Ein betagter Fiat ist eine gute Wahl, um auf abseitigen Routen durch den Cilento zu kurven: Die entgegenkommenden Fahrer hupen oder heben grüßend die Hand, vielleicht weil sie glauben, ich sei der Obsthändler von nebenan. Vielleicht wollen sie aber auch ganz einfach nur freundlich sein. Die freundlichen Menschen hatten mich bereits bei meinem ersten Besuch ziemlich beeindruckt.

Bei meiner fünften Erkundungsreise leistete mir mein kleiner, aber unverwüstlicher Fiat noch immer gute Gesellschaft. Einmal befand ich mich nach einer Wanderung im Hinterland gerade auf dem Rückweg ins Quartier, als mir ein Auto entgegenkam - eine Seltenheit in dieser gottverlassenen Gegend! Das Auto fuhr zunächst an mir vorbei, blieb dann aber stehen und stieß zurück. Überrascht erkannte ich auf dem Fahrersitz den Restaurantinhaber wieder, mit dem ich am Vortag kurz geplauscht hatte, als ich sein Lokal testete. Er sei auf dem Weg in die Berge, erzählte er, Pilze sammeln. Er wisse genau, wo die besten zu finden seien. Heute Abend stehe hausgemachte Pasta mit Steinpilzsoße auf dem Speiseplan.
Mich freute diese Begegnung. Wenn mich etwas mit dieser Gegend verbindet, dann sind es diese kleinen Erlebnisse. Und natürlich kann ich das Restaurant den Lesern dieses Reiseführers guten Gewissens empfehlen.
Reisende registrieren dankbar, dass - im Gegensatz zu anderen Gegenden Italiens - die Cilento-Küste überwiegend unverbaut geblieben ist. Mal fällt sie steil und schroff zum Tyrrhenischen Meer ab, dann wieder verschmelzen die Elemente Wasser und Erde auf sanfte Weise miteinander. Nur spärlich besiedelt präsentiert sich auch das Hinterland. Schluchten, Berge und karstige Hochflächen widersetzten sich bislang dem Zugriff der Zivilisation, hier herrscht eindeutig die Natur. Landschaftlich dominiert der herbe Charme, v. a. in den Schluchten des Calore oder in der Bussento-Region. Ab und an zeigt sich der Cilento aber auch von seiner lieblichen Seite, wenn z. B. am Golf von Velia der Blick landeinwärts auf die entrückten Hügel fällt. Nicht umsonst ist der südlichste Zipfel Kampaniens seit 1991 Nationalpark, seit 1998 UNESCO-Welterbe und - damit nicht genug - seit 2010 Mitglied im Weltnetzwerk der Geoparks.


Wen es zu den berühmten Destinationen der Grand Tour treibt, der muss sich nach Norden orientieren, nach Sorrent, Capri, Pompeji oder Amalfi. Weit sind die Wege nicht, viele Gäste nehmen sie von ihrem Standquartier im Cilento auf sich. Immerhin, die grandiosen Tempel zu Paestum bilden quasi den Vorhof zum Nationalpark, und auch im bergigen Hinterland versteckt sich das eine oder andere Kultobjekt, das von der etablierten Kunstwissenschaft bislang übersehen wurde. Ein Höhepunkt ist die Kartause von Padula, die eine der gewaltigsten Barockanlagen Süditaliens ist. Auch das Museum im Kloster lohnt einen Besuch, ebenso weitere Antiquarien, die säuberlich über den Cilento verteilt sind. Sie bewahren, was die Umgebung an Altertumsfunden hervorgebracht hat. Einige Dörfer im Hinterland wirken hingegen etwas mitgenommen; Emigration, Erdbeben und Wiederaufbau trugen zu ihrem geschundenen Erscheinungsbild bei. Andere wiederum sind ansprechend gepflegt, spektakulär klammern sich Häuser und Kirchen an den Rand tiefer Schluchten.
Pythagoras mied Hülsenfrüchte bekanntlich wie der Teufel das Weihwasser; er verbot sich und seinen Schülern ihren Genuss. Aber der Ernährungsguru wirkte in der heutigen Basilikata und damit zwar in der Nähe, aber eben nicht im Cilento. Dort nämlich veredeln Bohnen und Kichererbsen seit jeher die Tafel. Ob mit prominentem Segen der Philosophenschule von Elea, ist nicht überliefert. Fest steht hingegen, dass die Küche im Cilento aus der Armut geboren ist. Auf den Tisch kommt, was der Bauer erntet, und das hört sich nicht schlecht an: Neben der Rinder- und Schafzucht leben die Menschen vom Oliven- oder Feigenanbau, auf Wiesen wachsen Wildkräuter, in den Wäldern Pilze, an der Küste widmen sich die Einheimischen dem Fischfang. Heute lebt ein großer Teil der Bevölkerung von der Verarbeitung ihrer Produkte zur bekömmlichen Cucina cilentana. Den amerikanischen Physiologen Ancel Keys inspirierte sie zu seiner „Mittelmeerdiät“, die 2010 in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wurde.

Der Dichter und Philosoph Luciano de Crescenzo riet seinen neapolitanischen Lesern Folgendes: „Anstatt mit euren Autos zur Verkehrsverstopfung der Insel Ischia beizutragen, solltet ihr eines Tages einmal ein wenig südlicher fahren und die ganz unbekannte italienische Küste zwischen Punta Licosa und Capo Palinuro erkunden.“ Inzwischen hat Neapel ihn erhört; unbekannt ist die Costiera cilentana längst nicht mehr, und zur Hauptreisezeit sowie an heißen Feiertagen bevölkern Scharen von erholungsbedürftigen Städtern die Strände. Einhundert Küstenkilometer sind mehr als genug, um für jeden Geschmack etwas in petto zu haben. Wer flachen Sandstrand vorzieht, wird sich an der Spiaggia di Pozzillo bei Castellabate wohlfühlen oder weiter südlich an der „Riviera“ zwischen Palinuro und Camerota. Eine atemberaubende Naturkulisse bieten hingegen die Steilufer südlich von Ascea, am Kap von Palinuro oder rund um die Costa degli Infreschi, die zu den schönsten Baderevieren an der südlichen Cilento-Küste zählt.
Zu Fuß gehen zu müssen, gilt in Italien gemeinhin als größtes anzunehmendes Unglück. Dabei wird oft vergessen, dass die Menschen vor Beginn des automobilen Zeitalters auf die eigenen Beine als Mittel der Fortbewegung angewiesen waren. Noch heute sind einige Sehenswürdigkeiten im Cilento nur auf Schusters Rappen zu erreichen. Die Verantwortlichen haben mittlerweile das Potenzial der Region für den Wandertourismus erkannt - das Wegenetz wächst von Jahr zu Jahr. Auf den einen oder anderen schweißtreibenden Anstieg müssen sich Naturfreunde gefasst machen, nicht der Hitze wegen, sondern weil die Topografie den Touren ihren Stempel aufdrückt. Wer ganz hoch hinaus will, besteigt einen der Aussichtsberge: den Monte della Stella, den Monte Bulgheria oder mit dem Monte Cervati gar den höchsten Gipfel Kampaniens. Wer es hingegen ruhiger angehen lassen und sich zwischendurch im Meer erfrischen möchte, hält sich am besten an die Küstenwege. Vierzehn reizvolle Tourenklassiker stellen wir Ihnen im Wanderteil des Buches ausführlich vor.


Italiener lieben ihre „bambini“, und wer sich mit Kind und Kegel gen Süden begibt, kann sicher sein, rasch herzlichen Anschluss zu den Einheimischen zu finden. Ein familientauglicher Strand findet sich an beinahe jedem Küstenort, aber auch die Ufer des Calore und die Capodifiume-Quelle im Hinterland bieten Badefreuden für Jung und Alt. Unkomplizierte, für ältere Kinder geeignete Wanderungen sind zwar eher die Ausnahme, aber es gibt sie immerhin. Für einen hohen Erlebniswert sorgen zudem die Tropfsteinhöhlen bei Castelcivita und Pertosa sowie die Geisterdörfer Roscigno Vecchia und San Severino di Centola. Ansonsten stecken kindgerechte Angebote noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen. Jedenfalls können Familien im Cilento von einem reichhaltigen Angebot an Ferienhäusern profitieren - mit separatem Kinderzimmer und einer Küche für Selbstversorger.
Eine Filmkomödie mit dem Titel „Willkommen im Süden“ machte im Herbst 2010 Furore und avancierte zu einem der erfolgreichsten italienischen Kinostreifen der Nachkriegsgeschichte. Weil der Film zum größten Teil im Cilento-Dorf Castellabate spielt, rückte der Ort schlagartig von der Peripherie ins Zentrum der touristischen Landkarte. Scharen von Besuchern stürmten daraufhin das Dorf - auf der Suche nach dem Postamt, das in Wirklichkeit ein beliebtes Café auf der zentralen Piazzetta ist. Natürlich spielt die Liebe eine wichtige Rolle in dem Film. Eine besondere Form der Zuneigung entwickelt der Protagonist im Verlauf der fiktiven Handlung vor dem realen Hintergrund des Nord-Süd-Konflikts: Der in den Cilento strafversetzte Postbeamte verabschiedet sich nach und nach von seinen Vorurteilen gegenüber dem Mezzogiorno und erliegt dem Zauber des Südens. Nicht anders ergeht es den meisten Reisenden aus dem Norden.