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Copyright © 2020 für die deutsche Ausgabe by HarperCollins
in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Copyright © 2020 by Allie Reynolds
Originaltitel: Shiver
erschienen bei: Headline Publishing Group Ltd.

Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur AG, Zürich
Coverabbildung: ejan_k / Shutterstock
Lektorat: Anna Koliska
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783959675901

www.harpercollins.de

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PROLOG

Es ist wieder diese Jahreszeit. Die Zeit, in der der Gletscher Leichen freigibt.

Die gewaltige Eismasse dort oben ist ein erstarrter Fluss, der langsamer fließt, als das Auge es wahrnehmen kann. Opfer aus jüngster Zeit berühren flüchtig ältere in seinen gläsernen Tiefen. Manche kommen oben heraus, andere an der Zunge, und es ist unmöglich zu sagen, wer als Nächstes erscheint.

Es können Jahre vergehen, bevor sie wiederauftauchen. Sogar Jahrzehnte. Ein Gletscher im benachbarten Italien schaffte es vor einiger Zeit in die Nachrichten, als er die mumifizierten Leichen von Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg preisgab, komplett mit Stahlhelmen und Gewehren.

Wie auch immer, was hineingeht, muss zwangsläufig wieder herauskommen, also habe ich jeden Morgen die lokalen Nachrichten überflogen.

Es gibt eine spezielle Leiche, auf die ich warte.

1

»Hallo?« Mein Rufen hallt in der Betonhöhle nach.

Die vertrauten rot-weißen Seilbahngondeln stehen aufgereiht hintereinander, aber im Führerstand der Anlage ist niemand. Die Sonne ist hinter den Alpen verschwunden, der Himmel rosa, aber im Gebäude brennt kein einziges Licht. Wo sind alle?

Ein eisiger Wind schlägt mir ins Gesicht. Ich vergrabe mich tiefer in meine Jacke. Es ist außerhalb der Saison, und der ganze Ort befindet sich in einer Art Winterschlaf noch bis nächsten Monat. Ich gehe nicht davon aus, dass die anderen Skilifte in Betrieb sind, allerdings dachte ich, dieser hier schon. Wie sollen wir sonst hoch auf den Gletscher kommen? Habe ich mich vielleicht im Tag geirrt?

Ich stelle die Snowboardtasche ab und nehme mein Telefon heraus, um noch mal einen Blick auf die E-Mail zu werfen. Ich weiß, ist schon ziemlich lange her, aber hättest du Bock auf ein Wiedersehen-Wochenende? Panoramagebäude, Glacier du Diable, Le Rocher. Treffpunkt Freitag, 7. November, 17 Uhr, an der Seilbahn. C. x

C steht für Curtis. Hätte mich jemand anderer eingeladen, hätte ich die Mail ohne Antwort sofort gelöscht.

»Yo, Milla!«

Und schon kommt Brent mit großen Schritten die Treppe rauf, steuert auf mich zu. Zwei Jahre jünger als ich, inzwischen also einunddreißig, aber er besitzt immer noch seinen jungenhaften Charme – das weiche dunkle Haar, die Grübchen –, allerdings sieht er leicht angegriffen und müde aus.

Mit einer stürmischen Umarmung hebt er mich hoch. Auch ich drücke ihn fest. Die vielen kalten Nächte, die ich in seinem Bett verbracht habe. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so lange nicht bei ihm gemeldet habe. Doch nach allem, was passiert ist … Na ja, er hat sich ja auch nicht bei mir gemeldet.

Über seiner Schulter zeichnen sich die spitzen Gipfel als Schatten vor dem dunkel werdenden Himmel ab. Will ich das wirklich machen? Noch ist es nicht zu spät. Ich könnte mir irgendwelche Ausreden einfallen lassen, wieder in den Wagen springen und zurück nach Sheffield fahren.

Hinter uns räuspert sich jemand. Wir lösen uns voneinander und sehen den großen, blonden Curtis.

Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass Curtis immer noch so aussieht wie bei unserer letzten Begegnung. Von Trauer gezeichnet. Ein gebrochener Mann. Aber natürlich war es nicht so. Er hatte zehn Jahre, um darüber wegzukommen. Oder es zumindest irgendwie wegzupacken.

Curtis’ Umarmung ist kurz. »Schön, dich zu sehen, Milla.«

»Gleichfalls.« Es ist mir schon immer schwergefallen, ihm direkt in die Augen zu sehen, weil er so verflucht gut aussah – immer noch aussieht –, aber heute fällt es mir noch schwerer.

Curtis und Brent geben sich die Hand, Curtis’ Hand sehr weiß auf der von Brent. Sie haben ihre Snowboards mitgebracht; nicht weiter überraschend. Ohne konnten wir kaum auf den Berg. Sie tragen Jeans, wie ich, aber ich finde es lustig, dass ich unter ihren Snowboardjacken Hemdkragen sehe.

»Ich sollte mich hoffentlich nicht aufbrezeln«, sage ich grinsend.

Curtis mustert mich von oben bis unten. »Wird schon gehen.«

Ich schlucke. Seine Augen sind so blau wie immer, erinnern mich aber an jemanden, an den ich nicht denken möchte. Auch von der Wärme, die er früher ausstrahlte, ist nichts mehr da. Seinetwegen habe ich mich an den Ort geschleppt, an den ich nie mehr zurückkehren wollte, das hatte ich mir geschworen. Ich bedaure es jetzt schon.

»Wer kommt noch?«, fragt Brent.

Warum sieht er mich dabei an?

»Keine Ahnung«, antworte ich.

Curtis lacht. »Weißt du’s nicht?«

Schritte. Hier kommt Heather. Und wer ist das? Dale? Niemals – sind die immer noch zusammen?

Dales einst wilde Haare haben jetzt einen modischen Schnitt, seine Piercings sind verschwunden. Seine trendigen Skateschuhe sehen nicht aus, als hätten sie schon mal ein Board gesehen. Ich vermute, Heather hat ihn voll im Griff. Wenigstens hat sie ihn sein Snowboard mitbringen lassen.

Heather trägt ein Kleid – ein glitzerndes schwarzes – zu Strumpfhose und kniehohen Stiefeln. Muss verdammt kalt sein, trotz ihrer Puffa-Jacke. Ihre langen, dunklen Locken duften einen Hauch nach Haarspray, als sie mich umarmt.

»Schön, dich zu sehen, Milla.« Sie muss sich ein paar Drinks genehmigt haben, bevor sie herkam, denn sie hört sich fast so an, als meinte sie es auch so. Ihre Stiefel haben einen acht Zentimeter hohen Absatz, wodurch sie drei Zentimeter größer ist als ich. Vermutlich trägt sie die Dinger genau deswegen.

Sie lässt einen Ring aufblitzen.

»Seid ihr zwei verheiratet?«, frage ich. »Glückwunsch.«

»Seit drei Jahren.« Ihr nordenglischer Akzent ist deutlicher denn je.

Brent und Curtis klopfen Dale auf die Schulter.

»Hast dir mit deinem Antrag ziemlich Zeit gelassen, Bro, oder?«, stichelt Brent. Ich meine, sein Londoner Akzent ist auch stärker als früher.

»Also, eigentlich hab ich ihm einen Antrag gemacht«, blafft Heather.

Die Tür der Gondel öffnet sich ächzend. Ein Seilbahnmitarbeiter kommt hinter uns angeschlurft, die schwarze Kappe mit dem Logo des Skigebiets tief in die Stirn gezogen. Auf einem Klemmbrett hakt er unsere Namen ab und fordert uns mit einer Handbewegung auf, einzusteigen.

Die anderen gehen an mir vorbei.

»Sind das alle?«, frage ich und versuche, Zeit zu schinden.

Dem Mann zufolge, ja. Irgendwas an ihm kommt mir bekannt vor.

Alle anderen sind jetzt in der Gondel. Widerstrebend folge ich ihnen.

»Wer sollte denn sonst noch da sein?«, will Curtis wissen.

»Stimmt.« Ich nicke. Es gab noch ein paar andere, die kamen und gingen, aber von der ursprünglichen Gang sind nur noch wir fünf übrig.

Oder besser gesagt, die Einzigen, die noch auf zwei Beinen stehen.

Schuldgefühle überrollen mich. Sie wird nie wieder gehen können.

Der Angestellte schließt die Tür. Ich versuche, sein Gesicht zu sehen, aber bevor ich dazu eine Chance bekomme, verschwindet er die Plattform hinunter zu seinem Leitstand.

Die Gondel setzt sich mit einem Ruck in Bewegung. Genau wie ich starren die anderen gebannt durch die Plexiglasscheiben hinaus, während wir über die Tannenspitzen fliegen, dem schwindenden Licht den Berg hinauffolgen. Es ist komisch, unten Erde und Gras zu sehen. Dort lag immer nur Schnee. Ich suche nach Murmeltieren, aber die sind jetzt wahrscheinlich im Winterschlaf. Wir überqueren eine Felswand, und das winzige Dorf Le Rocher verschwindet aus dem Blick.

So in der Luft hängend, während draußen die Landschaft vorbeizieht, überkommt mich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Statt zum Berg aufzusteigen, scheinen wir uns in der Zeit zurückzubewegen. Und ich weiß nicht, ob ich bereit bin, mich der Vergangenheit zu stellen.

Zu spät. Die Gondel schwingt bereits in die Mittelstation. Wir steigen aus, ziehen unsere Taschen hinter uns her. Es ist kälter hier, und dort, wohin wir gehen, wird es noch kälter sein. Eine französische Fahne flattert in der Brise. Das Plateau ist menschenleer. Auf halber Höhe verwandelt sich das Braun und Grün in Weiß: die Schneegrenze.

»Ich dachte, der Schnee würde um diese Jahreszeit bis runter ins Tal liegen«, sagt Brent.

Curtis nickt. »Das ist der Klimawandel.«

Wir befinden uns im Zentrum des Winter-Skigebiets, mit Sessel- und Schleppliften in alle Richtungen, aber heute ist nur die Seilbahn geöffnet.

Die Halfpipe war früher direkt neben dem kleinen Schuppen dort drüben. Der lange, u-förmige Kanal ist momentan nur ein matschiger Graben, aber vor meinem geistigen Auge kann ich die makellosen weißen Wände sehen. Damals die beste Halfpipe in ganz Europa, und ihretwegen waren wir alle in jenem Winter hier.

Mein Gott, die Erinnerungen. Mich überkommt eine Gänsehaut. Ich sehe unsere jüngeren Versionen rempeln und lachen. Wir fünf.

Plus die beiden, die fehlen.

Ein eiskalter Windstoß wirbelt mir die Haare ins Gesicht. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Snowboardjacke bis zum Kinn hoch und beeile mich, den anderen zu folgen.

Die Seilbahn wird uns auf fast dreitausendfünfhundert Meter hinaufbringen. Der Diable-Gletscher ist eines der höchsten Skigebiete Frankreichs. Die glänzenden orangen Gondeln hängen wie Weihnachtsbaumkugeln an den Drahtseilen. Curtis steigt in die nächste offene Gondel.

Heather zieht an Dales Hand. »Lass uns eine allein nehmen.«

»Nein, komm«, sagt Dale. »Wir passen schon alle rein.«

Curtis gestikuliert. »Jede Menge Platz.«

Heather scheint zu zweifeln, und ich sehe, was sie meint. In diese kleinen Gondeln passen theoretisch sechs Personen, aber mit unserem ganzen Gepäck müssten wir uns ziemlich reinquetschen. Dass sie einen Scheißkoffer dabeihat, macht es auch nicht wirklich leichter.

Brent muss den Kopf einziehen, um die Gondel betreten zu können. »Du kannst auf meinen Knien sitzen, Mills. Reich deine Snowboardtasche rüber.«

»Dale kann sich auf deine Knie setzen«, widerspreche ich. »Ich sitze hier.«

Am Ende sitzt Heather auf Dales Knien, neben Curtis, mir und Brent gegenüber, die Taschen um uns herumgezwängt. Ohne seine Dreadlocks sieht Dale ziemlich seltsam aus. Mit seiner nordischen Hautfarbe hat er mich früher immer an einen Wikinger erinnert. Jetzt wirkt er eher wie der Moderator einer Gameshow.

Wir flitzen über das Plateau. Diese Leere unter uns. Ich hatte völlig vergessen, wie gewaltig diese Gegend ist. Im Sommer kommen Wanderer herauf, und die Wege schlängeln sich im Zickzack hinauf. Es muss wunderschön sein – Unmengen Alpenblumen –, aber heute sieht man nur ausgedehnte braune Grasflächen und Geröll. Kein Lebenszeichen, nicht mal ein Vogel. Das Land sieht unwirtlich aus.

Tot.

Nein. Schlafend. Wartend.

Wie noch etwas anderes hier oben. Ich schlucke und verbanne den Gedanken aus meinem Kopf.

Curtis’ Knie stößt gegen meines, als wir an einem Mast vorbeischeppern. Er kommt mir ungewöhnlich still vor, aber ich kann das nachvollziehen. Wenn mir das hier schon schwerfällt, muss es für ihn hundertmal schlimmer sein.

In der Einladung wurde es nicht erwähnt, aber es liegt auf der Hand, warum wir hier sind. Es war in den Nachrichten am Tag vor dem Eintreffen seiner E-Mail:

Vor zehn Jahren vermisste britische Snowboarderin nach Rechtsstreit für tot erklärt.

Die anderen dürften auch nicht mehr Lust zu kommen gehabt haben als ich, aber wie hätten wir ablehnen können? Es ist völlig normal, dass er den Jahrestag begehen möchte.

Unter uns ist jetzt Schnee, der im Zwielicht lila schimmert. Weit über uns die namensgebenden, hoch aufragenden Felsen von Le Rocher. Das Panoramagebäude sitzt auf der Spitze, ein gedrungener, dunkler, den Elementen trotzender Umriss.

»Und wie hast du das hinbekommen, Mills?«, fragt Brent.

»Wie habe ich was hinbekommen?«

»VIP-Zugang auf den Gletscher. Private Gondelfahrt und das alles. Ziemlich nobel.«

Ich starre ihn an. »Wie meinst du das?«

»Um diese Jahreszeit ist hier eigentlich alles geschlossen. Billig kann’s nicht gewesen sein.«

»Wie kommst du drauf, dass ich das organisiert habe? Das war Curtis.«

Curtis wirft mir einen komischen Blick zu. »Wie bitte?«

Wir nehmen unsere Telefone heraus. Als ich das letzte Mal mein Telefon mit hierhergenommen habe, habe ich das Display gleich bei der ersten Abfahrt geschreddert und hatte anschließend einen üblen blauen Fleck in der Form eines Telefons auf der Hüfte. Danach habe ich das Ding gar nicht erst mitgenommen.

Ich zeige ihnen die E-Mail, die ich bekommen habe, und Brent zeigt mir seine. Seine Einladung ist identisch mit meiner, nur dass seine von M kommt und ein PS enthält: Hab mein Telefon verloren. Schick mir ’ne Mail.

»Und auf geht’s.« Curtis zeigt seine Mail – identisch mit der von Brent.

Ich bin noch nie aus Curtis schlau geworden. Findet er das witzig?

Die Gondel klappert, als wir einen weiteren Mast passieren, und meine Ohren ploppen zu. Ab jetzt wird’s richtig steil. Wir haben den langen, langen Anstieg rauf zum Gletscher begonnen.

Ich wende mich Dale und Heather zu. »Was steht auf eurer Einladung?«

Dale zögert.

»Ja, dasselbe wie bei dir«, erwidert Heather.

»Von M oder C?«, fragt Brent.

»Äh, M.« Heather wirft mir einen Blick zu.

Wieso habe ich das Gefühl, dass sie lügt? »Kann ich mal sehen?«

»Sorry«, sagt Heather, »ich hab sie gelöscht. Aber sie war genau wie die von ihnen.«

2

Ich weiß nicht, was ich auf dem Gipfel erwartet habe. Musik? Kerzen? Kellner mit Champagner auf Tabletts?

Nichts davon. Die Plattform ist schummrig und menschenleer, niemand im Leitstand. Wir greifen nach unseren Taschen. Eine Sirene ertönt, und die Seilbahn kommt träge zum Stillstand. Offenbar wird sie von der Talstation aus gesteuert, was Personalkosten spart, und man hat unsere Ankunft dank der Überwachungskamera registriert. Aber nach der Verwirrung über die Frage, wer uns eingeladen hat, ist es schon ein bisschen schräg, und aus Heathers gerunzelter Stirn zu schließen denkt sie so ziemlich das Gleiche.

Brent sieht zu mir. »Lassen wir unseren Kram erst mal hier?«

»Frag mich nicht.«

Er stellt seine Tasche ab. Ich zögere und lasse meine dann ebenfalls fallen. Ist ja nicht so, als wäre hier jemand, der sie stehlen könnte.

Die Stufen bestehen aus Gitterrosten, geeignet für schneebedeckte Stiefel. Als ich oben ankomme, keuche ich ziemlich. Die Luft hier oben ist dünn. Ich drücke die Flügeltür auf und betrete das Panoramagebäude. Und atme abgestandenen Holzrauch ein. Einen Moment muss ich die Augen schließen. Denn mehr als alles andere war genau das der Geruch meiner Winter.

Curtis betätigt einen Schalter, und es wird hell in dem holzvertäfelten Flur. Normalerweise stapfen Horden von Skiläufern und Snowboardern hier durch, vorbei an den Skispinden und durch den Haupteingang hinaus auf den Gletscher, aber heute Abend ist es unheimlich still.

Curtis legt die Hände um seinen Mund und ruft: »Ist hier irgendwer?«

Brent sieht mich wieder an; Dale ebenfalls. Ich muss erneut an die Einladungen denken. Könnte einer von ihnen das hier organisiert haben? Nein, kann ich mir nicht vorstellen. Wie Brent schon sagte, normalerweise ist hier jetzt alles dicht. Ein Wochenende in dieser Jahreszeit muss Tausende kosten. Dank meiner Online-Recherchen weiß ich, dass es Curtis wirtschaftlich ziemlich gut geht. Er muss es sein. Aber was soll die Geheimniskrämerei? Und wissen die anderen Bescheid, oder hat er es irgendwie geschafft, dass sie glauben, ich hätte sie eingeladen?

»Es muss jemand hier oben sein«, meint Curtis. »Sehen wir uns mal um.«

Wir rennen alle in verschiedene Richtungen wie kleine Kinder, die in einem Freizeitpark losgelassen werden. Das hier oben ist der reinste Irrgarten. Das weitläufige Mehrzweckgebäude beherbergt die Bergrettung, die Betriebszentrale und alles andere, was Besucher und Personal hier oben brauchen könnten. Ich kenne das Restaurant und die Toiletten, aber das ist es dann auch schon. Ach ja, und einmal habe ich eine Nacht in einem der winzigen Schlafsäle verbracht – die höchstgelegene Jugendherberge Frankreichs.

Ich haste Korridore hinunter, drücke im Vorbeilaufen Lichtschalter. Jede Menge geschlossene Türen. Manche abgeschlossen, andere nicht. Diese lässt sich öffnen. Gott, es könnte genau der Schlafsaal sein, in dem ich übernachtet habe. Der feuchte, modrige Geruch weckt eine Erinnerung. Brent unter mir auf der Matratze, seine großen Hände umklammern meine Hüften. Ich starre auf die schmale Einzelkoje. Dann kehre ich auf den Gang zurück, ziehe die Tür fest hinter mir zu.

Die nächste Tür ist eine Wäschekammer – raue weiße Handtücher und häufig benutzte Laken ordentlich gestapelt auf Kiefernregalen, der Gestank von billigem Waschmittel. Ein Stück weiter rieche ich etwas zu essen, und tatsächlich, hier ist die Küche. Zwei Töpfe stehen auf einem riesigen Herd. Ich hebe die Deckel hoch. In dem einen so was wie ein Schmorgericht mit Fleisch, Kartoffelpüree im anderen. Noch warm. Könnte unser Abendessen sein, aber wo sind die Leute vom Cateringservice?

Ich entdecke eine Toilette und drücke die Tür vorsichtig auf, aber sie ist leer und dunkel. Direkt dahinter liegt das ebenfalls dunkle Restaurant, in dem der Geruch von Holzrauch so stark ist, dass ich husten muss, obwohl das Feuer nicht brennt. Hier drinnen habe ich schon stundenlang meine Finger an Bechern mit heißem Kaffee gewärmt und Schneestürme ausgesessen, aber die Tische sind leer, also gehe ich einen anderen Korridor hinunter. Die anderen müssen eine Etage über mir sein, denn ich kann sie nicht mehr hören.

Weitere Lagerräume; mehr abgeschlossene Türen. Die Timer der Lichtschalter sind kurz eingestellt, und gelegentlich geht das Licht aus, bevor ich den nächsten Schalter drücken kann, dann muss ich mich in absoluter Dunkelheit an der Wand entlang vortasten. Die Stille ist unheimlich. Wenn irgendwer plötzlich aus einer dieser Türen auftauchte, bekäme ich einen Herzinfarkt.

Schließlich ein vertrauter Anblick: der Hauptausgang zum Gletscher. Ich eile darauf zu. So spät wird dort draußen niemand mehr sein, und höchstwahrscheinlich ist die Tür abgeschlossen, falls jedoch nicht, möchte ich diese Luft mit dem typisch eisigen Beigeschmack atmen. Es ist schon so lange her.

Die Tür öffnet sich. Der Wind fegt mit einem schrillen, erbarmungslosen Schrei durch den Spalt herein. Ein merkwürdig menschliches Geräusch. Ich reiße die Tür sofort wieder zu und stehe schwer atmend da. Ich wusste, es würde problematisch sein, wenn ich hierher zurückkomme. Zu viele Türen, die ich besser nicht öffnen sollte.

Reiß dich zusammen, Milla.

Okay. Krieg ich hin. Nach ein paar Drinks ist alles wieder gut.

Oben gibt es einen Raum für Hochzeiten und ähnliche Veranstaltungen. Mit so was können kleine Skigebiete wie dieses Geld machen, besonders außerhalb der Saison. Ich habe ihn bislang nur auf Bildern gesehen, aber genau dort müssen die anderen jetzt sein, denn hier unten habe ich überall nachgesehen.

Hier ist die Treppe. Am oberen Ende befindet sich eine schwere Brandschutztür, und die Luft dahinter kommt mir noch kälter vor. Ein schwacher Geruch. Vertraut. Was ist es? Vielleicht Heathers Parfum.

Stimmen hinter der Tür rechts.

Stopp! steht auf einem Schild. Und: Das Spiel hat begonnen. Telefone müssen in den Korb gelegt werden.

Ich atme aus. Ein Spiel. Vielleicht so was wie ein Quiz, übers Snowboarden oder woran wir uns bei den anderen erinnern. Irgendwas, damit wir über die alten Zeiten reden. Und es passt genau auf Curtis, uns auf diese Weise zu sagen, was wir tun sollen, und nichts von außerhalb zu dulden, das von dem ablenken könnte, was er geplant hat. Ich lege mein Telefon in den Korb. Es sei denn …

Ich sehe noch mal das Schild an. Das Spiel hat begonnen. Genau das waren mal meine Worte zu ... nein. Das ist eine völlig normale Redewendung. Es hat überhaupt nichts weiter zu bedeuten. Ich lege mein Handy auf die vier anderen, die dort bereits liegen, und gehe hinein.

Der Veranstaltungsraum scheint auf den Berg hinauszuragen, der dicke weiße Teppich ist eine Verlängerung des Schnees draußen, die Einrichtung ist in Weiß und Silber gehalten und war zweifellos irrsinnig teuer. Mit Satin gepolsterte Stühle, Tische aus Glas und Chrom. Diese Opulenz steht in hartem Kontrast zu der eher rustikalen Möblierung unten. Es riecht sogar anders. Der abgestandene Geruch von Holzrauch ist weg, dafür riecht es nun nach frischer Farbe.

Die gesamte hintere Wand besteht aus einer einzigen großen Fensterfläche, weiße Seidenvorhänge sind mit einer Schärpe zurückgebunden. Tagsüber muss der Ausblick sensationell sein, aber jetzt ist da nur absolute Schwärze. Kein Licht zu sehen. Gespenstisch in unserer gegenwärtigen Situation, aber davon abgesehen ein schöner Ort für eine Hochzeit.

Wenn man darüber hinwegsehen kann, wie viele Leben dieser Gletscher schon gefordert hat.

Und wie viele Leichen er immer noch festhält.

Denk nicht daran.

Es ist so kalt hier, dass ich meinen Atem sehen kann. Und auch feucht. Der Raum ist wahrscheinlich seit Monaten nicht benutzt worden. Die anderen haben alle was zu trinken. Eine einsame Bierflasche steht auf einem Silbertablett in der Nähe – ein Kronenbourg 1664. Das Glas fühlt sich eiskalt an. Früher mochte ich diese kleinen Flaschen mit französischem Bier sehr. Süßlich und spritzig. Ich habe es nicht mehr getrunken, seit ich das letzte Mal hier war.

Es sind immer noch nur wir fünf. Das Personal muss irgendwo den Gang hinunter sein. Curtis sieht immer wieder zur Tür. Was hat er geplant?

Heathers Finger mit ihrer französischen Maniküre legen sich um meinen Unterarm. »Hast du das Spiel gesehen?«

»Welches Spiel?«

Sie zieht mich über den Teppich zu einem großen Holzkasten auf einem niedrigen Tisch. Daneben liegen Kulis, cremefarbene Briefumschläge und Karten. Und ein gedrucktes, laminiertes Blatt. Icebreaker. Es ist eine überladene, schnörkelige Schrift, wie man sie von Agenden bei Beerdigungen kennt.

Und Hochzeiten, wie ich mich schnell erinnere.

Schreib ein Geheimnis auf, etwas über dich, das keiner der anderen kennt. Das legst du dann in die Kiste. Zieh die Umschläge heraus, einen nach dem anderen, und rate, wer was geschrieben hat.

Wieder werfe ich Curtis einen Blick zu. Witzig, wie viel Mühe er sich gegeben hat, wo wir doch glücklich und zufrieden gewesen wären, uns einfach fett die Kante zu geben. Er schreitet an mir vorbei zum Fenster, wischt eine beschlagene Stelle frei und schaut hinaus. Die fließende Geschmeidigkeit seiner Bewegungen hat mich immer an einen Turner erinnert, und daran hat sich nichts geändert. Er besitzt immer noch dieselbe kraftvolle Anmut.

Ich brauche mehr Alkohol, bevor ich ihn anspreche, also gehe ich stattdessen zu Brent hinüber. Die Bierflasche in seiner Hand überrascht mich. Früher hat er nie getrunken.

»Warst du in letzter Zeit snowboarden?«, frage ich ihn.

»Einmal im Jahr. Mehr kann ich mir nicht leisten. Aber ich fahre noch viel Skateboard.«

»Das sehe ich an deinen Schuhen.«

Seine DCs sind an einem Zeh so abgetragen, dass ich seine Socke sehen kann. DC hat ihn früher supportet, aber sein aktuelles Paar hat er wahrscheinlich selbst kaufen müssen. Ich bin gerührt, dass er der Marke treu geblieben ist, aber so ist Brent nun mal.

Er war in jenem Winter erst einundzwanzig, mit der schlaksigen Figur und der Energie eines Teenagers. Inzwischen ist er etwas fülliger geworden. Schwer zu sagen bei seinen schlabberigen Klamotten, aber er scheint immer noch gut in Form zu sein. Trägt auch seine Jeans immer noch auf halber Höhe des Hinterns.

Sein gutes Aussehen, das er seinem indischen Vater zu verdanken hat, bescherte ihm einen vorübergehenden Erfolg als Model, bevor er mit Snowboarding richtig Karriere machte. Ich sehe gelegentlich online nach, was er so treibt, aber sein Instagram-Account verrät nicht viel. Ich möchte ihn fragen, ob er mit irgendwem zusammen ist – ob er vielleicht sogar Kinder hat –, aber das könnte er womöglich falsch verstehen. Ich muss wissen, ob er glücklich ist.

»Dann hast du mich also nicht hierher eingeladen?«, fragt er.

»Nein. Hab ich doch schon gesagt.«

Curtis sieht mich quer durch den Raum an, wirkt irgendwie … beunruhigt? Wahrscheinlich fragt er sich, wo das Personal steckt.

»Fährst du noch?« Brent versucht ganz offensichtlich, die Unterhaltung auf sichereren Boden zu lenken.

»Nicht, seit ich hier weg bin.«

»Echt jetzt? Kein einziges Mal?«

»Hatte beruflich viel um die Ohren.« Ich sehe seine Überraschung. Damals konnte ich an gar nichts anderes als Snowboarding denken, und ich stellte mir immer vor, bis weit ins hohe Alter zu fahren.

Die Wahrheit ist, ich habe eine Scheißangst davor. Angst davor, wer ich dann werden und welche Leben ich noch zerstören könnte. Sobald ich die Bindungen geschlossen habe, spielt nichts anderes mehr eine Rolle.

Brent weiß nicht, was ich getan habe, zumindest nicht alles. Keiner von ihnen weiß es.

Und ich möchte, dass es auch genau so bleibt.

3

Heather klatscht in die Hände, bittet um Aufmerksamkeit. »Zeit für Icebreaker.«

»Ach, ich verhungere«, wendet Brent ein.

»Ich auch«, schließe ich mich an. »Ich habe in der Küche einen Schmortopf gefunden.«

Heather zieht einen Schmollmund. »Wird bestimmt lustig. Essen können wir auch später noch.«

War sie schon immer so nervig, oder hat die Ehe sie noch rechthaberischer gemacht? Sie trinkt ihren Wein aus. Vielleicht ist sie einfach nur betrunken.

Brent grummelt irgendwas, aber Heather verteilt Karten, Stifte und Umschläge. Ich sehe wieder Curtis an, doch er rauscht an mir vorbei aus dem Raum.

»Was sollen wir denn schreiben?«, fragt Brent.

»Irgendwas Pikantes, das sonst keiner weiß«, empfiehlt Heather.

Mein Hals ist total trocken. Ich leere mein Bier, aber diese ausgedörrte Kehle bekommt man selbst mit viel Alkohol nicht wieder hin. Ich weiß das, weil ich es versucht habe, als ich vor zehn Jahren hier abgereist bin.

Ich kaue auf dem Ende des Stifts und versuche, mir irgendwas Witziges einfallen zu lassen, das ich enthüllen könnte. Und höre Curtis’ Stimme aus dem Korridor. Er hat das Telefon am Ohr. Typisch Curtis – will, dass wir unsere Telefone abgeben, benutzt dann aber sein eigenes. Redet er mit seiner Freundin? Er sieht, dass ich ihn ansehe, und schließt die Tür.

Ich blicke auf meine Karte, aber mir ist viel zu kalt, und ich habe viel zu viel Hunger, um geradeaus zu denken. Schließlich schreibe ich einfach: Ich habe eine Katze, und die heißt Stalefish.

Brent ist verschwunden. Ich schiebe mein Geheimnis in einen Umschlag und stecke diesen in den Schlitz der Kiste. Woher hat Curtis dieses Ding? Mal davon abgesehen, dass sie weiß ist, passt sie überhaupt nicht zu diesem Raum. Die Seitenwände aus dünnem Sperrholz sind schlecht verklebt, der Anstrich ist eher bescheiden, und überhaupt sieht das Ding wie etwas aus, das mein Opa gebastelt haben könnte.

Ich muss aufs Klo. Die Damentoilette verbirgt sich direkt hinter der ersten Tür auf dem Flur. Das Wasser aus der Leitung ist so kalt, dass man Angst bekommen könnte, die Leitung friert ein.

Als ich in den Veranstaltungsraum zurückkomme, hat Brent eine große Tüte Kartoffelchips besorgt. Ich nehme eine Handvoll.

Ich deute mit dem Kinn auf Brents Snowboardjacke. »Kriegst du immer noch Klamotten von Burton, oder musstest du dir die da selbst kaufen?«

Er mampft Chips. »Ich krieg ’nen Rabatt.«

»Wie schön für dich. Ich musste mich für diesen Trip komplett neu ausstatten.« Ich lecke meine salzigen Finger ab. Vor zehn Jahren habe ich meine gesamte Snowboardausrüstung einem französischen Mädel von gegenüber geschenkt. Sie verdiente es mehr als ich.

Curtis ist von seinem Telefonat zurück und steht wieder mit dem Rücken zu uns am Fenster. Was starrt er an? Da gibt es nichts zu sehen.

Dale kommt mit einer Handvoll weiterer Biere rein. Brent und ich stibitzen jeder eine Flasche.

»Bereit fürs Spiel?«, fragt Heather.

»Momentchen noch«, sagt Curtis und verschwindet noch mal.

Heather sieht aus, als könnte sie jeden Moment an die Decke gehen. Ich unterdrücke mein Grinsen. Sieht fast so aus, als machte Curtis das nur, um sie zu nerven.

»Hast du Personal gesehen?«, wende ich mich an Dale.

»Nein. Ich schätze mal, wir sind hier oben auf uns allein gestellt.«

»Sieht ganz so aus«, pflichtet Brent ihm bei.

»Aber in der Küche stand warmes Essen«, erinnere ich sie.

»Ja, hab ich gesehen«, sagt Dale. »Ich nehme an, die dachten, wir können uns selbst bedienen. Schicken morgen früh vielleicht jemanden mit der Gondel rauf, um uns Frühstück zu machen.«

»Eine unbeaufsichtigte Gästegruppe? Ich staune, dass sie so was zulassen«, wundere ich mich.

»Spart Kosten«, gibt Dale zu bedenken.

Brent nickt. »Für so einen kleinen Urlaubsort muss es ziemlich schwer sein, sich gegen Mega-Urlaubsgebiete wie Trois Vallées zu behaupten.«

»Was ist mit dem Spiel?«, überlege ich laut. »Haben die das auch vorbereitet?«

Das können sie nicht beantworten. Und so wie sie mich ansehen, denken sie immer noch, ich hätte irgendwas damit zu tun.

»Soll ich den Anfang machen?«, fragt Heather, gerade als Curtis zurückkommt. Ohne auf Antwort zu warten, öffnet sie die Klappe auf der Unterseite der Kiste, fummelt den obersten Umschlag heraus und macht sich darüber her.

Wir anderen ziehen uns Stühle heran. Weswegen ist sie überhaupt so aufgedreht? Was denkt sie denn, was die Karten uns verraten werden?

»Ich werde jetzt alle vorlesen, und dann raten wir, wer’s geschrieben hat, okay?«

Sie ist so aufgekratzt, das kann nicht allein vom Alkohol kommen. Ich vermute, sie hat irgendwas genommen. Allerdings wirkt Curtis genauso aufgedreht. Er sitzt völlig steif und kerzengerade da, behält ständig alles hier im Auge.

Ich spüre meine Finger nicht und schiebe sie mir unter die Oberschenkel, aber die gepolsterte Sitzfläche meines Stuhls ist so kalt wie alles andere hier.

Heather liest die Karte, und ihre Wangen verfärben sich. »Ich habe mit Brent geschlafen.«

Sie wirft ihrem Mann einen besorgten Blick zu, als hätte sie Angst, er würde das für ein Eingeständnis halten, aber er sieht mich an, genau wie Brent und Curtis.

»Ich hab das nicht geschrieben«, wehrt Curtis ab.

Wir lachen alle.

Alle außer Heather. »Wir haben doch gesagt, wir lesen erst alle vor, bevor wir mit raten anfangen.«

Sie versucht, Curtis zu gängeln. Viel Glück dabei.

Dale hebt die Hände. »Seht mich nicht an.«

Mehr Gelächter.

Einer der Jungs muss das aus Spaß aufgeschrieben haben. Wahrscheinlich Curtis.

Heather öffnet bereits den nächsten Umschlag. Ihre Eile finde ich komisch. Ist zwischen ihr und Brent je was gelaufen? Selbst wenn, würde sie das doch ganz sicher nicht öffentlich bekannt machen. Sie und Dale sind in diesem Winter schon ziemlich früh zusammengekommen.

Sie räuspert sich. »Ich habe mit Brent geschlafen.« Ihre Stimme klingt übertrieben fröhlich.

Wieder lachen ich, Brent und Curtis, diesmal sogar noch lauter. Dale lächelt nicht mal.

Curtis klopft Brent auf die Schulter. »Kein Wunder, dass du’s nie bis zur Olympiade geschafft hast. Du hast nicht genug geschlafen.«

Schön, Curtis fröhlicher zu sehen. Sein Kennenlernspiel zeigt die gewünschte Wirkung. Es wärmt uns trotz der eisigen Lufttemperatur auf – ob nun aus Vergnügen oder Verlegenheit. Ich genieße es zu sehen, wie Heather sich windet. Dales Gesichtsausdruck nach zu schließen ist es eine echte Neuigkeit für ihn, falls je was zwischen Brent und seiner Frau war.

Brent und Heather wechseln einen Blick. Eine Falte auf Brents Stirn sagt: Was soll das? Er glaubt, Heather hätte es geschrieben! Heather antwortet mit einem kaum merklichen Kopfschütteln. Was bedeutet das? Nicht jetzt? Oder dass sie es nicht geschrieben hat?

Ich komme da jetzt nicht so ganz mit. Wenn Brent denkt, Heather hätte eine der beiden Karten geschrieben, bedeutet das, er hat tatsächlich mit ihr geschlafen?

Ich recke den Hals, um die Handschrift zu sehen, nicht dass ich sie erkannt hätte – wir haben in dem Winter nicht besonders viel geschrieben –, aber die Karte in Heathers Hand ist mit ordentlichen Druckbuchstaben beschriftet, so wie man eben schreibt, wenn man nicht möchte, dass jemand die eigene Schrift erkennt. Es ist ein Witz, geht gar nicht anders. Ein im Voraus verabredeter Witz zwischen Curtis und Brent, um ein bisschen Schwung in die Sache zu bringen. Curtis und Dale hatten schon immer Probleme miteinander. Allerdings wirkt Brents Überraschung sehr echt.

Ich könnte was sagen, darauf bestehen, dass ich keines von beiden geschrieben habe, aber ich denke, ich warte mal ab, was auf der nächsten Karte steht.

Heather öffnet den dritten Umschlag. Sie wirft einen Blick auf die Karte und atmet scharf ein. »Ich habe mit Saskia geschlafen.«

Diesmal lacht keiner. Gerade ist eine Grenze überschritten worden.

Trotz all unserer Differenzen kann ich mir nicht vorstellen, warum jemand das schreiben sollte. Soweit ich weiß, hat nur einer der Anwesenden mit Saskia geschlafen, und ich hätte nicht gedacht, dass das allgemein bekannt gewesen wäre. Ich achte darauf, nicht in Brents Richtung zu sehen – oder zu Curtis.

Heather schielt zu ihrem Mann. Offenbar fragt sie sich, ob er das geschrieben hat. Wenn ich bei meiner Annahme bleibe, dass die beiden ersten Nachrichten von Curtis und Brent stammen, muss dann wohl Dale diese geschrieben haben. Aber warum zum Teufel sollte er das tun?

Heather öffnet den nächsten Umschlag. Wahrscheinlich denkt sie, es kann nicht mehr schlimmer kommen.

Aber offensichtlich irrt sie sich, denn sie blinzelt und hebt schockiert den Blick. »Ich weiß, wo Saskia ist.«

Curtis reißt ihr die Karte aus der Hand und starrt sie mit versteinertem Gesicht an. »Soll das hier ein Witz sein, oder was?«

Keiner antwortet.

»Hat wirklich irgendwer das alles aufgeschrieben?«

Verstohlene Blicke im Raum. Kopfschütteln.

Unbehagen beschleicht mich. Ein flüchtiger Blick zum Fenster, auf die totale und absolute Schwärze dort draußen, erinnert mich daran, wie allein wir sind. Nur wir fünf. Meilenweit niemand sonst. Ich muss wissen, ob Curtis uns hierher eingeladen hat. Denn wenn er es nicht war …

Ich sehe zur Tür, denke an all die langen, dunklen Flure und Gänge dahinter. Ist dort draußen jemand?

Brent bricht das Schweigen. »Lasst uns auch noch die letzte Karte hören.«

Heather öffnet den Umschlag und wird blass. Die Karte fällt aus ihren Fingern zu Boden.

Ich hebe sie auf. »Ich habe Saskia getötet

4

ZEHN JAHRE ZUVOR

Ein Mädchen fliegt hoch über der Halfpipe, weißblonde Haare quellen unter ihrem Helm hervor. Sie ist gut. Bei ihrem letzten Hit legt sie anderthalb Drehungen hin – fünfhundertvierzig Grad – und kommt genau vor mir zum Stehen, besprüht mich mit Schnee.

Ich weiß, wer das ist. Saskia Sparks. Sie hat mich letztes Jahr bei den British Snowboarding Championships geschlagen, den dritten vor meinem vierten Platz belegt.

Und dieses Jahr werde ich sie schlagen.

Meine langen blonden Haare, ein paar Nuancen dunkler als ihre, sind ziemlich charakteristisch, und wenn ich sie wiedererkenne, wird sie mich wahrscheinlich auch wiedererkennen, aber falls das so ist, lässt sie es sich nicht anmerken. Sie öffnet einfach die hintere Bindung und skatet zum Schlepplift hinüber.

Ich lege meinen Rucksack ab und eile ihr nach. Ich habe Sachen über sie gehört. Ice Maiden wird sie genannt.

Mein Skipass steckt in meiner Tasche. Ich drehe meine Hüfte zum Scanner, warte auf den Piepton, schiebe mich dann durchs Drehkreuz. Es ist ein ziemlich schlichter Lift, verwitterte Schleppliftbügel aus Plastik baumeln von einem schäbig wirkenden, sich bewegenden Kabel. Ich schnappe mir den nächsten Bügel, schiebe ihn zwischen meine Oberschenkel und betrachte, was so am Hang los ist, während ich nach oben gezogen werde.

Mit dem von Natur aus Furcht einflößenden Terrain, bestehend aus schroffen Felswänden, schmalen Schluchten und für den durchschnittlichen Pauschalurlauber viel zu steilen Pisten, genießt Le Rocher unter erfahrenen Skiläufern und Snowboardern Kultstatus.

Der Skiort besitzt noch eine andere große Attraktion: die Le Rocher Halfpipe. Das Äquivalent des Snowboarders zu einer Skateboardrampe. Der lange weiße Zylinder zieht sich die Piste hinauf. Errichtet nach den olympischen Vorgaben – hundertfünfzig Meter lang mit sechs Meter hohen Wänden zu beiden Seiten – und ziemlich gut in Schuss.

Die Läufer queren den Zylinder, schießen über den Rand hinaus und veranstalten dann in der Luft alle mögliche verrückte Scheiße. Schwer zu sagen, wer unter den Mützen und Helmen und Brillen wer ist, aber es bereiten sich ganz offensichtlich ein paar große Namen auf die Le Rocher Open morgen vor.

Ich wünschte, ich wäre schon früher hergekommen. Die Saison hat vor zwei Wochen begonnen, am 5. Dezember, aber da habe ich noch gearbeitet. Ich musste sicher sein, dass ich genug gespart hatte, um damit über den ganzen Winter zu kommen; so kann ich mich nämlich voll auf mein Training konzentrieren. Ich schaffe es niemals in die Top Drei, wenn ich die ganze Nacht irgendeinen beschissenen Job hinter einer Bar machen muss. Egal. Zeit, gleichzuziehen.

Saskia ist schon wieder oben. Ist sie die ganze Saison hier oder nur wegen der Le Rocher Open? Sie fährt ein und macht einen weiteren enormen 5-40er-Spin. Ihre Landungen sind echt perfekt.

Als ich das erste Mal eine Halfpipe sah, hat mir die Steilheit der fast senkrechten Wände Angst gemacht. Es ist eine Illusion. Das Vertical ist dein Freund. Wenn du richtig aufkommst, ist es so glatt, dass du gar nichts spürst. Aber das Eis ist hart wie Beton, wenn du es also vergeigst, hast du echt Probleme.

Die Angst durchfährt mich, als ich die Schuhe in den Bindungen befestige, und ich bekomme feuchte Handflächen in meinen ledernen Pipe Gloves. Ich bin nervöser als gewöhnlich, weil mein Snowboard noch ganz neu ist – ein Magic Pipemaster 157 meines allerersten Boardsponsors.

Normalerweise gehe ich es bei meinem ersten Lauf ruhig an, um ein Gefühl für die Pipe zu bekommen, aber Saskia ist das Mädchen, das ich schlagen muss, also werde ich bei meinem letzten Hit einen 5-40er versuchen. Ich fahre seitlich hinunter, bis ich genug Tempo habe, dann stürze ich mich hinein. Die Wand runter, über den flachen Boden der Pipe, dann die gegenüberliegende Wand rauf und in die Luft.

Meine vordere Hand findet die hintere Kante des Boards und ergreift sie fest. Backside Air. Ich fliege über dem Eis, mein Kopf ist klar und leer, ich sehe nichts, höre nichts. Pures Gefühl. Diese kostbaren Momente der Schwerelosigkeit am Scheitel des Bogens, gehalten von der Schwerkraft. Genau deswegen jongliere ich eine Hälfte des Jahres drei Jobs und malträtiere mich im Fitnessstudio.

Ich kehre zur Erde zurück, setze auf, bin total aufgedreht und bereit für mehr. Hin und her zwischen den Wänden wie ein Pendel. Beim letzten Sprung gehe ich voll in die Rotation und mache den 5-40er – einfach so. Meine Finger zittern, als ich die Bindungen öffne. Ich liebe dieses Board. Ich werde es für immer behalten – hänge es an meine Wand, damit ich es meinen Enkeln zeigen kann.

Saskia geht jetzt rauf, weil sich am Lift eine Schlange gebildet hat, also stapfe ich hinter ihr her. Das Licht wird unglaublich grell vom Schnee reflektiert, das Weiß eines Winters in den Alpen ist so völlig anders als das Grau des Winters in der Stadt. Meine Augen müssen sich noch einstellen.

Bei ihrem nächsten Run macht sie hintereinander bei den letzten beiden Hits 5-40er. Angst lässt meinen Magen verkrampfen. Ich habe mir immer vorgestellt, wenn ich erst mal Sponsoren habe, könnte ich mich zurücklehnen und hätte einfach nur Spaß. Völlig falsch. Der Druck ist zehnmal größer, seit ich ein Image aufrechterhalten muss. Ich darf meine Sponsoren nicht enttäuschen.

Ich stelle mir die Drehungen im Geist vor, während ich in die Bindungen steige. Direkt bei der ersten muss ich voll rein, damit ich lange genug in der Luft bleibe, um die zweite hinzubekommen. Und auf geht’s.

Mist. Ich habe mich vor all den Leuten, die unten gerade zu Mittag essen, voll auf die Fresse gelegt. Ich spucke Schnee aus, wische die Brille ab und beeile mich, wieder raufzukommen. Meine Knie pulsieren, und ich will gar nicht erst wissen, ob Saskia das mitbekommen hat.

Ich muss das tun. Unter den ersten Dreien zu landen macht den entscheidenden Unterschied zwischen Halbprofi und Vollprofi, und Vollprofi bedeutet, du kannst das ganze Jahr über trainieren. Im Unterschied zu Saskia komme ich nicht aus einer reichen Familie, aber ich will das hier mehr, als ich in meinem ganzen Leben je etwas gewollt habe.

Ich versuch es wieder. Wieder versenkt. Meine rechte Hand stützt den Aufprall ab, und ein stechender Schmerz rast durch meinen Arm. Ich meine, Saskias süffisantes Grinsen zu sehen, als ich mich wieder aufrapple. Ich brauche vier weitere Versuche, bis ich es schließlich irgendwie hinbekomme. Und Saskia muss natürlich einen 7-20er hinlegen. Zwei vollständige Drehungen hoch über dem Eis.

Die Sonne knallt auf die Halfpipe. Sobald ich irgendwas schaffe, legt Saskia die Latte gleich höher. Ich treibe es bis zu meiner momentanen äußersten Grenze. Wenn ich mir vor den Le Rocher Open morgen was breche, bin ich am Arsch.

Am Nachmittag ist meine Wasserflasche wieder leer. Ich bin schon einmal zum Nachfüllen zur Mittelstation zurück. Ich lasse mein Board wie beim letzten Mal am unteren Ende der Pipe zurück, zwischen der bunten Ansammlung der übrigen, und jogge über das Plateau.

Auf dem Rückweg komme ich an einer Skiläufer-Familie vorbei – Mum, Dad und ein kleines Kind –, die aufgeregt am Rand der Felskante diskutieren. Als ich einen Blick zu ihnen hinüberwerfe, sehe ich auch, warum. Ein winziger blauer Handschuh liegt auf dem Schnee unterhalb.

Mein Blick kehrt zu der Familie zurück. Der Mann hat sich ein Baby vor die Brust geschnallt, dick eingemummelt gegen das Wetter. Nur seine kleinen rosa Bäckchen sind ungeschützt. Und eine kleine nackte Hand. Er muss wohl den Handschuh aus dem wackligen Sessellift fallen gelassen haben, der über uns wegscheppert. Le Rocher ist nicht direkt ein familienfreundlicher Urlaubsort, und es ist überhaupt die erste Familie, die ich je hier oben gesehen habe. Es müssen Einheimische sein.

Ich sehe den Felsvorsprung entlang. Ich bin schon oft von höheren abgesprungen. Solange es unter sechs Metern ist, ist es nicht mal eine Felswand, laut Snowboarder-Magazin Whitelines. Aber es wird auf Kosten meiner Trainingszeit gehen. Ich werfe einen Blick zurück über die Schulter zur Pipe, wo Saskia ihren Vorsprung weiter ausbauen wird. Dann wieder zu dem Baby und seinem nackten kleinen Händchen. Ohne groß zu überlegen, stecke ich meine Wasserflasche in meinen Sport-BH und renne auf die Kante zu. Die Hand der Frau schießt zu ihrem Mund, als ich abspringe.

Bereits in der Luft durchfährt mich die Erkenntnis. Bislang bin ich von solchen Felsvorsprüngen immer nur mit meinem Brett unter den Füßen abgesprungen. Das wird jetzt wehtun …

Ich stürze durch die Luft. Pulverschnee und Felsbrocken unter mir werden deutlich erkennbar. Als ich mit den Schuhen aufkomme, ziehe ich die Schulter ein und rolle ab, komme mit Schnee überzogen zum Stillstand. Ich hebe die Brille und sehe die schockierten Gesichter der Familie über den Rand der Felswand zu mir herunterstarren. Und wo ist dieser Handschuh jetzt?

Ein stechender Schmerz von meinem Knie, als ich nach oben klettere. Eine alte Verletzung; manchmal tut sie weh, und meine Stürze heute waren nicht wirklich gut. Ich hebe den Handschuh hoch, und die Eltern applaudieren. Mit voller Kraft werfe ich das Ding rauf. Der Mann fängt ihn, brüllt sein Dankeschön, und die Familie verschwindet aus meinem Blickfeld. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich wieder hinaufkomme.

Nach einem langen Marsch seitlich durch tiefen Pulverschnee erreiche ich schließlich verschwitzt und außer Atem die Pipe. Und das alles für einen beknackten Babyhandschuh.

Mein Top klebt mir unter den Achseln, und ich habe das Wasser schon wieder halb ausgetrunken, aber wenigstens ist mein Snowboard noch da, wo ich es zurückgelassen habe. Saskia sitzt in der Nähe, hat das Gesicht zur Sonne gehoben. Sie hat mich immer noch nicht gegrüßt, aber in dem Augenblick, als ich mein Board aufhebe, schnappt sie ihres und rast vor mir zum Schlepplift. Ich folge ihr schnell und versuche, mich wieder zu fokussieren.

Während wir rauffahren, legt eine Gestalt in einer mintgrünen Jacke einen mordsmäßigen Spin hin. Verdammt – es ist ein Mädel! Du erkennst weibliche Rider normalerweise an ihrem Fahrstil – weniger Power, mehr Vorsicht –, aber die hier fährt wie ein Typ, geht voll in ihren Moves auf. Wie kann ich da mithalten? Hoffentlich ist sie keine Britin.

Ich reiße mich zusammen. Im Moment muss ich mir nur Gedanken wegen Saskia machen. Sie geht in die Pipe, während ich meine Bindungen schließe. Verflixt. Sie hat gerade eben eine Serie von 7-20ern gemacht. Ich glaube, das bringe ich nicht.

Komm schon! Deine Sponsoren ließen dich sofort fallen, wenn sie wüssten, was du für ein Hosenscheißer bist!

Ich hole tief Luft und stürze mich rein, aber mein Board ist träge und reagiert nicht, und ich fahre total chaotisch. Eine volle Drehung bei meinem letzten Hit ist dann auch schon das Beste, was ich hinkriege. Ein unsicherer 3-60er.

Völlig unkontrolliert rase ich hinunter, greife die Nase meines Boards und lande auf dem Schoß von so einem armen Kerl, der prompt nach hinten in den Schnee knallt.

Hervorragend. Ich habe gerade eben Curtis Sparks umgemäht, den dreifachen britischen Halfpipe-Champion und Saskias älteren Bruder.

»Tut mir leid!«

Er hilft mir auf. »Kein Ding. Bei dir alles gut?«

»Ja, bei dir auch? Ich hab dich voll erwischt.«

Er wirkt amüsiert. »Werd’s überleben.«

Ich war jahrelang in diesen Typen schwer verknallt. Er sieht nicht einfach nur sagenhaft aus und ist megatalentiert. Auf die Frage, warum er sich nicht für die letzte Winter-Olympiade qualifiziert hat, hat er den Interviewer einfach nur angesehen und gesagt: »Weil ich nicht gut genug bin.« Er erwähnte nicht, dass er kurz vor den Qualifikationen eine große OP hatte. Keine Ausreden. Sein eigener schärfster Kritiker. Dafür habe ich ihn geliebt.

Ich hebe meine Brille, um nachzusehen, was mit meinem Board los ist.

»Hey, ich hab dich letztes Jahr bei den Brits gesehen.«

»Ja, ich dich auch«, erwidere ich.

Ein bisschen wuschig wegen des Blicks, mit dem er mich ansieht, untersuche ich mein Snowboard. »Meine Bindung hat sich schon wieder gelöst. Hast du einen Schraubenzieher?«

»Lass mal sehen.« Curtis hockt über meinem Board und packt mit großen Händen meine Bindung. Seine Haare haben ein dunkleres Blond als die seiner Schwester und sind sehr kurz, seine Haut ist goldbraun, heller um die Augen wegen der Brille.

»Hey, Sass!«, brüllt er.

Und da ist sie, beobachtet uns.

»Was hast du mit meinem Schraubenzieher gemacht?«, ruft er.

Sie kommt mit einem großen Schraubendreher mit einem lila Plastikschaft herüber.

Ich nehme ihn. »Danke.«

Nun hebt sie ihre neonpinke Brille auf den Helm, sagt aber nichts. Sie hat wirklich unglaubliche Augen. Ich habe sie schon auf Fotos gesehen, aber in echt sind sie noch viel blauer – sogar noch blauer als die ihres Bruders.

Ich ziehe meine Bindung fest an, mit aller Kraft, weil ich nicht möchte, dass sie sich noch mal lockert. Ich hatte mir vorhin schon mal oben von einem Typen einen Schraubenzieher ausleihen müssen.

»Soll ich das für dich anziehen?«, fragt Curtis.

»Sehe ich aus, als hätte ich ein Problem mit den Armen?« Es ist raus, bevor ich es mir verkneifen kann. Unhöflich, ich weiß, aber wäre ich im Ernst hier oben, wenn ich meine eigene Scheißbindung nicht allein anziehen könnte?

Er mustert mich von oben bis unten und verkneift sich ein Grinsen. »Nee, ich sehe da absolut kein Problem.«

Mein Gesicht steht in Flammen. Ich gebe den Schraubenzieher zurück. Und bemerke einen Riss an seinem unteren Hosenbein. »Oh, mein Gott, ich hab deine Hose geschreddert.«

Sein Lächeln wird breiter. »Hey, vergiss es. Ich muss sie nicht selbst bezahlen. Du darfst mich jederzeit über den Haufen fahren.«

Flirtet der Typ vielleicht mit mir oder was? Und noch dazu vor seiner Schwester!

»Schon schräg«, sage ich. »Denn es ist heute das zweite Mal, dass sich meine Bindung gelockert hat.« Er lässt mich plappern.