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Hadmar von Wieser

Der
Dämonenmeister

Das Leben des Raidri Conchobair
2. Teil

Ein Das Schwarze Auge-Roman

Impressum

Ulisses Spiele
Band 38

Titelbild: Helge Balzer
Umschlaggestaltung: Nadine Schäkel
Überarbeitung und Lektorat: Frauke Forster
Layout: Michael Mingers

Copyright ©2018 by Ulisses Spiele GmbH, Waldems.
DAS SCHWARZE AUGE, AVENTURIEN und DERE sind eingetragene Marken. Alle Rechte von Ulisses Spiele GmbH vorbehalten.

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ISBN-Print: 9783963310669
ISBN-Ebook: 9783963310652

Einleitung

Aventurien heißt die fantastische Spielewelt voll kühner Abenteuer, Magie und farbiger Exotik, erschaffen von einem Spezialistenteam und ausgebaut von Tausenden begeisterter Spieler. Es ist der Schauplatz des heute größten deutschen Fantasy-Rollenspiels Das Schwarze Auge. Die Romane der gleichnamigen Serie lassen uns diese Welt noch viel unmittelbarer und plastischer erleben.

Raidri Conchobair, der vollendete Meister der Schwertkunst und einer der größten lebenden Helden Aventuriens, kämpft gegen Borbarad und seine Dämonenhorden.

Die offizielle Autobiographie des berühmten ­Schwertkämpfers schildert seine aufregendsten Abenteuer: die Irrfahrten der Seeadler von Beilunk, die jahrelange Suche nach der Zitadelle der Dämonen, die Gewinnung des Schwertes Siebenstreich und die Entscheidungsschlacht gegen Borbarad.

Widmung

Für meine Mutter Britta,
die mir gezeigt hat,
dass alles zwei Seiten braucht,
um wahr und vollständig zu sein.

3 Hal: Der Nachtdämon

»Also, Schwertkönig, dann wollen wir sehen, ob Ihr wirklich so gut seid, wie die Barden sagen.« Ihre Stimme war ohne Spott. Doch ihr Hieb galt meinem Kopf. Ich wich aus, aber auch der Nachschlag verriet zwanzig Jahre Erfahrung. Als der folgende Stoß mein Herz treffen sollte, schlug ich ihn mit Antworter beiseite. Ich erwiderte mit einem darpatischen Haken. Eine Finte gegen ihr Bein schaffte mir ein wenig Raum. Ich liebte jeden Augenblick dieses Kampfes. Ich war gewiss der bessere Kämpfer und führte eines meiner berühmten Schwerter aus unzerstörbarem Endurium. Aber das half mir wenig, denn ich durfte ihr nicht einen Kratzer zufügen. Diesen Zweikampf musste mein Verstand gewinnen. Während wir einander belauerten, versuchte ich mich an die ersten Eindrücke von meiner Gegnerin zu erinnern.

»Seid Ihr der, den man den Schwertkönig nennt?«, hatte sie in der Beilunker Hafentaverne mit samtiger Stimme gefragt. Sie hatte geheimnisvoll warme, braune Augen, die gar nicht zu dem zurückgebundenen Haar und der herben Kriegermiene passten.

»Ja, der bin ich«, sagte ich lächelnd. Ein anderer Mann hätte vielleicht gesagt: So nennen sie mich. Aber Bescheidenheit gehörte nie zu meinen Stärken. Und vor einigen Monden war Rondra selbst mir erschienen und hatte mir mein Schicksal bestimmt.

Sie setzte sich mit einem Humpen Bier zu mir. Ihre Gestalt wirkte durchaus weiblich, aber doch muskulös und breitschultrig. Wenn sie lachte, zeigten sich entzückende Grübchen in den Wangen. Wir bestellten einige Becher Trollzacker, leerten sie und knallten sie auf den Tisch. Eigentlich hatte unsere Begegnung vom ersten Augenblick an die Gnadenlosigkeit eines Kräftemessens und den Kitzel einer Jagd zugleich.

»Heilgard Weihenhorster«, nannte sie ihren Namen. Ihr Mund wirkte ungemein vielversprechend. Doch im nächsten Augenblick griff sie schon wieder herausfordernd nach einem neuen Becher Schnaps. Sie war keine Frau vieler Worte. Unser Duell bestand aus Blicken, Gesten und Handlungen. Als die Schankmaid den Braten brachte, zogen wir beide das Messer und stießen zu – gleichzeitig. Wieder trafen sich unsere Blicke. Unsere Handrücken berührten einander, dennoch wollte keiner weichen. Als die Berührung unerträglich wurde, kerbte sie mit grobem Ruck ein Stück Fleisch aus. Sie biss wie ein Wolf hinein und ließ mich dabei nicht aus den Augen.

Sie war, wie ihr Name sagte, aus einer Baronie im Greifenfurtschen. Sie hatte häufig als Eskorte gedient, vor allem für die Handelszüge des großen Stoerrebrandt. Anscheinend hatte sie viel Erfahrung im Kampf gegen Räuber und Wegelagerer. Als sich die Taverne gegen Abend mit lärmenden Seeleuten füllte, beschlossen wir, noch ein wenig zum Hafen zu gehen. Wir saßen an der Mole und blickten auf das schwarze Meer. Sie hörte aufmerksam zu, wenn ich erzählte. Doch auch ihre kurzen Sätze ließen keinen Zweifel, dass sie ein Leben voll von Abenteuern, Kampf, Liebe und Leid lebte.

»Nachtwache«, sagte sie plötzlich und erhob sich. Als wir stadteinwärts gingen, bestätigten wir einander, dass unsere Herbergen auf dem gleichen Weg lagen. Nun wieder schien ihr eine Trennung so schwerzufallen wie mir. Die Bürgerstraßen lagen nach der Nachtigallenstunde schon in friedlichem Schlummer.

Irgendwann kam natürlich der Augenblick, als wir vor dem Schlafsaal ihrer Herberge standen. Im Dunkel spielten unsere Hände ein seltsames Spiel: Ihre Finger krallten sich begehrlich in meine, aber zugleich wehrte sie damit jedes Vordringen ab. Wieder und wieder näherte sich ihr mein Gesicht. Ob ich albernische Bardenverse von mir gab oder derbe Söldnersprüche oder dabei schwieg, stets waren da ihre Zähne, die mich zugleich empfingen und abwehrten. Und ihre Worte waren scharfe Fragen, die mich verunsichern wollten.

»Ihr seid ein Eroberer«, stellte sie kühl fest, als ich wieder nach ihrem Mund gierte.

Ich sah sie durchdringend an: »Ist das nicht jeder Mann? Und jeder Krieger?«

»Manche Krieger«, sagte sie bedeutungsschwer, »erobern nicht, sondern verteidigen.«

»Und was verteidigen sie?«, fragte ich. Ich glaubte, dem Rätsel dieser Frau ganz nah zu sein.

»Manchmal einfach das, was andere erobern wollen.« Ihre Stimme klang nicht schnippisch. Das war keine Allüre eines zickigen Mädchens – aber auch kein lebenslanges Keuschheitsgelübde. Es war, was ihr Gerechtigkeitssinn ihr hier und heute als richtig erscheinen ließ. Während ich überlegte, schob sie meine Hände und mich zurück; langsam genug, dass es mir nicht als Ablehnung erschien. »Trefft mich nach dem Morgengebet am Ufer des Radrom«, sagte sie fest. »Bringt Eure Waffen mit.« Dann verschwand sie wie ein Panther in der Tür. Es wäre kein Problem gewesen, ihr in den Saal zu folgen. Doch zwischen uns stand kein Schloss, sondern eine Frage der Ehre.

Der Radrom gluckerte leise auf seinem Weg durch die Bedonblütenfelder. Hinter uns lagen die gewaltigen ­Stadtmauern Beilunks. Sie galten mit zwanzig Schritt als die höchsten Aventuriens. Aber die allerhöchsten Mauern lagen noch vor mir. Wie die legendären Prinzessinnen von Sylla würde sich diese Frau nur einem Mann ergeben, der sie bezwang – der ihrer würdig war. Inzwischen hatte ich wohl drei Dutzend Paraden geschlagen. Jeder von Heilgards Hieben war angetan, mich zu töten oder auszuschalten. Meine Hiebe dagegen mochten noch so gefährlich und unvorhersehbar wirken, ihnen fehlte das Entscheidende: der Wille zu treffen. Ich weiß nicht, ob meine stolze Gegnerin dies im Grunde spürte. Jedenfalls wehrte auch sie jeden meiner Angriffe so ab, als ginge es um ihr Leben. An diesem Zweikampf war nichts Unwahres. Ich konnte ihn nur beenden, indem ich meine Gegnerin überwand oder tötete – oder dabei selbst fiel.

Doch meine Erinnerung hatte ihre Wirkung getan. Plötzlich wusste ich, wie ich Heilgard gewinnen konnte. Stolz und Leidenschaft waren die zwei Kräfte, die sie beherrschten: wie zwei feurige Rösser, die schräg an dem Wagen zerrten, vor den sie gespannt waren, und ihn so dennoch vorantrieben. Eigentlich wollte sie mich haben und war auch bereit, sich von mir erobern zu lassen. Aber ihr Stolz verlangte, dass sie aus jedem Kampf als Sieger hervorginge. Ich jedoch war unbesiegt in etwa siebzig Zweikämpfen.

Schlagartig setzte ich meine Erkenntnis um. Ich fing ihren Angriff mit einer gezirkelten Replik, trieb sie mit einer Doublette zurück und ließ sie mit einer Bergschen Finte völlig ungedeckt stehen. Aus diesem Nachteil heraus setzte sie einen Befreiungshieb, den ich auf eine Fingerbreite genau hatte vorhersagen können. Doch statt meinen Vorteil zu nutzen, wehrte ich den Schlag wie ein Selbstmörder mit dem angewinkelten Arm ab. Der Schmerz war schlimmer als erwartet. Heilgard erstarrte in einem kurzen Augenblick der Ungläubigkeit.

Ich ließ Antworter fallen, wirbelte herum und drehte mich dabei in die Kriegerin hinein. Mein Ellbogen traf sie in der Armbeuge. Ihr Waffenarm verkrampfte sich kurz, während meine nun freie Rechte ihr Handgelenk packte. Sie taumelte und fiel unter meinem Gewicht hintüber. Als wir aufschlugen, zielte meine ganze Masse auf ihr Handgelenk. Noch zweimal stieß ich den Arm gegen den Boden, dann fiel ihr das Schwert aus der erschlafften Hand.

»Autsch«, sagte ich, keine Handbreit vor ihrem Gesicht, »das hat wehgetan.« Ich hob ausdrücklich den Arm mit den zwei Schnitten, aus denen Blut sickerte. Ihr braunen Augen sprühten vor Kampfeslust. Dann sah ich Triumph darin. »Gewonnen«, sagte ich vieldeutig.

Ihr Leib entspannte sich unter meinem. »Gewonnen«, hauchte sie. Nie wieder kam mir ein gesprochenes Wort so verführerisch vor.

Sie hatte sogar frisches Linnen dabei, um meine Wunde zu verbinden. Ich wusste fast vom ersten Augenblick an, dass ich die Frau liebte. Es war nicht die herzzerreißende, jugendliche Verliebtheit, die Eillyn und mich über tausend Meilen zueinander geführt hatte, nicht der wahnwitzige Sinnestaumel, der mich und Comtessa Carmissa vorangetrieben hatte, nicht das familiäre Gefühl vorbestimmter Harmonie, das mich an der Seite Roanas im Ambossgebirge gehalten hatte, und nicht die stille Leidenschaft, die einen Winter lang zwischen mir und Luzelin geglüht hatte. Doch von allen Gefühlen der Liebe, die mich in meinem Leben erfüllt hatten, kam es jenem gänzlich unvergleichbaren Wissen geweihten Angehörens am nächsten, das mich für alle Ewigkeiten an Rondra binden würde.

Wir hatten keine Eile, als wir nach einem geeigneten Platz für unsere Liebe suchten. Das Ritual unseres Zweikampfes verband uns derart, dass es keinen Grund gab, meiner Leidenschaft sofort nachzugeben. Wir ritten einen Nebenfluss des Radrom entlang, bis wir nach einigen Stunden eine Schlucht entdeckten, durch die sich der Wildbach in einem Wasserfall ergoss.

Außer einer Köhlerhütte gab es hier keine Menschen mehr. Wir erklommen den Bergrücken. Grünerlen und Goldhasel beschirmten die Bergschulter. Das Perlgras war wie ein Nest. Vor uns lag die Weite der Radromebene. Hinter uns, im Norden, brauten sich dunkle Wolken zusammen. Acht Schritt unter uns brauste der Wasserfall in einen Kessel. Wo das Wasser nicht kochte, konnte man bis zum Grund sehen.

Wir standen Seite an Seite. Dann wandten wir uns einander zu. Fast gleichzeitig flogen unsere Waffen mit den Scheiden ins Gras. Heilgard öffnete das Band, das ihr die Haare zum Pferdeschwanz gebunden hielt. Dann schüttelte sie ihre Mähne, bis sie ihr weich ins Gesicht hing. Ihr Lächeln wurde immer strahlender, bis sich in den Wangen diese entzückenden Grübchen bildeten. Unsere Blicke waren ineinander gefangen, während wir unsere Rüstungen ablegten: mein altes Lederkoller, das zwei blutige Schnitte und einige andere neue Kratzer aufwies, und ihren völlig unversehrten Kurbul.

Als Heilgard ihr Leinenhemd über den Kopf zog, kam ein beeindruckender Busen zum Vorschein. Die Beeren ragten mir begehrlich entgegen. Auch ich warf meine Kleider ab. Wieder fanden sich zuerst unsere Hände, doch dann fielen wir einander in die Arme. Ich umfasste ihr Gesäß und presste ihren heißen Unterleib an mich, während sie sich an meine Brust drängte. Gierig züngelnd und schnappend sanken wir ins Perlgras. Mein Mund glitt über ihren Hals und ihre Brüste. Auch Heilgard schlug Zähne und Nägel in meine Seite. Wir sanken zu Boden. Mein Mund fand über ihre Hüfte und ihre muskulösen Beine zu ihrem Schoß, ebenso wie sie zu meinem. Ich teilte ihr Schamhaar und schlürfte den Honig ihrer Lust, während sie sich meiner Lanze widmete.

Als die Glut in meinem Gemächt unerträglich wurde, stemmte ich mich hoch und warf mich auf sie. Wieder fing sie meine Hände, rollte sich ab und kam nun ihrerseits oben zu liegen. Meine Lanze ragte zwischen ihren Beinen auf, während sie meine Brust kraulte. Ruckartig warf ich sie wieder auf den Rücken und versuchte, in sie einzudringen. Sie lachte kämpferisch, klammerte sich mit Oberschenkeln und Armen an mich und machte eine weitere Drehung. Der Wasserfall war deutlich lauter geworden. Ihr Unterleib zeigte trügerische Reitbewegungen, während meine Hände sich in ihre Brüste krallten. Als ich mich hochzog, um erneut die Oberhand zu gewinnen, sprang sie lachend auf. Ihre Brüste schaukelten, dann hechtete sie von der Klippe.

Ehe ich Heilgard ins Wasser eintauchen hörte, sprang ich hinterher. Ich tauchte und sah ihren kraftvollen Leib im perlenden Wasser. Sie trat Wasser und schien sich umzublicken. Ihre roten Beeren hoben sich von der weißen Haut ab. Inmitten des dunklen Pelzes blühten die Rosenblätter ihrer Lust. Ich tauchte empor, mich drehend wie ein Delfin, um ihren Bewegungen zu folgen. Als ich sie erreichte, zog ich sie ruckartig unter Wasser. Instinktiv umklammerten mich ihre reiterprobten Oberschenkel. Wir sanken hinab. Ihre Augen waren geöffnet, Luftblasen sickerten aus ihrem lächelnden Mund, als ich endlich in sie eindrang. Sie warf sich rittlings zurück, während ihre Füße sich über meinem Hinterteil kreuzten. Meine Schwimmstöße brachten uns an die Oberfläche und drängten mich zugleich in ihr Innerstes. Als wir auftauchten, klammerten sich ihre Arme um meinen Kopf. Ihr kalter weicher Busen drängte mir entgegen. Nun krallten sich auch noch ihre Hände in mein Haar. Es war, als ob Heilgard mich mit jeder Welle der Lust, die ich ihr bereitete, in ihren Körper hineinziehen wollte. Dann bäumte sie sich auf, mit einem Schrei, der kurz das Tosen des Wasserfalles übertönte. Wir wanden uns wie kämpfende Lachse und erreichten so einen großen bemoosten Stein. Mit diesem Halt unter ihr konnte ich ihr endlich mit aller Gewalt entgegendrängen. Schon nach einigen ihrer Hüftbewegungen schoss meine Liebesglut in ihren Schoß, worauf ihre Schreie sich mit meinen vermengten. Regentropfen begannen zu fallen, und in der Ferne war ein erster Donner zu hören.

Heilgard Weihenhorster war die vierte und letzte Frau, an deren Seite es mich einige Monate hielt. Wie die Comtessa Carmissa, Rohezals Tochter Roana und die Hexe Luzelin lebte sie in selbstgewählter Isolation, die sie nur mir zu durchbrechen erlaubt hatte. War ich tatsächlich ein Eroberer, dass meine Frauen Festungen sein mussten? Oder konnten nur solche Frauen die Unstetigkeit meiner Windseele ertragen, die ihr eigenes Leben gewählt hatten? Oder war es schließlich die Tatsache, dass diese Frauen im Gegensatz zu mir wussten, wo sie stehen wollten, die mich an sie fesselte – sofern es überhaupt möglich war, den Wind zu fesseln?

Der Fluch von Warunk

Wir verbrachten den Herbst und Winter zwischen Bornland und Darpatien. Als wir im Frühjahr nach Beilunk zurückkehrten, hörte ich, dass der Magier Rakorium zu Besuch in der Magierakademie Schwert und Stab weilte. Vor zehn Jahren war ich durch seine unglückselige Suche nach dem Unterwasserreich Wahjad in Sklaverei geraten. Vor fünf Jahren hatte ich an seiner Seite die wildesten Länder Aventuriens durchkämmt. Auf den Reisen durch Regenwald und Khomwüste, schließlich im Dschungel der Maraskankette, hatte ich zu begreifen begonnen, wie unbedeutend die Geschichte der Menschheit sich neben der der Welt ausmacht.

Es war mir Pflicht und Ehre, dem großen Gelehrten meine Aufwartung zu machen. Wie erhofft, hatte er wieder so viele neue Erkenntnisse gewonnen, dass, trotz der Welten, die uns trennten, auch mein Weltbild daran wachsen konnte. Rakorium kehrte soeben von einer neuen Expedition aus dem Regenwald des Südens zurück. Kultisten der Niederhöllen hatten im Lauf der letzten Jahre die meisten der Sieben Kelche in ihre Gewalt gebracht. In der Tempelstadt H‘Rabaal hatten sie versucht, aus diesen Kelchen das Schwert Siebenstreich, das Schwert der Götter, wiederzuerschaffen und so in ihre Gewalt zu bringen.

Von Siebenstreich träumte ich wie ein kleiner Junge. Wie der Donnersturm der Traum eines jeden Ritters war, der je einen Streitwagen bestiegen hatte, so war Siebenstreich der Inbegriff dessen, was man mit einem Schwert in der Hand fühlt. Doch während Rondra den Donnersturm den Sterblichen geschenkt hatte, blieb Siebenstreich unerreichbar. Eine Leihgabe der Götter war es gewesen, die den Güldenländern half, den Kontinent von dämonischen Ungeheuern zu befreien. Doch dann hatte man das Schwert eingeschmolzen, den Göttern als Opfer zurückgegeben, weil kein Sterblicher mehr imstande war, die überirdische Klinge zu bewahren, geschweige denn sie zu führen. Rakorium war der Hüter des Siebten Kelches. Mit seiner Hilfe hatte er die erbeuteten Kelche wieder an ihre heiligen Ruhestätten zurückkehren lassen.

»Siebenstreich ist die Letzte Waffe«, fauchte der alte Magier. »Wenn sie in die Hände der Finsternis fällt ...« Rakorium hatte die lästige Angewohnheit, stets in halben Sätzen zu sprechen. Fachbegriffe der Magie, Kosmologie und ­Mythologie erklärte er grundsätzlich nicht. Dennoch verdanke ich ihm die Kenntnis um die wichtigsten Grundbegriffe der Ordnung der Welt.

»Herr von Conchobair, der Magier Rakorium erwartet Euch nochmals.« Der Bote fand mich in einer Taverne, wo ich Heilgard von meinen Gesprächen mit dem Forscher berichtete. Ich sprang auf und begann sofort zu packen. Heilgard tat es mir gleich, ohne zu fragen.

»Brauner!« Meinem Warunker, den ich mir mit dem Kampf gegen den Riesenoger Arzuch verdient hatte, hatte ich seit fünf Jahren keinen Namen geben. Eigentlich hatte ich ihn nur gekauft, um einige hundert Meilen weit nach Westen zu reiten. Inzwischen war er eines jener Pferde, die ich am längsten besessen hatte.

Vor den alten Ziegelmauern der Akademie Schwert und Stab zu Beilunk, die die Kampfmagier des Reiches ausbildete, stand der Magier bereit. Er war in der Begleitung eines Draconiters, also eines Ordensmannes der Hesindekirche. Rakorium verzichtete auf alle Vorstellungen.

»In Warunk hat sich ein Dämon auf Dauer manifestiert. Die Pfeile des Lichtes sind allesamt mit den Kelchen unterwegs. Wir müssen uns der Sache annehmen.« Wir waren bereits eine halbe Stunde auf der Straße nach Warunk, bis ich Rakoriums Kauderwelsch entschlüsselt hatte. Gerade Beilunk hätte eine berühmte Gruppe von Kampf- und Bannmagiern gehabt, die Pfeile des Lichtes, die vollkommen ausgebildet waren, einer Kreatur der Niederhöllen entgegenzutreten. Aber die Sieben Kelche mussten nach ihrer Rettung verborgen und bewacht werden, um einen neuerlichen Raub zu verhindern. So war es an uns. Rakorium und ich hatten auf Maraskan schon mit dämonischen Gegnern zu tun gehabt. Aber anscheinend lag der Fall diesmal anders: gefährlicher.

Im Zuge unserer Reiseunterhaltung stellte sich der Draconiter als Hexander Scherenschleifer vor. Er war Mitte Vierzig und Mitglied jenes Ordens der Hesindekirche, der, wie ich erfuhr, versuchte, jeden Missbrauch von Magie notfalls mit Gewalt zu unterbinden. Üblicherweise, so erklärte er mir, war es im Interesse aller Beteiligten, selbst des Übeltäters, dass ihn die Draconiter stellten – ehe es die Inquisitoren der Praioskirche taten. »Wo ein Dämon ist, muss auch ein Beschwörer sein«, erklärte mir Hexander kategorisch. Für mich mit meiner rückständigen Winhaller und Weidener Bildung waren die drei Tage an Hexanders Seite eine Offenbarung. Wohl hatte ich in den Jahren an der Seite der zwei großen Magier Rakorium und Rohezal vieles über die magische Natur der Welt gehört. Aber erst diesem Hesindegeweihten gelang es, mir die wichtigsten Begriffe verständlich zu machen. In meiner Jugend hatte ich Oger und Drachen, Untote und Dämonen allesamt für gleich schreckliche Bedrohungen der Menschheit gehalten. Ja, wenn ich ehrlich war, hatte ich selbst Maraskaner und Al‘Anfaner für Feinde gehalten, die ›uns‹ bedrohten. Inzwischen war mir längst klar, dass der Menschheit ein gemeinsamer Weg bestimmt war, auf dem jeder Zwist unnötiges Verharren bedeutete.

Doch erst Hexander machte mir deutlich, wie viel fremder und gefährlicher manche Wesenheiten für uns waren als andere. »Die ganze Welt, die wir sehen, gehört der Dritten Sphäre an: Aventurien, Güldenland, Riesland, der blaue Himmel über uns und die zwergischen Höhlen unter uns. Es ist die Sphäre der Sterblichen, denen die zwei wundersamen Geschenke des Todes und der Geburt gegeben sind. Nur wir können unser Wissen und unser Blut weitergeben und Platz machen für unsere Nachfahren, die mehr Kraft haben als wir.« Für Hexander schien es tatsächlich eine Gnade zu sein, sterben zu können.

»Unsere Lebenskraft ist flüchtig, weil sie als der Atem der sterbenden Urriesin Sumu entweicht. Unsere Seelen aber sind unsterblich und den höheren Sphären bestimmt. Jenseits des Nirgendmeeres, in der Vierten Sphäre, liegen Borons Hallen, wo die Seelen der Toten Aufnahme finden. Jene Seelen, die die Götter als Heilige erwählen, steigen weiter hinauf in die Fünfte Sphäre, die Gefilde von Alveran.«

Er lächelte. Zwischen uns stand dieselbe unausgesprochene Frage. »Ich hatte eigentlich gehofft«, erklärte er, als ich schwieg, »dass Ihr mir sagen könntet, was es heißen mag, ein Heiliger zu sein. Wir Geweihten beruhigen uns bisweilen mit dem Dünkel, dass jeder, der seine Seele einem Gott weiht, von diesem auch erwählt ist. Andererseits sehen wir natürlich auch, dass die meisten Kirchen nur eine Handvoll allgemein anerkannte Heilige kennen. Vielleicht haben die Zwölfgötter in zweitausend Jahren nur fünfzig Seelen würdig gefunden?«

Ich war peinlich berührt darüber, dass er sich eine Antwort von mir erhoffte. Manche Gläubige hatten mich schon als Heiligen bezeichnet, da Rondra mich als Inhaber des Donnersturmes erwählt hatte. Auch war mir meine Göttin selbst erschienen, wie es in der Vita manches Heiligen berichtet wurde. Dennoch war mir der Gedanke unheimlich, mich in einem Atemzug mit Geron, Leomar und Hlûthar oder auch den Heiligen anderer Kulte zu nennen. Binnen drei Tagen sollte ich lernen, wie wenig ich vom Willen und Wirken Rondras begriffen hatte.

Unweigerlich führte uns unser Reisegespräch zu den Dämonen. »Die Entitäten der Siebten Sphäre«, erklärte mir ­Hexander, »nennt man auch die Ungeschaffenen. Sie sind nicht Teil der Schöpfung, sondern ihr Feind. Alle Lebewesen, ob Götter, Drachen, Menschen oder Schmetterlinge, sind Teil von LOS. Doch die Bewohner der Siebten Sphäre sind keine Lebewesen, weil sie nicht leben, und keine Kreaturen, weil sie nicht erschaffen wurden. Sie gelangen nur durch Magie in unsere Welt. Fast immer hat ein Magier sie gerufen. Und nur Magie kann ihnen schaden.«

Beunruhigt wand ich mich im Sattel und griff unbewusst nach meinen Schwertern. »Endurium«, lachte Hexander, »ist ein magisches Metall. Ich denke, deswegen wollte Euch Rakorium mitnehmen.«

Das widersprach nun meinem Stolz. Ich erzählte, dass wir auch in den Echsendschungeln gegen manches Ungeheuer gekämpft hatten, das Rakorium als dämonisch bezeichnete. »Und damals führte ich noch gemeine Klingen aus Stahl.«

»Ganz gewiss habt ihr keinen Dämon damit verletzt«, beharrte Hexander. »Aber manche Daimoniden suchen sich Körper und Gestalten. Untote etwa sind sterbliche Leiber und deren Überreste, die vom grimmigsten Feind Borons unheilig belebt werden. Und einer der gefährlichsten Gestaltwandler ist ein Diener jenes Erzdämons, der Hesinde gegenübersteht. Mag sein, dass Ihr solche Wesen besiegt und ihres Körpers beraubt habt. Vielleicht haben wir es auch in Warunk mit so einem Phänomen zu tun. Soweit ich weiß, kann kaum ein Dämon lange auf Dere weilen, sofern er nicht übermächtige Magie oder Gestaltwandel benutzt.«

»Diese Erzdämonen«, sinnierte ich. »Verstehe ich Euch richtig, dass jeder Zwölfgott einen zum Feind hat?«

»Eine Vermutung, ein Modell, das in manchen Legenden und verbotenen Büchern auftaucht. Zwölf Erzdämonen, die die Schöpfung umzingelt haben. Doch es gibt auch Entitäten, die keiner der zwölf Domänen zugeordnet sind.« Hexander sprach nun nicht mehr belehrend, sondern ­abgehackt, als müsse er sein Wissen prüfen und sortieren. Er schüttelte abwehrend den Kopf: »Es ist nicht gut für unsere Seelen, zu viel darüber zu wissen.« Er deutete auf Rakorium, der vor uns ritt. »Vielleicht könnte Euch der Magister mehr darüber sagen.«

»Nein«, lachte ich, »der Magister ist äußerst sparsam mit verständlichen Erklärungen.«

Hexander lachte ebenfalls. »Die meisten Weißmagier verweigern jedes Gespräch über die Niederhöllen. Und Graumagier wie er mögen zwar forschen, sprechen aber nur mit ihresgleichen darüber. Wissen ist Macht – und Macht kann verführen. Die größten Magier waren, von Rohal abgesehen, auch die größten Frevler: der blutige Kaiser Fran-Horas, der die Erste Dämonenschlacht schlug, die schöne Kaiserin Hela-Horas, die die Zweite Dämonenschlacht auslöste, und zuletzt Borbarad, den man den Dämonenmeister nannte. Es scheint, dass wir alle fünfhundert Jahre von solch einem Beschwörer heimgesucht werden, der ohne Zögern die Pforten zu den Niederhöllen öffnet. Dann sind es nur noch die heilige und die magische Macht, die uns retten können. Das ist der Grund, warum ich Hesinde diene, der Göttin der Magie.«

Warunk

Der Himmel hat die Farbe alter Knochen, weder Praios’ Sonne noch Efferds Regen konnte den elfenbeinernen Vorhang durchdringen. Wieder einmal erhob sich vor uns die einzigartige Silhouette Warunks. Wie eine graue Gigantenfaust ragte der Molchenberg auf.

Auf diesem fünfzig Schritt hohen Burgberg lag die Altstadt von Warunk, nur erreichbar über die Serpentinenstraße im Westen. Es roch nach dem Rauch der Schornsteine, den das Schlechtwetter auf die Straße herunterdrückte – zumindest dachte ich das.

In der Unterstadt waren die Straßen fast menschenleer – und das in einer derart geschäftstüchtigen Stadt. Auch fiel mir Schmutz und Unrat auf: Straßen und Häuser schienen von Ruß verschmiert oder von Schimmel befallen. Dabei stritten sich die Warunker mit den Wehrheimern um den Titel der saubersten Stadt Aventuriens! Fast die einzigen, die uns begegneten, waren übernächtigte Gardisten mit dem grünen Apfelwappen, die in Viererpatrouillen unterwegs waren – anscheinend seit Tagen, wenn nicht Wochen.

Wir wurden mit sichtbarer Hast und Freude in die Oberstadt geleitet. Markgraf Throndwig Bregelsaum, der ja erst kürzlich die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, ­empfing uns im Rathaus. Er ließ uns kaum Zeit, das Knie zu beugen. »Der berühmteste Magier am Perlenmeer und der Schwertkönig, der uns von dem Riesenoger befreite. Welche Erleichterung!«

Rakorium und ich versuchten beide, übertriebene Erwartungen zu bremsen. Aber der Prinz freute sich wirklich, mich wiederzusehen. Er war noch etwas fülliger geworden, hatte aber noch immer dieses rotwangige Jungengesicht. Während er sprach, saß auf seiner Schulter wie selbstverständlich ein wundersames Feenwesen mit Schmetterlingsflügeln.

»Verzeiht, meine Herrschaften, dass ich Euch nicht standesgemäß empfangen kann. Wir mussten die Burg ... aufgeben.« Er räusperte sich peinlich berührt. Die Warunker waren nun einmal bekannt dafür, dass sie sich von jedem Wehrdienst freikauften und nur die vorgeschriebene Garde und einige Büttel bezahlten. Das rächte sich nun – und dazu musste der Spott kommen. Ich allerdings sah das nicht so kritisch: Vor zehn Jahren, als der Riesenoger Arzuch hier sein Unwesen getrieben hatte, hätte der Warunkei eine Garde genützt. Aber gegen einen Dämon waren Gardisten, nach allem, was ich wusste, so nutzlos wie Söldner.

Throndwig stellte zunächst uns vor, wobei er Heilgard, die weder Rang noch Namen auszeichnete, überging. Dann machte er uns mit seinen Beratern bekannt. Warunk selbst besaß weder Magier- noch Kriegerakademie und nicht einmal prominente Tempel. Interessant waren für uns daher nur drei Personen. Hauptmann Mainhard Riemschneider war Oberkommandierender der markgräflichen Garde. Er war ein drahtiger Mittfünfziger mit Stirnglatze und markanten Gesichtszügen. Er sprach mit den keuchenden Kehllauten der Warunker und schien mir eher ein erfahrener Ordnungshüter als ein Krieger zu sein.

Die Praios-Hochgeweihte Warunks war in dieser Angelegenheit Throndwigs wichtigste Beraterin. Zidonia von Binsenbeck war eine mopsige, kurzatmige Frau, die Hände gichtig vom guten Leben. Aber sie trug das geweihte Sonnenzepter, das, so hieß es, Dämonen niederstrecken konnte.

Unnötigerweise vorgestellt wurde mir Thundra vom Rathilsteine, ein Rondrageweihter um die Vierzig, natürlich mit Kettenhemd und Rondrakamm. Ich kannte Thundra schon aus den Zeiten, als ich mich als junger Schatzsucher am Neunaugensee herumgetrieben hatte. Außerdem hatte er mir seinerzeit vom Freitod meines geliebten Schwertmeisters Landrin im Donnerbachfall berichtet.

Im Ornat sah er aus wie mein Vater, auch sein Auftreten und seine ruhige Sicherheit erinnerten mich an ihn. Ich übersah dabei, dass ich inzwischen selbst so alt war, wie ich Connair Conchobair in Erinnerung hatte – abgesehen davon, dass er bereits tot gewesen war, als ich ihn aus der Drachenhöhle trug. Thundra hatte im Tobrischen zu tun gehabt, als er von dem Notfall hörte.

Sodann stellte ich Heilgard vor. Ich hielt mich sonst an die strengen Hierarchien der Adelsränge, aber diesmal wollte ich vermeiden, dass jemand – auch Rakorium, der bisher diesen Eindruck haben musste – sie für mein Gefolge hielte. Ich stellte klar, dass sie aus freien Stücken hier war.

Die Diener brachten uns Rindsbraten, Warunker Speck, feines Graubrot und einen Sembelquast, dessen Geruch den ganzen Raum füllte. Dann hielten wir Kriegsrat.

»Im Boronmonde war’s«, begann Throndwig, dessen Neigung zu poetisch ausschweifender Sprache ich ja kannte, »da erschien ein buckliger Magus und bat geheimnisvoll um Privataudienz. Er nannte sich Xeraan und wurde im Kabinett bald deutlich.« Throndwig räusperte sich, wiederum peinlich berührt, und geriet ins Stocken. »Es scheint ... Man muss wohl sagen ... Also, Praios steh mir bei, er wollte mich erpressen und berauben. Er werde, so krächzte er, mir die Niederhöllen selbst an den Hals hexen, wenn ich nicht das Warunker Schatzhaus leere bis zur letzten Perle. Ich gab ihm Antwort, wie’s mein Vater Karloff mit der silbernen Hand getan hätte, so höflich es noch möglich war. Darauf fragte er, ob ich wisse, wie mein Vater seine Hand verloren hätte. Dann prahlte er damit, dass er schon vor zwanzig Jahren einen Dämon auf meinen Vater, der ebenso störrisch gewesen sei, gehetzt habe.« Throndwig zuckte mit den Schultern und errötete leicht. »Was sollte ich tun? Wie konnte ich als freier Markgraf ausliefern, wofür mein Vater als tobrischer Graf die Hand gegeben hatte? Darauf ging Xeraan unter übelsten Drohungen. Dabei rief er sich eine Höllenfratze zu Hilfe, die meine tapfere Garde auseinanderjagte wie ein Falke die Tauben.«

Wir blickten zu unseren Magiekundigen. Weder Rakorium noch Hexander waren sich sicher, glaubten aber, den Namen Xeraan auf den schwarzen Listen der Pfeile des Lichtes gesehen zu haben. Markgraf Throndwig stand der wirklich peinliche Teil seines Berichtes erst bevor.

»Hesinde verzeih’s mir, aber ich fürchte, ich habe den Dämon selbst in mein Haus geholt«, setzte er wieder an, nun bereits karmesinrot. »Die Botanik ist meine große Leidenschaft. Als nun mein Ladifaahri« – hierbei deutete er auf die Fee auf seiner Schulter – »mir die wundersamste Entdeckung meldete, vergaß ich alle Vorsicht. In den Auen des Radrom fand ich, als wäre es nicht die seltenste Pflanze der Welt, die Jaguarlilie. Auch Peraine möge mir verzeihen, ich grub sie aus und pflanzte sie im Burggarten an.«

»Die Jaguarlilie?«, knurrte Rakorium. »Über die haben die Mohas doch ... Hesinde, das ist doch ihr größtes Tabu.«

Ich blickte ebenso hilflos wie die anderen Krieger. Hexander sprang helfend ein: »Ihr meint, die Waldmenschen des Südens kennen diese Pflanze und haben ein altüberliefertes Verbot, sie zu berühren?«

»Ha, berühren!«, rief Rakorium. Gleichzeitig wedelte Throndwig verzweifelt mit den Händen. Er schien den Tränen nahe. »Hauptmann«, flüsterte er, »wenn Ihr vielleicht weiterberichten wollt.«

»Zu Befehl, Hochwohlgeboren«, salutierte Hauptmann Riemschneider. Der Kontrast hätte nicht stärker sein können: Sein Bericht war von einer kargen Knappheit, die die folgenden grausigen Ereignisse beinahe verhehlte. Throndwig fand schon am nächsten Tag seinen Leibdiener grausam erschlagen vor der Tür seiner Schlafkammer. Kurz darauf wurde ein sterbender Gärtner gefunden, dem etwas von innen die Brust zerfetzt hatte! Die anschließende Durchsuchung der Burg förderte keinerlei Spuren zutage, aber im Burghof kamen zwei weitere Gärtner zu Tode. Der Markgraf ließ den Garten darauf umstellen und Tag und Nacht bewachen. Jeden Tag gab es weitere Tote, zunächst bei der Wache, dann außerhalb der Burg, schließlich sogar in der Unterstadt. Der ehemals blühende Burggarten war zu einer lebensfeindlichen Falle geworden. Einigen hastig angeworbenen Söldnern war es gelungen, den Dämon aufzuspüren und ihm nach grausigem Kampf sogar zu entkommen.

»Die Wesenheit sucht seither Hochwohlgeboren heim«, schnarrte der Hauptmann.

»Seine Worte sind stets die gleichen«, stieß Throndwig hervor und barg das Gesicht in beiden Händen.

»Du zahlst: ob Gold und Silber oder Blut und Seelen, ist mir gleich.«

»Ihr habt ihn also gesehen?«, bohrte Rakorium kalt.

Throndwig ließ die Hände auf die Schenkel fallen und richtete sich auf. »Ich weiß sogar, welcher Dämon es ist.«

Unsere Gelehrten sprangen beinahe von den Stühlen. Nur die Etikette hinderte sie daran, den Markgraf zum Reden zu nötigen. »Ich fand ihn im Folianth der Kreutherkunde«, meinte dieser müde. »In einer der Abschriften aus der Rohalszeit ist ein Anhang zu dämonischen Pflanzen angefügt.«

»Die Jaguarlilie«, setzte Rakorium erneut an.

»Wie ihr sagtet: Die Ureinwohner fürchten ihn wie wir den Namenlosen. Er erscheint wie ihr Gott Kamaluq in Jaguargestalt. Sie nennen ihn Katuraq, das heißt etwa ›Die Hand von oben, die uns beinahe vernichtet‹ ...«

»Der Nachtdämon«, rief Rakorium sichtlich beeindruckt.

»Nur nicht zu viele Namen«, hob Hexander abwehrend die Hand.

»Richtig«, erhob Thundra seine ernste Stimme.

»Wer sie nennt, ruft sie.«

Throndwig nickte. Dann schloss er die Augen und zitierte die Stelle, die ihn wohl bereits im Schlaf verfolgte: »So mächtig ist der Nachtdämon, dass er sich vor Praios’ Blick und Bannstrahl verbergen muss. Die Mohas sagen, dass die verfluchte Jaguarlilie die Gestalt leiht, in der sich dieser Gehörnte tagsüber verbirgt.«

Nun sprangen alle Geweihten auf. »Wie nanntet Ihr ihn eben, Hochwohlgeboren?«, rief Hexander erregt.

»Er ist ein Dreigehörnter!« erklärte der geplagte Markgraf. Hexander, Thundra und Hochwürden Zidonia schlugen instinktiv die Zeichen ihrer Götter, und auch Rakorium hob die Hand zu einem abwehrenden Zeichen.

»Über den gemeinen Dämonen«, wandte sich Hexander an uns Laien, »die bereits unverwundbar sind, stehen, so heißt es, die Gehörnten Dämonen, die mächtigen Diener der Erzdämonen.«

Je länger wir nachfragten, desto deutlicher wurde die Bösartigkeit dieses Nachtdämons. Die Diener des Markgrafen wurden nicht nur mit unnatürlicher Grausamkeit getötet, sondern auch wie warnende Trophäen in der ganzen Burg verteilt. Es schien keinen Ort zu geben, den die Höllenkreatur nicht erreichen konnte: höchste Zinnen, tiefste Keller, freistehende Bäume und verschlossene Kammern. Ein Gardist wurde gar auf dem Fahnenmast des Bergfrieds gepfählt, vierzig Schritt über dem Burghof. Der Dreigehörnte hatte das Ladifaahri gefangen, gerädert und gekreuzigt. Nur seine feenhafte Natur ließ es die Folter überleben.

»Nächtens, so scheint es, geht er im Burggarten um oder hängt über der Burg«, fasste Thundra zusammen, der schon einige Tage hier war. »Jeden Morgen sieht es dann übler aus – dort oben.«

Fast alle Opfer waren bei Nacht getötet worden. Nur die zwei Gärtner, die mit abgerissenen Händen gefunden wurden, waren bei Tag in den Garten gegangen.

»Und fanden dort die Jaguarlilie«, vermutete Rakorium.

Hier sah mein Jagdinstinkt eine Gelegenheit einzuhaken: »Könnte der Dämon die Entdeckung als Bedrohung empfunden haben?« Doch wir fanden keine Antwort. Er konnte als Jaguarlilie so gefährlich sein wie als geflügelter Jaguar. Vielleicht konnte er auch bei Tag diese Gestalt annehmen, vermied es aber. Trotzdem schien uns die Suche nach der Jaguarlilie der einzig sinnvolle Ansatz.

»Ich werde um Erleuchtung beten«, sagte Hexander feierlich. »In dieser Lage ist Wissen unsere wichtigste Waffe.« Ich bemerkte, dass dieser Satz Hochwürden Zidonia gegen den Strich ging, aber sie konnte schwerlich widersprechen.

Wir anderen begannen, über magische Waffen zu sprechen. Hier konnten endlich wir Krieger unser Wissen einbringen. Rakorium machte einige Vorschläge, welche Zauber er auf gewöhnliche Stahlklingen legen könne. Sein Fachgebiet war ja die Verwandlung von Unbelebtem.

Dann gab ich ihm Antworter und Vergelter zur Untersuchung. Es war augenscheinlich, dass er wenig Beziehung zu der Waffe an sich hatte. Aber er schien über Metall und Runen mehr zu wissen als die meisten Schmiede.

»Müsste ihn sauer ankommen«, meinte der schrullige Gelehrte. Er murmelte etwas darüber, dass die maraskanischen Schriftzeichen, die mir noch keiner hatte deuten können, wohl genau von einem Kampf gegen Wesen der Siebten Sphäre sprächen. Dämonentöterwaffen? Hatten die ­Blutzwillinge davon gewusst? »Es wird kommen ... aus dem Herz der Kette ... schwarz und rot ... schwarz wie Endurium, rot wie Blut.« Was hatte der sterbende Maraskaner damit gemeint?

Zwei Stunden später erschien der Draconiter wieder. Er wirkte erschöpft. »Hesinde hat mir eine wundersame Verständigung gewährt. Ich habe mit meiner Schwester im Glauben in ­Rashdul gesprochen und sie wiederum mit den Beschwörern der Pentagrammakademie. Wie erhofft, konnten sie sehr viel mehr über den Nachtdämon herausfinden.«

Hexander hatte also soeben ein Wunder seiner Göttin erlebt. Von diesen wundersamen Verständigungen hatte ich schon ein- oder zweimal gehört. Ich hatte Wunder immer für etwas gehalten, bei dem Blitze vom Himmel fahren, Mauern bersten oder Frevler in Flammen aufgehen. Ich war begeistert von der Einfachheit und Wirkung der göttlichen Macht. Kaum zu glauben, dass Hexanders Geist kurze Zeit mit dem einer tulamidischen Geweihten tausend Meilen weiter südlich verschmolzen war. Ich trat an ein Fenster und sandte insgeheim ein Stoßgebet zur Göttin der Gelehrsamkeit und Magie.

Kurz darauf war Hexander imstande zu berichten.

»Der, dessen Namen wir bereits gehört haben, ist der bei weitem mächtigste Dämon, der mit den üblichen Ritualen beschworen werden kann. Bei Nacht, darüber sind sich all ihre Bücher einig, ist der Nachtdämon unbesiegbar. In den Dunklen Zeiten sollen drei Erzmagier zusammen gerade genug astrale Kraft besessen haben, um ihn zu verwunden.«

Rakorium bekam einen Hustenanfall, als hätte er sich verschluckt. Thundra blies hörbar die Luft aus. Ich versuchte, mir irgendetwas vorzustellen, was Rohezal, Rakorium und einem dritten mit ihrer Macht und Erfahrung widerstehen konnte.

»Er kann sich wohl auch bei Tag manifestieren, doch schwächt ihn das Sonnenlicht. Die Rashduler meinten, dies sei unsere einzige Aussicht. Da das Ritual zur Beschwörung allenfalls in Borbarads Schriften erhalten sein mag, gibt es auch keine Möglichkeit, es für einen Exorzismus umzukehren. Wir müssen ihn also vernichten.«

Die Stimmung im Raum wurde, wenn irgendmöglich, noch ernster.

»Wir haben uns das allerschwerste ausgesucht, nicht wahr«, warf ich spöttisch ein.

»Nicht wir, sondern Xeraan«, verbesserte der Draconiter. »Wir haben noch einige Anhaltspunkte, was die Macht des Gehörnten und mögliche Schwächen betrifft. Der Nachtdämon gehört zum Gefolge des Schänders der Elemente. Die Magier meinten, das spräche dafür, dass er sehr mächtig, aber nicht sehr beweglich sei.«

»Beweglich, Euer Gnaden?«, echote Markgraf Throndwig. »Das ist er wohl. Er hat mir meinen Leibdiener vor der Tür getötet und einen Gardeweibel an den Fahnenmast gehängt. Und er verschwindet mit Sturm und Feuer.«

»Nein, ich habe mich missverständlich ausgedrückt, Hochwohlgeboren«, entgegnete Hexander diplomatisch. »Bei vielen Dämonen besteht die Schwierigkeit, dass sie, einmal beschworen, überallhin gehen können. Der Nachtdämon, steht zu vermuten, kann nur Land heimsuchen, das er bereits geschändet hat.«

»Mit anderen Worten: ganz Warunk«, sagte Heilgard ­trocken. Keiner widersprach ihr.

Wir packten unsere letzten Ausrüstungsstücke. Wir hatten bereits zuviel Zeit verloren. Auch dieser Frühlingstag würde in fünf oder sechs Stunden enden. Bis dahin mussten wir die Jaguarlilie gefunden haben. Es kam auch nicht in Frage, bis zum nächsten Morgen zu warten. Bei seiner Bösartigkeit konnte der Nachtdämon womöglich zum Gegenschlag ansetzen – jedenfalls aber würde er weitere Menschen töten.

Wir waren zu acht: der Magier Rakorium, die Geweihten Thundra, Hexander und Hochwürden Zidonia, Hauptmann Riemschneider mit einem weiteren Gardisten, Heilgard und ich. Bei dem jungen Korporal Garnspinner hatte ich mich gleich in die Nesseln gesetzt, als er sich beim Hauptmann gemeldet hatte.

»Denkt Ihr, dass es sinnvoll ist, weitere Menschenseelen zu riskieren, die nicht ...« Ich stockte. Ich wollte keinen elitären Zirkel der Besitzer geweihter und magischer Waffen bilden.

»Ich weiß, was man über die Warunker Garde sagt«, antwortete der schneidige Gardist kühl. Anscheinend hatte ich einen anderen empfindlichen Punkt getroffen als vermutet. »Aber wenn ein Dämon in Warunk umgeht, dann tritt die Garde gegen ihn an.«

Bitte sehr, dachte ich, es ist dein Begräbnis, Jüngelchen. In Wirklichkeit aber ärgerte ich mich, weil der Korporal ein weiterer Teilnehmer war, den ich beschützen zu müssen glaubte.