischen Mitbürgern zu haben.

In den kompletten Staaten gab es nur zwei weitere Orte, die eine ebenso geringe Dichte aufwiesen. Beide standen auf meiner Liste der Städte, in denen ich zukünftig wohnen wollte, aber nach dieser Erfahrung sollte ich das überdenken.

»Mundus«, flüsterte ich und zeigte auf mein ramponiertes Kostüm. Nichts geschah. Nun gut. Eine DeDay gab sich nicht geschlagen. Egal wie prekär die Situation erscheinen mochte. Bevor ich in ein paar Stunden mein Glück erneut versuchen wollte, musste ich mir erst mal eine gute Geschichte zurechtlegen, um zu begründen, weswegen kein Auto aufzufinden war. Diebstahl erschien mir am plausibelsten. Ein … Porsche war auffällig und leichtes Diebesgut. Oder nein. Besser! Ein Maybach. Genau. Nur das Beste vom Besten.