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4., verbesserte Auflage 2020 – © 2014–2020 Klaus Sebastian

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

Gesetzt in der Minion Pro

Titelbild: Tellusrelief der Ara Pacis Augustae

Fotografie: Manfred Heyde / CC BY-SA 3.0

ISBN 9783738671049

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

Mit der römischen Kaiserzeit von Augustus bis Severus Alexander hat das vorliegende Buch eine Epoche zum Thema, die die bedeutendste Weltreichsbildung der Geschichte auf ihren Höhepunkt geführt und uns ein reiches kulturelles Erbe hinterlassen hat, das noch heute einen wesentlichen Bestandteil unseres westlichen Selbstverständnisses darstellt.

Dem Rechnung tragend, habe ich mich bemüht, die römische Kaiserzeit aus einer Vielzahl von Perspektiven zur Anschauung zu bringen. Neben der Ereignisgeschichte mit den ihr zugrundeliegenden, von ihr aber auch veränderten Strukturen staatlicher, politischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und mentaler Art und neben der Technik und dem Alltagsleben habe ich daher auch die Manifestationen des kulturellen und geistigen Lebens dieser Zeit behandelt, wobei nicht nur die „heidnische“, sondern selbstverständlich auch die jüdische und christliche Seite mit einbezogen wurden; wie denn auch das Weltbild der Kaiserzeit – inklusive seines astrologischen Pendants und der alternativen Weltvorstellungen – sowie das kaiserzeitliche Erdbild eine ausführliche Darstellung erhalten haben. Ferner war es mein Anliegen, durch einen panoramaartigen Rundblick über die Provinzen daran zu erinnern, daß das Römische Reich aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Landschaften/Provinzen/Ländern bestanden hat, die nicht nur Teil eines großen Ganzen waren, sondern auch ein ausgeprägtes Eigenleben geführt haben. Und nicht zuletzt habe ich besonderes Gewicht auf die Darstellung der städtischen Kultur und Zivilisation des Reiches gelegt; zum einen, weil die Stadtgemeinden („Lokalstaaten“) ein konstitutives Element des römischen Staatsbaus und der römischen Weltherrschaft gewesen sind; zum anderen, weil die Urbanisation der Kaiserzeit das Bild der Städtelandschaft in den davon betroffenen Regionen bis heute maßgeblich geprägt hat; und schließlich, weil sich in der römischen Stadt das Römertum in seinen politischen und sozialen Aspekten und der Prozeß der Romanisierung am sinnfälligsten ausgeprägt haben.

An den Leser ergeht auf diese Weise die Einladung, an einer Reise zu den verschiedensten Schauplätzen des geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und geistigen Lebens der Kaiserzeit und einer Begegnung mit seinen führenden Vertretern teilzunehmen; und ich hoffe, er wird, entsprechendes Interesse natürlich vorausgesetzt, nicht enttäuscht werden.

So wird er z.B. in den dem kulturellen und geistigen Leben gewidmeten Teilen des Buches erfahren können, wie man sich den Aufbau und die Gestalt des Universums und die ihm immanenten Gesetze vorstellte; welche Elemente man für die Bausteine der Welt hielt; warum die damals schon alte Theorie von der atomaren Struktur der Materie im wissenschaftlichen Leben nur ein Schattendasein führte; weshalb man überzeugt war, daß die Erdkugel unbewegt sei und sich im Zentrum des Universums befinde; warum man zur Erklärung der Gestirnbewegungen die Hypothese einer täglichen Rotation der (die Mitte des Weltalls einnehmenden) Erdkugel ebenso ablehnte wie das schon früher als alternatives Modell zum geozentrischen Weltbild entwickelte heliozentrische Weltbild; welche Größe man für die Sonne und den Mond annahm; auf was man ihre Entfernung von der Erde berechnete; und welche Deutung man der Milchstraße, den Kometen, den Sternschnuppen, den Meteoriten und dem Phänomen der Präzession gab. Er wird erfahren, warum Ptolemaios glaubte, das uralte Rätsel der Planetenbewegungen einer endgültigen Lösung zugeführt zu haben; und er wird dem großen Gelehrten über die Schulter schauen, wenn er den kühnen Versuch unternimmt, die Größe des Weltalls zu berechnen. Er wird interessante astrophysikalische Vorstellungen kennenlernen, die von der damals herrschenden Lehre abwichen, und erfahren, daß man in manchen Gelehrtenzirkeln außerirdisches Leben, insbesondere Leben auf dem Mond, für möglich, ja wahrscheinlich hielt. Er wird teilnehmen an einer phantastischen Reise zum Mond und zu den Sternen, die moderne Science-Fiction-Storys vorwegnimmt. Und er wird das astrologische Weltbild der Kaiserzeit kennenlernen – einschließlich der Argumente, mit denen man bereits damals jegliche Form der Astrologie zu widerlegen vermochte.

Hinsichtlich des Ursprungs der Welt wird er die Vorstellung kennenlernen, sie sei die Bildung oder Schöpfung Gottes (Juden und Christen); oder ungeworden und mit Gott selbst identisch (Stoiker); oder das Erzeugnis eines minderwertigen Schöpfergottes, ein Ort der Finsternis und des Bösen, jenseits von dessen Grenzen das Lichtreich des höchsten, des Unbekannten Gottes existiere (Gnostiker); oder sie sei nur eine von vielen, aus akzidentiellen Atomverbindungen hervorgegangenen Welten in einer endlosen Leere und somit das Produkt blindwirkenden Zufalls (Epikureer).

Er wird erfahren, welche Nachrichten und Vorstellungen man von den Ländern und Völkern in den Randgebieten des bekannten Teils der Erde besaß (zu denen u.a. ja auch die Küstengebiete Deutschlands gehörten); wie in der Kaiserzeit das geographische Wissen der Menschen im Mittelmeerraum vor allem in Bezug auf Afrika und Ost- und Südostasien eine beträchtliche Erweiterung erfuhr; daß man bereits eine zutreffende Vorstellung von den Polarnächten und überhaupt von den unterschiedlichen Beleuchtungsverhältnissen auf der Erdkugel besaß; und daß man darüber spekulierte, ob man von Spanien aus auf einer Fahrt nach Westen Indien erreichen könne oder vorher auf eine oder mehrere, noch unbekannte Neue Welten stoßen werde. Er wird kennenlernen, wie man sich die Entstehung von Ebbe und Flut, von Erdbeben, von Regenbögen und von Blitz und Donner erklärte. Und auf dem Gebiet der Zoologie wird er erfahren, daß man glaubte, den Tieren Intelligenz, Klugheit, moralische Eigenschaften und divinatorische Gaben zusprechen zu können. Er wird aber auch mit dem bedenkenswerten erkenntnistheoretischen Standpunkt konfrontiert, daß der Mensch, als ein Lebewesen unter anderen, auf Grund seiner Sinnesausstattung zur Erkenntnis der Wirklichkeit und damit der Wahrheit nicht befähigt sei (Sextos Empeirikos).

Er wird Zeuge des Ringens der philosophischen Schulen, den Sinn des Daseins zu enträtseln und eine Wissenschaft vom rechten Leben (und Sterben) zu entwickeln (Seneca, Epiktet, Mark Aurel, Diogenes von Oinoanda, Sextos Empeirikos); er wird teilnehmen an der theologischen Ausgestaltung des christlichen Glaubens von Paulus bis hin zu Origenes; an den Bemühungen der Alexandriner Philo und Klemens, eine Synthese zwischen der griechischen Philosophie und dem jüdischen bzw. christlichen Offenbarungsglauben herbeizuführen; an Markions Versuch, das Christentum völlig von seinen jüdischen Wurzeln zu befreien; an einem (fiktiven) christlich-jüdischen Dialog (Justin); und an der Auseinandersetzung zwischen dem großkirchlichen Christentum und seinen heidnischen und gnostischen Gegnern. Und er wird in das heidnische religiöse Leben der Hohen Kaiserzeit ebenso eingeführt werden wie in die wichtigsten Schriften des Neuen Testaments und die historischen und apologetischen Werke des Flavius Josephus.

Er wird den berühmten Techniker Heron von Alexandrien kennenlernen und die Experimente und das medizinische Theoriengebäude des großen Arztes Galen und zudem erfahren, was alles er zur Grundlage seiner Diagnose und Prognose zu machen pflegte. Er wird einen Einblick nehmen in das großartige Gedankengebäude der römischen Jurisprudenz und dabei u.a. auch auf die Ansicht stoßen, daß nach dem Naturrecht alle Menschen frei und gleich an Rechten geboren würden. Er wird an eine repräsentative Auswahl römischer Kunstwerke herangeführt und in diesem Zusammenhang auch in die Statik des Pantheons, des wohl vollendetsten Kuppelbaus der Menschheit, eingeweiht werden.

Er wird Meisterwerke der Weltliteratur kennenlernen wie Vergils „Aeneis“, Ovids „Metamorphosen“ und Petrons „Satyrica“; ferner das dichterische Werk Horaz’; eine der Tragödien Senecas; die Spottepigramme Martials und die Satiren Juvenals und des unnachahmlichen Lukian; den Schelmen- und Sittenroman des Apuleius; Longos’ hübsche Geschichte von Daphnis und Chloe; und noch etliche andere literarische Werke, nicht zuletzt die erotischen Dichtungen Ovids. Und er wird auch Zeuge, wie Ovid, von Augustus (u.a. seiner „Ars amatoria“ wegen) ans Schwarze Meer verbannt, seinen „Fall“ zur Dichtung gestaltet, um vor der Weltöffentlichkeit Gerechtigkeit für sich zu fordern. Und er wird ferner erleben, wie Lucan in seinem Epos vom Bürgerkrieg die Darstellung des zeitlosen Phänomens rücksichtslos-egoistischen Machtmenschentums mit einem Frontalangriff auf das Kaisertum zu verbinden wagt. Er wird erfahren, wie der Pädagoge und Rhetoriklehrer Quintilian sich zum Anwalt der Erziehungs- und Bildungsansprüche des Kindes macht und sich in diesem Zusammenhang u.a. gegen die körperliche Züchtigung ausspricht; wie Musonius Rufus eine Lanze für die Gleichberechtigung der Frau bricht; und wie Dion Chrysostomos für die Unverletzlichkeit der Menschenwürde eintritt. Er wird mit Plinius’ hochinteressanter „Naturkunde“ ebenso vertraut gemacht werden wie mit den Sachbüchern eines Vitruv („Über die Baukunst“), eines Columella („Über die Landwirtschaft“) und eines Celsus („Über die Medizin“), dessen von Klarheit der Gedankenführung und eleganter Sachlichkeit geprägte Sprache auch ihn bestechen wird. Er wird die berühmten Biographien Plutarchs und Suetons ebenso kennenlernen wie Livius’ monumentales Opus über die Geschichte Roms und neben manch anderem Werk der Historiographie schließlich auch Tacitus’ ethnographische Schrift über die Germanen und seine „Historien“ und „Annalen“, in denen der bedeutendste Geschichtsschreiber der Kaiserzeit den großen und kleinen Akteuren auf der Bühne des Weltgeschehens die Maske vom Gesicht zieht und die Welt des schönen Scheins als eine solche des Teufels entlarvt.

Hervorgegangen ist das Buch aus einer jahrzehntelangen intensiven Beschäftigung mit den Quellen und der wissenschaftlichen Literatur zur römischen Kaiserzeit und vielen Reisen durch Landschaften, die einst zum Römischen Reich gehört haben.

Die Beschäftigung mit den Menschen der Kaiserzeit, ihrer Geschichte und ihrer Kultur habe ich stets als eine große Bereicherung meines Lebens empfunden. Ob ich es aber vermocht habe, dieses Gefühl und diese Einschätzung auch anderen zu vermitteln und ein lebendiges und anregendes Bild dieser Epoche und der sie bewegenden Gedanken und Vorstellungen zu zeichnen, muß ich dem Urteil des Lesers überlassen.

Ich widme dieses Buch meiner Frau und meinem Sohn, die jeweils auf ihre Weise zu seinem Gelingen beigetragen haben.

Wuppertal, im Sommer 2014

EINLEITUNG

Dort, wo sich später einmal auf sieben Hügeln – dem Kapitol, Palatin, Aventin, Caelius, Esquilin, Viminal und Quirinal – die berühmteste aller menschlichen Ansiedlungen: die Stadt Rom erheben sollte, existierten Mitte des 8. Jh. vor unserer Zeitrechnung (v. u. Z.) nur kleine dörfliche Siedlungen von Bauern, Hirten, Handwerkern und Händlern. Sie gehörten zur latino-faliskischen Bevölkerungsgruppe der Apenninenhalbinsel, die, vielleicht um die Jahrtausendwende, (aus dem mittleren Donauraum?) über die Alpen nach Italien eingewandert war und jene Landschaft in Besitz genommen hatte, die nach ihr fortan den Namen Latium trug. Die Bewohner der Hügelgruppe am unteren Tiber lebten in einfachen Hütten und begruben ihre Toten u.a. in dem Tal nördlich des Palatins nahe der Stelle, wo sich in der Kaiserzeit auf dem Forum der Tempel des Antoninus Pius und der Faustina erheben sollte. Seit uralter Zeit verlief eine Straße, von Etrurien kommend, über eine Furt unterhalb der Tiberinsel durch das Tal des späteren Circus Maximus in Richtung Kampanien, am linken Flußufer eine alte Salzstraße kreuzend, welche von den Salinen der nahegelegenen Meeresküste durch das Tibertal ins italische Hinterland führte. Gelegentlich kamen griechische Händler von ihrem Stapelplatz auf Ischia zu Schiff flußaufwärts und legten unterhalb der Tiberinsel am östlichen Ufer an, wo sich in historischer Zeit das Forum Boarium, der „Rindermarkt“, befand. Aber nichts deutete damals darauf hin, daß von den umliegenden Hügeln aus einmal jahrhundertelang die Geschicke der Welt bestimmt werden würden.

Nach Ausweis der archäologischen Forschung nahm die Stadt Rom ihren Anfang in den letzten Jahrzehnten des 7. Jh. (diese und alle Zeitangaben der Einleitung und des 1. und 2. Kapitels beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf die Zeit v. u. Z.). Damals wurde das sumpfige Tal zwischen Kapitol, Palatin und Quirinal durch die Anlage eines Grabens, des Vorläufers der späteren Cloaca Maxima, entwässert und auf dem Gelände ein gepflasterter Markt- und Versammlungsplatz (forum und comitium) angelegt, zu dem sich bald öffentliche Gebäude gesellten; wie im Bereich der späteren Maxentius-Basilika denn auch erste Privathäuser aus Stein und mit Ziegeldächern errichtet wurden. Die weitere urbane Entwicklung der Tiberstadt dokumentieren sodann mehrere Bauten aus den letzten Jahrzehnten des 6. Jh.: ein Tempel auf dem Forum Boarium; große Atriumhäuser am Nordhang des Palatins; und der Tempel der kapitolinischen Trias Jupiter, Juno und Minerva auf dem Kapitol.

Daß die Stadtwerdung Roms und sein Hineinwachsen in die antike Hochkultur das Ergebnis der Unterwerfung seiner Bevölkerung durch die Etrusker und der Aufpfropfung eines etruskischen Königtums sei, ist ein Produkt moderner gelehrter Phantasie, das weder durch literarische noch durch archäologische Zeugnisse gestützt wird. So ist z.B. der Übergang zur Steinbauweise in Rom und Latium z.Z. besser dokumentiert als in Etrurien und ein zeitlicher Vorsprung der Etrusker archäologisch nicht zu beweisen. Auch sind die meisten frühen römischen Inschriften lateinisch, nur ganz wenige etruskisch. Es sieht daher vielmehr so aus, daß Kampanien, Latium und Etrurien im 7. und 6. Jh. gemeinsam von Waren, Ideen und Menschen aus der griechischen Welt durchdrungen worden sind; und daß sich aus diesen Einflüssen und den engen Kontakten zwischen Latinern und Etruskern in Mittelitalien damals eine materielle Kultur herausgebildet hat, die beiden Völkern mehr oder weniger gemeinsam war. Latiner wie Etrusker haben von den Griechen die Steinbauweise und den Städtebau übernommen und ebenso die Schrift, die jeweils entsprechend abgewandelt wurde. In gleicher Weise haben beide ihre Götter mit Göttern der Griechen identifiziert und deren bildliche Darstellung und Mythologie übernommen.

Die spätere römische Überlieferung wußte aus der Frühzeit der Tiberstadt von sieben Königen zu berichten, die nicht nur im Altertum, sondern auch noch in der Neuzeit als historische Persönlichkeiten angesehen worden sind, bis ihre geschichtliche Existenz von der modernen Quellenkritik weitgehend in den Bereich der Sage verwiesen werden konnte. Erster König Roms und zugleich der Gründer der Stadt und Schöpfer ihrer ältesten Verfassung war dieser Überlieferung zufolge Romulus, der seinen Bruder Remus im Streit erschlug, wegen Mangels an Kolonisten arme Leute, Schuldflüchtige, Rechtsbrecher und entflohene Sklaven in die Stadt aufnahm und dem Mangel an Frauen durch den Raub der benachbarten Sabinerinnen abhalf. Die Überlieferung von den sieben Königen Roms ist dann schon früh mit der griechischen Trojasage und dem Aeneaskult der südetrurischen Städte verbunden und zum römischen Ursprungsmythos ausgebildet worden. Dem zufolge konnte ein Teil der Trojaner unter der Führung des Aeneas, des Sohnes des Anchises königlich-trojanischen Geblüts und der Aphrodite/Venus, dem Untergang ihrer Heimatstadt entkommen und wurde nach langer Irrfahrt an die Gestade Latiums verschlagen, wo aus der Verschmelzung der Trojaner mit den Einheimischen das Volk der Latiner entstand. Romulus wurde in diesem Mythos zu einem späten Nachfahren des Aeneas und Rom damit letztlich zu einer Gründung der Trojaner.

Sturz und Vertreibung des letzten römischen Königs, Tarquinius Superbus, dessen Gestalt wohl noch am ehesten eine gewisse Historizität für sich beanspruchen kann, markieren das Ende der Monarchie in der Tiberstadt (im Jahre 509?); sie sollte dort erst nach fast einem halben Jahrtausend wieder eine Renaissance erleben. Rom, das seinem Staatswesen jetzt bezeichnenderweise den Namen „res publica“ („öffentliche Sache“) gab, wurde eine Adelsrepublik, die monarchische Herrschaftsform im politischen Bewußtsein der Römer fortan mit Unterdrückung und Gewaltherrschaft identifiziert.

Außenpolitisch stand die junge römische Republik fast das ganze 5. Jh. hindurch zusammen mit den anderen latinischen Stadtstaaten in einem ständigen Abwehrkampf gegen nach Latium vordrängende mittelitalische Bergstämme. Daneben kam es, trotz der Existenz eines alle latinischen Staaten umfassenden Bundes, aber auch immer wieder zu lokalen Kriegen unter den latinischen Bundesgenossen selbst. Rom, das den geostrategischen Vorteil genoß, daß sein Staatsgebiet bei den Kämpfen gegen die mittelitalischen Stämme durch die latinischen Gemeinwesen im Osten und Süden abgeschirmt wurde, vermochte im Verlauf dieses Jahrhunderts seine Stellung als bedeutendster Staat in Latium zu behaupten und sich zu einer der größten Städte des damaligen Italiens zu entwickeln. Nach langen und schweren Kämpfen gelang es Rom im Jahre 396 dann auch, die bedeutende etruskische Nachbarstadt Veji zu erobern und zu zerstören und sich ihr Territorium einzuverleiben. Die fortschreitende Expansion des römischen Machtbereiches konnte selbst der Galliersturm des Jahres 387 nicht dauerhaft aufhalten, als ein Vorstoß gallischer Scharen (Söldnertruppen?) aus der Poebene nach Mittelitalien (und darüber hinaus?) zur vorübergehenden Einnahme und zur Plünderung Roms führte, das von seinen Bewohnern jedoch noch rechtzeitig geräumt worden war (der Bau der sog. Servianischen Stadtmauer erfolgte erst als Reaktion auf dieses traumatische Erlebnis). – Nach dem Abzug der Gallier vermochte die Tiberstadt ihre alte Machtstellung in Latium relativ rasch wiederherzustellen und sogar noch weiter auszubauen. Ein letzter Versuch der großen Mehrheit der anderen latinischen Gemeinwesen, sich gegen die römische Vormacht aufzulehnen, endete im sog. Latinerkrieg (340–338) mit dem vollständigen Sieg Roms. Der Latinische Bund wurde aufgelöst, eine Reihe latinischer Städte wurde durch die Verleihung des römischen Bürgerrechts an ihre Bewohner in den römischen Staat inkorporiert; sie behielten jedoch lokale Selbstverwaltung, während die übrigen latinischen Staaten durch bilaterale Verträge eng an Rom gebunden wurden, das auf diese Weise zu einer mittelitalischen Macht aufgestiegen war.

Die innere Entwicklung des römischen Gemeinwesens, der Respublica, ist seit dem Sturz der Monarchie von einem mehr als zweihundert Jahre währenden Ringen zwischen dem Adel (dem Patriziat) und dem Volk (der Plebs) geprägt gewesen, bei dem es der Plebs und ihren Führern gelungen ist, in die Machtbastion der Patrizier eine Reihe von Breschen zu schlagen. Als dieser sog. Ständekampf zu Beginn des 3. Jh. sein Ende fand, kam auch die Verfassungsentwicklung des römischen Staates zu einem vorläufigen Abschluß. Die wichtigsten Organe der republikanischen Verfassung Roms in ihrer nunmehr erreichten „klassischen“ Ausprägung waren die Volksversammlung, die Magistratur (d.h. die Gesamtheit der Amtsträger, die die Staatsgewalt ausübten) und der Senat, der von der römischen Aristokratie gebildete „Rat“. Die Macht im Staat lag fast ausschließlich in der Hand der Senatsaristokratie, die von den alten patrizischen Familien gebildet wurde und von Familien plebejischer Herkunft, denen es auf Grund ihres Reichtums, ihres Ansehens und ihrer Beziehungen gelungen war, durch die Bekleidung magistratischer Ämter in den Kreis des Senatsadels aufzusteigen. Die (abstimmungsberechtigte) Volksversammlung war dagegen im wesentlichen ein Konsens- und Akklamationsorgan: sie hatte unter den Kandidaten für die magistratischen Ämter, die ihr von den Amtsträgern präsentiert wurden, die Auswahl zu treffen und den ihr vorgelegten Gesetzesanträgen und den ihr unterbreiteten Anträgen bezüglich Krieg oder Frieden ihre Zustimmung zu geben. In den wenigen Fällen, in denen die Ablehnung oder voraussehbare Ablehnung eines Antrags durch die Volksversammlung überliefert ist, wurde das Abstimmungsergebnis von dem leitenden Magistrat einfach nicht anerkannt bzw. die Abstimmung schlichtweg abgebrochen. Nach entsprechender „Bearbeitung“ des Volkes durch die Senatoren wiederholte man dann den Abstimmungsvorgang, und er ergab dann das Ergebnis, das von der Führungsschicht erwünscht wurde.

Das Bemühen um eine zustimmungsfähige Politik geschah normalerweise aber im Vorfeld in Versammlungen des Volkes, die nicht abstimmungsberechtigt waren und in denen für eine bestimmte Politik geworben werden konnte, auch auf dem Wege kontroverser Diskussion; doch durften dabei nur Vertreter der Senatsaristokratie das Wort ergreifen. Je nach der Reaktion der Zuhörerschaft wurde das entsprechende Vorhaben dann der abstimmungsberechtigten Volksversammlung in der ursprünglichen oder einer modifizierten Form zur Annahme vorgelegt oder man ließ es ganz fallen. Im übrigen stellten die Zusammensetzung der verschiedenen Abstimmungskörperschaften – es gab in Rom mehrere Formen der Volksversammlung – und der ihnen eigene Abstimmungsmodus sicher, daß die vermögenden Schichten immer über die Mehrheit verfügten. Trotz all dieser Beschränkungen vermochte die Institution der Volksversammlung aber zu gewährleisten, daß Politik in Rom eine öffentliche Angelegenheit war und blieb.

Bezüglich der ordentlichen und außerordentlichen Ämter des römischen Staates hatte sich im Lauf der Zeit eine feste Ämterlaufbahn, der cursus honorum, herausgebildet, der über die Quaestur und die Aedilität bzw. das Volkstribunat hinauf zur Praetur und schließlich zum Konsulat führte. Die Quaestoren leiteten das Staatsarchiv und verwalteten die im Tempel des Saturn untergebrachte Staatskasse, das Aerarium. Die Aedilen waren mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit beauftragt, hatten die Aufsicht über die öffentlichen Plätze, Straßen, Gebäude und Märkte, waren für die Kornversorgung Roms zuständig und für die Ausrichtung der periodisch veranstalteten öffentlichen Spiele. Die Volkstribunen, ursprünglich die Führer der Plebs in ihrem Kampf gegen das Patriziat, waren mit dem Schutz der Bürger gegenüber der Staatsgewalt betraut. Sie besaßen daher das Recht der Hilfeleistung (ius auxilii) gegen Willkürakte der übrigen Magistrate und ein Vetorecht gegenüber dem Senat und allen Amtsträgern mit Ausnahme des (gleich noch zu besprechenden) Diktators (ius intercedendi, „das Recht, dazwischentreten zu dürfen“) und genossen den Status der Unverletzlichkeit (sacrosanctitas). Darüber hinaus waren sie für die gerichtliche Verfolgung von Amtsvergehen sowie Fälle von Hoch- und Landesverrat zuständig, da diese als Akte aufgefaßt wurden, die gegen das Volk in seiner Gesamtheit gerichtet waren. Den Praetoren schließlich oblag die Rechtspflege, während die beiden Konsuln als Heerführer, Spitze der Exekutive und Staatsoberhäupter fungierten und nach ihnen dementsprechend auch das Jahr benannt wurde. Nur die Konsuln und die Praetoren waren mit der allumfassenden hoheitlichen Befehlsgewalt, dem imperium, ausgestattet. In der Öffentlichkeit wurden sie daher von Liktoren (Amtsdienern) eskortiert, die ihnen die fasces (mit roten Riemen verschnürte Rutenbündel mit daraus hervorschauendem Beil) als Sinnbilder hoheitlicher Gewalt über Leib und Leben der Bürger vorantrugen (wobei die Konsuln zwölf, die Praetoren sechs Liktoren hatten). Dagegen war die Amtsgewalt (potestas) der übrigen Magistrate durch ihren Aufgabenbereich definiert (quaestoria, aedilicia und tribunicia potestas). Das ehrenvollste und angesehenste Amt jedoch, das ein Römer bekleiden konnte, war die Censur, obwohl die beiden Zensoren rangmäßig unter den Konsuln und Praetoren standen. Die Censur war kein ständiges Amt, vielmehr wurden die Zensoren alle fünf Jahre (mitunter auch in größeren Zeitabständen) für jeweils eineinhalb Jahre gewählt. Sie nahmen die Vermögenseinschätzung (den census) der Bürger vor, nach der z.B. das timokratisch abgestufte Stimmrecht in der Volksversammlung zugeteilt und der zu fordernde Wehrbeitrag (Heeresdienst als Reiter, Schwerbewaffneter, Leichtbewaffneter usw.) bemessen wurde. Ferner fungierten die Zensoren als Sittenwächter, die das öffentliche und private Verhalten der Bürger einer strengen „Zensur“ unterwarfen und bei der Revision der Senatorenliste das Recht hatten, unwürdige Mitglieder aus dem Senat zu entfernen und neue Mitglieder in ihn aufzunehmen.

Das bedeutendste außerordentliche Amt der römischen Republik, das aber nur in Ausnahmefällen bekleidet wurde, war die Diktatur: im Falle eines besonderen staatlichen Notstandes konnten die Konsuln nämlich einen Diktator ernennen, dem uneingeschränkte Macht verliehen wurde, der sein Amt aber spätestens nach einem halben Jahr wieder niederlegen (und zu seinem Amtsgehilfen und Stellvertreter einen magister equitum [„Befehlshaber der Reiterei“] bestellen) mußte. Die Diktatur ist jedoch schon Ende des 4. Jh. außer Gebrauch gekommen; nur während des Krieges gegen Hannibal hat man auf sie noch einmal zurückgegriffen.

Während ihrer Amtszeit genossen die Magistrate zwar Immunität, d.h. sie waren weder rechenschaftspflichtig noch absetzbar. Doch suchte man jeglichen Machtmißbrauch einerseits durch die Existenz des Volkstribunats, andererseits dadurch zu verhindern, daß jeder Magistrat (mit Ausnahme des Diktators) sein Amt zusammen mit mindestens einem Kollegen ausübte (Prinzip der Kollegialität), der ihm und rangniedrigeren Magistraten gegenüber bei allen Amtshandlungen ein Vetorecht (Interzessionsrecht) besaß; daß ferner alle Ämter (mit Ausnahme der Diktatur und der Censur) auf ein Jahr befristet waren (Prinzip der Annuität); und daß nach Ablauf ihrer Amtszeit alle Magistrate einschließlich des Diktators wegen ihrer Amtsführung zur Rechenschaft gezogen werden konnten.

Die tatsächliche Regierung Roms stellten jedoch nicht die beiden jährlich wechselnden Konsuln dar; die faktische Leitung des Staates lag vielmehr in der Hand des rund dreihundert Mitglieder umfassenden Senats, der die gesammelte Regierungs- und Amtserfahrung der politischen Elite Roms verkörperte und dessen Beschlüsse (senatus consulta), obwohl rechtlich nur „Empfehlungen“, für die Amtsinhaber faktisch den Charakter bindender Weisungen besaßen. Die Führung im Senat aber hatte kraft ihrer Autorität (auctoritas) die kleine Gruppe ehemaliger Zensoren und Konsuln inne, die als die angesehensten Vertreter der aristokratischen Gesellschaft, als die principes, den eigentlichen Souverän Roms darstellten.

Bald nach der endgültigen Unterwerfung seiner latinischen Stammesgenossen geriet Rom in eine zwei Generationen (von 326–272) währende, nur gelegentlich unterbrochene kriegerische Auseinandersetzung mit den Gebirgsbauern- und Hirtenstämmen der Samniten im Süden der Apenninenhalbinsel. Diese suchten von ihren Bergen herab in die fruchtbaren Ebenen Apuliens und Kampaniens vorzudringen, über dessen nördlichen Teil die Tiberstadt inzwischen ihre Herrschaft ebenfalls ausgedehnt hatte, offenbar weitgehend durch freiwilligen Anschluß. Rom sah sich zeitweise aber nicht nur mit den Samniten konfrontiert, sondern mußte daneben auch noch Kriege gegen die mittelitalischen Sabiner sowie die Etrusker und Gallier führen. Doch kam es zu seinem Glück nie zu einer umfassenden – und dann womöglich lebensbedrohlichen – Koordination der militärischen Anstrengungen seiner Gegner, zu denen am Ende auch noch die Griechenstadt Tarent/Tàranto und deren Verbündeter, der König Pyrrhos von Epeiros, zählten. Trotz zahlreicher Niederlagen blieben die Römer in diesen Kämpfen schließlich doch Sieger. Es zeigte sich, daß Rom, nachdem es erst einmal zu einer mittelitalischen, sich auf eine beträchtliche Bevölkerungszahl und zahlreiche städtische Zentren stützenden Macht emporgestiegen war, auf der in viele ethnische wie politische Einheiten zersplitterten Apenninenhalbinsel keinen ebenbürtigen Gegner mehr fand. Als im Jahre 270 mit Rhegion/Règgio di Cal. die letzte Griechenstadt Unteritaliens in römische Hand fiel, da hatte Rom sich die gesamte Apenninenhalbinsel mit Ausnahme Liguriens und der Poebene unterworfen. Es war damit in den Kreis der mediterranen Großmächte getreten.

Das von Rom eroberte Italien wurde jedoch kein uniformer Territorialstaat; das hätte die Möglichkeiten der römischen Hegemonialmacht bei weitem überfordert. Vielmehr blieb es jenes eigentümliche Machtgebilde aus an Rom auf die eine oder andere Weise gebundenen Städten und Stämmen, das die Tiberstadt, in geschmeidiger Anpassung an die jeweiligen Verhältnisse, im Laufe von Generationen geschaffen hatte. Neben der Stadt Rom gab es römische Bürgerkolonien (wie z.B. Ostia); römische Municipien („Landstädte“), deren Bewohner römisches Bürgerrecht erhalten hatten (wie das latinische Aricia/Ariccia); Städte und Kolonien latinischen Rechts, deren Bürger durch die Übersiedlung nach Rom jederzeit römisches Bürgerrecht erwerben konnten (wie etwa Tibur/Tivoli); Städte, deren Bürger römisches Bürgerrecht mit Ausnahme des Wahlrechts besaßen und Dienst in den Legionen (den großen römischen Heereseinheiten) zu leisten hatten (wie z.B. Capua); und schließlich – im größten Teil Italiens – Städte und Stämme, die als Bundesgenossen an Rom gebunden waren, keine eigene Außenpolitik betreiben durften und zur Stellung von Hilfstruppen verpflichtet waren (wie beispielsweise Neapolis/Neapel).

Durch die großzügige Verleihung seines Bürgerrechts (in den beschriebenen Abstufungen) an latinische und andere Gemeinwesen; durch die Aufnahme des Adels der inkorporierten Gebiete in die römische Oberschicht; und durch die Verpflichtung der Bundesgenossen zur Heeresfolge wußte Rom seinem Staatsorganismus ständig neue Zellen und Kräfte zuzuführen, während es sich gleichzeitig – durch die Gewährung innerer Autonomie an die Bündner – nicht in einem permanenten Unterdrückungsprozeß aufzuzehren brauchte. Die zahlreichen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte Roms mit dem übrigen Italien; die Anlage von römischen und latinischen Kolonien überall auf der Apenninenhalbinsel; die Waffengemeinschaft zwischen den römischen Legionen und den bundesgenössischen Hilfstruppen; und nicht zuletzt das Vorbild der römischen Hegemonialmacht führten von selbst zu einer schrittweisen Ausbreitung römischer Institutionen, Lebensweise, Denkungsart und Sprache mit dem Ergebnis, daß Italien schließlich das erste romanisierte Land der Alten Welt wurde, wenn sich die Städte Etruriens und die Griechenstädte Unteritaliens auch noch lange Zeit hindurch ihren eigenen Charakter zu bewahren wußten.

Während Rom noch mit der Konsolidierung seiner jüngst errungenen Herrschaft über die Apenninenhalbinsel beschäftigt war, ließ es sich auf einen Krieg mit der phönikischen (in römischer Terminologie: punischen) Großmacht Karthago ein, die vom Golf von Tunis aus im westlichen Mittelmeerraum ein Handelsimperium aufgebaut hatte, das über zahlreiche Stützpunkte an der übrigen nordafrikanischen und der südspanischen Küste sowie auf Malta, Sizilien, Sardinien und Korsika verfügte (1. Punischer Krieg, 264–241). Die römisch-karthagische Auseinandersetzung weitete sich rasch zu einem Kampf um den Besitz Siziliens aus und bestätigte im Endergebnis die mit der Unterwerfung Italiens errungene Großmachtstellung Roms. Denn trotz mancher Mißerfolge und Katastrophen (Verlust mehrerer Flotten in schwerer See) vermochte Rom seinen Gegner am Ende zum Frieden zu zwingen; Karthago mußte eine beträchtliche Kriegsentschädigung zahlen und Sizilien, wenige Jahre später auch noch Sardinien und Korsika an den Sieger abtreten. Mit Ausnahme von Syrakus, das zunächst selbständig blieb, und einigen wenigen sizilischen Städten, die in das römische Bundesgenossensystem aufgenommen wurden, erhielten die drei Inseln den Status von steuerpflichtigen Untertanengebieten mit lokaler Selbstverwaltung. Als sog. Provinzen (Amts-, Herrschaftsbereiche) wurden sie von Vertretern der römischen Staatsmacht mit dem Titel und Rang eines Praetors verwaltet; doch ist man im 1. Jh. dazu übergegangen, die Provinzialverwaltung gewesenen Konsuln und Praetoren zu übertragen, die nach Ablauf ihres Amtsjahres in Rom und Italien als sog. Prokonsuln oder Propraetoren in die Provinzen gingen. Als Repräsentanten des römischen Staates waren die Provinzstatthalter innerhalb ihres Aufgabenbereichs mit einer umfassenden, durch keinen Kollegen eingeschränkten Machtbefugnis ausgestatttet. Sie konnten selbständig Kriege führen und Verträge schließen und besaßen faktisch die Stellung von absoluten Monarchen. Denn Leib und Leben der Provinzialen waren durch keine rechtlichen Garantien geschützt, was Übergriffen, Erpressungen und schamlosen Bereicherungen von seiten der Provinzgouverneure Tür und Tor öffnete und die Provinzialverwaltung der römischen Republik schließlich zu einem der dunkelsten Kapitel der römischen Geschichte machen sollte.

Mit der Einrichtung der Provinzen Sizilien und Sardinien-Korsika hatte Rom aber einen Weg zur Beherrschung größerer außeritalischer Räume gefunden, der zukunftweisend sein sollte. Währenddessen verfolgten die karthagischen Heerführer Hamilkar Barkas, Hasdrubal und Hannibal nacheinander das Ziel, ihrer Heimatstadt durch die Unterwerfung des Südens und Ostens des edelmetallreichen Spanien einen Ersatz für die an Rom verlorengegangenen Gebiete zu verschaffen und ihr so ihre frühere Großmachtstellung zurückzugewinnen; mit der Armee im Rücken, konnten sie diese Politik weitgehend selbständig neben der Regierung in Karthago verfolgen. Ihre Bestrebungen führten gut zwei Jahrzehnte nach dem 1. Punischen Krieg zu einer neuen militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Mächten. Sie sollte Rom in den schwersten Krieg seiner Geschichte stürzen und noch einmal alles von ihm bisher Erreichte in Frage stellen (2. Punischer Krieg, 218–201). Hannibal wußte bei Kriegsausbruch die von Rom gleichzeitig gegen Spanien und Afrika eingeleiteten Offensiven dadurch zu unterlaufen, daß er – für die römische Führung völlig überraschend – mit seinen Truppen von Spanien aus auf dem Landweg über die Alpen hinweg nach Italien vorstieß und so Rom nicht nur in die Defensive drängte, sondern im Zentrum seiner Macht selbst zu treffen suchte. Sein Plan ging dahin, die italischen Bundesgenossen Roms zur Freiheit und zum Abfall von ihrer Hegemonialmacht aufzurufen und auf diese Weise die Basis der römischen Macht zu zerstören. Es war dies eine ebenso kühne wie für Rom lebensbedrohliche Strategie. Aber obwohl Hannibal in den Jahren 218–216 mit seinen zahlenmäßig weit unterlegenen Streitkräften den gegen ihn ins Feld geschickten römischen Heeren drei katastrophale Niederlagen beizubringen verstand (die letzte und schwerste 216 durch die Umfassungsschlacht von Cannae), gelang es ihm dennoch nicht, das Gebäude der römischen Macht zum Einsturz zu bringen. Denn die meisten Bundesgenossen Roms wurden in ihrer Treue nicht wankend; und wenn Hannibal, solange er auf italischem Boden weilte (bis zum Jahre 203), auch unbezwungen blieb, so bedeutete jene Tatsache im Grunde genommen schon den Sieg Roms, wenn bis zur Erreichung dieses Zieles auch noch ein langer, opferreicher Weg zurückzulegen war.

Nach den verlustreichen Niederlagen in der Anfangsphase des Krieges suchte Rom mit Erfolg jede weitere offene Feldschlacht gegen Hannibal zu vermeiden und ihn, dessen Heer für einen direkten Marsch auf Rom zu schwach war, statt dessen in Süditalien zu isolieren. Das wurde dadurch erleichtert, daß die römische Flotte das Meer beherrschte und die von Karthago selbst ausgehenden militärischen Anstrengungen in erster Linie auf die Rückgewinnung der verlorengegangenen Inseln gerichtet waren. Syrakus, Capua und Tarent, die zu Hannibal übergetreten waren, wurden zurückerobert und hart bestraft, die Karthager aus Sizilien verdrängt, die mit Hannibal verbündeten Makedonen am Übergang nach Italien gehindert. Während der Feind im eigenen Land stand, wurde in jahrelangen Kämpfen seine spanische Machtbasis zerschlagen. 204 landeten die Römer dann in Afrika. Hannibal, der im südlichsten Teil der Apenninenhalbinsel – von jeder Zufuhr abgeschnitten – auf verlorenem Posten kämpfte, entschloß sich, Italien zu verlassen und dem bedrohten Karthago zu Hilfe zu kommen. Im Jahre 202 wurde er auf afrikanischem Boden in der Schlacht bei Zama von den Römern unter der Führung des älteren Scipio (Africanus) geschlagen. Dieser hatte während des Krieges in Spanien eine Streitmacht geschaffen, die dem hannibalischen Berufsheer ebenbürtig war, und verstand es nun, das militärische Genie Hannibal mit dessen eigenen strategischen Mitteln zu besiegen. Im Frieden von 201 mußte Karthago alle auswärtigen Besitzungen abtreten, seine Kriegsflotte ausliefern und auf fünfzig Jahre hinaus eine Kriegsentschädigung zahlen. Das früher von Karthago abhängige Fürstentum Numidien wurde ein selbständiger, mit Rom verbündeter Staat. Karthagos Machtstellung war ein für allemal zerschlagen, Rom zur Herrschaft im westlichen Mittelmeerraum aufgestiegen. Wie sich bald zeigen sollte, stellte es damit die bedeutendste Machtbildung im europäisch-nordafrikanisch-vorderasiatischen Raum dar.

Es bedurfte nur weniger Jahre, um die Tatsache zu erhärten, daß Rom nach der Feuerprobe des 2. Punischen Krieges auch im östlichen Mittelmeerraum keinen ebenbürtigen Gegner mehr vorfand. Das Staatensystem des hellenistischen Ostens, so wie es sich seit dem Ende des 4. Jh. aus der Erbmasse des Alexanderreiches herausgebildet hatte, wurde von Anfang an von drei Großmächten dominiert: Makedonien, dem Reich der Ptolemäer in Ägypten und dem Seleukidenreich, das seinen Schwerpunkt in Syrien hatte. Daneben gab es eine Reihe kleinerer und mittlerer Staaten, die zum Zweck der Selbstbehauptung stets Anlehnung an mächtige Bundesgenossen suchten. Alle drei hellenistischen Großmächte hatten Anfang des 2. Jh. allerdings den Höhepunkt ihrer Machtentfaltung bereits überschritten, vor allem der Machtverfall des Ptolemäerstaates wurde damals immer stärker offenbar. Das dadurch ermunterte expansive Vorgehen Makedoniens und des Seleukidenreiches in Griechenland, an den Meerengen und in Kleinasien führte zur militärischen Intervention Roms, der Hilfeersuchen befreundeter hellenistischer Staaten vorausgegangen waren. In zwei relativ kurzen kriegerischen Auseinandersetzungen, die Rom noch nicht einmal eine außergewöhnliche Kraftanstrengung abverlangten – dem 2. Makedonischen Krieg (200–197) und dem Krieg gegen Antiochos III. (191–188) – , wurden Makedonien und das Seleukidenreich besiegt und durch die auferlegten Friedensbedingungen ihres Großmachtstatus beraubt. Rom bedurfte zur Absicherung seiner Macht über die Staaten des östlichen Mittelmeerraumes zunächst noch nicht einmal eigener territorialer Erwerbungen. Vielmehr konnte es sich damit begnügen, die Rolle des Schiedsrichters in diesem Raum zu übernehmen bzw. die dortigen Staaten im Interesse der Wahrung der eigenen Machtstellung gegeneinander auszuspielen. Innerhalb eines Jahrzehnts war Rom auf diese Weise zur Weltmacht aufgestiegen; es sollte diese Stellung über viele Jahrhunderte hinweg zu behaupten wissen.

Im Verlauf der nächsten Jahrzehnte stellte sich zunächst jedoch der gegenteilige Eindruck eines Schwindens der militärischen Kraft Roms ein. Nirgendwo wurde dies so offenbar wie in Spanien, wo sich um die Mitte des Jahrhunderts die einheimische Bevölkerung im Norden und Westen gegen die römische Herrschaft erhob und Rom zwanzig Jahre brauchte, um in einem blutigen und äußerst verlustreichen Krieg (153–133) der Erhebung Herr werden zu können. Die in so kurzer Zeit erfolgte, stupende Ausweitung des eigenen Herrschaftsraumes, eine gewisse Ratlosigkeit bezüglich seiner dauerhaften politischen Gestaltung und erste Zweifel an der Permanenz der eigenen militärischen Überlegenheit erzeugten in den führenden Kreisen Roms Unsicherheit und ein Gefühl latenter Bedrohung. Und aus diesem Empfinden heraus scheute man zur Behauptung der Weltmachtstellung nun auch vor nacktem Terror nicht zurück. 146 wurde nach einem Aufstand in Griechenland die damals wohlhabendste Stadt des griechischen Mutterlandes, Korinth, zerstört, seine Einwohnerschaft versklavt. Im gleichen Jahr wurde auch Karthago dem Erdboden gleichgemacht, dem man drei Jahre zuvor ohne alle Not den Krieg erklärt hatte. Zugleich ging Rom dazu über, die indirekten Formen der Herrschaftsausübung durch unmittelbare zu ersetzen bzw. zu ergänzen. 148 wurde Makedonien römische Provinz. Das gleiche geschah 146 mit dem Staatsgebiet von Karthago, das zur Provinz Afrika gemacht wurde. Und als im Jahre 133 der König von Pergamon sein Reich den Römern testamentarisch vermachte, führte dies zur Einrichtung der Provinz Asien. Rom hatte damit außer in Europa auch auf den beiden anderen Kontinenten fest Fuß gefaßt.

Der Aufstieg Roms zur Weltmacht ist jedoch nicht ohne Rückwirkungen auf seine politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, geistigen und kulturellen Grundlagen geblieben; er hat diese vielmehr tiefgreifenden Veränderungen unterzogen, die sich im Verlauf des 2. Jh. zu einer alle Lebensbereiche erfassenden Krise auswachsen sollten.

Die Erfolge der politischen und militärischen Führer Roms gegenüber Karthago und den Staaten des hellenistischen Ostens und die Reichtümer, die sie von ihren Feldzügen und Statthalterschaften mit nach Rom brachten, hatten eine gewaltige Vermehrung des Ansehens und des Besitzes der führenden aristokratischen Familien Roms zur Folge, die ihrem Lebensstil jetzt immer mehr ein fürstliches Gepräge gaben. Der häufige Aufenthalt führender Aristokraten außerhalb Italiens im Besitz unbeschränkter Machtfülle; außergewöhnliche persönliche Erfolge; schließlich die königliche, ja göttliche Verehrung, die ihnen als den obersten Repräsentanten Roms im hellenistischen Osten entgegengebracht wurde, begannen zudem jenes Gleichgewicht der führenden Familien ins Wanken zu bringen, das für das Funktionieren der Adelsherrschaft unverzichtbar war, verstärkten sie doch die Neigung einzelner Aristokraten, für sich auch innerhalb der römischen Adelsgesellschaft eine überragende Stellung zu beanspruchen.

Angesichts eines Verwaltungsapparates, der im Grunde genommen nur auf die Bedürfnisse eines Stadtstaates zugeschnitten war, wurde Rom durch die in allen Teilen des Mittelmeerraumes geführten Kriege und die ständig wachsende Zahl von Provinzen vor eine Fülle neuartiger organisatorischer Probleme gestellt. Diese vermochte man nur dadurch zu lösen, daß man einen Teil der staatlichen Aufgaben dem privaten Kapital überließ. Dies führte zur Entstehung einer neuen Schicht von vermögenden Unternehmern, Kaufleuten und Bankiers, die – meist zu Gesellschaften zusammengeschlossen – die römischen Streitkräfte mit Lebensmitteln und Waffen belieferten, den siegreichen Heeren ihre Beute abkauften, dem Staat bei Bedarf mit Krediten zu Hilfe kamen, die Ausführung öffentlicher Arbeiten übernahmen und als Staatspächter die Eintreibung der Steuern und Zölle und die Ausbeutung der staatlichen Bergwerke, Steinbrüche und Wälder betrieben. Gestützt auf die römische Machtstellung, gelang es ihnen bald, die Märkte des Mittelmeerraumes zu erobern und Rom zum Finanzzentrum der Welt zu erheben. Da sie auf Grund ihres Reichtums der obersten Zensusklasse angehörten, die früher einmal für das römische Heer die Reiter gestellt hatte (eine Aufgabe, die inzwischen an die Bundesgenossen gefallen war), entstand aus dieser Schicht der sog. Ritterstand, so daß die römische Gesellschaft sich fortan in Senatoren, Ritter und Volk gliederte.