Michelle Celmer
Für immer in deinen Armen?
IMPRESSUM
BACCARA erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20350 Hamburg Telefon: 040/347-25852 Fax: 040/347-25991 |
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Vertrieb: | asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-27013 |
© 2008 by Michelle Celmer
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V., Amsterdam
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1575 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Roswitha Enright
Fotos: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format im 01/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86295-537-4
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Obwohl sie sich seit acht Jahren auf diesen Tag vorbereitet hatte, zitterten Hannah Renault die Knie, als die große Limousine vor dem Palast hielt. Denn seit zwei Jahren hatte sie den Prinzen, genauer gesagt, den König, nicht gesehen.
König Phillip Lindal Augustus Mead stand in seiner prächtigen Galauniform auf der obersten Treppenstufe, umgeben von den Palastangestellten, und sah seiner Braut entgegen. Draußen vor dem Tor drängten sich die Menschen, die einen ersten Blick auf die zukünftige Königin von Morgan Isle werfen wollten.
Und das war sie, Hannah Renault.
Die Wagentür wurde geöffnet, der Chauffeur reichte ihr die behandschuhte Hand, und Hannah stieg aus. Jetzt bloß nicht stolpern, ging ihr sofort durch den Kopf. Nervös strich sie den Rock ihres dunkelblauen Leinenkostüms glatt. Dieses war der Tag, von dem sie seit Langem geträumt hatte. Sie musste unbedingt einen guten Eindruck auf ihren zukünftigen Ehemann machen und, wie es aussah, auch auf die halbe Bevölkerung von Morgan Isle, die ihr bereits begeistert zujubelte.
Obgleich sie sich am liebsten schnell wieder in der Limousine verkrochen hätte, lächelte Hannah der Menge kurz zu und wandte sich dann zur Treppe um. Dabei hielt sie sich sehr gerade und sah dem König ernst entgegen, so wie es von ihr erwartet wurde. In dieser Haltung hatte sie auf die formelle Begrüßung des Königs zu warten. Als er die Stufen herunterkam, hielt sie den Atem an, während von der Menge nur noch ehrfurchtsvolles Geraune zu hören war.
Nur nicht nervös werden, versuchte sie sich Mut zu machen, aber das war leichter gesagt als getan. Ihr war fast schlecht vor Aufregung, und sie atmete tief durch.
In den zwei Jahren war ihr Verlobter irgendwie noch attraktiver geworden, als sie ihn in Erinnerung hatte. Jetzt war er auf der untersten Stufe angelangt, und, wie sie es gelernt hatte, trat Hannah einen Schritt vor und versank dann in einen tiefen Hofknicks. „Eure Hoheit“, sagte sie mit leicht zitternder Stimme und neigte den Kopf.
„My Lady.“ Er reichte ihr die Hand, die sie ergriff und ihn dann erst ansah. Während sie sich aufrichtete, zog er ihre Hand an die Lippen und küsste sie kurz. „Willkommen zu Hause.“
Hannah war vollkommen durcheinander. Hatte er immer schon diese tiefe sexy Stimme gehabt? Und hatte er sie jemals mit seinen rauchgrauen Augen so warm, beinahe zärtlich angesehen?
Mit Mühe konzentrierte sie sich auf das, was die Etikette-Expertin ihr immer und immer wieder gesagt hatte: Sie müssen den Eindruck erwecken, von königlicher Gelassenheit zu sein, dürfen aber keinesfalls kalt wirken. Doch Hannah war schon froh, dass sie sich einigermaßen gerade hielt und nicht ohnmächtig wurde.
Dies war kein Traum, es passierte wirklich. In zwei Wochen würde sie diesen attraktiven und mächtigen Mann heiraten. In zwei Wochen würde sie die Königin von Morgan Isle sein.
Immer bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die ganze Situation erregte, ließ sie sich von Phillip die Stufen hinaufführen. Als spüre er, was in ihr vorging, legte er ihr den Arm um die Taille, was ganz sicher nicht der Etikette entsprach, und zog sie kurz fest an sich. „Immer mit der Ruhe. Das Schlimmste ist vorbei“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Über seine Rücksicht war sie so gerührt, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre. Ihn an der Seite zu wissen, selbstbewusst und solide wie ein Fels in der Brandung, tat ihr ungeheuer gut. Wenn er ihr doch nur ein wenig von seinem Selbstvertrauen abgeben könnte.
Als sie die oberste Stufe erreicht hatten, war eigentlich vorgesehen, dass Hannah nun die Angestellten begrüßte und „ihrem“ Volk zuwinkte, aber wieder durchbrach Phillip das Protokoll. Er ging mit Hannah direkt auf die große vergoldete Tür zu, stieß sie auf und trat ein. Eine riesige Eingangshalle tat sich vor Hannah auf. Zwei der königlichen Adjutanten folgten ihnen dicht auf den Fersen. Ihre Schritte waren auf dem spiegelnden Marmor gut zu hören. Dann blieb Phillip vor einer schweren geschnitzten Flügeltür aus Mahagoni stehen und drehte sich zu den beiden Adjutanten um.
„Lassen Sie uns ein paar Minuten allein“, sagte er lediglich, öffnete einen Flügel, schob Hannah in den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Staunend schaute Hannah sich in dem großen Zimmer um, ganz offensichtlich eine Bibliothek. Auf drei Seiten reichten die Bücherregale bis an die bemalte Decke. Noch nie hatte sie so viele Bücher an einem Ort gesehen, nicht einmal in der Universitätsbibliothek zu Hause. In der Mitte des Raumes stand eine weich gepolsterte rote Ledergarnitur. Phillip führte sie zu einem der Sessel. „Setz dich“, bat er sie.
Erleichtert ließ sie sich in den Sessel fallen und schloss die Augen. Ganz sicher hätten ihre Beine sie keinen Meter weiter getragen.
„Soll ich das Riechsalz holen lassen?“
Erschreckt riss sie die Augen wieder auf. Ob er verärgert war? Hatte sie sich falsch benommen? Doch dann bemerkte sie ein kaum angedeutetes Lächeln. „Danke, nein. Ich glaube, ich habe mich wieder gefangen.“
Auf der anderen Seite des Zimmers befand sich eine kleine Bar, auf die Phillip jetzt zuging. Hannah beobachtete, wie er aus einer Karaffe eine bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei Gläser goss, wieder auf sie zukam und ihr eins der Gläser wortlos in die Hand drückte. „Trink“, sagte er leise, „aber langsam.“
Sie nahm einen kleinen Schluck und spürte, wie ihr die klare Flüssigkeit heiß die Kehle hinunterlief. Keuchend sah sie ihn an, Tränen traten ihr in die Augen. „Entschuldigung“, stieß sie leise hervor, sowie sie wieder Luft bekam.
Er hockte sich neben ihren Sessel, stützte sich auf der Armlehne ab und sah Hannah lächelnd an. „Warum entschuldigst du dich denn?“
„Weil ich einen Fehler gemacht habe.“
„Wieso das denn?“
„Ich hätte doch die Angestellten begrüßen sollen.“
„Das kannst du auch später noch tun.“
„Außerdem hätten wir uns umwenden und den Leuten draußen vor dem Tor zuwinken sollen.“
„Na und? Sie wissen ja nicht, dass das im Protokoll stand.“
„Aber ich will nicht, dass sie mich für snobistisch halten.“
„Und bist du es?“
Die Frage hatte sie nicht erwartet. „Nein … natürlich nicht. Aber …“
„Dann brauchst du dir auch keine Gedanken zu machen.“
„Aber ist es nicht wichtig, dass die Leute mich mögen?“
„Das werden sie ganz sicher“, erwiderte er mit so viel Überzeugung, dass ihr ganz warm ums Herz wurde.
„Und die Presse?“, fing sie wieder an. Die Presse in den Vereinigten Staaten war schon manchmal brutal, aber der hier in Europa sagte man nach, geradezu bösartig zu sein.
Aber auch davon ließ Phillip sich nicht beunruhigen, sondern klopfte nur lächelnd auf seine linke Jackentasche. „Genau da habe ich die. Nämlich in der Tasche. Also, keine Sorge.“
Das war gut zu wissen. Es sah so aus, als habe er alles im Griff. Aber warum auch nicht? Schließlich war er der reichste und mächtigste Mann im Land. Hannah nahm noch einen Schluck. Langsam löste sich der Knoten in ihrem Magen. „Meine Lehrerin bestand auf der Einhaltung des Protokolls. Ganz sicher wird ihr zu Ohren kommen, dass alles anders gelaufen ist.“
„Du hast alles wunderbar gemacht. Und keine Angst, du wirst dich schon daran gewöhnen.“
Das konnte sie nur hoffen.
Beide schwiegen, und Hannah zerbrach sich den Kopf auf der Suche nach einem Gesprächsthema. Seit ihrem sechzehnten Lebensjahr war sie auf diesen Tag vorbereitet worden. Und nun war sie hier, und ihr fiel nichts mehr ein. Wie peinlich.
Da half es auch nichts, dass sie sich sagte, die Situation sei ja auch eine andere als die, auf die sie sich eingestellt hatte. Sie war davon ausgegangen, einen Prinzen zu heiraten. Das bedeutete, dass sie in den Jahren als Frau des Thronfolgers Zeit gehabt hätte, sich an die Sitten und Gebräuche am Hofe zu gewöhnen. Da aber die Königin so plötzlich gestorben war und Phillip sofort die Thronfolge hatte antreten müssen, sah nun alles anders aus.
Als König brauchte er eine Frau, die an seiner Seite stand. Noch wichtiger, er brauchte einen Erben, damit die Thronfolge gesichert war. So hatten sich die sechs Monate, die üblicherweise als Vorbereitungszeit für die Hochzeit vorgesehen waren, auf zwei Wochen verkürzt. In zwei Wochen schon sollten sie sich das Jawort geben.
Zwei Wochen.
Schnell stürzte Hannah den Rest ihres Glases hinunter. Oh, das war vielleicht doch etwas zu viel gewesen. Die Tränen traten ihr erneut in die Augen, und sie bekam kaum Luft.
Amüsiert lächelnd nahm Phillip ihr das Glas aus der Hand. „Und, fühlst du dich jetzt besser?“
Sie nickte, aber er glaubte ihr nicht, das konnte sie an seiner Miene ablesen. Und als sie sich in dem Raum umsah, wurde ihr plötzlich klar, dass sie das erste Mal mit Phillip allein war.
Vollkommen allein.
Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie sich in der Vergangenheit gesehen hatten, war natürlich immer eine Anstandsperson dabei gewesen, wie es die Etikette vorschrieb. Und obgleich sie die Königin nur wenige Male und dann auch nur sehr kurz getroffen hatte, kannte sie die Gerüchte. Man sagte, sie sei kalt und herzlos.
Aber die Königin war tot, und hier in diesem Raum waren sie allein, und es gab niemanden, der sie daran hindern könnte … ja, was zu tun?
Sofort war sie sich der Gegenwart des Königs nur allzu deutlich bewusst. War es der frische herbe Duft seines Aftershaves? Oder sein Blick, der auf ihr ruhte? Phillip war einfach so … präsent.
Und so nah.
Nur eine kleine Bewegung, und sie könnte ihn am Ärmel berühren. Sie brauchte nur ihre Hand zu heben und könnte ihm über die Wange streichen. Bereits bei der Vorstellung, ihn zu berühren, zitterten ihr die Knie.
„Wenn du weiter so an deiner Unterlippe kaust, bleibt nichts mehr für mich übrig“, meinte er lächelnd, und die grauen Augen funkelten vergnügt.
Oh, mein Gott!
In all den Jahren, in denen sie sich darauf vorbereitet hatte, Kronprinzessin und später Königin dieser kleinen Monarchie zu werden, hatte niemand sie auf eine solche Situation vorbereitet. Sie hatte alles Mögliche gelernt über Blutlinien und Stammbäume und Etikette bei Hofe und königliche Gebräuche, aber nicht, wie sie mit dem König und ihrem künftigen Mann flirten sollte. Zwar war ihr sehr deutlich gemacht worden, dass man von ihr erwartete, einen Thronfolger zur Welt zu bringen. Aber all diese Verhaltensregeln endeten vor der Schlafzimmertür.
In diesem Punkt war sie sowieso vollkommen naiv. Obwohl die Mädchen in der Klasse und später auch die Freundinnen vom College sie für total verrückt erklärten, hatte Hannah sich vorgenommen, sich für ihren Ehemann aufzusparen. Und zwar schon, bevor sie Phillip versprochen worden war.
Deshalb hatten sie sich noch nie geküsst, sich bloß hin und wieder bei der Hand gehalten. Nicht dass sie nicht gewollt hätte. Aber es hätte sich nicht geschickt. Aber hier jetzt in diesem Raum könnte sie keiner davon abhalten.
Dieser Gedanke entsetzte und erregte sie zugleich. Tatsache war, dass sie Phillip kaum kannte. Bisher war ihr das nie so bewusst gewesen wie gerade in diesem Augenblick.
Als er sich leicht vorbeugte, wich sie erschrocken zurück. „Was ist denn, Hannah?“, fragte er leise. „Mache ich dich nervös?“
Sie versuchte, sich zu sammeln, und sah ihn ernst an. „Du bist der König. Das ist schon ziemlich einschüchternd.“
„Ich bin auch nur ein Mann.“
Ja, ja, so wie die Beatles auch nur irgendeine Rockband waren und die Mona Lisa nur irgendein Gemälde.
„Ich habe schon lange auf diesen Tag hingelebt“, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme einigermaßen gelassen klang.
„Gut. Dann werde ich mich bemühen, dich nicht zu enttäuschen.“ Er betrachtete sie eindringlich, und wieder fragte sich Hannah, was er denn zu finden hoffte. Was ging in ihm vor, wenn er sie ansah? War er wie sie tief in seinem Herzen sicher, dass sie sehr gut zusammenpassten? Freute er sich wie sie auf die gemeinsame Zukunft?
Zwar hatten ihre Eltern darauf bestanden, dass sie erst mit achtzehn die endgültige Entscheidung fällte. Aber als sie ihm das erste Mal begegnet war, da hatte sie sofort gewusst, dass sie eines Tages seine Frau sein würde. Hatte auch er das damals bereits gefühlt?
Bei all der sorgfältigen Planung und den vielen Vorbereitungen mussten sie doch geradezu eine Bilderbuchehe führen.
„Du bist schön.“ Zärtlich strich Phillip ihr über die Wange, und Hannah spürte die Berührung bis in die Zehenspitzen. „Findest du es nicht seltsam, dass wir in zwei Wochen heiraten und uns bisher noch nicht einmal geküsst haben?“
„Eigentlich schon.“ Sie lachte leise. „Aber bei den Anstandswauwaus war das ja kaum möglich.“
Wieder kam er näher, und ihr Puls raste wie verrückt. „Aber hier sind wir allein.“
„Hm“, machte sie und lächelte. „Dann ist das jetzt wohl deine Gelegenheit.“
„Allerdings.“ Er legte ihr die Hand in den Nacken und zog sie näher an sich heran. „Das vermute ich auch.“
Vielleicht schickte es sich nicht, aber als Hannah Phillips Hand im Nacken fühlte, kam sie ihm bereitwillig entgegen. Seit sie sechzehn gewesen war, hatte sie davon geträumt, ihn zu küssen, und nun war es endlich so weit! Kein Wunder, dass sie sofort nachgab.
Als sie die Augen schloss, spürte sie nur noch seinen Atem, und dann berührten sich ihre Lippen …
In diesem Augenblick flog die Tür auf, und Hannah fuhr erschreckt hoch.
Phillip seufzte leise. Natürlich, Sophie! Das musste ja kommen. Er stand auf und stellte sich neben seine Verlobte. Hannah war rot geworden, aus Verlegenheit, vielleicht auch aus Erregung. Ein bisschen war es wohl beides. „Hannah, du erinnerst dich doch sicher noch an meine Schwester, Prinzessin Sophie?“
„Ja, natürlich.“ Hannah machte einen makellosen Hofknicks. „Eure Hoheit, ich freue mich, Sie wiederzusehen.“
„Mein Bruder hat dir bestimmt schon gesagt, dass ich mir aus dem ganzen Titelklimbim nichts mache.“ Sophie schüttelte Hannah kräftig die Hand. „Ab jetzt bin ich nur ganz einfach Sophie für dich, einverstanden?“
Hannah nickte und biss sich wieder verlegen auf die Lippe. Irgendwie fand Phillip diese Geste sehr charmant, ja, sexy. Vor allem, wenn er sich vorstellte, dass er diese Lippen jetzt küssen würde, wäre Sophie nicht so höchst unpassend hereingeplatzt.
„Ich wollte euch nur mitteilen, dass das Empfangskomitee sich jetzt in der Halle aufgestellt hat.“ Dann lächelte sie. „Ich meine nur, falls ihr bereit seid, es zu begrüßen.“
Phillip schaute Hannah fragend an. „Wie ist es?“
„Kann ich mich irgendwo frisch machen? Ich glaube, ich muss meine Lippen nachziehen.“
„Natürlich.“ Er zeigte auf eine kleine Seitentür. „Hier entlang.“
„Bin gleich wieder zurück.“
„Du brauchst dich nicht zu beeilen.“
Als er ihr mit Blicken folgte, fiel ihm auf, wie sicher und graziös sie sich bewegte, obgleich die Situation sie ganz offensichtlich einschüchterte. Waren wirklich schon zwei Jahre vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten? Wenn ja, hatte er das nur sich selbst zuzuschreiben. Seit dem Tod des Vaters hatte er einfach keine Zeit gehabt, um an die Heirat auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Außerdem hatte die Hochzeit eigentlich erst in frühestens einem Jahr stattfinden sollen. Aber auch in einem Jahr hätte er sicher genauso viel gegen diese Ehe einzuwenden wie jetzt.
Wenn es nach ihm ginge, würde er nie heiraten. Bei dem Gedanken, sein ganzes Leben an eine Frau gekettet zu sein, fühlte er sich eingeengt. Aber er hatte eine Pflicht seinem Land gegenüber. Seine Verantwortung als König nahm er ernst. Und anders als sein Vater, von dem Phillip seine rastlose Natur in Bezug auf Frauen geerbt hatte, hegte er die feste Absicht, seiner Frau, solange es ihm möglich war, treu zu sein.
„Du hast ja wirklich keine Zeit verschwendet“, meinte seine Schwester. „Allerdings würde ich dir raten, in Zukunft die Tür abzuschließen.“
Er sah sie warnend an.
„Bloß gut, dass das Bad nur von hier Zugang hat“, fuhr Sophie lächelnd fort. „Wer weiß, vielleicht würde deine Verlobte sonst ja noch das Weite suchen.“
Er zog verärgert die Augenbrauen zusammen. „Hast du nichts Besseres zu tun?“
Sophie zwinkerte ihm vergnügt zu. Seit sie sprechen konnte, hatte sie ihren großen Spaß daran, den älteren Bruder zu piesacken. „Deine Zukünftige ist ziemlich hübsch.“
„Ja, ziemlich.“ So hübsch, wie ein König es von seiner zukünftigen Frau erwarten konnte. Als seine Mutter das erste Mal von einer arrangierten Ehe gesprochen hatte, hatte er die Idee als vollkommen überholt zurückgewiesen. Da seine Mutter jedoch Nein nicht als Antwort gelten ließ, hatte er sich schließlich bereit erklärt, in die USA zu fliegen und sich das Mädchen einmal anzusehen, das sie für ihn ausgesucht hatte.
Dabei war ihm gleich aufgefallen, dass Hannah bereits mit sechzehn ein großes Potenzial erkennen ließ. Trotz der acht Jahre Altersunterschied fand er sie sehr attraktiv. Und er konnte sehen, dass auch sie von ihm beeindruckt war. Da ihm klar war, dass seine Mutter nicht nachgeben würde, erklärte er sich mit der arrangierten Ehe einverstanden. Verschiedene Treffen wurden vereinbart, und er warb offiziell um Hannah.
Mit achtzehn hatte sie sich zu einer bildhübschen jungen Frau entwickelt, die dazu noch sehr gescheit war. Und beide merkten, dass sie nicht mehr nur neugierig aufeinander waren, sondern körperlich stark voneinander angezogen wurden.
Sie verkörperte alles, was ein König sich in Bezug auf seine Königin wünschen konnte. Und noch entzückte ihn ihre Unschuld und ihr Bemühen, ihm zu gefallen. Leider aber langweilte er sich sehr schnell, und so würde er sicher auch ihrer sehr bald überdrüssig werden.
„Glaubst du, dass sie auch nur den leisesten Schimmer hat, was hier auf sie zukommt?“, riss Sophie ihn aus seinen Gedanken.
„Vielleicht den leisesten“, meinte er. Denn er wusste, theoretisch hatte sie sich nur begrenzt vorbereiten können. Das meiste musste Hannah in der Praxis lernen.
„Noch was anderes, Phillip. Da ich hier endlich mal allein mit dir allein bin, muss ich mit dir unbedingt etwas besprechen.“
Er ahnte, worauf sie anspielte, und schüttelte abwehrend den Kopf. „Wenn es das ist, was ich vermute, dann …“
„Aber er ist unser Bruder. Du solltest ihn wenigstens anhören.“
„Halbbruder“, widersprach er mit Nachdruck. Ein illegitimer Sohn des Vaters. „Ich bin ihm nichts schuldig.“
„Was er vorschlägt, könnte die Stabilität des Reiches für viele Generationen sichern.“
„Und ihm sehr nützen.“
Sie sah ihn an, als sei er nicht recht gescheit. „Du sagst das so, als sei es eine schlechte Sache.“
„Ich traue ihm nicht.“
„Wenn du Sorgen hast, dass er nach der Krone strebt, dann irrst du dich. Darum geht es ihm überhaupt nicht.“
Stimmt. In diesem Punkt war sein Halbbruder Ethan Rafferty wie Sophie. Auch sie hatte den größten Teil ihrer fünfundzwanzig Lebensjahre damit verbracht, sich über die starren Regeln der Monarchie lustig zu machen. Aber Ethan war ein Mann, und wenn Phillip etwas passierte, war er der Nächste in der Thronfolge.
Und das war für Phillip vollkommen inakzeptabel.
„Ich will darüber nicht sprechen“, sagte er energisch. „Schluss. Aus.“
Vor Frust war ihr die Röte in die Wangen gestiegen. „Verdammt noch mal, nun sei doch nicht immer so stur!“
Das musste ausgerechnet sie sagen! „Da bin ich wohl nicht der Einzige, liebe Sophie.“
Die Tür öffnete sich, und Hannah kam herein. Dankbar für die Unterbrechung ging Phillip auf sie zu. „Geht es dir besser?“
„Ja, danke. Ich glaube, ich bin jetzt in der Lage, das zu tun, was von mir erwartet wird. Tut mir leid, dass ich mich so habe gehen lassen.“
„Hast du das?“, fragte Sophie. „Ich bin sicher, keiner hat was gemerkt.“
Hannah blickte ihre zukünftige Schwägerin dankbar an.
„Das tut gut.“
Phillip trat neben sie und bot ihr den Arm. „Soll ich dich begleiten?“
Nach einem Blick auf die Tür schüttelte sie den Kopf. „Nett, dass du das anbietest, aber ich glaube, in diesem Fall ist es wichtig, dass ich das allein schaffe.“
„Wie du willst.“ Er öffnete die Tür für sie und beobachtete voller Stolz, wie sie gerade aufgerichtet und mit sicherem Schritt in die Halle trat.
Sophie stellte sich neben den Bruder und flüsterte: „Beeindruckend.“
„Allerdings.“
„Glaubst du, dass sie damit jetzt zurechtkommt?“
Er nickte. „Ja, davon bin ich überzeugt.“
„Ich auch. Nun stellt sich nur die entscheidende Frage, Eure Hoheit: Wirst auch du mit ihr zurechtkommen?“
Es stellte sich heraus, dass dieser Tag der anstrengendste, schwierigste und gleichzeitig aufregendste in Hannahs bisherigem Leben sein sollte. Nachdem sie die Begrüßung der Palastangestellten und des engsten Stabes, was fast eine Stunde dauerte, hinter sich gebracht hatte, gingen Phillip und sie zu einem Essen, das ihr zu Ehren gegeben wurde. Nach dem Essen, bei dem sie vor Nervosität kaum etwas zu sich nehmen konnte, wurde sie verschiedenen Staatsbeamten und deren Frauen vorgestellt. Der Kopf schwirrte ihr, und schon jetzt wusste Hannah, dass sie sich die Namen nie würde merken können.
Dem folgten Fotoaufnahmen im Garten und eine kurze Pressekonferenz. Phillip und Hannah wurden mit Fragen bombardiert, die im Wesentlichen Hannahs Herkunft und ihre Erziehung betrafen. Wie sie sich fühle als kommende Königin, wollte man wissen, ob schon Pläne wegen der Hochzeit veröffentlicht werden dürften. Aber auch das Thema der Feierlichkeiten zum 500-jährigen Bestehen der Monarchie wurde angesprochen.
Neben dem König zu stehen und seine Aura von Selbstbewusstsein und Überlegenheit zu spüren war für Hannah ebenso faszinierend wie einschüchternd. Er war der mächtigste Mann im Staat, und er war sich seiner Bestimmung voll bewusst. Und nicht das erste Mal an diesem Tag musste sie sich fragen, ob sie denn hier wirklich am rechten Platz sei. Trotz der Jahre der Vorbereitung überwältigte sie die Situation. Allerdings war ihr zur selben Zeit bewusst, wie stolz ihr Vater auf sie gewesen wäre, wenn er sie hier hätte sehen können. Und nur das zählte.
Auch ein weiteres anstrengendes Essen ließ sie über sich ergehen. Wieder wurde sie mit einer Unzahl von Namen und Gesichtern konfrontiert, die sie nie wiedererkennen würde. Allerdings war eine Frau darunter, die ihr an diesem Tag schon einmal aufgefallen war, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil sie sich von ihr beobachtet gefühlt hatte.
Die Frau war höchstens ein oder zwei Jahre älter als Hannah, hatte dunkles Haar, sah sehr gut aus und hatte die üppige kurvenreiche Figur, auf die Männer normalerweise fliegen. Hannah hatte bereits daran gedacht, auf sie zuzugehen und sie anzusprechen. Aber das hätte bedeutet, Phillips Seite zu verlassen, und dazu fühlte sie sich noch nicht stark genug. Immer, wenn Hannah sich nach ihr umsah, war der Blick der Dunkelhaarigen auf sie gerichtet, direkt und ohne Scham. Dann war sie plötzlich verschwunden, und so sehr Hannah auch nach ihr suchte, sie war wie vom Erdboden verschluckt.
Seltsam. Sollte sie sich das Ganze nur eingebildet haben?
Nach einer weiteren Stunde Small Talk hob Phillip schließlich die Gesellschaft auf. Er sagte den Gästen Gute Nacht und bot Hannah an, sie zu ihrer Suite zu bringen.
Hannah wären vor Erleichterung fast die Tränen gekommen. Sie war völlig erschöpft, und der Gedanke, endlich in ihr Bett sinken zu können, war einfach wunderbar.
Höflich bot er ihr den Arm und führte sie zu den Privatgemächern der Familie, die am Nordende des Palastes lagen. Auch diese Räume waren äußerst luxuriös, wenn auch insgesamt etwas moderner ausgestattet. Das Anwesen von Hannahs Eltern in Seattle in den USA konnte man zwar nicht gerade als klein bezeichnen, aber verglichen mit dieser Eleganz und Extravaganz war es geradezu bescheiden.
Sie würde wohl einige Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen.
Sowie sie innerhalb der Privaträume waren, öffnete Phillip den obersten Hemdknopf und zog das Jackett aus. Sofort wurde er wieder zu dem Mann, der sie in die Bibliothek gezogen und beinahe geküsst hatte. Bei dem Gedanken daran stieg Hannah die Röte in die Wangen, und sie musste den Blick abwenden. Wenn sie doch bloß die Schuhe ausziehen könnte. Die Verkäuferin hatte ihr versichert, dass sie super bequem seien und sie trotz der hohen Absätze darauf wie auf Wolken gehen könne. Von wegen!
„Du hast dich sehr gut gehalten“, sagte er leise.
„Ehrlich gesagt ist alles wie im Traum an mir vorbeigerauscht. Meinst du, ich könnte eine Liste mit Fotos und kurzer Biografie der Leute bekommen, die mir heute vorgestellt worden sind?“
Er blickte sie überrascht an. „Warum?“
„Dann kann ich mir ihre Namen und Gesichter einprägen. Ich fürchte, ich kann mich kaum an etwas erinnern, und ich möchte auf keinen Fall unhöflich erscheinen, wenn ich ihnen das nächste Mal begegne. Gut wäre, wenn ich auch etwas über ihre Familien erfahren könnte.“
Phillip war beeindruckt. „Ja, natürlich kannst du eine Übersicht bekommen. Gleich morgen früh.“
Vor einer Tür blieben sie stehen. Wahrscheinlich ist das meine Suite, dachte Hannah. „Ich muss mich für die Unbequemlichkeit entschuldigen“, sagte Phillip. „Die Suite ist ziemlich klein, aber du wirst sie auch nur vorübergehend bewohnen.“
Die Größe der Suite war Hannah vollkommen egal, solange sie eine Badewanne und ein weiches Bett hatte. „Ich bin sicher, alles ist vollkommen ausreichend.“
Er öffnete die Tür. „Die eigentliche Suite wird nämlich gerade renoviert. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hast du morgen Nachmittag einen Termin mit dem Innenausstatter.“
Auch das war ihr im Augenblick absolut gleichgültig, sie sehnte sich nur nach einem heißen Bad und einem bequemen Bett. Aber als Phillip die Tür öffnete, sah Hannah sich wieder drei fremden Gesichtern gegenüber. Zwei der drei Frauen waren schwarzweiß wie Kammermädchen gekleidet, die dritte trug ein fein gestreiftes dunkelblaues Kostüm.
„Hannah, ich möchte dir deinen persönlichen Stab vorstellen, Miss Cross und Miss Swan, deine beiden Zofen, und Miss Pryce, deine persönliche Assistentin.“
„My Lady“, sagten alle drei wie aus einem Mund und knicksten.
„Sehr angenehm“, antwortete Hannah lächelnd.
Miss Pryce, die eine Ledermappe unter dem Arm trug, trat einen Schritt vor. „Ich habe hier Ihre Termine, My Lady, und das Programm für morgen.“
„Sehr gut“, bremste Phillip ihren Tatendrang. „Aber ich fürchte, meine Verlobte ist reichlich angestrengt nach diesem Tag. Das muss bis morgen warten.“
„Selbstverständlich, Sir.“ Miss Pryce machte wieder einen Schritt zurück.
Mit einer kleinen Handbewegung entließ Phillip die drei. Dann wandte er sich zu Hannah um. „Deine Suite besteht aus einem Schlafraum, einem Wohnraum und einem Büro.“
„Und hoffentlich einem Bad.“
„Selbstverständlich. Mit allem, was dazugehört. Dein Büro wurde mit all dem ausgestattet, was du haben wolltest. Computermäßig, meine ich.“
„Danke.“ Sie sah sich in dem Raum um. Sehr hübsch. Sofort musste sie daran denken, wie es sich wohl anfühlte, sich an Phillips Schultern zu schmiegen. Und wenn er dann die Arme um sie legte …
Bei der Vorstellung, er würde sie berühren, erbebte Hannah innerlich, und ihr wurde ganz warm. Immerhin hatten sie sich schon fast geküsst. Auch jetzt waren sie wieder allein, nebenan war gleich das Schlafzimmer. Und diesmal würde Sophie sie sicher nicht stören.
Hatte er deshalb die drei weggeschickt? Hatte er irgendetwas vor?
Er ging quer durch den Raum zu dem kleinen geschnitzten Wandschrank, öffnete ihn, wählte aus dem reichlichen Angebot eine Flasche aus und goss jedem einen Drink ein. Dann wandte er sich wieder um und schien erstaunt zu sein, dass Hannah immer noch wie angewurzelt an derselben Stelle stand.
„Das war ein langer Tag“, sagte er freundlich und trat auf sie zu. „Setz dich doch. Und entspann dich.“
Die engen Schuhe peinigten sie, aber sie dachte nicht daran, sie in seiner Gegenwart auszuziehen. Irgendwie würde sie sich dann halb entblößt fühlen. „Bleibst du hier?“
„Soll ich lieber gehen?“
„Nein, natürlich nicht. Nur … ist das in Ordnung?“
„Warum denn nicht?“
„Ich meine, dass du hier in meiner Suite bist. Vor der Hochzeit.“
„Ja und?“
„Verstößt das nicht gegen die Etikette?“
„Warum?“
Allmählich wurde sie wütend. Wollte er sie nicht verstehen? „Als Nächstes behauptest du noch, es sei vollkommen korrekt, wenn du mich ins Bett bringst.“
Er verzog die Mundwinkel zu einem kurzen gefährlichen Lächeln. „Wenn du das möchtest. Denn wie du schon gesagt hast, ich bin der König. Ich stelle hier die Regeln auf.“ Er wies auf die Couch. „Willst du dich nicht zu mir setzen?“
Diese Schuhe brachten sie noch um! Was für ein köstlicher Gedanke, sich endlich hinsetzen zu können. Dennoch zögerte sie.
„Keine Angst. Ich beiße nicht.“ Er ließ sich auf das Sofa sinken. „Es sei denn, du bittest mich darum.“
Immer noch war sie unschlüssig.
„Du kannst mir vertrauen“, versicherte er ihr.
Vielleicht war das nicht das Problem. Vielleicht hatte sie keine Bedenken wegen Phillips Verhalten.
Vielleicht war sie es selbst, der sie nicht traute.
Phillip seufzte leise. Für heute hatte er sich noch etwas ganz Bestimmtes vorgenommen, aber Hannah machte es ihm nicht gerade leicht. Vielleicht war er auch nicht ganz unschuldig daran. Aber es bereitete ihm so viel Vergnügen, sie ein bisschen aufzuziehen. „Ich verspreche, mich von meiner besten Seite zu zeigen.“
Doch sie verschränkte nur die Arme vor der Brust, sah ihn ernst an und meinte: „Und woher soll ich wissen, was deine beste Seite ist?“
Gut gekontert. Unwillkürlich musste er lächeln. Hannah gefiel ihm, und schon jetzt wurde er traurig bei dem Gedanken, dass das nicht von Dauer sein würde. Irgendwann würde er auch von ihr gelangweilt sein. Aber bis dahin wollte er ihr Beisammensein wenigstens genießen. „Und wenn ich dir nun verspreche, dich nicht zu berühren? Würdest du dich dann zu mir setzen?“
Stirnrunzelnd sah sie ihn an, und er wusste nicht, ob sie über diesen Vorschlag erleichtert oder enttäuscht war.
Schließlich nickte sie. „Einverstanden.“
Vorsichtig setzte sie sich an das andere Ende des Sofas, ganz aufrecht, die Knie fest zusammengepresst, und strich sich den Rock glatt.
„Du kannst ruhig die Folterinstrumente ausziehen“, sagte er lächelnd. Und als sie ihn verwirrt ansah, fügte er hinzu: „Die Schuhe. Sie sehen sehr unbequem aus.“
Sie blickte auf die Schuhe, als bemerke sie sie zum ersten Mal. Dann hob sie den Kopf und log: „Nicht nötig. Sie sind okay.“
Warum war sie nur so … schwierig? Was vor ihm lag, fiel ihm schwer genug. Und er würde es sehr viel leichter hinter sich bringen, wenn sie sich etwas entspannen könnte.
Er reichte ihr den Drink, beobachtete, wie sie daran nippte, und nahm dann selbst einen kräftigen Schluck. Hoffentlich lockerte der Alkohol sie ein wenig. Damit das, was jetzt folgen musste, leichter durchzuziehen war. Für beide. Obgleich er nicht damit rechnete, dass sie etwas dagegen einzuwenden hatte.
Eigentlich hätte er das Ganze lieber in den Garten verlegt, in eine romantischere Umgebung. Aber da bestand die Gefahr, dass jemand sie beobachtete. Da sein Leben sich sowieso fast nur in der Öffentlichkeit abspielte, wollte er in diesem Fall sicher sein, dass dieser Augenblick nur ihnen gehörte. Schließlich ging das, was er vorhatte, nur sie beide etwas an.
Warum fiel es ihm dennoch so schwer? Er hatte sich doch eigentlich schon längst damit abgefunden und sollte es schnell hinter sich bringen. Vielleicht war es wie mit einem Pflaster. Je schneller man es abriss, desto weniger tat es weh.
Hastig stürzte er den Rest des Brandys hinunter, dann nahm er Hannah das Glas aus der Hand, von dem sie noch kaum getrunken hatte, und stellte es zu seinem auf den Tisch.
Also, los …
Während Hannah ihn neugierig musterte, ließ er sich auf ein Knie nieder und zog eine kleine Samtschachtel aus der Hosentasche. Er klappte sie auf und zeigte seiner Verlobten den Diamantring von vierzehn Karat, der seit zwölf Generationen in seiner Familie weitergegeben wurde. Sie stöhnte leise auf.
Obgleich er damit sein Versprechen brach, sie nicht zu berühren, nahm er ihre kleine Hand in die seine. „Hannah Renault, willst du mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?“
„Natürlich will ich das“, stieß sie kaum hörbar hervor.
Vorsichtig nahm er den Ring von dem kleinen Seidenkissen und steckte ihn ihr an den Finger. Gleichzeitig empfand er überdeutlich, dass eine glückliche Phase seines Lebens endgültig beendet und er nun an diese eine Frau gefesselt war.
Schnell ließ er ihre Hand los, und Hannah starrte auf den großen Stein an ihrem Finger. Als sie den Blick hob und Phillip ansah, füllten sich ihre Augen mit Tränen.
Auch das noch, dachte er. Als ob die Situation nicht schon unangenehm genug wäre. Aber er verbarg seinen Missmut. Denn welche Frau würde bei einem solchen Geschenk nicht bewegt und den Tränen nahe sein?
„Ich habe noch nie etwas so Wunderschönes gesehen“, sagte sie leise.
Oder etwas so Großes, dachte er bei sich. Denn eins war doch wohl allen Frauen gemeinsam. Sie liebten die funkelnden Steine. „Der Ring ist seit Generationen in unserer Familie.“
„Er ist fantastisch.“
Phillip bemerkte, dass sie kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Nur das nicht. Er verlagerte sein Gewicht, um aufspringen zu können. Doch in diesem Augenblick stand Hannah auf, legte ihm die Arme um den Hals und drückte sich fest an ihn.
Dass er tatsächlich um ihre Hand anhielt und alles so ablief inklusive Kniefall und Verlobungsring, wie Hannah es sich immer erträumt hatte, verblüffte sie sehr. Denn in all den schriftlichen und mündlichen Anweisungen, die sie in Vorbereitung auf die Hochzeit erhalten hatte, war dieser formelle Akt nie erwähnt worden.
Dass Phillip es dennoch tat, konnte doch eigentlich nur eins bedeuten. Nicht weil er es musste, sondern weil er es wollte, war er vor ihr auf die Knie gefallen.
Das war die romantischste Geste, die sie sich vorstellen konnte. Damit war ihr Jungmädchentraum in Erfüllung gegangen, und das allein war der Grund, dass sie ihm so spontan um den Hals gefallen war.
Jetzt spürte sie, wie auch er sie umarmte. Wie gut er roch, und wie perfekt ihre Körper zueinander passten. Bei ihm fühlte sie sich irgendwie sicher.
Aber war sie das wirklich? Seine Hände waren schließlich nur wenige Zentimeter von Körperpartien entfernt, die bisher kein Mann berührt hatte und die auch noch in den nächsten zwei Wochen für Männerhände tabu waren. Beinahe unmerklich wurde sein Griff fester.
Doch anstatt ihn zurückzustoßen, nahm sie beglückt wahr, wie ihr Körper auf ihn reagierte. Ihr Atem ging schneller. Ihre Brüste schienen weich und schwer zu werden, als Hannah sich an ihn schmiegte. Die Hitze seiner Haut war selbst durch mehrere Stofflagen hindurch spürbar.
Verlangen stieg in ihr auf, heiß und drängend. Dieses Gefühl war neu für sie, und trotz ihrer Verwirrung bemerkte sie, dass Phillip Ähnliches empfand. Denn sie hörte, dass auch er schneller atmete, und sie spürte, wie sein Puls sich beschleunigte und sich bald dem Tempo ihres schnell schlagenden Herzens anpasste.
Das war beängstigend und herrlich und erregend zugleich. Und obgleich sie wusste, dass sie noch nicht so empfinden durfte, fühlte es sich zu gut an, als dass sie sich aus der Umarmung befreien wollte.
Als Phillip den Kopf bewegte, spürte sie seine Bartstoppeln wie eine raue Liebkosung. Sein warmer Atem streifte ihr Ohr. Hör auf, warnte ihr Gewissen. Du willst das doch gar nicht.
Oh, doch, ich will, machte sich etwas in ihr bemerkbar, das offenbar schon seit acht Jahren auf diesen Augenblick gewartet hatte.
Seine Lippen waren jetzt so nah, dass sie sie beinahe berühren konnte. Und als er ihr sanft über die Wange strich, durchfuhr es sie heiß, und sie presste sich an ihn, unfähig, sich zu lösen.
Sie sahen sich an, und beide spürten, dass etwas geschehen könnte, geschehen würde … Mit den Lippen liebkoste er ihre Wangen, die Mundwinkel … Dann spürte sie sie auf dem Mund, und obgleich sie darauf gewartet, sich danach gesehnt hatte, überraschte sie das Gefühl, das sie dabei empfand. Es erschreckte sie zu Tode, denn es war mächtig und unglaublich schön. Aber hatte sie sich deshalb die ganzen Jahre zurückgehalten, hatte sich aufgespart für die Hochzeitsnacht, um jetzt zwei Wochen vorher doch nachzugeben?
So nahm sie alle Kraft zusammen, löste sich leicht von ihm und legte ihm den Kopf auf die Schulter. „Du hast mir versprochen, mich nicht anzurühren“, flüsterte sie.
„Das ist nicht gerade fair. Schließlich hast du ja angefangen.“
Dagegen konnte sie nichts sagen. Denn sie hatte sich ihm buchstäblich an den Hals geworfen. Nur sich selbst konnte sie einen Vorwurf machen. „Du hast recht. Aber wir müssen aufhören.“
„Warum denn?“ Er legte ihr die Hände um die Taille und kitzelte sie mit der Zunge hinter dem Ohr. „Du kannst mir nicht weismachen, dass du es nicht genauso willst wie ich.“
Natürlich wollte sie es genauso wie er, vielleicht noch dringender, aber darum ging es nicht. Sie legte ihm die Handflächen gegen die Brust. „Wenn du mich besser kennst, wirst du feststellen, dass ich leider ein Mensch bin, der will, dass alles korrekt abläuft. Und wir sind noch nicht verheiratet.“
„Aber niemand wird davon erfahren.“
„Das ist egal. Ich weiß es.“
Tief stöhnte er auf, dann schüttelte er frustriert den Kopf, hob sie hoch und setzte sie wieder auf das Sofa.
Da sie sich selbst nicht traute und von ihm nicht erwarten konnte, dass er rechtzeitig die Bremse zog, musste sie in Zukunft verführerischen Situationen generell aus dem Weg gehen. Das bedeutete, dass bis zur Hochzeit jegliche Art von Berührungen verboten war, von Küssen ganz zu schweigen. „Wir haben doch schon so lange gewartet. Da werden uns zwei weitere Wochen auch nicht umbringen.“
Er stand auf. „Wenn du meinst.“
Es war nicht zu übersehen, dass er stark erregt war. Errötend blickte sie zur Seite. Einerseits war sie verlegen, andererseits machte es sie stolz, dass ihre Berührungen eine solche Wirkung auf ihn hatten. Vorsichtig warf sie ihm einen Blick zu. „Bist du böse auf mich?“
Seine Miene entspannte sich. „Natürlich nicht. Würden alle Leute ihre Prinzipien so hochhalten wie du, dann wäre es um die Welt besser bestellt.“
Erleichtert strahlte sie ihn an. Das war wirklich nett gesagt. Und er klang so ernst, als meine er wirklich, was er sagte. Vielleicht war er doch nicht so emotionslos und unbeugsam, wie er alle Welt glauben machen wollte.
„Ich sollte jetzt gehen. Es war ein langer Tag für dich.“
„Ja, ich bin auch ziemlich erschöpft“, gab sie zu. Wenn sie die Zeitdifferenz dazurechnete, war sie jetzt mehr als vierundzwanzig Stunden auf den Beinen.
„Neben dem Telefon liegt eine Telefonliste“, erklärte er und griff nach seinem Jackett. „Nur für den Fall, dass du noch irgendetwas brauchst.“
Er ging zur Tür, und sie folgte ihm. „Vielen Dank“, sagte sie leise.
Die Hand bereits auf dem Türgriff, drehte er sich zu ihr um. „Wofür?“
Verlegen zuckte sie mit den Schultern. Plötzlich war ihr bewusst, wie wenig sie mit ihren vierundzwanzig Jahren doch vom Leben wusste. Aber sie war bereit zu lernen. „Ich weiß nicht. Für alles wahrscheinlich.“
„Gern geschehen.“ Er öffnete die Tür, wandte sich dann aber noch einmal um. „Übrigens, wo bewahrst du deinen Lippenstift auf?“
„Meinen Lippenstift?“
„Ja. Du hast keine Handtasche bei dir, aber im Laufe des Tages immer mal wieder die Lippen nachgezogen. Ich bin lediglich neugierig, wo du ihn verborgen hast.“
Seltsam, dass er das bemerkt hatte. Aber vielleicht durfte ihm als König nichts entgehen. Sie lächelte ihn an. „Eine echte Lady plaudert solche Geheimnisse nicht aus, Eure Hoheit.“
„Ich habe schon befürchtet, dass du das sagen wirst.“ Kopfschüttelnd trat er in den Flur, drehte sich dann aber noch ein letztes Mal um. „My Lady, ich muss Sie warnen. Ich bin daran gewöhnt, das zu bekommen, was ich haben will und wann ich es haben will.“ Er lächelte. „Auch wenn wir offiziell erst nach der Trauung die Ehe vollziehen, so kann ich Ihnen nicht versprechen, bis dahin die Finger von Ihnen zu lassen.“
Erst dachte sie, er mache Spaß. Aber dann blickte sie ihm in die Augen und sah, dass es ihm bitterernst mit dem war, was er sagte. Und er wusste, dass auch ihr das klar war.
Nun setzte er wieder sein charmantes Lächeln auf. „Gute Nacht, Hannah. Schlaf gut.“
Er zog die Tür leise ins Schloss, und Hannah blieb wie betäubt stehen. Seine Drohung hatte sie wohl verstanden, aber merkwürdigerweise war sie alles andere als beunruhigt.
Im Gegenteil. Vor Erregung konnte sie kaum Schlaf finden.
Hannah war bereits geduscht und angezogen, als Miss Pryce am nächsten Morgen pünktlich um neun Uhr an ihre Tür klopfte. Immer noch ganz benommen vom Jetlag, öffnete sie die Tür und ließ Miss Pryce ein.
„Guten Morgen, My Lady.“ Miss Pryce, einen beeindruckenden Stapel von Akten unter dem Arm, deutete einen Hofknicks an. „Ich bringe Ihnen die Unterlagen, die Sie angefordert haben.“
„Du liebe Zeit! Da muss ja jemand die ganze Nacht gesessen haben, um das alles zusammenzutragen“, rief Hannah aus. Das sollte sie alles lesen? Aber vielleicht waren auch Informationen über diese Frau darunter, die sie gestern so auffällig gemustert hatte. Und vielleicht konnte sie herausfinden, weshalb die Frau so an ihr interessiert zu sein schien.
„Kann ich Ihnen die Unterlagen ins Büro bringen?“, fragte Miss Pryce.
„Nein.“ Hannah hasste es, im Büro eingesperrt zu sein. „Bitte, legen Sie die Sachen dort auf den Couchtisch.“
Beflissen tat Miss Pryce, wie ihr gesagt worden war. Dann stand sie hoch aufgerichtet da, die Ledermappe, die sie gestern bereits bei sich gehabt hatte, unter den Arm geklemmt. „Die heutigen Termine …“
„Möchten Sie eine Tasse Kaffee, Miss Pryce?“
„Nein, danke.“
„Ich kann Ihnen auch einen Tee bringen lassen.“
Sie verzog keine Miene. „Nein, danke. Ich brauche nichts.“
Wie wäre es mit einem Glas Champagner oder einem Schluck Whiskey zur Aufmunterung, dachte Hannah. Ob man hier immer so formell miteinander umging? Wenn das der Fall war, würden sie sich an Änderungen gewöhnen müssen. Denn das Hauspersonal bei den Renaults wurde eher wie ein Teil der Familie behandelt und nicht wie Dienstboten.
Auch als Mitglied des Könighauses konnte man Mensch bleiben.
„Haben Sie einen Vornamen, Miss Pryce?“
Miss Pryce war verwirrt. „Ja … natürlich.“
„Und wie ist der?“
„Äh …“ Miss Pryce zerbrach sich offenbar den Kopf, warum Hannah das wissen wollte. „Ich heiße Elizabeth.“
„Darf ich Sie bei Ihrem Vornamen nennen?“
Dieses Ansinnen verschlug Miss Pryce die Sprache. Sie starrte Hannah ratlos an.
Was war denn daran so kompliziert? Hannah unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer. „Miss Pryce, ich weiß zwar nicht, wie die Dinge hier im Palast gehandhabt werden. Aber da Sie meine persönliche Assistentin sind, gehe ich davon aus, dass wir ziemlich viel Zeit miteinander verbringen werden.“
Miss Pryce nickte.
„In diesem Fall würde ich Sie gern bei Ihrem Vornamen nennen.“
„Aber mit dem größten Vergnügen, My Lady. Ist mir eine Ehre.“
Dieses „My-Lady-Getue“ ging Hannah auch schon auf die Nerven. „Und meinen Sie, dass Sie im Gegenzug Hannah zu mir sagen könnten?“
„Oh, nein, My Lady!“ Miss Price senkte den Blick und schüttelte den Kopf. „Das wäre keinesfalls angemessen. Ich würde meinen Job verlieren.“
Darüber würde noch zu reden sein, aber momentan ließ Hannah das Thema fallen. Denn sie bemerkte, dass Miss Pryce äußerst unbehaglich zumute war. „Gut, lassen wir das. Aber bevor wir beginnen, Elizabeth, würde ich gern noch ein Wort mit meinem Verlobten sprechen.“ Fast die ganze Nacht hatte sie wach gelegen. Es gab so vieles, was sie ihn fragen wollte, sie unbedingt wissen musste.
„Er ist nicht da.“
„So? Und wissen Sie, wann er zurückkommt?“
„Ich glaube, am Freitag.“
„Am Freitag?“ In fünf Tagen?
„Wenn das Wetter so bleibt.“
„Wetter? Was hat das mit dem Wetter zu tun?“
„Seine Hoheit und sein Cousin Sir Charles würden bei Regen die Jagd abbrechen.“
Jagd? Phillip war auf der Jagd?
Mit Mühe schaffte Hannah es, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie diese Nachricht kränkte. Sie war kaum vierundzwanzig Stunden hier, und ihr Verlobter musste sie bereits wegen eines mehrtägigen Jagdausflugs verlassen? Das bedeutete, dass ihnen bis zur Hochzeit nur noch eine Woche blieb, um sich etwas näher kennenlernen zu können. War sie ihm denn vollkommen gleichgültig?
Nein, natürlich nicht, versuchte sie sich zu beruhigen. Sein Verhalten gestern hatte bewiesen, dass er durchaus etwas für sie empfand. Wahrscheinlich gab es irgendeinen anderen Grund dafür, dass er sie allein ließ. Vielleicht diente der sogenannte Jagdausflug irgendwelchen geheimen Geschäften? Vielleicht hatte Phillip etwas zu erledigen, wovon niemand etwas wissen durfte?
Dass er lediglich mit ihr nichts zu tun haben wollte, konnte sie sich nicht vorstellen.
Offensichtlich war ihr anzumerken, was sie empfand, denn Miss Pryce blickte sie besorgt an. „Wenn es etwas sehr Dringendes ist …“
„Nein, nein. So wichtig ist es nicht.“ Hannah setzte ein beruhigendes Lächeln auf. Auf keinen Fall sollte ihre Assistentin ahnen, wie sehr Hannah dieses Verhalten ihres Verlobten verletzte. „Das hat Zeit, bis er wieder zurück ist.“ Sie wies auf das Sofa. „Wollen wir anfangen?“